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Jens Bergmann

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Beschreibung

Nutella oder Nudossi? Micky Maus oder Fix und Foxi? Harley Davidson oder Yamaha? Marken sorgen für Orientierung in der Warenflut. Sie dienen als Projektionsflächen, liefern Gesprächsstoff und lösen starke Gefühle aus. Manche werden geliebt, andere gehasst. Was hinter all den Namen steckt, erzählen die hier versammelten Markenkolumnen aus dem Wirtschaftsmagazin brand eins.

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EPUB

Seitenzahl: 636

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Herausgeber: Verlag brand eins

brand eins Medien AG

Friesenweg 4 (Haus 1 –3), 22763 Hamburg

brandeins.de

1. Auflage

Gestaltung: Stefan Ostermeier

Illustration: Manu Burghart

Vertrieb: Bookwire GmbH

Voltastraße 1, 60486 Frankfurt am Main

EPUB-ISBN: 978-3-949712-09-8

UNTERSCHEIDE DICH!

Jens Bergmann

Markengeschichtenvon Abtbis Zwilling

VORWORT

Viel mehr als Schall und Rauch

Als ich im September 2004 mit einem Beitrag über den Möbelhersteller Cor („Der Golf fürs Wohnzimmer“, S. 47) meine monatliche Kolumne in brand eins begann, dachte ich, dass sich das Thema Marke in überschaubarer Zeit erschöpfen würde. Aber es kam anders. Insgesamt sind mehr als 200 Kolumnen entstanden, und es gäbe noch viele weitere Geschichten zu erzählen. Denn Marken ähneln in mancherlei Hinsicht Menschen und werden wie diese nie langweilig. Sie haben individuelle Biografien, brauchen eine Zeitlang, um sich zu entfalten, können zu Berühmtheiten aufsteigen und tief fallen.

Das Spektrum der Markenpersönlichkeiten ist weit: Da sind Aufschneider und Bescheidene, Blender und Solide, ehrliche Häute und Schwindler, Davids und Goliaths, Avantgardisten und Konservative. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Menschen und Marken: Letztere können viel älter werden als unsereins, manche haben sogar mehrere Leben wie beispielsweise Grundig oder Telefunken („Die Wiederauferstandene“, S. 89, „Haste keine, miet dir eine!“, S. 216).

Marken fungieren für uns als Identifikationsobjekte und Projektionsflächen, sie dienen als Anker in einer unübersichtlichen Waren- und Wirtschaftswelt. Viele Menschen haben starke Meinungen über bestimmte Marken, lieben oder hassen sie. Marken sind Gesprächsthemen, mit ihnen sind Gefühle verbunden, Bilder im Kopf und manchmal auch ein unverwechselbarer Sound wie der charakteristische Klick beim Öffnen des Sturmfeuerzeugs Zippo („Teile den Schmerz, S. 251). Zuweilen entstehen zwischen Marken und Menschen langfristige Bindungen, im Fachjargon spricht man von parasozialen Beziehungen.

Für Unternehmen und andere Organisationen bieten Marken viele Vorteile. Dank ihnen sticht man aus der Masse heraus; Kunden sind bei vielen Markenartikeln weniger preissensibel als bei No-Name-Produkten. Marken stellen ähnlich wie Patente einen Wert dar und können zu einer Art Alters- und Lebensversicherung für ihre Eigentümer werden. Starke Marken lassen sich lizenzieren, also an andere Firmen vermieten, damit diese ihre Produkte damit aufwerten. Eines der erstaunlichsten Geschäfte dieser Art betreibt die japanische Firma Sanrio, die wesentlich von der Vermarktung der Figur Hello Kitty lebt („Niedlichkeit kennt keine Grenzen“, Seite 103). Das Kätzchen prangt auf allen erdenklichen Produkten – von Schulranzen bis zu Flugzeugen – und sorgt mit geringstmöglichem Aufwand für glänzende Geschäfte.

Erkennbarkeit hat allerdings auch einen Preis: Markenunternehmen können sich nicht so leicht verstecken wie die weniger namhafte Konkurrenz. Sie werden in Zeiten moralischer Märkte stärker hinterfragt denn je und im Zweifel auch haftbar gemacht. Unter dem Strich überwiegen aber die Vorzüge, weshalb sich heute nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Nichtregierungsorganisationen (Unicef), Urlaubsinseln (Helgoland) oder Städte (Osnabrück) mehr oder weniger erfolgreich der Markentechnik bedienen („Die Weltläufige“, S. 226, „Ade, Fuselfelsen“, S. 102, „Das Metropölchen“, S. 168).

So macht man sich einen Namen

Generell gilt in der Überflussgesellschaft: Wer sich von der Konkurrenz abheben will, muss unterscheidbar sein und Aufmerksamkeit erregen. Die klassische Methode ist Werbung, es gibt aber auch billigere Alternativen wie zum Beispiel Mundpropaganda. Man vertraut auf sein Produkt und die Empfehlungen derjenigen, denen es gefällt. So wie Topro, ein Hersteller von Rollatoren („Prinzip S-Klasse“, S. 222). Den meisten Menschen ist die Vorstellung unangenehm, auf ein solches Gefährt angewiesen zu sein. Das änderte der norwegische Hersteller, indem er es in Form und Funktion aufwertete und dann mit dem „Leithennenprinzip“, so der damalige Deutschland-Chef, bekannt machte. Ähnlich wie Mütter ihre schicken Kinderwagen führten ältere Damen gern ihre Rollatoren vor und weckten so Begehrlichkeiten in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis.

Eine ähnliche Funktion haben Geschichten über Firmen und Produkte, neudeutsch heißt das Storytelling. Viele Modemarken wie etwa Gant („Ich bin ein Schwede“, S. 83) operieren mit Gründungsmythen, denn diese sind im Gegensatz zu Textilien nicht leicht zu kopieren. Ob wahr oder ausgedacht: Geschichten bleiben viel stärker im Gedächtnis als abstrakte Fakten. Ein skurriles Beispiel ist die Bergmann-Uhr, die bekannt wurde, weil Zeitschriften sie als Abo-Prämie auslobten. Erfunden hat sie ein Zahntechniker, der sich auf Werbemittel verlegte. Er kreierte die Uhr Anfang des Jahrtausends, orientierte sich an klassischen Designs aus der Vergangenheit, und ließ die billig in Asien produzierten Produkte bedeutungsvoll mit Jahreszahlen wie „1957“ versehenen. Mittlerweile hat er mehr als zwei Millionen abgesetzt, zeitweise war er einer der erfolgreichsten Uhrenproduzent Europas. Der Erfolg aus der Retorte beruhte darauf, dass die Marke von Verlagen in deren Abo-Anzeigen ins beste Licht gerückt wurde – und auf der vermeintlichen Tradition der Bergmann-Uhr. Manche Besitzer sind fest davon überzeugt, schon ihre Vorfahren hätten eine gehabt („Frech gewinnt“, S. 31).

Auch die Verpackung kann den Unterschied machen: Capri Sun (früher Capri-Sonne) verdankt seinen Erfolg weniger den süßen Getränken als den von der »Süddeutschen Zeitung« einmal „glamourgeil“ und „weltraumfuturistisch“ genannten Alubeuteln, in denen sie angeboten werden („Zuzeln und knallen lassen“, S. 45). Sie ziehen Kinder vor allem wegen ihrer haptischen Qualitäten magisch an. Beim Traktorhersteller John Deere („Trecker fahr’n!“, S. 117) spielt dagegen der Look eine entscheidende Rolle. Alle Karossen strahlen in der grün-gelben Firmenfarbe – eine Reminiszenz an die Maisfelder des Mittleren Westens der USA, wo das Unternehmen im Jahr 1837 gegründet wurde. Die Firma war eine der ersten, die konsequent auf ein leicht verständliches und wiedererkennbares Produktdesign gesetzt hat, um Landwirte für sich zu begeistern. Heute ist der Siegeszug der Gestalter in der Warenwelt unübersehbar: Alles, was aufgehübscht werden kann, wird auch aufgehübscht. Wer eine Designlücke entdeckt, kann sie profitabel füllen wie Fiskars, ein finnischer Anbieter gut gestalteter Gartengeräte („Ich glaube, es hackt!“, S. 72).

So wird man groß

Viele Marken entwickeln sich urwüchsig, genügsam, auskömmlich und kommen so gut durchs Geschäftsleben. Hilfreich ist eine regionale Verankerung wie bei Nürnberger Lebkuchen („Die süße Elise“, S. 79), Kölsch („Das Familienbier“, S. 128), Appenzeller („Strenge Gemeinschaft“, S. 20) oder Nudossi („Sachsens Antwort auf Nutella“, S. 163), eine der wenigen überlebenden DDR-Marken. Damit Namen groß werden, muss mehr passieren. Sie müssen zum Beispiel von einflussreichen Leuten – heute auch Influencer genannt – entdeckt werden wie einst der Naturkosmetikhersteller Dr. Hauschka („Der Hollywood-Effekt“, S. 98). Die bodenständige schwäbische Firma verkaufte ihre Produkte hauptsächlich in Apotheken, Naturkostläden und Reformhäusern an Wollsockenträger. Bis Julia Roberts in einem Interview die für sie unaussprechliche Marke lobte. Madonna und Cate Blanchett schlossen sich an. Diese Gratiswerbung bescherte der Firma neue Kundinnen und ein bis heute anhaltendes Wirtschaftswunder. Beim Bio-Lebensmittelhersteller Allos („Der Veggie-Multi“, S. 16), 1974 von einem Überzeugungstäter auf einem Bauernhof gegründet, spielte der Zeitgeist die entscheidende Rolle. Das Unternehmen nutzte den Trend hin zu vegetarischer Ernährung und hat sich zu einem Konzern mit etlichen Bio-Marken entwickelt.

Den Zenit hat eine Marke erreicht, wenn sie zum Gattungsbegriff geworden ist wie Tempo („Auf Nummer durchschnupfsicher“, S. 217), Uhu („Der frühe Vogel fängt den Wurm“, S. 225) Resopal („Ganz schön oberflächlich, S. 185), Plexiglas („Wir sind Marke!“, S. 175) oder das Dixi-Klo („Die Männer-mal-Bier-Formel, S. 54). Wer dort angekommen ist, muss sich nicht mehr um die Bekanntheit sorgen, sondern um seinen Status als geschützte Marke und darum, dass andere Hersteller in seinem Windschatten segeln. Gewöhnlich dauert dieser Prozess geraume Zeit. Die Flexi-Hundeleine ist der seltene Fall eines Produkts, das umstandslos zum Gattungsbegriff wurde („Die kleine Unbekannte“, S. 77). Fast jeder Hundehalter kennt die von einem Selfmademan in Schleswig-Holstein erfundene Rollleine, aber nur wenige wissen, dass dahinter ein Markenunternehmen mit patentierter Technik steht.

