Unterwegsgeschichten - Barbara Wegener - E-Book

Unterwegsgeschichten E-Book

Barbara Wegener

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Beschreibung

Kleine Geschichten, die Entspannung bieten: Griechische Götter leiden unter der Finanzkrise, Kater Felix klärt ein Verbrechen auf, das Verschwinden von Socken aus der Waschmaschine hat ungeahnte Gründe - sowie andere spannende und amüsante Geschichten zum Zeitvertreib.

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Unterwegsgeschichten

von

Barbara Wegener

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 Barbara Wegener

Impressum

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-402-0

MOBI ISBN 978-3-95865-403-7

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

New Eden

(Nominiert für den Deutschen Phantastik-Preis 2014 als beste Deutschsprachige Kurzgeschichte)

„Frühstück! Kommt, beeilt euch!“ Wie jeden Morgen rief Katrin ihre Familie zusammen. Sie bestand auf gemeinsame Mahlzeiten am Morgen und Abend. „Wer möchte was? Rind, Schaf, Kalb, Ziege, Mensch?“

„Mensch“, rief Clarissa, und die übrigen Mitglieder der Familie schlossen sich an. Katrin verteilte die Konserven.

„Das war der Rest. Nach der Arbeit werde ich bei der Blutbank vorbeischauen müssen. Habt ihr eure Schulsachen gepackt?“ Mit vollem Mund nickten beide Kinder. Endlich erschien auch das Familienoberhaupt. Mit einem „Hallo Schatz“ begrüßte sie ihn.

„Frühstückst du mit uns, oder soll ich dir deine Beutel einpacken?“

„Bin leider spät dran. In dreißig Minuten findet eine Videokonferenz mit den Werwölfen in Südafrika statt. Kann heute später werden.“ Er griff nach der Lunch Box mit der Blutkonserve und stürmte aus dem Haus.

„Warum zankt ihr euch schon wieder?“ fragte Mutter ihre Sprösslinge, die sich wütend ansahen.

„Clarissa hat ´nen neuen Freund. Einen Werwolf! Das ist ein absolutes No-go! Werwölfe stinken, wenn sie nass werden!“

„Da musst du grade deinen Senf dazu geben. Hab dich letztens mit dieser Busfahrerin gesehen. Zombie. Der ist doch tatsächlich während der Arbeitszeit das Ohr abgefallen. Wie peinlich ist das denn? Wie viel muss die eigentlich im Monat für den Schönheitschirurgen ausgeben?“

„Zankt euch nicht, Kinder! Was haben Vater und ich euch beigebracht? Keine Streitereien am Frühstückstisch! Und, hey, auseinander! Nicht beißen! Beeilt euch lieber, sonst verpasst ihr den Bus!“ Die Mutter seufzte erleichtert, als die Kinder ihre Schultaschen nahmen und das Haus verließen. Nun musste sie sich selbst beeilen. Ihr Kollege Ralf, anders als sie ein Mensch, wollte sie zur Arbeit mitnehmen und würde in wenigen Augenblicken mit dem Auto vor dem Haus stehen. Sie überprüfte noch einmal Make-up und Kleidung, griff nach dem Aktenkoffer und erreichte kurz vor Ralfs Ankunft die Auffahrt. „Du wirkst heute ein wenig nervös“, meinte sie, als sie sich neben ihn setzte.

„Katrin, ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist. Seit ich aufgestanden bin, plagen mich merkwürdige Angstattacken!“

„Wegen der Revision? Wir haben doch gestern alles noch mal überprüft. Die Firma muss sich absolut keine Sorgen machen!“

„Keine Ahnung, ob es die Revision ist. Ich habe Angst, fühle mich irgendwie verloren und bin bereit, jeden Augenblick die Flucht zu ergreifen!“

„Die Flucht? Vor wem? Vor der Arbeit?“ Katrin grinste schelmisch. Sie fühlte sich seltsam beschwingt. Und Ralf duftete heute besonders köstlich. Seine pulsierende Halsschlagader zog sie magisch an. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Zähne in das weiche Fleisch … Stopp! Wie kam sie nur auf solche Gedanken? „Halt bitte an“, rief sie mit sich überschlagender Stimme. „Sofort!“ Irritiert bremste Ralf.

