Unter Pferden - Angela Waidmann - E-Book

Unter Pferden E-Book

Angela Waidmann

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Beschreibung

Die junge Friesenstute Meisje - verwirrt und verzweifelt, weil man sie verkauft hat, die neue Eigentümerin arrogant und ohne Mitgefühl und die Tiere vom Mühlwinklhof - wild entschlossen, das Schicksal in ihre eigenen Pfoten zu nehmen...Eine Geschichte, erzählt aus der Perspektive eines Pferdes: dramatisch, lustig und (leider) ziemlich realistisch - realistischer, als Sie denken!Ein Taschenbuch, dass Sie in die Welt der Pferde entführt.Die Autorin Angela Waidmann hat schon viele Pferdebücher geschrieben. Diese Neuerscheinung ist das erste Buch in dem die Autorin aus der Sicht der Pferde schreibt. Ein Buch das bewegt, fesselt und den Leser zum schmunzeln bringen soll.

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Seitenzahl: 239

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1. Auflage 2019

Copyright © 2019 Angela Waidmann

Chiemgauer VerlagshausDahlienweg 5, 83254 Breitbrunnwww.chiemgauerverlagshaus.de

Alle Rechte vorbehalten

Coverdesign: Constanze Kramerwww.coverboutique.de

Bildnachweise: Georg Beyer (Zeichnungen)Makarova Viktoria, 123rf.com Pavlo Vakhrushev, adobestock.comEyematrix, adobestock.com

Satz: Constanze Kramerwww.coverboutique.de

ISBN 978-3-94529-245-7

„Eine gefühlvolle, schöne Geschichte mit viel Verständnis für Pferde.

So muss man erstmal schreiben können!“

„Friesenpapst“ Günther Fröhlich

1

Weit weg von zu Hause

Wo bin ich?

Hier riecht es so entsetzlich fremd. Und all die unbekannten Geräusche …

Ich befinde mich auf einem großen Hof. Vor mir steht ein großes, hell getünchtes Haus; an seinen beiden Seiten sind Scheunen und Stallungen.

Warum hat Günther mich hierher gebracht?

Fröhlich bin ich heute Morgen auf den Hänger geklettert. Vor ein paar Tagen hat Günther mir nämlich in aller Ruhe gezeigt, wie ich hineingehen soll. Drinnen habe ich eine Krippe mit Futter gefunden, darum habe ich mich richtig gefreut, als er in den nächsten Tagen noch ein paarmal mit mir geübt hat. Heute gab es auf dem Hänger Pferde-Müsli mit Apfelschnitzen und Möhrenstückchen. Hmm!

Doch als ich angebunden war, setzte sich der Pferde-Anhänger in Bewegung. Stundenlang bin ich dann in dem schwankenden Ding gestanden. Heiß war es auch, und bald hatte ich Durst. Zum Glück hat Günther ab und zu eine Pause gemacht und mir ganz viel zu trinken gegeben.

Die Fahrt war sehr anstrengend. Jetzt, wo ich endlich aussteigen darf, bin ich todmüde. Trotzdem schaue ich mich mit klopfendem Herzen um.

Ich sehe viele fremde Pferde, die mich von ihren Paddocks aus neugierig anschauen. Erschrocken zucke ich zusammen, als hinter mir eines von ihnen schnaubt.

„Ist doch gut, Meisje“, beruhigt mich Günther und streichelt mir sanft über den Hals.

Ich bin so froh, dass er bei mir ist! Bei ihm fühle ich mich ganz sicher. Schließlich bin ich bei ihm, solange ich denken kann. Er war der erste Mensch, den ich gesehen habe, als ich zur Welt kam. Später hat er meiner Mutter und mir das Futter gegeben. Er hat mir beigebracht, wie man ein Halfter trägt, dass ich ruhig stehen bleiben muss, wenn ich angebunden werde, und dass ich auf Kommando meine Hufe geben soll. Als ich nach ein paar Monaten ohne meine Mutter in einen Laufstall mit anderen Fohlen umziehen musste, hat er mich getröstet. Und vor etwa einem Jahr habe ich von ihm gelernt, wie man einen Menschen trägt.

Wenn Günther bei mir ist, kann mir nichts passieren. Da bin ich mir ganz sicher.

Ich stoße einen tiefen Seufzer aus.

„Armes kleines Mädchen“, murmelt er und krault mich hinter den Ohren.

Warum klingt er denn so traurig?, frage ich mich und lege mein Kinn auf seine Schulter.

Inzwischen hat sich eine ganze Horde Zweibeiner neben uns versammelt. Mit großen Augen schauen sie mich an, manche tuscheln auch miteinander. Dem Mädchen da vorne, dem mit dem langen braunen Zopf, steht sogar der Mund offen.

