Unsinn Vorsorgemedizin - Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser - E-Book

Unsinn Vorsorgemedizin E-Book

Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser

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Beschreibung

Mammographie, Darmkrebsvorsorge, Prostatatest, alljährlicher Gesundheitscheck – wir alle werden angehalten, uns rechtzeitig mit der Früherkennung und Vorsorge zu beschäftigen, oft belohnt durch Bonusprogramme unserer Krankenkassen. Aber helfen all diese Maßnahmen wirklich, Krankheiten vorzubeugen oder sie rechtzeitig zu erkennen? Eines steht fest: Der Nachweis steht aus, dass Menschen seltener an Herz-Kreislauf-, Krebs-, Diabetes- oder anderen Erkrankungen sterben ohne diese Flut von angebotenen Vorsorgeuntersuchungen. Heute wissen wir: Das Suchen nach Risiken und Krankheiten ist nicht zwangsläufig von Nutzen. Insbesondere das Massenscreening in der Krebsmedizin nutzt nur einem verschwindend kleinen Teil der Menschen. Viele werden unnötig zu Patienten gemacht. Es ist nicht zu übersehen, dass die Medizin und besonders auch die Vorsorgemedizin ein lukratives Wirtschaftssystem ist. Vorsorgemedizin, das zeigt die Autorin, ist unzuverlässig und recht willkürlich, und bis heute gibt es viele Irrtümer in diesem Zweig der Medizin.

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Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser

Unsinn Vorsorgemedizin

Wem sie nützt, wann sie schadet

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Mammographie, Darmkrebsvorsorge, Prostatatest, alljährlicher Gesundheitscheck – wir alle werden angehalten, uns rechtzeitig mit der Früherkennung und Vorsorge zu beschäftigen, oft belohnt durch Bonusprogramme unserer Krankenkassen. Aber helfen all diese Maßnahmen wirklich, Krankheiten vorzubeugen oder sie rechtzeitig zu erkennen?

Eines steht fest: Der Nachweis steht aus, dass Menschen seltener an Herz-Kreislauf-, Krebs-, Diabetes- oder anderen Erkrankungen sterben ohne diese Flut von angebotenen Vorsorgeuntersuchungen.

Heute wissen wir: Das Suchen nach Risiken und Krankheiten ist nicht zwangsläufig von Nutzen. Insbesondere das Massenscreening in der Krebsmedizin nutzt nur einem verschwindend kleinen Teil der Menschen. Viele werden unnötig zu Patienten gemacht. Es ist nicht zu übersehen, dass die Medizin und besonders auch die Vorsorgemedizin ein lukratives Wirtschaftssystem ist. Vorsorgemedizin, das zeigt die Autorin, ist unzuverlässig und recht willkürlich, und bis heute gibt es viele Irrtümer in diesem Zweig der Medizin.

Über Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser

Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser ist Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie sowie Inhaberin des Lehrstuhls für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg. Sie war Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin und forscht seit mehr als 20 Jahren über Sinn und Unsinn von medizinischen Maßnahmen.

Vorwort

Dieses Buch ist kein Ratgeber und auch keine Grundlage für informierte Entscheidungen zu konkreten Gesundheitsfragen. Ratgeber will es nicht und Entscheidungshilfe kann es nicht sein. Dazu bräuchte es für das jeweilige medizinische Problem vollständige Informationen. Das eigene Erkrankungsrisiko und alle Behandlungsalternativen mit ihren Vor- und Nachteilen müssten beurteilbar sein.

Dieses Buch will vielmehr ausgewählte Kontroversen zum Thema medizinische Vorsorge aufzeigen. Ausgewogenheit ist kein vorrangiges Ziel. Der Nutzen von Prävention und Früherkennung wird bereits hinlänglich gepriesen. Hingegen werden der mögliche Schaden und die Unsicherheiten der verschiedenen medizinischen Maßnahmen allzu oft beschönigt dargestellt. Die Ausführungen in diesem Buch sind zwangsläufig einseitig. Die Auswahl der Themen erfolgt nach den Forschungsschwerpunkten der Autorin und der medialen Aufmerksamkeit. Auch Kritik kann zum Dogma werden und den Blick auf Sachverhalte verzerren. So wird vermutlich die eine oder andere Ansicht, die in diesem Buch vielleicht sogar mit starken Argumenten vorgetragen wird, in Zukunft revidiert werden müssen. Die Aussagen beruhen auf dem Wissensstand der Jahre 2016 bis Mai 2017. Selbst das ernsthafte Bemühen um eine gewissenhafte Bearbeitung nach hohen wissenschaftlichen Ansprüchen wird es nicht schaffen, alle relevanten Entwicklungen zu den verschiedenen Themen angemessen und tagesaktuell zu berücksichtigen. Eine kritische Haltung gegenüber der Kritik der Autorin ist daher durchaus angebracht.

Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen. Das Buch kann also gut auch «quergelesen» werden. Im ersten Abschnitt «Vorsorge im Wirtschaftssystem Medizin» findet sich eine persönliche kritische Einordnung des Themas.

Im nächsten Abschnitt geht es vorrangig um Krebsfrüherkennung. Wer Systematik schätzt, der findet in der Kapitelfolge «Krebsfrüherkennung besser verstehen» eine Anleitung zur Bewertung von Nutzen und Schaden von Screening-Untersuchungen. Der Abschnitt «Mit Zahlen manipulieren» zeigt am Beispiel «Früherkennung von Brustkrebs» die Vielfalt an Manipulationen und Täuschungen bei der Kommunikation von Studienergebnissen. Das Thema ist für alle Vorsorgeuntersuchungen relevant. Der zweite Teil des Buches behandelt die Gesundheitschecks, das Screening auf Risikofaktoren, Vorsorge und Prävention von Herz- und Kreislauferkrankungen sowie weitere spezielle Themen.

Insgesamt will das Buch Anregung sein für einen Perspektivwechsel und einen kritischen Diskurs über Vorsorge in unserem Medizinsystem und Grundlage für Patienten, ihren Ärzten Fragen zu stellen, an die sie bisher nicht gedacht hätten.

Die Autorin verweist darauf, dass sie keine Verantwortung im juristischen Sinn übernimmt für Aussagen, die in diesem Buch gemacht werden. Medizinische Verfahren unterliegen einer ständigen Überprüfung, Weiterentwicklung und Revision. Ausdrücklich soll betont werden, dass die Informationen in diesem Buch nicht geeignet sind, individuelle Empfehlungen oder Anordnungen durch behandelnde Ärzte zu persönlichen Gesundheitsproblemen in Frage zu stellen oder zu widerlegen.

 

Univ.-Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser

Hamburg, Mai 2017

Vorsorge im Wirtschaftssystem Medizin

Wenn Krankheit zur Schuld wird

Der Ruf nach Sanktionen gegen Vorsorgemuffel, Raucher, Bewegungsverweigerer und Übergewichtige will nicht verstummen. Krankheit scheint zunehmend als fehlender Wille zur eigenverantwortlichen Gesundheitssorge zu gelten.

Gesetzlich Krankenversicherte müssen schon seit längerem einmal pro Jahr zum TÜV beim Zahnarzt. Werden die Termine nicht penibel eingehalten, gibt es finanzielle Nachteile. Der Nachweis steht allerdings aus, dass diese Kontrollen die Zahngesundheit der Bevölkerung verbessern. Hingegen sind die Indizien erdrückend, dass in unserem geschäftsorientieren Medizinsystem diese Vorsorge eher den Zahnärzten nützt. Der Schaden durch überflüssige und kostspielige Eingriffe an den Zähnen könnte überwiegen.

Im Jahr 2007 hatte die damalige deutsche Bundesregierung Abstrafungen für Patienten mit bestimmten chronischen Krankheiten beschlossen. Sie sollten wirksam werden, wenn Bürger erkranken, die zuvor die entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen nicht regelmäßig in Anspruch genommen hatten. Ebenso waren finanzielle Nachteile für chronisch erkrankte Menschen vorgesehen, die sich nicht «therapietreu» verhalten, also die Anweisungen der Ärzte nicht befolgen. Die Sanktionen hätten die Falschen getroffen. Hauptursache für fehlende Therapietreue ist nämlich das schlechte Kommunikationsverhalten der Ärzte. Viele Patienten, die eine Arztpraxis verlassen, haben nicht verstanden, warum sie welches Medikament in welcher Dosierung für wie lange einnehmen sollen.

Per Gesetz sollten die Bürger zur Krebsvorsorge verpflichtet werden, auch wenn diese vermeintliche Vorsorge Erkrankungen wie Brustkrebs gar nicht verhindern kann. Im Gegenteil, durch sogenannte Überdiagnosen führt das Screening zu mehr Brustkrebs unter den Frauen.

Das beispiellose Vorgehen der deutschen Politiker hatte es bis zu einer Meldung im British Medical Journal, einer weltweit renommierten medizinischen Fachzeitschrift, geschafft. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde mit einem Foto abgebildet. Die Schlagzeile lautete «Germany will penalise cancer patients who do not undergo regular screening», also «Deutschland wird Krebspatienten bestrafen, die nicht regelmäßig am Screening teilnehmen».

Zum Glück gab es damals ausreichend Widerstand von kritischen Wissenschaftlern. Das Gesetz wurde so nie umgesetzt. Stattdessen sollte es lediglich eine «Beratungspflicht» zu einzelnen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen geben. Die Anwendung in der Praxis wurde jedoch nie überprüft.

