Unterwegs in Nordkorea - Rüdiger Frank - E-Book

Unterwegs in Nordkorea E-Book

Rüdiger Frank

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Beschreibung

Innenansichten eines totalen Staats.

Die Entfernung zu uns ist nicht nur in Kilometern zu messen. Nordkorea ist ein diktatorisches System, das vor markigen Drohungen an den Rest der Welt und auch vor der Verhaftung von Touristen nicht zurückschreckt. Wenn überhaupt, dann sollte man keineswegs ohne gründliche Vorbereitung dorthin fahren. Doch wenn man sich dafür entscheidet, dann zeigt sich dem Besucher ein verwirrend vielfältiges und oft widersprüchliches Bild. Reisende bekommen trotz der überall vorherrschenden Zensur in Nordkorea viel gezeigt, doch vieles übersehen sie dabei.

Rüdiger Frank ist einer der weltweit besten Kenner Nordkoreas, seit über einem Vierteljahrhundert bereist er das Land regelmäßig. In seinem neuen Buch fasst er seine Reiseerfahrungen zusammen, gibt praktische Tipps und überraschende Einblicke in Alltag und Kultur Nordkoreas.

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Seitenzahl: 561

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Zum Buch

Die Entfernung zu uns ist nicht nur in Kilometern zu messen. Nordkorea ist ein diktatorisches System, das vor markigen Drohungen an den Rest der Welt und auch vor der Verhaftung von Touristen nicht zurückschreckt. Wenn überhaupt, dann sollte man keineswegs ohne gründliche Vorbereitung dorthin fahren. Doch wenn man sich dafür entscheidet, dann zeigt sich dem Besucher ein verwirrend vielfältiges und oft widersprüchliches Bild. Reisende bekommen trotz der überall vorherrschenden Zensur in Nordkorea viel gezeigt, doch leicht übersehen sie dabei manches wichtige Detail.

Rüdiger Frank ist einer der weltweit besten Kenner Nordkoreas, seit über einem Vierteljahrhundert bereist er das Land regelmäßig. In seinem neuen Buch fasst er seine Reiseerfahrungen zusammen, gibt praktische Tipps und überraschende Einblicke in Alltag und Kultur Nordkoreas.

Zum Autor

Rüdiger Frank, geboren 1969 in Leipzig, studierte Koreanistik, Wirtschaftswissenschaften und Internationale Beziehungen in Berlin und Duisburg. 1991/92 verbrachte er ein Sprachsemester an der Kim-Il-Sung-Universität in Pjöngjang und bereist seither das Land regelmäßig. Nach Lehrtätigkeit in New York und Seoul ist er heute Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien und Leiter des dortigen Instituts für Ostasienwissenschaften. Rüdiger Frank ist ein gefragter Nordkorea-Experte in den Medien und berät internationale Organisationen und Regierungen.

Rüdiger Frank

Unterwegs in Nordkorea

Eine Gratwanderung

Deutsche Verlags-Anstalt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Sämtliche Aufnahmen im Bildteil des Buches © Rüdiger Frank
Copyright © 2018 Deutsche Verlags-Anstalt, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Typografie und Satz: DVA/Andrea Mogwitz
Gesetzt aus der Minion
Bildbearbeitung: Helio Repro, München
Karten: Peter Palm, Berlin
Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Umschlagmotive: © Kyodo News/Getty Images (Vorderseite)
ISBN 978-3-641-20390-0V002www.dva.dewww.penguinrandomhouse.de

Inhalt

Vorwort

1 Ausgerechnet Nordkorea: Risiken und die Gewissensfrage

2 Einreise: Leichter als gedacht

3 Kommunikation und Medien: Landestypische Eigenheiten

4 Unterbringung: Der Charme des Sozialismus

5 Essen und Trinken: Kimch’i, Pizza, Hundefleisch

6 Unterwegs von A nach B

7 Shopping im Paradies der Werktätigen

8 West-Pjöngjang: Das Zentrum der Macht

9 Ost-Pjöngjang: Monumente und Entertainment

10 Der Nordwesten: Tribut, damals und heute

11 Der Südwesten: Alte und neue Konflikte

12 Der Südosten: Tourismus am Ostmeer

13 Der Nordosten: Revolutionäre Stätten und wirtschaftliche Öffnung

14 Ausreise: Und was nun?

Bildteil

Register

Vorwort

»Sehen Sie das Gebäude dort hinten? Wissen Sie, was das ist?« Das Mikrofon in der einen Hand, mit der anderen etwas verkrampft bemüht, das wilde Rütteln des Busses auszugleichen, lenkt die nordkoreanische Reiseleiterin unseren Blick auf ein riesiges pyramidenartiges Gebilde am Horizont. »Das ist unsere Raketenabschussrampe!« Erwartungsvoll schaut sie in die Runde. Verunsicherte Gesichter. Hat sie das wirklich gesagt? Trotz heroischer Anstrengung kann sie kurz darauf ein Glucksen nicht mehr zurückhalten. Ein Scherz, Gott sei Dank. Immerhin, wir sind in Nordkorea, und da ist bekanntermaßen alles möglich. Doch das, was da auf der Fahrt vom Flughafen Sunan Richtung Pjöngjang in der Ferne auftaucht, ist einfach nur die 105 Stockwerke hohe Bauruine des Ryugyŏng-Hotels. Dieser recht eigenwillige Ulk sagt viel über das Land aus, in dem wir gerade angekommen sind.

Nordkorea hat ein miserables internationales Ansehen. Unverdient ist dieser Ruf nicht, doch er trübt auch unsere Wahrnehmung. Was man nirgends für möglich halten würde – dort traut man es der Führung zu. Verpflichtender Einheitshaarschnitt, Hinrichtung durch Hunde oder Granatwerfer, eine Raketenstartrampe mitten in der Hauptstadt – alles scheint denkbar.

Nordkoreaner sind keine Maschinen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dieses auf bedrohliche Art geheimnisvolle Nordkorea als mehr als nur ein monströses System, fixiert auf eine einzelne Führerperson. Wer trotz aller Bedenken dorthin fährt, erlebt ein Land mit Menschen, die eine Menge Humor haben und auch zur Selbstironie fähig sind.

Nordkorea ist ein Land mit wirtschaftlichen Problemen, die der Staat mal mehr, mal weniger erfolgreich zu verbergen sucht. Das Ryugyŏng-Hotel befindet sich seit Ende der 1980er Jahre im Bau und ist immer noch nicht fertig. Erst 2011 wurde die Fassade des Gebäudes mit Glas verkleidet, um das unansehnliche betongraue Skelett zu verhüllen.

Nordkorea ist ein Land mit, vorsichtig gesagt, großen Ambitionen. Zum Zeitpunkt des Baubeginns wäre das Hotel mit seinen 33o Metern immerhin das höchste Gebäude dieser Art in Asien gewesen, obwohl eine Vollbelegung mit zahlenden Gästen – damals wie heute – illusorisch war.

Nordkorea hat trotz seiner vielen Defizite auch Erfolge zu verzeichnen, und es wird zunehmend ein Land der Gegensätze. In den letzten Jahren ist es in einigen Bereichen sichtbar vorangegangen; auch dafür steht die Fassade des Ryugyŏng-Hotels. Diese wurde übrigens von jenem ägyptischen Unternehmen komplettiert, das seit 2008 Nordkoreas Mobilfunknetze betreibt.

Gleichzeitig nimmt Nordkorea bei internationalen Rankings der Menschenrechte regelmäßig einen der untersten Plätze ein. Das betrifft viele Themen, darunter die Prioritätensetzung der Führung. Wozu protzige Hotels wie das Ryugyŏng bauen oder teure Waffenprogramme finanzieren, wenn das Geld in der Infrastruktur und bei der Versorgung mit Lebensmitteln so dringend benötigt wird? Und wie kann man über einen solchen Scherz lachen, wenn man aus Berichten von Flüchtlingen über die Lager für politische Gefangene informiert ist, die vielleicht auch dort hinten am Horizont liegen – unsichtbar für uns als Besucher und verschwiegen von den staatstreuen Guides?

Eine Reise nach Nordkorea ist in vielerlei Hinsicht eine Gratwanderung. Selbst eine einzige Woche kann emotional sehr herausfordernd sein. Ein falscher Schritt, und man verliert den sicheren Boden unter den Füßen. Man schwankt zwischen Angst und Neugier, Wut und Mitgefühl, Paranoia und Vertrauen. Man lernt viel, aber versteht wenig. Man ist mitten im Land und trotzdem nie wirklich da. Man wird gezielt isoliert und ist abends doch todmüde von all den Gesprächen und Eindrücken. Euphorie und Frustration schicken Besucher auf eine emotionale Achterbahnfahrt.

Ohne solide Vorbereitung ist ein Besuch Nordkoreas nur die Hälfte wert, denn man weiß oft nicht, wonach man schauen soll oder was es eigentlich gerade zu sehen gibt. Da man in der Regel mit mehr Fragen als Antworten nach Hause zurückkehrt, empfiehlt sich außerdem eine Nachbereitung, die helfen kann, das eine oder andere im Rückblick einzuordnen. An sie – die Reiseplaner und die Reiseveteranen – wendet sich dieses Buch vor allem. Aber ich habe es auch für die vielen geschrieben, die sich zwar für das Land interessieren, aber eine Reise aus guten Gründen ausschließen.

Unterwegs in Nordkorea ist kein Reiseführer, jedenfalls nicht im üblichen Sinne. Dieses Format wäre im Falle Nordkoreas auch nicht sehr sinnvoll, da man das Land weder individuell noch spontan bereisen kann. Und doch ist Nordkorea für den Reisenden selbst dann eine Herausforderung, wenn die Route lange feststeht. Vieles ist so fremd und unbekannt, dass man kaum auf vorhandenes Wissen zurückgreifen kann. Die meisten von uns haben schon vom Eiffelturm gehört, dem Central Park oder dem römischen Kapitol. Doch wer kennt schon die Namen, geschweige denn die Geschichte und Bedeutung des Chuch’e-Turms, des Moranbong-Parks oder des Mansudae-Hügels?