Was haben sie denn? Die tun ja glatt so, als wäre mir plötzlich ein Horn aus der Stirn gewachsen oder als hätte ich Flügel gekriegt. Dabei bin ich nur ein ganz normales Pferd. Eine Friesenstute, um genau zu sein.

Nun löst sich eine Zweibeinerin aus der Gruppe. Sie ist eher groß und recht schlank und hat lange braune Haare. Ihre dunkle Reithose und ihre rote Bluse sind ungewöhnlich sauber, und ihre ledernen Stiefel glänzen.

Moment mal, die Frau kenne ich doch von irgendwoher!

Ja, richtig. Vor ein paar Tagen war sie bei uns auf dem Hof. Lange hat sie zugesehen, wie Günther mich geritten hat. Dann hat sie sich sogar selbst auf meinen Rücken gesetzt. Aber das war überhaupt nicht schön. Sie hat nämlich so merkwürdig nach einem aufdringlich süßen Parfüm gerochen, und sie hat meine Zügel so fest gehalten, dass mir zuerst das Maul und später auch noch mein Hals und mein Rücken wehgetan haben. Außerdem hat sie pausenlos mit ihren Absätzen auf meinem Bauch herumgetrommelt. Bald war ich so entnervt, dass ich am liebsten losgebuckelt hätte, sodass sie hoffentlich aus dem Sattel geflogen und neben mir im Sand gelandet wäre. Buckeln kann ich nämlich richtig gut!

Aber weil Günther zugesehen hat, habe ich mir trotzdem viel Mühe gegeben. Und nach einiger Zeit war die Tortur ja auch vorbei.

Heute geht die Lady auffällig gerade, finde ich. Und sie hält ihr Kinn so hoch erhoben, dass ich mir sicher bin: Sie ist sehr stolz. Fragt sich nur: auf was?

Oh nein, sie kommt auf mich zu! Und sie riecht wieder so scheußlich. Ihr Gestank nimmt mir fast den Atem, obwohl sie noch nicht ganz bei mir ist. Am liebsten würde ich rückwärtsgehen, aber Günther hält mich ja am Strick fest, und ich will ihn nicht ärgern.

Wenigstens schnaube ich kräftig und schüttle den Kopf. Doch leider hilft das nicht viel, denn der üble Geruch steigt mir sofort wieder in die Nüstern. Darum beginne ich ärgerlich mit dem Vorderhuf zu scharren.

„Warum denn so nervös?“, flötet die Lady und legt mir ihre müffelnden Finger auf die Nüstern.

Entsetzt schnaube ich wieder. Das wirkt, denn sie nimmt tatsächlich ihre Hand von meiner Nase! Allerdings ist ihre Bluse jetzt voll mit schwarzen Spritzern. Aber was soll’s? Reiter sind doch eigentlich immer schmutzig.

Erleichtert atme ich ganz tief durch. Die besprenkelte Lady dagegen runzelt kurz die Stirn. Dann aber setzt sie ein künstliches Lächeln auf.

Ja, was macht sie denn jetzt? Sie nimmt Günther tatsächlich meinen Führstrick weg. Und er lässt sie einfach machen. Ich glaub’s ja wohl nicht!

Nun geht sie los. Ich überlege kurz, ob ich einfach stehen bleiben soll, aber dann setzt sich auch Günther in Bewegung.

Na gut, da komm ich halt mit.

Komisch nur, dass die vielen anderen Leute hinter uns herlaufen. Es ist fast wie in einer Pferdeherde: Die Leitstute (diesmal also ich, begleitet von Günther und der müffelnden Lady, die neben mir herschreitet, als hätte man sie gerade zur Königin gekrönt) geht voran, und alle anderen folgen. Allerdings tuscheln Pferde nicht dauernd miteinander, und sie gucken auch nicht so komisch. Aber Menschen sind halt merkwürdige Tiere.

Jetzt sind wir fast bei einigen Boxen mit großen Paddocks angekommen. Eine davon macht Günther auf, und die Lady marschiert hinein.

Will sie etwa, dass ich hinter ihr hergehe? Für wie naiv hält die mich eigentlich? Ich traue ihr doch sowieso nicht über den Weg. Und wer weiß, vielleicht lauert in der Box am Ende dieses Paddocks ein riesiger Wolf, der mich fressen will …

Nein, ich bleibe erst mal stehen.

„Ist schon in Ordnung, Meisje“, beruhigt mich Günther. „Schau mal, was das für ein schöner Stall ist und wie viel Platz er hat!“ Gleichzeitig macht er eine sprechende Bewegung mit der rechten Hand.