Im Jahr 2013 wurde das alte Gesetz durch ein neues ersetzt, das «Krebsfrüherkennungs- und -Registergesetz». Die Zielsetzung des damaligen Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr blieb dennoch unverändert. Mehr Menschen sollen die Krebsvorsorge in Anspruch nehmen. «Die Regierung sagt dem Krebs den Kampf an», wird der Minister im Deutschen Ärzteblatt zitiert. Durch ein persönliches Einladungsverfahren sollen die Teilnahmeraten an der Krebsvorsorge erhöht werden. «Wir appellieren damit an die Eigenverantwortung der Versicherten», so Bahr.

Wenig später, im Jahr 2015 wurde nach mehreren gescheiterten Versuchen ein Präventionsgesetz verabschiedet. Der Auftrag lautet, Vorsorge in allen Lebensbereichen zu stärken. Die Bürger werden angemahnt, ihren Lebensstil zu ändern. Gesundheitsbewusstes Verhalten darf belohnt werden. Wer selten krank ist, bekommt einen Bonus. Seit 2017 erhalten z.B. Mitarbeiter des Autokonzerns Daimler, die keinen Arbeitstag fehlen, 200 Euro Prämie im Jahr. Das Unternehmen Amazon will seine Mitarbeiter in Deutschland nun ebenfalls belohnen, aber nur, wenn eine gesamte Arbeitsgruppe keine Fehltage zu verzeichnen hat. Sollte nur eine einzige Person aus der Gruppe auch nur einen Tag der Arbeit fernbleiben, erhalten auch alle anderen Arbeitnehmer keine Bonuszahlung.

Verpflichtung zur Eigenverantwortung als Herrschaftsanspruch?

Das Horrorszenario eines gesundheitsdiktatorischen Staates nimmt wieder Gestalt an. Auch in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts sollten die Menschen in Deutschland zu gesundem Verhalten verpflichtet werden. Der bekannte Medizinkritiker Petr Skrabanek zeichnet schon in seinem 1994 publizierten Buch «The Death of Humane Medicine and the Rise of Coercive Healthism» ein Bild staatlicher Gesundheitsideologie und spricht von Health Fascism.

Die bekannte Schriftstellerin Juli Zeh sieht in ihrem deutschen Zeitroman «Corpus Delicti. Ein Prozess» eine neue autoritäre Bedrohung durch Pflicht zur Gesundheit. Sie fürchtet eine Gesundheitsdiktatur, in der jeder alles tun muss, um den Körper gesund zu halten. Wer nicht gehorcht, wird angeklagt und bestraft. Die Protagonistin des Buches steht vor Gericht, weil sie ihren Schlaf- und Ernährungsbericht nicht eingereicht, ihre häusliche Blutdruckmessung und die Urintests nicht durchgeführt und viel zu lange nicht auf dem Heimtrainer gesessen hat. In einem stern-Interview im Jahr 2009 beklagt Juli Zeh den zunehmenden Totalitätsanspruch dieser Gesundheitsvorsorge am Beispiel der Pflichtuntersuchungen für Kinder. Gesundheit sei zum Religionsersatz geworden.

Normierung der Körperfunktionen durch Fachausschüsse

Getragen wird dieser Präventionsfanatismus unter anderem durch den Allmachtszuspruch an die Medizin und durch unser gesellschaftliches Leitbild des ewig jung bleibenden, funktionstüchtigen und lebensbejahenden Menschen mit seiner idealtypischen Normierung der als gesund geltenden Körperfunktionen. Abweichungen von diesen statisch definierten Normzuständen gelten als behandlungsbedürftig und legitimieren medizinische Maßnahmen gerade auch bei Bürgern, die sich gesund fühlen. Typische Beispiele sind die immer weiteren Absenkungen von Grenzwerten für normalen Blutzucker, Cholesterin oder Blutdruck. So werden immer mehr Gesunde, oft von einem Tag zum anderen, zu «Chronikern» mit Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck oder Diabetes, ohne dass sich etwas an ihren Körperfunktionen oder Krankheitsrisiken verändert hätte. Der Vitalitätsstatus der Bevölkerung ist zu einem Produkt von Norm-Ausschüssen der medizinischen Fachgesellschaften geworden.

Befindlichkeitsstörungen werden zu vermeidbaren Krankheiten

Auch alltägliche und harmlose Beschwerden wie Schwitzen, Bauchgrimmen, Unterleibsziehen, Aufstoßen, Beinkribbeln oder Persönlichkeitsmerkmale wie Sexmuffeligkeit, Lebhaftigkeit, Melancholie, Lustlosigkeit, Schüchternheit oder Ängstlichkeit werden zunehmend zu Krankheiten klassifiziert, die frühzeitig erkannt und behandelt werden sollen. Im Extremfall scheint sich dies zum gesellschaftlichen Dogma zu entwickeln, wie der Anspruch auf ein Leben und Sterben ohne depressive Verstimmungen und völliger Schmerzfreiheit. Das Erfinden von Krankheiten hat inzwischen einen Namen erhalten, «Disease Mongering». Die Industrie und medizinische Einrichtungen nutzen dies als Strategie zur Vermarktung ihrer Angebote. Anwendungsbereiche werden ins öffentliche Bewusstsein manövriert und gleichzeitig die Produkte und Leistungen als Lösung für diese Probleme angepriesen.

