Update - Michael Steinbrecher - E-Book

Update E-Book

Michael Steinbrecher

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Beschreibung

Big Data verändert unser Leben in allen Bereichen. Die Autoren entwickeln auf der Höhe der Diskussion konkrete Positiv- und Negativszenarien für einzelne Lebensbereiche. Mit zahlreichen Fallbeispielen wird ideologiefrei Licht und Schatten unserer Datenwelt dargestellt. In ausführlichen Interviews kommen relevante Ansprechpartner aus Politik, Wirtschaft, Journalismus und Wirtschaft zu Wort.

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Michael Steinbrecher, Rolf Schumann

Update

Warum die Datenrevolution uns alle betrifft

Campus Verlag Frankfurt/New York

Über das Buch

Big Data verändert unser Leben in allen Bereichen. Die Autoren entwickeln auf der Höhe der Diskussion konkrete Positiv- und Negativszenarien für einzelne Lebensbereiche. Mit zahlreichen Fallbeispielen wird ideologiefrei Licht und Schatten unserer Datenwelt dargestellt. In ausführlichen Interviews kommen relevante Ansprechpartner aus Politik, Wissenschaft, Journalismus und Wirtschaft zu Wort.

Über die Autoren

Prof. Dr. Michael Steinbrecher ist ein vielfach ausgezeichneter Fernsehjournalist (u. a. Grimme-Preis). Seit 2009 arbeitet er als Professor für Fernseh- und crossmedialen Journalismus am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört »Big Data«.

Rolf Schumann verkörpert Technologie mit Entrepreneurship und gilt als renommierter Experte für Innovationsthemen. Er baute das Cleantech Startup »Better Place« mit auf und verantwortet nun bei dem Softwarehersteller SAP den Bereich »Platform Solutions Group« für Zentral- und Osteuropa mit Schwerpunkt Datenbanken und Innovationstechnologien.

Inhalt

Danksagung

Kapitel 1: Die Datenrevolution! Oder: Wie wollen wir leben?

Kapitel 2: Was ist Big Data?

Kapitel 3: Datenspuren im Alltag

Kapitel 4: Chancen und Risiken der Datenrevolution

4.1: Digitalisierung und Selbstvermessung für ein längeres Leben?

4.2: Die Mobilität der Zukunft

4.3: »Smart Home«, »Smart City«– Wie werden wir wohnen?

4.4: Konsum– Die neue, personalisierte Welt des Datenhandels

4.5: Die Zukunft des Lernens – Ich weiß, dass ich nichts weiß

4.6: Mehr oder weniger Sicherheit durch Big Data?

4.7: Wie verändert die Datenrevolution den Journalismus?

4.8: Auf dem Weg in die vierte industrielle Revolution

4.9: Der Sport– Leistung zwischen Technologie und Emotion

Kapitel 5: Wie wollen Sie leben und was können wir tun?

Kapitel 6: Ein kurzer Blick nach vorn

Anmerkungen

Interviews

Interview mit Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger: »Wenn Big Data ein Mensch wäre, dann wäre das für mich ein faszinierender Mensch. Mit all seinen Licht- und Schattenseiten«

Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger : »Ja, Sie haben ganz viel zu verbergen«

Interview mit Dr. med. Peter Langkafel: »Die Macht und das Potenzial dieser Daten sind für die Medizin enorm«

Interview mit Peter Schaar: »Technik darf keine unabhängige Variable sein«

Interview mit Prof. Dr. Lutz Eckstein: »Für mich steht das Automobil nach wie vor für Freiheit«

Interview mit Shannon Poulin: »Wir glauben vor allem, dass jeder Einzelne in solchen Situationen die Möglichkeit haben sollte, eine eigene Entscheidung zu treffen«

Interview mit Elmar Theveßen: »Marionetten an Strippen«

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl: »Die Digitalisierung wird zu einer grundlegenden Veränderung von Geschäftsmodellen führen«

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Siegfried Russwurm: »Einfache Verwaltungstätigkeiten werden wegfallen, doch der Kreativität gehört die Zukunft«