Er wirkt wirklich sehr zuversichtlich. Also wartet da drin bestimmt kein hungriges Raubtier. Und wenn er es denn unbedingt will …

Vorsichtig setze ich mich wieder in Bewegung. Nach ein paar Schritten stehe ich mitten im Paddock, und mir ist tatsächlich nichts passiert.

Die Lady löst meinen Strick, klopft mir flüchtig den Hals und geht hinaus.

Hinter ihr schließt Günther die Tür des Paddocks. „Siehst du, hier wirst du es gut haben. Da bin ich mir sicher“, sagt er. Doch in seiner Stimme ist immer noch dieser unerklärlich traurige Ausdruck …

Na gut. Vorübergehend ist es hier bestimmt gar nicht so schlecht. Alleine muss ich wohl auch nicht bleiben, denn in den beiden Ställen rechts und links hängen gut gefüllten Heunetze, genau wie bei mir. Trotzdem will ich wieder nach Hause, zu meinen Pferde-Freunden und in meinen eigenen Stall! Darum gehe ich zu Günther und stupse ihn durch den Zaun mit meinen Nüstern an.

Liebevoll sieht er mich an. Er schiebt meinen langen schwarzen Stirnschopf zur Seite, streichelt mir zärtlich über die Stirn und sagt leise: „Mach’s gut, mein Mädchen!“

Dann dreht er sich um und geht mit schnellen Schritten davon.

Ja, was macht er denn? Entsetzt wiehere ich: „Bleib hiiiiiiier!“

Na also, er bleibt stehen. Doch er sieht nur einmal kurz über die Schulter und geht weiter, zu seinem Auto … und steigt tatsächlich ein!

„Lass mich nicht alleiiiiin!“, rufe ich. Da springt brummend der Motor an, und der schwere Geländewagen setzt sich in Bewegung, mit dem leeren Pferdeanhänger im Schlepptau.

„Nein! Neiiiiiin!!!“, schreie ich in Panik, doch das Auto rumpelt gnadenlos vom Hof.

Verzweifelt steige ich auf meine Hinterbeine – und aus der um meinen Paddock versammelten Menschentraube ertönt ein kollektives „Oooh!“

Sind die denn völlig verrückt geworden? Können die nicht mal was Vernünftiges machen, zum Beispiel die Tür dieses blöden Paddocks öffnen, damit ich hinter Günther hergaloppieren kann?

Doch genau das tun sie nicht. Und so tobe ich verzweifelt in dem fremden Stall herum, bis ich klatschnass geschwitzt und völlig außer Atem bin. Schnaufend stehe ich da und kann immer noch nicht fassen, was gerade passiert ist: Günther hat mich alleingelassen!

Mit der Zeit verkrümeln sich die Menschen. Als eine der letzten verschwindet auch die müffelnde Lady, und ich kann endlich in Ruhe nachdenken.

Es dauert einige Zeit, bis ich meine Gedanken geordnet habe. Dann wird mir klar: Nein. Günther hat mich noch nie im Stich gelassen. Darum wird er das auch jetzt nicht tun. Er kommt wieder, und er wird mich nach Hause zurückbringen. Ganz bestimmt.

Meine Laune bessert sich wieder ein bisschen, und ich werde neugierig. Witternd und horchend sehe ich mich im Stall um.

Dieser Paddock ist wirklich groß. Und das Heu duftet herrlich nach Kräutern. Ich knabbere ein paar Halme, dann gehe ich in die Box.

Die ist auch nicht schlecht – nicht übermäßig geräumig, aber sauber und dick mit Stroh ausgestreut. Außerdem hat sie eine Futterkrippe und eine Selbsttränke, die prima funktioniert. Jetzt erst merke ich, wie durstig ich bin.

Als ich genug getrunken habe, gehe ich wieder hinaus auf den Paddock.

Inzwischen senkt sich schon die Sonne. Bestimmt kommt Günther bald zurück. Ich stelle mich an den Zaun, beobachte die Menschen und die Pferde, die über den Hof spazieren, und schaue immer wieder sehnsuchtsvoll zum Hoftor.

Endlich kommt jemand! Doch leider höre ich nicht das Brummen eines schweren Geländewagens und auch nicht das Rumpeln eines Pferde-Anhängers, sondern Hufgeklapper und menschliche Schritte.

Dann betritt ein Pferd den Hof. Es ist recht klein, eine Haflingerstute, wie ich vermute. Sie ist nämlich fuchsfarben und hat eine lange, weiße Mähne.

Als sie näher kommt, wird mir klar, dass sie nicht mehr ganz jung sein kann. Sie ist nämlich ein bisschen mager und ihr Rücken ein wenig eingefallen. Trotzdem sieht sie mich mit glänzenden Augen an.