Wer definiert Gesundheit?

Eine öffentliche Auseinandersetzung über ideologische Hintergründe, moralische Überzeugungen und den Nutzen und Schaden von präventiven Maßnahmen ist dringlich erforderlich. Fragen, die sich aufdrängen:

Wer hat die Hoheit über die Definition von Gesundheit? Ärzte, Statistiker, Industrielobbyisten, Politiker oder das Individuum?

Darf ich mich gesund fühlen, auch wenn ich Vorsorge nicht in Anspruch nehme? Darf ich mein Schicksal leben?

Gibt es ein Recht oder sogar die Pflicht für andere zu definieren, was für sie Gesundheit sein sollte?

Dürfen Politiker Menschen zu Gesundheitsmaßnahmen gesetzlich verpflichten?

Auf welchen moralischen Überzeugungen und Wertvorstellungen beruhen die Forderungen nach Gesundheitskontrolle über andere?

Welche wissenschaftlichen Belege müssen vorliegen, um eine bestimmte Präventionsmaßnahme fordern oder umsetzen zu dürfen?

Welche Kompetenzen müssen jene haben, die Bewertungen vornehmen und Entscheidungen treffen?

Sollte kritische Gesundheitsbildung in Schulcurricula integriert werden?

Wenn Vertrauen krank macht

Die Frau ist beunruhigt. Der vaginale Ultraschall zeigt einen verdächtigen Befund am Eierstock. Weitere Untersuchungen sind notwendig. Möglicherweise muss operiert werden. Eigentlich wollte sie nur zur jährlichen Vorsorge. Sie fühlt sich gesund. Aber die Ärztin meinte, auch die Eierstöcke sollten gecheckt werden. Das müssen die Patienten allerdings selbst bezahlen, die Krankenkassen wollen sparen und würden nur mehr für das Notwendigste aufkommen. Die Frau hat zugestimmt. Die Gesundheit ist ihr wichtig. Zudem muss sie ihren Ärzten dankbar sein. Schon vor Jahren ist zufällig ein Knoten in der Schilddrüse entdeckt worden. Möglicher Krebs im Frühstadium. Auch damals hatte sie keine Beschwerden. Sie ist sich sicher, ihr Leben verdankt sie den Ärzten. Ein typisches Beispiel.

Die wissenschaftliche Beweislage ist klar. Das routinemäßige Checken der Eierstöcke und der Schilddrüse hat keinen Nutzen. Es gibt nicht weniger Todesfälle. Aber massenhaft falsche Verdachtsbefunde und unnötige Therapien. Gesunde werden zu Krebspatienten, obwohl sich ein Krebs zeitlebens nicht bemerkbar gemacht hätte. Man spricht von Überdiagnosen und Übertherapien. Sie präsentieren sich als Erfolge der Medizin. Ist die Behandlung überstanden, erscheinen die Patienten als geheilt. In Wirklichkeit wurde miss-handelt.

Gesundheitschecks gibt es von der Geburt bis zum Tod. Warum sollen die Geschlechtsteile einmal pro Jahr abgetastet und inspiziert werden? Es wird zu häufig und zu viel untersucht. Jedoch, die Frauenärzte wehren sich mit aller Macht ihrer Lobbyisten und Standesvertreter gegen eine Reduzierung auf das wissenschaftlich Gebotene.

Nur wenige Früherkennungsuntersuchungen nutzen, und dann nur einzelnen Menschen. Sehr viel mehr Menschen erleiden Schaden. Trotzdem wird ungehemmt weitergetestet. Zu den gesetzlich geregelten Vorsorgeuntersuchungen kommen noch die sogenannten IGEL, die individuellen Gesundheitsleistungen. Diese medizinischen Maßnahmen müssen die Patienten selbst bezahlen. Nur ausnahmsweise sind sie sinnvoll, nötig sind sie nicht. Ansonsten würden die Krankenkassen die Kosten übernehmen. Frauenärzte, Augenärzte und Hautärzte sind besonders erfolgreiche Verkäufer von Vorsorge-IGEL. Die Mediziner lassen ihre Helferinnen in speziellen Kursen zur Vermarktung der IGEL trainieren. Wie man hört, gibt es inzwischen sogar Praxen, die ihren Patienten Leistungen als IGEL in Rechnung stellen, obwohl die Krankenkassen die Untersuchungen bezahlen würden.

Unser Gesundheitssystem ist vorrangig Gesundheitswirtschaft. Ärzte führen ihre Praxen als gewinnorientierte Betriebe. Das gilt ebenso für die Krankenhäuser. Die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie und Herstellern von Medizinprodukten ist freundschaftlich und eng. Die Bedürfnisse und Wünsche der Patienten stehen nicht zwangsläufig im Vordergrund. Ärzte beurteilen ihre Klientel nach Kriterien der Gewinnmaximierung. Welche medizinischen Leistungen können am einzelnen Patienten noch abgerechnet werden? Je mehr Diagnosen, umso mehr Geld.

