Unternehmensführung und Moral - Elisabeth Göbel - E-Book

Unternehmensführung und Moral E-Book

Elisabeth Göbel

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  • Herausgeber: UVK
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Die Forderung nach mehr Moral in der Unternehmensführung ist populär. Aber warum brauchen wir Moral in der Unternehmensführung? Kann der Markt als Ersatz für Moral herhalten? Elisabeth Göbel beschreibt in ihrem Buch nicht nur, warum der Marktmechanismus und auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreichen, sondern beleuchtet fundiert u.a. die Stakeholderanliegen aus ethischer Perspektive, sowie die Rolle inner- und überbetrieblicher Institutionen.

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Seitenzahl: 137

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Inhalt

Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen

1.1 Die Forderung nach mehr Moral in der Unternehmensführung ist populär

1.2 Der Markt als Ersatz für Moral?

1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht

1.4 Warum auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreicht

Grundlagen der Ethik

2.1 Zentrale Begriffe: Moral, Ethos, Ethik, angewandte Ethik

2.2 Das Verhältnis von Moral, Ethos und Recht

2.3 Verantwortung als zentraler ethischer Begriff

Gibt es eine Verantwortung des Unternehmens?

3.1 Das Unternehmen als moralischer Akteur?

3.2 Bedingungen für die Moralfähigkeit von Unternehmen

3.3 Unternehmen sind moralfähig

3.4 Individualverantwortung im Unternehmen

Die Stakeholder als Adressaten der Unternehmensverantwortung

4.1 Unterschiedliche Definitionen des Stakeholders

4.2 Stakeholder wahrnehmen

4.3 Analyse der Stakeholderanliegen

4.4 Prognose der Stakeholderanliegen

4.5 Stakeholderanliegen bewerten

Ethische Grundlagen für die Bewertung von Stakeholderanliegen

5.1 Menschenwürde als ethisches Prinzip für die Bewertung

5.2 Gemeinwohl als ethisches Prinzip für die Bewertung

5.3 Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung

5.4 Tierschutz als ethisches Prinzip für die Bewertung

5.5 Gerechtigkeit als ethisches Prinzip für die Bewertung

5.6 Die mögliche Kollision legitimer Stakeholderanliegen

5.7 Die Abwägung konfligierender Ansprüche

5.8 Die Rolle des Gewinns bei der Abwägung konfligierender Ansprüche

Die strategische Option einer Konfliktentschärfung

6.1 Unternehmensstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit

6.2 Geschäftsbereichsstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit

6.3 Funktionsbereichsstrategien zur Förderung der Nachhaltigkeit

6.4 Ordnungspolitische Strategien

6.5 Marktaustrittsstrategie

Die innerbetrieblichen Institutionen

7.1 Die Bedeutung strukturell-systemischer Führung

7.2 Die institutionelle Unterstützung des Sollens

7.2.1 Formale Werte und Normen: Das Unternehmensleitbild

7.2.2 Informale Werte und Normen: Die Unternehmenskultur

7.3

Die institutionelle Unterstützung des Wollens

7.3.1 Personalauswahl

7.3.2 Personalbeurteilung und -honorierung

7.3.3 Kontrollsysteme

7.4 Die institutionelle Unterstützung des Könnens

7.4.1 Personalentwicklung

7.4.2 Organisationsstruktur

7.4.3 Informationssysteme und Controlling

Überbetriebliche Institutionen

8.1 Gesetze und Kodizes

8.2 Kontrollen und Anreize

8.3 Wirtschaftsethische Ausbildung und Verbraucherbildung

Fazit

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

1 Warum wir Moral in der Unternehmensführung brauchen

1.1 Die Forderung nach mehr Moral in der Unternehmensführung ist populär

Im Oktober 2010 hat der Deutsche Bundestag einen „Aktionsplan CSR“ verabschiedet, welcher zu mehr „Corporate Social Responsibility“ (CSR), also sozialer Verantwortung der Unternehmen führen soll. Ende 2011 beschloss die EU eine „neue Strategie“ zur forcierten Umsetzung von CSR in den Unternehmen der Europäischen Union. Ende 2012 wurde vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden eine „Ermutigung für Führungskräfte in der Wirtschaft“ veröffentlicht (Turkson/Toso [Unternehmer]). Sie fordert die Führungskräfte auf, die Unternehmensführung stärker entsprechend den moralischen Prinzipien der Würde der Person und des Gemeinwohls zu gestalten und sich als Führungskraft vom Ethos einer „dienenden Führung“ leiten zu lassen.

