Unter den Hügeln von Wales - Diana Stainforth - E-Book

Unter den Hügeln von Wales E-Book

Diana Stainforth

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Beschreibung

Die bewegende Geschichte einer starken Frau, die allen Hindernissen zum Trotz ihr Glück findet. Nach dem Unfalltod ihres Mannes steht Alex Stapleton vor dem Ruin. Der Kauf eines idyllischen Farmhauses in Wales ist nicht rückgängig zu machen, und Geld zum Renovieren hat Alex schon gar nicht. Schweren Herzens zieht sie von London nach Wales, um vor Ort einen Käufer zu suchen. Sie hat die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ein Geologe auf ihrem Grundstück eine Goldmine entdeckt. Sie müsste nur noch verkaufen und könnte nach London zurückkehren. Aber gegen alle Widerstände gründet Alex ihr eigenes Unternehmen und findet in Wales neuen Lebensmut und die große Liebe.

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Diana Stainforth

Unter den Hügeln von Wales

Aus dem Englischen von Tamara Willmann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Die bewegende Geschichte einer starken Frau, die allen Hindernissen zum Trotz ihr Glück findet.

Nach dem Unfalltod ihres Mannes steht Alex Stapleton vor dem Ruin. Der Kauf eines idyllischen Farmhauses in Wales ist nicht rückgängig zu machen, und Geld zum Renovieren hat Alex schon gar nicht. Schweren Herzens zieht sie von London nach Wales, um vor Ort einen Käufer zu suchen. Sie hat die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ein Geologe auf ihrem Grundstück eine Goldmine entdeckt. Sie müsste nur noch verkaufen und könnte nach London zurückkehren. Aber gegen alle Widerstände gründet Alex ihr eigenes Unternehmen und findet in Wales neuen Lebensmut und die große Liebe.

Über Diana Stainforth

Diana Stainforth, geboren in Oundle, Northamptonshire, verbrachte nach dem Schulabschluss mehrere Jahre in Italien, Spanien und Südafrika. Sie kehrte nach England zurück, arbeitete zunächst als Innenarchitektin und später als Assistentin der Schriftstellerin Rebecca West, bevor sie selbst zu schreiben begann.

Inhaltsübersicht

Für David WalkerDanksagung1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel

Für David Walker

Danksagung

Viele Menschen haben mir bei diesem Buch geholfen, doch besonderer Dank gilt meiner Agentin Carole Blake, Sue Da Cruz, Sue Denny von S & J Partylink, Margaret Galliers, David Petersen, Professor Joan Rees, William Roberts von den St. Clogau David’s Mines und David Walker.

1

Nie wieder würde sie neben seinem schlanken, sommersprossigen Körper liegen. Nie wieder würde sie ihn dabei ertappen, wie er Kaffeereste in ihre liebsten Topfblumen goss oder einen angebissenen Apfel neben der Badewanne liegen ließ. Nie wieder würde seine Hand, sein Anruf oder sein vertrautes Gemurmel im Schlaf sie wecken.

Alex stand im schwarzen Kostüm zitternd vor dem steinernen Portal der Westminster Abbey. Ihr kurzes, blondes Haar klebte ihr wie eine Kappe am Kopf, weil es so feucht war. Wind schlug ihr ins bleiche Gesicht und Regen sickerte ihr in die schwarzen Schuhe, doch sie spürte nichts.

Die Trauergäste strömten aus der Kirche und sammelten sich auf dem gepflasterten Vorplatz zwischen dem Gebäude und dem schmiedeeisernen Gitter, vor dem die Touristen ungeduldig auf das Ende der Trauerfeier warteten. Umbraust vom Londoner Verkehr am Parliament Square bekundete man Alex der Reihe nach mit erhobener Stimme das Beileid: Botschafter und Ärzte, Kriegsberichterstatter und Entwicklungshelfer, Vertreter der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes, der Vorsitzende der Global Aid Bank, bei der Robert ein Konto gehabt hatte, und schüchtern murmelnd: eine Gruppe von Kosovo-Flüchtlingen. Alle schüttelten Alex die Hand. Sie sah, wie Finger ihre Handfläche umschlossen, doch sie spürte nichts. Es war, als gehörte ihre Hand nicht zu ihr.

«Er war wirklich ein Held, Mrs. Stapleton … ein wunderbarer Arzt … die Menschen im Kosovo werden ihn nie vergessen … ein solcher Verlust … ein Vorbild für uns alle.»

Alex wollte ihnen danken, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.

Eine Hand umfasste ihren Ellenbogen. «Alles in Ordnung, Al?», fragte Noel, ihr Bruder.

Sie nickte.

Er drückte ihr beruhigend den Arm. Sie sah schrecklich aus, schlimmer, als er befürchtet hatte, und diese große, öffentliche Trauerfeier war eine Qual. Wenn auch sicherlich eindrucksvoll. Er hatte gewusst, dass Robert ein äußerst angesehener Mann war, aber … Westminster Abbey! Er wünschte, Melanie hätte dabei sein können, doch sie musste bei den Kindern in New York bleiben.

«Bei Beerdigungen regnet es immer», sagte ihre Mutter und reichte Alex eine wohl manikürte Hand. «Bei Vaters Beerdigung hat es auch geregnet. Selbst auf Menorca regnet es dann.» Sie lachte nervös und entschuldigte sich gleich dafür. «Nicht, dass ich am Tod etwas komisch fände, natürlich nicht, aber …»

Noel spürte, wie Alex sich verkrampfte, und wünschte, Mutter wäre still, aber das konnte er ihr nicht sagen, weil sie sonst beleidigt wäre. Stattdessen lächelte er Alex aufmunternd zu und fragte sich, ob sie wohl plante, wieder in ihren Beruf zurückzukehren, wenn das alles hier überstanden war. Eigentlich hatte er nie begriffen, warum sie Robert zuliebe ihre Arbeit aufgegeben hatte.

Auf der anderen Seite des Ganges drängten sich in stummer Dreisamkeit Roberts Kinder. Louise, die Älteste, ließ den Kopf hängen und verbarg ihr tränenüberströmtes Gesicht hinter einem Vorhang aus dunklem Haar. Sie stieß Stephen an, der angelegentlich seine Brille putzte. Er sollte endlich aufhören, so zu tun, als wäre Daddy ihm gleichgültig.

Phoebe, die Jüngste, beobachtete Alex. Es sollte eigentlich ihre Mutter sein, nicht Alex, der diese bedeutenden Leute die Hand schüttelten, und ihre Großmutter, die mit dem Dean sprach, nicht diese Frau mit den blonden Strähnen.

«Alex war nur seine zweite Frau», sagte sie so laut, wie sie sich nur traute.

«Klappe!», zischte Louise. «Sie kann dich hören.»

«Ist mir doch egal.» Phoebe hob trotzig die Stimme.

Aber Alex hörte es nicht. Sie hatte Jacques entdeckt, einen der Vortragenden der ‹Plant for Health›-Konferenz, bei der sie Robert kennen gelernt hatte, oder genauer, bei der Robert sie angesprochen hatte. Er war damals in den Ballsaal gestürzt, in dem sie die letzten Anordnungen zu dem von ihrer Firma ausgerichteten grünen Dinner gab. «Wie kann ich mich von diesem Abend freikaufen?», hatte er wissen wollen.

«Gar nicht, Dr. Stapleton.»

«Und warum nicht?»

«Weil meine Kollegin von Rent-Event vier Stunden über der Sitzordnung gebrütet hat.»

Er starrte sie an. Dass man über ihn verfügte, war er nicht gewohnt. «Na gut, aber ich komme nur, wenn ich neben Ihnen sitze.»

Als Jacques ihre Hände ergriff, kehrte sie in die Gegenwart zurück. «Ma chère Alex, ich werde Robert nie vergessen. Wir waren zwanzig Jahre befreundet.» Er küsste sie auf beide Wangen.

Sie hätte Jacques am liebsten nicht mehr losgelassen. Sie wollte über den lebendigen Robert reden, doch Jacques wurde von den hinter ihm Stehenden weitergeschoben und von einer Schwester in Tracht abgelöst.

«Ihr Mann war ein leuchtendes Beispiel.»

«Vielen Dank.»

«Er hat sich bis zum Letzten aufgeopfert.»

«Vielen Dank.»

Weitere Menschen schüttelten ihr die Hand, sagten etwas und gingen weiter. Sie traten durch die eisernen Tore hinaus, winkten Taxis herbei oder liefen zu wartenden Wagen, in denen sie fortchauffiert wurden, zurück in ihr eigenes, intaktes Leben.

Emma und Douglas, ihre engsten Freunde, waren nirgendwo zu entdecken. Die beiden hatten ziemlich weit hinten in der Kirche nebeneinander gesessen. Als Alex sich auf dem Vorplatz umsah, traf ihr Blick auf den Judiths. Sie stand hinter den Kindern, sehr schick in einem marineblauen Mantel mit passendem Hut, der ihr zu dem kastanienroten Haar gut stand. Alex tastete nach ihrem eigenen strähnigen Haar. Einen Hut aufzusetzen, der Gedanke war ihr gar nicht gekommen. Seit sie ans Telefon gegangen war und gehört hatte: «Ich habe schlechte Nachrichten …», war sie zu keinem Gedanken mehr fähig.

Judith sah Alex an. Die beiden Frauen zögerten, traten dann aufeinander zu, umarmten sich zum ersten Mal und stießen unter Judiths Hutkrempe mit den Nasen zusammen.