„Hallo“, brummelt sie zur Begrüßung, während die nicht mehr ganz junge Frau, die sie führt, die Tür meines Nachbarstalls aufmacht und sie hineinlässt.

Wenigstens bekomme ich Gesellschaft, denke ich erfreut und gehe mit gespitzten Ohren zu dem Metallgatter, das unsere Paddocks trennt.

Sobald die Frau den Strick losgemacht hat, kommt die Stute zu mir herüber. Ich stecke meine Schnauze durch die dicken Stäbe, und wir beschnuppern uns ausgiebig. Dann quietsche ich laut und stampfe kräftig mit meinem Vorderhuf auf den Boden, um möglichst viel Eindruck auf meine neue Nachbarin zu machen.

Eigentlich brauchte ich mich gar nicht so aufzuspielen. Die Haflingerstute riecht nämlich wie ein sehr erfahrenes Pferd, das bei den Tieren hier auf dem Hof bestimmt einen hohen Rang einnimmt. Mit meinen knapp fünf Jahren habe ich mit Sicherheit noch nicht so viel zu bieten. Außerdem bin ich hier ja noch total neu.

Das Eindruckschinden klappt wirklich nicht. „Na dann“, brummt die alte Stute nur, aber ihr Blick bleibt freundlich. Sie lobt mich sogar: „Gut siehst du aus. Bestimmt bist du noch jung.“

„Richtig“, bestätige ich.

„Dann bist du also die Neue hier“, stellt sie fest, als wäre es das Normalste von der Welt.

Verunsichert spiele ich mit den Ohren. „Nein, nein, ich bin nur vorübergehend in diesem Stall. Günther, mein Zweibeiner, hat mich eben hierhergebracht, dann ist er kurz weggefahren. Aber er wird mich bald wieder abholen. Ganz sicher.“

„Hm.“ Der zweifelnde Blick der erfahrenen Stute jagt mir einen Schauer über den Rücken. Aber zum Glück wechselt sie das Thema: „Ich heiße übrigens Mina, aber meine Zweibeiner nennen mich nur Minchen. Und du? Was bist du überhaupt für eine? Ein Pferd, das seinen Hals so hoch trägt und solche schönen dicken Haarpuscheln an den Fesseln hat, hab ich noch nie gesehen.“

Komisch. Günthers Stall ist voll von Pferden, die genauso aussehen wie ich.

„Mein Namen ist Meisje, und ich bin eine Friesenstute. Günther hat mich im Kutschefahren und im Reiten ausgebildet.“

„Toll“, meint sie. „Eingefahren bin ich übrigens auch. Aber meine Zweibeinerin Irina reitet lieber gemütlich mit mir durchs Gelände, oder sie setzt ihre kleine Tochter auf meinen Rücken und geht mit uns spazieren. Mit meinen 25 Jahren bin ich ja auch nicht mehr die Jüngste.“

„So alt bist du schon?“, wundere ich mich. „Und du wirst noch geritten? Wow!“

„Na ja.“ Sie seufzt leise. „Ich bin ganz froh, dass ich nicht mehr allzu viel arbeiten muss. Manchmal tun mir nämlich ein bisschen die Gelenke weh.“ Doch jetzt beginnen ihre Augen zu glänzen. „Aber Marie, die Tochter meiner Zweibeinerin, ist sooo süß. Zum Abschied umarmt sie mich immer mit ihren weichen Ärmchen. Dabei drückt sie sich ganz fest an mich.“

Bestimmt hast du es richtig gut bei deiner Irina, denke ich. Genauso wie ich bei meinem Günther. Ach, wenn er doch schon wieder bei mir wäre!

Mir bleibt keine Zeit, um darüber nachzudenken, denn jetzt höre ich schon wieder Hufschläge. Diesmal kommen sie aus der Richtung der kleinen Tür, die durch die dicke Mauer an meiner linken Seite auf den Hof führt.

Mit gespitzten Ohren warte ich ab, denn die Geräusche klingen merkwürdig dumpf und sogar noch schwerer als die Schritte von uns Friesen. Wer immer da im Anmarsch ist, muss wirklich ein Riese sein.

Der Wallach, der nun in geruhsamem Schritt auf den Hof kommt, ist tatsächlich beeindruckend. Doch er ist längst nicht so groß, wie ich gedacht hatte. Stattdessen hat er einen überaus kräftigen Hals, einen breiten Rücken, eine runde Kruppe, starke Beine und sehr große Hufe. Er strotzt regelrecht vor Muskeln und Kraft. Und dann noch seine Farbe! Eigentlich ist sein Fell weiß, aber über den ganzen Körper sind jede Menge schwarzer Punkte verteilt.