„Was ist denn los? Wir sind doch gleich da. Nur noch zwanzig Meter!“ Doch Katrin hatte schon die Beifahrertür aufgerissen und sprang aus dem Wagen. Die frische Luft ließ sie zur Besinnung kommen.

„Fahr allein weiter“, rief sie. „Ich geh die letzten Meter! Los!“ Sie hielt den Atem an, weil sie wegen Ralfs Geruch keinen weiteren Anfall bekommen wollte. Was war nur mit ihr los? Sie fuhr doch schon seit Jahren mit ihm zur Arbeit. Gedankenverloren blickte sie seinem Wagen nach, der wenige Meter vor ihr in das Parkhaus neben dem Bürogebäude fuhr, in dem sie beide arbeiteten. Katrin griff nach ihrem Handy. Sie musste den Notfalldienst informieren. Doch sie hörte nur das Besetztzeichen. Sie versuchte es wieder und wieder. Dann bemerkte sie, dass der Stadtbus direkt neben ihr hielt und einige Menschen ausstiegen. Katrin blickte auf, als sie deren wunderbaren Geruch wahrnahm, und sie sah Panik in ihren Augen. Außerdem spürte sie ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut, das immer unerträglicher wurde. Die Sonne! Sie vertrug das Sonnenlicht nicht mehr! Entsetzt rannte sie in den Schatten des Bürohauses. Wieder versuchte sie, den Notruf zu erreichen, ließ das Handy aber sinken, als sie ein furchtbares Spektakel zu sehen bekam. Einige Meter von ihr entfernt verfolgte ein Zombie mit vorgestreckten Armen einen Menschen, der offenbar um sein Leben rannte. Der Wind trug dessen Duft zu ihr und sie wollte sich am liebsten auf ihn stürzen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.

Von überallher drangen nun Schreie an ihre Ohren, und sie sah vor wild gewordenen Zombies und Werwölfen flüchtende Menschen. Dann klingelte ihr Handy.

„Liebling! Geht es dir gut? Der Stadtrat hat gerade über die Medien verbreitet, dass der Aktivschirm über der Region zusammengebrochen ist! Offenbar haben militante Ghuls einen terroristischen Anschlag verübt! Alle Geister sind ausgefallen. Niemand weiß, wann sie wieder einsatzfähig sein werden! Und niemand ist mehr sicher!“

„Ich stehe immer noch im Schatten des Bürogebäudes, in dem ich arbeite. Ich kann hier nicht weg. Die Sonne … Hier ist momentan der Teufel los!“ Angewidert drehte sie sich zur Seite, als ein Zombie wenige Schritte neben ihr einen Menschen zerfetzte und sich genüsslich die Eingeweide einverleibte. Dann hörte sie wieder die Stimme ihres Mannes.

„Rühr dich nicht vom Fleck! Ich lasse dich von einem Spezialfahrzeug abholen! Und, keine Sorge. Die Kinder sind schon in Sicherheit! Sind grade hier eingetroffen!“ Katrin atmete auf und begann zu schnüffeln.

„Bis gleich!“, brachte sie noch hervor, ehe sie auflegte. Dieser köstliche Menschengeruch ganz in ihrer Nähe! Einfach unwiderstehlich! Unmittelbar hinter der Tür, an die sie sich lehnte, um dem zerstörerischen Sonnenlicht zu entgehen, stand ein Exemplar der Spezies homo sapiens. Sie hörte dank immer feiner werdender Sinne, wie sein Blut rhythmisch in den Adern pulsierte, drehte sich langsam um und sah nun die warme, schmackhafte Mahlzeit hinter der Tür. Die war für sie, obwohl metallen, kein Hindernis, und schon war sie bei ihrer Beute. Die schrie angsterfüllt, war aber unfähig, sich zu bewegen und lehnte an der Wand. Schritt für Schritt ging sie auf den Menschen zu. Kostete die Angst, die dem Opfer aus allen Poren zu tropfen schien. Dann stand sie direkt vor ihm. Es war ein kleiner, etwas dicklicher Mann, den sie oft gesehen hatte. Ah! Sie erinnerte sich! Vor ihr stand der Paketbote!