Hilfreich bei der Markenbildung komplexerer Produkte ist eine symbiotische Beziehung zur Kundschaft. Das zeigt die Geschichte von Globetrotter, dem Kauf- und Versandhaus für Frischluftfreunde („Die Zielgruppe sind wir“, S. 86). Die Firma entwickelte sich nicht zuletzt wegen ihrer Personalpolitik vom kleinen Krauter zum großen Kaufhaus: Die beiden Gründer stellten einfach gute Kunden ein, Weltenbummler, die viel gekauft und gerne Sachen fürs Leben draußen ausprobiert haben. So wurden aus Käufern Verkäufer und später auch Manager. Auf dieses Prinzip der Kundenbindung durch ihresgleichen setzt Globetrotter bis heute.

Grundsätzlich gilt für Marken wie für alle Images: Sie entstehen im Auge des Betrachters. Man kann sich noch so anstrengen, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken, letztlich entscheidet darüber das Gegenüber. Manchmal kapern Kunden Marken regelrecht. Das war das große Glück des FC St. Pauli. Der Club ist nicht nur bei Fußballfans wegen seines einprägsamen Markenzeichens (die Totenkopf-Fahne) und seines Rufs als Freudenhaus am Millerntor weithin bekannt. Dieses Image verdankt der die längste Zeit seiner Geschichte stinknormale Verein der linken Szene, die in den Achtzigerjahren ihre Liebe für den damals ungestümen und leidenschaftlichen Stil der Mannschaft entdeckte. Das neue Klientel erfand den FC St. Pauli komplett neu: als einen rebellischen Fußballverein, zu dem sich Leute mit Grips bekennen konnten („Der Charme des Verlierers“, S. 70).

So hält man sich falsche Freunde vom Hals und bleibt jung

Es gibt Übernahmen, die für Firmen weniger erfreulich sind. Das erlebte das englische Label Lonsdale, das ursprünglich aus dem Boxsport kam, unter anderem dank Muhammad Ali bekannt wurde und später Streetwear machte. Zum Erkennungszeichen gehört das große Logo in Großbuchstaben. Das entdeckten irgendwann auch deutsche Rechtsextreme für sich, denn wenn man ein Lonsdale-T-Shirt unter einer Bomberjacke trägt und den Reisverschluss etwas schließt, sieht man nur die Buchstaben NSDA – fehlt nur noch das P für NSDAP, dass sich der Betrachter hinzudenken darf. Wäre man bei Lonsdale zynisch gewesen, hätte man gesagt: Braune Kunden sind auch Kunden. Das war man aber nicht. Die Firma, die Lonsdale in Europa vertreibt, sah sich das Treiben einige Jahre an und beschloss dann, Farbe zu bekennen. Man begann antifaschistische Initiativen zu unterstützen und bestimmte Geschäfte zu boykottieren. Angeblich soll es sogar zu rituellen Verbrennungen von Lonsdale-Klamotten durch Neonazis gekommen sein. Mittlerweile ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt, dass die Produkte nicht in Geschäften angeboten werden dürfen, welche Marken führen, die dem „rechtsextremen Umfeld zuzuordnen sind“. So konsequent distanzieren sich wenige Unternehmen von falschen Freunden („Finger weg, Faschos!“, S. 139).

Manche Marken altern gut, andere weniger, aber fast jede braucht irgendwann eine Verjüngungskur. Das war auch bei dem Kölnisch Wasser 4711 so, eine Ikone und die erste globale Marke aus Deutschland, die irgendwann im Parfüm-Regal zu verstauben drohte. Denn viele lieben ihre Großmutter, aber nur wenige möchten riechen wie sie („Das Oma-Problem“, S. 204). Das drohte der Marke zum Verhängnis zu werden, die lange dem Konzern Procter & Gamble gehörte, der mit ihr nichts anzufangen wusste und sie schließlich sogar öffentlich zum Verkauf anbot. Den neuen Eigentümern gelang es, die Marke auf neue Produkte für jüngere Leute auszudehnen, ohne Stammkunden zu vergraulen.

Doch was tun, wenn die Zeit definitiv an einem vorbeigegangen ist? Den Tatsachen ins Gesicht sehen und nicht verzweifelt auf Teenager machen. So verfuhr man mit Fromms, der ersten Kondommarke der Welt, die Ende der Achtzigerjahre recht alt aussah. Der Mutterfirma Mapa kam da die staatliche Aids-Aufklärungskampagne inklusive TV-Werbespots („Tina, wat kosten die Kondome?“) gerade recht – um eine ganz neue Marke zu erfinden. Billy Boy kam anders daher als die bekannten Präservativsorten: weder klinisch-steril noch pornografisch, sondern lustig: bunte Gummis in mit Penis-Figur verzierter schwarzer Packung („Poser greifen zu XXL“, S. 33). Die selbst erschaffene Konkurrenz war damals nicht unumstritten im Hause Mapa, setzte sich aber durch. Fromms wird weitergeführt, aber nicht beworben, und kann in Ruhe weitern altern. Auf Reklame-Null-Diät hat der Zigarettenkonzern BAT auch den einstigen Marktführer HB gesetzt – der seit Jahrzehnten einen profitablen Tod stirbt („Hoch lebe Bruno!“, S. 100).

So beschädigt man seinen guten Ruf

Grundsätzlich sind Marken robust, so wie das Bobby Car („Es läuft und läuft und läuft“, S. 35), aber nicht unverletzlich. Die beste Methode, sie zu beschädigen, ist Aktionismus. Das kommt häufig vor, weil Manager in kaum einem Ressort so häufig den Beruf wechseln wie im Marketing. Um in der kurzen Zeit, die sie haben, Spuren zu hinterlassen, ändern sie gern irgendetwas am Markenauftritt: Ein neues Logo muss her, neue Reklame oder gar ein neuer Name. Das legendärste Beispiel stammt aus dem Hause Mars. Der Konzern beschloss 1991, einen der damals beliebtesten Schokoriegel in Twix umzubenennen. „Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix!“ Interne Begründung: Der Snack werde in den meisten anderen Ländern unter diesem Namen verkauft. Die Kunden hierzulande waren irritiert, die Verkäufe gingen zurück – nur an den alten Namen erinnern sich noch viele. Bis heute bringt Mars Deutschland regelmäßig eine limitierte Raider-Sonderedition heraus. Was nebenbei zeigt, wie nachhaltig Marken ins kollektive Gedächtnis eingehen können.

Das gilt auch für eine Marke, die keinem Unternehmen gehört, aber von großer ökonomischer Bedeutung ist: den Diplom-Ingenieur, kurz Dipl.-Ing. Diese Berufsbezeichnung ist mehr als 120 Jahre alt und steht vor allem international für deutsche Wertarbeit. Was Bildungspolitiker aber nicht daran hinderte, sie ohne viel Federlesens abzuschaffen. Der Titel ist ein Opfer der Bologna-Reform zur Vereinheitlichung des europäischen Hochschulwesens. Demnach wird der Diplom-Ingenieur mit der Umstellung der Studiengänge durch den „Master of Engineering“ beziehungsweise „Science“ ersetzt. Allerdings sind nationale Ausnahmen zulässig. So hält Frankreich an dem traditionellen akademischen Grad fest. Und in Österreich – ein Land, in dem man Titel seit je zu schätzen weiß – können sich Absolventen für die alte oder die neue Berufsbezeichnung entscheiden. So viel Flexibilität ließen die deutschen Bildungspolitiker nicht zu und versprachen: „Der deutsche Master in den Ingenieurswissenschaften wird sich bald zu einem internationalen Markenzeichen entwickeln.“ („Bye-bye, Dipl-Ing.!“, S. 53) Prinzip Hoffnung. Ein Blick in das auch für die Markenführung lehrreiche Vaterunser hätte die Verantwortlichen womöglich eines Besseren belehren können: „Geheiligt werde dein Name.“

Viel Vergnügen bei der Reise durch mehr als 17 Jahre brand eins-Markengeschichten wünscht Ihnen

Jens Bergmann

INHALT

A

Abt

Abus

Ado

Allos

Almdudler

Ampelmann

Das rote A des Deutschen Apothekerverbands

Appenzeller

ASS Altenburger Spielkarten

B

Ballistol

Barbie

Beate Uhse

Beckerbillet

Becking Kaffee

Dr. Beckmann

Bellybutton

Bergmann Bier

Bergmann-Uhr

Bijou Brigitte

Billy Boy

Blaupunkt

Bobby Car

Bocksbeutel

Botox

Braun, Herrenausstatter

Dr. Bronner’s

Brooks

Bundesnachrichtendienst

Butlers

C

Capri-Sonne

Carrera

Cor

Création Gross

Curaprox

D

Dallmayr

Deiters

Diplom-Ingenieur

Dixi-Klo

Duden

Duracell

E

Edding

Der Eichelmann

Emser Salz

Engel und Völkers

Engels Kerzen

Erfurt Raufasertapeten

Esbit

Eschenbach

F

Faber-Castell

FC St. Pauli

Fischertechnik

Fiskars

Fissler

Fit

Fix und Foxi

Flensburger

Flexi-Hundeleinen

Frankfurter Brett

Fraunholz Lebkuchen

Frosch

Fujifilm

G

Gant

Gelbe Seiten

Gizeh Zigarettenpapier

Globetrotter

Gollnest & Kiesel

Griesson – de Beukelaer

Grundig

H

Halberstädter Würstchen

Halloren

Händlmaier

Hansaplast

Happy Dog / Happy Cat

Harley-Davidson

Hästens

Dr. Hauschka

Hazet

HB

Helbing

Helgoland

Hello Kitty

Hengstenberg

Heute Maschinenfabrik

Hohner

Hummel-Figuren

Hymer

I

Iglo

Inbus

J

Ja!