Hinzu kommt, dass die organisierten Besuchsprogramme außerordentlich dicht gepackt sind, man verliert leicht den Überblick. Wie hieß dieser Triumphbogen noch mal? Was war der Name der prominentesten Biersorte? Welcher Kim war der erste, der zweite, der dritte?

Nicht zu Unrecht ist man auch immer ein wenig besorgt, wenn es nach Nordkorea geht. Umso wichtiger ist es, dass man weiß, was einen zum Beispiel bei der Ein- und Ausreise erwartet, was man mitbringen darf und was nicht, und wie viel Geld man eigentlich benötigt.

Die offiziellen Erklärungen zu den besuchten Orten geben in der Regel die sehr einseitige Perspektive des gastgebenden Staates wieder und sind damit aus unserer Sicht meist unzureichend. Das Internet hilft hier nur bedingt weiter, denn Fakten zu Nordkorea sind Mangelware, häufig dominieren Gerüchte. Zusammenhänge und Hintergründe sind erst recht schwer zu erfahren. Im Land selbst, das kommt hinzu, steht das Internet nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, taugt also ohnehin nicht zum schnellen Rechercheinstrument.

Es gibt Reiseführer zu Nordkorea wie etwa den sehr empfehlenswerten Bradt Travel Guide, aber ich habe für dieses Buch keinen davon verwendet. Stattdessen habe ich im Verlauf von fast drei Jahrzehnten vor Ort Informationsschnipsel zusammengetragen – oft mühevoll, manchmal überraschend einfach. Meine Quellen sind eigene Anschauung und endlose Gespräche mit nordkoreanischen Reiseleitern, Kollegen, Freunden und Bekannten, die enge Zusammenarbeit mit professionellen Reiseanbietern wie Koryo Tours in Beijing, Political Tours in London oder Pyongyang Travel in Berlin und natürlich mein Hintergrund als Ostasienwissenschaftler.

Die Universität Wien, seit 2003 meine akademische Heimat, hat einen wichtigen Anteil an der Entstehung dieses Buches. Die älteste Universität im deutschsprachigen Raum ist im 21. Jahrhundert angekommen und fördert gezielt die Kommunikation und den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, das Herabsteigen vom Elfenbeinturm. Nordkorea ist kein einfaches Thema; wer sich damit befasst, ist heftiger Kritik ausgesetzt, oft verbunden mit starken Emotionen. Im Umgang mit ihm ist die an der Universität Wien geltende Überzeugung wichtig, dass die Freiheit der Wissenschaft und des Denkens unter der Voraussetzung der Einhaltung ethischer Grundsätze unantastbar ist.

Besonders wertvoll waren für mich Gespräche mit ausländischen Diplomaten und Geschäftsleuten, die oft Jahre in Nordkorea verbracht und ihre Erfahrungen großzügig mit mir geteilt haben. Stellvertretend möchte ich mit großem Respekt Barbara und Günter Unterbeck nennen, die Nordkorea so viel besser kennen als ich. Sie haben mit ihrer bescheidenen und beharrlichen Arbeit für die Menschen dort und für unsere Annäherung an sie Außerordentliches geleistet, weit mehr als die Öffentlichkeit je erfahren wird.

Seit einiger Zeit begleite ich ein bis zwei Mal im Jahr westliche Reisegruppen, eine für mich nach anfänglicher Skepsis überraschend positive und produktive Erfahrung. Ich kenne daher die praktischen Fragen und Probleme bei solchen Touren aus eigener Anschauung. Was darf man fotografieren? Was nimmt man als Geschenk mit? Wo bekommt man ein Visum? Welche Orte kann man und welche sollte man besichtigen? Die Zahl der Fragen ist nahezu endlos und reicht von profanen Dingen des Alltags bis zum Verständnis größerer politischer Zusammenhänge. Untrennbar verbunden ist all das mit der Lage der Menschen in einer Diktatur, mit dem Leben in einem alle Bereiche durchdringenden Staat, vor dem Hintergrund immer wieder aufflammender Krisen um das Atomwaffenprogramm und inmitten einer hoch komplexen geostrategischen Lage.

Aus diesen Komponenten setzt sich im Folgenden so etwas wie ein Porträt des Landes zusammen, mit einem anderen Ansatz allerdings als bei meinem Buch Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates, das sich strukturiert mit der Geschichte, der Ideologie, dem politischen und wirtschaftlichen System befasst. Dort finden Sie auch zahlreiche Literaturangaben und Hinweise auf weiterführende Lektüre. Beide Bücher – Innenansichten und Unterwegs in Nordkorea – bilden letztlich eine Einheit.

Zum Schluss noch eine nicht ganz unwichtige Formalie: Ich habe für die Umschrift koreanischer Begriffe grundsätzlich das System nach McCune/Reischauer verwendet. Der Lesbarkeit wegen wird bei weithin bekannten Begriffen, Orts- und Personennamen jedoch auf die in den Medien übliche, vereinfachende Form zurückgegriffen. »P’yŏngyang« wird daher »Pjöngjang« geschrieben. Anstelle von Kim Il-sŏng schreibe ich Kim Il-sung, Kim Chŏng-ŭn schreibe ich Kim Jong-un und so weiter.

1Ausgerechnet Nordkorea: Risiken und die Gewissensfrage

Bei kaum einem anderen Land stellt sich heute die Frage nach dem Ob und dem Warum einer Reise so deutlich wie bei Nordkorea. Wieso ausgerechnet dieses Land? Kann man da überhaupt hinreisen? Unterstütze ich damit womöglich das Regime? Welche Konsequenzen kann eine solche Reise haben? Lassen die mich vielleicht nicht wieder raus?

Ich habe Hunderte Gespräche hierzu mit Menschen aus aller Welt geführt. Das Fazit: Eine eindeutige Antwort gibt es nicht, die Entscheidung wird immer persönlich bleiben.

Warum nach Nordkorea?

Wer eine Reise antritt, hat dafür zumeist gute Gründe. Und wer für eine Woche um die 1500 Euro oder mehr ausgibt und zusätzlich noch eine mehrtägige An- und Abreise auf sich nimmt, der möchte einen Gegenwert sehen. Worin kann dieser in Nordkorea bestehen, einem diktatorisch regierten Staat mit Versorgungsengpässen, der politisch Andersdenkende verfolgt und ein Atomwaffenprogramm aufbaut? Das Land hätte durchaus einiges von dem zu bieten, was man von einem »normalen« Urlaubsziel erwarten würde: einsame Strände mit glasklarem Wasser, wilde Natur, alte buddhistische Tempel und Einsiedeleien, exotische Speisen und sogar Skigebiete. Doch die meisten westlichen Besucher reisen aus einem anderen Grund dorthin.

Sie wollen aus eigener Anschauung erleben, wie eine solche ganz und gar nicht unseren Werten entsprechende Gesellschaft funktioniert, sie wollen verstehen, wie sie so lange existieren konnte, wie die Menschen darin leben. Je nach Vertrauen in unsere Medien wollen sie bestehende Ansichten hinterfragen oder bestätigt sehen. Hinzu kommt der Nervenkitzel, den eine Reise in ein quasi verbotenes Land bietet. Attribute wie »verschlossen«, »isoliert«, »unbekannt« haben ihren Reiz. Ist ja auch ein gutes Gefühl, langweilige Berichte vom x-ten Toskana-Urlaub mit einem beiläufigen »Ach ja, ich war übrigens letzten Monat in Nordkorea« zu unterbrechen und sich umgehend der ungeteilten Aufmerksamkeit aller Anwesenden gewiss zu sein. Und wenn wir ehrlich sind, dann spielt auch eine gehörige Portion Voyeurismus eine Rolle: Manche Besucher wollen, salopp gesagt, die Freak-Show sehen.

Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges und im Zeitalter der alles gleichmachenden Globalisierung können Reisende in Nordkorea ein System erleben, das in mehrfacher Hinsicht von unserer Realität grundverschieden ist. Diktaturen gab und gibt es viele. Manch ein Führer lässt zu Lebzeiten Statuen von sich errichten, sogar in Gold, wie der turkmenische Staatschef. Andere treten ganz unverblümt öffentlich mit dem noch kindlichen designierten Nachfolger auf, etwa in Weißrussland. Doch selten ist es einem dieser Systeme und seinen Repräsentanten gelungen, eine Gesellschaft so vollständig und dauerhaft zu durchdringen, wie es in der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik, so die offizielle Bezeichnung Nordkoreas, der Fall ist. Nur noch wenige Jahre, und diesen Staat wird es länger gegeben haben als die Sowjetunion, das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Was das Land in unseren Augen so besonders macht, ist eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Ein nominell sozialistisches System ohne nennenswertes Privateigentum in der Wirtschaft ist längst nicht alles. Hinzu kommen viele andere Faktoren: eine ganz eigene, ultra-nationalistische Ideologie mit dem Namen chuch’e; ein oberster Führer, der in für uns ungewohnter Weise verehrt wird und in nunmehr dritter Generation an der Spitze steht; die fast vollständige Abschottung der Einwohner vom Weltgeschehen; Nachrichten über massive und andauernde Menschenrechtsverletzungen; und nicht zuletzt das Atom- und Raketenprogramm, das schwer mit einer am Boden liegenden Wirtschaft in Einklang zu bringen ist, und gegen den erheblichen Widerstand der USA und ihrer Verbündeten, und neuerdings sogar Chinas, Test für Test scheinbar unaufhaltsam vorangetrieben wird – mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheitslage in der Region.