Nun mag man Kirchenvertreter und Politiker noch zu den „üblichen Verdächtigen“ rechnen, welche in wohlfeilen Sonntagsreden leicht mehr Moral einfordern können, ohne dieser Forderung im harten Unternehmensalltag nachkommen zu müssen. Längst ist die Forderung nach mehr Moral aber auch bei den wirtschaftsnahen Institutionen und in der Wirtschaft selbst angekommen. Das Handelsblatt titelt im Mai 2012 mit einem wirtschaftskritischen Interview des Kardinals Reinhard Marx, welcher die Konzentration auf die Kapitalrendite eine „Verirrung“ nennt. Die FAZ weist in ihrer Beilage „Beruf und Chance“ vom August 2012 darauf hin, dass Unternehmen händeringend nach Absolventen suchen, die über Kompetenzen im Bereich CSR verfügen. Befragungen von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften haben ergeben, dass zwei Drittel von ihnen Wirtschafts- und Unternehmensethik als Pflichtfach in ihrer Ausbildung begrüßen würden. Noch erstaunlicher: Nach einer Unternehmensbefragung der IW Consult von 2011 fordern Unternehmensvertreter ein solches Pflichtfach sogar zu 90%!

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat darauf reagiert und im November 2012 eine „Akademie für integres Wirtschaften“ (IW Akademie) gegründet. An den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten wird es zum Normalfall, dass auch Veranstaltungen zur Unternehmens- und Wirtschaftsethik angeboten werden. Große Unternehmensberatungen haben CSR als neuen Markt entdeckt und preisen CSR-Beratungen und Zertifikate an, welche den Unternehmen moralische Integrität attestieren sollen. In seltener Einmütigkeit fordern Politiker aller Couleur, Kirchenvertreter wie Gewerkschaftler, Medien, die verschiedensten Institutionen der Zivilgesellschaft, Studierende und Wirtschaftsvertreter: Wir brauchen mehr Moral und Ethos in der Unternehmensführung sowie eine Verankerung der Wirtschaftsethik in der Ausbildung künftiger Führungskräfte.

Man kann sich natürlich fragen, warum gerade heute die Forderung nach mehr Moral (und Ethos) in der Wirtschaft so populär geworden ist und Bücher, Seminare und ganze Studiengänge zur Wirtschafts- und Unternehmensethik angeboten werden, während man früher belacht oder sogar angefeindet wurde, wenn man sich als Ökonom mit Wirtschaftsethik beschäftigt hat. Wie ist das zu erklären?

1.2 Der Markt als Ersatz für Moral?

Lange Zeit waren sich die Vertreter der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften einig, dass man sich über Moral in den Unternehmen keine Gedanken machen muss. Nicht, weil man Moral im Allgemeinen für überflüssig gehalten hätte, sondern weil für die Wirtschaft der Marktmechanismus ein vollwertiger Ersatz für moralische Bedenken zu sein schien. Die Überzeugung war: Im Rahmen einer Marktwirtschaft ist die Verfolgung des Eigeninteresses das einzige Gebot. Adam Smith gab 1776 mit seiner berühmten These von der „unsichtbaren Hand“ des Marktes dafür die Vorlage:

„Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil.“ (Smith [Wohlstand]17).

1970 wurde diese These noch einmal durch den Nobelpreisträger Milton Friedman populär, der postulierte, es gäbe nur eine soziale Verantwortung der Unternehmen, nämlich die, ihre Gewinne zu steigern. Der Markt, so der feste Glaube, würde ganz von selbst für eine effiziente Nutzung knapper Ressourcen, eine bestmögliche Versorgung mit Gütern und gerechte Preise und Löhne sorgen und so das Gemeinwohl steigern. Eine moralische Haltung der Wirtschaftsakteure, insbesondere der Unternehmer, schien dagegen überflüssig, im Grunde sogar schädlich.