«Es tut mir so Leid, ich wollte Sie anrufen, aber … ich wusste nicht … wissen Sie …» Judith redete ein wenig zu laut.

«Ja, ich weiß … aber ich danke Ihnen.» Alex hätte gern etwas Freundlicheres gesagt, aber sie waren beide verlegen, und dass Alex’ Mutter aufmerksam zuhörte, machte das Ganze noch peinlicher.

Alex hatte nichts gegen Judith. Sie waren sich bisher nur einmal begegnet, bei der Beerdigung von Roberts Vater. Sie war ihr als Stimme bekannt, die am Telefon nach Robert verlangte, und zwar unweigerlich, wenn sie gerade zu einer Mahlzeit Platz genommen hatten, auf die Alex besonders viel Mühe verwendet hatte. Ihr war immer so gewesen, als hätte Judith mit ihrem Anruf ein Maximum an Störung erzielen wollen, was – wie Alex genau wusste – natürlich Unsinn war. Trotzdem, wenn Robert dann an den Tisch zurückkam, immer noch gefangen in den Nachwehen seiner früheren Ehe, hatte es mindestens eine Stunde gedauert, bis er und Alex wieder entspannt miteinander umgehen konnten.

«Den Trauergottesdienst hätte man in der Dorfkirche abhalten und später dann eine Gedenkfeier veranstalten sollen», sagte Judith, um nicht stumm dazustehen. «Ich weiß nicht, warum Hugh sich einreden ließ, Robert hätte so eine große Sache gewollt. Die Hälfte der Leute hier kennt er bestimmt nicht einmal.»

«Aber sie kannten ihn.»

Judith wurde rot. Sie hatte Alex keineswegs verärgern wollen. Früher durchaus, als sie noch ihre Ehe hatte retten wollen. Da hatte sie gehofft, Roberts Schock über die Mitteilung, dass sie die Scheidung wünsche, würde den Helden, den sie nur selten sah, in einen Ehemann verwandeln, der jeden Abend nach Hause kam.

Alex war aufgebracht und verletzt. Die Leute waren zu Roberts Beerdigung gekommen, weil sie ihn dafür bewunderten, dass er in Regionen, in denen sie ihre Haut nicht riskiert hätten, als Lebensretter tätig gewesen war. Sie merkte allerdings, dass Judith nichts über Robert, den Helden, hören wollte. Eben diese Tätigkeit hatte sie ja einander entfremdet.

«Hugh war mir eine große Hilfe», sagte sie versöhnlich.

«Das freut mich», erwiderte Judith sofort, dankbar, der peinlichen Stille zu entrinnen. «Mein Bruder hat ein gutes Herz, und Robert war sein ältester Freund. Ich wollte nur, Hugh wäre nicht so ein Dummkopf gewesen. Ein russisches Mädchen zu heiraten, das zwanzig Jahre jünger ist als er! Natürlich hat sie sich gelangweilt. Das tun jüngere Frauen immer.» Judith hatte vergessen, dass Alex selbst elf Jahre jünger als Robert war. «Morgen bin ich in London», sagte sie. «Haben Sie schon etwas vor? Wollen wir uns treffen?»

Alex fand, dass Judith eigentlich ganz nett war. Forsch und taktlos, aber sie meinte es nicht böse. «Kommen Sie doch zum Tee! Ich bin dann alleine. Noel muss wieder nach New York, und meine Mutter fährt zurück nach Menorca.» Sie wandte sich an ihre Stiefkinder: «Wollt ihr nicht auch kommen?»

«Ich muss heute wieder zur Uni», sagte Louise. Sie warf einen Blick auf ihre Mutter, um festzustellen, ob die das auch nicht unhöflich fand. «Aber ich kann ein anderes Mal kommen, wenn das recht ist.»

Alex lächelte. «Aber gern!»

Louises Geschwister traten von einem Fuß auf den andern, und Alex erinnerte sich an ihr allererstes Treffen. An das quälende Essen im Pub, bei dem sie sich verzweifelt um eine unverbindliche Unterhaltung bemühte, während Robert sie wie eine Fremde behandelte, damit seine Kinder, die ihnen gegenübersaßen und auf ihre Teller starrten, nicht in Verlegenheit kamen. Trotzdem täte es ihr Leid, sie nicht wieder zu sehen. Sie waren ein Teil von Robert.

Ein großer, unrasierter Mann unterbrach sie. Er umschlang Alex wie ein Bär, presste sie an seine Brust, und sein stoppeliges Kinn kratzte ihr im Gesicht. «Es tut mir so Leid, dass ich diesen Anruf machen musste», sagte er.

«Ich weiß … aber ich danke dir.» Sie konnte kaum sprechen. Charlie hatte sie von der Grenze zum Kosovo aus anrufen und ihr mitteilen müssen, dass Robert tot war.

«Rob hat bestimmt nichts gespürt.»

Alex wollte ihm gerne glauben.

«Landminen sind widerlich. Es ist besser, wenn sie dich gleich richtig erwischen. Du warst ja bei uns in Bosnien und hast die alte Frau gesehen, die ihre Beine verloren hat. Rob war ein großartiger Arzt, aber er hätte einen beschissenen Krüppel abgegeben.» Charlie berührte ihre Wange. «Ohne dich hätte er das alles nicht geschafft. Denk daran!» Er ging einfach über den Vorplatz davon und überquerte die Straße, ohne nach rechts oder links zu schauen. Ein Taxi bremste. Der Fahrer fluchte. Charlie lief ungerührt weiter.

Alex war sich bewusst, dass Judith Charlies Äußerung mitbekommen hatte, und sie wünschte, ihr fiele irgendeine Bemerkung ein, doch was sie auch sagen mochte, die Situation würde bestimmt nur noch peinlicher werden.

Ihre Rettung war Ingrid, die deutsche Kinderärztin, der sie zuletzt in einem zerbombten Krankenhaus bei Mostar begegnet war. «Ich werde ihn nie vergessen – und Sie auch nicht.» Ingrid umklammerte Alex’ Hand. «Die Medikamente mit dem Wagen zu uns zu bringen, das war sehr mutig von Ihnen.»

Alex dachte daran, wie sie den schwer beladenen Lieferwagen an Schlaglöchern und Abgründen vorbeigesteuert hatte.

Die Menge wurde spärlicher. Nur Familienangehörige und enge Freunde, die mit zum Krematorium wollten, waren noch geblieben. Man stand in Gruppen um Alex und versuchte, sie mit Worten und mitfühlendem Lächeln aufzumuntern. Trotzdem kam sie sich verloren vor. Normalerweise würde Robert jetzt ihren Ellenbogen fassen und ihr zuraunen, sie müssten sich beeilen, er hätte noch einen Termin, noch etwas Wichtiges vor. Wie oft hatte sie Partys verlassen, obwohl sie gern noch geblieben wäre. Sie biss sich auf die Unterlippe. Jetzt hätte sie alles gegeben, wenn nur Robert wieder da wäre.

«Wir haben bis zum Schluss gewartet.» Emma drückte Alex an ihr schwarzes Samtkostüm und hüllte sie in eine Wolke aus teurem Duft und schimmerndem schwarzem Haar.

«Ich dachte … ihr wärt schon weg.» Alex’ Stimme zitterte.

«Ohne mit dir zu sprechen? Sei nicht albern!» Emma drückte sie noch einmal.

Douglas trat vor. «Alex.» Er legte ihr die Hände auf die Schultern und küsste sie sanft auf eine Wange. Er war groß und dünn, mit rötlichem Haar, einem runden, sommersprossigen Gesicht und einer Hornbrille, die ihm das Aussehen einer hungrigen Eule verlieh. «Es tut mir … uns so Leid. Isobel lässt grüßen. Sie wollte auch kommen, aber das Kindermädchen hat heute frei.»

«Das verstehe ich.»

Er verstärkte den Druck auf ihre Schultern. «Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst.»

«Ich weiß.» Alex beschloss, seine Frau in Zukunft netter zu finden.

Emma beobachtete die beiden. Der zärtliche Ausdruck, mit dem Douglas Alex anschaute, war nicht zu übersehen.

«Wir haben beobachtet, wie Judith dich überfallen hat», sagte sie. «Lass dich von ihr nicht unterkriegen. Du warst Roberts große Liebe.»

Alex schluckte heftig. «Danke, aber Judith ist schon in Ordnung, eigentlich war sie sogar ganz nett. Forsch und nett.»

«Wie Emma», neckte Douglas.

«Ich bin nicht forsch, ich bin mütterlich.» Emma zog eine Grimasse. «Nicht, dass mir das besonders gut bekommen wäre.»

«Ach, Emma!» Alex’ Augen füllten sich mit Tränen.

«Meine Probleme stehen heute nicht zur Debatte. Heute geht es um dich.» Emma rieb Alex die eiskalten Hände, als wäre sie ein Kind. «Ich möchte, dass du mit zu mir kommst.»

«Danke, aber es geht schon.»

«Du solltest jetzt nicht alleine sein.»

«Ich möchte lieber zu Hause bleiben.» Selbst ihnen gestand sie nicht, dass sie allein sein wollte, um so tun zu können, als wäre Robert irgendwo unterwegs. Nur ein paar Tage lang wollte sie sich diesen tröstlichen Traum gönnen. Später würde sie der Wahrheit dann ins Auge sehen.

Eine Hand berührte ihren Ellenbogen. Sie wandte sich um und stand vor Hugh, der sie mit gerötetem Gesicht besorgt ansah. «Tut mir Leid, wenn ich störe, aber wir müssen los. Ich habe dich mit deiner Mutter und deinem Bruder in den ersten Wagen gesetzt.»