Sie war jetzt von Sinnen, wollte nur noch ihre spitzen Zähne in seinen Hals schlagen. Schon setzte sie zum tödlichen Biss an, als das Geräusch quietschender Reifen ihre Konzentration störte. Sie drehte sich zur Straße und erkannte eine schwarze Limousine mit dunkel getönten Scheiben, die vor dem Bürohaus zum Stehen gekommen war. Zwei Vampire mit Atemmasken sprangen heraus und stürmten auf sie zu. Ein zorniges Knurren drang aus ihrer Kehle. Wollte ihr jemand die Mahlzeit wegnehmen? Da waren die beiden Vampire auch schon bei ihr. Katrin wehrte sich vehement, als sie vom Paketboten weggezerrt und ihr eine Atemmaske aufgesetzt wurde, doch dann kam sie zur Besinnung. Voller Reue und Scham wollte sie sich beim Fast-Opfer entschuldigen, doch das wollte nur noch so schnell wie möglich weg von ihr.

Bedrückt setzte sie sich ins Fahrzeug, das sofort losfuhr. Immer wieder musste der Fahrer Menschen, Zombies und Werwölfen ausweichen, die über die Straßen jagten. Schließlich erreichten sie die Stadtmitte und damit den Komplex des inneren Schirms. Katrin sah eine Rauchwolke an der Kuppelstelle, wo die Geister normalerweise ihrer Tätigkeit nachgingen. Der Wagen fuhr in die Tiefgarage, und Augenblicke später erreichte sie mit dem Fahrstuhl die Etage, auf der ihr Mann arbeitete. Man hatte ihn informiert, dass sie angekommen war, und so lief er ihr schon entgegen, als sich die Fahrstuhltüren öffneten.

„Zum Glück ist dir nichts geschehen. Komm. Die Kinder sind in meinem Büro.“ Liebevoll nahm er sie in seine Arme und führte sie dann den Flur entlang.

„Geht es euch gut?“, rief Katrin aufgeregt, als sie ihre Kinder sah.

„Clarissa, hast du etwa einen Menschen angefallen?“ Ihr Blick fiel auf den blutverschmierten Mund ihrer Tochter.

„Blutkonserve. Ziege“, antwortete die mit vollem Mund und wies mit dem Kopf auf Vaters Schreibtisch, wo ein fast leerer Beutel herumlag. Erleichtert nahm Katrin ihre Kinder in die Arme.

„Wie konnte das nur passieren?“ Erwartungsvoll sahen die drei den Vater an.

„Wir wissen schon, dass sich heute vor Sonnenaufgang eine Gruppe Ghuls Zutritt zum Gebäude verschafft hat. Die Fanatiker sind in die Kuppel eingedrungen und haben das Vakuum zerstört, in dem die Geister leben. Die haben vergeblich versucht, die Kuppel zu schließen, und so gibt es zurzeit weder die das Zusammenleben unserer Arten garantierende Kraft noch den Schirm, der die für uns tödlichen UV-Strahlen abhält! Den Rest habt ihr ja selbst miterlebt. Die Kuppel ist mittlerweile wieder geschlossen und es wird alles unternommen, um die Geister wieder aufzuwecken. Ein schwieriges Unterfangen.“ Sein Telefon klingelte. „Müller“, meldete er sich. Danach lauschte er einige Augenblicke dem Anrufer. „Verstehe. Danke für die Information.“ Er legte auf. „Der UV-Schirm ist wieder aktiv. So, wie es aussieht, kommen auch die Geister langsam wieder zu sich. Was für ein Tag … Kommt, lasst uns in die Kantine gehen! Ich hab langsam Durst!“

„Die haben aber nur Ziege. Der Lieferant ist heute nicht gekommen“, rief Clarissa.

„Besser als Nichts“, antwortete ihr Vater, und gemeinsam gingen sie den Flur zum Kantinenraum hinunter.

Am späten Nachmittag bemerkten sie, dass ihre Gier nach frischem Menschenblut nachließ. Als Vaters Telefon klingelte, wussten sie bereits, dass die Geister wieder aufgewacht waren und ihrer Tätigkeit nachgingen. Sie konnten heimfahren. Als sie das Parkhaus verließen, bot sich ihnen ein grauenvoller Anblick, Überall war Blut und lagen Leichenteile herum. Ein älterer Werwolf bemühte sich, die Blutung am Hals eines am Boden liegenden Menschen zu stillen und winkte den Rettungswagen herbei, der mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zusteuerte. Vor ihrem Haus stand ein junger Werwolf, der vor Freude über beide spitzen Ohren strahlte, als er Clarissa unversehrt aus dem Auto steigen sah. Sie rannte auf ihn zu und warf sich ihm in die Arme.

