Unter der Sommerlinde von Gourdon - Susanne Morel - E-Book

Unter der Sommerlinde von Gourdon E-Book

Susanne Morel

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Beschreibung

"Unter der Sommerlinde von Gourdon" von Susanne Morel entführt auf eine Kräuterfarm in die Provence in den 30er Jahren und schildert das spannende Leben einer mutigen Krankenschwester. Provence, 1935. Manon lebt für ihren Beruf als Krankenschwester. Nicht immer stößt sie mit ihrem Engagement bei den Vorgesetzten auf Zustimmung und muss sich mit ungerechtfertigten Demütigungen auseinandersetzen. Unweit des Anwesens ihrer Eltern trifft sie eines Abends auf Léandre, der dort eine Kräuterfarm bewirtschaftet. Umgeben vom würzigen Duft seiner Gewürzfelder erlebt sie ihre Heimat ganz neu und lässt den Traum von einer gemeinsamen Zukunft mit Léandre entstehen. Als Manon unerlaubt einen totkranken deutsch-jüdischen Jungen ins Krankenhaus schleust, kommt es zum Skandal, und Manon wird aus dem Dienst entlassen. Ihre hart erarbeitete Unabhängigkeit scheint in Stücke zu zerfallen. Doch dann bietet sich ihr eine Gelegenheit, die alles verändern könnte und Manon fragt sich, wie weit sie bereit ist, ihren Traum zu gehen …   Ein historischer Roman über eine junge Frau, die ihren eigenen Weg sucht - und die Liebe findet.  Vor dem Hintergrund des heraufziehenden 2.Weltkriegs verströmt dieser inspirierende Roman den Duft von Thymian und Rosmarin. Susanne Morel ist die Autorin der spannenden historischen Familiensaga "Die Pfirsichblütenschwestern". 

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Seitenzahl: 479

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Susanne Morel

Unter der Sommerlinde von Gourdon

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Inhaltsübersicht

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Danksagung

Prolog

Gourdon, Oktober 1921.

Es war dunkel, und eigentlich durfte Manon zu dieser Zeit nicht allein in den Park. Aber heute ließ sie sämtliche Verbote hinter sich und konzentrierte sich auf die Suche nach Heilkräutern.

Sie glaubte, sich zu erinnern, in einem Lehrbuch aus der Schulbibliothek von den Heilkräften des Rosmarins gelesen zu haben.

»Entzündungshemmend, schmerzstillend, anregend«, zählte sie die aufgeführten Wirkungsbereiche auf und hielt dabei ihre Laterne hoch, um den schwachen Schein der Kerze bestmöglich zu nutzen.

»Verwendung als Heilkraut«, fuhr sie fort, »bei Herzschwäche, Atemnot, Kreislaufschwäche.«

Dann schloss sie die Augen und versuchte, sich jedes Detail der farbigen Skizze in Erinnerung zu rufen. Die Nadeln der Pflanze waren an der Oberfläche dunkelgrün und an der Unterseite grau. Rosmarin wuchs als immergrüner Strauch und gedieh an sonnigen, warmen Plätzen.

Manon blickte hoch zu den Baumwipfeln, die sich im Mondlicht scheinbar sanft in den Schlaf wiegten. Hier würde sie keinen Rosmarin finden, nicht mitten im Park. Ein schwerer Seufzer kam aus ihrer Kehle und verklang zwischen den nachtschwarzen Baumstämmen. Warum nur hatte sie sich nicht bei Tageslicht auf die Suche gemacht?

Großmutter war krank, lag im Bett und fand seit Tagen nicht die Kraft, um aufzustehen. Der Arzt hatte mit bedrückter Miene den Kopf geschüttelt und seine Hand auf Vaters Schulter gelegt. Ihr, Manon, hatte man nichts gesagt. Wie immer. Sie war ja schließlich ein Kind, gerade einmal acht Jahre alt, zu jung, um das Leben zu verstehen – oder den Tod.

Manon ließ den Park hinter sich und hastete über die mondbeschienene Wiese, die sich silbrig schimmernd vor ihr ausbreitete. Kurz dachte sie an die vielen Schmuckstücke, die die Großmutter in einer Schatulle verwahrte wie einen Schatz, und die sie ihr nur an ganz besonderen Tagen zeigte oder ihr sogar erlaubte, etwas anzuprobieren. Dann standen sie gemeinsam vor dem Spiegel und bewunderten die schweren Ketten an Manons zierlichem Hals.

Für einen Moment glaubte Manon, das herzhafte Lachen ihrer Großmutter zu hören, und hielt inne. Nein, da war nichts. Nur der schaurige Ruf eines Waldkauzes, der aus den Tiefen des Parks zu ihr herüberklang. Sie schüttelte den Kopf und machte sich weiter auf die Suche nach dem Rosmarin. Ihre Schritte wurden länger, als der kleine Gemüsegarten in ihr Blickfeld rückte.

Die Haut der letzten Kürbisse glänzte im Schein der Laterne. Hinter den Blättern von Sellerie und Roter Bete entdeckte sie, an eine kleine Steinmauer geschmiegt, wonach sie suchte. Vom langen Sommer und der Ernte ausgezehrt, waren es nur noch ein paar dürre Zweige, die auf sie warteten. Aber die würden bestimmt genügen. Hastig brach sie ein paar davon ab und rannte erleichtert zurück ins Haus. Den Rosmarin trug sie wie eine Trophäe in ihrer Linken und strahlte dabei, als hätte sie Großmutters Krankheit bereits besiegt.

Im Haus angekommen, stellte Manon die Laterne ab und kümmerte sich nicht um ihre schmutzigen Schuhe, sondern stürmte sofort die Treppe hoch.

Kurz vor Großmutters Schlafzimmer verlangsamte sie ihre Schritte und holte tief Luft. Der frische, harzige Geruch des Rosmarins stieg ihr in die Nase und klärte ihre Gedanken.

Leise, um die Großmutter nicht zu wecken, drückte sie die Türklinke hinunter und öffnete die Tür gerade so weit, um hindurchschlüpfen zu können.

Am Krankenbett dann blickte sie auf das Gesicht ihrer schlafenden Großmutter, das im Schein der Kerzen beinahe leblos wirkte. Die Falten um Mund und Augen hatten sich im Verlauf der Krankheit tiefer eingegraben, ließen die lieb gewonnenen Züge verhärmt wirken.

»Jetzt wird alles gut, das verspreche ich dir«, flüsterte Manon kaum hörbar und drapierte die Rosmarinzweige um den Hals ihrer Großmutter. So konnte sie den heilenden Geruch einatmen und schnell wieder gesund werden.

Erleichtert setzte Manon sich an die Bettkante. Sie würde hierbleiben und für den Rest der Nacht Wache halten. Und morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster fielen und Großmutters unzählige Porzellanfiguren und Vasen aufblitzen ließen, dann wäre auch der letzte Rest von Sorge verschwunden.

Großmutter würde sie anlächeln und ihr mit den warmen, trockenen Händen über die Wange streicheln. Dann würde es nicht mehr lange dauern, und sie könnte das Bett verlassen, um ihrem gewohnten Tagesablauf nachzugehen. Sie würden wieder ihre gemeinsamen Spaziergänge durch den Park unternehmen, ins Dorf gehen, um in der Kirche zu beten, in Büchern schmökern und frisch angerührten Kakao schlürfen.

Nein, es würde gewiss nicht mehr lange dauern, das wusste Manon. Die Sorge um ihre grand-mère fiel von ihr ab und machte einer schweren Müdigkeit Platz. Gerne hätte sie die Augen offen gehalten, um die fortschreitende Heilung zu beobachten, zuzusehen, wie Großmutters Haut langsam an Farbe gewann, ihr Brustkorb sich wieder kräftiger hob und senkte und ihre Gesichtszüge zum Leben erwachten. Den Kampf gegen den Tod hätte sie gewonnen, da war sie sicher, aber die Müdigkeit war einfach zu schwer, zu drückend. Manon ergab sich, kuschelte sich eng neben ihre Großmutter und schloss die Augen.

 

»Manon, was machst du hier? Bist du verrückt?« Die schrille Stimme ihrer Mutter riss sie aus ihrem Traum. Eben war sie noch auf Wolken geflogen und hatte auf die Welt hinabgeblickt, und nun spürte sie Mutters harten Griff an der Schulter.

»Steh sofort auf.«

Manon gehorchte und verließ das Bett. Während sie sich streckte, blickte sie zu ihrer Großmutter. Ihr Gesicht hatte sich über Nacht verändert. Es war wie eingefallen, die Haut wirkte wächsern, der Ausdruck erstarrt.

»Lieber Gott, steh mir bei!« Die Mutter eilte aus dem Zimmer, lief die Treppe hinunter und rief hysterisch durchs Treppenhaus nach ihrem Mann. Während die Stimme ihrer Mutter stetig leiser wurde, wurde die Stille um die Großmutter immer lauter.

Konnte es sein, dass sie tot war? Nein, das war doch gar nicht möglich. Manon streckte die Hand aus und griff nach einem der vertrockneten Rosmarinzweige. Dann strich sie mit den Fingerspitzen über Großmutters Wange. Sie war kalt. Erschrocken zog sie die Hand zurück. Es war, als läge auf dem Bett nicht mehr der Mensch, der sie seit ihrer Geburt getragen, getröstet, geliebt und umarmt hatte, sondern eine Puppe aus Porzellan.