Wie auch anderswo gehört zu den Nebeneffekten einer Nordkoreareise, dass man dabei viel über sich selbst und das eigene Land lernt. Man weiß hinterher manche für selbstverständlich gehaltenen und kaum noch wahrgenommenen Dinge wieder zu schätzen. Dazu gehören Annehmlichkeiten wie jederzeit verfügbares sauberes und auf Wunsch heißes Wasser aus der Leitung, eine unterbrechungsfreie Stromversorgung oder das überquellende Angebot unserer Supermärkte. Die Möglichkeit, sich in der eigenen Stadt, im eigenen Land und darüber hinaus frei zu bewegen. Zu fotografieren, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen. In ein beliebiges Geschäft zu gehen, ohne dass einem der Zutritt verwehrt wird. Mit Wildfremden zu sprechen. Zugegeben, das dann wieder überall verfügbare Internet kann ein Fluch sein, aber letztlich hat man auch diese Errungenschaft unserer Zivilisation vermisst. Schnell mal etwas googeln, den Status bei Facebook aktualisieren, E-Mails checken oder eine WhatsApp verschicken – das geht in Nordkorea alles nicht oder ist stark eingeschränkt.

Westliche Besucher sind in Nordkorea in der Minderheit, etwa 6000 waren es bis zum von der US-Regierung im Sommer 2017 verhängten Reiseverbot pro Jahr. Die Chinesen machen mit derzeit etwa 130000 Personen jährlich den Löwenanteil an ausländischen Besuchern aus. Das sind konservative Schätzungen; es gibt auch deutlich höhere Angaben. Was zieht die Chinesen nach Nordkorea? Im bis vor kurzem noch bitterarmen China gilt eine Auslandsreise heute als Prestigesache. Wer sich keinen Flug nach Europa, in die USA oder wenigstens nach Südkorea leisten kann, bucht eben eine Tagestour nach Nordkorea – Ausland ist Ausland. Viele Chinesen der älteren Generation sind auch deshalb in Nordkorea unterwegs, um sich daran zu erinnern, wie das eigene Land früher einmal aussah. Neben nostalgischen Gefühlen wegen der verflossenen Jugend empfinden sie unisono Erleichterung darüber, dass diese Zeit vorbei ist – der Trip in die eigene Vergangenheit wird zur Selbstbestätigung. Viele Chinesen suchen in der noch nicht von Umweltverschmutzung und Verstädterung zerstörten Landschaft Nordkoreas auch einfach nur Erholung im klassischen Sinne.

Für westliche Touristen hingegen gleicht eine Reise nach Nordkorea häufig einem Besuch im Menschenzoo. Viele fahren dorthin, um zu beobachten, zu bewerten und sich in ihrer kritischen Haltung bestärkt zu sehen, was in der Regel auch umgehend geschieht. Aber warum lässt uns der als ebenso stolz wie verschlossen geltende Staat dann überhaupt hinein?

Man muss kein Hellseher sein, um finanzielle Motive zu erahnen. Und in der Tat: Da das Land keine konvertierbare Währung hat, sich auf den internationalen Finanzmärkten kein Geld borgen kann und auch in seinem Außenhandel durch ständig neue Sanktionen immer weiter eingeschränkt wird, erscheinen selbst die bescheidenen Summen, die durch den Tourismus eingenommen werden können, plötzlich als signifikant. Wenn die durchschnittliche Reise eines Westlers etwa 1500 Euro an Devisen ins Land bringt, dann sind das bei rund 6000 Touristen immerhin neun Millionen Euro im Jahr. Zählt man noch jeweils konservativ geschätzte 500 Euro pro chinesischem Besucher dazu, dann summieren sich die Einnahmen Nordkoreas aus dem Tourismus auf fast 75 Millionen Euro. Das ist nicht die Welt, aber doch eine sichtbare Summe in einem Land, in dem es zu derlei Geldsegen wenige Alternativen gibt.

Die Zahl der Touristen scheint zudem stetig zuzunehmen. Die ambitionierte Zielgröße der nordkoreanischen Regierung liegt bei einer Million Einreisen. Das klingt nach viel, aber: Allein zwischen August und November 2016 kamen laut Financial Times knapp vier Millionen chinesische Gäste nach Südkorea. Das lässt das Potential erahnen. Kein Wunder also, dass die USA ihre Sanktionen gegenüber Nordkorea jetzt auch sehr gezielt auf den Tourismus ausweiten.

Trotz des offensichtlichen finanziellen Anreizes ist es nicht leicht, die Bereitschaft Nordkoreas zum Empfang westlicher Gäste nachzuvollziehen. Angesichts endloser Schmähungen und Parodien, die aus den Besuchen von Privatpersonen und Journalisten resultieren, kommt schon fast der Verdacht des Masochismus auf.

Warum lassen die uns also herein? Auch wenn es für uns schwer zu verstehen ist, hier spielt tatsächlich der Stolz auf das Erreichte eine Rolle. Wenn dem Besucher erklärt wird, dass er sich nun im Paradies der Werktätigen und aufgrund der großartigen Führer auf heiligem Gebiet befinde, dann ist das tatsächlich oft ernst gemeint.

Ob man das nun naiv oder bedauernswert findet: Es kann sicher nicht schaden, sich beim Anhören der Erklärungen der Fremdenführer einmal für einen Moment vorzustellen, dass sie aufrichtig gemeint sind. Das ist nicht leicht; die meisten Nordkorea-Reisenden berichten von einer ständig präsenten Paranoia, von der Angst, permanent belogen zu werden. Unbegründet sind solche Gefühle keineswegs, vorsichtig ausgedrückt. Doch es geht bei der häufig allzu offenkundigen Täuschung nicht immer um böswillige Irreführung, sondern schlicht um Nationalstolz – so wie man Gästen lieber die gelungene Einbauküche vorführt und den Blick auf die schief geratene Kellerwand vorenthält.

Interessanterweise scheinen die Leute an der Basis, die Fremdenführer oder Guides, noch am ehesten zu begreifen, dass viele Besucher vor allem deshalb nach Nordkorea kommen, weil sie dem Land skeptisch gegenüberstehen. Einige meiner nordkoreanischen Kontakte haben mir gegenüber sogar eine gewisse Betroffenheit ob dieses Umstandes bekundet.

Doch das sind Ausnahmen, und in den höheren Rängen der Obrigkeit hat man den direkten Kontakt zu den bei stundenlangen Busfahrten oder beim abendlichen Bier zynische Witze reißenden Gästen nicht. In den mehr oder weniger gut beheizten Verwaltungsbüros freut man sich vielmehr über steigende Besucherzahlen, wachsende Einnahmen und bessere Chancen auf eine Beförderung. Welcher Guide wäre unter diesen Umständen dumm genug, den Chefs ihren schönen Traum zu zerstören und sich selbst den eigenen lukrativen Job gleich noch dazu? Immerhin darf sich ein Reiseleiter nach einer Woche vergleichsweise leichter Arbeit – als Alternative bieten sich schlammige Reisfelder oder düstere Kohleminen an – über 100 Euro Trinkgeld oder mehr freuen, wovon er zumindest einen gewissen Anteil behalten kann.

Kann, darf und sollte man nach Nordkorea reisen?

Das dürfte wohl eine der Hauptfragen sein, mit denen man sich als potenzieller Nordkorea-Reisender konfrontiert sieht. Rein technisch gesehen ist die Antwort einfach: Ja, man kann und man darf. Ausnahmen gibt es nur für Journalisten und für Bürger Südkoreas sowie seit August 2017 auch der USA. Letzteren verbieten es die eigenen Regierungen, und Journalisten müssen einen speziellen Antrag stellen, der nicht immer, aber doch erstaunlich häufig genehmigt wird. Westliche Veranstalter lassen sich schriftlich bestätigen, dass man kein Journalist ist, und lehnen jede Verantwortung für die Folgen falscher Angaben ab. Alle anderen wenden sich an ein Reisebüro ihrer Wahl und bekommen in der Regel auch problemlos ein Visum.

Echte Individualreisen, also ohne Begleiter und ohne zuvor geplanten Reiseverlauf, sind derzeit grundsätzlich nicht möglich. Nordkorea bereist man nach Plan und als geführte Gruppe, intern »Delegation« (taep’yodan) genannt, die allerdings auch aus nur einer einzigen Person bestehen kann. Davon würde ich aber aus verschiedenen Gründen abraten. Erstens ist es deutlich angenehmer, sich mit Mitreisenden über das Gesehene und Erlebte austauschen zu können. Außerdem genießt man als Einzelreisender die ungeteilte Aufmerksamkeit des grundsätzlich aus einem Fahrer und mindestens zwei Guides bestehenden Begleitteams, was nicht jedermanns Sache ist.

Ob man eine solche Reise mit seinem Gewissen vereinbaren kann, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier gibt es keine schlüssige Argumentation. Einerseits unterstützt man bei einer Reise das herrschende Regime, indem man Devisen ins Land bringt. Ausländer, die die obligatorische Verneigung vor den Führerstatuen vollführen, werden der Bevölkerung in der Propaganda als Bewunderer des Systems verkauft. Ich kann sehr gut verstehen, dass viele Menschen eine Reise daher kategorisch ablehnen.

Andererseits sorgt man mit den ins Land gebrachten Devisen dafür, dass im Inland eine Nachfrage entsteht. Diese fördert die in vorsichtigen Ansätzen vorhandene Marktwirtschaft. Wer direkt und indirekt von den Touristen profitieren kann, dessen Wohlstand liegt so deutlich über dem Durchschnitt, dass die vom Staat propagierte sozialistische Gleichheit auf die offensichtlichste Weise zur hohlen Phrase verkommt. Mehr Geld bedeutet in Verbindung mit einer allmächtigen Bürokratie unweigerlich Korruption. All das untergräbt das bestehende System und zwingt es zum Wandel. Und selbst die obligatorische Verbeugung vor den Statuen kann subversiv wirken, denn nicht jeder nordkoreanische Beobachter sieht hier ausländische Fans der Familie Kim. Manch einer sieht selbstbewusste Menschen in legerer Kleidung, die er selbst nie zu tragen wagen würde, mit Kameras und elektronischen Geräten, die von Wohlstand und Vielfalt zeugen. Die junge Nordkoreanerin sieht vielleicht Frauen mit Schuhen und Handtaschen, die ihr selbst mindestens genauso gut stehen würden, und fragt sich, ob sie den Lidstrich auch so hinbekommen würde.