Überhaupt: Dieser hübsche Kerl könnte mir schon gefallen, denke ich. Schade, dass er ein Wallach ist!

„Da kommt Eddie“, freut sich Minchen. „Er ist dein Nachbar auf der anderen Seite und ein total netter Typ. Bestimmt war er wieder mit seinem Zweibeiner Max beim Holzrücken.“

Max ist bestimmt der ältere Mann in Jeans, Sweatshirt und festen Schuhen, der Eddie gerade das Zaumzeug ausgezogen hat und ihn nun an einem Ring in der Mauer festbindet. Aber ich hab nicht die geringste Ahnung, was Holzrücken ist. Also frage ich Mina.

„Das kennst du nicht?“, wundert sie sich. „Gibt es bei euch denn keinen Wald?“

„Nur Felder und Wiesen“, erkläre ich. „Die Landschaft bei uns ist ganz flach. Berge habe ich zum ersten Mal hier bei euch gesehen.“

„Komisch“, findet sie. „Aber dann werde ich’s dir halt erklären. Also: Beim Holzrücken holt ein Pferd Baumstämme aus dem Wald. Das ist eine ganz schön harte Arbeit, denn man muss mit aller Kraft ziehen, dabei manchmal über sumpfige Stellen springen oder Abhänge hinunterkraxeln. Außerdem musst man sofort stehen bleiben, wenn der Baumstamm hinter einem irgendwo hängen bleibt. Gleichzeitig soll man auch noch auf die Kommandos seines Zweibeiners hören.“

„Puh“, seufze ich. „Das ist bestimmt nicht einfach.“

„Kann man wohl sagen“, bestätigt sie und schaut wieder zu dem gefleckten Wallach hinüber, dem Max gerade mit dem Wasserschlauch den Schweiß aus dem Fell spritzt. „Eddie ist ein echter Profi, schlau wie ein Fuchs und mit Nerven wie Drahtseilen.“

Bewundernd sehe ich den gut aussehenden Kerl an, der entspannt in der warmen Frühlingssonne steht und die kühle Dusche genießt.

Max streicht ihm mit einem Schweißmesser das Wasser aus dem Fell, dann führt er ihn zu unseren Paddocks.

Ich werfe mich mächtig in Pose. Es kann ja wohl nicht schaden, wenn ich einen guten Eindruck auf ihn mache. Außerdem: Manche Wallache vergessen nie, dass sie mal ein Hengst waren. Die sollen echt coole Lover sein. Also: Wer weiß?

Tatsächlich grummelt mir Eddie schon aus einiger Entfernung ein freundliches „Hi!“ zu. Während sein Mensch ihm die Tür öffnet, mustert er mich mit anerkennendem Blick.

Mit gekonntem Griff zieht Max ihm das Halfter aus, dann gibt er ihm einen Klaps auf sein mächtiges Hinterteil. „Mach dir ’nen schönen Abend, Dicker“, meint er und schließt den Paddock.

Zu meiner Freude kommt Eddie gleich zu mir an den Zaun, und wir vollziehen das Begrüßungsritual mit Beschnuppern, Quietschen und Hufestampfen.

„Hübsch, hübsch“, meint er dann. „Du bist also die Neue hier.“

Jetzt sagt der das auch noch! „Nein, nein“, wehre ich schnell ab. „Günther, mein Zweibeiner, ist gerade unterwegs, aber bald fahre ich wieder mit ihm nach Hause.“

„Aha“, meint er, doch der Blick, den er mir zuwirft, gefällt mir überhaupt nicht. Er schüttelt sich kräftig, sodass die Wassertropfen in alle Richtungen fliegen, dann stößt er einen tiefen Seufzer aus. „Puh, ich bin fix und fertig. War echt hart heute: superdicke Stämme, schlammiger Untergrund und dann noch die ersten Fliegen … Jetzt hab ich einen Bärenhunger.“ Mit diesen Worten stapft er zu seinem Heunetz und beginnt zu fressen.

Ich beschließe, das Gleiche zu tun. Wenn Günther kommt und mich auf die lange, wackelige Fahrt zurück nach Hause mitnimmt, werde ich jede Menge Kraft brauchen.

Die ganze Nacht stehe ich am Zaun und warte auf Günther. Als die Sonne aufgeht, bin ich immer noch dort und starre so verzweifelt auf das Hoftor, dass ich darüber sogar mein Frühstück vergesse.

Aber er kommt nicht.