«Danke. Das ist sehr freundlich.» Sie dachte nur ungern daran, wie oft sie sich bei Robert beschwert hatte, Hugh sei ein Versager und sie brauchten einen besseren Anwalt.

Hugh nahm fürsorglich ihren Arm und begleitete sie hinaus durch die Eisentore zu der schwarzen Limousine, in der ihre Mutter und Noel warteten.

«Mach dir keine Sorgen wegen Wales», sagte er, als sie sich auf dem Rücksitz niederließ. «Es ist alles geregelt, und Lady Rosemary lässt dir ihr Beileid ausrichten.»

Alex nickte.

Der Leichenwagen setzte sich in Bewegung. Ihre Limousine folgte.

«Was war das mit Wales, Schatz?», fragte ihre Mutter.

«Ach … nur ein altes Bauernhaus, das wir kaufen und instand setzen wollten.»

«Um darin zu wohnen?

«Für die Ferien. Als Oase.»

«Aber Schatz, du findest das Landleben doch grässlich.»

«Ich habe noch nie auf dem Land gelebt, aber es hat sich ja nun auch erledigt, also genug davon.»

«Aber natürlich.» Ihre Mutter legte Alex zögernd eine Hand aufs Knie. Sie wartete auf eine Reaktion, doch die blieb aus. Langsam zog sie die Hand zurück. Sie war den Tränen nahe.

Sie wandte sich an Noel und schwatzte über die abscheulichen Leute, die neuerdings auf Menorca Ferien machten, sich in ihrem Laden drängelten und ihr Personal anpöbelten. Noel nickte hin und wieder, obwohl er gar nicht richtig zuhörte. Mum meinte es nicht böse. Wenn Alex das nur akzeptieren und das Vergangene vergeben und vergessen könnte. Er sah sie an, aber sie hatte das Gesicht abgewandt. Es war schade, dass sie so weit voneinander entfernt wohnten. Sie kannten sich mittlerweile kaum noch, hatten sich jedoch als Kinder bis zum Tod ihres Vaters nahe gestanden.

Alex starrte aus dem Fenster, während der Wagen an der Themse entlangfuhr, doch sie nahm den grauen Fluss gar nicht wahr. Sie war wieder bei dem Dinner damals, und neben ihr stand ein leerer Stuhl. Dr. Stapleton würde sie doch nicht sitzen lassen, nicht nachdem sie Emma überredet hatte, die Sitzordnung zu ändern? Dann war er plötzlich da. Er sah gut aus mit seinen Raubvogelgesicht und in dem weißen Hemd und schwarzen Smoking. «Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Sie neben einem leeren Stuhl habe sitzen lassen», sagte er, als er Platz nahm. «Glauben Sie mir, Sie sind der einzige Mensch, neben dem ich sitzen möchte.»

2

Alex streckte über die Breite des Bettes hinweg die Hand aus und tastete nach Robert. Dann fiel ihr alles wieder ein und sie zog ihren Arm zurück.

Es klopfte an der Tür und ihre Mutter trat ein, in einem schicken grauen Kostüm und perfekt geschminkt. «Ich bringe dir Kaffee, Schatz. Stark und schwarz, wie du ihn gern hast.» Sie stellte einen Becher auf den Nachttisch und lächelte Alex schüchtern an. «Du solltest koffeinfreien trinken. Koffein ist nicht gut für dich. Ich habe ein Buch, in dem das erklärt wird. Ich schicke es dir.»

«Bitte! Ich brauche das Koffein. Es macht mich munter.»

Ihre Mutter seufzte. «Bei dir sage ich immer das Falsche, dabei will ich dir doch nur helfen. Soll ich die Vorhänge aufziehen?»

«Ja … bitte.» Alex hatte nicht unfreundlich sein wollen.

Ihre Mutter zog die Vorhänge auf, und die strahlende Maisonne strömte ins Zimmer. «Ein schöner Tag heute.»

Alex starrte sie an. Wie konnte es ein schöner Tag sein, wenn Robert tot war?

«Ich habe schon früher nach dir geschaut, aber du hast noch geschlafen», fuhr ihre Mutter fort. «Und ich hätte dich auch jetzt nicht geweckt, aber unser Taxi kommt in einer halben Stunde und Noel macht schon Frühstück.»

Alex setzte sich auf. «Wie spät ist es denn?»

«Acht.»

«Dein Flugzeug geht doch erst heute Nachmittag!»

«Ich weiß, aber … Ich habe mich entschlossen, mit Noel zu fahren, weil wir beide von Gatwick aus fliegen.»

Alex schwieg. Natürlich wollte ihre Mutter mit Noel fahren. Sie hatte Noel schon immer vorgezogen.

«Du siehst Daddy so ähnlich», sagte ihre Mutter nach einer Weile und dachte, dass Carl morgens genauso hager und verzweifelt ausgesehen hatte, wenn er vor Schmerzen – oder vielleicht auch Angst – die ganze Nacht wach gewesen war. «Ich wünschte, du würdest mit mir zurückfliegen. Es gibt bestimmt noch einen freien Platz im Flugzeug. Auf meine Kosten natürlich.» Sie würde den Preis für das Ticket von ihrer Kreditkarte abbuchen lassen und hoffen, dass sie es bezahlen könnte, wenn das Geschäft wieder besser lief.

Alex war erstaunt. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie bei ihrer Mutter zum letzten Mal eine solche Geste erlebt hatte. «Das ist sehr großzügig, aber nein … danke. Ich muss Roberts Papiere durchsehen. Das kann sonst niemand.» Sie wies auf die Papiere und Bücher, die sich auf einer Seite des Schlafzimmers stapelten, nur ein Bruchteil dessen, was sich in den anderen Zimmern angehäuft hatte.

«Roberts Testamentsvollstrecker ist doch bestimmt Hugh?»

«Nein, ich alleine … aber danke für das Angebot.» Alex versuchte erst gar nicht zu erklären, dass sie es nicht ertragen konnte, den Ort zu verlassen, an dem sie mit Robert gelebt, geliebt, gegessen, gebadet, gestritten und gelacht hatte; sie fürchtete, ihre Mutter würde es nicht verstehen.

Sie stand auf.

«Ich gehe schon mal frühstücken», sagte ihre Mutter. «Und du solltest auch etwas essen. Du bist so dünn.»

«Ja. Schon komisch, nicht wahr? Jetzt bin ich die zwölf Pfund los, die ich mein Leben lang abnehmen wollte.»

Das schwarze Kostüm, das sie gestern getragen hatte, lag zerknüllt auf dem Boden. Sie erinnerte sich nicht mehr, wie sie sich gestern ausgezogen hatte, nur noch daran, dass sie erleichtert ins Bett gekrochen war. Sie hob das Kostüm auf und hängte es hinten in den Schrank, noch hinter ihre Abendkleider, die sie auch ganz bestimmt nie wieder tragen würde.

Bis Alex sich angezogen hatte, waren ihre Mutter und Noel mit dem Frühstück fertig. Sie saßen am Küchentisch, und an der Art, wie sie aufsahen, merkte Alex, dass sie über sie gesprochen hatten.

«Wir haben nur noch fünf Minuten.» Ihre Mutter stand auf. «Ich sollte meine Koffer zumachen.» Sie eilte hinaus, machte einen Bogen um Noels Bettzeug herum, das im Wohnzimmer neben der Schlafcouch lag.

Noel lächelte Alex an. «Alles in Ordnung mit dir?»

Sie nickte und strich mit den Fingerspitzen über die marineblau geflieste Arbeitsfläche über der Spülmaschine. Sie und Robert hatten die Fliesen gemeinsam ausgesucht. Sie hatte ein ganz helles Grau gewollt. Er ein Marineblau. Sie hatten sich gestritten, doch schließlich hatte sie sich gefügt, weil sie ihm das Gefühl geben wollte, die Wohnung sei ebenso sein Zuhause wie ihres.

«Mum macht sich furchtbare Sorgen, weil sie dich allein lassen muss», sagte Noel.

«Verstehe ich nicht. Nach Vaters Tod hat sie mich doch auch ganz unbesorgt allein gelassen, und damals war ich erst sechzehn.»

Er stand auf und legte ihr die Hände auf die Schultern. «Ach Al, du solltest versuchen, darüber hinwegzukommen.»

«Ich weiß ja, dass das Haus verkauft werden musste, weil Mutter es alleine nicht halten konnte, aber sie hätte auch irgendwo in England etwas Kleineres kaufen können.» Alex verbarg ihr Gesicht an seinem Pullover. «Doch mittlerweile bin ich ein großes Mädchen, ich sollte wirklich darüber hinweg sein. Mutter hatte jedes Recht, ein neues Leben in einem anderen Land zu beginnen, und die Verwandten, bei denen sie mich untergebracht hat, waren durchaus respektable Leute.»

«Aber ein Albtraum?»

Sie trat zurück. «Scheußlich.»

«Ich werde nie Mutters Gesicht vergessen, als Cousine Josephine sie anrief und ihr mitteilte, du wärst ausgezogen und hättest dir ein Zimmer über einer Bar genommen. Es gab eine Menge Gerede über Sex und Drogen und nächtelange Partys.»

Alex lächelte schwach. «So was von dämlich! Ich war den ganzen Tag im College und abends habe ich in einem Schnellimbiss gearbeitet. Das wusste sie auch. Nur einmal im Leben habe ich einen Joint geraucht, und davon ist mir schlecht geworden.»