So profan manche dieser Dinge scheinen mögen: Ihre Wirkung sollte man nicht unterschätzen. Als ich noch in der DDR lebte, gab es in meiner Heimatstadt Leipzig unzählige Gelegenheiten, auf Besucher aus dem Westen zu treffen. Viele Worte waren nicht nötig. Der offenkundige Wohlstand, die Körpersprache, sogar die selbstbewusste Arroganz brachten mich zum Nachdenken. In Nordkorea ist das nicht anders, wie wir aus Berichten von Flüchtlingen wissen.

Manche Reisende gehen die Gewissensfrage offensiv an. Ich habe in Nordkorea mehrmals christliche Reisegruppen aus den USA angetroffen, die den Behörden gegenüber kein Hehl daraus machten, dass sie in diesem von Gott hart geprüften Land unterwegs waren, um vor Ort für die Menschen zu beten. Und da sie das immer schön für sich taten, ließ man sie auch gewähren. Unglaublich, oder? Rechnen Sie ruhig damit, dass Ihr Bild des Landes noch weitere unerwartete Modifikationen erhält, wenn Sie dort sind.

Wenn man echtes Interesse, wie immer man das im Einzelnen begründen mag, an Nordkorea hat, führt ohnehin kein Weg an einem Lokalaugenschein vorbei. Wer über ein Land redet, ohne da gewesen zu sein, ist wenig glaubwürdig – wenngleich das für manche westliche Kommentatoren kein unüberwindlich großes Hindernis darzustellen scheint.

Klar ist aber auch: Als Besucher wird man nur Ausschnitte der Realität zu sehen bekommen, und zwar vor allem jene, die man nach dem Willen der Machthaber wahrnehmen soll. Politische Gefangene gehören nicht dazu, auch öffentliche Hinrichtungen nicht oder hungernde Kinder. Selbst der normale Alltag der Menschen bleibt dem Touristen meist verborgen. Vieles wird inszeniert. Das ist eine Tatsache, auch wenn wir den zur Beeinflussung der Ausländer betriebenen Aufwand manchmal ein wenig überschätzen. Nicht jede Gruppe lachender Kinder ist uns von den Behörden in den Weg gestellt worden.

Ein halbwegs politisch gebildeter Besucher aus dem Westen erkennt übrigens schnell, wie verräterisch die vom Staat veranstaltete Show häufig ist. Meister des Subtilen sind die Nordkoreaner nämlich nicht. Auch anderswo sind Verbote oft ein Hinweis auf die Realität. Warum wohl untersagt eine Tafel in der Stadt Tumen auf der chinesischen Seite der Grenze zu Nordkorea den »Handel mit Drogen«? Und auch wenn selbstverständlich kein Umerziehungslager auf dem Besuchsprogramm steht, so begreift man vor Ort schnell, um was für ein System es sich hier handelt und dass Menschenrechte auch anders, alltäglicher verletzt werden können. Letzteres gehört für viele zu den wichtigen Erkenntnissen eines Besuches in Nordkorea.

Nicht zuletzt ist Reise nicht gleich Reise; es kommt auf die Inhalte an. Eine von einem Fachmann begleitete Studienfahrt ist vermutlich ethisch leichter zu rechtfertigen als die eher spaßorientierte Teilnahme am Pjöngjanger Marathon im April oder am, Sie lesen richtig, Bierfestival im August. Mit viel Phantasie könnte man sagen, dass diese Ereignisse eine subversive Nachricht übermitteln – das Leben ist ein kräftezehrender Ausdauerlauf und nur mit viel Alkohol zu ertragen –, aber da muss man sich schon sehr bemühen. Für viele Europäer hört sich Skifahren in Nordkorea ungefähr so nachvollziehbar an wie Skifahren im Einkaufszentrum von Dubai, auch wenn in ersterem Fall Kälte und Schnee wenigstens natürlichen Ursprungs sind.

Es hilft nichts: Jeder, der eine Nordkorea-Reise in Erwägung zieht, muss mit sich selbst ausmachen, welches der genannten Argumente schwerer wiegt. Stärkt unser Geld das System oder trägt es zu dessen Veränderung bei? Wirkt unsere Anwesenheit bestätigend oder irritierend? Kann man etwas über das Land lernen, oder wird man geblendet? Ist es in Ordnung, einfach so, auf der Suche nach Spaß und Erholung, nach Nordkorea zu fahren? Oder sollte man sich vorher so gut wie möglich informieren und mit fachkundiger Begleitung reisen, um so viel wie möglich zu verstehen?

Ist eine Reise nach Nordkorea sicher?

Auch diese Frage kann man zunächst ohne allzu viele Bedenken mit Ja beantworten. Nordkorea ist im Wortsinn ein sehr sicheres Reiseland, kein Wunder angesichts des omnipräsenten staatlichen Sicherheitsapparates. Man wird nicht bestohlen, man wird nicht überfallen, und sosehr man sich auch bemühen mag: Man wird sich nicht verlaufen, denn die Aufpasser sind nie weit. Zu essen gibt es für Touristen reichlich, die Preise sind zivil. Seuchen wie Gelbfieber, Malaria oder Cholera sind kein Thema, auch wenn in den letzten Jahren wieder vermehrt Tuberkulose aufgetreten ist.

So weit, so gut. Aber was ist mit den gefühlt Hunderten von Touristen, die in den letzten Jahren vom Regime willkürlich verhaftet und dann zu oft jahrelangen Strafen in Arbeitslagern verurteilt wurden? Das amerikanische Außenministerium warnt auf seiner Internetseite, es sei »absolut wahrscheinlich«, dass Einnahmen aus dem Tourismus auch zur Finanzierung des Atomprogrammes verwendet würden. Hinzu komme, dass man sich bei einer Reise nach Nordkorea einem hohen Risiko von Verhaftung und langfristigen Haftstrafen aussetze. Privatsphäre dürfe man sowieso nicht erhoffen. Mitte 2017 wurde ein explizites Reiseverbot erlassen. US-Amerikaner dürfen nicht mehr nach Nordkorea reisen.

Als Europäer genießen wir offenbar etwas mehr Vertrauen unserer Regierungen und haben – noch – die Freiheit, selbst zu entscheiden, wohin wir fahren. Die USA befinden sich bekanntermaßen im Propagandakrieg mit Nordkorea, womöglich wird hier also übertrieben. Wie groß ist das Risiko wirklich?

Rein statistisch ist die Wahrscheinlichkeit, während einer Nordkorea-Reise verhaftet zu werden, geringer als auf einer Reise in die USA. Doch Flugreisen sind theoretisch auch sicherer als Autofahrten, und trotzdem gibt es Flugangst. Im Falle Nordkoreas basieren Unbehagen und Nervosität vor allem auf dem Gefühl, schnell einmal unvermutet in Konflikt mit den Behörden geraten zu können, sowie auf mangelnder Rechtsstaatlichkeit. Wer in Nordkorea verhaftet wird, ist der Willkür des Staates mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.

Die »Verbrechen«, derer sich westliche Besucher angeblich schuldig machen, spiegeln die sehr eigentümlichen Wertvorstellungen und Prioritäten des nordkoreanischen Systems wider. Wer eine Bibel im Hotelzimmer liegen lässt, einen Witz über den Führer reißt oder südkoreanische Seifenopern ins Land schmuggelt, der riskiert mehr als nur eine kurze Zurechtweisung durch den Reiseleiter. Zur Illustration können einige der spektakulärsten Fälle der letzten Jahre dienen.

Was dabei auffällt, ist die Tatsache, dass es sich bei den Verhafteten fast ausnahmslos um Amerikaner und/oder ethnische Koreaner handelt. Das legt eine politische Absicht nahe, die darin bestehen könnte, die USA zum Dialog zu zwingen oder vor allem koreanischen Muttersprachlern Angst einzujagen.

In Nordkorea gelten Regeln wie andernorts auch. Diese kommen uns oft besonders absurd vor, aber mit der Einreise, die immerhin freiwillig erfolgt, unterwerfen wir uns ihnen. Die Information über diese Beschränkungen gehört zur Vorbereitung durch jedes Reisebüro, und der Respekt vor den Regeln des Gastlandes sollte selbstverständlich sein. Auch wenn in vielen Fällen eher Naivität auf Seiten der Delinquenten im Spiel war als subversive Absicht, so waren die Verhaftungen nicht völlig willkürlich. Fast alle Inhaftierten sind außerdem trotz drakonischer Strafmaße nach vergleichsweise kurzer Zeit und zumindest körperlich weitgehend wohlbehalten wieder frei gekommen, mit einer tragischen und weder verständlichen noch zu akzeptierenden Ausnahme. Eine ständig aktualisierte Übersicht aller Fälle findet man im Blog Witness of Transformation von Stephan Haggard und Marcus Noland. Hier nur eine Auswahl.

Euna Lee und Laura Ling, zwei amerikanische Journalistinnen, überschritten im März 2009 illegal die Grenze von China nach Nordkorea, offenbar in der Absicht, Material für ihre TV-Show aufzunehmen. Sie wurden umgehend verhaftet und zu zwölf Jahren schwerer Arbeit verurteilt. Nach einer persönlichen Intervention des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton durften sie im August 2009 gemeinsam mit ihm das Land verlassen.

Aijalon Gomez, ein 31-jähriger Amerikaner, der in Südkorea Englisch unterrichtet hatte, wurde im Januar 2010 nach illegalem Grenzübertritt verhaftet. Vermutlich wollte er im Land missionieren. Er wurde zu acht Jahren Schwerarbeit und 700000 Dollar Strafe verurteilt. Nach Intervention des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter konnte er gemeinsam mit diesem im August 2010 das Land verlassen.