„Bernd! Dir ist nicht passiert! Gott sei Dank!“, rief sie immer wieder.

„Als wir merkten, dass etwas nicht in Ordnung war, begab sich unsere gesamte Familie in den Keller und ließ sich dort vom Nachbarn einschließen. Er ist ein Mensch, und wir mussten uns keine Sorgen machen, dass er uns herauslassen würde. Erst, als der Stadtrat Entwarnung gegeben hatte, schloss er den Keller wieder auf. Ich bin sofort hierher gelaufen.“ Weiter kam er nicht, weil Clarissa ihren Mund fest auf seinen presste.

„Bleibst du zum Abendessen?“, fragte Katrin. „Es ist aber nur Rind, Schaf, Kalb und Ziege da. Mensch ist aus, bin nicht zum Einkaufen gekommen, was du sicher verstehst!“

„Zu Schaf sag ich nicht Nein!“, antwortete Bernd, als er sich endlich von Clarissa und ihren stürmischen Küssen lösen konnte. Und zusammen traten Vampire und Werwolf ins Haus, um sich von den Aufregungen der letzten Stunden zu erholen.

The Time After

(Nominiert für den Deutschen Phantastik -Preis 2013 als beste deutschsprachige Kurzgeschichte)

Koronarer Massenauswurf

DPA: Eine Filament Eruption hat sich in den frühen Morgenstunden des 21.12.2012 von der Sonne gelöst und eine große Menge Plasma in Richtung Erde geschleudert. Die NASA bestätigte den Auswurf vor wenigen Augenblicken. Mit einem Auftreffen des Sonnenplasmas auf die Erde ist gegen 18 Uhr MEZ zu rechnen.

www.wort.online.de/newsticker: Hatten die Mayas Recht? Pünktlich zum 21.12.2012 trifft eine gewaltige Plasmawolke die Erde. Ist das unser Ende? Wissenschaftler sagen voraus, dass der Strom auf der ganzen Welt ausfallen könnte und erst wieder nach einigen Wochen zur Verfügung steht. Wird die Welt ins Mittelalter zurück katapultiert? Und was ist mit unseren Atomkraftwerken? Wie lange hält dort die Notstromversorgung? Kommt es zum Supergau? Lesen Sie weiter auf Seite 3 …

15. Mai 2040 - Erinnerungen der Claudia Menge

Ziehet aus und machet euch die Welt Untertan. Das gilt nicht mehr für uns. Insekten beherrschen die Welt. Und mit ihr die wenigen überlebenden Menschen.

Heute haben wir Jens begraben. Wie immer war es um die Mittagszeit, wenn die Ungeheuer noch nicht so zahlreich umherstreifen. Und wie immer ging es sehr schnell. Obwohl so viele von uns gegangen sind, ist es eines der wenigen Gräber. Karl sprach einige tröstende Worte, die Grube wurde zugeschaufelt, die kleine Jess legte ein Bund Wiesenblumen auf das Grab und schon zogen wir uns ins Versteck unter der Erde zurück. Jetzt bin ich die Älteste der Gruppe. Mit gerade einmal vierzig Jahren. Und ich werde die Nächste sein, die sich für das Überleben der Gruppe opfern muss, um die Jungen zu schützen. Ich werde mein Schicksal erfüllen.

Routinemäßig fällt mein Blick auf den Geigerzähler. Halbwegs normale Werte. Ich erinnere mich noch an den Tag, als das Chaos begann. Ich saß mit Schwester und Vater im Wohnzimmer. Der Fernseher lief und wir warteten, dass Mutter uns zum Abendessen rief. Sie wollte zu Papas Geburtstag etwas Besonderes kochen. Der Nachrichtensprecher im Fernsehen sagte etwas von einem Sonnensturm. Von Plasma, das auf uns zurasen würde. Wir sollten uns keine Sorgen machen. Lediglich die UV-Strahlen würden in den nächsten Stunden etwas höher als sonst sein. Wir sollten einfach das Haus nicht verlassen. Und plötzlich war alles anders. Kein Strom mehr. Von einer Minute auf die andere funktionierte nichts mehr. Kein Licht. Kein Fernseher. Kein Computer. Und der Herd heizte auch nicht mehr. Wir hatten Angst. Es wurde klar, dass wir eine unglaublich schwere Zeit vor uns hatten. Eine Zeit, die niemand aus meiner Familie überleben würde.