Die Sprechanlage summte. Noel ging zur Tür. «Das Taxi ist da, Mum», rief er und wandte sich wieder an Alex. «Pass auf dich auf», sagte er liebevoll.

Sie holte tief Luft. «Danke, dass du gekommen bist. Grüß Melanie und die Kinder von mir.»

«Mach ich.» Er umarmte sie heftig. «Ich kann Abschiede nicht ausstehen.»

Das hatte Robert auch gesagt, als sie ihn zum ersten Mal zum Flughafen gefahren hatte.

Zu Alex’ Überraschung war ihre Mutter verweint. «Auf Wiedersehen, mein Schatz.» Sie drückte ihr feuchtes Gesicht an Alex’ Wange. «Du brauchst nicht mit nach unten zu kommen. Du siehst so müde aus.»

«Auf Wiedersehen, Mum.» Alex traten Tränen in die Augen.

Sie umklammerten einander, nur für einen Augenblick, dann eilte ihre Mutter hinaus.

Die Wohnungstür fiel zu. Alex stand im Flur. Sie berührte ihre Wange und spürte die Tränen ihrer Mutter. Sie fühlte sich betrogen, nicht so sehr, weil sie allein zurückblieb, sondern um die vertane Chance mit ihrer Mutter.

Sie öffnete die Balkontür und trat auf den Balkon, der über die ganze Breite des Wohnzimmers lief und von dem aus man die Bäume des Battersea Parks sehen konnte. Zwei Stockwerke tiefer wartete Noels Taxi. Alex sah zu, wie ihre Mutter und Noel aus dem Haus kamen und die Haustür hinter sich zufallen ließen. Sie stützte sich auf das Eisengeländer und wartete darauf, dass sie zu ihr hoch schauten.

«Ich weiß ja, dass Robert ein Held war», hallte die Stimme ihrer Mutter zwei Stockwerke hoch, «aber ich fand ihn immer recht selbstsüchtig.»

Alex umklammerte das Geländer.

«Jetzt halte ich es allerdings für einen Vorteil, dass er häufig unterwegs war. Sie wird so schneller darüber hinwegkommen.»

Alex ging wieder ins Zimmer und schloss die Balkontür.

Auf der Straße zögerte ihre Mutter mit einer Hand an der Taxitür. Sie schaute zum Balkon im zweiten Stock hoch. «Kannst du sie sehen, Noel? Ich nicht. Ach, ich lasse sie ausgesprochen ungern allein, aber sie will sich ja einfach nicht helfen lassen. Sie tut so, als wollte sie lieber hier bleiben.»

«Das will sie wirklich, Mum.»

«Hat sie das gesagt, oder ist das nur eine Vermutung?»

«Genau das hat sie gesagt, in der Küche.»

«Selbst wenn es stimmt, ich dachte, sie würde auf den Balkon kommen und zum Abschied winken, du nicht auch?»

Noel zuckte mit den Schultern. Was er auch sagte, man würde ihm Voreingenommenheit unterstellen.

Alex war auf dem Sofa zusammengesunken und umarmte eines der tiefroten Kissen, die Robert aus Kurdistan mitgebracht hatte. Wie konnte ihre Mutter es wagen, Robert zu kritisieren!

Auf dem Tisch neben ihr stand ihr letztes gemeinsames Foto. Ein Junge, der zu einem Schwatz stehen geblieben war, hatte es vor dem Bauernhaus in Wales aufgenommen. Sie lehnte sich an Robert, und er hatte die Arme um sie gelegt, um sie vor dem eisigen Wind zu schützen. Sie lachten.

Alex berührte sein Gesicht und weinte.

Das Telefon klingelte. Sie nahm hastig ab. Robert konnte oft nur ein paar Minuten lang sprechen.

«Wie geht es dir?», erkundigte sich Emma.

«Ich versuche zu überleben … danke.» Sie sank zurück. Wie hatte sie nur annehmen können, es wäre Robert?

«Ich komme, wenn deine Mutter abgefahren ist.»

«Sie ist schon weg. Sie wollte mit Noel zusammen ein Taxi nehmen. Du weißt ja, wie sie ist. Er ist ihr Liebling.» Alex stockte und musste schlucken.

«Oh … das tut mir Leid. Also, dann komme ich gleich.»

«Mach dir keine Sorgen. Mir geht’s gut, und du hast bestimmt viel zu tun. Außerdem erwarte ich Judith zum Tee.»

«Das ist ja furchtbar. Lass dich von ihr nicht aufregen.»

«Bestimmt nicht. Mittlerweile ist sie ganz umgänglich, und außerdem möchte ich den Kontakt zu den Kindern, vor allem zu Louise, nicht verlieren.»

Emmas zweiter Apparat klingelte, und sie verabschiedeten sich. Danach rief Douglas an, dann ein entfernter Cousin Roberts, dann Ingrid, die deutsche Ärztin. Alex bemühte sich, gefasst zu klingen, aber nach jedem Anruf sank sie wieder in sich zusammen.

Erst am Nachmittag fand sie die Kraft, Noels Bettzeug wegzupacken und das Wohnzimmer aufzuräumen, die cremefarbenen Sofas aufzuklopfen und die leuchtend farbigen Teppiche glatt zu ziehen, die Robert in Aserbeidschan, Kaschmir, Samarkand und überall dort gekauft hatte, wo er tätig gewesen war: Länder, deren warme, tiefe Farben er liebte. Die Teppiche erinnerten sie an den Tag, an dem er mit seiner leuchtend bunten Habe in ihre kühle, cremefarbene, puristische Wohnung eingezogen war.

«Das passt alles nicht hierher», hatte sie protestiert, als er einen roten Teppich auf ihr helles Buchenparkett fallen ließ. «Das ist zu grell.»

«Ich mag kräftige Farben.»

«Ich nicht. Mein Stil ist streng und schlicht.»

Er hatte gelächelt, ohne zu merken, wie wichtig ihr das war. «Was stört dich an einer Mischung?»

«Sie wirkt unordentlich.»

Sein Lächeln erstarb. «Alex, ich kann meine Sachen nicht zu Judith zurückbringen. Sie waren seit unserer Trennung in einem leeren Zimmer gelagert, und das Zimmer muss sie jetzt vermieten. Außerdem handelt es sich ja nur um Teppiche und Kissen. Es geht nicht um Leben und Tod.»

Sie rief Emma vom Badezimmer aus an. «Er hat sich in meiner Wohnung breit gemacht. Es sieht aus wie in einem orientalischen Bazar. Ich war verrückt, als ich ihm vorschlug einzuziehen. Ich kenne ihn doch erst seit sechs Monaten. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich muss ihm sagen, dass er wieder ausziehen soll.»

Sie ging zurück ins Wohnzimmer.

Robert stand an der Balkontür. Er kam zu ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie eindringlich an. «Du bist daran gewöhnt, allein in deinem eigenen Reich zu leben, und ich bin daran gewöhnt, in einem Zelt zu hausen mit Gott weiß wem oder in einem Haus mit einer Frau, drei Kindern, vier Katzen und einer aufdringlichen Schwiegermutter um die Ecke. Ich habe eine gescheiterte Ehe hinter mir und bin durchaus in der Lage, allein zu sein. Ich fühle mich wohl allein. Also, wenn du willst, dass ich gehe, musst du es mir nur sagen.»

Sie wollte gerade erwidern, dass sie vielleicht doch ein wenig zu voreilig gewesen waren, da klingelte das Telefon. Jacques war am Apparat. In irgendeiner unzugänglichen Region hatte die Erde gebebt, und man rechnete mit Tausenden von Verletzten. Unvermittelt fand sich Alex in Roberts Welt versetzt, mit Vorbereitungen für Reisen in finstere Gegenden, Listen mit lebensnotwendigen Medikamenten und verzweifelten Bemühungen, zu verletzten Kinder vorzudringen.

«Komm, ich helfe dir», sagte sie, nachdem sie beobachtet hatte, wie er sich mit dem Versenden einer E-Mail abmühte.

Er stand auf. «Ich komme mit dieser verdammten Technik einfach nicht zurecht.»

Während sie resolut die Maus über die Unterlage bewegte, legte er ihr die Hände auf die Schultern. «Ich bin hier eingezogen, weil ich dich liebe und glaube, dass wir glücklich werden.»

Sie lehnte sich an ihn. «Meine Wohnung war bisher mein Zufluchtsort.»

«Teilen tut gut.» Er streichelte ihren Nacken.

«Ich finde es schwierig.» Das hatte sie noch nie zugegeben.

«Weil du um deinen Frieden fürchtest. Aber das brauchst du nicht. Es ist beruhigend, nicht allein zu sein.» Seine Hand fuhr unter ihr Shirt und streichelte mit sanft kreisenden Fingern ihre nackte Haut.

Ihr Zorn war verflogen. Sie war vom Computer aufgestanden und hatte ihm das Gesicht zugewandt. Er hatte sie sanft auf den Mund geküsst, sie fest an sich gezogen und dann langsam entkleidet. Sie erinnerte sich, wie seine langen Finger ihre Haut gestreichelt und sie erregt hatten. Sie erinnerte sich, wie sein Körper sich über ihren gebeugt hatte und an den Augenblick, in dem er in sie eingedrungen war, und an ihr Glück über seine Lust an ihr.

Am nächsten Montag war Alex wie gewohnt zur Arbeit bei Rent-Event gegangen. Auf dem Flur hatte sie Emma getroffen.