Kenneth Bae, ein 43-jähriger Amerikaner südkoreanischer Herkunft, wurde im November 2012 wegen religiöser und staatsfeindlicher Aktivitäten verhaftet und im April 2013 zu 15 Jahren schwerer Arbeit verurteilt. Er musste sechs Tage pro Woche auf einer Farm arbeiten und verlor viel Gewicht. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich. Er durfte nach einem Besuch des Sondergesandten von Barack Obama für Menschenrechte in Nordkorea im November 2014 gemeinsam mit Matthew Miller (siehe unten) das Land verlassen.

Merrill Newman, ein 84-jähriger Amerikaner und Veteran des Koreakrieges, reiste im Oktober 2013 als Tourist nach Nordkorea. Er versuchte dort mit Hilfe seiner offiziellen nordkoreanischen Reiseleiter eine Gruppe von südkoreanischen Agenten zu kontaktieren, die er während des Koreakrieges ausgebildet hatte. Deren Aufgabe waren seinerzeit Attentate und Sabotage hinter den feindlichen Linien, also in Nordkorea. Aus nordkoreanischer Sicht versuchte hier ein Täter, mit Hilfe der Nachkommen der Opfer Kontakt zu seinen ehemaligen Komplizen aufzunehmen. Um die Sache noch schlimmer zu machen: Diese hatten damals ausgerechnet im Gebiet des Kuwŏl-Gebirges operiert, das in der Nähe von Sinch’ŏn liegt, wo in einem Museum die amerikanischen Kriegsverbrechen angeprangert werden (mehr darüber in Kapitel 11). Über dessen Eingang steht: »Vergessen wir niemals die Lehren der blutgetränkten Erde von Sinch’ŏn!« Offenbar hatte Newman die Präsenz des Koreakrieges im Denken und Fühlen der Nordkoreaner völlig unterschätzt. Er wurde am letzten Tag seiner Reise auf filmreife Weise aus dem bereits zum Abflug bereiten Flugzeug geholt und wieder ins Yanggakdo-Hotel in Pjöngjang zurückgebracht, wo er fast zwei Monate verbringen musste. Allerdings hatten die Behörden große Sorge, dass ihr Gast wegen seines Alters gesundheitlich Schaden nehmen könnte, wie dieser später in seinem Bericht erklärte. Anfang Dezember 2013 durfte er nach öffentlicher Abbitte ausreisen.

Matthew Miller, ein 25-jähriger US-Amerikaner, zerriss schon bei der Einreise am Flughafen von Pjöngjang im April 2014 seinen Reisepass und verlangte politisches Asyl. Er hatte Material bei sich, das er den nordkoreanischen Behörden übergeben wollte und das angeblich wichtige US-Staatsgeheimnisse enthielt. Die nordkoreanischen Behörden wollten ihn nach seinen Aussagen umgehend loswerden, doch er weigerte sich auszureisen, da er – trotz fehlender Kenntnisse des Koreanischen übrigens – »normale Menschen« treffen und »normale Gespräche« mit ihnen führen wollte. Daraufhin wurde Miller, vermutlich in der Hoffnung auf einen Geisteswandel, zu sechs Jahren Schwerarbeit verurteilt. Im November 2014 wurde er nach einem Besuch des US-Geheimdienstchefs James R. Clapper in Nordkorea freigelassen.

Jeffrey Fowle, ein 56-jähriger US-Amerikaner, wurde bei einer touristischen Reise im Mai 2014 in Ch’ŏngjin verhaftet. Er soll versucht haben, auf der Toilette des Seemannsclubs eine Bibel zu verstecken. Die Reise hatte Koryo Tours organisiert, der Platzhirsch im Nordkorea-Tourismusgeschäft mit britischen Wurzeln und Firmensitz in Beijing. Ich kenne das Unternehmen und seinen Gründer Nick Bonner sehr gut und weiß mit absoluter Sicherheit, dass man nachdrücklich auf die in Nordkorea geltenden Verbote hingewiesen wird, insbesondere Bibeln und ähnliche Bücher betreffend. Offenbar ignorierte Fowle diese Warnungen bewusst. Es kam jedoch nie zu einer förmlichen Anklage. Er hatte nach Erkenntnis der nordkoreanischen Behörden allein gehandelt, nicht als Teil einer organisierten Bewegung. Nach einigen Monaten in einem Gästehaus wurde er im Oktober 2014 freigelassen und des Landes verwiesen. Seit diesem Vorfall kontrollieren die Guides übrigens nach der Abreise aus dem Hotel immer noch einmal die Zimmer, um sicherzugehen, dass nichts »vergessen« wurde.

Joo Won-moon, ein 21-jähriger Südkoreaner mit ständiger Aufenthaltsgenehmigung für die USA, wollte nach eigenen Angaben verhaftet werden. Er reiste im April 2015 nach Dandong in China und überschritt illegal die Grenze zu Nordkorea. Daraufhin wurde ihm sein Wunsch erfüllt. Er blieb bis zu seiner Abschiebung nach Südkorea im Oktober 2015 in Haft.

Lim Hyeon-soo, ein 60-jähriger kanadischer Pastor koreanischer Herkunft, wurde im Februar 2015 in Rasŏn verhaftet und Ende 2015 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er war zuvor 18 Jahre lang ein Kooperationspartner Nordkoreas im humanitären Bereich mit angeblichen Kontakten in höchste Kreise gewesen. Man warf ihm vor, seine Tätigkeit systematisch zur Unterstützung illegaler Ausreisen nordkoreanischer Bürger genutzt und verbotenerweise im Land missioniert zu haben. Nach dem Besuch einer kanadischen Delegation im August 2017 wurde er nach Kanada entlassen.

Kim Dong-chul, ein 62-jähriger US-Amerikaner koreanischer Herkunft, wurde im Oktober 2015 in der Sonderwirtschaftszone Rasŏn verhaftet, wo er im Handel und im Gastgewerbe tätig war. Im April 2016 verurteilte man ihn zu zehn Jahren schwerer Arbeit. Er hatte zuvor gestanden, in Kooperation mit dem südkoreanischen Geheimdienst militärische Spionage betrieben zu haben, und war bei der Übernahme eines USB-Sticks mit militärischen Informationen aufgegriffen worden. Dieser Fall ist besonders schwerwiegend. Im Oktober 2015 deckte die journalistische Website The Intercept auf, dass eine christlich-humanitäre NGO, die von einem gewissen Kay Hiramine geleitete Humanitarian International Services Group (HISG), über Jahre hinweg im Auftrag des Pentagon und ohne Wissen der meisten Helfer vor Ort in Kisten mit Hilfsgütern versteckt Spionageausrüstung ins Land geschmuggelt hatte. Offenbar war dies kein Einzelfall. Nun ist es sicher keine Überraschung, dass ein Land wie die USA gegenüber Nordkorea neben Satellitenüberwachung auch andere Methoden der Informationsbeschaffung verwendet. Das Problem ist, dass gezielt Hilfsorganisationen angesprochen und eingesetzt wurden. Das wiederum hat das ohnehin vorhandene nordkoreanische Misstrauen verstärkt, was sich auf alle ins Land reisenden Ausländer auswirkt. Kim Dong-chul war im Dezember 2017 noch in Haft.

Kim Sang-duk und Kim Hak-song, beide Gastprofessoren an der von christlichen Gruppen aus den USA und Südkorea gegründeten Pyongyang University of Science and Technology (PUST), wurden im April beziehungsweise im Mai 2017 wegen nicht näher bezeichneter »feindlicher krimineller Handlungen« verhaftet.

Nach Lektüre dieser Liste droht sich der Eindruck einer letztlich harmlosen Routine einzuschleichen: dumme Aktion, öffentliches Vorführen, drakonische Strafe, Entlassung nach wenigen Monaten unter Mitwirkung einer prominenten Person.

Damit ist es seit Sommer 2017 vorbei. Grund ist ein Fall, der wie so viele andere begann, dann aber eine tragische Wendung nahm und dem Ansehen Nordkoreas im Ausland erheblich geschadet hat.

Otto Warmbier, ein damals 21-jähriger Student aus den USA, reiste Ende Dezember 2015 als Tourist nach Nordkorea ein. Anfang Januar 2016 wurde er verhaftet und zwei Monate später unter entwürdigenden Umständen und vor laufender Kamera zu 15 Jahren schwerer Arbeit verurteilt. Das ihm vorgeworfene Verbrechen: Er war spätnachts am Silvesterabend, offenbar angetrunken, unbefugt in einen für Gäste gesperrten Bereich des Yanggakdo-Hotels in Pjöngjang eingedrungen und hatte dort ein Propagandabanner gestohlen. Laut nordkoreanischen Behörden gestand er, im Auftrag einer christlichen Organisation in seiner Heimat gehandelt zu haben, die ihm für diese Trophäe eine größere Summe Geldes geboten hatte.

Ob dieser spezielle Teil des Geständnisses korrekt ist, sei dahingestellt. Es scheint aber relativ gesichert zu sein, dass der Diebstahl tatsächlich wie beschrieben stattgefunden hat. Dass es sich dabei aus Sicht eines amerikanischen Collegestudenten um einen harmlosen Streich, aus Sicht der nordkoreanischen Behörden aber um einen Angriff gegen das System gehandelt hat, offenbart die verschiedenen Sichtweisen. Was Otto Warmbier mangels Koreanischkenntnissen nicht wusste: Das Banner trug den Namen von Kim Jong-il, dem verstorbenen Vater des gegenwärtigen Führers Kim Jong-un. Er hatte damit ein quasi heiliges Objekt beschmutzt und den Führer persönlich angegriffen.

Bei allem Kopfschütteln über die Tat und die absurde Höhe der Strafe muss man als Beobachter fragen, ob das zuständige Reiseunternehmen Young Pioneer Tours, das in der Szene für seine eher unkonventionelle Grundeinstellung bekannt ist, seine Klienten wirklich ausreichend auf die Besonderheiten Nordkoreas aufmerksam gemacht hat. Man kann in Nordkorea Spaß haben und sich wohl und sicher fühlen; das ändert nichts daran, dass es sich um eine ideologisch fundierte, intolerante Diktatur handelt, in der staatlicher Willkür nicht die bei uns üblichen Grenzen gesetzt sind. Das muss man sich als Besucher immer wieder vergegenwärtigen.