Zunächst gab es kein Essen und Wasser zu kaufen. Dann kamen die Plünderer. Und dann die Ungeheuer. Erst waren sie relativ klein, traten aber in unglaublich großer Zahl auf. Dann wurden sie immer größer. Fraßen, was an Nahrungsmitteln noch übrig war. Und dann kamen die Menschen an die Reihe. Wir mussten unser Haus verlassen, als Kakerlaken in der Größe von Rottweilern es belagerten. Nur mit Mühe und unter Verlust von Schäferhund Terry, der uns mit seinem Leben verteidigte, kamen wir davon. Wir Kinder hatten keine Gelegenheit zum Nachdenken. Folgten wie unsere Mutter einfach Paps. Irgendwann waren wir an der Kaserne. Oberhalb unserer Stadt. Ich erinnere mich, dass außer uns noch Hunderte Menschen dort waren. Erst hat man uns gesagt, wir dürften nicht hinein. Später, als laute Geräusche die Ankunft einer riesigen Meute Ungeheuer ankündigten, ließ man uns doch noch herein. Wir kauerten uns an die Wände der Kaserne und beobachteten mit Schrecken, was sich vor dem die Kaserne umgebenden Stacheldraht tat. Soldaten mit Flammenwerfern standen dicht an dicht und versengten die Ungetüme. Ein Geruch nach verbranntem Popcorn breitete sich aus. Das Knacken und Knirschen von Chitin-Hüllen ließ uns zusammenschrecken. Aber die Abwehr hielt. Die Biester zogen sich zurück. Doch sie kamen wieder. Zusammen mit einem der strengsten Winter, die ich je erlebt hatte. Die Vorräte in der Kaserne gingen langsam aber sicher zur Neige und es wurden Gruppen losgeschickt, um in Häusern und Geschäften nach Nahrung zu suchen. Von sieben Gruppen mit je fünf Mann kamen nur zwei zurück. Was sie berichteten, ließ uns das Blut in den Adern gefrieren. Die Stadt war wieder bevölkert. Aber nicht mit Menschen, sondern von Heerscharen an Insekten, die bizarrste Formen entwickelt hatten. Mutationen, die in unglaublich kurzer Zeit durch erhöhte Radioaktivität entstanden waren. Offensichtlich kam es nach dem Ausfall des Stromnetzes zu Kernschmelzen. Die Soldaten berichteten außerdem von riesigen Ameisenhügeln, die nun die Vorgärten und Wiesen prägten.

Ständig wurde die radioaktive Strahlung gemessen. Mehrfach verboten sie uns, die Gebäude zu verlassen, wenn der Wind aus Richtung der zerstörten Kraftwerke herüberwehte. Trotzdem waren wir ständig einer Strahlungsmenge ausgesetzt, die unseren Körpern zusetzte. Erste Kinder mit Missbildungen wurden geboren. Es gab Totgeburten. Mütter verbluteten während der Entbindung und erste Strahlentote waren zu beklagen. Meiner Mutter fielen die Haare gleich büschelweise aus. Ihr Zahnfleisch fing an zu bluten und sie fühlte sich matt und krank. Eines Morgens wachte sie nicht wieder auf. Nachdem Insekten eines Tages die Absperrung überrannt hatten und erst nach langen Minuten zurückgedrängt werden konnten, war meine Schwester nicht mehr da. Vater und ich weinten nicht. Wir hatten keine Tränen mehr. Und irgendwann war auch Vater verschwunden. Die Angriffe der Ungeheuer mehrten sich. Wir waren schon fast am Aufgeben, als der Funker eine Nachricht empfing. Es gab tatsächlich noch andere Menschen, die es wie wir geschafft hatten, ihr Funkgerät zu reparieren. Das Wunder war geschehen. Wir sollten gerettet werden. In der Nähe Berlins gab es einen unterirdischen Bunker, zu dem sie uns bringen wollten. Wir warteten voller Ungeduld zwei Wochen und dann kamen sie. In einem Konvoi von sieben gepanzerten Mannschaftstransportwagen mit beeindruckenden Flammenwerfern rollten sie auf unsere Kaserne zu. Zerquetschten dabei alle Insekten, die im Wege standen. Wir jubelten, als sie das Tor passierten, und stürmten zu ihnen. Zwei in klobigen weißen Strahlenschutzanzügen steckende Personen stiegen aus dem vordersten Fahrzeug, blickten lange auf die Anzeige ihrer Geigerzähler und winkten dann nach hinten. Jetzt öffneten sich die Luken aller Transporter und wir durften nach der obligatorischen Untersuchung auf Radioaktivität einsteigen.