«Ist es dir gelungen, ihn wieder rauszuwerfen?», hatte Emma gefragt.

«Ich will erst mal sehen, wie es läuft.»

Sie waren in ihr Büro gegangen. Am Freitag noch war sie stolz auf ihre Planung für den Sommerball des renommiertesten Kunden von Rent-Event gewesen. Jetzt musste sie ständig daran denken, wie Robert heldenhaft als Lebensretter unterwegs war, während sie sich den Kopf über den passenden Cremeton für Tischtücher zerbrach.

Eine Woche später hatte sie ihn zum Flughafen gefahren.

«Setz mich einfach ab», hatte er gesagt, als sie am Terminal ankamen.

Er hatte sie hastig geküsst, sein Gepäck genommen und war davongegangen, ohne sich umzusehen.

Alex war wieder nach Hause gefahren, hatte seine Papiere fortgeräumt, seine Bücher gestapelt und seine bunten Kissen weggepackt. Dann hatte sie sich hingesetzt, um den Frieden zu genießen, doch die Wohnung war ihr nicht mehr friedlich, sondern still und einsam vorgekommen.

Jetzt saß sie im Esszimmer und hielt seine Manschettenknöpfe in der Hand. Sie hätte sie gern behalten, aber er hatte sie Stephen vermacht.

Die Sprechanlage summte. Sie ging zur Tür.

«Hier ist Judith!»

«Kommen Sie herauf.» Alex drückte die Haustür auf. Dann klopfte sie zum zweiten Mal die Kissen auf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

Judith trat aus dem Aufzug, als Alex die Wohnungstür öffnete. Zu Alex’ Überraschung war Phoebe bei ihr, im rosa Kleid mit Haarreifen.

Die beiden Frauen umarmten sich, immer noch verlegen.

«Sie haben Ihre Post noch nicht geholt.» Judith gab Alex einen dicken Packen Briefe. «Sie lagen auf dem Tisch im Hausflur.»

«Danke.» Alex legte sie zu den anderen ungeöffneten Briefen. «Ich war heute noch nicht vor der Tür.»

«Was für ein schöner, großer Raum», sagte Judith und bemühte sich, nicht auf die leuchtenden Kissen auf dem Sofa zu starren.

«Danke. Ich setze den Kessel auf. Mögen Sie Tee, oder hätten Sie lieber Kaffee?»

«Wir mögen beide Tee.»

Judith ging zur Balkontür und tat so, als bewundere sie den Balkon. In den letzten sieben Jahren hatte sie jedem erklärt, Robert hätte Alex nur aus Bequemlichkeit geheiratet. Jetzt, da sie sich in der sonnigen Wohnung umsah, in der sich Roberts vertraute Besitztümer mit Alex’ strengerem Stil verbanden, musste sie der Möglichkeit ins Auge sehen, dass diese Wohnung nicht einfach ein Unterschlupf war, etwas besser als ein Hotel. Sie war sein Zuhause gewesen, mit jemandem, den er liebte, ein Zuhause, auf das er sich freute, wo er glücklich gewesen war – vielleicht glücklicher als mit ihr.

Alex kam mit dem Teetablett. «Ich muss Ihnen Roberts Manschettenknöpfe geben», sagte sie. «Er hat sie Stephen vermacht.» Sie holte sie, hielt sie zum letzten Mal in der Hand und überreichte sie Judith.

«Stephen wird sich freuen.» Judith erinnerte sich an das Gold an Roberts sehnigem, sonnengebräuntem Handgelenk. Sie erinnerte sich daran, wie seine Hand auf ihrem nackten Knie gelegen hatte.

Alex beobachtete Judith mit widerstreitenden Gefühlen. Mit dieser Frau hatte Robert eine gemeinsame Vergangenheit, mit ihr war er vertraut gewesen. «Freust du dich auf deine neue Schule, Phoebe?», fragte sie, um auf andere Gedanken zu kommen.

Keine Antwort. Alex schenkte Tee ein. Dann begann Phoebe zu weinen.

«Es tut mir Leid.» Judith wirkte verwirrt. «Aber wir haben mit Hugh zu Mittag gegessen. Alex, das klingt jetzt schrecklich, und Sie werden denken, ich hätte Sie nur aus diesem Grund besuchen wollen, aber das stimmt nicht. Hugh hat mir gerade erst davon erzählt. Jetzt bin ich so wütend, dass ich es einfach nicht für mich behalten kann.»

«Wütend worüber?», fragte Alex und reichte Judith eine Tasse.

«Roberts Testament.» Judith seufzte empört. «Hugh sagt, Robert hätte die Hälfte seines Geldes einem Kinderkrankenhaus vermacht, das von einer Deutschen geleitet wird!»

«Ingrid.»

«Und was ist mit Roberts eigenen Kindern?» Judiths Stimme wurde laut vor Sorge und Ärger.

«Sie müssen sich die andere Hälfte mit mir teilen. Das sind etwa achttausend Pfund für jeden. Das ist alles, was Robert besaß.» Robert hatte bei der Scheidung Judith das Haus überlassen, aber daran erinnerte Alex sie nicht.

«Es ist so verantwortungslos.» Judith nahm sich ein zweites Plätzchen, obwohl sie das erste noch nicht aufgegessen hatte. «Wenn ich die Unkosten für Lebensunterhalt und Kleidung aufgebracht habe, ist nicht mehr genug für Louises und Stephens Studium da, und ich möchte nicht, dass sie ihr Leben mit der Rückzahlung riesiger Studiendarlehen beginnen. Hätte Robert eine volle Stelle angenommen, statt sich ständig für diese Hilfsaktionen zur Verfügung zu halten, gäbe es jetzt eine ordentliche Pension oder so etwas. Ich weiß einfach nicht, wo ich das Geld für Phoebes neue Schule hernehmen soll. Sie kostet neunhundert Pfund pro Halbjahr mehr als ihre alte, und ich habe ihr versprochen, dass sie dorthin könnte.» Judith seufzte. «Es tut mir Leid, dass ich ausgerechnet bei Ihnen damit herausplatze. Komm Phoebe, trink aus! Die arme Alex will das alles gar nicht hören.»

Alex war sich nicht sicher, ob Judith sie jetzt tatsächlich um Geld bat. War sie ihr gegenüber womöglich ungerecht und ließ sich zu falschen Schlüssen verleiten, nur weil sie Frau und Exfrau waren? Hatte Hugh Judith erzählt, dass Alex eine kleine Witwenrente erhalten würde? Hatte er Judith von dem Bauernhaus und dem Konto erzählt, das er immer noch verwaltete?

«Ich würde Hugh um Hilfe bitten, aber er hat ja nichts», sagte Judith gerade. «Natürlich verdient er ganz gut, hat er zumindest, bis er dann … na ja … anfing zu trinken, aber Natalya hat ihn geschröpft. Er ist ja so ein Dummkopf. Meine Mutter hat ihn von ihrem Testament ausgeschlossen, nicht dass sie noch viel zu vergeben hätte, nach dem Fiasko bei Lloyd’s, sonst würde ich sie um Hilfe bitten, aber wie sie sich Hugh gegenüber verhält, ist schon unglaublich. Dabei war er doch immer ihr Liebling!» Judiths Stimme klang munter, aber in ihren Augen lag der Ausdruck des ungerecht behandelten Kindes.

Alex dachte an ihre eigene Mutter, die unbedingt mit Noel im Taxi fahren wollte. «Wie viel fehlt Ihnen denn?»

«Neunhundert pro Halbjahr.»

«Das bezahle ich.»

«Alex, sind Sie sicher?» Judith wirkte erst erleichtert und dann besorgt. «Ich meine, das ist ausgesprochen nett, aber Robert hat Ihnen ja auch nicht viel hinterlassen. Das weiß ich genau.»

«Ich komme schon zurecht.» Robert hätte bestimmt gewollt, dass sie hilft: Phoebe war seine Tochter. «Sobald ich Roberts Papiere geordnet habe, werde ich mir Arbeit suchen.»

«Also … wenn Sie das wirklich wollen …»

«Aber sicher», sagte Alex fest, während sie dachte, wie komisch es war, dass sie ausgerechnet für Phoebe zahlen sollte, das Stiefkind, das ihr am wenigsten lieb war.

«Dann bin ich Ihnen ungeheuer dankbar.» Judith wandte sich an Phoebe. «Nun bedanke dich auch schön.»

Phoebe murmelte vor sich hin.

Judith erhob sich. Sie war jetzt verlegen. Sie hatte nicht vorgehabt, Alex um das Geld zu bitten, sie hatte Alex nur darauf hinweisen wollen, dass der wunderbare, vollkommene Robert kein wunderbarer, vollkommener Vater war.

«Ich bin ja so froh. Ich danke Ihnen sehr.» Sie gab Alex ein flüchtiges Küsschen auf die Wange.

«Wir bleiben in Verbindung. Besuchen Sie uns doch.»

«Gern.»

«Robert hätte uns miteinander bekannt machen sollen. Diese Heimlichtuerei hat alles noch schlimmer gemacht.»

«Das stimmt.» Alex lächelte. «Es wäre alles viel einfacher gewesen.»

Die Wohnungstür fiel hinter ihnen zu. Alex konnte hören, wie ihre Schritte sich entfernten. Es tat ihr Leid, dass sie gegangen waren. Ihr gefiel, wie Judith ohne Umschweife zur Sache kam, ohne vorher zu überlegen, was man von ihr denken würde. Sie wünschte, sie könnte das auch.