Wenn nur diese nervigen fremden Zweibeiner nicht wären! Seit die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, drücken sich immer wieder ein paar von ihnen an meinem Paddock herum und starren mich mit den gleichen merkwürdigen Blicken an wie gestern. Dabei bin ich hundemüde und schrecklich unglücklich!

Irgendwann laufe ich nur noch unruhig in meinem Paddock hin und her. Doch am späten Nachmittag bin ich so erschöpft, dass ich mich in den Eingang meiner Box verkrieche und mit hängendem Kopf vor mich hin döse.

Dann erscheint die müffelnde Lady. In ihrer schicken, blitzsauberen Reithose und den glänzenden Stiefeln marschiert sie schnurstracks auf meinen Paddock zu.

Eddie hebt seinen Kopf und brummt: „Die hat’s aber eilig.“

„Warum?“, murmle ich.

„Sie hat Halfter und Führstrick in der Hand. Außerdem hat sie gerade einen Sattel und ein Kopfstück über den Holzbalken da drüben gehängt. Daneben hat sie einen Putzkasten gestellt“, klärt mich Mina auf. „Sie will dich reiten, da bin ich mir ziemlich sicher.“

„Das kann nicht sein“, antworte ich mit felsenfester Überzeugung. „Ich gehöre doch Günther. Und der ist nicht hier, also kann er es ihr auch nicht erlauben.“

Schweigend wendet sich Minchen ihrem Heunetz zu und zieht ein paar Halme heraus.

Die Lady ist an meinem Paddock angekommen, und der üble Geruch ihres Parfüms steigt mir derart heftig in die Nüstern, dass ich angewidert schnaube.

Da kommt Max mit einer Schubkarre voll Heu bei uns vorbei. Er wirft uns einen nachdenklichen Blick zu und bleibt stehen. „Hallo, Frau Hohenstein. Sie wollen Meisje reiten, stimmt’s?“

Die Lady hat wohl den kritischen Ton in seiner Stimme bemerkt, denn sie runzelt die Stirn. „Natürlich. Sie ist doch mein Pferd.“

Wie bitte? Ich gehöre ihr???

Der Schreck fährt mir durch Mark und Bein.

Nein, das ist nicht wahr. Das kann gar nicht wahr sein. Günter würde mich nicht verkaufen. Niemals. Ich muss mich verhört haben.

„Trotzdem würde ich jetzt noch nicht mit ihr arbeiten“, widerspricht Max. „Die Kleine hat sich doch noch gar nicht hier eingewöhnt.“

„Ich weiß nicht, wo das Problem liegt. Sie klingen ja so, als wäre Meisje noch ein Fohlen. Dabei ist sie fast fünf Jahre alt“, protestiert die Lady.

Er wiegt den Kopf. „Richtig. Aber damit ist sie immer noch verdammt jung. Ein Teenager, würde ich sagen. So richtig erwachsen sind Pferde ja erst mit acht Jahren. Und Meisje leidet, das sehe ich deutlich.“

Sie zieht die Augenbrauen hoch. „Dann wird ihr ein bisschen Abwechslung nur guttun.“

Max’ Körper verkrampft sich, er scheint sich zu ärgern. Trotzdem bleibt er freundlich. „Das glaube ich nicht. Schauen Sie doch mal, wie fertig das arme Pferd dasteht. Sie hat heute noch gar nichts gefressen, nicht mal ihr Kraftfutter hat sie angerührt. Stattdessen ist sie den halben Nachmittag in ihrem Paddock hin und her gerannt. Wenn Sie sie jetzt noch reiten, überfordern Sie sie maßlos.“

„Ich muss ja nicht gleich Gott weiß was von ihr verlangen“, wendet sie ein.

Er atmet tief durch. Jetzt ist er richtig sauer, das sehe ich ihm an. Und ich hab keine Ahnung, warum er immer noch höflich bleibt. „Sie möchten doch ein Pferd haben, das fleißig mitarbeitet und Ihnen gerne gehorcht. Halt eines, das Ihnen Freude macht. Wollen Sie das gleich zu Anfang aufs Spiel setzen? Geben Sie sich bitte einen Ruck und lassen Sie der Kleinen noch ein paar Tage Zeit, um sich hier einzuleben.“

Sie wirft ihm einen misstrauischen Blick zu. Dann überlegt sie einen Moment.

„Na gut, wenn Sie meinen“, lenkt sie schließlich ein. „Aber ein bisschen putzen werde ich sie ja wohl dürfen.“

An ihrer abwehrenden, steifen Körperhaltung erkenne ich, dass sie das eigentlich nur sagt, weil sie es sich mit dem Besitzer dieses Reitstalles nicht sofort verderben will.