Kaum waren alle an Bord, schlossen sich die Luken der Kettenfahrzeuge wieder und wir fuhren, immer wieder durch Attacken riesiger Ungeheuer aufgehalten, gen Berlin.

„Claudia!“ Eriks Schrei riss mich aus meinen Gedanken. Er stand aufgeregt winkend neben der Bodenluke zu unserem Unterschlupf, und strahlte übers ganze Gesicht. „Claudia! Komm schnell! Ich hab ein Signal!“ War das nach all den Jahren möglich? Ich konnte es kaum fassen. „Schnell! Sie können nur kurz senden!“ Ich stolperte mehrmals auf dem Weg vom Bunker zum Gebäude, das als Funkraum dienste. Riss sogar fast eines der Kinder um. Aus den Lautsprechern an den Wänden drang Knistern. Und dann hörte ich tatsächlich eine verzerrte Frauenstimme.

„Seid ihr noch da?“

„Hallo! Ja, wir sind noch da. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dich zu hören.“

„Und wie ich mich freue! Ihr seid die Ersten, die ich erreichen konnte! Wie viele seid ihr? Wir sind zweihundert. Und im Nachbartal gibt es noch eine Gruppe mit fast hundert Leuten.“

„Wir sind nur noch vierzig. Wie konntet ihr mit so vielen Leuten überleben?“

„Wir sind in den Alpen. Das Gebirge hält die meiste Strahlung ab. Und es gelang uns, die Täler gegen Monster abzuriegeln. Ich muss jetzt Schluss machen, melde mich aber am Abend wieder!“ Dann vernahm ich nur noch das Knistern.

„Können wir da auch hin? Ich meine, ins Gebirge!“ Jess stand in der Tür und sah mich mit ihren großen blauen Augen an. „Die Frau sagte, dass es in den Bergen kaum Ungeheuer gibt!“

„Alle sollen in den Aufenthaltsraum kommen. Los! Lauf schon!“ Jess rannte los, um Bescheid zu sagen, und zehn Minuten später waren alle um mich versammelt.

„Jess hat euch ja informiert. In den Alpen gibt es wohl Gruppen Überlebender. Die Lage soll dort nicht so schlimm wie hier sein!“ Wieder stellte Jess die Frage, ob wir dahin könnten. „Heute Abend werden wir wieder mit ihnen in Kontakt treten. Soll ich sie bitten, uns bei sich aufzunehmen?“ Ich sah jedem Einzelnen in die Augen und redete dann weiter. „Besser als hier wird es allemal sein. Die Ungeheuer rücken immer näher an uns ran. Und auch die Lavendelfelder scheinen sie nicht mehr abzuschrecken. Ich bin dafür!“ Zur Bekräftigung schlug Erik mit der Faust auf den Tisch und zustimmendes Gemurmel erfüllte den Raum. „Euch ist klar, dass es eine gefährliche Reise wird? Wir sind den Ungeheuern fast ungeschützt ausgesetzt!“ Sogar die schüchterne Lisa wollte dazu was sagen.

„Gefährlicher als hier kann es nicht werden. Ich bin dafür, dass wir fahren!“ Alle nickten und wir kamen zur Logistik.

„Wie sieht es mit gepanzerten Fahrzeugen aus? Wie viele sind einsatzfähig?“

„Vier Truppentransporter und zwei Panzer. Das dürfte reichen!“

„Und Treibstoff?“