3

Hinter den Bäumen des Battersea Parks ging die Sonne unter. Über den Balkon legte sich Schatten. Die Wohnung schien zu erstarren, wurde stumm und still. Alex hielt den Stapel von Briefen in der Hand, den Judith mit heraufgebracht hatte. Sie könnte sie öffnen, beantworten, sich bei den Absendern bedanken. Aber um diese Zeit rief Robert oft an. Sie würde sich die BBC-Nachrichten anhören, und danach würde er anrufen. Oft redeten sie nur ein paar Minuten miteinander. Ob sie ein Flugzeug nehmen und zu ihm kommen könnte? Ob er heimkommen könnte? Sie erzählte ihm, was in der Welt los war, manchmal sogar, was in dem Land vor sich ging, in dem er gerade tätig war.

Allmählich wurde die Stille unerträglich.

Sie schlüpfte in Roberts alte Fliegerjacke, nahm ihre Schlüssel und stürzte hinaus, die Treppen hinunter, ohne auf den Lift zu warten. In die Jacke geschmiegt, die nach ihm roch, ging sie die Straße entlang zum Park. Sie überquerte den Prince of Wales Drive, schlängelte sich durch den abendlichen Verkehr, betrat den Park und folgte einem der geteerten Wege am Bootsteich entlang zum Fluss. Die kalte Luft biss ihr ins Gesicht. Sie senkte den Kopf. Leute kamen mit ihren Hunden vorbei, doch Alex nahm sie nicht wahr.

Als sie ihre Hände tief in die Jackentaschen vergrub, fand sie ein Stück Papier, die Verpackung eines Marsriegels, so zerknüllt, dass die rote Beschriftung kaum noch lesbar war. Wie lange es wohl schon da steckte? Einen Monat? Ein Jahr? Sie stellte sich vor, wie Robert gedankenverloren in ein Mars biss, und begann zu weinen.

Am Fluss blieb sie stehen, stützte die Ellenbogen auf die niedrige Mauer und sah hinaus auf das Treibgut, das die Themse zurückgelassen hatte: einen Stöckelschuh, einen Schirm, eine Fahrradpumpe und eine große, nackte, armlose Puppe, die mit leeren Augen in den Himmel starrte.

Abrupt drehte Alex sich um und ging auf dem gleichen Weg zurück. Sie lief schneller. Noch nie war sie allein im Dunkeln durch den Park spaziert. Ein Mann kam ihr entgegen. Er ging mitten auf dem Weg und war kaum zwanzig Meter entfernt. Unter einer Lampe ließ das Licht die silbernen Nieten seiner Motorradjacke aufblitzen. Alex wusste nicht, ob sie abbiegen oder weitergehen sollte.

Als er auf fünf Meter herangekommen war, lief er quer über den Rasen und verschwand in den Rhododendronbüschen. Das schimmernde Blattwerk schloss sich hinter ihm. Die Aste blieben ruhig. War er wirklich fort? Sie fing an zu rennen.

Sie rannte bis zur Straße. Als sie sich ihrem Haus näherte, stellte sie überrascht fest, dass Hugh an der Tür lehnte und auf die Klingel drückte. In den sieben Jahren, die sie mit Robert verheiratet war, hatte Hugh sie nie aufgesucht, wenn Robert fort war. Nur wegen des Hauskaufs war er einmal gekommen.

«Ich wollte gerade gehen», sagte er und richtete sich auf. Er sprach etwas undeutlich und er trug noch denselben dunklen Anzug und Schlips wie bei der Beerdigung, nur dass mittlerweile die Krawatte verrutscht war.

«Ich war spazieren. Ich habe es in der Wohnung nicht mehr ausgehalten.»

Er trat einen Schritt auf sie zu, und sie roch den Whisky in seinem Atem. «Alex, ich muss mit dir reden.»

«Dann komm mit nach oben.»

Er packte ihr Handgelenk.

Peinlich berührt, hätte sie ihn am liebsten abgeschüttelt, aber sie wollte seine Gefühle nicht verletzen.

«Ich …» Er ließ ihr Handgelenk los und griff sich an die Stirn. «Es … tut mir so Leid.» Seine Schultern zitterten.

Sein Kummer trieb ihr die Tränen in die Augen, und sie legte ihm die Hand auf den Arm. «Ich würde auch gern reden. Ich kann nicht fassen, dass ich Robert nie wieder sehen werde. Ich war seine Frau, aber du warst sein ältester Freund. Du kennst ihn seit vierzig Jahren. Komm herein! Bitte!»

«Du verstehst nicht.» Seine Stimme brach. «Etwas ist schief gegangen. Du wirst mir das nie verzeihen.»

«Was meinst du damit?»

Er konnte sie nicht ansehen. «Ich habe deine Anzahlung für die Black Ridge Farm überwiesen.»

Alex starrte ihn an. «Du meinst … ich habe sie gekauft?»

Er nickte, kummervoll. «Ich habe unterschrieben. Ich weiß, du hast mir gesagt, ich sollte warten, weil du noch nichts von Robert gehört hattest, aber …»

«Ich will die Farm nicht mehr, nicht für mich alleine.»

Er schien sie nicht zu hören. «Ich habe gedacht, du zierst dich nur, und habe befürchtet, wenn ich mich nicht beeile, dann bekommt Robert die Farm nicht vor seinem Urlaub. Ich hätte es ruhig angehen lassen sollen. Aber ich wollte Robert nur helfen.»

«Hugh, du hast in meinem Auftrag gehandelt, nicht in Roberts. Das Haus sollte auf meinen Namen laufen. Robert hat dir gesagt, du sollst dich nach meinen Anweisungen richten.» Sie musste schreien, damit er sie hörte.

Er starrte sie an.

«Ich kann mir jetzt nicht mehr leisten, das Haus zu kaufen», fuhr sie fort. «Das weißt du auch. Aus dem Schlamassel musst du mir auch wieder heraushelfen.»

«Würde ich, wenn ich könnte», sagte er kleinmütig. «Lady Rosemarys Anwälte bestehen darauf, dass du innerhalb von drei Wochen den vereinbarten Betrag überweist, sonst verlierst du die Anzahlung, und sie verklagen dich.»

«Aber ich kann den Rest des Geldes nicht aufbringen, selbst wenn ich wollte. Das wirst du schon zahlen müssen.»

«So viel habe ich nicht, Alex.» Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. «Meine Partner haben meine Gewinnbeteiligung gekürzt, und um Natalya auszuzahlen, muss ich sogar mein Haus verkaufen.»

Sie konnte immer noch nicht fassen, was er angerichtet hatte. «Deine Probleme interessieren mich nicht. Gestern hast du mir erzählt, es sei alles in Ordnung und Lady Rosemary lasse mir ihr Beileid ausrichten.»

«Ich habe versucht, sie zu überreden, den Handel rückgängig zu machen.»

«Du hast mich also angelogen?»

«Ich habe gehofft, dass sie ihre Meinung noch ändert. Ich habe ihre Anwälte angerufen, sobald ich das mit Robert wusste, aber sie hatte schon ein anderes Haus gekauft.»

«Du willst damit sagen, dass du schon Bescheid wusstest, als Robert … starb?», fragte sie zornig. «Warum, zum Teufel, hast du mich nicht früher gewarnt? Lieber Gott, und was mache ich jetzt?»

«Du wirst mich verklagen müssen.»

«Das mache ich auch, Hugh, das kannst du mir glauben.»

«Kein Problem.» Er ließ die Schultern hängen. «Ich werde zugeben, dass ich gegen deine Anweisungen gehandelt habe. Ich bin versichert.»

«Und wenn du es nicht wärst! Du hättest tun sollen, was ich dir gesagt habe.»

«Es tut mir sehr Leid.»

«Das genügt mir nicht!» Alex schloss die Haustür auf, marschierte ins Haus und ließ die Tür hinter sich zuknallen. Der Aufzug war besetzt, aber sie wartete nicht, sondern rannte die Treppe hoch und flüchtete sich in ihre Wohnung.

Zuerst rief sie Emma an, aber die war nicht da, deshalb hinterließ Alex eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Dann versuchte sie es bei Douglas, doch der war mit Isobel im Theater. Während sie darauf wartete, dass einer der beiden zurückrief, lief sie in der Wohnung hin und her und wütete innerlich gegen Hugh. Er hatte sie stets als Eindringling betrachtet und in Erinnerungen an gemeinsame Ferien mit Robert und Judith geschwelgt, während Alex stumm und vor Wut kochend dabeigesessen hatte. Robert war das jedoch nie aufgefallen, weil er mit seinen Gedanken ohnehin weit fort war.

Douglas rief an. «Wie geht es dir?»

«Bin verzweifelt. Ich brauche deinen Rat.» Zu aufgeregt, um sich hinzusetzen, erzählte Alex von der Black Ridge Farm und Hughs Eigenmächtigkeit. «Robert wollte das Geld, das sein Vater ihm hinterlassen hat, in das Haus stecken und den Rest mit einer Hypothek auf meinen Namen und seiner Bürgschaft bezahlen», erklärte sie. «Aber jetzt muss der Besitz seines Vaters zwischen allen Erben aufgeteilt werden. Ich kann mir das Haus nicht leisten, und ich will es auch nicht, nicht … nicht alleine.» Sie begann zu weinen, ganz leise.