Max sieht ziemlich erleichtert aus. „Ja, natürlich. Das gefällt ihr vielleicht sogar.“

Sie nickt kurz, dann öffnet sie mit einem energischen Griff das Gatter und kommt herein.

Ich trete einen Schritt zurück, denn ihr scheußlicher Geruch ist kaum noch zu ertragen.

Abrupt bleibt sie stehen und runzelt wieder die Stirn. Ich glaube, sie ärgert sich über mich. Aber was hätte ich machen sollen?

Nun scheint sie sich schon wieder ein bisschen gefangen zu haben, denn sie legt ein freundliches Lächeln auf und flötet: „Na komm, mein Schätzchen! Wir gehören doch jetzt zusammen.“

Zusammengehören? Wir? Von wegen! Ich bin Günthers Pferd. Da kann sie machen, was sie will!

Sie setzt sich wieder in Bewegung. Und ich kann nicht mehr weiter zurück, sonst würde ich nämlich mit meiner Kruppe an die Stallwand stoßen. Also warte ich mit nervös spielenden Ohren ab – und schon ist sie bei mir.

„Na also“, murmelt sie, klopft mir kurz den Hals und legt mir das Halfter an. Es klickt leise, als sie den Strick einhängt, dann fordert sie mich mit einem Schnalzen auf, ihr zu folgen.

Soll ich wirklich?

Na gut, mir wird gar nichts anderes übrig bleiben. Günther ist ja nicht da, um mich zu beschützen. Also stoße ich einen tiefen Seufzer aus und trotte mit hängendem Kopf hinter ihr her.

„Viel Glück“, brummelt Eddie mitfühlend.

Zur Antwort schlage ich nur missmutig mit dem Schweif.

Dann bindet sie mich an einem Ring in der Mauer fest, und ich lasse das Putzen mit zusammengekniffenen Nüstern über mich ergehen. Eigentlich mag ich es ja, wenn ein Zweibeiner mich mit dem Striegel schrubbt. Und erst das zärtliche Streicheln der weichen Bürste auf meinem Fell …

Aber heute ist das anders. Schon weil mich dieser Gestank umwölkt. Ich atme so flach wie möglich, trotzdem wird mir manchmal schummerig. Darum bekomme ich ab und zu gar nicht mit, dass sie etwas von mir will. Dreimal muss sie mich auffordern, bis ich endlich kapiere, dass ich ihr den rechten Hinterhuf geben soll. Und erst als sie mir ein ruppiges „He!“ entgegenschleudert, wird mir klar, dass ich nach links zur Seite treten soll. Hoffentlich, hoffentlich holt mich Günther bald ab!

Das heißt: Wenn er denn überhaupt kommt. Die Feststellung der Lady, dass ich jetzt angeblich ihr gehöre, will mir nicht aus dem Kopf gehen und bohrt sich qualvoll in jeden Winkel meines Gehirns. Dann fällt mir mit Schrecken ein, dass Günther in den letzten Jahren immer wieder einen meiner vierbeinigen Kumpel aus dem Stall geholt und in den Anhänger geführt hat. Danach ist er losgefahren, und ich habe meinen Freund nie wiedergesehen …

Ich werde steif vor Entsetzen. Plötzlich wird mir endgültig klar: Günther wird mich nicht abholen. Er hat mich wirklich und wahrhaftig verkauft, und das ausgerechnet an die müffelnde Lady!

Autsch!!! Ihr Ellenbogen ist mit Karacho in meinen Rippen gelandet.

Au weia! Bestimmt hab ich schon wieder irgendwas nicht mitgekriegt. Was könnte sie denn jetzt von mir wollen?

Aha, sie möchte, dass ich einen Schritt nach rechts gehe. Ist ja gut, dann tu ich’s halt. Doch gleichzeitig denke ich wehmütig: Günther hätte mir niemals so wehgetan. Er war immer ruhig und freundlich zu uns Pferden. Sogar als er mich eingeritten hat, ist er entspannt geblieben. Dabei hab ich damals manchmal einfach losgebuckelt, zweimal hab ich ihn sogar in hohem Bogen abgesetzt!

Und ausgerechnet jetzt, wo ich so viel gelernt und mir immer so viel Mühe gegeben habe, gibt er mich weg. Warum hat er mir das bloß angetan? Ist er mir vielleicht doch böse, weil ich anfangs so frech war?

Aua!!! Jetzt hat mir die Lady schon wieder in die Rippen gerumst. Warum denn diesmal?

Ach so, mein linker Vorderhuf steht auf dem Hufkratzer. Okay, ich nehme ihn ja schon weg. Und ich muss unbedingt besser aufpassen. Noch mehr blaue Flecken auf den Rippen kann ich wirklich nicht brauchen.