Jägermeister

John Deere

K

Kaldewei

Kärcher

Karl-May-Verlag

Katholische Kirche

Katjes

Kiehl’s

Kieser

Knirps

Köllnflocken

Kölsch

Kramski Putter

Krups

L

Lada

Lebensfreude-Kalender

Leifheit

Les Mills

Leuchtturm

Leysieffer

Lonsdale

Lorenz von Ehren

M

Maerz

Manner

Manolo Blaník

Märklin

Marshall

Martinshorn

Maxi-Cosi

Melitta

„Mensch ärgere Dich nicht“

Mey

Minimax Viking

Mister Minit

Mollenhauer

Monster

Mühle Rasurkultur

Mymarini

N

New Balance

Nordsee

Nudossi

O

Odol

Ohropax

Ortlieb

Osnabrück

P

Pelikan

Persil

Petromax

PEZ

Plexiglas

Poliboy

»Praline«

Puky

Pullmoll

R

R&M Wegener

Reclam

Reisswolf

Rentokil

Resopal

Riedel

Römertopf

Romika

Rotbäckchen

Rymhart

S

Salamander

SanLucar

Schamel

Schiedmayer

Schiesser Revival

Schleich

Schwacke-Liste

Schweppes

Scout Schulranzen

Sebamed

Segway

4711 Kölnisch Wasser

Sloggi

Sør

Speick

Städter

Steiff

Stiebe Eltron

Stihl

Studiosus

Sylter Royal

T

Teekanne

Telefunken

Tempo

Terra Canis

Thiele Tee

Tipp-Ex

Tipp-Kick

Topro

U

Uhu

Unicef

Unimog

V

Van Laack

Verpoorten

Vileda

Villeroy & Boch

W

Wagner Stühle

Weber Grill

Weckgläser

Weihnachtsmann

Wesco

Whiskas

Wienerwald

Wolford

Woolworth

Wrigley

Y

Ytong

Z

Zenith

Zimmerli

Zippo

Zweitausendeins

Zwilling

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 06/2008

Wroooooooooooo ooooooooom!

Der Allgäuer Auto-Aufmotzer Abt verwandelt VW, Audi & Co in Männerspielzeug. Und zeigt, wie man sich durch Symbiose einen Namen macht.

Schicke Autos und schicke Kleider haben etwas Wesentliches gemein: Wenn die Konkurrenz die Gleichen hat, sind sie nur noch halb so schön. Dies ist auch der Grund, warum sich der Fußballspieler Lukas Podolski keinen serienmäßigen Audi R8 gekauft hat. Sondern die super-getunte Version des Sportwagens aus dem Hause Abt: 530 (statt 420) PS, extravaganter Heckflügel und die charakteristischen Fünfsternfelgen für die extra-dicken Puschen. Kostenpunkt: 180 000 Euro – rund 70 000 Euro mehr als das Standardmodell. Das ist der Preis der Individualisierung.

Dass sich mit Mode auf Rädern gut verdienen lässt, hat das Familienunternehmen Abt mit Sitz am Rande Kemptens früh erkannt. In dem Gebäude, das einem Zwölfzylinder-Motor nachempfunden ist, erzählt der sportlich gebräunte Marketing-Chef Harry Unflath begeistert und im schwer verständlichen Allgäuer Dialekt die Abt-Story. Mit einer Mischung aus Tüftlersinn und Chuzpe hat sich die aus einem Autohaus mit rennsportbegeisterten Inhabern hervorgegangene Firma zu einem der weltweit führenden Tuner für Modelle aus dem Volkswagen-Konzern entwickelt. Doch, halt, Tunen oder gar Frisieren, solche Worte hört der Unflath gar nicht gern: „Wir sprechen heute von Veredeln.“

Die Zeit des kreativen Schraubens – im Showroom an Modellen wie dem ersten Abt-Golf-GTI zu erkennen – ist Geschichte. Alles wird feiner, auch das Auto-Aufmotz-Geschäft. Unflath spricht im Duktus eines Couturiers „von den Linien, die wir durch unsere Arbeit unterstützen – aber keinesfalls konterkarieren“. Und führt dies an den aktuellen Modellen vor. Unter anderem an einem mächtigen Geländewagen, bei dem man sich fragt, warum das ohnehin klobige Gefährt noch mehr aufgeplustert werden muss. Aber das ist eine Geschmacksfrage.

Als segensreich erwies sich die symbiotische Beziehung zu Volkswagen. Abt frisiert nicht nur die Serienmodelle, sondern stellt auch das Team und wartet die Rennwagen der Audi-Werksmannschaft für die Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM). Das brachte den Allgäuern nützliches Wissen – zum Beispiel beim elektronischen Scharfmachen von Motoren, auch Chip-Tuning genannt. Wem sein Auto nicht flott genug ist, der kann einen Abt-Partner ansteuern. Dort wird der Motor per Datenleitung und ohne dass ein Schraubenschlüssel in die Hand genommen werden muss, um etliche PS verstärkt. Mittlerweile haben die Abts sogar eine spritsparende Öko-Tuning-Version im Programm.

Warum macht der Autokonzern dieses schöne Geschäft eigentlich nicht selbst? Unflath grinst und sagt: „Der, wo ein Abt-Teil will, möchte keins aus der Serie.“ Soll heißen: Für Kunden, die das Besondere suchen, braucht es auch eine besondere Marke. Von deren Glanz wiederum auch Volkswagen mit seinen zum Teil recht biederen Modellen profitiert. So macht es der Kundschaft Freude, verblüfften Sportwagenfahrern auf der Autobahn die Auspuffrohre der heiß gemachten Familienkutsche zu zeigen. Für sparsamere Naturen gibt es ein recht preiswertes Accessoire zum Ans-Heck-Kleben: den Abt-Schriftzug für nur elf Euro.

Johann Abt gründet 1896 in Kempten eine Pferdeschmiede, aus der ein Autohaus für die Marke Auto Union hervorgeht. Sein Enkel Johann macht sich in den fünfziger Jahren als „junger Wilder aus Kempten“ einen Namen und erringt unzählige Siege bei Motorrad-, Touren- und Sportwagenrennen. Fans, die sich ihre Autos von ihm aufmöbeln lassen, bilden die Basis des Tuning-Geschäfts, mit dem sich die Söhne Christian und Hans-Jürgen Abt 1991 selbstständig machen. Sie führen es sowohl wirtschaftlich als auch sportlich zum Erfolg. Christian Abt gewinnt unter anderem die Deutsche Super-Tourenwagen-Meisterschaft 1999 und feiert Erfolge mit seinem Team bei den Deutschen Tourenwagen-Masters (DTM). Nachdem Abt 2004 bei den DTM siegt, avanciert es zum Audi-Werksteam. Trotz ihrer beeindruckenden Karriere haben die Brüder die Bodenhaftung nicht verloren. So gilt für die beiden Männer in den besten Jahren eine strenge Regel: Gegessen wird jeden Mittag, komme, was da wolle, bei der Mutter.

ABT SPORTSLINE GMBH

Umsatz: rund 40 Millionen Euro; Mitarbeiter 180, davon im Motorsport: 60; Preis für das Chip-Tunen eines Motors: ab 900 Euro

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 11/2015

Die Verschlossenen

Abus zählt zu den wenigen Unternehmen seiner Branche, das sich einen Namen gemacht hat – dank Fleiß, cleverer Öffentlichkeitsarbeit und einer glücklichen Fügung.

Weil häufige Jobwechsel im Marketing üblich sind, wissen viele der dort Tätigen erstaunlich wenig über die Marken, die sie verantworten. Für Michael Bräuer gilt das nicht. Der 55-Jährige ist nicht nur im 25. Jahr bei Abus tätig und hat das Marketing dort aufgebaut, sondern auch eine Sammlung von Objekten aus der Firmengeschichte zusammengetragen. Die führt er im Museumstrakt des gerade neu eröffneten Besucherzentrums stolz vor. Da ist zum Beispiel das erste Vorhängeschloss der Firma zu sehen und ein Auszug aus dem Auftragsbuch eines Außendienstlers, der im Jahr 1937 in Fernost mehr als 1,4 Millionen Schlösser losschlug. „Eine der wenigen Zahlen, die wir veröffentlichen“, scherzt Bräuer. Die Familienfirma ist in dieser Beziehung sehr verschlossen. Ein Branchendienst meldete, dass Abus 260 Millionen Euro umsetze. Kein Kommentar von Bräuer.

Der gebürtige Rheinländer führt lieber weiter durch den Betrieb in Wetter an der Ruhr. Hier gab es mal 18 Schlossfabriken. Abus ist einer der wenigen Überlebenden und mit einem Umsatz von jährlich rund zwölf Milliarden Euro hierzulande ein Großer der Branche. Bekannt geworden ist das Unternehmen mit Vorhänge- und Fahrradschlössern. Und dank des einprägsamen Namens, der für den Gründer August Bremicker und Söhne steht. Bräuer nennt die gut klingende Abkürzung eine „glückliche Fügung“. Mittlerweile hat das Unternehmen sein Angebot durch einige Übernahmen stark ausgeweitet und bietet auch Alarm- und Videoüberwachungsanlagen an. Eine Kollektion „Liebesschlösser“, die gern an Brücken gehängt werden, ist auch im Sortiment.

Im Showroom kann man sich all das ansehen und an der „Knackstation“ ein Fenster mit einem Schraubenzieher aufhebeln, was auch der Laie ruck, zuck hinbekommt. Im Schnitt dauere ein Einbruch nur zwei bis drei Minuten, sagt Bräuer. Er hat die einschlägige Kriminalstatistik im Kopf. Die gestiegene Zahl der Einbrüche – im vergangenen Jahr wurden bundesweit rund 152 000 registriert – ist Wasser auf die Mühlen der Abus-Leute. Sie arbeiten seit je als „offizieller Schulungspartner“ mit der Polizei zusammen, um Interessierten zu vermitteln, wie sie ihr Heim sichern können. Glaubwürdige und billige Werbung. Das gilt auch für den Einsatz von Promis wie Bettina Wulff, die sich gratis für das Tragen von Fahrradhelmen engagiert, die Abus ebenfalls herstellt.