«Du musst dir keine Sorgen machen», sagte Douglas und hätte sie am liebsten tröstend in den Arm genommen. «Hughs Verhalten ist unverzeihlich, außerdem kannst du solche Probleme im Augenblick wirklich nicht brauchen. Ich werde mich darum kümmern. Hugh hat sein Verschulden ja eingestanden.»

«Ich habe Robert immer wieder gesagt, dass Hugh nichts taugt, aber sie waren alte Freunde, und Robert hatte Mitleid mit ihm. Er hat eine Ewigkeit versucht, Hugh vom Trinken abzubringen.»

«Ich … äh … sicher.» Douglas hatte bemerkt, dass seine Frau in Hörweite war.

«Mir ist das alles zu viel.» Alex lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. «Am liebsten würde ich Hugh einfach umbringen.»

«Mach dir keine Sorgen! Hughs Versicherung wird den Schaden ersetzen, die Anwaltskammer wird den Fall untersuchen, und mit ein bisschen Glück fliegt er.»

«Was … endgültig?»

«Ja, und das ist auch gut so. Ich weiß zufälligerweise, dass seine Partner mit ihrer Weisheit am Ende sind, was seine Trinkerei angeht. Sie haben ihn in einer Klinik angemeldet, aber da ist er nie aufgekreuzt. Er war ein ganz ordentlicher Anwalt, aber mittlerweile ist er eine Belastung.»

Alex war still. Sie dachte an Robert.

Ihr Schweigen überraschte Douglas. «Ist es nicht das, was du willst? Vor ein paar Minuten hättest du ihn doch am liebsten noch umgebracht.»

«Ja, natürlich.»

«Er hat es verdient, Alex.»

Sie sagten einander gute Nacht.

Zu müde, um sich auszuziehen, legte sich Alex auf Roberts Seite des Bettes und verbarg ihr Gesicht in seinem Kissen. Sie schloss die Augen, atmete seinen Duft ein und versuchte so zu tun, als läge er neben ihr.

Nach ein paar Stunden wachte sie auf, blieb liegen und dachte zurück: an Roberts ersten Anruf, zwei Tage nach der Konferenz: ihr erstes Mittagessen, an einem Samstag Anfang Dezember. Sie waren in einem Restaurant am Sloane Square gelandet, das von Leuten mit Weihnachtseinkäufen bevölkert war, das einzige, in dem sie noch einen Tisch bekommen hatten, weil Robert versäumt hatte, einen zu reservieren. Er starrte die anderen Gäste wütend an, und Alex fragte sich, was sie an diesem schwierigen, wortkargen Mann nur gefunden hatte.

Sie verließen das Restaurant, ohne sich Zeit für den Kaffee zu nehmen, blieben auf dem Bürgersteig stehen, um sich zu verabschieden und womöglich nie wieder zu sehen, als Hugh, mit Weihnachtseinkäufen beladen, vorbeigekommen war.

Er blieb stehen, als er Robert entdeckte. «Ich dachte, du wärst bei den Kindern», sagte er mit einem neugierigen Blick auf Alex.

«Dieses Wochenende nicht.» Robert stellte ihn Alex vor. «Hugh Pencombe. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Hugh überlässt mir freundlicherweise sein Haus, wenn ich in London bin.»

Die drei unterhielten sich ein paar Minuten, dann setzte Hugh seinen Weg fort. Alex und Robert gingen zusammen weiter, sie mussten sich bewegen, um nicht zu frieren. Sie kamen an einem Buchladen vorbei, und Alex erzählte von ihrem Vater, einem Geschichtslehrer, dessen lebenslanger Ehrgeiz es war, die ultimative Napoleonbiographie zu schreiben.

«Und, hat er es geschafft?»

«Er ist gestorben, als ich fünfzehn war. Damals haben wir entdeckt, dass er nur fünf Kapitel geschrieben und Hunderte von Seiten mit Notizen gefüllt hatte.»

«Waren Sie empört?»

«Sehr.» Sie musste daran denken, wie ihr großer, bärtiger Vater an seinem Schreibtisch hockte und Vollkornkekse mit Marmite aß. «Es tat mir Leid für ihn, aber ich war auch wütend. Unser Leben hatte sich um dieses Buch gedreht. Wir sind nie in Ferien gefahren.» Sie lächelte bedauernd. «Ich habe immer noch Schuldgefühle, weil ich so wütend war.»

Robert war voller Verständnis.

Sie gingen zum Fluss und spazierten am Ufer entlang. «Es ist schwer, ein Elternteil zu verlieren, wenn man jung ist», sagte Robert. «Deshalb helfe ich auch gerne Waisenkindern.»

Sie spürte, dass er aus eigener Erfahrung sprach. «Wen haben Sie denn verloren?»

«Meine Mutter, als ich zwölf war. Wenn ich an sie denke, ist es Sommer und ihr Haar schimmert in der Sonne. Nach ihrem Tod nahm mein Vater eine Stelle im Ausland an und ich wurde aufs Internat geschickt. Gott, war das kalt! Da habe ich dann Hugh kennen gelernt. Ich konnte zu Weihnachten nirgendwo hin, nur zu einer entfernten Tante, deshalb hat er mich zu sich nach Hause eingeladen. Für dieses Weihnachtsfest werde ich stets in Hughs Schuld stehen.» Robert zögerte, bevor er fortfuhr: «Judith ist Hughs kleine Schwester.»

Sie überquerten die Chelsea Bridge und gingen im Battersea Park unter den winterlichen Bäumen spazieren.

«Ich habe schon seit Jahren nicht mehr über meine Mutter gesprochen», sagte er, als sie am Ende ihrer Straße angekommen waren.

«Ich spreche auch selten über meinen Vater.» Sie zeigte auf ihr Haus. «Da wohne ich. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?»

Er lächelte. «Meinen Sie den Kaffee, den ich im Restaurant hätte bestellen sollen, wenn ich nicht so schlechte Laune gehabt und Sie auf die Straße gezerrt hätte? Ja, sehr gerne.»

Zwei Tage später wurden sie ein Liebespaar.

Jetzt, sieben Jahre später, lag Alex im Bett, und Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Das Telefon klingelte. Sie nahm den Hörer ab.

«Ich bin’s», sagte Emma. «Ich hätte schon gestern Abend zurückgerufen, aber ich bin erst sehr spät nach Hause gekommen. Wie geht’s?»

«Ich schwanke zwischen Kummer und Verzweiflung. Ich brauche deinen Rat.» Alex hörte Emmas zweites Telefon klingeln. «Aber du hast zu tun. Ich kann warten.»

Emma sah in ihren Terminkalender. «Lass uns heute Mittag zusammen essen. Wo sollen wir uns treffen?» Sie wollte Alex nicht aus der Leitung werfen, aber sie hatte noch Hunderte von Anrufen zu erledigen und eine Konferenz mit ihren Partnern vor sich.

Alex wäre lieber zu Hause geblieben, doch der Weg war zu weit für Emma. «Covent Garden. Unser altes Lieblingslokal.»

«Gute Idee. Bis dann. Um eins.» Emma legte den Hörer auf.

 

Kurz vor eins ging Alex über das Pflaster von Covent Garden. In Hughs Schuld … in Hughs Schuld. Warum musste sie ausgerechnet jetzt daran denken?

Die Sonne schien. Es war der erste heiße Tag im Jahr und die Tische im Freien waren besetzt, von Männern, deren winterlich weiße Arme aus aufgerollten Hemdsärmeln hervorschauten, und Frauen in ärmellosen Blusen, die ihre Kostümjacken über die Stuhllehnen gehängt hatten. Doch Alex fand es kalt. Sie zitterte in ihrer Wolljacke.

An der Tür zum Restaurant blieb sie unsicher zögernd stehen. Das Lokal war bis zum letzten Tisch besetzt und Emma nirgendwo zu entdecken. Das ohrenbetäubende Stimmengewirr irritierte Alex. Sie war schon oft hier gewesen, doch heute kam ihr alles anders vor. Sie fühlte sich fremd, beziehungslos.

«Alex! Hier bin ich!» Emma winkte von einem der hinteren Tische.

Erleichtert bahnte sich Alex ihren Weg durchs Restaurant.

Emma stand auf. Sie trug ein figurbetontes flaschengrünes Kostüm, eine Nummer zu klein, wie die meisten ihrer Kleidungsstücke. «Ich habe unseren Lieblingswein bestellt und bin dir schon ein Glas voraus», sagte sie und umarmte Alex fürsorglich. «Setz dich. Du siehst müde aus.» Sie schenkte Alex ein. «Ich hätte zu dir nach Hause kommen sollen. Warum hast du das nicht vorgeschlagen?»

«Weil du arbeiten musst und es mir ganz gut tut, mal rauszukommen.»

«Stimmt.» Emma war froh. Sie hatte schon befürchtet, Alex würde sich in ihrem Kummer vergraben. Sie reichte ihr die Speisekarte. «Lass uns etwas Ordentliches bestellen. Ich wette, du isst nicht richtig. Nimm den pochierten Lachs. Den hast du doch immer gemocht.»

«Eigentlich habe ich keinen Hunger.» Vom Essensgeruch wurde Alex übel.

«Du musst aber essen.» Emma winkte dem Kellner und bestellte Wildlachs für zwei und Mousse au chocolat als Dessert.

«Für mich bitte keinen Nachtisch», sagte Alex bestimmt.

«Aber du musst zu Kräften kommen.»

«Ich brauche Arbeit.»