Plötzlich kam ihr die nächtliche Suche nach dem Rosmarin lächerlich vor. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Hatte sie tatsächlich geglaubt, den Tod mit ein paar Zweigen überlisten zu können? Dass ihr Wissen über die Heilkraft der Kräuter größer war als die überirdische Macht über Leben und Tod? Nur weil sie vor ein paar Wochen in einem Buch über die Wirkungsweise von Rosmarin gelesen hatte, machte das noch lange keine Heilerin aus ihr. Sie war ein dummes kleines Mädchen, das niemand ernst nahm – zu Recht.

Tränen perlten über ihre Wange und tropften auf die erkaltete Hand der Großmutter.

Das spürt sie nicht mehr, dachte Manon und schüttelte den Kopf, weil dieser Gedanke so unbegreiflich groß war, dass er sich im gesamten Raum ausbreitete und sich in den Furchen des rustikalen Bodens festkrallte und den Porzellanfiguren jeden Glanz raubte.

Das spürt sie nicht mehr, wiederholte sie in Gedanken und ließ die Schultern hängen.

Es war ihre Schuld. Diese Erkenntnis traf sie wie eine von Mutters scharfen Ohrfeigen, wenn sie die Klavierstunde geschwänzt hatte, um stattdessen durch den Park zu laufen und auf Bäume zu klettern.

Sie, Manon, hätte ihre Zeit in der Bibliothek zubringen müssen, um zu erforschen, welche Arznei einem altersschwachen Herz auf die Sprünge half. So viel Zeit, die sie mit Märchenbüchern vergeudet hatte. So unsagbar viel verlorene Zeit.

Ihre Sicht trübte sich, und Großmutters Gesicht verschwamm hinter einem Vorhang aus Tränen.

Vater kam ins Zimmer gestürmt und beugte sich über den Leichnam. Er schluchzte, vergrub sein Gesicht an ihrer Brust und weinte um seine Mutter.

In diesem Moment wurde Manon bewusst, dass sie nicht nur ihre Großmutter im Stich gelassen, sondern ihren Vater gewiss zutiefst enttäuscht hatte.

Manon griff sich an die Kehle, die wie zugeschnürt war. Sie musste weg, hinaus an die frische Luft. Ein letztes Mal blickte sie auf den Leichnam ihrer grand-mère, dann eilte sie aus dem Zimmer, über die Treppe hinunter und durch die schwere Eingangstür. Erst als sie draußen angekommen war und die Sonne ihre Tränen trocknete, fand sie ein wenig zu sich selbst zurück.

Noch nie zuvor hatte sie einen Leichnam gesehen. Und noch nie zuvor hatte sie einen Menschen verloren, der ihr am Herzen lag.

Erschöpft lehnte sie sich an die warme Hausmauer und blickte hoch zum Himmel. Ob ihre Großmutter jetzt dort oben war und auf sie herunterblickte? Ob sie böse war mit ihr, weil sie es nicht geschafft hatte, ihr zu helfen?

Ein lauter Schluchzer entfuhr ihrer Kehle und erschreckte ein paar Vögel, die fluchtartig aus den Büschen stoben.

Sie schloss die Augen und rief sich das liebevolle Lächeln ihrer Großmutter in Erinnerung. Dann sah sie hoch zum Himmel und schwor sich, dass ihr nie wieder ein derartiger Fehler unterlaufen durfte. Gleich morgen würde sie mit ihrem Vater nach Grasse fahren, um sich in der Bibliothek ein Buch auszuleihen, das vollgestopft war mit medizinischem Wissen. Sie würde die Begriffe inhalieren, sie aufsaugen und eins werden mit ihnen. Sie würde keine Gelegenheit verstreichen lassen, um sich Kenntnisse anzueignen, die Leben zu retten vermochten. Für Großmutter war es vielleicht zu spät, dennoch wollte sie sich nicht noch einmal den Vorwurf machen müssen, falsch gehandelt und damit ein Leben aufs Spiel gesetzt zu haben.

Mit hängenden Schultern schlenderte sie in den Park und suchte die Esche, die groß und mächtig in der Mitte der Anlage thronte und unter der sie und Großmutter gerne auf einer Decke geruht und gelesen hatten. Heute würde sie allein dort Platz nehmen und ein Lied singen, das sie beide geliebt hatten. Ganz leise nur, damit niemand sie hörte. Schließlich war der Gesang nur für ihre Großmutter bestimmt …

Kapitel 1

Manon

Grasse, Juni 1936.

Danke, dass Sie bis zum Schluss bei mir bleiben.« Die Stimme von Madame Delestre war kaum ein Flüstern, und doch bewirkten diese Worte ein verzweifeltes Herzrasen in Manons Brust.

»Nein!«, rief sie auf – viel zu laut für den düsteren Krankensaal, in dem sogar das flackernde Kerzenlicht um sein Leben zu kämpfen schien. Erschrocken schlug sie die Finger vor den Mund und lauschte in den Saal. Schnarchen in verschiedensten Tonlagen und Lautstärken, vereinzeltes Räuspern und Stöhnen – die üblichen Geräusche, die sie durch die Nachtschicht begleiteten.

»Nein!«, setzte Manon leiser nach. »Nicht jetzt, nicht heute!«

Ruckartig stand Manon von dem hölzernen Stuhl auf, auf dem sie in den letzten Tagen zu viele Stunden zugebracht hatte. Vorsichtig befühlte sie mit dem Handrücken Madame Delestres Stirn und griff dann nach dem Handgelenk, um den Puls zu kontrollieren. Erschrocken zog sie die Hand zurück.

»Ich hole Hilfe!«, flüsterte sie entschlossen und wandte sich von der Patientin ab. Ohne sich ein weiteres Mal nach ihr umzudrehen, eilte sie an den anderen Krankenbetten vorbei. Vorbei an Madame Peltiers Krankenlager, die vor vier Wochen einen Herzinfarkt erlitten hatte und noch immer zu schwach war, um aufzustehen. Vorbei am laut schnarchenden Monsieur Cailleau, der seit einem Sturz über die Kellertreppe mit Knochenbrüchen im Streckverband lag. Und vorbei an dem kleinen Antoine, der an einer unerklärlichen Atemnot litt und deshalb regelmäßig in Ohnmacht fiel.

An der Tür angelangt, stürmte sie hinaus in den spärlich beleuchteten Flur. Die Schwüle des Sommers war unaufhaltsam durch die dicken Mauern des Krankenhauses gedrungen und hatte sich hartnäckig bis unter die hohe Kuppel in der Krankenhauskapelle ausgebreitet.

Nach drei Jahren harter Ausbildung im Hôpital de Vincent fand sich Manon auch im spärlichen Nachtlicht in den verzweigten, verlassenen Gängen zurecht. Ihre eiligen Schritte hallten in den mit Säulen und Stuck verzierten Korridoren wider, und das Klappern ihrer zierlichen Sandalen klang wie die Marschschritte einer ganzen Legion.

»Dr. Tessier!« Manon klopfte vorsichtig und mit zitternder Faust an die Zimmertür des Oberarztes. Stille. Nur ihr Herzschlag, der gegen den Brustkorb trommelte, erinnerte an den inneren Aufruhr und die Angst, Madame Delestre könnte noch in dieser Nacht sterben.

»Dr. Tessier, hören Sie mich?«, fragte Manon eindringlich und hämmerte nun lautstark gegen die verschlossene Tür, in deren weißem Lack sich das schwache Licht der Deckenlampen spiegelte.

»Er ist nicht da!« Eine der Ordensschwestern lugte aus der Schwesternküche. Mit einer Hand hielt sie ihre Kaffeetasse, mit der anderen strich sie eine Haarsträhne unter ihre Haube. »Er ist in der Notaufnahme und behandelt einen Schwerverletzten.«

»Aber ich brauche ihn … Madame Delestre …« Manons Stimme zitterte.

»Rufen Sie ihn an! Bitte! Es geht um Leben und Tod«, flehte Manon und trat schnell an Schwester Lucile heran. Der Duft von frischem Kaffee dampfte ihr entgegen, flüsterte ihr zu, dass ihre letzte Pause schon viel zu lange zurücklag.

»Ich kann ihn unmöglich von einem Notfall wegholen. Das müsstest du eigentlich wissen – bist ja keine Lernschwester mehr.« Die Schwester nahm Manons Hand und drückte sie sanft. »Außerdem«, meinte die beleibte Lucile, »wird Dr. Tessier Madame Delestre nicht mehr helfen können. Niemand kann das. Am besten, du gehst zu ihr zurück und betest für sie.« Ein weiches Lächeln spielte um ihre Lippen – milde, fürsorglich, wissend. Dann verschwand sie wieder in der Schwesternküche und goss sich aus einem Kännchen ein wenig Milch in den Kaffee. Wie erstarrt verharrte Manon für einige Augenblicke im Flur und sah ihr zu. Mit einem zufriedenen Lächeln stellte die Schwester das Kännchen beiseite und nahm einen großzügigen Schluck aus ihrer roten Kaffeetasse.