Daher verwundert es nicht, dass immer mehr Menschen chronisch behandlungsbedürftig sind. Grenzwerte für Diabetes, Bluthochdruck und Cholesterin wurden über die letzten Jahrzehnte mehrfach abgesenkt. Gesunde werden so massenhaft zu Kranken. Die wissenschaftliche Grundlage dafür ist meist schwach oder fehlt ganz. Am schlimmsten trifft es die Senioren. Zwei Drittel sollen zu hohe Cholesterinwerte haben. Jeder dritte 80-Jährige ist inzwischen ein Diabetes-Patient. Das Normalisieren des Blutzuckers ist für sie allerdings nutzlos. Bei manchen Therapien steigt sogar das Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Trotzdem werden viele Hochbetagte intensiv behandelt, müssen Insulin spritzen und sich oft mehrfach am Tag in den Finger stechen, um den Blutzucker zu testen. Alle drei Monate sollen sie zur Kontrolle. Das aufwendige Verfahren wird den Ärzten gut vergütet. Es ist die Pervertierung von Vorsorge, zum Schaden der Patienten. Statt weniger gibt es mehr Krankheitslast.

Auch die Psychotherapeuten fordern zunehmend erfolgreicher ihren Anteil am Gesundheitsgeschäft, auch in der Vorsorge. Sie schaffen sich eine neue und immer größere Klientel. Psychische Gesundheit kann kaum noch einer für sich beanspruchen. Die amerikanischen Psychiater haben kürzlich die menschliche Trauer zur Krankheit definiert. Sollte der Verlust eines geliebten Menschen nach zwei Wochen nicht überwunden sein, ist psychotherapeutische Unterstützung angeraten. Entstigmatisierung ist das Zauberwort. Schicksalsschläge oder persönliches Versagen und Scheitern gelten nicht mehr als Herausforderungen des Lebens, die gemeistert werden wollen. Sie dürfen jetzt öffentlich als behandlungsbedürftige Leiden zelebriert werden. Sonderlinge werden großzügig toleriert, sofern sich die Psychoexperten der Abweichler annehmen. Unsere Städte sollen nicht nur lebenswert sein. Die Ärzte plädieren für schmerzfreie Städte, die Psychotherapeuten für psychisch gesunde Städte. Die Experten für die psychische Hygiene stehen einsatzbereit für alle Lebenslagen. Am besten schon präventiv. Es scheint schick geworden zu sein, einen persönlichen Psycho-Coach an der Seite zu haben. Die meisten Behandlungen sind zwar unwirksam, aber sie können zu neuen Beschwerden führen. Damit wäre die lebenslange Begleitung durch den Psychotherapeuten gesichert.

Ärzte und andere Therapeuten handeln nicht immer zum besten Wohle ihrer Patienten. Nur eine Minderheit folgt konsequent wissenschaftsbasierten Empfehlungen. Selbst Ärzte verstehen oft wissenschaftliche Studien nicht. Das macht sie manipulierbar. Sie vertrauen eher der Pharmaindustrie oder Meinungsexperten. Einen Faktencheck können die meisten nicht eigenständig durchführen. Die Notwendigkeit wird häufig auch gar nicht gesehen. Therapiefreiheit wird missverstanden. Gesundheitsfürsorger haben aber nicht Freiheit, sondern Verantwortung für die Therapie ihrer Patienten. Sie können diese nur wahrnehmen, wenn sie ihre Entscheidungen auf den aktuellen medizinischen Wissenschaftsstand gründen.

Die Bürger haben dem wenig entgegenzusetzen. Es fehlt an Grundkompetenzen, medizinische Verfahren zu bewerten. Krankheitsrisiken, medizinische Testergebnisse sowie Nutzen und Schaden von Behandlungsalternativen werden nicht verstanden. Eine kritische Auswahl von Informationen ist nicht möglich. Das Handeln der Ärzte kann nicht eingeordnet werden.

Wenn es zwickt und zwackt, geht es schnell zum Arzt. Beschwerden sollen ernst genommen werden. So haben wir es schon als Kinder gelernt. Zu langes Warten könnte sich rächen. Also zückt der Doktor sein Arsenal an Instrumentarien. Es wird untersucht und behandelt – und abgerechnet. Je eingreifender und aufwendiger, umso wirksamer. Injektionen helfen besser als Pillen, teure Medikamente besser als billige. Sind die Beschwerden dann verschwunden, hat es der Doktor gerichtet. «Wer heilt, hat recht» – das ist ein fundamentaler Trugschluss, der das Geschäftsmodell und den Glauben der Bürger an die Ärzte aufrechterhält.

