Unsere MM-Tour - Britta Gudat - E-Book

Unsere MM-Tour E-Book

Britta Gudat

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Beschreibung

Im Sommer 2018 setzten wir das Abenteuer der Alpenquerung zu Fuss von München nach Venedig in die Realität um. Für mich war es eine Reise des Abschieds der Kindheit und Dreisamkeit. Ich wusste, dass nicht mehr viele gemeinsame Reisen folgen würden. Mit viel Humor, Durchhaltevermögen und einer unbeschreiblichen gemeinsamen Erfahrung erreichten wir nach 28 intensiven Tagen unser Ziel.

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Alle sagten: Das geht nicht. Da kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.

Inhaltsverzeichnis

Idee

Zeitplanung

Entscheidung

Tag 1 – Lenggries Bahnhof – Tutzinger Hütte

Tag 2 – Tutzinger Hütte – Vorderriß

Tag 3 – Vorderriß – Karwendelhaus

Tag 4 – Karwendelhaus – Halleranger Alm

Tag 5 – Halleranger Alm – Wattens

Tag 6 – Wattens – Lizumer Hütte

Tag 7 – Lizumer Hütte – Tuxer-Joch-Haus

Tag 8 – Tuxer-Joch-Haus - Dominikushütte

Tag 9 – Dominikushütte – Stein

Tag 10 – Stein-Pfunders

Tag 11 – Pfunders – Kreuzwiesenalm

Tag 12 – Kreuzwiesenalm – Schlüterhütte

Tag 13 – Schlüterhütte – Puezhütte

Tag 14 – Puezhütte – Grödner Joch – Fedaiasee

Tag 15 – Fedaiasee – Alleghe

Tag 16 – Alleghe – Ruhetag

Tag 17 – Alleghe – Tissihütte

Tag 18 – Rifugio Tissi – Rifugio Bruto Carestiato

Tag 19 – Rifugio Bruto Carestiato – Rifugio Pian de Fontana

Tag 19 – Rifugio Pian de Fontana – Belluno

Tag 20 – Belluno – Rifugio Col de Visentin

Tag 21 – Rifugio Col de Visentin – Tarzo/ Le Noci

Tag 22 – Agriturismo Le Noci – Ponte della Priula

Tag 23 – Ponte della Priula – Bocca Callalta

Tag 24 – Bocca Callalta – Caposile

Tag 25 - Caposile – Markusplatz

Idee

April 2014

Im strammen Tempo wanderte ich mit meinen beiden Kindern, zu diesem Zeitpunkt war meine Tochter Leonie 13 Jahre alt, mein Sohn Luis10, im April 2014 durch die Eifel, unser Weg führte uns über den Eifelsteig. Meine Absicht war es, den beiden die Vulkaneifel zu zeigen und wie kann man diese besser erleben, als zu Fuß? Bei fast winterlichem Wetter starteten wir in Gerolstein und ich fragte mich, ob im April Mütze, Schal und Handschuhe tatsächlich motivierend seien. Mit jedem Tag stieg jedoch die Temperatur, somit die Motivation und unsere Kondition. Bergauf, bergab, so ging es von einem erlebnisreichen Tag zum nächsten.

Da so ein Wandertag auch lang sein kann und die Hügel wie Berge erscheinen, findet so manche Unterhaltung statt, für die zu Hause keine Zeit ist. Ich liebe diese Themen und daraus folgenden Diskussionen, die im Alltag zu kurz kommen

Eine dieser Unterhaltungen war sehr nachhaltig. Ich erwähnte beiläufig die Existenz eines Wanderwegs von München nach Venedig. Warum? Keine Ahnung. Ich fand es einfach ziemlich seltsam, dass sich Menschen freiwillig in so ein nicht ganz ungefährliches Abenteuer begeben. Gleichzeitig faszinierte mich der Mut und die Abenteuerlust von diesen Menschen, die für mich in einer Parallelwelt lebten.