Eine unerwartet dramatische Wendung nahm das Schicksal von Otto Warmbier im Juni 2017. Jegliche Häme, die dem jungen Mann in den Internetforen westlicher Zeitungen wegen seiner Naivität entgegengeschlagen war, verstummte, als er nach 15 Monaten ohne Kontakt zur Außenwelt in einem Zustand des Wachkomas in die USA zurückgeführt wurde. Nur wenige Tage später starb er im Beisein seiner Angehörigen.

Spekulationen über die Ursache seines Zustandes und seines Todes sind problematisch. Nach nordkoreanischen Angaben war es eine Lebensmittelvergiftung. Vielleicht war es aber auch die Folge eines zu spät bemerkten Selbstmordversuches eines völlig verzweifelten jungen Menschen in fremder Umgebung, ohne Sprachkenntnisse und ohne Kontakt in die Heimat und zu Vertrauten. Auf Basis der Erfahrungen anderer Ausländer, die in ähnlicher Weise in Konflikt mit dem nordkoreanischen Gesetz geraten sind, ist nicht davon auszugehen, dass Warmbier körperlich gefoltert wurde. Ein Unfall ist also wahrscheinlich. Nur ändert das rein gar nichts an der Tatsache, dass der nordkoreanische Staat für seinen Tod verantwortlich ist. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass sich die nordkoreanische Regierung nicht umgehend bei den Eltern entschuldigt hat. Otto Warmbier wäre davon nicht wieder lebendig geworden, aber diese Geste wäre das Mindeste gewesen, was man von einem zivilisierten Land erwarten kann.

Es wurde viel darüber diskutiert, ob die Art und Höhe der Bestrafung von Otto Warmbier mit seiner Staatsbürgerschaft zusammenhängen könnte. In anderen Worten, wäre einem Europäer beim gleichen Vergehen das Gleiche widerfahren? Hierzu gehen die Meinungen auseinander. Fakt ist, dass es bisher keine ähnlichen Beispiele gibt, die Europäer betreffen. Ob das am generell klügeren Verhalten, der größeren Kompetenz der betreffenden Reiseleitungen oder tatsächlich am geringeren möglichen Nutzen solcher »Geiseln« für den nordkoreanischen Staat liegt, bleibt offen.

Das Fehlen diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea war sicher nicht hilfreich. Gerade in solchen Fällen bewährt sich die Existenz einer Botschaft vor Ort. Aus diesem Grund ist es auch zu begrüßen, dass sich die deutsche Regierung im November 2017 trotz entsprechender Aufforderung aus Washington geweigert hat, ihre Botschaft in Pjöngjang zu schließen. Gerade dann, wenn es Probleme gibt, braucht man Gesprächskanäle.

Nicht vergessen sollte man, dass in den genannten Fällen die westlichen Reisenden nicht die einzigen Betroffenen waren. Vor allem die zuständigen nordkoreanischen Reiseleiter mussten sich unangenehmen Fragen der Behörden stellen. Hiervon erfährt die westliche Öffentlichkeit nichts. In einigen Fällen weiß ich, dass die Zuständigen erneut mit Touristen gearbeitet haben, also weder hingerichtet, ins Lager geschickt oder strafversetzt wurden. Dabei muss man allerdings bedenken, dass es sich bei den Reiseleitern oft um Abkömmlinge einflussreicher Familien handelt, die man einige Jahre später auch in einer nordkoreanischen Botschaft, im Außenministerium oder in einem international operierenden Unternehmen antreffen kann. Ein schwarzer Fleck in der Akte bleibt ihnen, trotz der schützenden Hand, die die Familie gegebenenfalls über sie halten konnte. Einige der für die oben genannten westlichen »Verbrecher« Verantwortlichen sollen gerüchteweise ein weniger mildes Schicksal erfahren haben. Sie wurden nicht mehr bei der Arbeit mit Ausländern gesehen.

Vielleicht ist man in Kenntnis dieser Zusammenhänge etwas milder gestimmt, wenn einem auf der Reise die Guides allzu »fürsorglich« vorkommen. Sie haben das System nicht gemacht, sie wurden hineingeboren. Sie verspüren einfach keine Lust, für die Naivität oder Abenteuerlust ihrer Schutzbefohlenen den Preis zu zahlen.

Was sonst noch passieren kann

Ich selbst bin nur sehr selten Zeuge potentiell gefährlicher Zwischenfälle geworden. Wir hatten einen Fall von Diebstahl, als ein Mitglied einer von mir begleiteten Gruppe einen Gegenstand aus dem Hotelzimmer entwendet hatte. Als das Hotel den Verlust monierte, wurde die Trophäe umgehend zurückgegeben, nebst einer Entschuldigung und einem kleinen Geschenk von mir als Wiedergutmachung für die Unannehmlichkeiten.

In einem weiteren Fall erhielt einer unserer nordkoreanischen Reiseleiter einen Telefonanruf, weil jemand außerhalb der Hauptstadt ein Mitglied unserer Gruppe beim Schießen eines »unangebrachten Fotos« beobachtet hatte. Das war interessant, gab die Beschwerde doch Aufschluss über die Funktionsweise und Reaktionsgeschwindigkeit des Überwachungssystems. Die »Tat« lag bereits zwei Stunden zurück. Jemand hatte die entsprechende Beobachtung gemacht und den lokalen Behörden gemeldet. Diese wiederum hatten über die Zentrale herausgefunden, welche westliche Touristengruppe sich zur fraglichen Zeit in der Gegend aufgehalten hatte, und hernach den staatlichen Reiseveranstalter KITC informiert und die Handynummer der Guides erfragt.

Auch diese Sache ging für uns glimpflich aus. Wir mussten dem peinlich berührten nordkoreanischen Reiseleiter unsere Fotos zeigen, was im Zeitalter elektronischer Kameras ebenso unproblematisch wie – aufgrund der schieren Zahl der Bilder und der Möglichkeit, das Speichermedium auszutauschen und gelöschte Bilder wiederherzustellen – recht sinnlos ist. Ein illegales Foto fand sich nicht. Dafür war die Stimmung gründlich ruiniert, und meine zuvor noch aufgrund der schönen Landschaft und der neuen Eindrücke positiv gestimmten Mitreisenden waren mit einem Schlag deutlich daran erinnert worden, in welchem Land sie da eigentlich unterwegs waren. Nicht alle fanden das übrigens schlecht. Einige Reisende haben sich mir gegenüber tatsächlich schon enttäuscht geäußert, weil sie weit weniger als erwartet gegängelt wurden.

Bei einer Reise mit einem besonders toleranten Guide kam es einmal zu einem Verstoß gegen das strikte Verbot, militärische Anlagen zu filmen oder zu fotografieren. Nach fast einer Woche in ausgezeichneter Stimmung und ohne eine einzige Aufforderung, das Fotografieren zu unterlassen, waren die entsprechenden Warnhinweise längst vergessen. Vermutlich in der Absicht, Freunde und Familie daheim zu quälen, hatte ein Herr ganz vorn im Bus Platz genommen und fast die gesamte 150 Kilometer lange Autobahnfahrt von Pjöngjang nach Kaesŏng durch die Frontscheibe hindurch gefilmt. Dabei erwischte er aus Versehen auch den militärischen Kontrollposten vor der Stadt.

Der kommandierende Unteroffizier sah die Kamera und veranstaltete einen riesigen Aufstand. Der »Übeltäter« musste aussteigen und seine Kamera herzeigen. Vor lauter Aufregung fiel ihm nicht gleich ein, wie man einen Filmclip löscht. Die Situation eskalierte. Unser Guide wurde in das Wachhäuschen gerufen und musste sich dort grobe Zurechtweisungen von einem deutlich Jüngeren anhören, was in diesem konfuzianischen Land als schwere Beleidigung empfunden wird. Der Vorfall wurde dokumentiert und in die Hauptstadt gemeldet, mit uns nicht weiter bekannten Konsequenzen. Da am Vorabend unser Bus auf spiegelglatter Fahrbahn schon einen Unfall gehabt und dabei eine Granitplatte vor dem Eingang des Pionierpalastes demoliert hatte, war das wohl eine schwarze Woche im Leben eines der kompetentesten und freundlichsten Guides, die ich jemals kennengelernt habe. Es trifft eben auch in Nordkorea meist die Falschen.

Der schwerste Zwischenfall, den ich selbst erlebt habe, war eine körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei meiner europäischen Mitreisenden. Diese fand ausgerechnet an einem vorgeschobenen Wachposten an der Grenze zu Südkorea statt. Der Anlass war, passend zum Ort des Geschehens, reichlich bizarr. Wir standen oben auf der Kante des Schützengrabens, dahinter lagen die Demilitarisierte Zone, Stacheldraht und südkoreanische Bunker. Es ging darum, wer bei dem Erinnerungsfoto neben dem nordkoreanischen Oberst stehen durfte, der uns ins Grenzgebiet begleitet hatte. Es gab ein kurzes Gerangel um diesen offenbar begehrten Platz, das mir zunächst entgangen war. Auf dem dunklen WC des Wachpostens kam es unmittelbar danach jedoch zwischen den zwei Streithähnen zu einem verbalen Schlagabtausch, der schließlich in eine körperliche Auseinandersetzung nebst lautem Geschrei mündete.

Sofort stürmten drei bewaffnete Soldaten hinein, um der Ursache des Tumults auf den Grund zu gehen. Es kostete mich eine halbe Stange Zigaretten und einige recht unflätige Witze auf Kosten der Kontrahenten, um die Sache ins Lächerliche zu ziehen und so aus der Welt zu schaffen. Zum Glück kannte ich den zuständigen Offizier schon seit einigen Jahren und konnte verhindern, dass die Angelegenheit als Provokation an der Grenze interpretiert und weitergemeldet wurde. Hier wären deutlich schlimmere Folgen möglich gewesen.