Denn die meisten Beschwerden verschwinden auch von alleine wieder. Man muss nur abwarten, bis der Körper es selbst wieder richtet oder sich arrangiert. Diese Chance bekommt er aber kaum noch. Es wird ja sofort gehandelt. Auch wenn es leere Rituale sind. Im besten Fall ohne großen Schaden.

Wie wollen Sie feststellen, ob das Schmerzmittel wirklich hilft, wenn Sie nicht wissen, ob der Schmerz nicht auch von alleine wieder verschwindet? Wie wollen Sie beurteilen, ob die Infusionsbehandlung, zu der Sie sechs Wochen lang in die Praxis mussten, wirklich geholfen hat? Vielleicht wären Sie ohne diese Behandlung schneller gesund geworden?

Heilung gibt es nur, wenn durch die Maßnahme Krankheiten nachweislich besser behandelt werden als durch Abwarten. Das kann man üblicherweise nicht am Einzelfall beobachten. Es braucht dazu gute wissenschaftliche Studien. Viele Behandlungen sind wirkungslos. Gesundung erfolgt dann nicht wegen, sondern trotz dieser Maßnahmen. Solche Eingriffe sind eigentlich Kunstfehler. Für die medizinische Vorsorge gilt das noch viel mehr. Ob die Vorsorge gesund erhält, kann am eigenen Körper nicht beobachtet werden.

Es versteht nur kaum einer. Dazu bräuchte es ein Mindestmaß an kritischer Gesundheitsbildung. Aber an Aufklärung ist niemand interessiert. Der Glaube der Bürger an ihre Ärzte erscheint unerschütterlich. Und so werden die ärztlichen Standesvertreter auch nicht müde, das Vertrauen in die Ärzte zu beschwören. Wer das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient untergräbt, gilt als Unruhestifter. Ist doch das blinde Vertrauen in den Arzt die Grundlage dieses Geschäftsmodells.

Je kränker, desto besser

Unter diesem Titel berichtete die Süddeutsche Zeitung am 11. Oktober 2016 über das «Outing» des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, zu den Geschäftspraktiken im Wettbewerb der Krankenkassen um den höchsten Anteil von Versicherten mit «schweren» Diagnosen.

Das Abrechnungssystem in Deutschland begünstigt Krankenkassen, die mehr sehr kranke Patienten oder chronisch kranke Patienten haben. Das hat dazu geführt, dass die Krankenkassen den Ärzten zur Hand gehen, um die Diagnosen bei ihren Patienten zu «optimieren» bzw. «hochzuschrauben». Aus leichtem Bluthochdruck wird schwerer Bluthochdruck, aus einer Gemütsverstimmung wird eine Depression, aus einer leichten Blutzuckererhöhung wird Diabetes mit Folgeschäden.

Dass ausgerechnet der Vorstand der Techniker Krankenkasse den Skandal an die Öffentlichkeit bringt, ist nicht verwunderlich. Ist das Marketingkonzept der TK doch, möglichst viele gesunde und junge Versicherte anzuwerben, weil sie weniger krank sind und daher weniger kosten. Über den Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen, den sog. Morbi RSA, ist da für die TK nichts zu holen, im Gegenteil, sie muss bezahlen an die AOK, in der die Ärmeren und Kränkeren unserer Gesellschaft versichert sind.

Auf der Strecke bleiben die Patienten, weil sie mit Krankheitsschwere ungebührlich belastet werden, und weil die Versicherungsbeiträge immer weiter steigen für Krankheiten, die es im veranschlagten Ausmaß gar nicht gibt.

Überdiagnosen und Übertherapien sind die Folgen. Für manche Versicherte ist das nicht bedeutungslos. Depressive Verstimmungen sind Teil unseres Lebens und keine Krankheit. Eine Diagnose Depression hat hingegen durchaus Konsequenzen für die persönliche Entwicklung. Noch schlimmer wäre es, wenn altersbedingte körperliche Funktionsstörungen ungerechtfertigterweise normabweichenden Blutzuckerwerten angelastet würden. Die Bürde einer Diagnose Diabetesspätschäden kann erdrückend sein.

Der Skandal betrifft nicht nur den Bereich der niedergelassenen Ärzte, sondern auch die Krankenhäuser. Dort wird schon lange akribisch nach jeder möglichen Diagnose gesucht. Je mehr Diagnosen, umso mehr Geld gibt es von den Krankenkassen.