Luis hatte mit vier Jahren seinen ersten Gipfel im Karwendelgebirge bestiegen und ist seitdem fasziniert von den Alpen. Als Düsseldorfer ist das in meinen Augen durchaus bemerkenswert.

Er staunte jedenfalls und sagte mit leuchtenden Augen nur: „DAS MÖCHTE ICH MACHEN!“

Leonie, die sich mit sechs Jahren das erste Mal an einem Gipfelkreuz mühsam mit ersten Schreibversuchen in einem Gipfelbuch verewigte, war mittlerweile zwölf. Sie schüttelte fassungslos und sehr spontan den Kopf, führte ihren Zeigefinger langsam und sehr, sehr bedeutungsvoll an die Stirn, tippte leicht daran und negierte auf lange Sicht sehr eindeutig ihre Teilnahme. Somit war das Thema mehr oder minder für mich erledigt, denn ich hatte keine Absicht, diesen Weg zu laufen – schon gar nicht allein mit Kindern in diesem Alter.

Luis behielt diese Idee zu unserem Leidwesen in seinem Gedächtnis. Er nannte sie fortan unsere MM-Tour und erinnerte mich und uns beharrlich und in regelmäßigen Abständen an das noch ausstehende Projekt. Ich musste erkennen, dass er es sehr ernst meinte und keine Absicht hatte, mit der Durchführung zu warten, bis er erwachsen war. Bei einem Besuch in der Buchhandlung ging er auf direktem Wege in die Reiseabteilung, fragte nach einem Wanderführer für die Alpenquerung und kam mit dem bekannten roten Büchlein zu mir. Schon allein, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen, kauften wir ihn und sahen ihn uns zu Hause gemeinsam an.

Zugegeben, durch viele Roadtrips mit unserem VW Bus nach Skandinavien, fernab von jeder Zivilisation über Wochen, Kanutrips, Wanderungen etc. waren wir drei an einen minimalistischen und abenteuerreichen sowie spontanen Urlaub gewöhnt. Wir brauchen Freiheit und Natur, aber ein solches Risiko einzugehen lag mir zu diesem Zeitpunkt sehr fern.

Wir blätterten und lasen gemütlich im Winter vor dem Kamin auf der Couch in dem Büchlein. Luis wurde nicht müde meine Bedenken wegzudiskutieren (er ist in der Familie der König der Diskussionen) und dennoch war mir klar, dass diese Wanderung definitiv nicht stattfinden würde.

Ich klappte das Buch zu, legte es auf den Tisch und beendete die Unterhaltung mit einem für Eltern so typischen „Das ist zu gefährlich, das mache ich nicht und Punkt“. Damit war das Thema für mich erledigt.

ZEITPLANUNG

2015

Als König der Diskussionen kann man so etwas nicht einfach hinnehmen. Er war schlau genug, es bis zu einem geeigneteren Zeitpunkt ruhen zu lassen. Als wir meinen Bruder im Frühjahr in Bayern besuchten, fanden wir uns in der lokalen Buchhandlung wieder und wieder zog mein Sohn ein Buch zu diesem Thema heraus. Ich frage mich noch heute, wie er es so schnell fand.

Er las mir die Passagen von den gefährlicheren Teilen, sprich Klettersteigen vor, die sich plötzlich aus der Perspektive dieses Autors machbar anhörten. So fing ich nun doch an, mich näher mit der Durchführbarkeit zu beschäftigen und öffnete mich nach und nach und über Wochen und Monate etwas dem Gedanken.

Ich fragte sogar meinen Bruder nach seiner Teilnahme bei dieser Exkursion, der zwar große Lust hatte, aber nach Durchdenken der Angelegenheit aufgrund seiner noch sehr kleinen Kinder keine Möglichkeit der langen Abwesenheit sah.