Interview mit Dr. Stephan Nopp: »Dieses Spiel wird nie berechenbar sein«

Interview mit Dr. Thilo Weichert: »Es sollte eine allgemeine Menschenrechtserklärung für digitale Freiheiten geben«

Interview mit Prof. Dr. Dr. Dirk Helbing: »Digitale Aufklärung oder selbst verschuldete Unmündigkeit - das sind unsere Alternativen«

Interview mit Markus Beckedahl: »Wir brauchen mündige Verbraucher, die Entscheidungen treffen«

Interviews, die in den Text eingeflossen sind:

Michael Kleinemeier (President, SAP Middle & Eastern Europe), Prof. James Kelly (Experte des Fachbereichs Transportation Design der Hochschule Pforzheim) und Martin Peuker (Stellvertretender CIO, Charité – Universitätsmedizin Berlin).

Danksagung

Michael Steinbrecher:

Ein persönlicher Dank für die Mitarbeit und Unterstützung an: Matthis Dierkes, David Friedrich, Nicolas Jungkind, Fabian Karl, Julia Lönnendonker, Judith Pulg, Günther Rager, Marie Luise Rager, Kathrin Reinl, Christoph Schickhardt, Dennis Westenberger, Anna Carina Zappe und Hanna Zimmermann.

Rolf Schumann:

Vielen Dank für die Unterstützung und die Mitarbeit an: Katja Mehl, Anja Schneider, Susanna Bauer und Michael Pacevicius. Ein ganz besonderer Dank geht an Johannes Tulusan für die kontinuierliche Unterstützung des Projekts.

Kapitel 1Die Datenrevolution! Oder: Wie wollen wir leben?

»Datenrevolution? Big Data? Hat das wirklich etwas mit mir zu tun? Sollen sie doch meine Daten sammeln. Ich habe doch nichts zu verbergen! Außerdem: Wer interessiert sich schon dafür, was ich mache und denke?«

Kommt Ihnen diese Einstellung bekannt vor? Ein Update vorab: Ja, die Datenrevolution hat etwas mit Ihnen zu tun. Mit Ihnen ganz persönlich. Sie betrifft uns alle. Big Data steht nicht nur für Edward Snowden, die NSA und mögliche Einreiseverbote in die USA. Es geht nicht in erster Linie um die Frage, ob ein Geheimdienst möglicherweise morgen vor Ihrer Tür steht. Es geht um Ihren Alltag, Ihre Sicht auf die Welt, um Ihr ganz privates Leben und die Frage, wie Sie es zukünftig gestalten wollen.

Big Data kann Leben retten und dafür sorgen, dass wir alle viel, viel älter werden. Big Data kann unsere Umwelt schonen und den Raubbau an den Ressourcen endlich zügeln. Big Data kann unser Leben erleichtern, es bequemer machen. Nie mehr im Stau stehen, sich nie mehr unterwegs fragen: Habe ich die Herdplatte ausgeschaltet? Auch der Wirtschaft und Wissenschaft öffnen sich völlig neue Horizonte. Viele Experten sind euphorisch und fasziniert von Big Data. Für Unternehmen sind Daten das Öl des 21. Jahrhunderts– und wir befinden uns bereits in einem Wettlauf, neue Datenquellen aufzutun und das neue Öl zutage zu fördern.

Aber Big Data in den falschen Händen führt ins Unglück, schafft einen Überwachungsstaat mit Instrumenten, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Selbst in demokratischen Gesellschaften kann Big Data von uns allen lückenlose Profile erstellen, die uns einstufen, einsortieren und damit unsere Zukunft bestimmen. Big Data kann dazu führen, dass uns unsere Vergangenheit nie loslässt. Ihr Profil vergisst nichts. Alles bleibt gespeichert. Big Data kann Menschen in der Arbeitswelt in weiten Teilen überflüssig machen. Sind wir darauf vorbereitet? Big Data kann uns unfrei machen und dazu führen, dass in 50 Jahren nur die ganz Alten noch eine Vorstellung von einer Privatsphäre haben.