In der laut Selbstdarstellung nach christlichen Grundsätzen geführten Firma wird scharf gerechnet und konservativ gewirtschaftet. Das Gefühl wachsender Unsicherheit in einer alternden Gesellschaft ist eine gute Geschäftsgrundlage. Und Bräuer hat noch weitere Verkaufsargumente parat. „Nehmen wir an, Sie haben eine 83-jährige Mutter, die auf einen Rollator angewiesen ist, und wollen verreisen. Dank moderner Sicherungstechnik können Sie von unterwegs überwachen, ob sie wohlauf ist und zum Beispiel regelmäßig das Badezimmer aufsucht.“

August Bremicker gründet sein Unternehmen 1924 im Alter von 63 Jahren im Keller seines Hauses in Volmarstein an der Ruhr. Gemeinsam mit seinen Söhnen stellt er Vorhängeschlösser her. Das erste Modell tauft er vollmundig und mit Blick auf den Export „The Iron Rock“. Die Firma gedeiht und beschäftigt 1938 bereits 300 Mitarbeiter. Nach dem Krieg fängt man wieder klein an und profitiert dann vom sogenannten Wirtschaftswunder. 1958 bringt Abus sein erstes Fahrradschloss auf den Markt. Ab 1961 dank einer Kooperation mit der italienischen Firma Cisa auch Türzylinder. 2001 holen sich die Südwestfalen durch den Kauf eines Herstellers von Alarm- und Videoüberwachungsanlagen elektronisches Know-how ins Haus. 2003 folgt die Übernahme des traditionsreichen Unternehmens Pfaffenhain im Erzgebirge, ein Spezialist für Schließanlagen. Alle Firmen werden integriert und unter dem Namen Abus geführt. Die traditionell sehr fromme Eigentümerfamilie setzt beim Thema Sicherheit neben der Technik noch auf eine höhere Instanz. Der Abus-Chef Christian Bremicker antwortete bei einer Veranstaltung der Deutschen Evangelischen Allianz auf die Frage, was ihm Halt gebe: „Ich glaube an Jesus Christus und weiß, dass ich ewig gerettet bin.“

ABUS GRUPPE

Mitarbeiter: rund 3000; davon in Deutschland: etwa 1300; Zahl der Niederlassungen weltweit: 19; Umsatz und Gewinn: k. A.

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 07/2014

Der Markensammler

Ein kleiner Mittelständler schnappt sich einen großen Namen: Ado – die mit der Goldkante.

Andreas Zimmer kalkuliert sein neuestes Abenteuer ganz kühl. „Es ist sehr schwierig, teuer und langwierig, eine Marke zu etablieren“, sagt der 60-Jährige am Sitz seiner Familienfirma in Oberursel bei Frankfurt am Main. Wenn dies aber einmal geschehen ist, sei ein solcher Name fest in den Köpfen der Kunden verankert. Daher schlug Zimmer beherzt zu, als sich die Gelegenheit ergab, die Ikone Ado vom finanziell angeschlagenen Eigentümer zu übernehmen, der den Glauben an die Zukunft der Gardine verloren hatte.

Ado ist heute noch vielen bekannt, weil die Marke ab 1968 von der damals sehr populären Schauspielerin Marianne Koch massiv im Fernsehen beworben wurde: „Achten Sie auf die Goldkante – es lohnt sich.“ Fast 600 Spots gingen mit ihr über die beiden konkurrenzlosen öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF ins kollektive Bewusstsein ein. Heute wäre eine solche Kampagne für Mittelständler unbezahlbar.

Ado ist die achte Marke im Portfolio von Zimmer, der sich als Textilverleger bezeichnet. Seine Firma kreiert Dessins für hochwertige Gardinen, Möbelstoffe und Tapeten, die er dann in Italien und Indien herstellen lässt. Und weil die Geschmäcker seiner Kunden – 80 Prozent befinden sich im Ausland – regional sehr unterschiedlich sind, hat er verschiedene Marken für sie erfunden beziehungsweise erworben. Das Spektrum reicht von barock – Ardecora, im arabischen Raum beliebt – bis klassisch-britisch: Warner Fabrics, englischer Hoflieferant. Alles exklusiv und teuer.

Und warum legt er sich nun eine Mittelmarke zu? Der große Name hat Zimmer gereizt. Außerdem wäre es ja schade gewesen, wenn jemand anderes sich Ado mit rund 30 Millionen Euro Jahresumsatz unter den Nagel gerissen hätte – 5300 Raumausstatter zählen zu den Kunden. Und außerdem ist es für ihn reizvoll, für eine bodenständigere Klientel zu arbeiten. Die Kunden seiner Premiummarken, darunter Elton John, Madonna und Richard Gere, bezeichnet Zimmer diplomatisch als „sehr anspruchsvoll und betreuungsintensiv“.

Für die Neupositionierung von Ado unter anderem mit Anzeigen in Wohnzeitschriften hat er genaue Vorstellungen, die er blitzschnell herunterrattert: „Natürlich, behaglich, zeitgemäß, inspirierend, leicht, frisch, langlebig, familienfreundlich.“

Damit das Abenteuer sich auch auszahlt, hat er im tschechischen Cheb ein neues Werksgebäude errichten lassen, wo Zentrallager, Warenannahme, Musterproduktion und Versand zusammengefasst werden, was für 45 bis 50 Mitarbeiter in Oberursel die Kündigung bedeutet.

Andreas Zimmer ist ein scharfer Rechner, der stolz erzählt, dass er in den 30 Jahren an der Unternehmensspitze „noch nie rote Zahlen“ geschrieben habe. Im Gegensatz zu vielen in der Branche sieht er das Geschäft mit Heimtextilien optimistisch: Gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit sehnten sich die Leute „nach gemütlicher Atmosphäre zu Hause“. Nur leider fehle vielen Architekten, bedauert Zimmer, der selbst einmal einer werden wollte, „der Sinn dafür“.

Statt in die kleine Textilfabrik seines Vaters in Rheine einzusteigen, gründet Hubert Wulf 1954 lieber sein eigenes Gardinenwerk im emsländischen Aschendorf. Er nennt es nach dem Ort: Ado. Wulf hat sowohl ein Händchen für Technik als auch fürs Marketing. 1968 erfindet er den am unteren Rand der Gardine eingewirkten Goldfaden. 1979 ist Ado Europas größter Gardinenhersteller. Nach dem Tod des Gründers im Jahr 1989 führen zunächst seine Witwe und dann die Söhne Andreas und Klaus die Firma. Das Geschäft wird schwieriger, weil sich weniger Leute Gardinen ins Fenster hängen und die Konkurrenz auf dem Weltmarkt härter wird. 2008 übernimmt der Geschäftsführer Heinz Otto Müller die Mehrheit am Unternehmen und teilt es in mehrere Firmen auf. Anfang 2013 verkauft er die Markenrechte von Ado an Zimmer + Rohde. Die Entscheidung von Andreas Zimmer, die Neuerwerbung ins tschechische Cheb zu verlegen, bedeutet das Aus für die in Aschendorf verbliebenen Ado-Nachfolgefirmen, die noch für die Marke gearbeitet haben.

ZIMMER + ROHDE GMBH

Mitarbeiter: ca. 400; Umsatz 2013: etwa 80 Millionen Euro

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 03/2021

Der Veggie-Multi

Der Bio-Lebensmittelhersteller Allos hat ganz klein angefangen – und agiert nun als Teil eines europäischen Konzerns mindestens so professionell wie die konventionelle Konkurrenz. Mit einem wesentlichen Unterschied.

Eike Mehlhop, 37, Geschäftsführer der Allos Hof-Manufaktur mit Zentrale in Bremen, ist guter Dinge. Im vergangenen Jahr hat der Lebensmittelhersteller seinen Umsatz auch dank einer Übernahme um rund 20 Prozent auf etwa 100 Millionen Euro gesteigert. Man profitiert davon, dass die Leute in Zeiten der Pandemie mehr zu Hause essen – und der Trend hin zu Bio- und vegetarischen Nahrungsmitteln geht. Das in den Siebzigerjahren von einem Öko-Pionier in der heimischen Küche begründete Unternehmen ist heute eine große Nummer in der Bio-Branche. Es gehört zu Ecotone, einem niederländischen Konzern mit 18 Marken für vegetarische Produkte in verschiedenen europäischen Ländern.

Der Veggie-Multi agiert bei Produktion, Vertrieb und Marketing ebenso professionell wie Nestlé und Co., setzt allerdings anders als diese Konzerne nicht auf internationale Marken, sondern, so Mehlhop, auf „lokale Identität“. Die Kundschaft schätzt Regionalität und auch den Eindruck von traditioneller Handarbeit, weshalb man bei Allos an der überkommenen Bezeichnung Manufaktur festhält.

Unter der Marke Allos beliefert das Unternehmen exklusiv den Bio-Fachhandel mit etwa 180 Produkten von Müsli bis Sojamilch. In Supermärkten ist man mit vegetarischen Brotaufstrichen der Traditionsmarke Tartex und Tees namens Cupper vertreten. Und mit dem Kauf des Food-Start-ups Little Lunch (Bio-Suppen) im vergangenen Jahr haben sich die Bremer bei Fertiggerichten sowie im E-Commerce verstärkt. Auch beim Geschäft mit Handelsmarken mischen sie mit. Die Entwicklung der Firma spiegelt die der Bio-Branche insgesamt: aus der Nische in den Mainstream.

Eike Mehlhop hat seine Karriere ganz klassisch bei Kraft Foods (heute Mondelēz) angefangen, bevor er vor zwölf Jahren zu Allos wechselte, wo er rasch aufstieg. Mittlerweile zählt er auch zum Führungskreis des Mutterkonzerns. „Es macht mehr Spaß, auf einem stark wachsenden Markt tätig zu sein, als der Konkurrenz Marktanteile abzujagen“, sagt er. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Europa auf mehr als 40 Milliarden Euro verdoppelt.

Allerdings wird auch im Öko-Business hart gekämpft, sodass einstige Vorreiter am Ball bleiben müssen. Bestes Beispiel dafür sind die vegetarischen Brotaufstriche von Tartex. Während des Zweiten Weltkriegs als Ersatz-Leberwurst entwickelt, eroberte die Marke später WG-Küchen – und ist heute einer der großen Umsatzbringer für Allos in Drogeriemärkten. Dort verkehren keine Hardcore-Vegetarier, sondern gewöhnliche Leute, die sich um Gesundheit, Umwelt und Tierwohl sorgen und deshalb häufiger auch mal fleischlos essen.