Die Folge waren viele Warnungen und Horrorszenarios, von denen er mir groß und breit berichtete und ausmalte. Ich kannte bald sämtliche Unfälle, die sich in den Bergen zu der jeweiligen Zeit abspielten, erhielt Zeitungsausschnitte und Artikel aus dem Internet. Er meinte es gut und ich war natürlich sehr empfänglich für diese sehr gefilterten Informationen. Er verschwieg aber unter anderem die Tatsache, dass auch sehr viele Menschen die Berge ohne Probleme erwanderten (dabei möchte ich die Gefahren selbstverständlich nicht herunterspielen).

Nun war Sohnemann entschlossen, ich war hin- und hergerissen, meine Tochter war ebenfalls entschlossen - zur Absage des Unterfangens. Ich wusste, wenn, dann gehen wir maximal zu dritt (eher zu zweit) und ich hatte keine Ahnung, wie ich in einem Notfall in den Bergen am Rande der Zivilisation agieren sollte. Ich schob die Gedanken und die Vorstöße meines Sohnes immer wieder erfolgreich auf. Pattsituation.

Wir fuhren in jenem Sommer mit unserem VW Bus nach Lappland...

ENTSCHEIDUNG

2017

Die Planung hatte geruht, die Kinder waren älter. Ich nenne sie dennoch Kinder, obwohl ich es eigentlich nicht mehr darf, aber sie sind nun einmal „meine Kinder“. Wir setzten uns hin und überlegten in aller Ruhe neu. Eine Notsituation erschien mir mittlerweile ein überwindbares Hindernis zu sein, da beide Kinder nun alt genug waren (15 und 13), um besondere Situationen selbst einschätzen zu können. Auch hätten sie durchaus eine Strecke, z.B. um Hilfe zu holen, alleine bewältigen können. Ich las viele Blogs im Internet, sprach mit vielen bergerfahrenen Bekannten und informierte mich etwas detaillierter.

Das Ergebnis war: 2018 geht es los. Zumindest für Luis und mich. Das Alter passte, er sollte dann gerade 15 Jahre alt sein und für den Fall, dass Leonie nicht mitkommen wollte, war sie mit 16, fast 17 Jahren, alt genug, die Zeit auf ihre Art und Weise zu verbringen. Ich reichte 4,5 Wochen Urlaub ein und wie durch ein kleines Wunder wurde dieser genehmigt. Ich teilte meinen Kindern dieses Ereignis und die hierdurch werdende Realität mit.

Luis konnte es nicht so ganz glauben, dass wir den ursprünglich absurden sowie fast unmöglichen Plan umsetzen würden, für Leonie entstand umgehend ein Entscheidungsproblem. Es gab nur ja oder nein. Von nun an nahm ich zur Beruhigung nur noch den grünen Wanderführer in die Hand, den roten legte ich bewusst zur Seite.

Körperlich waren beide Kinder sehr fit, ich traute es beiden zu, allein bei mir hatte ich ansatzweise Zweifel. Ich orientierte mich an Trailrunnern, Extremsportlern und passionierten Bergsteigern und kam zu dem Schluss, dass ich tatsächlich noch hart dafür arbeiten müsse. Ich war nicht unsportlich, aber dennoch weit entfernt von einem Bergprofi. Das war übertrieben, spornte mich aber an.

Am 26.07. sollte Luis seinen 15. Geburtstag feiern, am 27.07. sollte der Startschuss fallen.

Ich nahm die Urlaubsgenehmigung als Zeichen und kaufte mir gleich im Herbst neue Wanderschuhe, die ich gut einlaufen wollte. Als Mitglied des DAV nahm ich an diversen Wanderungen im Bergischen Land und in meinem direkten Umland bei Wind und Wetter teil, erwanderte den Rheinsteig und fuhr möglichst viel mit dem Rad. Viel mehr gab die Düsseldorfer Gegend und das Umland leider als Vorbereitung in meinen Augen nicht her.