Um ernste Konsequenzen zu vermeiden, sollten Reisende also vor allem zwei Dinge beherzigen. Erstens muss man die in Nordkorea geltenden Regeln kennen, die sich häufig von den bei uns üblichen unterscheiden. Kennen bedeutet ja nicht automatisch gutheißen, aber man sollte zumindest in der Lage sein, ein Risiko realistisch einzuschätzen. Passiert doch etwas, dann geht es zweitens darum, den Vorfall einzudämmen und unbedingt das Weitermelden an die nächst höhere Hierarchieebene zu vermeiden. Sonst kann eine Kleinigkeit schnell außer Kontrolle geraten.

Ein wenig muss ich aber auch jene in Schutz nehmen, denen die Selbstbeherrschung schwerfällt. Eine Reise nach Nordkorea ist emotional eine erhebliche und oft unterschätzte Herausforderung. Man steht ständig unter Strom, sieht und erlebt eine Flut ungewohnter und unverständlicher Dinge, erhält kaum zufriedenstellende Erklärungen und baut ein erhebliches Maß an innerer Frustration auf. All das läuft zusätzlich zum ohnehin bekannten Phänomen des Kulturschocks ab. Je nach Charakter und persönlicher Erfahrung kann da schnell ein Ventil platzen. Aus diesem Grund rate ich nicht nur wie erwähnt zu Gruppen- anstelle von Einzelreisen. Ich empfehle darüber hinaus für den ersten Nordkorea-Besuch eine Reisedauer von nicht mehr als einer Woche, weil je nach Reiseverlauf viele Europäer nach vier bis fünf Tagen langsam, aber sicher ihr Limit erreichen. Erste Warnsignale sind immer hysterischer werdende Scherze und erhöhter Alkoholkonsum. Nein, eine Reise nach Nordkorea ist beileibe kein Kindergeburtstag.

2Einreise: Leichter als gedacht

Vor den Willkommensgruß in Nordkorea haben die Behörden und die allgemeinen Verhältnisse einige Hürden gesetzt. Das nächstbeste Reisebüro oder der schnelle Klick im Internet wird in der Regel nicht helfen können. Wer die Gewissensfrage positiv beantwortet hat, sieht sich daher mit profanen technischen Problemen konfrontiert. Wo bucht man? Wie bekommt man ein Visum? Was nimmt man mit, was lässt man besser daheim? Wie verläuft die Einreise? Viele dieser Dinge lassen sich überraschend einfach lösen, aber hier und da lauert der Teufel im Detail.

Ohne Reisebüro geht nichts

Wegen des restriktiven Umgangs des Staates mit Reisen allgemein und mit der Einreise von Ausländern im Besonderen sind spontane und individuelle Besuche, wie wir sie in Europa als normal empfinden, grundsätzlich nicht möglich. Man muss sich daher auch nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie man vom Flughafen in die Stadt kommt oder in welchem Hotel man übernachtet. Das steht alles vorher fest.

Die meisten Besucher reisen als Touristen nach Nordkorea, aber es gibt auch Reisende in offizieller Funktion mit Aufgaben im Bereich der Wirtschaftskooperation, der Diplomatie, der Wissenschaft, des Journalismus und des Kulturaustauschs. Voraussetzung ist eine Einladung von nordkoreanischer Seite, die allerdings schwer zu bekommen ist, da man in der Regel kaum Gelegenheit hat, entsprechende Kontakte aufzubauen. Selbst wenn einem dies gelungen ist, muss erst ein für die Behörden akzeptabler Anlass gefunden werden. Am leichtesten haben es da noch Investoren mit großen Koffern voller Geld, wenngleich die Sanktionen ihnen derzeit das Leben schwer machen.

Der Weg der Touristen nach Nordkorea führt unweigerlich über ein staatliches Reisebüro. Lange Zeit war das ausschließlich die Korea International Travel Company (KITC), koreanisch oft einfach Ryŏhaengsa genannt, was wörtlich »Reisebüro« heißt. Inzwischen schießen die staatlichen Reisebüros fast wie Pilze aus dem hier und da sanft marktwirtschaftlich angehauchten nordkoreanischen Boden, mit immer fantasievolleren Namen. Konkurrenz belebt das Geschäft, auch wenn es technisch gesehen nur verschiedene staatliche Stellen sind, die da miteinander wetteifern.

Neben KITC gibt es die Korea International Sports Travel Company (KISTC), die Korea International Youth Travel Company (KIYTC) sowie neuerdings auch die Korea International Taekwondo Travel Company (KITTC) und die P’yŏngyang Koryŏ Travel Company. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Unternehmerische Geister in verschiedenen staatlichen Einrichtungen bieten auf Basis ihrer jeweiligen Spezialisierung und ihrer Netzwerke Sportreisen, Architekturreisen oder Jugendreisen an. Triebkraft sind der Wunsch der Manager, ein Stück vom Tourismuskuchen abzubekommen, und wohl auch die dringende Forderung des Staates, Deviseneinnahmen zu generieren. Hinzu kommen noch regionale Tourismusorganisationen, die meist in Kooperation mit KITC in einzelnen Provinzen tätig sind. Dazu gehören etwa die sehr umsatzstarke Myohyangsan Travel Company, die unter anderem das Geschäft in Sinŭiju betreibt, die Rasŏn International Travel Company, die sich auf die gleichnamige Sonderwirtschaftszone konzentriert, und die Ch’ilbosan Travel Company mit der Spezialisierung auf die Provinz Nord-Hamgyŏng und das dort gelegene vulkanische Gebirge, das dem Unternehmen seinen Namen gab.

Derzeit ist es weder möglich, noch ist es ratsam, bei einem dieser Anbieter direkt zu buchen. Fragen wie Versicherung, Gewährleistung und Reiserücktritt klärt man lieber mit einem Partner, der dem gleichen Rechtssystem wie der Reisende unterliegt und praktischerweise einen Gerichtsstand in der Nähe vorweisen kann. Hinzu kommt, dass Überweisungen nach Nordkorea wegen der bestehenden Sanktionen technisch nicht möglich sind.

Die meisten Touristenreisen nach Nordkorea werden daher von Agenturen angeboten, die als Vermittler auftreten. Diese sind vielerorts in der Welt zu finden, manche unterhalten auch eine Filiale in Beijing. Dank Internet und der Suchmaschine des Vertrauens kann sich jeder Interessierte selbst ein Bild machen. Ich nenne hier daher, basierend vor allem auf eigenen, subjektiven Erfahrungen, nur einige wenige Namen. Wie auch immer Sie sich entscheiden, es kann nicht schaden, einmal nachzufragen, wer eigentlich der Kooperationspartner auf nordkoreanischer Seite ist, denn den gibt es unweigerlich.

Die mit über zwanzig Jahren Erfahrung älteste und nach eigenen Angaben auch bei weitem umsatzstärkste Reiseagentur, die sich auf Nordkorea spezialisiert hat, ist Koryo Tours mit Sitz in Beijing. Das Unternehmen wurde 1993 von Nick Bonner gegründet, einem Briten, den ich seit über 15 Jahren kenne und schätze. Sein Herz hängt eigentlich an der Kultur, vor allem am Film und der Malerei. Um sich diese Leidenschaft finanzieren zu können, gründete dieser sympathische Exzentriker die Reiseagentur. Zu den bekanntesten von ihm produzierten Arbeiten zählen die Dokumentarfilme A State of Mind über die Arirang-Massengymnastik, Crossing the Line über das Leben des amerikanischen Deserteurs James Dresnok, der bis zu seinem Tod 2016 über fünf Jahrzehnte in Nordkorea lebte, und The Game of Their Lifes über die nordkoreanische Fußballnationalmannschaft, die 1966 das Viertelfinale der Fußball-WM erreichte. Comrade Kim Goes Flying ist eine romantische Komödie über eine Kohlearbeiterin, die unbedingt zum Zirkus will. Nicks Geschäftspartner Simon Cockerell ist ein Vollprofi und kaum noch zu beeindrucken, weder von bizarren Kundenwünschen noch vom Verhalten der nordkoreanischen Partner. Er verfügt nach meiner Einschätzung weltweit über die größte Erfahrung im operativen Reisegeschäft, wozu auch der Umgang mit allzu neugierigen Fragen von Journalisten gehört.

Wer es besonders jugendlich mag, der ist beim als überaus spaßbetont und locker geltenden Unternehmen Young Pioneer Tours richtig. Auf einer meiner Reisen konnte ich mit großer Belustigung beobachten, wie einer ihrer Reiseleiter bei den sehr konservativen Nordkoreanern mit Bermudashorts und schulterlangen Rasta-Locken für Aufsehen sorgte.

Eine Nische hat sich das in London beheimatete Unternehmen Political Tours ausgesucht, mit dem ich seit 2012 mit durchwegs guten Erfahrungen kooperiere. Gegründet und geführt von Nicholas Wood, der früher als Journalist für die BBC und die New York Times arbeitete, bietet PT intensiv vorbereitete und von Experten begleitete Touren im oberen Preissegment mit sehr kleinen Gruppen an. Zielgruppe sind politisch interessierte, gebildete und in der Regel gut betuchte, abenteuerlustige Individualtouristen, die mehr über die Konfliktherde dieser Welt erfahren wollen. Zu den Mitreisenden gehören dann auch schon mal die Erbin eines großen internationalen Familienkonzerns, ein Unternehmer des Jahres oder ein Top-Manager aus dem Silicon Valley.

Im deutschsprachigen Bereich sind etwa zwei Dutzend meist kleinere Firmen in Voll- oder Teilzeit mit der Vermittlung von Reisen nach Nordkorea befasst. Darunter ist das im Berliner Prenzlauer Berg beheimatete Unternehmen Pyongyang Travel, mit dem ich seit 2017 gelegentlich zusammenarbeite.