Mehlhop hat mit Tartex viel vor, eine Werbekampagne im Herbst soll die Aufstriche als „Abendbrotmarke für die gesamte Familie“ etablieren. „Die Leute müssen nur einmal probieren, dann merken sie, dass die Sachen wirklich lecker sind“, sagt er. Er selbst, Flexitarier wie seine Zielgruppe, bevorzugt übrigens die Variante aus Belugalinsen mit Balsamico.

Der Chemiker Walter Lang beginnt in den Siebzigerjahren auf seinem Hof im niedersächsischen Drebber aus selbst erzeugtem Honig und Trockenfrüchten Fruchtschnitten herzustellen, um seine Familie gesund zu ernähren. Daraus entwickelt sich das Unternehmen Allos, das er 2001 an die niederländische Aktiengesellschaft Wessanen verkauft. Die französische Investorengruppe PAI, Mehrheitseigentümer des Lebensmittelkonzerns, nimmt diesen im November 2019 von der Börse und benennt ihn in Ecotone um. Der englische Begriff steht für eine Zone hoher Biodiversität zwischen zwei Landschaften. Um seinen Anspruch zu unterstreichen, lässt sich das Unternehmen als sogenannte B Corporation mit hohen ökologischen und sozialen Standards zertifizieren. B steht für „benefical“, also nutzbringend nicht nur für die Eigentümer, sondern auch für Umwelt und Gesellschaft. Der Öko-Pionier Walter Lang ist der Branche weiterhin treu geblieben: als heute europaweit größter Importeur von Bio-Honig mit Sitz in Bremen.

ECOTONE

Mitarbeiter: 1610 (davon bei Allos: 260); Umsatz (2020): rund 700 Mio. Euro; Gewinn: k. A.

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 08/2009

Auf der Alm, da wird gedudelt

Was dem Ami die Cola, ist dem Ösi der Almdudler. Nun soll die Bergbrause Deutschland erobern.

Stolz führen Thomas Klein, Aufsichtsrat, und Gerhard Schilling, Geschäftsführer, ihre nagelneue Firmenzentrale im feinen 19. Wiener Bezirk vor. Es handelt sich um einen eleganten Bau aus Beton, Holz und Glas, der mit der charakteristischen Form der Almdudler-Flasche spielt und von einem Dachgarten mit echter Almhütte gekrönt wird. Und um die selbstbewusste Inszenierung einer der beliebtesten Marken Österreichs. Die blassockergelbe Brause ist quasi Nationalgetränk und dort nach Coca-Cola die meistgetrunkene Limonade.

Mit ihr und dem neuen, zur Krombacher-Gruppe gehörenden Vertriebspartner MBG wollen die beiden Herren jetzt den deutschen Markt erobern. Gerhard Schilling, der sein blau-weiß kariertes Hemd mit einem kalbsledernen Janker kombiniert, ist fürs Kaufmännische zuständig; Thomas Klein, der einen Künstlerschal zum goldenen Schneidezahn trägt, mehr fürs Repräsentative. Die kreative Ader hat er vom Vater geerbt, dem Erfinder des Almdudlers, der sich nebenher unter anderem als Kabarettist, Regisseur und Drehbuchautor betätigte. Thomas Klein eifert ihm nach: Zum jüngsten Trachtenpärchen-Ball des Unternehmens im Wiener Rathaus ging er als Almwiese.

Das erstmals zum 50. Firmenjubiläum 2007 veranstaltete Event erwies sich als großer Erfolg und wird nun regelmäßig wiederholt. Als Stargäste laden die Almdudler gern Deutsche (von manchen Österreichern despektierlich „Piefkes“ genannt) ein. Nach Nina Hagen und Guildo Horn wird zur diesjährigen Gaudi Otto Waalkes erwartet, der bekanntlich gut jodeln kann.

Diese Strategie hat sich bewährt. In Bayern kennen bereits 90 Prozent der Kunden die Ösi-Limo, im Rest Deutschlands immerhin 50 Prozent. Ebenso wie ihren Heimatmarkt wollen die Almdudler den deutschen vor allem mithilfe von Gastronomen erobern, die es nach originellen Softdrinks dürstet. Hamburg und Berlin mit vielen experimentierfreudigen Szenekneipen sollen dabei als „Brückenköpfe“ (Schilling) fungieren.

In gewisser Weise erinnert die Geschichte vom Almdudler an die der Bionade. Allerdings wollen die Österreicher, die seit jeher mit der „Natürlichkeit“ ihrer 32-Alpenkräuter-Brause werben, nicht auf den Bio-Zug aufspringen. Ebenso wie Bionade hat Klein, dem die Firma gemeinsam mit Mutter und Schwester gehört, keine Angst vor großen Partnern, denkt aber nicht an Verkauf: „Wir bleiben ein Familienunternehmen.“ Viel mehr treibe ihn ein anderes Problem um, sein Kostüm für den nächsten Trachtenpärchenball am 18. September: „Sich selbst jedes Mal zu übertreffen, ist wahnsinniger Stress!“

Der Wiener Sodawasserfabrikant Erwin Klein ist ein großer Kommunikator. 1957 überzeugt er rund 250 konkurrierende Firmen, seine Kräuterbrause in Lizenz zu produzieren. So kann der Almdudler mit dem Trachtenpärchen gleich landesweit angeboten und beworben werden. Nach einigen Prozessen gelingt es Klein zudem, den Namen – ursprünglich die Bezeichnung für Weinschorle – schützen zu lassen. 1983 stirbt der Gründer, und dessen damals 20-jähriger Sohn Thomas übernimmt mithilfe von Mutter und Onkel die Firma. Die Werbung wird intensiviert und der Kult-Claim „Wenn die kan Almdudler hab’n, geh i wieder ham“ geboren. Ein Versuch von Coca-Cola, den Zwerg mit einer eigenen Kräuterlimo anzugreifen, scheitert. Stattdessen vertreibt der Gigant ab 1986 den Almdudler. 2004 zieht sich die Familie in den Aufsichtsrat zurück und übergibt die Geschäftsführung an Gerhard Schilling. Dass die Sprudelmacher auch etwas von Marken-Architektur verstehen, beweisen sie mit ihrer im Juni eröffneten Firmenzentrale.

ALMDUDLER LIMONADE A. & S. KLEIN GMBH & CO KG

Mitarbeiter: 35; Absatz 2008: rund 80 Mio. Liter, davon in Deutschland: 15 Mio. Liter; Gesamtumsatz: 50 Mio. Euro

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 07/2010

Der Gerngesehene

Die Berliner Ampelmann GmbH lehrt zweierlei: Ein liebenswerter Kerl ist Gold wert. Und: In der DDR war doch nicht alles schlecht.

Im Ampelmann-Shop in den Hackeschen Höfen drängen sich mal wieder allerhand Touristen. Besonders Japaner sind ganz wild auf Souvenirs mit dem Männchen mit Hut. Es gibt T-Shirts, Türstopper, Plastetaschen, Frotteehandtücher, Weingummi-Ampelmännchen zum Vernaschen und vieles mehr. Der Kerl in Grün oder Rot ist neben dem Ost-Sandmännchen einer der wenigen überlebenden Sympathieträger der DDR – und für viele Besucher aus der Provinz ein Beispiel dafür, wie hipp Berlin ist.

Dem Schwaben Markus Heckhausen und seiner Frau Barbara Ponn, beide Industriedesigner, hat er zu einem florierenden Unternehmen verholfen. Die Geschäftsführer der Ampelmann GmbH haben ihren Umsatz in den vergangenen fünf Jahren fast verdreifacht, auf sieben Millionen Euro. Von Krise keine Spur.

Mittlerweile besitzen sie in der Hauptstadt vier Geschäfte in bester Lage. Bei Souvenirs sind die Leute nicht knauserig und berappen, ohne mit der Wimper zu zucken, 3,90 Euro für einen Schlüsselanhänger oder eine Dose Pfefferminzpastillen. „Wir achten sehr auf die Qualität“, betont Heckhausen. Und: „Die meisten Produkte kommen aus Ostdeutschland, das sind wir der Marke schuldig.“ Stolz ist er auf namhafte Lizenznehmer, die sich mit seinem Maskottchen schmücken, darunter der Fahrradhelmhersteller Abus, die Fluggesellschaft Condor und die Pin-Post.

Dass es das Designer-Duo mit dem Ampelmann so weit gebracht hat, verdankt es seinem Geschäftssinn und einem cleveren Markenanwalt – „unser fünftgrößter Lieferant“, wie Heckhausen scherzt. Denn ein Symbol zu schützen, das in ostdeutschen (und mittlerweile auch einigen westdeutschen) Fußgängerampeln leuchtet, erwies sich als juristisch nicht einfach. Psychologisch geschickt war, dass Heckhausen bei der freundlichen Übernahme der Ikone nicht als arroganter Wessie auftrat. Er stellte früh einen guten Draht zu Kurt Peglau her, dem jüngst verstorbenen Urheber der Figur (siehe unten). Konkurrenten, die vom Ampelmann ebenfalls profitieren wollten, konnte er bislang vor Gericht oder ökonomisch in die Schranken weisen.

Tief in ihrem Herzen fühlen sich Heckhausen und Ponn immer noch dem Schönen, Wahren und Guten verpflichtet. Deshalb investieren sie auch in weniger lukrative Projekte jenseits des klassischen Mitbringsel-Business. So haben sie ein Restaurant eröffnet, in dem der Ampelmann nur erfreulich dezent auftritt, und von zwei Jungregisseuren einen Film über Berlin drehen lassen.