Dann kam der Point of no return für Leonie, die Stunde null sozusagen. Sie brauchte ebenfalls Schuhe, die ich ihr allerdings bei den gängigen Preisen nur bei Teilnahme unseres Abenteuers zu kaufen gedachte. Sie musste sich entscheiden.

Ich möchte gar nicht wissen, wie viele schlaflose Nächte sie insgeheim verbracht hat und sich unendlich gewunden hat.

Irgendwann trat sie entschlossen aus ihrer Zimmertüre und teilte klar ihre Meinung mit: Bevor sie sich stundenlang anhören müsse, wie toll die Wanderung war, Fotos ansehen müsse, zu der sie keine Relation habe und (für den Fall, dass wir tatsächlich ankommen sollten) das Gefühl bei der Ankunft in Venedig verpasst zu haben, käme sie selbstverständlich mit. Dieser Gedanke war ihr noch unerträglicher als der Gedanke an Schweiß, Muskelkater und Scharten – auch eine Art der Motivation.

Ich freute mich unbändig, denn mit 16 ist es sicherlich nicht selbstverständlich, dass man noch mit der Mutter und dem „kleineren“ Bruder in einen Urlaub fährt. Also ging es los: Schuhe kaufen, Ausrüstung besorgen, Wanderführer und Internet lesen, Route checken.

Zu meinem 50. Geburtstag im Frühjahr desselben Jahres flogen wir drei nach Nepal. Ich sah in diesem Urlaub auch eine Art Vorbereitung für die Alpenquerung, fest in dem Glauben, wenn wir dort in der Höhe herumspringen könnten, könnten wir das in den Alpen erst recht. Da uns der Trek im Annapurna Gebirge sehr leichtfiel, waren wir fest überzeugt, bestens vorbereitet zu sein. Fast verblasste unser Vorhaben bei dem eindrucksvollen und erlebnisreichen Urlaub am Fuße der 8000-er Berge.

Ganz pflichtbewusst nahmen wir an einem Kurs des DAVs teil. Dort wurde der Umgang mit Kompass und Planzeiger geschult, die Fähigkeit des detaillierten Kartenlesens aufgefrischt, Orientierung bei schlechtem Wetter und viele andere nützliche Tipps und Tricks für die Bergwelt ausgetauscht. Wir fühlten uns bestens gerüstet.

Ich muss allerdings ehrlich gestehen, dass ich mich ob der fehlenden Bergwelt in NRW und gefühltem Zeitmangel körperlich nicht perfekt vorbereitet hatte. Daher hatte ich auch gründlichen Respekt vor dem Startschuss.

Wir trafen die letzten Vorbereitungen, der letzte Arbeitstag ging zu Ende und der Rucksack wurde gefüllt. Es war wunderschön, so sparsam im Gewicht sein zu können, das Packen wurde in Rekordzeit beendet.

Zur Kontrolle und nicht ohne Stolz stellten wir fest, dass das Gewicht bei keinem der drei Rucksäcke 6 kg (ohne Wasserflaschen) überstieg. Besonders positiv überrascht war ich über die Tatsache, dass beide Kinder mit einem Tagesrucksack bestens auskamen. Der Tag unserer Abreise war der 25.7., ein Tag vor dem 15. Geburtstag meines Sohnes. Ich wurde nervös.

Wir fuhren aufgeregt zum Bahnhof und fühlten uns anders als die Restmenge der Touristen am Bahnhof. Mit 300 km/h preschten wir gen Berge.

Den Geburtstag feierten wir gebührend mit der Familie meines Bruders in Bayern. Leonie nahm sich am Schliersee, Blick auf die Berge gerichtet, immer wieder den Wanderführer und fragte sich, ob wir das alles wirklich ernst meinten. Sie hatte Schmerzen im Knie, denn sie hatte sich eine Woche zuvor bei einem Fahrradsturz das Knie aufgeschlagen und humpelte sich hauptsächlich die Distanzen. Sie tat mir sehr leid, denn ich sah ihre Schmerzen und das Problem. Sie riss sich so sehr zusammen, ich hatte ehrlicherweise einen Kloß im Magen.