Eine unbeschreibliche Fassungslosigkeit erfüllte Manon angesichts der Tatsache, dass die Ordensschwester derart gelassen am Tisch lehnte, während einige Gänge weiter eine Frau um ihr Leben kämpfte.

»Sobald ich fertig bin, komme ich und bete mit dir gemeinsam für die arme Madame Delestre. Ich brauche nur ein paar Minuten. Es war ein langer Tag – wie immer.«

Ja, Manon wusste, was Schwester Lucile meinte. Die Tage hier im Krankenhaus waren hart. Der Krankensaal fasste in etwa zwanzig Betten, die fast immer belegt waren. Die Patienten mussten gewaschen werden, viele auch gefüttert, Fieber war zu messen, Tabletten mussten ausgegeben, die Betten frisch bezogen werden, Verbände gewechselt, die Wäsche gereinigt und die Böden gewischt werden. Oberschwester Georgia legte Wert darauf, dass Morgen- und Abendgebetszeiten eingehalten wurden, und wenn dann noch Zeit übrig blieb, galt es, den Gemüsegarten zu pflegen oder den Innenhof zu kehren. Hier gab es keine festen Arbeitszeiten. Jede arbeitete, bis alles erledigt war.

An manchen Abenden fragte Manon sich, warum sie darauf bestanden hatte, sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Ihr Leben hätte weiß Gott einfacher sein können, wenn sie sich Mutters Wunsch gefügt hätte, einen wohlhabenden Mann zu heiraten. Dann könnte sie jeden Tag lange schlafen, später dann ein Kleid anziehen, welches ihr das Dienstmädchen zurechtgelegt hatte, würde sich das Haar legen lassen, das Frühstück würde man ihr in einem geflochtenen Körbchen reichen und den Tisch mit ihren Lieblingsblumen schmücken. Ihre Tage wären ausgefüllt mit einem Übermaß an Nichts. Sie könnte durch den Park flanieren oder in Marseilles teuersten Geschäften einkaufen. Und abends würde sie auf einer Feier ein paar Gläser Champagner zu viel trinken, damit sie die Leere der Tage irgendwie auffüllen und ihre Nutzlosigkeit wenigstens für eine kurze Weile vergessen könnte. Ihre Füße würden nicht schmerzen, und ihre Hände wären nicht rau und aufgesprungen. Aber wäre sie glücklich? Nein, keinen einzigen Augenblick. Sie würde an der Bedeutungslosigkeit ihres Lebens zerbrechen und ihr Spiegelbild hassen, weil es ihr eine Frau zeigte, die ihren Traum verraten hatte. Und ihr Traum war es nun einmal, Krankenschwester zu sein, Kranken zu helfen und sie aufopfernd zu pflegen. Sie musste sich nur in manchen Momenten an diesen lang gehegten Wunsch erinnern – dann ging es wieder.

»Nein, Madame Delestre braucht kein Gebet, sie braucht Dr. Tessier«, sagte Manon mehr zu sich als zu Schwester Lucile und wandte sich ab. Eilig schritt sie den Flur entlang. Schnell, immer schneller, sie hatte schon zu viel Zeit verloren. Mit der Linken hob sie ihren Rocksaum, der sich im Laufschritt an ihren Knien verhedderte und ihr Tempo drosselte.

Madame Delestre, ging es Manon durch den Kopf, Sie dürfen nicht sterben! Ihr Neugeborenes braucht Sie!

Sie erinnerte sich an das gequälte, verzerrte Gesicht der jungen Mutter während der Austreibungsphase. Wie unerträglich mussten die Schmerzen einer Geburt wohl sein? Manon wusste es nicht. Nur, dass Madame Delestre ihr Kind aufwachsen sehen sollte, das wusste sie. Es war nicht gerecht, dass ein Neugeborenes auf die warme Brust und die fürsorgliche Umarmung der Mutter verzichten musste.

»Dr. Tessier!« Im grellen Licht der Notaufnahme kniff Manon die Augen zu. Erleichtert, dass sie den Doktor gefunden hatte, griff sie sich an die Brust und gestattete sich ein lautes Seufzen.

»Was?« Diese Frage spuckte er förmlich über die Schulter zurück zu Manon. Mehr an Worten hatte er in diesem Moment nicht für sie übrig. Seine Hände waren blutverschmiert, ebenso sein Kittel. Mit gestrecktem Hals versuchte Manon zu erkennen, was sich hinter dem breiten Rücken des Arztes auf der Krankenliege abspielte.

»Madame Delestre hat hohes Fieber, und ihr Puls rast. Sie braucht Ihre Hilfe, wenn sie die Nacht überleben soll.« Manon knetete aufgeregt die Finger und kaute an der Unterlippe.

»Delestre?«, fragte Dr. Tessier.

»Die junge Frau, die vor wenigen Tagen entbunden hat. Sie klagt seit gestern über starke Schmerzen im Unterleib. Ihre Temperatur steigt stetig und lässt sich mit keinem herkömmlichen Mittel senken.«

»Herrgott, Linville! Hast du deine Ausbildung abgeschlossen, oder bist du noch eine kleine minderbemittelte Lernschwester, die sich von ihrem Taschengeld drüben im Ort billiges Parfum statt wichtiger Lehrbücher kauft?« Dr. Tessiers Stimme donnerte durch den gefliesten Raum wie ein Sommergewitter. »Was ist der Fachausdruck für das Fieber einer Wöchnerin?«, fragte er, ohne sich von seinem Patienten abzuwenden.

»Verzeihen Sie, Dr. Tessier, aber ich fürchte, für Ihre Fachsimpelei fehlt uns die Zeit.«

»Oh, glaub mir, ich habe Zeit. Schließlich habe ich hier bei diesem Raufbold noch einige tiefe Messerschnitte zu versorgen.«

»Puerperalsepsis«, zitierte Manon mit geschlossenen Augen. »Geht meist einher mit Schüttelfrost, Tachykardie, Benommenheit, Gebärmutterschmerzen und auffälligem Wochenfluss. Ansteckung erfolgt laut einer Studie von Professor Semmelweiß durch Bakterien und Pilze, die auf Hygienemangel bei der Entbindung zurückzuführen sein können.« Manon wusste, dass Tessier ihr keine Aufmerksamkeit widmen würde, solange sie seine Wünsche und Befehle nicht ausführte, also warf sie ihm sämtliche Einträge aus den Lehrbüchern zu, die ihr zum Thema Wochenbettfieber einfallen wollten. Zugleich wusste sie, dass die Zeit drängte und Madame Delestre in der Zwischenzeit allein auf den bevorstehenden Tod wartete.

»Wie hoch ist die Probabilität, dass eine an Puerperalsepsis erkrankte Patientin überlebt?« Dr. Tessier fasste nach einem frischen Tupfer und beugte sich tiefer über seinen Notfallpatienten, der unter jedem Stich ächzte wie ein alter Baum im Sturm.

Wie abgebrüht musste ein Mensch sein, wenn er trotz einer Notoperation und einer im Sterben liegenden Frau seine Macht an einer jungen Krankenschwester ausleben wollte? Ein Anflug von Wut erfasste Manon. Mit beiden Händen umfasste sie die Oberarme und blickte hinunter auf ihre weiße Schürze, deren Band sich eng an ihre Taille schmiegte.

»Madame Delestre hat vier Kinder, und ich möchte keinem von ihnen sagen müssen, dass ihre Mutter sterben musste, weil sich der diensthabende Arzt keine Zeit für sie nehmen wollte.« Manon atmete scharf ein und fuhr fort: »Finden Sie tatsächlich, dass dies der richtige Moment ist, um mein Wissen zu prüfen?« Sie hielt den Atem an und starrte auf Tessiers Rücken.

Als dieser die Tupferzange laut scheppernd auf das Instrumententablett warf, zuckte Manon zusammen.

»Der Ton, in dem du mit mir sprichst, gefällt mir nicht.« Mit wenigen Schritten überwand er die Distanz, die zwischen ihnen lag, und kam ihr dabei so nahe, dass sie den Eisengeruch des Blutes an seinen Händen riechen konnte. Instinktiv zog sie sich ein Stück zurück und bereute es schon, ihrem Vorgesetzten derart aufsässig die Stirn geboten zu haben. Und obwohl sie wusste, dass sie im Recht war, wich sie seinem Blick aus und starrte betreten zu Boden.

»Als diensthabender Arzt kann ich dir versichern, dass ich mir für alle Patienten Zeit nehme, die Hilfe benötigen.« Zwischen Tessiers Augenbrauen dominierte eine tiefe Falte die Stirn und ließ ihn noch bedrohlicher erscheinen als sonst. »Aber der Delestre ist nicht mehr zu helfen.« Fast glaubte Manon, im Blick des Arztes einen Funken Mitleid aufblitzen zu sehen. »Wenn du der Patientin etwas Gutes tun möchtest, dann hol dir eine der Ordensschwestern und lass sie an Delestres Bett beten.« Mit diesen Worten wandte er sich von Manon ab und widmete sich wieder seinem Patienten. Wortlos streckte Tessier die Hand aus und ließ sich von der assistierenden Schwester die Tupferzange reichen. Dann beugte er sich tief über den blutverschmierten Körper und setzte seine Arbeit fort.