Und lange Zeit schien das ja auch zu klappen. Vor allem im Vergleich mit den zentralen Verwaltungswirtschaften (bspw. in der ehemaligen DDR) waren die Vorteile der Marktwirtschaft offensichtlich. Erste Zweifel an der wohltätigen Wirkung des Marktes wurden seit den 1970er Jahren vor allem von Seiten der Umweltschützer geäußert, die auf die schädlichen externen Effekte unserer Wirtschaftsweise und die Grenzen des Wachstums hinwiesen. Mit dem Brundtland-Bericht von 1987 wurde die Forderung populär, die Wirtschaft solle sich stärker dem Gedanken der ökologischen Nachhaltigkeit verpflichten. Von sog. Dritte-Welt-Gruppen wurde auch schon früh an Kinderarbeit, schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen in den Entwicklungs- und Schwellenländern Kritik geübt. Aber erst seit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise der allgemeine Wohlstand nicht mehr wächst, viele Menschen ihre Ersparnisse durch Spekulanten verloren haben, Millionen Arbeitnehmer in prekären Arbeitsverhältnissen stehen, Banken mit enormen Summen an Steuergeldern gerettet werden müssen, die Jugendarbeitslosigkeit in der EU Rekordzahlen erreicht, vielen Ländern der finanzielle Kollaps droht und die Kluft zwischen Armen und Reichen immer größer wird, ist der Glaube an die heilsamen Marktkräfte in breiten Kreisen der Bevölkerung erschüttert. Nach einer Allensbach-Umfrage von 2010 halten nur noch 38% der deutschen Bevölkerung die Marktwirtschaft für ein gutes Wirtschaftssystem, wobei vor allem die soziale Ungerechtigkeit angeprangert wird. Nur 21% der Menschen empfinden die wirtschaftlichen Verhältnisse als gerecht. Dass allein aus den Gewinnmaximierungsinteressen der Unternehmer von selbst das größte Gemeinwohl erwächst, wird immer mehr angezweifelt.

1.3 Warum der Marktmechanismus nicht reicht

In jüngster Zeit ist Kritik an der Marktwirtschaft populär geworden. Dabei war eigentlich schon immer klar, dass der reale Markt gegenüber den Idealmodellen der Ökonomen Defizite aufweist. Die ausschließlich wohltätige Wirkung des Marktes funktioniert nämlich nur in einer fiktiven Idealwelt. Zu den Funktionsbedingungen des idealen Marktes gehören die vollkommene Transparenz, der vollkommene Wettbewerb und das Fehlen von Marktbenutzungskosten, auch Transaktionskosten genannt. Weil jeder Marktteilnehmer über alle Bedingungen des Tausches vollständig und richtig informiert ist und jederzeit und kostenlos auf andere Anbieter bzw. Nachfrager ausweichen kann, funktioniert die sog. Marktkontrolle vollkommen. Betrug oder Ausnutzung von Macht können nicht vorkommen. Externe Effekte sind ausgeschlossen, weil alles im wohldefinierten Privateigentum von irgendjemand ist und auf Märkten gehandelt werden kann. Will ein Unternehmer bspw. bei der Produktion Lärm oder Dreck erzeugen, muss er die Rechte dazu von den Betroffenen, bspw. den Anwohnern, kaufen. Sämtliche Auswirkungen der Produktion gehen so in seine Kalkulation ein und spiegeln sich im Preis wieder. Der Preis ist ein zuverlässiges Signal für die Knappheit einer Ressource. Knappe und somit teure Ressourcen werden sparsam eingesetzt. Zugleich werden die dringlichsten Bedürfnisse zuerst befriedigt, denn auch die Dringlichkeit eines Bedürfnisses zeigt sich im Preis. Der reale Markt ist von dieser Idealwelt jedoch weit entfernt.

Der Markt hat Probleme im Umgang mit sog.

öffentlichen Gütern

, die quasi allen Menschen gehören, weil niemand unter vertretbaren Kosten vom Konsum ausgeschlossen werden kann. Weite Teile der natürlichen Umwelt zählen dazu (bspw. Luft, Flüsse, Meere, Atmosphäre), aber auch immaterielle Güter wie die innere und äußere Sicherheit eines Staates. Der individuelle Nutzenmaximierer wird kein Interesse haben, in öffentliche Güter zu investieren, denn der Nutzen daraus fällt auch anderen zu, die Kosten aber trägt er privat. Außerdem wird er das öffentliche Gut hemmungslos nutzen, denn der Nutzen fällt privat an, die Kosten aber werden sozialisiert. Es entstehen externe Effekte, weil eben nicht alles privatisiert und gehandelt werden kann. Die Übernutzung von bzw. die Unterinvestition in öffentliche Güter ist in der Regel zu erwarten, was sich ja auch eindrücklich in der enormen Umweltverschmutzung zeigt.

Beispiel: In China werden in manchen Großstädten die Menschen schon davor gewarnt, ihre Wohnungen zu verlassen und die mit Feinstaub verschmutzte Luft draußen einzuatmen. Gleichzeitig verweist man mit Stolz auf die ständig wachsenden Zulassungszahlen bei den privaten PKWs.