Irgendwann scheint die Lady zu denken, dass ich sauber genug bin, und ich darf zurück in meinen Stall.

Uff, endlich kann ich wieder frei durchatmen!

Als sie den Paddock wieder verlassen hat, trottet Eddie zu mir an den Zaun. „Ist nicht so toll gelaufen, oder?“

Frustriert zucke ich mit dem rechten Ohr.

„Schon klar“, seufzt er. „Aber ihr werdet euch bestimmt aneinander gewöhnen.“

Das kann ich mir nicht vorstellen. Überhaupt bin ich so traurig, dass ich ohne einen weiteren Kommentar zurück auf meinen Platz am Ausgang der Box trotte. Dort döse ich irgendwann tatsächlich ein.

„Armes Pferdchen.“

Huch!

Erschrocken reiße ich den Kopf hoch. Hoffentlich steht nicht schon wieder irgendein unbekannter Mensch am Zaun und starrt mich an!

Entwarnung. Vor meinem Paddock ist niemand. Aber ich glaube, die Stimme kam auch eher von links, aus Minchens Stall.

Ich schaue mich um.

Tatsächlich, dort ist eine junge, schlanke Frau mit kinnlangen dunklen Haaren. Neben ihr steht ein kleines Mädchen, das ungefähr fünf Jahre alt sein dürfte. Mina schaut den zweien über die Schulter, und ihre Augen leuchten.

„Schau mal! Das sind Irina und Marie, meine Zweibeiner“, stellt sie die beiden vor.

Ich mag die zwei sofort gut leiden – nicht nur weil Minchen so strahlt, sondern auch weil sie mich so freundlich ansehen. Und sie riechen kein bisschen nach ekligem Parfüm, sondern nur ein wenig nach Seife und ansonsten einfach nur nach Mensch.

Na so was! Jetzt hält mir das Kind sogar eine Möhre hin. Mit gespitzten Ohren gehe ich zu ihm, dann nehme ich das Leckerli ganz vorsichtig aus seiner Hand, damit ich die schmalen Fingerchen nicht erwische.

Wie gut das schmeckt! Zum ersten Mal, seit ich hier gelandet bin, bemerke ich, dass ich Hunger habe.

„Sooo ein tolles schwarzes Pferd“, sagt das Mädchen bewundernd. Doch selbst jetzt starrt es mich nicht so komisch an wie die Leute gestern. Stattdessen strahlt es so süß über sein ganzes Gesicht, dass mir warm ums Herz wird. Ich drücke meine Nüstern durch den Zaun und genieße, dass die kleine Hand über meine Nase streichelt.

„Sie ist eine Friesenstute“, erklärt Irina. „Das kannst du an ganz vielen Merkmalen erkennen, zum Beispiel an ihrer stolzen Körperhaltung, an ihrer langen, lockigen Mähne und an den vielen Haaren an ihren Fesseln.“

„Aha“, sagt Marie. „Aber unsere Mina ist noch schöner. Und ihre Mähne ist mindestens genauso lang.“

Na gut, wenn sie meint … Leicht beleidigt und ein bisschen eifersüchtig hebe ich den Kopf und schaue wieder in die Augen von Minchen, die immer noch vor Stolz und Freude funkeln.

So sieht ein Pferd aus, wenn seine Zweibeiner es gern haben, denke ich wehmütig, während die beiden sich wieder der alten Haflingerstute zuwenden.

Doch dann keimt leise Hoffnung in mir auf.

Vielleicht könnte es ja doch noch etwas werden mit der müffelnden Lady und mir, denke ich. Ab jetzt muss ich mir ganz viel Mühe geben. Und vielleicht benutzt sie auch nicht jeden Tag dieses scheußliche Parfüm.

Plötzlich wird mir klar, dass das Getreide in meiner Futterkrippe verführerisch duftet. Überhaupt sollte ich unbedingt mal wieder etwas fressen.

Eilig gehe ich zu meiner Krippe und mache mich über mein Futter her.

2

Eine Charakterfrage

Als ich wieder aus meiner Box herauskomme, haben Mina und ihre beiden Menschen den Nachbarpaddock verlassen. Stattdessen schnüffelt dort ein großer, wuscheliger Hund herum.

Den hab ich doch schon mal gesehen, oder?

Ja, richtig: Als ich nach meiner Ankunft verzweifelt in meinem Stall hin und her gelaufen bin, ist er in aller Ruhe über den Hof spaziert.

Mit gespitzten Ohren gehe ich an den Zaun, aber der Hund ist so beschäftigt, dass er mich nicht bemerkt. Darum stoße ich ein deutliches Schnauben aus.