Manon verweilte im Türrahmen und starrte auf das füllige schwarze Haar des Arztes, das ihm bis tief in den Nacken wuchs und das er bei jeder sich bietenden Gelegenheit zurechtstrich, als wäre es sein wertvollster Schatz. So überheblich Tessier auch war, seine Fähigkeiten als Arzt konnte man ihm nicht absprechen. Er war auf einigen Gebieten eine Koryphäe, sein Ruf eilte ihm weit voraus, und das kleine ländliche Krankenhaus durfte sich glücklich schätzen, einen Arzt wie ihn vorweisen zu können. Mit seinen Einschätzungen lag er fast ausnahmslos richtig, und das, obwohl er kaum fünf Jahre älter war als sie und sein Erfahrungsschatz weit unter dem der meisten Schwestern lag.

»Madame Delestre!«, entfuhr es Manon. Wenn Tessiers Vermutung stimmte – und davon musste sie ausgehen –, dann würde die Patientin die Nacht nicht überleben. Schnell machte sie sich auf den Weg zurück zum Krankensaal und hoffte inständig, dass die junge Mutter noch am Leben war.

Danke, dass Sie bis zum Schluss bei mir bleiben. Diese Worte hatte die Wöchnerin mit letzter Kraft geflüstert und dabei nach Manons Hand gegriffen. Und anstatt ihr den Wunsch zu erfüllen, hatte Manon fluchtartig das Krankenbett verlassen und Hilfe gesucht, die es nicht mehr gab. Tränen trübten Manons Blick, ihre Lippen bebten, ihr Herz raste. Erst als sie nach der Türklinke zum Krankensaal griff und diese kühl und glatt ihre Handfläche streichelte, hielt sie inne und atmete tief durch. Dabei rief sie sich in Erinnerung, was ihr die Ordensschwestern zum Thema Seelsorge und Sterbebegleitung auf den Weg mitgegeben hatten.

»Versuch, so ruhig wie möglich zu bleiben, selbst wenn du Angst hast und dich an einen anderen Ort wünschst«, hatte Oberschwester Georgia gesagt und sie dabei an der Hand gefasst. Ihre Vorgesetzte strahlte stets genau diese Ruhe aus, diese Gewissheit, dass sie für einen da war, dass sie bleiben würde, bis zum Ende. »Sei ganz und gar für den Sterbenden da, widme dich ihm mit voller Hingabe und Demut. Und bete!«

Manon schluckte schwer, dann öffnete sie die Tür und tauchte ein in die dämmrige Stille des Krankensaals.

Als sie an den belegten Krankenbetten vorbeiging, versuchte sie, das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle zu bringen. Doch die Angst, dass Madame Delestre während ihrer Abwesenheit verstorben sein könnte, war beklemmend.

Manon wollte es als gutes Zeichen sehen, dass die Flamme der Kerze auf Madame Delestres Nachtschränkchen noch lebhaft durch die Dunkelheit tanzte.

Am Fußende des Bettes hielt sie inne, lauschte und starrte auf den Brustkorb der Patientin. Die Flamme der Kerze ließ wilde Schatten über die weiße Decke zucken und erschwerte das Sichten eines Atemzugs.

»Bitte, lieber Gott, mach, dass sie lebt!«, flüsterte Manon, als sie auf dem Holzschemel Platz nahm und nach Madame Delestres Hand griff. Die Haut war kälter als zuvor. Die Stirn jedoch fühlte sich heiß an – glühend heiß. Schweißperlen glitzerten im spärlichen Licht. Die Gesichtszüge waren angespannt, so als plage Madame Delestre sich unter schwersten Bedingungen ab.

»Ich bin wieder hier«, sagte Manon und drückte die Hand der Kranken. Die Gesichtszüge der jungen Mutter wurden ein wenig weicher, und ganz leicht, kaum kräftiger als der Flügelschlag eines Schmetterlings, erwiderte sie Manons Händedruck.

Manon rückte ihren Stuhl näher ans Krankenbett und legte die zweite Hand an Madame Delestres Schulter. Strähnen ihres blonden Haares klebten an der Stirn, die Augen waren geschlossen, und Manon fragte sich, ob sie sie je wieder öffnen würde.

Seit dem Tag, an dem sie sich für den Beruf der Krankenschwester entschieden hatte, war ihr bewusst gewesen, dass sie Patienten in ihren letzten Stunden begleiten und verlieren würde, dass es Leiden gäbe, die sich mit keinem Medikament heilen ließen, dass das Schicksal an manchen Tagen mit unerklärlicher Härte zuschlagen würde. Und doch hatte sie sich bis zu diesem Augenblick nicht vorzustellen vermocht, wie es sich anfühlte, wenn man auf den finalen Atemzug einer Patientin wartete. Wenn man sich fragte, welche Träume mit dem letzten Herzschlag für immer erloschen, welche Sorgen auf ewig ungelöst blieben und sich auflösten wie Nebel in der Morgensonne.

»Ihren Kindern wird es gut gehen, da bin ich mir sicher«, sagte Manon so leise, dass sie sich selbst kaum hörte. Die junge Mutter seufzte tief auf, ein dankbares Lächeln umspielte ihre Lippen, Tränen rannen über ihre Schläfen und versickerten im fülligen Haar.

»Ich werde bis zum Ende bei Ihnen bleiben«, versprach Manon noch einmal und legte tröstend eine Hand an die Wange der Sterbenden. Dann begann sie zu beten und hörte erst auf, als das Licht der Kerze erloschen und Madame Delestre von ihren Qualen erlöst war.

Kapitel 2

Estelle

Gourdon, Juni 1936.

Estelle griff nach dem Saum ihres Abendkleids und hob ihn an – vorsichtig, um keine Knitterfalten in den Goldbrokat zu drücken. Die zweite Hand am Treppengeländer, schritt sie die Stufen hinunter ins Foyer, wo ihre Mutter vor dem Wandspiegel stand und ihr mit langen Federn geschmücktes Hütchen zurechtrückte.

»Kinn hoch!« Ihre Mutter Vienne beobachtete im Spiegel jeden ihrer Schritte mit strenger Miene.

Ohne Widerworte hob Estelle das Kinn an und zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.

»Und zieh den Bauch ein!« Vienne rollte mit den Augen, als wäre ihre Tochter eine untragbare Last.

Wieder befolgte Estelle den Befehl der Mutter und drückte vorausschauend die Schultern fest nach hinten, um einer weiteren Ermahnung zu entgehen.

»Warum hast du nicht den Lippenstift aufgetragen, den ich dir gekauft habe?«, fragte Vienne, als ihre Tochter direkt hinter ihr stand. »Das tiefe Rot hätte sich wunderbar mit den Goldschattierungen deines Kleides ergänzt«, fügte sie an und wandte sich vom Spiegel ab. Mit ihren zwanzig Jahren war Estelle mit ihrer Mutter längst auf Augenhöhe, und doch hatte sie immer noch das Gefühl, zu ihr aufblicken zu müssen. Dabei war sie erwachsen, konnte für sich selbst reden und entscheiden. Dennoch musste sie sich eingestehen, dass sie dem Befehlston ihrer Mutter nie entwachsen war. Manon war da anders. Ihre ältere Schwester hatte sich noch nie in Roben zwängen und auf Abendgesellschaften schleppen lassen. Sie hatte sich für einen völlig gegensätzlichen Weg entschieden und hatte mit Vaters Unterstützung eine Ausbildung zur Krankenschwester angetreten. Seitdem war sie nur noch selten zu Hause – was nichts an ihrer Beziehung zueinander änderte, die seit jeher von Distanz und Ignoranz geprägt war. Sie waren zu verschieden, um eine Verbindung zueinander aufzubauen.

Manon war klug, wortgewandt, selbstbewusst und zielstrebig, während sie, Estelle, stets nur die Wünsche ihrer Mutter zu befriedigen versuchte.

»Der Lippenstift wirkte etwas zu aufdringlich, fand ich«, meinte Estelle und wich dem prüfenden Blick der Mutter aus, die sie von oben bis unten musterte wie eine junge Stute.

»Heute Abend sollst du die Aufmerksamkeit sämtlicher lediger Herren auf dich ziehen, wie kann da ein Lippenstift zu aufdringlich wirken?« Vienne schnaubte missbilligend und zupfte an Estelles tiefem Ausschnitt.

»So ist es recht«, sagte sie dann mit einem zufriedenen Lächeln. »Wie zwei saftige Äpfel.«

»Mutter!« Estelles Stimme überschlug sich fast.

»Das Kleid ist schick! Dreh dich mal um.« Vienne ließ ihren Zeigefinger in der Luft kreiseln. Estelle lächelte und folgte der Aufforderung nur zu gerne. Ihre Schneiderin Camille Soucy hatte sich mit diesem Kleid selbst übertroffen. Die Knopfleiste am Rücken verlief bis knapp über die Taille, wo sie in einem angedeuteten Schößchen endete, das ihre Hüften schwungvoll zur Geltung brachte. Eine angeschnittene Schleppe vollendete die Rückenansicht und würde sämtliche Blicke auf sich ziehen – genau wie die Mutter es sich wünschte.