Vom Markt werden

Güter bereitgestellt, die unerwünscht sind

. Rationale Nutzenmaximierer bedienen auch die Nachfrage nach Drogen, Kinderpornografie, nach Waffen für Kriminelle, nach Staatsgeheimnissen etc. Der Markt hat keinen Maßstab für Güter, die wirklich „gut“ sind oder für Dienstleistungen, die wirklich „dienen“. Er kennt nur den Maßstab der kaufkräftigen Nachfrage. Überlegungen, dass bestimmte Waren nicht bedenkenlos dem freien Markt überantwortet werden können, müssen aus anderen Quellen kommen.

Beispiele: Der Verkauf von Drogen ist bei uns verboten, der Verkauf von Waffen streng reglementiert.

Anders als im Modell des idealen Marktes vorgesehen gibt es in der Realität keine völlige Markttransparenz. Es herrscht oft eine

Informationsasymmetrie

zwischen den Beteiligten, was von der neueren Ökonomik, vor allem vom sog. Principal-Agent-Ansatz, ausdrücklich zugestanden wird. Der Konsument weiß bspw. nicht, ob das Fleisch, das er beim Metzger kauft, tatsächlich aus Biohaltung stammt. Der eigennutzmaximierende Metzger könnte ohne weiteres Fleisch aus Massentierhaltung billig kaufen und es als teures Biofleisch verkaufen. Aus der Informationsasymmetrie entsteht ein „moral hazard“, also ein moralisches Risiko.

Beispiel: Die Käufer von „sauberen“ Dieselautos wurden vorsätzlich darüber getäuscht, wie hoch der Schadstoffausstoß ihres PKW tatsächlich ist.

Zu beachten sind auch die

Machtasymmetrien

zwischen den Beteiligten. Wie

Adam Smith

selbst schon problematisiert hat, herrscht ein solches Machtungleichgewicht oft auf dem Arbeitsmarkt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Rein nach Marktlogik müsste ein Überangebot an Arbeitskräften die Löhne auf ein Niveau drücken, auf dem die Menschen eben noch vegetieren könnten, ja manche wären ganz einfach zum Verhungern verurteilt. Es wären also Marktergebnisse zu erwarten, die „mit unseren Vorstellungen über Humanität“ nicht zu billigen wären (vgl.

Smith

[Wohlstand] 62f.). Machtasymmetrien mit den entsprechenden moralischen Risiken (vor allem der Nötigung des schwächeren Partners zu vertraglichen Zugeständnissen) ergeben sich im Grunde immer, wenn eine Vertragspartei stärker auf den Austausch angewiesen ist als die andere. Auch dieses Problem wird durch die Neue Institutionenökonomik, insbesondere durch den Transaktionskostenansatz, anerkannt. Bei asymmetrischen Machtverhältnissen kann von der Tatsache eines freiwilligen Vertragsschlusses nicht mehr ohne weiteres auf die Gerechtigkeit des Tausches geschlossen werden. Ein Arbeitnehmer oder Lieferant kann auch „zähneknirschend“ einem ungerechten Tauschvertrag zustimmen.

Beispiel: Die wachsende Zahl von prekären Arbeitsverhältnissen legt Zeugnis ab von den asymmetrischen Machtverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt.

Der Markt kann nicht für

Bedürfnisgerechtigkeit

sorgen. Wer Güter bekommt, entscheidet die Kaufkraft, nicht das Bedürfnis. Und zwischen der Dringlichkeit eines Bedürfnisses und der Kaufkraft kann eine große Diskrepanz bestehen. Der eigennutzmaximierende Bäcker hat keinen Grund, einem Bettler seine Brötchen zu schenken. Ohne das Wohlwollen der Mitmenschen und eine gewisse Solidarität würden alle, die im Markt nicht mithalten können, auf der Strecke bleiben. Die Unternehmer haben nicht das vorrangige Interesse, Menschen mit dem zu versorgen, was sie brauchen, sondern wollen in erster Linie Geld verdienen. Wie schon einer der Gründerväter der BWL,

Wilhelm Rieger

, klar erkannt hat, ist die Versorgung der Menschen durch die privatwirtschaftlichen Unternehmen nur ein Nebeneffekt bei der Verfolgung des eigentlichen Zieles, der möglichst hohen Rendite (vgl. [Einführung] 41).

Beispiel: Apotheker und Krankenhäuser klagen über immer größere Versorgungslücken bei gut wirksamen Medikamenten, die von den Pharmafirmen nicht mehr bereitgestellt werden, weil sie nicht mehr rentabel genug erscheinen, bzw. für die es Lieferprobleme gibt, weil sie aus Kostengründen nur noch in einem Werk hergestellt werden.