«Aber sicher, irgendwann.» Emma lächelte beruhigend. «Ich hab dich immer für eine gute Planungschefin gehalten. Du hast Ideen und kannst kalkulieren. Die Stellen sind zwar dünn gesät, aber ich kann mich mal umhören und …»

«Ich brauche sofort Geld.»

«Und warum die Eile?»

«Weil etwas Schreckliches passiert ist.» Alex schilderte Hughs Besuch.

«Das ist ja entsetzlich», sagte Emma, als Alex fertig war. «Du Arme! Das ist wirklich die Höhe!»

Alex nickte. «Entweder ich schreibe die Anzahlung ab und riskiere ein Verfahren um den Rest, oder ich bemühe mich, die Summe von hundertvierzigtausend Pfund aufzubringen, um die Farm zu kaufen und gleich wieder abzustoßen.»

Der Kellner brachte ihren Lachs. Emma wartete, bis er gegangen war. «Aber du kannst Hugh doch regresspflichtig machen. Warum haben wir daran nicht gleich gedacht? Er hat seinen Fehler doch zugegeben, und selbst wenn nicht …»

«Das kann ich nicht.»

«Aber natürlich. Er hat deinen Anweisungen zuwidergehandelt. Ich bin erstaunt, dass Douglas das nicht vorgeschlagen hat.»

«Hat er», sagte Alex ruhig. «Hugh übrigens auch. Aber ich kann ihn nicht verklagen. Robert wäre entsetzt. Bei einem Rausschmiss würde Hugh seine Existenzgrundlage verlieren. Ich kann Roberts ältesten Freund nicht ruinieren.» Sie legte ihr Besteck hin: Sie mochte nichts essen.

«Alex, solche Großzügigkeit kannst du dir nicht leisten. Dann soll Hugh dir den Schaden wenigstens aus eigener Tasche ersetzen.»

«Würde er, wenn er etwas hätte, aber er ist pleite.» Alex schaute auf den Tisch, damit Emma nicht sah, dass ihr Tränen in die Augen traten. «Jetzt weißt du, warum ich Arbeit brauche.»

«Ich wünschte, du könntest zu Rent-Event zurück, aber wir haben im Augenblick nichts frei.»

«Aber Emma, ich bitte dich, ich meinte doch nicht, dass du mich einstellen sollst.»

«Das weiß ich ja, aber ich wünschte trotzdem, ich könnte dir helfen. Ich werde meine Denkkappe aufsetzen, ein paar Anrufe tätigen und sehen, ob ich etwas höre. Und ich werde Dominic, meinen Partner, fragen. Der kennt Hinz und Kunz.»

Alex zwang sich zu einem Lächeln. «Danke. Da fällt mir Prag wieder ein. Wer ist noch gleich der Kunde?»

Sie sprachen über Rent-Event, bis der Kellner die Rechnung brachte.

«Du bist eingeladen», sagte Emma und zückte ihre Kreditkarte.

«Das nächste Mal, wenn ich wieder Arbeit habe, lade ich dich ein.»

Sie traten auf den Platz hinaus, den die meisten mittäglichen Besucher inzwischen wieder verlassen hatten. Als sie sich verabschieden wollten, kam ihnen Douglas mit einer Aktentasche in der Hand entgegengeeilt.

«Hallo, ihr beiden. Alex, wie geht’s?» Er legte ihr den Arm um die Schulter. «Emma hat mir erzählt, ihr würdet euch hier treffen, deshalb dachte ich, ich komme mal vorbei.»

«Alex hat mir gerade von Hughs Schandtat berichtet», sagte Emma.

«So ein Mistkerl! Man sollte ihn feuern!»

Alex stand da wie ein Kind zwischen Eltern, die über seinen Kopf hinweg seine Zukunft planten. «Ich hätte dich nach dem Essen angerufen, Douglas», sagte sie. «Ich habe nämlich heute morgen beim Aufwachen festgestellt, dass ich nicht gegen Hugh klagen kann.»

«Natürlich kannst du. Du musst es tun.»

«Meine ich auch», sagte Emma.

Douglas bemerkte Alex’ Gesichtsausdruck und warf Emma einen raschen, beschwichtigenden Blick zu. «Ich finde, du solltest keine übereilten Entscheidungen treffen», sagte er besänftigend. «Warum schläfst du nicht noch einmal darüber, und wir unterhalten uns dann morgen.»

Alex durchschaute seine Taktik und hätte am liebsten geweint, denn Douglas wollte ja nur ihr Bestes, dabei gab es nichts … aber auch gar nichts, das ihr helfen konnte. Robert war tot. Daran war nicht zu rütteln. Niemand konnte die Zeit auf den Sekundenbruchteil zurückdrehen, bevor sein Reifen die Landmine berührt hatte. Sie verabschiedete sich und eilte mit gesenktem Kopf davon.

Douglas wäre ihr am liebsten nachgelaufen, hätte die Arme um sie gelegt und sie getröstet, doch er machte sich zu seinem nächsten Termin auf.

4

Alex ging den ganzen Weg zu Fuß nach Hause, am Fluss entlang und durch den Park. Es war ein herrlicher, sonniger Nachmittag, die Bäume prangten in frischem Grün, doch sie nahm nichts davon wahr. Hier war sie an jenem ersten Nachmittag mit Robert spazieren gegangen. In ihrer Tasche summte das Handy. Es war Douglas.

«Ich bin jetzt wieder im Büro und wollte nur wissen, ob du gut nach Hause gekommen bist», sagte er.

«Ich bin noch im Park, aber gleich bei mir.» Sie ging beim Sprechen langsamer.

«Bist du den ganzen Weg zu Fuß gelaufen?»

«Ja. Ich will müde werden, damit ich schlafen kann. Allerdings bin ich inzwischen auch zu einem Entschluss gekommen.»

«Was Hugh angeht?», fragte Douglas, in der Hoffnung, dass sie zur Vernunft gekommen wäre.

«Nein. Was die Black Ridge Farm betrifft. Ich werde mich bei Roberts Bank erkundigen, wie teuer ein Kredit wird, bis ich die Farm wieder verkaufen kann.»

«Alex, dazu würde ich dir wirklich nicht raten. Das ist doch viel zu riskant.»

Sie blieb stehen. «Meine Wohnung würde ich auch nie aufs Spiel setzen, aber bei dem Farmhaus ist das Risiko minimal. Die Immobilienpreise steigen, sogar in Wales.»

«Sie könnten auch wieder fallen. Und was dann? Dann geht die Farm an die Bank.»

«Dann wäre ich auch nicht schlimmer dran als jetzt. Mir droht dann zwar immer noch der Verlust meiner Anzahlung, aber wenn ich mich jetzt nicht beeile, bin ich sie mit Sicherheit los. So habe ich immerhin eine Chance, mein Geld wiederzubekommen.»

Das andere Telefon in seinem Büro klingelte.

Er verfluchte die Störung. «Ich muss jetzt auflegen. Lass uns das Ganze später durchsprechen.»

Sie wusste, er hatte noch nicht aufgegeben.

Alex schloss die Haustür auf. Auf dem Tisch in der Eingangshalle lagen weitere Briefe. Sie nahm sie mit und ging zum Aufzug.

Die Türen öffneten sich, und Colonel Eynsham, der im Stockwerk über ihr wohnte, trat heraus.

«Hallo, Alex. Das mit Ihrem Mann tut mir wirklich Leid. Bewundernswerter Bursche. Schrecklicher Schock für Sie, meine Liebe. Krieg ist eine schlimme Sache. Ich erinnere mich noch an den letzten. Meine Frau und ich sind in Gedanken bei Ihnen.»

«Danke, Colonel Eynsham.»

Er klopfte ihr auf die Schulter. «Sie brauchen unseren Brief nicht zu beantworten. Sie haben bestimmt mehr als reichlich bekommen. Aber ich muss mich beeilen. Ich nehme an, zur Eigentümerversammlung heute Abend werden Sie nicht erscheinen?» Voller Verlegenheit angesichts ihres Kummers eilte er davon.

Alex war froh, als sie wieder in ihrer Wohnung war. Sie ließ die Briefe auf den Tisch fallen. Das rote Licht des Anrufbeantworters blinkte heftig. Sie drückte auf die Abspieltaste und lauschte. Ihre Mutter, Ingrid, Jacques, Louise füllten den Raum mit ihrem Beileid. Alex spielte die Mitteilungen ein zweites Mal ab, nur um die Stimmen zu hören. Dann setzte sie sich mit einem Taschenrechner und einem Blatt Papier hin, um sich einen Überblick über ihre Finanzen zu verschaffen.

 

Zu ihrem Termin bei der Global Aid Bank trug Alex ein marineblaues Kostüm, das sie sich gekauft hatte, als sie Robert zu einer Weltgesundheitskonferenz in New York begleitet hatte.

Ein uniformierter Portier ließ sich ihren Namen nennen, und einen Augenblick später erschien eine Sekretärin. «Mrs. Stapleton, kommen Sie bitte mit.»

Mr. Lockers, der Leiter der Kreditabteilung, erhob sich von seinem Schreibtisch mit der Lederauflage, als Alex in sein Büro geführt wurde. Er war ein stämmiger Mann mit einem überraschend jungen Gesicht.

«Mrs. Stapleton, mein herzlichstes Beileid.» Er schüttelte Alex die Hand und versuchte seinen Schrecken über ihr verändertes Aussehen zu überspielen. Er hatte sie einmal kurz gesehen und als attraktive, lebhafte junge Frau in Erinnerung. Er wusste noch, wie sehr er Robert Stapleton beneidet hatte.