»Ha!«, lachte Vienne siegessicher auf und klatschte in die Hände. »Deine Schneiderin ist ihr Geld wert! Sie sollte als Heiratsvermittlerin arbeiten!«

Estelle rang sich ein Lächeln ab. Sie kannte den Ablauf solcher Abende. Nachdem sie sich dem Geschmack der Mutter entsprechend herausgeputzt hatte, ließen sie sich von Vater zur geplanten Abendgesellschaft chauffieren, wo sie gleich zur Begrüßung ein Glas Champagner tranken, um sich möglichst gut gelaunt ins Getümmel der Gäste zu stürzen. Mutter würde sie von einem unverheirateten Mann zum nächsten schieben wie eine Schachfigur, würde sie von ihrer besten Seite präsentieren und sie anpreisen wie eine teure Vase.

Tief in ihrem Innern würde Estelle sich schämen für die Art, wie ihre Mutter für sie warb, aber nach außen hin würde sie nur lächeln. Dieses besondere Lächeln, das sie ihr bereits in Kindertagen antrainiert hatte und das damals schon ihre Onkel und Tanten entzückt hatte.

»Was für ein reizendes Mädchen!« – »Bildhübsch!« – »Ganz die Mutter!« – »Eines Tages wird sie die Herzen der jungen Männer brechen!«

Estelle hatte all diese Kommentare unzählige Male gehört, diese hohlen Sprüche, die ihr seit jeher Übelkeit verursacht hatten und die sie dennoch angetrieben hatten, noch heller zu strahlen.

Dabei hatte sie sich selbst nie als hübsch empfunden. Das Gegenteil war der Fall: Ihre Nase empfand sie selbst zu breit, die Lippen zu schmal und das Haar zu spröde.

Als Mädchen hatte sie davon geträumt, das Aussehen mit ihrer Schwester tauschen zu können. Sie hatte sich vorgestellt, ihrem eigenen Körper zu entfliehen, um dann einfach in Manons ebenmäßige Haut zu schlüpfen. Wenn sie dann vor dem Spiegel stünde, blickte sie nicht nur in mandelförmige Augen, sondern könnte der Welt mit einem Selbstbewusstsein entgegentreten, das ihr gesamtes Leben verändern würde.

»Komm! Wir sind spät dran!« Vienne nahm Estelle an der Hand und zog sie mit sich hinaus zum Wagen ihres Mannes, der mürrisch hinter dem Lenkrad saß und sich daran festkrallte, als wäre er in seiner Wut damit verwachsen.

Die Fahrt nach Marseille verlief schweigend. Nur der Motor des Hotchkiss heulte immer wieder unter Calvins barscher Fahrweise auf. Der Abend war drückend heiß, dennoch verbot es Vienne, ein Fenster zu öffnen, um Estelles frisch gelegte Wasserwellen nicht durch den Fahrtwind zu zerstören.

»Aber Schweißflecken auf meinem Hemd sind in Ordnung, ja?«, brummte Calvin und tupfte sich die Stirn mit einem Taschentuch trocken.

Estelle ließ ihren Blick zwischen den Hinterköpfen ihrer Eltern hin- und herwandern. Beide starrten stur geradeaus. Fast wirkte es, als säßen sie allein im Wagen, jeder für sich. Seit Jahren waren sie nicht über das geheuchelte »Wie war dein Tag?« hinausgewachsen und schwiegen einander bei jeder sich bietenden Gelegenheit an. Estelle fand den Zustand zwischen den beiden entsetzlich.

Wie es sich wohl anfühlte, wenn man füreinander unsichtbar war? Wenn es keine gemeinsamen Interessen gab und keine gemeinsamen Ziele? Wenn jeder sein Leben lebte und sich mit aller Kraft auf eine der beiden Töchter konzentrierte – auf deren beruflichen Erfolg oder erfolgreiche Eheschließung?

Estelle streckte den Rücken durch und sehnte sich den Augenblick herbei, wenn sie wieder aus dem kostbaren Kleid schlüpfen konnte, dessen aufwendige Rückenverzierung mit keiner Rückenlehne in Berührung kommen sollte. Sie fühlte sich wie eine Puppe, die zu schön war, um damit zu spielen, und die deshalb den Rest ihrer Tage in einer gläsernen Vitrine fristen musste – ungeliebt und unberührt.

Mit ihrer Linken strich sie über die Unterbrustnaht, die ihre Oberweite zusätzlich betonte.

»Dieser Schnitt schmeichelt Ihnen, glauben Sie mir«, hatte Camille Soucy versichert, während sie vor ihr auf dem Boden gekniet und sorgsam den Verlauf der Naht abgesteckt hatte. Estelle hatte ihr dabei gebannt auf das honigblonde Haar gestarrt und den geradlinigen Scheitel ihres hochmodernen Pagenhaarschnitts bewundert. Camille trug meistens Hosen – weit geschnitten, und die Blusen locker in den Bund gesteckt. Wie gerne wäre auch Estelle mutig genug, um bei der Schneiderin eine ebensolche Hose für sich in Auftrag zu geben. Mutter würde toben, schließlich konnte man sich eine derartige Mode nicht leisten, wenn man auf der Suche nach einer passenden, wohlhabenden Partie war. Also unterließ sie es, eigene Wünsche zu formulieren, und tat alles, um dem prüfenden Blick ihrer Mutter zu genügen.

Als Calvin den Wagen über die gekieste Einfahrt des Anwesens ihrer Gastgeber rollen ließ, wurde Vienne spürbar nervös. Immer wieder räusperte sie sich, kontrollierte sie im Innenspiegel ihres silbernen Puderdöschens den Sitz des Haars, zupfte an einzelnen ihrer leicht ergrauten Strähnen und versuchte mit der Handfläche, die Falten am Hals glatt zu streichen.

»Es wird ein schöner Abend, wirst sehen, Liebling. Dein Kleid ist atemberaubend, die Gastgeber aus höchsten Adelskreisen und sämtliche Gäste betucht und auf jeden Fall eine Bekanntschaft wert. Heute werden wir erfolgreich sein«, sagte sie und klappte das Puderdöschen zu.

Erfolgreich. Das bedeutete für Mutter, dass mindestens ein Mann sein Interesse an ihr, Estelle, bekundete, das Gespräch mit ihr suchte, sie zu einem Getränk einlud und im Idealfall mit ihr tanzte oder sogar um ein weiteres Treffen bat.

Leider war Estelle selten erfolgreich. Ihre Kleider mochten noch so glamourös sein, ihre Ausstrahlung war es wohl nicht. Dabei tat sie wirklich alles, befolgte jeden Rat der Mutter, egal, ob es die Haltung oder die Gesprächsthemen betraf. Vermutlich hatte sie einfach noch nicht den Richtigen getroffen, sprach sie sich immer wieder Mut zu. In manchen Dingen war es gut, Geduld an den Tag zu legen und dennoch mit stetem Eifer seinem Ziel entgegenzufiebern. Und ihr Ziel – da stimmte sie ihrer Mutter völlig zu – war die Heirat mit einem angesehenen und wohlhabenden Mann, an dessen Seite sie ein sorgenfreies Leben in Luxus genießen würde.

Als Vater ihr die Wagentür öffnete und ihr eine salzige Brise entgegenströmte, atmete sie tief durch, setzte ihr strahlendstes Lächeln auf und straffte ihre Haltung. Die spitzen Absätze ihrer Riemchenschuhe fanden im feinen Kies nicht richtig Halt, doch Vater reichte ihr seine Hand und geleitete sie zum Eingang des Hauses. Estelle blickte an den Marmorsäulen und den bodentiefen Fenstern hoch und fühlte sich von so viel Prunk beinahe eingeschüchtert. Noch nie zuvor hatte sie in solch vornehmen Kreisen verkehrt. Vaters Bankgeschäften verdankten sie die Einladung des Barons Séguin zu seiner Abendgesellschaft. Sie würden bei Tisch sitzen mit adligen Herren und bedeutenden Geschäftsleuten. Die Damen würden Schmuck tragen, den sich Vater niemals leisten könnte, und die Herren würden an den maßgeschneiderten Anzügen ihre Orden zur Schau stellen.

Je näher sie der blank polierten Marmortreppe kamen, desto schneller pochte Estelles Herz in der Brust. Was sollte sie mit diesen vornehmen Menschen nur reden? Plötzlich fühlte sie sich dumm und ungebildet. Man würde sie für ihre Kommentare belächeln und hinter ihrem Rücken den Kopf schütteln über solche Einfältigkeit.

Estelle blähte die Nasenflügel, wie sie es immer tat, wenn die Aufregung in ihr überhandnahm. Warum nur hatte sie sich zu diesem Abend überreden lassen? Es würde alles ganz schrecklich werden.

»Lächeln!«, zischte Vienne, als sie durch die Tür schritten. Aus einem Nebenraum hörte man leises Klavierspiel und angeregtes Gemurmel, das an das Summen in einem Bienenstock erinnerte. Bedienstete im Frack eilten mit befüllten Tabletts durch das Foyer. Ein Diener half Vienne aus ihrer gekreppten Seidenstola und wies sie wortlos in den Salon des Hausherrn, wo die anderen Gäste bereits mit Gläsern in Händen genüsslich den ersten Umtrunk zu sich nahmen.