Aber andererseits: Ist das Menschenrecht auf »Privatsphäre« allen Generationen noch gleichermaßen wichtig? Steht die Privatsphäre vielleicht sogar zur Disposition, wenn unser Leben ohne sie komfortabler und sicherer wird? Wo sprechen wir noch von Privatsphäre und wo beginnen wir die Würde des Menschen zu berühren? Big Data wirft Fragen auf. Wichtige Fragen, denen wir uns stellen müssen. Die Beantwortung dieser Fragen sollten wir nicht delegieren, wenn wir keine bösen Überraschungen erleben wollen. Es geht um Existenzielles.

Big Data ist keine Zukunftsvision, sondern schon da. Wir werden die Welt, wie sie vorher war, nicht mehr zurückholen können. Der Wandel ist unwiderruflich. Big Data verändert unsere Welt immer weiter. Big Data ist mehr als eine technologische Entwicklung. Mehr als die Erfindung der Glühbirne oder des Fernsehens. Big Data schafft eine neue Form des Denkens und Handelns oder, wie Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger es nennt, »einen neuen Zugang zur Wirklichkeit«1. Wir erleben einen Zeitenwandel, den auch Mayer-Schönberger im vollen Bewusstsein der Terminologie als »Revolution« bezeichnet. Im Interview mit uns macht er deutlich, dass Big Data für ihn ein epochales Ereignis darstellt, vergleichbar mit der Aufklärung: »Es ist ein Ereignis, das in Perspektiven von Jahrhunderten zu messen ist.«2 Big Data wird verändern, wie wir denken, wie wir handeln, wie wir leben– wie sich unsere Gesellschaft entwickeln wird.

Gravierende Veränderungen bahnen sich an, aber sie etablieren sich beinahe lautlos. Dabei ist die Vision in vielen Bereichen klar erkennbar. Mit durchschlagenden Folgen für unser Leben. Können Sie sich vorstellen, dass bereits mehrere Milliarden Dinge mit Sensoren ausgestattet und mit dem Internet verbunden sind? Ja, Sie haben richtig gelesen: nicht Menschen, sondern Dinge. Wie klingt es für Sie, wenn wir behaupten, dass ein Fenster mit einer Heizung redet? Oder die Straße mit dem Autoreifen? Exakt dies passiert schon längst. Und es wird weitergehen. Führende Analysten und Industriekonzerne rechnen damit, dass im Jahr 2020 50 Milliarden Dinge mit Sensoren ausgestattet sind und miteinander kommunizieren.3 Schauen Sie sich in dem Moment, in dem Sie diese Zeilen lesen, um. Wo befinden Sie sich gerade? In einer Wohnung oder einem Haus? Alles, was Sie sehen, wird zum Internet der Dinge gehören. Der Fußboden, die Türklinke, das Fenster, die Lampe. Einfach alles. Sind Sie in der Fußgängerzone unterwegs? Dann sehen Sie Laternen, Bänke, Geschäfte, Schaufensterscheiben. Auch sie werden miteinander reden. Spazieren Sie im Wald? Selbst hier werden in Zukunft Sensoren an den Bäumen befestigt sein. Reben liefern bereits Erkenntnisse für den Winzer.4 Genauso werden es Bäume in Zukunft für die Förster tun. Aber mit welcher Absicht kommunizieren all diese Dinge? Sie stimmen sich aufeinander ab, tauschen Informationen aus und optimieren so ihr »Verhalten«. So kann Ihre Wohnung Ihr persönliches Wohlfühlprogramm starten, Sie mit der passenden Musik begrüßen und just in dem Moment Ihr Essen servieren, in dem Sie Appetit verspüren. Keine Zauberei, sondern möglich durch Big Data. Aber nichts in Ihrer Wohnung wird mehr unbeobachtet bleiben. Wer soll, wer darf Ihre Daten kennen und nutzen?

Droht von Big Data Gefahr?

Noch erleben wir die Pionierphase, in der man Veränderungen gestalten kann. Zum Glück, denn die dunkle Seite von Big Data wirft wie eine Drohkulisse ihre Schatten voraus. Doch eins vorweg: Wir sagen nicht: Big Data ist schlecht, und auch nicht: Big Data ist großartig. Unsere Position ist: Es kann beides sein. Sie sollten die gute, verheißungsvolle Seite, aber genauso auch die dunkle Seite von Big Data kennen und dann ganz bewusst entscheiden, wie Sie mit diesem epochalen Wandel umgehen. Sie sollten ein Gefühl entwickeln, was Sie als Person beeinflussen können und welche Entwicklungen mehr oder weniger stattfinden. Wir möchten, dass Sie Big Data in seiner Gänze bewusst wahrnehmen.