Derzeit fragen sich die beiden, was aus ihrem Label werden soll. Soll es weiter auf allen möglichen Produkten kleben? Oder nur auf solchen für Kinder? Oder sollte man es ganz in den Dienst des Hauptstadt-Tourismus stellen und dem Berliner Bären Konkurrenz machen? An Fantasie mangelt es Heckhausen nicht, wie sein Traum von einer Besucher-Rundumbetreuung zeigt: „Er fährt mit dem Ampelmann-Taxi vom Flughafen ins Ampelmann-Hotel, nach der Ampelmann-Schiffstour entspannt er im Ampelmann-Café, und wenn er lange genug in Berlin bleibt, kann er bald schon mit Ampelmann-Air zurückfliegen …“

Karl Peglau, leitender Verkehrspsychologe beim Medizinischen Dienst des Verkehrswesens der DDR, ist der Vater des Ampelmanns und präsentiert ihn am 13. Oktober 1961 in Ost-Berlin. Peglau schreibt über den Entwurf, bei dem seine Sekretärin geholfen hat, unfreiwillig komische Lehrer-Lämpel-Prosa: „Bekanntlich erzielen aufgenommene und gerngesehene Verhaltenssymbole eine höhere Bereitschaft zur Einhaltung ihrer Regelungsabsichten.“ Das Männchen mit Hut wird so gern gesehen, dass sich – als es nach der Wende durch den dünneren und nüchterneren West-Kollegen ersetzt werden sollen – ein letztlich erfolgreiches Komitee zu seiner Rettung zusammentut. Markus Heckhausen, der zu der Zeit aus ausgedienten Ampelmännern Leuchten bastelt, erkennt als einer der Ersten das Potenzial der Figur. Er schließt einen Vertrag mit den Urhebern und lässt die Marke erst in Deutschland, dann international schützen. Und er weiß auch, was sich gehört: 2008 gründet er die Ampelmann-Stiftung für gute Zwecke wie beispielsweise Verkehrssicherheit: „Der Ampelmann, der ja von der Straße kommt, ist so gereift, dass er etwas zurückgeben kann.“

AMPELMANN GMBH

Umsatz 2009: sieben Millionen Euro; Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr: 30 Prozent; Zahl der Beschäftigten: 80; einer der Bestseller: Schlüsselanhänger

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 11/2009

Im Zeichen des A

Großunternehmen lieben Dachmarken – beherrschen sie aber selten. Zu Risiken und Nebenwirkungen sollten sie mal die Apotheker fragen.

Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands, ist ein bodenständiger Mensch, der nicht viel herumredet – quasi das Gegenteil eines typischen Marketingmanns. Dabei ist der 58-Jährige, wie er selbst sagt, „Hüter einer ganz starken Marke“. Er meint das rote A. Das Zeichen an fast allen Apotheken gehört dem Verband. Nur dessen Mitglieder dürfen die Dachmarke des Berufsstandes nutzen. Darunter firmieren die selbstständigen Apotheker mit ihren jeweiligen Namen beziehungsweise Filial-Pharmazeuten, die sich mit Kollegen zusammengetan haben. Wohl jeder Deutsche kennt das rote A, deshalb mag kaum ein Pillenverkäufer darauf verzichten.

Bei etlichen Konzernen verhält es sich umgekehrt: Sie haben starke Marken, die sie unbedingt mit einer Dachmarke krönen wollen. Etwa Unilever (Knorr, Dove): Der Multi hat mit erheblichem Aufwand eine poppige Konzernmarke im Stil der Siebziger kreiert, die auf allen Produkten prangt. Ergebnis: Der Name Unilever ist vielen Leuten nach wie vor unbekannt.

Von den Apothekern könnten die Marketingleute lernen, wie man es richtig macht. Erste Regel: ein gutes Logo erfinden und nicht mehr daran herumfummeln. Das Apotheker-A wurde bereits in den Dreißigerjahren entworfen und blieb seither im Wesentlichen unverändert. Der Verband achtet penibel darauf, dass das Zeichen in der korrekten Form und im einzig richtigen Rot-Ton, ja nicht mit anderen Markenzeichen kombiniert oder gar von Produktpiraten gekapert wird.

Vor allem – Regel Nummer zwei – soll nichts und niemand der Marke ins Gehege kommen. Zusammenschlüsse von Apotheken mit eigenen Logos beäugt Becker deshalb misstrauisch. „Ob eine Kooperation sinnvoll ist, muss jeder Apotheker selbst entscheiden.“ Besonders bundesweite Pharmazeuten-Verbünde sind ihm ein Dorn im Auge. Wenn aber doch ein solcher Konkurrent im eigenen Revier wildert, greift Regel Nummer drei: Auf ihn mit Gebrüll! So wehrten sich die organisierten Apotheker vehement gegen den Internet-Versandhändler Doc Morris im Besitz des Pharma-Großhändlers Celesio. Der Konzern wollte nach dem Fielmann-Vorbild den Markt mit einer Apothekenkette erobern und eröffnete die erste, von einer angestellten Pharmazeutin geleitete Filiale in Saarbrücken. Doc Morris wirbt mit dem international üblichen grünen Kreuz als Logo – eine Kampfansage. Das hätte dem roten Dachmarken-Monopol gefährlich werden können, doch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg urteilte: In Deutschland dürfen nur Apotheker eine Apotheke besitzen und betreiben. Was der Expansion von DocMorris Grenzen setzt.

Fritz Becker freut sich still über diesen Triumph. Überhaupt vertreten er und seine Kollegen die Interessen ihres Berufsstandes geschickter als die häufig überlauten Ärzte-Funktionäre: Laut Allensbach halten 82 Prozent der Deutschen die Apotheker für gute Dienstleister. Dass sie ihr Monopol im Zeichen des A mit Zähnen und Klauen verteidigen, erscheint aus marktwirtschaftlicher Sicht fragwürdig – ist markenstrategisch aber nur konsequent.

Den ersten Anstoß für ein Logo gibt der Apotheker Karl Gissinger aus Ründeroth, Mitbegründer der „Interessengemeinschaft werbender Apotheker“. In seiner Zeitschrift »Verunda« lobt er 1929 einen Wettbewerb für „ein einprägsames und bezeichnendes Wahrzeichen der Apotheken“ aus. Unter fast tausend Entwürfen macht schließlich eine Arzneimittelflasche mit drei Löffeln das Rennen. Das Zeichen ist wegen seines „schockierend modernen Stils“ umstritten, verbreitet sich aber rasch. Die Apotheker können es kostenlos verwenden; Eigentümerin bleibt die Zeitschrift »Verunda«. Daran – und an der Tatsache, dass das Symbol auch international verwendet wird – stören sich die Nazis und setzen nach der Machtübernahme einen neuen Wettbewerb durch. Dieses Mal kürt eine Jury ein rotes Fraktur-A, das im linken Schenkel ein dem Zeitgeist entsprechendes altgermanisches Runenzeichen trägt – statt des vom Grafiker Paul Weise eigentlich vorgesehenen weißen Kreuzes. Als sich später herausstellt, dass Weises Frau Halbjüdin ist, bekommt er eine Zeit lang Berufsverbot und wird erst Jahrzehnte später als alter Mann für seinen großen Wurf geehrt. In der Bundesrepublik wird die Rune im A durch eine sich um einen Giftkelch windende Schlange ersetzt. Das Warenzeichen ist seit 1951 geschützt und seit 1972 Besitz des Apothekerverbands – es dürfte sein mit Abstand wertvollster sein.

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 09/2020

Strenge Gemeinschaft

Der Appenzeller ist einer der bekanntesten Schweizer Käse. Seine Erfolgsgeschichte beruht auf konsequenter Markenführung.

Christoph Holenstein, 60, hat fast sein gesamtes berufliches Leben dem Appenzeller gewidmet. „Und er schmeckt mir noch immer“, sagt er und verweist auf seine kräftige Statur. Weil die Schule nicht sein Ding war, machte er 1976 zunächst eine Lehre in einer Käserei der Region, studierte später Landwirtschaft und arbeitet – mit kurzen Abstechern zu anderen Unternehmen der Lebensmittelbranche – seit mittlerweile 26 Jahren bei der Sortenorganisation Appenzeller Käse GmbH im gleichnamigen Ort. Seit 2015 ist er dort Direktor.

Er und sein Team hüten die Marke, legen die Produktionsmenge fest, bewerben und verkaufen die Ware. In der Vereinigung, die selbst keinen Gewinn macht, sind alle Mitglied, die zum Appenzeller beitragen: 800 Milchbauern, 45 Käsereien und fünf Affineure. Letztere veredeln den Käse mit einer Mischung aus Obstwein, Salz, Pfeffer, Nelken und anderen Gewürzen. Die genaue Rezeptur dieser sogenannten Sulz ist selbstverständlich geheim. In der Schaukäserei unweit der Appenzeller-Zentrale kann man sich anschauen, wie der Käse aus Rohmilch hergestellt wird. Dort arbeiten auch Roboter mit, sie wenden die Laibe und schmieren sie ein. Das mehr als 700 Jahre alte Produkt wird auch modern vermarktet. Holenstein ist, wie wohl Nichtraucher, ein großer Fan des Marlboro-Manns als unverwechselbarem Markenbotschafter. Diese Funktion übernehmen beim Appenzeller die Senner in traditioneller Tracht als Werbefiguren.

Dank cleverem Marketing entwickelte sich „der würzigste Käse der Schweiz“ (so die Eigendarstellung) zum Exportschlager. Mehr als die Hälfte der Produktion geht ins Ausland, das Gros nach Deutschland – nach wie vor Entwicklungsland in Sachen Käse. Um neue Kunden zu gewinnen, haben die Appenzeller jüngst einen weniger strengen Rahmkäse als Einsteigervariante auf den Markt gebracht. Die geplante Produkteinführung im Frühjahr in Deutschland fiel coronabedingt aus. Dafür griffen die Schweizer in Zeiten ge schlossener Grenzen verstärkt zum Appenzeller. „Wir hatten ein super Frühjahr“, freut sich Holenstein.

Für regionale Produkte gibt es in der Schweiz seit den Achtzigerjahren eine staatlich geschützte Ursprungsbezeichnung. Die eigensinnigen Appenzeller – die ihre Marke bereits im Jahr 1963 schützen ließen – verzichten auf das Label und passen lieber selbst auf ihren Käse auf. Jeder Laib bekommt einen eigenen Pass samt Geburtsurkunde, sodass jederzeit nach vollzogen werden kann, woher er kommt. Außerdem gibt es noch einen biologischen Marker, mit dessen Hilfe sich jede Scheibe Käse auf Originalität prüfen lässt. Kann also nichts schiefgehen beim strengen Stinker. „Nur eines sollte man mit ihm nicht machen“, betont Christoph Holenstein sicherheitshalber, „einfrieren.“

Die Geschichte des Appenzeller Käses beginnt im Mittelalter. Die Bergbauern der Region zahlen damals ihren Zehnten an das Kloster St. Gallen in Form dieser Naturalie. Die erste schriftliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1282. Der Käse bleibt über Jahrhunderte eine regionale Spezialität. Das ändert sich 1942 mit der Gründung der Geschäftsstelle für Appenzeller Käse. Während des Zweiten Weltkriegs sind Milchprodukte in der Schweiz knapp, sie werden zur besseren Verteilung erfasst und rationiert. Später folgt eine eigene Marktordnung, sie verpflichtet alle Produzenten aus der klar begrenzten Region rund um den Säntis, den höchsten Berg der Ostschweiz, zur Mitgliedschaft. Die heute Sortenorganisation genannte Vereinigung verbessert die Qualität des Appenzellers und kümmert sich um den Export: zunächst auf die andere Seite des Bodensees nach Deutschland, später auch nach Frankreich und in andere Länder. Der Absatz wird im Laufe der Zeit in etwa verzwölffacht.