Bei dem Gedanken an Alkohol wurde Estelle übel, und kurz meinte sie, der Teppich unter ihren Füßen ruckelte und beraubte sie ihres Gleichgewichts. Bilder rasten an ihrem inneren Auge vorbei … Estelle, wie sie wankt, langsam fällt, aufschreit, sich am nächstbesten Arm festkrallt und denjenigen mit sich zu Boden reißt. Gläser klirren. Rotwein versickert im hohen Flor des teuren Teppichs. Die umstehenden Damen legen erschrocken die behandschuhten Finger an den Mund, die Herren ziehen die Stirn kraus und schütteln den Kopf. Und sie läge am Boden, die Nähte des Kleids aufgerissen, der Körper zur Schau gestellt. Mutter würde kreidebleich auf sie herabblicken, die Hände an die faltigen Wangen gepresst. Vater würde sich bei den Gastgebern entschuldigen und seine beiden Damen so schnell wie möglich aus dem Salon bugsieren, zurück in den Wagen, und dann das Gaspedal durchtreten. Die Reifen würden blockieren und tiefe Furchen im gepflegten Kies hinterlassen. Mutter würde sie hassen, sie tagelang mit finsterer Miene anstarren und voller Verachtung mit Schweigen strafen – so, wie sie es bei Vater seit Jahren praktizierte.

Nein! Das durfte auf keinen Fall passieren. Sie würde den Diener um ein Glas Wasser bitten und es schlückchenweise zu sich nehmen, um die Übelkeit in Griff zu bekommen. Dann würde sie lächeln, den Bauch einziehen und darauf warten, vor welchem Herrn Mutter sie zuerst platzierte.

Alles würde gut werden. Sie musste sich nur beherrschen. Und sie musste lächeln.

Kapitel 3

Manon

Gourdon, Juni 1936.

Der Anblick eines zartgelben Kleopatra-Falters, der durch das geöffnete Fenster ins Schlafzimmer flatterte, lenkte Manon für einen Moment von ihren trüben Gedanken ab. Emsig umkreiste er den selbst gepflückten Blumenstrauß, der in einer Vase aus glänzendem weißen Porzellan auf dem Fensterbrett stand und im hellen Licht der Morgensonne badete. Die altrosafarbenen Sterndolden, kombiniert mit den cremefarbenen Nelken, zartrosa Bouvardien, etwas Lavendel und ein paar Dattelzweigen erinnerten an den Zauber einer Blumenwiese – zart und leicht, und doch elegant genug, um im Mittelpunkt zu stehen.

Der Kleopatra-Falter ließ sich auf den spitzen Blütenblättern der Sterndolde nieder und schloss seine Flügel, so als wolle er seine Schönheit vor der Welt verbergen.

Manon zog die Bettdecke über ihre nackten Brüste und ließ den Kopf zurück ins Daunenkissen sinken. Die Hitze der Sommernacht ruhte noch schwer auf ihrer Haut und umfing sie mit einer Intensität, die sie beinahe zu Tränen rührte. Wie gut es doch tat, endlich wieder im eigenen Bett aufzuwachen und den vertrauten Geräuschen zu lauschen. Dem Geklapper des Frühstücksporzellans, das Mathilda ins Esszimmer schob, auf dem silbernen Servierwägelchen, dessen Räder seit Jahren quietschten, wenn sie sich über den hochflorigen Teppich in der Diele quälten. Dann das Gezeter der Köchin, weil die Croissants zu dunkel geraten waren. Und natürlich das freudige Kläffen des Hundes, der an der Seite des Gärtners seine Runden durch den Garten zog.

Die letzten Tage hatten Manon ihrer Kraft beraubt, umso höher schlug ihr Herz bei dem Gedanken, heute nur rasch in ein Sommerkleid schlüpfen zu dürfen und nicht in die Schwesterntracht, die sie an manchen Tagen mehr an den Tod als an das Leben erinnerte.

Manon dachte an Madame Delestre und an den Moment, in dem diese ihr Leben ausgehaucht hatte.

Madame Delestre hatte gewusst, dass sie ihre Kinder nie wieder zu Bett bringen, zum Frühstück wecken, ihr Haar nie mehr scheiteln und den Mädchen Zöpfe flechten würde. Und doch hatte bis zum letzten Atemzug ein Lächeln auf ihren Lippen gelegen – zart und zerbrechlich und dennoch voller Güte. Manon hatte ihre Hand gehalten, die kalten Finger zu wärmen versucht und gemeinsam mit ihr gebetet. Anfangs eindringlich, um Hilfe flehend, später nur noch leise flüsternd, das Schicksal annehmend. Das letzte Vaterunser hatte Manon allein gesprochen und dabei aus dem Fenster geblickt, das Ausblick zum Sternenhimmel bot.

Mit Schwung setzte sie sich in ihrem Bett auf, streckte Schultern und Rücken durch, bevor sie sich in die dünne Baumwolldecke wickelte und zum geöffneten Fenster ging. Die zart minzfarbenen Leinenvorhänge schwangen im Rhythmus der sanften Brise und lockten die klare Morgenluft ins Schlafzimmer. Das Leinen lag schwer und kühl zwischen ihren Fingern, und schon öffnete der Kleopatra-Falter seine gelb-orangenen Flügel und flatterte durch das geöffnete Fenster nach draußen. Manon blickte ihm hinterher, sah zu, wie er in der violett blühenden Bougainvillea verschwand, die sich üppig um ihren Fensterrahmen rankte und die seit Jahren den Gärtner auf Trab hielt.

»Irgendwann verschlingt sie noch das ganze Haus!«, hatte er vor einigen Wochen schulterzuckend zu Vater gemeint. »Und alles, was übrig bleiben wird von Ihrem Anwesen, ist dieser gefräßige Busch!«

Vater hatte nur mit einem süffisanten Lächeln und einer hochgezogenen Augenbraue reagiert und sich wieder in seine Zeitung vertieft. Er wusste nur zu gut, dass der Gärtner gerne zeterte. Dennoch würde die Bougainvillea bleiben – schließlich war sie eine Erinnerung an seine Großmutter, die die Pflanze mit eigenen Händen gesetzt hatte.

»Manon!« Der scharfe Ton der Mutter holte sie zurück in ihr Zimmer. »Wir warten!«, donnerte es durch die geschlossene Schlafzimmertür. Wir warten – zwei Worte, ein Vorwurf. Natürlich warteten sie. Manons Verhalten war wie immer eine Zumutung.

Tief seufzend schloss sie das Fenster und zog den Vorhang zu, um die anschwellende Hitze des Tages auszusperren. Dann tappte sie raschen Schrittes über die kühlen Steinfliesen, hinüber zum roten Kleiderschrank mit den asiatischen Malereien an den Seitentüren. Mutter hatte mit den Augen gerollt, als der Vater ihr diesen Schrank geschenkt hatte. Und Manon hatte ihn zum Dank innig umarmt, nachdem sie jede Schublade geöffnet und jedes Fach inspiziert hatte. Der Lack war so glatt wie Milch, und seinen Geruch nach Zimt und Sandelholz empfand Manon als wärmend.

Rasch wickelte sie sich nun aus der Bettdecke und öffnete die Schranktür.

»Ich bin gleich fertig«, rief sie über die Schulter und suchte nach dem weißen Leinenkleid mit den roten Tupfen, das für einen heißen Sommertag wie heute gerade recht war. Das wellige Haar steckte sie locker mit einer Spange hoch und legte nur etwas vom kirschroten Lippenstift auf, den Mutter ihr gekauft hatte, weil er ihren blassen Teint unterstrich. Bevor sie ihr Zimmer verließ, um in Mutters Esszimmertraum aus Gold- und Beigetönen einzutauchen, wandte sie sich noch einmal um und sah sich an den Farben ihres eigenen Mobiliars satt. Der mohnrote Kleiderschrank, der grasgrüne Teppich, die minzefarbenen Vorhänge, die Bettwäsche in kräftigem Tintenblau, die getrockneten Blumensträußchen, die von den Regalen hingen, und das farbintensive Gemälde an der Wand, das sie von einem unbekannten modernen Künstler erstanden hatte. Ihr Zimmer schien der einzige Farbklecks im gesamten Anwesen zu sein. Ansonsten herrschte hier nur gediegene Eleganz, wie Mutter es nannte.

Dann schloss sie die Tür, rückte den Gürtel ihres Kleides zurecht und eilte dem Geruch von frisch gebrühtem Kaffee entgegen.

»Da bist du ja! Mein Mädchen, meine Kluge, meine Schöne!« Vater legte sein Croissant auf den Teller und klopfte auf den leeren Sessel zu seiner Linken. Und wie immer, wenn Manon in die strahlenden Augen ihres Vaters blickte, erfüllte sie diese Leichtigkeit, die sie daran erinnerte, wie sehr sie ihre Heimat liebte. Hier in Gourdon war ihr sicherer Hafen, hier konnte sie sich zurückziehen, Kraft tanken, sich an der Schulter des Vaters ausweinen und mit ihm in Erinnerungen schwelgen. Von hier reiste sie aber ebenso gerne wieder ab, wenn Mutter und ihre jüngere Schwester Estelle sie zu überzeugen versuchten, dass eine Ehe die einzig wahre Erfüllung der Frau war. Dass gut aufgetragene Schminke wertvoller war als ein schlecht bezahlter Posten im Krankenhaus. Dass gestraffte Schultern und eine zierliche Taille höher im Wert standen als das Wissen um die Heilung von Krankheiten.