In den Krankenhäusern erfolgt die Abrechnung nach dem System der Diagnosis Related GroupsDRG, sogenannten diagnosebezogenen Fallgruppen. Die Krankenhäuser beschäftigen spezielles Personal zur Optimierung der Diagnosen für die Kostenerstellung. Da wird aus einer kurzen Durchblutungsstörung des Gehirns auch schon mal ein Schlaganfall. Der Unterschied liegt in der Dauer der Beschwerden. Die transitorisch ischämische Attacke TIA, wie der medizinische Fachausdruck heißt, dauert meist nur wenige Stunden. Der Patient kann ambulant versorgt werden. Zeigen sich Ausfälle länger als 24 Stunden, wird ein Schlaganfall diagnostiziert und üblicherweise stationär behandelt. Denn das Krankenhaus kann einen Schlaganfall teurer abrechnen als eine TIA. Oder ein kurzfristig leicht erhöhter Blutzuckerwert, der bei schweren Krankheiten schon mal gemessen werden kann, wird zu Diabetes, weil etwa eine Operation eines Patienten mit Diabetes mehr Geld bringt als ohne Diabetes. Oder es wird eine zusätzliche Demenz oder Depression diagnostiziert. Wenn die Menschen schwer krank sind, ist Niedergeschlagenheit eigentlich nicht unerwartet. Im Gegenteil, es wäre verwunderlich und ein Fall für den psychiatrischen Experten, wenn die Gefühle dabei kalt blieben.

Die Praxis des Überdiagnostizierens mit dem Ziel, mehr Geld für die Behandlung einzelner Patienten von den Krankenkassen zu erhalten, ist seit Jahren bekannt. Erstaunlicherweise werden selten die Auswirkungen dieser Praxis auf die betroffenen Patienten thematisiert. Es ist ja nicht folgenlos, mit welchen Krankheitszuschreibungen man als Bürger zu leben hat. Offenbar hält sich aber weiterhin der Glaube, dass Diagnosen immer wahre Krankheitszustände beschreiben und dass es nur von Vorteil sein kann, wenn alles, was nur möglich ist, diagnostiziert wird.

Warum empören sich die Betroffenen nicht über falsche Diagnosen, die ihnen Leiden aufbürden, die sie gar nicht haben?

Krebsfrüherkennung besser verstehen

Woran wir sterben – alte und neue Todesursachen

Noch vor 100 Jahren waren Infektionskrankheiten die häufigste Todesursache. Bessere Lebensbedingungen und medizinische Fortschritte haben die Lebenserwartung enorm verbessert. Ausreichend Nahrung, sauberes Wasser, Unfallschutz, Impfungen, die Bekämpfung von bakteriellen Infektionen mit Antibiotika und bessere chirurgische Verfahren hatten vermutlich den größten Einfluss.

Je länger die Menschen leben, umso eher kommen Krankheiten zum Vorschein, die erst im Seniorenalter auftreten. Allen voran sind das die Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Etwa jeder Zweite stirbt durch einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Herzversagen, jeder Vierte an einer Krebserkrankung. Fast die Hälfte der Menschen in Deutschland wird bis zum Tod irgendeine Krebsdiagnose erhalten. Jede einzelne Krebserkrankung ist jedoch vergleichsweise selten. So sterben zwar von 100 Frauen etwa 3 an Brustkrebs, 20 sterben aber an irgendeiner anderen Krebserkrankung, die seltener ist als Brustkrebs.

Selbst wenn es also möglich wäre eine einzige Krebsart zu eliminieren, würde sich das nur minimal auf das Gesamtüberleben der Menschen auswirken. Andere Krankheiten würden verstärkt zum Vorschein kommen. Alterungsprozesse betreffen den gesamten Organismus. Das begünstigt das Entstehen von krebsartigen Veränderungen in verschiedenen Organen. Ist ein Krebs besiegt, kann ein anderer Überhand gewinnen. Oder eine Herzkrankheit, die sich schon über Jahre angebahnt hat, manifestiert sich nun mit einem Herzinfarkt. Man spricht von sogenannten «konkurrierenden Todesursachen».

Das bedeutet auch, dass mit zunehmendem Alter das Aufspüren von Frühstadien einzelner Krebserkrankungen immer nutzloser wird. Viele Krebserkrankungen entwickeln sich schleichend über Jahre und machen lange Zeit keine Beschwerden. Oft ist es dann besser, sie nicht zu finden. Die Menschen sterben nicht an diesem Krebs, sondern mit dem Krebs. Andere Krebsarten treten so plötzlich auf, dass eine Früherkennung gar nicht möglich ist, wie z.B. eine akute Leukämie.

Neben den altbekannten gibt es heute völlig neue Todesursachen. Sie sind quasi der Kollateralschaden unserer modernen Medizin. Ein zunehmender Anteil der Bevölkerung verstirbt durch Medikamente. Oft, weil sie falsch eingesetzt werden. Bei der Bekämpfung von schweren Erkrankungen wird das Risiko des Schadens sogar in Kauf genommen. Die meisten Todesfälle treten jedoch durch Wechselwirkungen von Medikamenten auf. Wenn eine Vielzahl an Wirkstoffen eingenommen wird, sind die Effekte nicht mehr abzuschätzen. Die Zahl der Todesfälle durch Wechselwirkungen der Medikamente wird für Deutschland auf 16000 bis 25000 pro Jahr geschätzt. Zum Vergleich, pro Jahr sterben etwa 3400 Menschen im Straßenverkehr. Zusätzlich beschert uns unser Medizinsystem Todesfälle durch unnötige Operationen und andere sinnlose Behandlungen. Diese Todesfälle durch medizinische Eingriffe oder ärztliches Fehlverhalten werden bisher in der offiziellen Todesursachenstatistik nicht ausgewiesen.