Wenn wir über Big Data diskutiert haben– in Deutschland, in der Öffentlichkeit– dann meist im Zusammenhang mit Edward Snowden. In seinem ersten Interview, das er dem Guardian im Juni 2013 gegeben hat, sagte Snowden: »Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue und sage, aufgezeichnet wird.«5

Die Diskussionen, die seine Enthüllungen ausgelöst haben, waren für viele von uns ein Augenöffner. Die Dimension dessen, was bereits von der NSA praktiziert wird, hat die Öffentlichkeit und sogar manche Experten überrascht. Es gibt viele Leitartikel zu dem Thema, unzählige Fernsehbeiträge. Viele Fragen, viel Empörung.

Aber die Konzentration auf das Thema Datensicherheit und Geheimdienste hat uns den Blick darauf verstellt, dass Big Data schon längst alle Lebensbereiche erfasst hat. Im Windschatten dieser Diskussion ist eine Dynamik entstanden, die die Öffentlichkeit noch nicht wahrgenommen hat. Dieses Buch will einen Beitrag dazu leisten, dies zu ändern.

Was dieses Buch leisten kann

Sie sollen die Möglichkeit erhalten, sich ein Bild von der Veränderung zu machen. Ganz konkret und unvoreingenommen. Wir möchten Ihnen die Verheißungen genauso vermitteln wie die dunkle Seite. Und das bezogen auf die Lebensbereiche, die Sie tagtäglich betreffen. Was bedeutet Big Data für Ihre Gesundheit? Was spricht dafür, dass Sie durch Big Data geheilt werden oder länger leben? Und welchen Preis müssen Sie dafür möglicherweise zahlen? Wie wollen Sie in Zukunft mobil sein, wohnen, einkaufen, arbeiten? Wie verändert Big Data unsere Wertvorstellungen, unser Denken und Handeln?

Im Interview mit uns macht Prof. Dr. Dr. Dirk Helbing klar, um was es geht: »Es könnte leicht einen Super-GAU auf dem Weg ins digitale Zeitalter geben, falls wir nicht schnellstens lernen, mit diesem Zauberstab umzugehen.«6

Jeder Einzelne von Ihnen sollte bewusst entscheiden können, welche Position er bezieht. Wo stehen Sie? Ist Ihnen das, was Big Data möglich macht, wichtiger als das, was Sie durch Big Data verlieren? Wir brauchen einen ideologiefreien Zugang zu diesem Thema. Deshalb werden wir Ihnen die Chancen und Risiken von Big Data getrennt voneinander vorstellen und vermitteln. Sie sollen selbst entscheiden, welche Zukunft Sie wollen. Diese Gegenüberstellung in Kapitel 4 macht den Kern dieses Buches aus. Aber wir wollen die Zukunftsszenarien auch in einen Zusammenhang stellen. Dazu werden wir Ihnen vermitteln, was Big Data ist. Und wir garantieren Ihnen: Jeder wird, auch ohne technologische Vorbildung, verstehen, um was es geht. Damit Sie eine vielfältige Perspektive auf Big Data erhalten, haben wir Dutzende von Interviews geführt. Mit Medizinern, Journalisten, Vorständen großer Unternehmen, Datenschützern, Mobilitätsforschern, Politikern und Visionären. Die Interviews mit diesen Experten, die ein großes Themen- und Meinungsspektrum abbilden, sollen Ihnen ungefilterte Einblicke in unterschiedliche Lebensbereiche eröffnen. Ob Sie mit den Interviews einsteigen oder das Buch linear lesen, bleibt Ihnen überlassen. Wichtig ist, dass Sie sich in das Thema vertiefen, denn es verdient deutlich mehr Öffentlichkeit. Ein Jahrhundertereignis dieser Tragweite sollte von uns geprägt werden.