APPENZELLER KÄSE

Verkauf im Jahr 2019: 8804 Tonnen; davon Export: 4615 Tonnen

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 02/2005

Meine Dönerbude, mein Computervirus

Die Spielkartenfabrik Altenburg gehört zu den wenigen ostdeutschen Gewinnern der Wiedervereinigung. Das Thüringer Traditionsunternehmen setzt auf eine konjunkturunabhängige Leidenschaft und neue Ideen für ein altes Medium.

Die Altenburger haben Anfang des 19. Jahrhunderts nicht nur das deutscheste aller Spiele erfunden, sondern ihm in ihrem Städtchen auch ein Denkmal gesetzt: den Skatbrunnen. Auf einem Sockel kämpfen vier bronzene Wenzel (Buben) miteinander. Aus Schweineköpfen, den Glückssymbolen, läuft das Brunnenwasser.

Schwein gehabt haben die Mitarbeiter der Altenburger Spielkartenfabrik. Die 1832 gegründete Firma wechselte nach der Vereinigung mehrfach den Besitzer. Mittlerweile gehört sie zur belgischen Carta-Mundi-Gruppe, einem der größten Spielkartenhersteller weltweit, der der deutschen Tochter viel Freiraum lässt.

Obwohl Skat ein wenig aus der Mode gekommen ist und osteuropäische Billighersteller die Markenware von ASS (Altenburger und Stralsunder Spielkarten) fleißig kopieren, kann sich der Geschäftsführer Peter Warns nicht wirklich beklagen. Flotten Schrittes führt er durch den Betrieb, in den im vergangenen Jahr fünf Millionen Euro für eine neue Druckhalle investiert wurden. 150 000 bis 160 000 Kartensets spucken die Maschinen täglich aus, der Umsatz ist im vergangenen Jahr um rund zehn Prozent gewachsen.

Zum einen, weil der menschliche Spieltrieb ziemlich konjunkturresistent ist; die Leute spielen zwar weniger Skat, dafür mehr Doppelkopf, Bridge und Quartett – es gibt kaum billigere Vergnügen. Zum anderen, weil man sich in Altenburg ständig neue Spielvarianten einfallen lässt. Und mit einem Nischenprodukt auf einen interessanten Markt setzt, den für Werbegeschenke.

Die Botschaft der Thüringer Kartenmacher kommt an. Renault hat in Altenburg ein Sicherheits-Quartett drucken lassen, um die Vorzüge der eigenen Marke herauszustellen; die Frauenzeitschriften »Cosmopolitan« und »Petra« Tarotkarten, um die Auflage zu steigern. Mittelständler erfreuen ihre Belegschaft gern mit personalisierten Skatspielen, die den Chef als Kreuz-König oder die Firmengeschichte in humoristischer Form zeigen. Weil sich Kartenspiele schon in kleinen Auflagen um die 600 Stück preiswert drucken lassen, haben auch ungewöhnliche Ideen eine Chance. So landete eine Software-Firma mit ihrem Computerviren-Quartett einen Überraschungserfolg, ebenso ein Architekt mit seinem liebevoll gemachten Plattenbauten- und einige Gestalter mit ihrem Berliner Dönerbuden-Quartett.

Das Schöne beim Kartenspiel ist, dass man die komplizierte Welt vergessen – oder zumindest auf eine überschaubare Zahl von Elementen reduzieren kann. Deshalb, so Peter Warns, sei auch das Saddam-Hussein-Pokerspiel, das den Ex-Diktator und seine Spießgesellen zeigt, nicht nur bei den US-Truppen im Irak so prima angekommen. Der Auftrag des Pentagon für das Schurkenspiel ging nicht nach Altenburg, aber die dahinter steckende Idee könnte durchaus aus der Skatstadt stammen: spielen, trumpfen, sammeln, lernen.

SPIELKARTENFABRIK ALTENBURG

Mitarbeiter: 140; Jahresproduktion: rund 40 Millionen Spiele; Umsatz: etwa 22 Millionen Euro; Gewinn: „ausreichend“ (Warns)

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 07/2020

Gegen Rost und Sodbrennen

Ballistol eignet sich für viele Zwecke. Und zeigt, wie gut Traditionsmarken altern können.

Andreas Zettler, der die Firma im niederbayerischen Aham gemeinsam mit seinem Bruder Christian führt, schluckt bei Kundenbesuchen gern mal demonstrativ einen Kaffeelöffel des Universalöls. „Gewöhnungsbedürftig“, sagt der 45-Jährige, „aber so ist das halt mit Medizin, sie muss wirken und nicht schmecken.“ Da wundert sich mancher Einkäufer, der Ballistol vornehmlich als Schmiermittel kennt. Aber das Produkt hat auch eine pharmazeutische Seite, die aus seiner Geschichte resultiert. Ballistol wurde Anfang des 20. Jahrhunderts im Auftrag des deutschen Militärs mit Doppelfunktion entwickelt: als Waffenöl und zur Wundheilung, damit die Soldaten möglichst wenige Dinge in ihrem Tornister mit sich herumschleppen mussten. So entstand ein Pflegeprodukt für Mensch und Technik.

Die – selbstverständlich streng geheime – Formel ist seit 1904 unverändert und passt gut in die Zeit, denn Ballistol ist ökologisch unbedenklich, da hundertprozentig biologisch abbaubar. Was die Marke noch von der Konkurrenz unterscheidet, sind glühende Fans über alle Zeitläufte hinweg. Einer dichtete 1954: „O wie gut, o wie wohl tut der Waffe Ballistol.“ Heute sind Sportschützen und Jäger nur noch eine Minderheit unter den Kunden, die meisten nutzen es fürs Auto, Zweirad, im Haus oder Garten. Die Ballistol-Community tauscht sich in den sozialen Medien über die vielfältigen und teils exotischen Anwendungen aus: von der Konservierung chirurgischer Instrumente über die Pflege von Vinyl-Schallplatten bis zur Bekämpfung von Blattläusen und Sodbrennen.

Obwohl ein Mittel für viele Zwecke eine feine Sache ist, hat man die Ballistol-Markenfamilie auf mehr als 80 Mitglieder erweitert, denn, so Andreas Zettler diplomatisch: „Viele Kunden bevorzugen ein spezialisiertes Produkt für ihr Anwendungsgebiet.“ So gibt es aus dem Hause Ballistol unter anderem Anti-Mücken- und Pfeffer-Spray oder Pferde-Shampoo. Der Markenstretch gelang weitgehend, nur ein Ausflug in die Kosmetik mit einem Massageöl namens Neo-Ballistol fiel weniger erfolgreich aus. Das gute alte Universalöl macht rund drei Viertel des Umsatzes aus. In den vergangenen Monaten ist das Geschäft damit zurückgegangen, weil Baumärkte coronabedingt geschlossen waren. Dafür haben die Zettlers die Produktion von Desinfektionsmitteln hochgefahren und zeitweise auch die bayerische Landesregierung beliefert.

Andreas Zettler freut, dass die Firma nicht auf Staatshilfen angewiesen ist. Ballistol sei kerngesund und bankenunabhängig finanziert, sagt er. Da wundert es nicht, dass immer mal wieder Übernahmeangebote kommen, die er routiniert zurückweist: „Unser Herz hängt so sehr an dem Unternehmen – so viel könnten Sie uns nicht bezahlen.“

Das kaiserliche Heer sucht zur Jahrhundertwende ein Öl mit besonderen Eigenschaften. Soldaten sollen damit sowohl die Metall-, Holz- und Lederteile ihrer Waffen reinigen und pflegen als auch kleinere Verletzungen behandeln können. Helmut Klever, Dozent für Chemie an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, gelingt die Entwicklung, die er Ballistol nennt (nach Ballistik und dem lateinischen oleum für Öl). Das neue Produkt wird in der Chemiefabrik seines Vaters in Köln hergestellt, ab 1905 von der Armee genutzt und wegen seiner universellen Verwendbarkeit weithin bekannt. Nach dem Tod Helmut Klevers im Jahr 1971 tritt der Chemiker Heinrich Zettler in die Firma ein und steigt zum Geschäftsführer auf. 1977 verlegt er das Unternehmen aus dem Rheinland ins rund 90 Kilometer von München entfernte Aham. 1990 kauft er die Firma gemeinsam mit seiner Frau und baut das Sortiment aus. Im Jahr 2006 übernehmen die Söhne Andreas und Christian Zettler das Unternehmen zu gleichen Anteilen und als gleichberechtigte Geschäftsführer. Der Chemiker Christian ist für Forschung, Entwicklung, Produktion und Technik verantwortlich, Andreas für Marketing und Vertrieb. Die Arbeitsteilung untereinander funktioniere, sagt Andreas Zettler: „Der eine sorgt dafür, dass sich das Lager füllt, der andere dafür, dass es sich leert.“

BALLISTOL GMBH

Mitarbeiter: 100; Umsatz: „im zweistelligen Millionenbereich“; Gewinn: keine Angabe; Zahl der Länder, in die Ballistol verkauft wird: 70

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 02/2013

Die Außerirdische

Vom Männertraum zum Vorbild für junge und nicht mehr ganz junge Mädchen – die Geschichte von Barbie.

Angela Merkel, Sylvie van der Vaart und Liz Mohn haben etwas gemein: Sie alle ließen sich in Barbie-Puppen-Form ehren. Auf die neueste Markenbotschafterin, die mächtige Bertelsmann-Frau Mohn, die ihr leicht idealisiertes Plastik-Ebenbild gerade persönlich bei der Spielwarenmesse in Nürnberg in Empfang nahm, ist Stephan Patrick Tahy, Geschäftsführer des Spielzeugkonzerns Mattel im deutschsprachigen Raum, besonders stolz. „Barbie“, so seine Botschaft, stehe für „unbegrenzte Möglichkeiten“ und erlaube es, „in jede Rolle zu schlüpfen“ – nicht nur in die eines Modepüppchens.