Der Markt verhindert nicht die

Verschwendung knapper Ressourcen

. Obwohl die Sparsamkeit im Umgang mit knappen Ressourcen oft zum Hauptvorteil der Marktwirtschaft erklärt wird, garantiert der Markt keineswegs eine solche Sparsamkeit. Denn erstens muss die Knappheit einer Ressource im Preis zum Ausdruck kommen, wenn der Markt sie erkennen soll. Wie das Beispiel der Wahrnehmung von Natur und Umwelt als „freies“, d.h. „kostenloses“ Gut zeigt, können reale Knappheit und Preis weit auseinander liegen. Zweitens werden auch knappe und teure Ressourcen verschwendet, solange der Kunde nur bereit ist, dies über den Preis zu honorieren.

Beispiel: In Deutschland werden immer mehr schwere Geländewagen verkauft, obwohl sie mit ihrem sehr hohen Spritverbrauch sicherlich zur Verschwendung knapper Ressourcen beitragen.

Die Marktakteure sind schließlich häufig nicht an einem fairen Wettbewerb interessiert, sondern versuchen im Gegenteil den

Wettbewerb

durch Absprachen und Zusammenschlüsse zu

verhindern

. Die ideale Marktkonstellation aus Sicht eines Unternehmens ist das Angebotsmonopol, bei welchem die Nachfrager keine Ausweichmöglichkeit haben und der Anbieter die Preise praktisch diktieren kann. Von einem eigennutzmaximierenden Unternehmer kann man Bestrebungen zum Aufbau von Marktmacht erwarten.

Beispiel: Wegen illegaler Preisabsprachen mussten vier Lastwagenhersteller 2016 fast drei Milliarden Euro Strafe zahlen.

Beispiele: Umweltschutzgesetze sollen die Ausbeutung öffentlicher Güter unterbinden. Der Verkauf von Waffen ist an strenge Auflagen gebunden. Zahlreiche Gesetze verpflichten die Anbieter von Waren und Dienstleistungen zur Offenlegung von Informationen. Arbeitsschutzgesetze verhindern inhumane Arbeitsbedingungen, die Gegenmachtbildung der Arbeitnehmer in Gewerkschaften wird vom Staat unterstützt. Jedem wird über die Sozialhilfe ein Mindestlebensstandard garantiert. Wo der Markt als Versorger ausfällt, springt der Staat mit eigenen Angeboten ein. Knappe Ressourcen werden durch zusätzliche Steuern teurer gemacht, damit der Markt die Knappheit erkennt. Eine Kartellbehörde versucht, die Marktmacht der Unternehmen unter Kontrolle zu behalten und Absprachen zur Einschränkung des Wettbewerbs zu unterbinden.

Ist durch eine solche staatlich regulierte Marktwirtschaft die gemeinwohlfördernde Wirkung unternehmerischer Tätigkeit gesichert? Diese These vertritt zumindest die „Moralökonomik“. Ihre Vertreter sehen den systematischen Ort für Korrekturen unerwünschter Marktergebnisse in der gesetzlichen Rahmenordnung. Denn – so ihr Hauptargument – einzelne Unternehmen könnten es sich in einer Marktwirtschaft bei Strafe des Ruins nicht leisten, freiwillig höheren moralischen Standards zu folgen als die Wettbewerber. Die weniger bedenklichen Konkurrenten würden ein solches Verhalten sofort zu ihren Gunsten ausnutzen. Es sei also nur mit der Markwirtschaft kompatibel, den für alle verbindlichen gesetzlichen Rahmen zu verschärfen. Appelle an die individuelle Moral der Wirtschaftsakteure, vor allem der Unternehmer, seien verfehlt und altmodisch. In einer gesetzlich regulierten Marktwirtschaft wird das „geradezu unbändige Streben nach individuellen Vorteilen“ zum „sittlichen Imperativ“ (Homann [Ethik] 18), die Gewinnmaximierung für Unternehmen zur moralischen Pflicht (vgl. Homann/Blome-Drees [Unternehmensethik] 24). Durch die Einbettung des Marktes in eine ausgefeilte Rahmenordnung scheint seine gemeinwohlfördernde Wirkung gesichert, während man auf die Individualmoral der Wirtschaftsakteure weiterhin getrost verzichten kann und das Verfolgen der eigenen Interessen zur (einzigen) Pflicht macht.

1.4 Warum auch eine Verschärfung der Gesetze nicht ausreicht