Da Vorsorge und Krebsfrüherkennung an gesunden bzw. beschwerdefreien Menschen erfolgt, ist es besonders wichtig, den möglichen Nutzen gegen die unerwünschten Folgen abzuwägen. Gesünder als gesund ist nicht möglich.

Vorsorge bis zum Tod

Die Suche nach Risiken und Krankheiten beginnt schon bevor der Erdenbürger oder die Erdenbürgerin das Licht der Welt überhaupt erblickt hat. Die Gebärmutter ist keine schützende Höhle mehr, in die nicht eingedrungen werden kann. Mit Ultraschall kann sie ausspioniert und das wachsende Leben darin überwacht werden. Es kann auch aussortiert werden. Nicht alle Kinder mit Down-Syndrom schaffen es ans Licht der Welt.

Eizellen, Spermien und Embryonen können heute schon in der Petrischale im Labor gecheckt und optimiert werden, noch bevor sie überhaupt den Weg in die Mutterhöhle antreten. In Deutschland ist das verboten, doch in anderen Ländern sieht man das lockerer.

Die Schwangerschaft ist zum Allgemeingut geworden. Die Mutterschaftsrichtlinien verpflichten die Mutter zum regelmäßigen TÜV. Die Ärzte übernehmen die Überwachung des Ungeborenen. Kaum hat das Neugeborene zum ersten Atemzug angesetzt, wird es schon getestet. Die Hebamme oder die Ärztin ermitteln den sogenannten Agpar Score. Sie prüfen die Hautfarbe, die Atmung und den Wachheitszustand des Neugeborenen. Auch die Blutwerte werden untersucht und eingeordnet.

Bald darauf folgen die frühkindlichen Screeningtests. Dazu gehören körperliche Untersuchungen der Hüftgelenke oder des Hörvermögens und der Stich in die Ferse zur Gewinnung von Blutproben. Eine Unterfunktion der Schilddrüse oder andere Stoffwechselstörungen sollen frühzeitig entdeckt werden.

Alle diese Tests suchen nach seltenen Abweichungen. In manchen Fällen ist das frühe Aufspüren von Funktionsstörungen und Krankheiten sinnvoll. Jeder Test hat jedoch auch das Risiko von Fehldiagnosen. So werden die Eltern unnötig beunruhigt, oder es werden Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet, die eigentlich unnötig sind, weil sich die Kinder ohnehin normal entwickelt hätten, vieles wächst sich aus. Häufige Kontrollen beim Kinderarzt in den ersten Lebensmonaten sind dann oft die Folge, bis Entwarnung gegeben werden kann. Das gilt auch für die zahlreichen Tests, die in den weiteren Kinder- und Jungenduntersuchungen regelhaft durchgeführt werden. Manche Untersuchungen können tatsächlich hilfreich sein, vieles ist jedoch nicht wissenschaftlich abgesichert.

Kaum ist der Mensch dem Kinderarzt und dem Elternhaus entwachsen, wird schon wieder ausgemustert. Will man zur Bundeswehr oder zur Polizei, wird auf Eignung geprüft. Auch am Beginn vieler anderer beruflicher Karrieren stehen medizinische Untersuchungen. Für die Beamtenlaufbahn soll der Check garantieren, dass der Staat nicht für invalide und chronisch Kranke aufkommen muss. Für viele Arbeitsbereiche gibt es spezifische Untersuchungen, die die Einsatztauglichkeit bescheinigen sollen. Auch hier werden Tests durchgeführt, die falsche Ergebnisse bringen können. Manchmal sind sie auch ungerecht. Gelegentlich schafft es ein Schicksal in die Medien, wie der Fall einer stark übergewichtigen jungen Frau, die der bayerische Staat nicht als Lehrerin verbeamten wollte. Die Frau hatte geklagt und recht bekommen. Übergewicht alleine ist keine Krankheit und kein ausreichendes Indiz für spätere Arbeitsunfähigkeit.

Ab 35 sollen die deutschen Bürger alle 2 Jahre zum Gesundheitscheck beim Hausarzt, zum Messen von Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin, Untersuchung des Harns und den ersten Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen. Bei Frauen geht es schon mit 20 los. Inspizieren der äußeren Genitalien und Abtasten der inneren Geschlechtsorgane sowie der Brüste beim Frauenarzt. Die Urologen wollen nun auch schon die 14-Jährigen zum regelmäßigen Hodencheck verpflichten. Selbst das Hautkrebsscreening wird zunehmend für Kinder und Jugendliche beworben.