»Wäre sie tatsächlich klug, wie du sagst, dann hätte sie meinen Rat befolgt und den Sohn der steinreichen Familie Delalande geheiratet. Immerhin hat er mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass er interessiert an ihr ist.« Mutter legte die Stirn in Falten und rümpfte kaum merklich die Nase. »Aber sie bevorzugt ja die schmutzige Arbeit als Krankenschwester. Und jetzt sieh sie dir an – abgemagert, die Augenpartie von Sorgenfalten verunziert. Man könnte meinen, sie geht auf die vierzig zu. Dabei zählt sie gerade mal zweiundzwanzig Jahre! Wer nimmt sie denn noch mit runzeligen Händen wie die einer Putzfrau!«

»Guten Morgen, Mama.« Manon strich ihrer Mutter im Vorbeigehen über die Schulter und hauchte ihr einen Kuss aufs hochgesteckte Haar. Dann nahm sie neben ihrem Vater Platz.

»Hast du gut geschlafen, mein Mädchen?«, fragte er und strich über sein schütteres Haar. Sein Lächeln grub tiefe Grübchen in die rosigen Wangen. »Nimm dir etwas vom Baguette und dem Orangengelee, das du so gerne magst.«

Beim Duft der ofenwarmen Croissants und des frisch aufgebrühten Kaffees lief Manon das Wasser im Mund zusammen. Im Krankenhaus hatte man sie an karge Kost gewöhnt, umso schöner war es, wenn Vater sie an ihren wenigen freien Tagen von ganzem Herzen verwöhnte.

»Und wenn du fertig bist, spazieren wir durchs Dorf, ja? Dann kannst du mir alles erzählen, was du in den vergangenen Wochen Neues gelernt hast.«

Eigentlich war sie von den Strapazen der letzten Arbeitstage erschöpft und hätte es vorgezogen, ein wenig durch den Park zu schlendern – allein und schweigend. Doch beim Blick in Vaters Gesicht, das vor Freude über das Wiedersehen strahlte, schaffte sie nur ein zustimmendes Kopfnicken, bevor sie nach der kleinen Zuckerdose griff, um sich den Kaffee schmackhafter zu machen.

»Ich habe recht, und das weiß euer Vater sehr wohl«, ergriff Manons Mutter erneut das Wort und tat dabei, als ob Calvin nicht mit ihnen am Tisch säße. »Scheinbar macht er sich keine Gedanken über die Zukunft unserer Töchter – im Gegensatz zu mir. Es raubt mir den Schlaf, zu wissen, dass sich für Manon keine passende Partie mehr finden wird, wenn sie noch länger darauf beharrt, ihre Tage zwischen blutgetränkten Leintüchern und fiebrigen Patienten zuzubringen.« Vienne schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Ihre Miene erweckte den Anschein, als gäbe es einen Trauerfall in der Familie. Aber vermutlich fühlte es sich für sie genauso an. Schließlich war sie der Meinung, ihre Tochter wäre verloren, ihr Leben bereits verwirkt.

»Vielleicht lacht sie sich im Krankenhaus den Chefarzt an?« Was für Manons Vater ein augenzwinkernder Scherz war, ließ in Viennes Augen einen Funken Hoffnung aufblitzen.

»Meine Arbeit ist wichtig, Mama, und sie macht mich glücklich. Wenn du das doch nur einsehen könntest.« Manon schlürfte an ihrer Tasse mit dem aufwendigen Golddekor und stellte sie dann zurück auf den passenden Unterteller.

Nachdenklich blickte sie in die kleine Runde, mit der sie am Esstisch beisammensaß. Vater und Mutter starrten auf ihre Teller und schwiegen, als wären sie einander völlig fremd. Vielleicht waren sie das ja auch. Ob sie je verliebt gewesen waren? Oder hatte Mutter ihren eigenen Rat befolgt und nur geheiratet, weil Vater eine gute Partie war? Manon fragte sich, wie das Kennenlernen der beiden ausgesehen haben mochte. Ob sie früher miteinander gelacht hatten? Sich geküsst und liebevoll umarmt hatten? Oder hatte diese unüberbrückbare Distanz seit jeher zwischen ihnen geherrscht?

Vater griff nach einem Apfelschnitz und biss herzhaft in das saftige Fruchtfleisch. Er war ein Mann, der das Leben genoss, der seine Lieben beschenkte und verwöhnte und noch tagelang von einem gemütlichen Abend mit Freunden schwärmen konnte. Er lachte über den Hund, wenn der wie verrückt einem Stock nachhetzte, zerrieb Lavendelblüten und sog genüsslich den Duft von seinen Fingern.

Mutter hingegen war getrieben von einer Perfektion, die zu erreichen unmöglich war. Die Dienstboten hatten einen straffen Putzplan, dessen Ausführung sie abends mit hochgezogenen Augenbrauen kontrollierte. Und manchmal hatte Manon das Gefühl, dass Mutter enttäuscht war, wenn jede Aufgabe ordnungsgemäß erfüllt worden war. Nur zu gerne hob sie Zeigefinger und Kinn ein Stück zu hoch.

Früher hatte Manon sich nach einer Umarmung oder einem netten Wort von ihr gesehnt. Heute schätzte sie sich glücklich, dass der Vater sie in allen Lebenslagen zu unterstützen versuchte, dass er stolz war auf den von ihr eingeschlagenen Lebensweg. Wer brauchte schon die Billigung einer selbstverliebten Mutter, wenn die Blicke des Vaters vor Wertschätzung funkelten?

 

Wenig später spazierten Vater und Tochter die gekieste Einfahrt entlang. Manon blickte über die Schulter zurück auf ihr Zuhause, das mit jedem Schritt kleiner wurde und langsam hinter den ausladenden Ästen der knorrigen alten Pinien verschwand. Das Haus mit seinen gelben Mauern und den bodentiefen Fenstern, die von grünen Fensterläden gerahmt waren, bildete vor dem wolkenlosen Himmel ein Gesamtkunstwerk. Eine Zypresse schmiegte sich ans Gemäuer, als suchte sie Schutz vor dem ewigen Wind, der hier oben die Luft belebte. Mit Lavendel, weißen Duftwicken und rotem Klatschmohn bestückte Blumenrabatten umringten die Terrasse, auf der ein mit farbigem Mosaik ausgelegter Gartentisch zum Verweilen einlud. Die lange Einfahrt bot zu beiden Seiten einen Blick auf den ausgedehnten Park, der mit seinem alten Baumbestand ein Paradies für Vögel bot. Manon schloss die Augen. Alles, was sie hörte, war das raschelnde Laub, das Knirschen der Kiesel unter den Sandalen, das Zirpen der Zikaden und der berauschende Gesang der Vögel, der den Park erfüllte, als wäre er ein Konzerthaus. Wie gerne würde sie genau jetzt und hier ihre wehmütigen Gedanken an Madame Delestre in die Freiheit entlassen. Sie wollte die Trauer um die junge Mutter nicht länger mit sich herumtragen. Schließlich wusste sie, dass sie im Krankenhaus noch oft mit dem Tod konfrontiert werden würde. Sie musste einen Weg finden, sich mit dem Sterben zu arrangieren, wenn sie nicht eines Tages an ihrem Beruf zerbrechen wollte. Vielleicht sollte sie morgen nach Dienstantritt das Gespräch mit Oberschwester Georgia suchen. Die erfahrene Ordensschwester wusste bestimmt Rat – auch wenn er vermutlich mit einem Gebet und einer Bibelstunde einhergehen würde.

 

»Deine Mutter meint es nur gut mit dir«, sagte Calvin und legte den Arm leicht um Manons Schulter.

»Das tust du aber auch, und trotzdem belächelst du keine meiner Entscheidungen.« Manon zog eine Augenbraue hoch und zwinkerte ihrem Vater zu. Die leichte Brise, die aus dem Park heranwehte, ließ ihren Rocksaum tanzen und löste eine Strähne aus ihrer Frisur.

»Da hast du auch wieder recht.« Calvin lächelte zufrieden und rieb sich genüsslich über seine vollen Wangen.

»Weißt du noch, wie Estelle und ich als kleine Mädchen auf die Bäume geklettert sind? Mutter hat mir nie verziehen, dass Estelle sich bei einem Sturz verletzt hat – schließlich hätte ich auf meine kleine Schwester aufpassen müssen, sie beschützen und nicht mit ihr um die Wette auf die hohe Eiche klettern sollen.« Manons Miene verdunkelte sich im Schatten der Erinnerung. Sie glaubte, wieder das Kichern ihrer Schwester zu hören, das Knacken des Astes, den dumpfen Aufprall auf den bemoosten Boden. Sie erinnerte sich an die nächsten Momente, die von einer beklemmenden Stille erfüllt gewesen waren. Eine Stille, die nicht preisgeben wollte, ob Estelle noch lebte. Manon war zu ihr gestürmt, hatte sie geschüttelt, ihre Wangen getätschelt und ihren Namen gerufen – so laut, dass Mutter aus dem Salon zu ihnen geeilt kam. Den Schrecken, der ihr Gesicht verzerrte, würde Manon nie vergessen. Vielleicht war das der Moment gewesen, in dem sie beschlossen hatte, das Herz vor der älteren Tochter zu verschließen und einen Keil zwischen die Schwestern zu treiben.