Denn noch einmal: Big Data ist nicht gut oder schlecht. Es kann beides sein. Big Data ist das, was wir daraus machen.

Kapitel 2Was ist Big Data?

Warum reden wir von einer Datenrevolution? Was verbirgt sich eigentlich hinter »Big Data«?

Alles, was wir in unserem Alltag, dem sogenannten Internetzeitalter, tun, erzeugt Daten und hinterlässt digitale Spuren. Es gibt 3,3 Milliarden Menschen mit Zugang zum Internet (2,5 Personen kommen pro Sekunde neu dazu), Google verarbeitet pro Tag 3,5 Milliarden Suchanfragen7, 500 Millionen Tweets werden über Twitter am Tag bereitgestellt8, 800 Millionen Youtube-Benutzer laden pro Minute 100 Stunden Videomaterial auf die Plattform9, und 10 Millionen Fotos werden auf Facebook jede Stunde gepostet. Dreht sich schon Ihr Kopf vor lauter Zahlen? Sie sind wichtig, um die Dimension der Veränderung zu begreifen.

In den letzten 20 Jahren ist die Menge an Daten um das 100-Fache angestiegen– einen ähnlich rasanten Anstieg hat es in der Geschichte bereits einmal gegeben, und zwar zwischen 1450 bis 1500. In diesem Zeitraum verdoppelte sich dank der Gutenberg-Presse die Datenmenge in der Welt, was damals eine Revolution in der Gesellschaft bedeutete. Heute geschieht dies alle 18 Monate. Was in diesem Zusammenhang jedoch häufig nicht berücksichtigt wird, ist folgende Beobachtung. Während im Jahr 2000 knapp drei Viertel der Daten noch in analoger Form, wie zum Beispiel Papier, vorlagen, sind es knapp 15 Jahre später weniger als 1 Prozent– aus einer analogen ist eine digitale Welt geworden, die alles verändern wird.

Stehen wir mitten in einer Revolution, die unser Leben, Denken und Arbeiten verändert, wie Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier in ihrem Buch »Big Data« behaupten? Ist die Datenrevolution die größte Bedrohung unserer Freiheit und Demokratie? Oder der Weg zu mehr Transparenz, zu größerer Freiheit und zu einem längeren Leben?

Obwohl Daten immer wichtiger für unser Leben werden, ist es noch nicht gelungen, ein breites Verständnis für die Veränderung zu wecken. Sollten Sie noch keine Vorstellung davon haben, was sich hinter Begriffen wie »Big Data« oder dem »Internet der Dinge« verbirgt, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Laut dem Bundesverband Bitkom wissen nur 14 Prozent der Bundesbürger, was mit »Big Data« gemeint ist.10

Drei optische Assoziationen können Ihnen helfen, sich dem Thema Big Data zu nähern:

Denken wir zunächst an »Gold waschen«. Sie stehen am Rande eines Flussbetts und versuchen, mit einer Pfanne das zu extrahieren, was wertvoll ist. Die riesige Menge an Sandkörnern steht für die ständig wachsende Menge an Daten, die uns zur Verfügung stehen. Big Data löst bei vielen so etwas wie einen Goldrausch aus. Wer will schon den Moment verpassen, ganz vorne mitzuspielen, wenn die Claims verteilt werden? Dieses Bild steht für die Verheißungen von Big Data. Etwas Neues, Wertvolles entsteht, das unser Leben bereichern kann.

Das zweite Bild ist ein Panopticon, ein mehrstöckiges, rundes Gebäude mit einer ganz besonderen Architektur. Erfunden wurde dieses architektonische Prinzip am Ende des 18. Jahrhunderts vom britischen Philosophen Jeremy Bentham.11 Es wurde für Fabriken und vor allem für Gefängnisse entworfen. Im Panopticon gibt es in der Mitte einen Wachturm mit einem Rundumblick. Stellen Sie sich vor, Sie halten sich in einer der kleinen Zellen auf, die vom Wachturm aus beobachtet werden können. Es reicht eine Wachperson, um bei Ihnen und bei Hunderten von Mitinsassen das Gefühl auszulösen: Ich werde überwacht. Schließlich könnte der Wachmann just in diesem Moment genau Sie anvisieren.