Mein Bruder, immer sehr besorgt um die kleine Schwester, wurde nicht müde, Dinge aufzuzählen, die lebenswichtig werden könnten. Er hatte große Sorge, dass ich als „Naivchen“ losziehen würde und wichtige Dinge nicht beachtete. Er fragte Kartenmaterial, Hirschtalg, Blasenpflaster, Getränkeflaschen, Sportsalbe, Verbandsmaterial und sogar Klopapier ab. Bis auf letzteres konnte ich alles bejahen. Zur Krönung legte er uns noch einen Zeitschriftenbericht über den Tod von einem Bergsteigertrupp vor. Danke dafür.

TAG 1 – LENGGRIES BAHNHOF – TUTZINGER HÜTTE

27.07.2018

Angegebene Zeit: 5 Std, tatsächliche Zeit: 8 Std.

Ich gebe zu, ich packte das Klopapier ganz zum Schluss doch noch ein.

Wir wachten auf, packten den Rucksack zusammen und rannten hektisch zum Bahnhof, um den Zug nach Lenggries nicht zu verpassen. Wir wollten zeitig auf den Berg, der Tag versprach große Hitze und Sonnenschein pur. Irgendwie fühlte es sich nicht so an, als würden wir in ein vierwöchiges Abenteuer starten.

Ich hatte mir einen ruhigen Beginn gewünscht. Aber es passte zu uns, so passierten uns immer die Dinge. Wir waren einfach immer die Letzten, zu spät und in Eile. So verbauten wir uns fast noch den Beginn zusätzlich dadurch, dass wir in der sich trennenden Bahn im falschen Waggon saßen. Das konnte ja heiter werden – wenn sogar eine Bahnfahrt nach Lenggries schon eine Hürde war.

Als Startpunkt hatten wir bewusst Lenggries gewählt. Wir hatten vier Wochen Zeit, es waren 28 Etappen. Wir hatten Sorge, aufgrund eines möglichen Zwangsruhetages um ein bis zwei Tage vor Venedig aufhören zu müssen. Diese Option fanden wir schlimmer, als uns 2-3 Tage Isarwanderung zu schenken. Es war sowieso nicht so attraktiv, bei 35 Grad dem Fluss zu folgen. Ein bisschen tat es mir allerdings um den symbolischen Start auf dem Marienplatz leid.

In Lenggries angekommen stiegen wir lachend aus der Bahn, froh diesen durchaus anspruchsvollen Teil der Wanderung hinbekommen zu haben, cremten uns ein, klatschten ein, machten ein Aufbruchsfoto und los ging es. Der Kommentar einer Bekannten über das Handy „Juhuuu – drei Rucksäcke on Tour!“ ließ uns schmunzeln und motiviert losziehen.

Mein Bruder kommentierte den Aufstieg zum Brauneck vor unserer Abfahrt so: „Wer in zwei Stunden nicht da oben ist, der braucht es bis Venedig gar nicht erst zu versuchen.“. Wir glaubten ihm.

Die ersten Schweißperlen traten ca. 10 Minuten später auf dem Parkplatz der Bergbahn auf unsere Stirn, gelaufene Höhenmeter ungefähr zehn. Mir kamen erste Zweifel. Etwas früh? Auf jeden Fall! An der Gondelstation stand ein Pärchen, das zu einem Paraglide-Start abgeholt wurde. Ich dachte mir nur: „Wie schön, unser Abenteuer dauert vier Wochen, ihres nur eine Stunde.“ Und los ging es, ab auf den ersten Berg. Die Hitze war unfassbar, aber wir genossen die Ruhe und starteten in eine Zeit, die uns niemand mehr nehmen würde, egal was passierte.

Zugegeben, wir haben bei diesem ersten Aufstieg schon ordentlich geflucht, geschimpft und besonders Leonie musste arg ihre Zähne mit den Schmerzen im Knie zusammenbeißen. Ob die Berge und wir Freunde würden?