»Es war ein Unfall, den alle unbeschadet überstanden haben«, stellte Calvin klar. »Aber anstatt uns hier, umgeben von den wunderbaren alten Bäumen, mit unnützen Gedanken zu belasten, sollten wir lieber hinüber ins Dorf gehen. Komm!«, schlug er vor und strebte mit Manon am Arm das schmiedeeiserne Tor an, das die Grenze des Anwesens bildete.

Schweigend gingen sie die schmale Straße hoch zum Dorf. Nur manchmal blieb Calvin stehen und genoss den Ausblick auf die Ortschaften auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Wie immer benannte er jede einzelne mit Namen und erzählte, wo noch seine Jugendfreunde lebten, welchen Schabernack sie als Kinder getrieben hatten. Und wie immer lauschte Manon aufmerksam und sah bildhaft vor sich, wie ihr Vater als Junge, mit der Steinschleuder bewaffnet, hinter einer Scheune gesessen und seinen kleinen Bruder mit Dreck beworfen hatte. Calvin hielt sich an den üblichen Stellen den Bauch vor Lachen und wirkte nach seiner sentimentalen Gedankenreise in die Vergangenheit um Jahre verjüngt.

Als sie durch die Gassen von Gourdon flanierten, trafen sie einige Bewohner. Man grüßte sich freundlich, winkte einander zu oder tauschte sich über das Wetter aus – egal, ob es eine junge Hausfrau war, die gerade ihre Fenster putzte, ein alter Mann, der auf der Bank vor dem Haus seine Pfeife paffte, oder Kinder, die mit ihrem Hund einem Ball hinterherspurteten.

Mit jedem Schritt dieses Bummels durch die Gassen hellte sich Manons Miene auf. Beim Anblick der schmucken Häuser aus Sandstein, die eng aneinandergeschmiegt ihre Dächer der Sonne entgegenreckten, schob sich der Ärger über Dr. Tessier in den Hintergrund.

Üppig bepflanzte Blumentöpfe zierten Stiegenaufgänge und Fenstersimse. Aus der kastenförmigen Kirche drang das Spiel der Orgel. Aus der Bäckerei kam der Duft von frischen Croissants und erinnerte Manon daran, dass sie kaum etwas gefrühstückt hatte.

Eine scharfe Brise begleitete sie, als sie an den Klippen entlang hoch zum Schloss von Gourdon marschierten. Manon drückte mit einer Hand den weiten Tellerrock ihres Kleides gegen die Oberschenkel.

»Danke, dass du mich zum Spaziergang überredet hast«, sagte sie und lehnte sich gegen die warme Steinmauer, die sie vom steilen, felsigen Gefälle trennte. Der Wind umfing sie mit einer Intensität, als würde er sie mit sich forttragen wollen. Der Blick war überwältigend und schenkte Manon das Gefühl, die ganze Welt läge sich ihr zu Füßen. Freiheit und Hoffnung schenkte ihr dieser Ausblick über die Berge und Täler der Provence mit dem weit dahinterliegenden Meer.

Der Wind verfing sich in ihrem Haar und brachte ihre Augen zum Tränen.

»Ich kenne doch mein Mädchen«, sagte Calvin und wich einen Schritt zurück. »Es gibt kaum etwas, das der raue Wind und die unendliche Aussicht in die Welt nicht zu lösen vermögen, habe ich recht?«

Den letzten Satz hörte Manon kaum noch, zu sehr war sie vertieft in das Raunen des Windes und den Blick auf die wuchtigen Felsen, die den Weg hinab ins Tal säumten.

Ihr Vater hatte recht. Hier oben beim Schloss fühlte sie sich losgelöst von Zeit und Raum, von Problemen und Kummer. Hinter sich die kräftigen Mauern und vor sich den Horizont – hier konnte sie alles abschütteln. Nur das stille, leblose Gesicht von Madame Delestre, das schien vor ihrem inneren Auge verweilen zu wollen. Wie es wohl dem Neugeborenen ging? Ob Oberschwester Georgia eine Amme für das zerbrechlich wirkende kleine Mädchen gefunden hatte?

Das Leben war ein Tosen, ein Donnern, ein Bersten. Fest biss Manon sich auf die Unterlippe, vertiefte sie sich in die Aussicht, die genau das widerspiegelte. Sie blickte über die weitläufigen Täler und suchte am Horizont wieder nach dem Meer.

Und dieses Mal war es nicht der scharfe Wind, der ihr die Tränen in die Augen trieb.

Kapitel 4

Estelle

Gourdon, Juni 1936.

Estelle stand am Fenster ihres Ankleidezimmers. Aus dem Wäscheschrank hinter ihr roch es nach Rosenseife und Lavendelsäckchen. Mit den Fingerspitzen strich sie über den roten Samtvorhang, der schwer von der Decke hing. Vorsichtig, um unentdeckt zu bleiben, schob sie ihn ein Stück beiseite und blickte hinab auf die Einfahrt, auf der gerade Manon entlangspaziert kam. Seite an Seite mit dem Vater, der pausenlos redete.

Manon schien ihm aufmerksam zu lauschen, hielt den Blick auf sein Profil gerichtet, legte immer wieder den Kopf in den Nacken und lachte. Die Arme hatte sie vor dem Körper verschränkt. Sie hatte ihren kirschroten Lippenstift aufgelegt, der ihre Zähne und ihre Haut weiß wie die Blüten einer Lilie wirken ließ. Wie schön sie doch war – so viel schöner als sie selbst, Estelle.

Bestimmt war das der Grund, warum Vater Manon mit mehr Aufmerksamkeit und Liebe bedachte als sie, die kleine Schwester, die es ihm nie recht machen konnte, die er für oberflächlich hielt und blasiert.

Wie es wohl sein musste, wenn man vom eigenen Vater derart akzeptiert und geliebt wurde? Estelle wusste es nicht, schließlich hatte seine Wertschätzung stets der älteren Schwester gegolten. Manon, die schon als kleines Mädchen sattelfest auf ihrem eigenen Pferd durch den Park galoppiert war. Die belesen war und schlagfertig. Zudem war sie ehrgeizig und hatte sich mit ihrer Ausbildung zur Krankenschwester gegen Mutters Willen aufgebäumt und sich durchgesetzt.

Und sie, Estelle, war ein Schatten, ein Geist, unsichtbar und vom Vater vielleicht sogar unerwünscht. An manchen Tagen schmerzte es, nicht von ihm gesehen zu werden, dann fühlte sie sich wie ein verpuppter Schmetterling, dessen Kokon an der Unterseite eines Blattes hing und auf den perfekten Augenblick wartete, um seine Schönheit zu zeigen.

Wie sehr sie sich doch wünschte, dass Vater sie wenigstens ein Mal mit der Fürsorge bedachte, die er Manon stets zuteilwerden ließ.

Estelle hielt den Blick noch immer auf ihre Schwester und ihren Vater gerichtet, die langsam auf das Haus zuschlenderten. Die Bäume säumten, aufgereiht wie Soldaten, die Einfahrt und schienen der zierlichen Manon Schutz zu bieten.

Als ob ihre Schwester je Schutz benötigt hätte. Estelle verschränkte die Arme vor der Brust und spürte, wie sich ihr ganzer Körper zunehmend verspannte.

Manon war seit jeher eine Kämpfernatur gewesen, die sich nahm, was sie brauchte, und wusste, was sie wollte. An manchen Tagen hatte Estelle sie um ihren Kampfgeist beneidet, hatte versucht, sie nachzuahmen und ihr zu gefallen, aber das hatte Manon vermutlich nicht einmal bemerkt. Seit sie im Krankenhaus arbeitete, führte ihr Weg sie nur noch selten nach Gourdon. Und die wenigen freien Tage, die sie im elterlichen Anwesen verbrachte, gingen sie beide sich aus dem Weg.

Vielleicht war es Vaters und Mutters unterschiedlichen Ansichten geschuldet, dass die Schwestern einander fremd waren. Vielleicht war es aber auch üblich, dass eine Familie sich in zwei Lager aufspaltete.

Estelle wandte sich ab vom schmerzlichen Ausblick auf ihre Schwester und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Dann griff sie nach dem mintfarbenen Halstuch, das perfekt zu ihrer Handtasche und dem beigen Kleid passte, und knotete es gekonnt um ihren schlanken Hals. Ihr herzförmiges Gesicht wurde umrahmt von welligem Haar, und ihre dünn gezupften Augenbrauen betonten dagegen die Strenge, die ihre grünen Augen und die schmalen Lippen ausstrahlten. Vorsichtig korrigierte sie mit dem Zeigefinger die Kontur des feuerroten Lippenstifts und verließ dann ihr Zimmer.

»Was hast du Schönes vor?«, fragte ihre Mutter.

Sofort straffte Estelle die Schultern und zog den Bauch ein.

»Lächle, aber nicht zu sehr«, hatte sie ihr schon früh beigebracht. »Die Leute sollen dich weder für dumm noch für überheblich halten. Zeig ihnen mit deinem Lächeln, dass du ihnen wohlgesinnt bist, aber sie dir niemals das Wasser reichen können. Trag dein Kinn hoch und sieh zu, dass dein Bauch so flach wie möglich ist. Eine dicke Frau wird es immer schwer haben, eine gute Partie zu machen.«