Der Reiseverlauf: Meist ein Fertigmenü

Eine freie Gestaltungsmöglichkeit bei der Zusammenstellung des Reiseprogramms haben westliche Reisende nicht. Es steht in der Regel fest. Wer einmal die von den verschiedenen Büros angebotenen Reisen vergleicht, wird schnell merken, dass sich alles immer um die gleichen mehrere Dutzend Sehenswürdigkeiten dreht, die auch in diesem Buch behandelt werden. Das ist übrigens kein großes Problem; vor allem bei den ersten Reisen nach Nordkorea sollte man genau diese Orte besuchen: die Hauptstadt Pjöngjang, das alte Kaesŏng und die Grenze bei P’anmunjŏm, das Freundschaftsmuseum im Myohyangsan, die Ostküste bei Wŏnsan oder den Nordosten um Ch’ŏngjin bis zur Sonderwirtschaftszone Rasŏn. In den nachfolgenden Kapiteln findet sich hierzu eine Auswahl.

Wer einen speziellen Wunsch hat, kann diesen äußern, sollte aber seinen Optimismus auf ein Mindestmaß reduzieren. Bestenfalls erhält man ein Versprechen, das dann vor Ort entweder überhaupt nicht oder nur in bis zur Unkenntlichkeit abgewandelter Form eingehalten wird. Das hat nichts mit bösem Willen oder vorsätzlichem Betrug seitens der Reiseagenturen zu tun. Nordkorea ist Nordkorea, und dort werden Besuchsziele von oberster Stelle freigegeben. Diese Liste ist nicht verhandelbar, das gilt auch für die nordkoreanischen Reisebüros. Wer also bei einer »Architekturreise« unbedingt mit nordkoreanischen Architekturstudenten zusammentreffen will, muss damit rechnen, dass diese »kurzfristig verhindert« sind. Wer bei einer »Wirtschaftsreise« ein bestimmtes Unternehmen besichtigen möchte, sollte von plötzlichen Betriebsferien ebenso wenig überrascht sein wie vom wirtschaftlich völlig irrelevanten Besuch des Märtyrerfriedhofes.

Sofern man sich also von der westlich-extravaganten Vorstellung trennen kann, den Verlauf der eigenen Reise, für die man viel Geld bezahlt, maßgeblich selbst bestimmen zu wollen, geht alles recht glatt über die Bühne. Hat man seinen Stolz einmal erfolgreich heruntergeschluckt, dann bleibt noch immer viel mehr zu sehen und zu erleben, als man je erwartet hat und als man in der kurzen Reisezeit verarbeiten kann.

Die Geschichten hinter den Geschichten

In der Tat ist bei einer Nordkorea-Reise das größte Problem oft ganz woanders zu finden. Man sieht nämlich viel, ohne alles zu erkennen. Niemand wird einem erzählen, dass am Westmeerstaudamm an der Mündung des Flusses Taedong (koreanisch Taedonggang) in den 1980er Jahren Hunderte Soldaten ums Leben gekommen sind, weil man die jungen Männer ohne solide Ausbildung in Helmtauchgeräte gesteckt und stundenlang auf den Meeresgrund geschickt hat. Niemand erklärt dem westlichen Touristen, dass und warum das Museum der amerikanischen Kriegsgräuel in Sinch’ŏn vor seiner Renovierung deutlich weniger Hinweise auf eine Beteiligung von Südkoreanern aufwies.

Auch die nordkoreanischen Begleiter staunen jedes Mal, wenn sie von mir erfahren, dass die stilisierten drei Dächer auf dem Triumphbogen in Pjöngjang den Machtanspruch des verblichenen Kaiserreichs Korea symbolisieren. Kein nordkoreanischer Reiseleiter weist die Mitreisenden darauf hin, dass man gerade am fünften Restaurant für »Süßfleisch« vorbeigefahren ist und dass dieser Begriff ein Synonym für Hundefleisch ist. Und wer macht darauf aufmerksam, dass die auf Russisch und Koreanisch lesbare Inschrift an einer weithin sichtbaren Gedenksäule im Moranbong-Park in Pjöngjang im Gegensatz zur offiziellen Geschichtsschreibung steht, wenn dort von der Dankbarkeit gegenüber der Sowjetarmee für die Befreiung des Landes von der Kolonialherrschaft die Rede ist? Oder dass man zwar das Karl-Marx-Bild vom Kim-Il-sung-Platz entfernt hat, aber der Arbeiter an der Spitze einer der Gruppen, die die großen Führerstatuen auf dem Mansudae-Hügel flankieren, noch immer das Kommunistische Manifest von 1848 in den Händen hält?

Die größte Herausforderung ist es nicht, nach Nordkorea zu kommen oder von dort wieder heil zurückzukehren. Es geht vor allem darum, zu begreifen, was man dort sieht. Man wappnet sich zwar gegen Manipulation und einseitige Information, aber was dann? Ohne Sprachkenntnisse und Einsichten in Zusammenhänge ist eine Reise noch immer hochspannend, aber nur halb so aufschlussreich.

Ideal ist daher natürlich die Begleitung durch einen Experten. Diese sind allerdings rar, und in der Regel kosten solche Reisen etwas mehr. Ich selbst nehme bei meinen Touren nur bis zu sieben Personen mit, da sind die Plätze schnell ausgebucht.

Eine kostengünstige Alternative ist die solide Vorbereitung, zu der auch dieses Buch beitragen möchte. Es gibt inzwischen unzählige Bücher und Dokumentarfilme, darunter wirklich gute wie The Propaganda Game des klug beobachtenden Álvaro Longoria oder Meine Brüder und Schwestern im Norden der großartigen und sensibel nachfragenden Sung-hyung Cho.

Einige andere Produkte haben allerdings den Mangel, dass Ahnungslosigkeit deren Urheber keineswegs daran gehindert hat, eine dezidierte Meinung zu äußern. Dass die Kenntnisse der nordkoreanischen Verhältnisse nicht sehr weit reichen, verrät sich bisweilen schon an Details. Dazu gehört die seit Jahrzehnten nicht mehr gebräuchliche Benennung »Geliebter Führer«. Besonders peinlich finde ich es, wenn einem jemand »Geheimnisse« aus Nordkorea verkaufen will, dabei aber nicht einmal den Namen von Kim Jong-un richtig aussprechen kann. Wie »Dschong-yn« muss das klingen, nicht wie »Yong-uhn«.

Nebensächlich? Stellen Sie sich einen Experten vor, der zwar kein Wort Englisch spricht und erst ein einziges Mal für eine Woche in London war, aber trotzdem im Brustton der Überzeugung über die komplexen innenpolitischen Auswirkungen des Brexit auf das Vereinigte Königreich schwadroniert. Wie viel Einblick man außer der Wiedergabe von Second-Hand-Wissen von jemandem erwarten kann, der selbst die Grundlagen nicht beherrscht, muss natürlich jeder selbst entscheiden.

Wer in diesem Buch eine systematische Darstellung der Geschichte und politisch-wirtschaftlichen Gestalt Nordkoreas vermisst, dem empfehle ich mein Buch Innenansichten eines totalen Staates. Es lohnt außerdem ein Blick auf englischsprachige Bücher. Nicht zuletzt sollte man sich unbedingt auch die Berichte nordkoreanischer Flüchtlinge ansehen, von denen es mittlerweile eine ganze Reihe gibt. Flucht aus Lager 14 wäre hier zu nennen, Mut zur Freiheit oder Im Land des Flüsterns. Trotz hier und da zu vermutender Effekthascherei und einer Reihe von falschen Angaben muss man die geschilderten grausamen Aspekte des Lebens in Nordkorea kennen, auch und gerade weil man ihnen als Tourist vor Ort nicht begegnen wird.

Was ist die beste Reisezeit?

Eigentlich ist das ein klassisches Reiseführerthema. Meist geht es darum, Wetterunbilden zu vermeiden oder auf Besonderheiten wie landestypische Feiertage vorbereitet zu sein. All das trifft im Falle Nordkoreas auch zu, doch noch ein weiterer, ungewöhnlicher Aspekt ist zu bedenken. Er hat mit der Frage zu tun, warum man eigentlich in dieses Land reisen will. Wenn es um eine Urlaubsreise im klassischen Sinne geht, also um »Erholung und Sightseeing«, dann sind der Mai sowie die Wochen von Mitte September bis Mitte Oktober ideal. Korea zeigt sich zu diesen Zeiten von seiner schönsten Seite; es regnet wenig, der Himmel ist blau und klar, die Landschaft ist grün und die Temperaturen sind angenehm. Abraten würde ich von einer Reise im Juli und im August, weil dann Regenzeit herrscht und es reichlich nass und schwül ist. Unter Umständen sind Verkehrswege nach Unwettern unpassierbar. Wer allerdings kein Problem damit hat, in Nordkorea »Spaß« in Form einer stark abgespeckten Ballermann-Variante zu haben, der sollte wissen, dass im August das schon erwähnte Pjöngjanger Bierfestival stattfindet – wenn es nicht, wie 2017, ohne Angabe von Gründen kurzfristig abgesagt wird.

Wer das »schöne« Nordkorea sehen möchte, der bleibt im Winter vielleicht besser zu Hause – außer er möchte sich das nicht unumstrittene Vergnügen des Skifahrens im Masikryŏng-Resort gönnen. Die Winter in Nordkorea sind hart; Minusgrade sind spätestens ab Dezember bis Anfang März normal, im Januar auch länger andauernd im zweistelligen Bereich. Die Heizungen sind entweder aus (bitterkalt) oder voll aufgedreht (brütende Hitze). Ob die Fahrzeuge Winterreifen haben, ist nicht sicher. Splitt und Streusalz sind knapp. Was für manch einen sicher auch eine Rolle spielt: Es wird früh dunkel, sodass weniger Zeit zum Sightseeing und Fotografieren bleibt.