Wir hatten unseren ersten ganz eigenen Tagesablauf und das war der Beginn einer wunderbaren Routine. Als wir am Brauneck Gipfelhaus ankamen (es dauerte nicht zwei, sondern drei Stunden) und unsere erste köstliche Johannisbeersaftschorle tranken, ließen wir den Blick über die Alpen schweifen. Die Sicht war unfassbar, man sah Berge, so weit das Auge reichte - Kaiserwetter nur für uns. Ich sagte zu meinen beiden: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass wir da überall drüber laufen müssen.“ Innerlich dachte ich: „Vergiss es, niemals, niemals, mal sehen, wann wir abbrechen, aber das hier ist definitiv eine Nummer zu groß“. Aber ich sagte nichts.

Wir rafften uns auf und gingen weiter Richtung Tutzinger Hütte, unser erstes Übernachtungsziel. Vorbei am Latschenkopf mit atemberaubender Sicht auf das Alpenvorland, bis hin zur Allianz-Arena in München, Starnberger See, Kochelsee, es war beeindruckend. Diese Sicht war der Abschied aus der Zivilisation und wir warfen den Blick nach vorne, fest auf die Benediktenwand gerichtet.

Da waren uns doch glatt die Achselköpfe im Weg. Da dieses unser erster Tag war und wir noch nicht die notwendige Sicherheit hatten, entschieden wir uns, diese Kletterpassage zu umgehen. Eine gute Entscheidung, wie sich später noch herausstellen sollte. Die Umgehung war mit Sicherheit nicht weniger anstrengend, im Gegenteil, ging es doch unaufhaltsam auf und ab mit starker Steigung und niemals endenden Kurven. Irgendwann erreichten auch wir den Fuß der Benediktenwand, ein Ziel, das Luis schon sehr lange erklettern wollte. Er ließ es sich nach anstrengenden sechs Stunden nicht nehmen, zumindest den unteren seilversicherten Teil zu erklimmen. Leonie und ich warteten, keine zehn Pferde hätten uns einen Schritt weiter als notwendig gezogen. Uns lockte mehr der Gedanke an einen Snack als an ein paar weitere Höhenmeter. So erreichten wir unser Tagesziel erst recht spät, es war nach 18 Uhr. Ja, das ist tatsächlich recht spät bei diesen Tagesetappen, das merkten wir aber erst später.

Es war schon spannend, das erste Mal im Lager zu schlafen, die Abläufe in den Hütten zu beobachten, nachdem die Tagesgäste wieder ins Tal abgestiegen waren und die Stille einkehren zu sehen. Man hört viel über die schlimmen Hüttenlager, aber wir waren höchstzufrieden, positiv überrascht und hatten das Gefühl, wir müssten die Speisekarte rauf und wieder runter essen, so einen Hunger hatten wir. Im Nachhinein war das Highlight die Dusche, die einzige von allen Hütten auf der Tour, die nicht zeitlich begrenzt war und auch nicht zusätzlich bezahlt werden musste. Ein paar Wanderkollegen rieben sich die müden Knochen ein, einige lasen im Wanderführer über die bevorstehende Tour (es waren einige, die offensichtlich den gleichen Weg liefen, so manchen sollten wir noch näher kennenlernen). Interessant waren die wirklich komplett unterschiedlichen Menschen, das brachte uns ins Staunen.

Ein paar Wanderer entschieden sich für einen Aufstieg auf die Wand, die einen wohl zauberhaften Blick auf den aufgehenden Blutmond ermöglichte. Er war nur von der anderen Seite zu sehen. Wir waren zu müde und zu erledigt und pfiffen auf einen weiteren einstündigen Aufstieg - Blutmond hin oder her. Ich fiel in einen traumlosen Endlosschlaf.