Übertragen auf Big Data könnte das bedeuten: Nicht eine Person, aber eine Organisation, sei es Google, die NSA oder auch ein Staat, schaut uns ständig über die Schulter. Wir wissen, dass wir unter permanenter Beobachtung stehen, und richten unser Verhalten danach aus. Auch um zu vermeiden, dass wir unangenehm auffallen und Sanktionen erhalten. Befinden wir uns im Zeitalter von Big Data alle in einem Panopticon? Das ist für viele von Ihnen sicher eine düstere Vision. Werden wir uns ständig selbst beobachten und unsere Datenspuren kontrollieren, um ein möglichst positives Bild von uns zu entwerfen? In dem Bewusstsein, rund um die Uhr überwacht zu werden? Eine Vorstellung, die uns durch das Buch begleiten wird.

Das dritte Bild ist für viele eine Kindheitserinnerung. Hatten Sie jemals ein Kaleidoskop? Es erinnert optisch an ein Fernrohr. Wenn Sie daran drehen und hindurchschauen, entdecken Sie faszinierende bunte Muster. Was hat das mit Big Data zu tun? Im Kaleidoskop befindet sich eine scheinbar ungeordnete Ansammlung von bunten Steinen. Wenn Sie am Kaleidoskop drehen, verändert sich durch eine kleine Bewegung ihre Struktur. Sie stellen eine andere Verknüpfung her und erkennen immer neue Muster, die aus der Kombination dieser bunten Steine entstehen. Big Data ist nicht die Größe allein, sondern auch die Möglichkeit, nach immer neuen Verknüpfungen und erkennbaren Mustern zu suchen.

Drei Bilder, die unterschiedliche Perspektiven auf Big Data vermitteln. »Gold waschen« will sagen: Es entsteht etwas Wertvolles. Etwas, mit dem wir uns viele Wünsche erfüllen können und das unser Leben angenehmer und bequemer machen kann. Und etwas, das Unternehmen sehr wertvoll finden, da sie es sich zunutze machen können. Besonders an Big Data sind wie beim Kaleidoskop die Möglichkeiten, immer wieder neue Muster zu erkennen. Aber wir zahlen einen Preis. Das Gefühl, wie im Panopticon beobachtet zu werden. Oder werden wir uns an den Wachmann gewöhnen? Ihn vielleicht irgendwann gar nicht mehr wahrnehmen?

Noch einmal zurück zu den Wirkungen von Big Data. Wie kann es sein, dass plötzlich alles anders sein soll? Wieso ist es plötzlich denkbar, dass sich fahrerlose Autos eigenständig durch Städte navigieren? Warum hoffen Mediziner auf große Innovationen in der Medizin, bis hin zu einem Durchbruch im Kampf gegen Krebs? Auf der anderen Seite sehen Kritiker Gefahren in einer Dimension, die wir bisher kaum ermessen können. Sie befürchten den Verlust unserer Freiheit und Selbstbestimmung. Hat es Daten nicht schon immer gegeben? Was ist das wirklich Neue an Big Data?

Beschäftigen wir uns zunächst einmal damit, wie Daten entstehen. Und warum es plötzlich so viele davon gibt. Wenn Sie sich nur mit den Folgen von Big Data, aber nicht mit den Ursprüngen beschäftigen wollen, können Sie dieses Kapitel gerne überspringen. Aber als Nicht-Insider verpassen Sie die Chance, einen ersten Eindruck von den technischen Ursachen dieser rasanten Entwicklung zu bekommen.

Vom Informationswachstum zu Big Data

Haben Sie sich schon einmal gefragt, welche Daten Sie täglich produzieren und in welcher Maßeinheit sie gemessen werden? Bereits vor unserer Geburt entstehen zahlreiche Daten über uns, z.B. bei der Ultraschalluntersuchung durch einen Arzt– Daten, die gespeichert und entsprechend weiterverarbeitet werden. Als Erwachsene bezahlen Sie vielleicht mit der Kreditkarte, sind mit dem Smartphone unterwegs, messen beim Laufen Ihren Puls und bezahlen mit Bonuskarten. Jeden Tag kommen neue Daten hinzu. Zurzeit täglich 2,5 Exabyte weltweit. Was können wir uns unter dieser Maßeinheit vorstellen?