Der 46-Jährige, der unter anderem in der Zigarettenindustrie tätig war, bevor er Karriere bei Mattel machte, plaudert in der Deutschland-Zentrale im hessischen Dreieich gern über Barbie. Die wichtigste Erkenntnis sei gewesen, „dass die Marke viel mehr ist als eine Puppe, nämlich ein Lebensgefühl“. Das nach unzähligen Produkten nicht nur für Barbies, sondern auch für ihre kleinen Besitzerinnen schreit: von Schuhen und T-Shirts bis hin zu Schokolade und Fahrrädern, alles meist in Pink gehalten. Die Kunst bestehe darin, aus den zahlreichen Produkten der Konzernzentrale im kalifornischen El Segundo die für seine Region geeigneten auszuwählen. Darin scheint Tahy gut zu sein, er berichtet von zweistelligen Wachstumsraten; Mattel veröffentlicht keine länderspezifischen Zahlen. Auf die Frage, was besonders gut bei Mädchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ankommt, hat er dann eine desillusionierende Antwort für Jungen parat: „Alles, was mit Pferden zu tun hat – die sind viel wichtiger als Ken.“

Die Zeiten, in denen die rund 30 Zentimeter große Figur mit den unnatürlichen Idealmaßen umstritten war und fortschrittliche Eltern ihre Töchter mit einem Barbie-Verbot belegten – was das Spielzeug noch begehrlicher machte – scheinen vorbei. Selbst die Frauenzeitschrift »Emma« hat ihren Frieden mit dem All-American Girl gemacht. So bekannte die Schriftstellerin Milena Moser in dem Blatt, sich noch mit 43 eine Barbie gekauft zu haben. Und dass sie sich mit ihr „in andere Dimensionen“ spiele. „Gerade weil sie so surreal aussieht, so außerirdisch, ist doch klar.“

Das Geschäft mit Barbie läuft seit Generationen – und folgt den schnelllebigen Moden. Kleidchen, Frisuren, Kosmetik, Accessoires – die Stil-Ikone macht’s vor, und ihre Fans machen es nach. Manche überidentifizieren sich auch mit ihrem kleinen Vorbild und verwandeln sich mithilfe der plastischen Chirurgie in eine Puppe aus Fleisch und Blut, was Barbie-Syndrom genannt wird.

Kürzer geworden ist die Lebensphase, in der die Puppe an die Mädchen gebracht werden kann. Früher hätten noch Zehnjährige intensiv mit Barbie gespielt, heute sei die Kernzielgruppe sechs, sieben Jahre alt. Daher ist Tahy froh, dass sein Arbeitgeber vor zwei Jahren eine freche Schwestermarke namens Monster High lanciert hat: Girlies in gemäßigtem Grusel-Look, passend zur aktuellen Vampir- und Grufti-Welle. „Wir machen mit der neuen Marke bereits 50 Prozent des Umsatzes von Barbie, und das ohne jeden Kannibalisierungseffekt“, jubiliert er. Dass die Monster-Mädchen das Zeug zum Klassiker haben, darf allerdings bezweifelt werden.

Die Idee stammt aus der »Bild«-Zeitung. Dort erscheint ab 1952 ein Comic mit einem sexy Dummchen namens Lilli. Sie wird 1955 auch als Herrenspielzeug angeboten und von der amerikanische Unternehmerin Ruth Handler bei einer Europareise entdeckt. Handler kauft die Rechte an Lilli, benennt sie nach ihrer Tochter in Barbie um und bringt die Puppe 1959 zum damals saftigen Preis von drei Dollar auf den Markt. Das Spielzeug schlägt trotzdem sofort ein. Die Plastikfigur wird die Grundlage des Weltkonzerns Mattel und ändert die Gewohnheiten von kleinen Mädchen: Statt sich mithilfe von Babypuppen auf ihr künftiges Dasein als Mutter vorzubereiten, animiert Barbie sie, sich hübsch zu machen, Cocktails zu trinken und zu flirten. 1961 tritt mit Ken Barbies Freund auf den Plan. 2004 trennen sich die beiden – wie bei Prominenten allgemein üblich – unter großer öffentlicher Anteilnahme. Zum Valentinstag 2011 kommen sie mit ebensolchem Bohei wieder zusammen, was selbst die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« romantisch stimmt: „Barbies bestes Stück ist zurück.“

MATTEL, INC.

Umsatz im Geschäftsjahr 2011: 4,7 Milliarden Euro; Gewinn: 580 Millionen Euro; Mitarbeiter: rund 28 000

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 03/2014

Es sind die Frauen, Dummkopf!

Was tun mit einer Männermarke, der die Kunden abhanden gekommen sind? Sie in eine für das andere Geschlecht verwandeln. Das ist jedenfalls der Plan bei Beate Uhse.

„Das Geschäftsmodell Mann hat sich erledigt“, sagt trocken der Chef der Beate Uhse AG, Serge van der Hooft, in der Hamburger Niederlassung der Firma. Herren, die früher zwecks Triebabbaus Video-Kabinen in Sex-Shops aufsuchten oder sich Pornofilme kauften, lassen sich heute bequem daheim und gratis via Internet bedienen. Sie gingen als Kunden für immer verloren. Diese Entwicklung zeichnete sich ab, „aber von der Geschwindigkeit waren wir überrascht“, räumt der 36-jährige Niederländer ein. Er ist seit 2001 im Unternehmen, seit 2010 an der Spitze und kennt das Business von Kindesbeinen an: Schon sein Vater führte einen Erotikhandel in einem kleinen holländischen Ort. Bei Beate Uhse befasste er sich in den vergangenen Jahren vor allem mit Abbau: Zahlreiche Mitarbeiter wurden entlassen, Shops geschlossen, Immobilien verkauft.

Nun investiert die Firma wieder, um die Herzen und Geldbörsen der Frauen zu erobern. Die Marke soll softer werden. Das Logo kommt nun verspielt mit Herzchen daher, und der erste Laden im neuen Look an der Kölner Severinstraße sieht von außen aus wie eine Dessous-Boutique. „Wir wollen die Hemmschwelle, die Läden zu betreten, möglichst niedrig halten“, sagt van der Hooft. Vorn im Geschäft gibt es Bustiers, Korsagen und Strapse, weiter hinten Vibratoren, Liebeskugeln und das „BDSM Starter Kit“.

Dass viele Frauen auf solches Spielzeug stehen, ist seit dem Erfolg des Sadomaso-Reißers „Fifty Shades of Grey“ bekannt. Auf der aktuellen femininen Sexwelle will Beate Uhse mitsurfen. Dieser Tage wird ein Fernsehwerbespot mit einer sich zufrieden in Unterwäsche räkelnden Dame gezeigt – der erste in der Firmengeschichte überhaupt.

Allerdings hatte van der Hoofts Vorgänger auf dem Chefsessel bereits 2004 den Versuch gemacht, Frauen in Edel-Sex-Shops namens Mae B. zu locken, was fehlschlug. Die Zeit sei damals noch nicht reif gewesen, so die Erklärung des jugendlich wirkenden Vorstandsvorsitzenden. Außerdem sei die Positionierung als Luxusmarke falsch gewesen: „Beate Uhse ist Mainstream.“

Nun wolle man zurück zu den Wurzeln des Unternehmens: der Beratung von Frauen in Sachen Sex. Die Gründerin begann ihr Geschäft mit einer „Schrift X“ genannten Aufklärungsbroschüre, die den Kundinnen half, ihre unfruchtbaren Tage zu ermitteln. Mit der Sexualwissenschaftlerin Anja Drews hat das Unternehmen heute eine Mitarbeiterin, die Kundinnen per Internet zum Beispiel darüber aufklärt, das Hardcore-Pornos – die bei Beate Uhse unter der Männermarke Pleasure XXX auch noch im Sortiment sind – mit dem wahren Liebesleben wenig zu tun haben.

Für Kerle ist in der schönen, neuen Beate-Uhse-Welt nur noch wenig Platz. Im Jahr 2020 sollen, wenn es nach van der Hooft geht, 90 Prozent der Kunden weiblich sein und „ein Umsatz von 200 Millionen Euro wieder möglich“. Die Aktionäre würde das freuen – die Kursentwicklung des Erotik-Papiers war für sie bislang nicht eben sexy.

Beate Rotermund (verwitwet Uhse) beginnt 1948 mit ihrem zweiten Mann in Flensburg einen Versandhandel für Aufklärungsmaterial, den sie später wegen des besseren Klangs Beate Uhse nennt. 1962 eröffnen sie mit dem „Fachgeschäft für Ehehygiene“ den ersten Sex-shop der Welt. Bald folgen weitere. Anfang der Siebzigerjahre trennt sich das Paar, sie führt die Firma weiter. 1981 wird das Unternehmen geteilt, zwei Söhne übernehmen den Versandhandel und nennen ihn Orion. Die Firma wird noch heute von Dirk Rotermund geführt. Beate Uhse und ihr Sohn Ulrich Rotermund konzentrieren sich in den Achtzigern auf das Filial- und Filmgeschäft und bauen auch einen Großhandel auf. 1999 geht man an die Börse und übernimmt Erotikmarken in Nachbarländern. 2001 stirbt die Gründerin, mit Firma und Aktienkurs geht es abwärts. Mächtigster Mann im Haus ist heute der Großaktionär und Aufsichtsratschef Gerard P. Cok; er kennt den Vorstandsvorsitzenden van der Hooft seit Kindertagen.

BEATE UHSE AG

Mitarbeiter: 704; Umsatz 2012: ca. 144 Mio. Euro; Verlust: 835 000 Euro; Anteil der Frauen unter den Kunden: ca. 70 Prozent

ERSCHIENEN IN BRAND EINS 10/2021

Verheißungsvolle Papierchen

Kaum jemand kennt die Firma Beckerbillett, aber jeder hat schon mal eines ihrer Produkte in der Hand gehabt: Eintrittskarten fürs Kino, Konzert, Museum, Freibad oder für den Zoo.Besuch bei einer findigen Firma.