Übrigens, seit diesem Tag hat Luis mit meinem Bruder eine Rechnung offen. Er möchte mit ihm auf das Brauneck in zwei Stunden laufen. Bis heute drückt sich mein Bruder erfolgreich.

TAG 2 – TUTZINGER HÜTTE – VORDERRIß

28.07.2018

Angegebene Zeit: 7 Std. 15, tatsächliche Zeit: 10,5 Std.

Früh am Morgen machten wir uns ohne Frühstück auf den Weg nach Vorderriß, unser heutiges Etappenziel. Wir waren unter den ersten, die losliefen, da wir aufgrund des vorhergesagten Gewitters etwas unruhig waren. Nach dem ersten Aufstieg ließen wir uns auf einer Weggabelung nieder und frühstückten erst einmal. Ein bisschen ärgerte ich mich schon, dass ich nicht am Vorabend bis zur Benediktenwand gelaufen war, denn an uns kamen einige Übernachtungsgäste der Biwakschachtel dort oben vorbei. Sie sprachen von einer traumhaften Sicht und waren sichtlich glücklich über das Erlebte. Die Existenz dieser Biwakschachtel hatte ich tatsächlich vergessen. Wenigstens waren wir ausgeschlafen, munter und sauber.

Es ging durch einen wunderschönen Wald hinab ins Tal in die Jachenau. Wir kamen zum richtigen Zeitpunkt auf dem Waldweg bergab an einem kleinen Marienkäfer vorbei, um ihn auf eine rettende Pflanze zu setzen. Dafür musste Zeit sein.

Immer wieder öffnete sich der Blick auf das Karwendelgebirge, dass wir am folgenden Tag erreichen sollten. Es schien noch so unendlich weit weg zu sein. Der Weg führte uns entlang des Baches an kleinen Wasserfällen und Gumpen vorbei. Es war brütend heiß und es war verführerisch, einfach in das wunderschöne klare Bergwasser zu springen und zu baden. Wir beschränkten uns auf diverse kühlende Fußbäder, wobei es uns schon hier wunderte, dass es beim Eintauchen der Füße nicht zischte und qualmte. Ich hatte immer das vorhergesagte Gewitter im Hinterkopf – meine größte Angst in den Bergen. Aber es war wunderschön und still. Ich kann mich nicht erinnern, wie lang der steile Abstieg dauerte. Aber irgendwann begegneten wir Tagesausflüglern und Familien und gingen davon aus, dass es nun nicht mehr weit sein konnte. Auf einer Bank in der Nähe eines weiteren Wasserfalls beantworteten wir die Frage einer Dame nicht ohne Stolz, dass unser eigentliches Ziel Venedig sei.

Der Weg in die Jachenau zog sich. Endlich angekommen war unser Ziel der kleine Supermarkt in der Dorfmitte. Lustig war es, dass wir nicht wie angenommen, die größte Lust auf Eis oder Süßes hatten. Das Objekt der Begierde war frisches und saftiges Obst, sowie natürlich kalte Getränke. Kaum hatten wir diese in unserem Besitz (inkl. Eis natürlich doch) und hatten uns auf der vor dem Geschäft aufgestellten Bank erleichtert niedergelassen, schloss das Dorflädchen und fast zeitgleich entluden sich die mittlerweile dunklen Wolken über uns und da war es – unser erstes Gewitter. Es kam mir fast so vor, als hätte sich der Dorfladen mit den Wolken verabredet – keine Chance zur Flucht ins Trockene. Zum Glück konnten wir uns wenigstens unter dem Riesenschirm des Lädchens unterstellen. Dafür schmeckte auch der Pfirsich nicht – ätsch. Erst danach sahen wir unweit ein kleines Café auf der Ecke, in das wir uns gemütlich hätten kuscheln können. Na prima, Jachenau mochte uns scheinbar nicht so sehr. Wir konnten dennoch nicht widerstehen, besuchten es trotzdem und gönnten uns herrlichen selbstgebackenen Pflaumenkuchen und eine zivilisierte Toilette.

Extrem erfrischt und aufgemuntert gingen wir am frühen Nachmittag weiter. Wir fragten nach dem Weg, da wir keine Wegweiser fanden und liefen in die grob gewiesene Richtung. Wir nutzten die ruhige Minute und riefen Opa in Düsseldorf an, der heute seinen 84. Geburtstag feierte. Während wir liegen, unterbrach sich Luis mitten im eigenen Satz und rief ganz laut: „Ich sehe das erste Venedigschild!“ Wir konnten es nicht glauben, bogen in die angezeigte Richtung ab und waren wieder motiviert.

Durch Felder und Wiesen suchten wir unseren Weg in Richtung Vorderriß, in dem festen Glauben, dass wir nur noch über den einen Berg laufen müssten und schon wären wir da. Wir wurden eines Besseren belehrt. Schon kurz hinter Jachenau verliefen wir uns satt.

Die Entschädigung für die Extrakilometer war jedoch, dass wir auf einer Kuhweide zwei frisch geborene Zwillingskälbchen entdeckten. Es war herrlich, sie beobachten zu können. Wir versuchten den Bauer ausfindig zu machen, es schien nicht so, dass jemand die Geburt mitbekommen hatte. Wir fanden zunächst niemanden. Warum meint man als Städter eigentlich, dass die Bauern ihre Tiere nicht im Griff haben? Wir klingelten an einem Haus, um nach dem Weg zu fragen. Lustigerweise war das gleichzeitig der „Kuhbesitzer“, der uns etwas schroff den Weg erklärte und gleichzeitig mitteilte, dass er die Kälbchen sehr wohl bemerkt habe. Na dann, glücklich schien er nicht zu sein.

Auf dem Weg fütterten wir noch ein schnell ein Kaninchen, dass auf einem Quadratmeter eingezäunt auf einer endlos großen grünen Wiese hausen musste – das verstehe, wer will. Wir fühlten uns, als hätten wir soeben die Welt ein bisschen besser gemacht – und liefen weiter gen Venedig.

Vermeintlicher Endspurt: Den Berg rauf, pustend und prustend, vorbei an Almen und Bächen, über Wald und Feld, eine weitere Steigung nehmend, über ein Matschfeld, wegsuchend vorbei an einer den Sommertag genießende Sennerfamilie. Wir fragten noch schnell, ob wir ihrer Meinung nach Vorderriß noch vor dem neuen herannahenden Gewitter erreichen würden. Ihre recht trockene Meinung dazu: „Ihr seht schnell aus, das schafft ihr.“ Soviel zur sportlichen Einschätzung... Leonies Knie schmerzte, es blutete wieder leicht und sie humpelte tapfer weiter. Die Schultern schmerzten vom Rucksack, Leonie hatte schon leicht aufgeriebene Schlüsselbeinknochen. Mir kamen Bedenken, sie tat mir so leid.

Während wir so dahineilten, das herannahende Gewitter im Nacken, tat sich vor uns plötzlich ein traumhafter, unglaublich schöner Blick auf das gesamte Rißtal auf.

Unfassbar schön, riesig, im Hintergrund das Karwendelgebirge, sowie sämtliche andere unzählbare Bergketten, die noch auf uns warteten. Wir waren schon einmal in Vorderriß mit dem Auto gewesen und ich erinnerte mich an die Fahrt. Wie oberflächlich das doch mit einem Mal wirkte, jetzt, wo wir uns das Ziel so hart erarbeitet hatten. Wie intensiv das Laufen doch ist und vor allem wie einprägend so eine Etappe und die Landschaft wirkt im Vergleich zur motorisierten Durchfahrt und dem Bestaunen der Umgebung durch das Autofenster. Keine Gerüche, keine Geräusche, keine Temperatur, keine Interaktionen, kein Durst, kein Hunger, kein Schweiß, keine Schmerzen. Wie langweilig!!!