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Abbildung 1: Namen und Zahlen für die Bezeichnung von Datenmengen

2,5 Exabyte entspricht der 12,5-fachen Menge an Daten aller gedruckten Bücher.12 Stellen Sie sich eine Bibliothek oder eine große Buchhandlung in Ihrer Stadt vor. Denken Sie an Hunderte von Büchern in Dutzenden von Regalen, die Sie in einem Leben niemals lesen können. Und nun stapeln Sie in Ihrer Vorstellung alle Bücher dieser Welt aufeinander, auf allen Kontinenten. Wir produzieren Tag für Tag ein Vielfaches der Daten, die notwendig wären, um alle Bücher dieser Welt zu speichern. Ist das nicht unglaublich? Die Datenkapazität Ihres Smartphones entspricht in etwa dem Datenvolumen, das in den 1960er-Jahren nötig war, um zum ersten Mal zum Mond zu fliegen. Sie sehen, hier gab es eine extreme Entwicklung.

Noch einmal zur Maßeinheit: Wofür stehen die Begriffe Exa- und Terabyte, und was sind eigentlich Byte? Lassen Sie uns dazu einen Blick auf die Grundvoraussetzungen von Computern werfen. Sie müssen sich die nächsten beiden Absätze nicht einprägen, um Big Data zu verstehen, aber auf mittlere und lange Sicht sollten Sie die Scheu vor diesen Angaben verlieren, denn sie bestimmen einen Teil unserer Zukunft.

Ein Computer ist eine digitale Maschine, die nur zwischen zwei Zuständen unterscheiden kann: 0 oder 1, Strom fließt oder Strom fließt nicht. Dieses Element ist die kleinste Einheit aller Daten und wird als ein Bit bezeichnet. Ein Byte entspricht 8 Bit und stellt somit die nächste Größeneinheit dar. Angaben zu Speicherkapazitäten werden in Byte gemacht. So umfasst Ihr Familienfoto vielleicht 2,5 Megabyte, also 2,5 Millionen Byte. Wenn Sie sich Ihren Rechner zu Hause oder bei der Arbeit ansehen, werden Sie auf Angaben in Bit und in Byte stoßen. Ihre Dateien oder Speicher werden in Byte gemessen (Kilo-, Mega- oder Gigabyte). Ein modernes Smartphone hat einen Hauptspeicher von 64 Gigabyte, um Fotos, Musik und weitere Daten zu speichern.

Bei der Angabe der Verarbeitungskapazität des Prozessors finden Sie hingegen eine Angabe in Bit. Ein 8-Bit-Prozessor ist in der Lage, Rechenoperationen mit maximal 8Bit durchzuführen. Ihr Computer wird heute wahrscheinlich ein 64-Bit-Rechner sein.

Auf viele Leser werden diese Erläuterungen trivial wirken. Aber bei möglicherweise ebenso vielen stellt sich das bekannte Gefühl der Überforderung ein. Bit, Byte, Prozessor? Was war noch mal ein Prozessor? Moment, ich schaue bei Wikipedia nach. Was steht da?

»Ein Prozessor ist eine Maschine oder eine elektronische Schaltung, die gemäß übergebenen Befehlen andere Maschinen oder elektrische Schaltungen steuert und dabei einen Prozess oder Algorithmus vorantreibt, was meist Datenverarbeitung beinhaltet.«13

Aha. Was ist denn nun eine elektrische Schaltung, was ein Algorithmus? Und wie verarbeitet man Daten? Unsere Gesellschaft zerfällt in einen Teil, für den der Umgang mit diesen Begriffen und Maßeinheiten so selbstverständlich ist wie das Alphabet. Für andere ist und bleibt es eine komplette Fremdsprache. Wie werden wir in Zukunft darauf reagieren? Muss das Ziel sein, allen einen Grundbegriff der »Datenlogik« zu vermitteln? Ein Thema der nächsten Jahre wird sein, was mit denen passiert, die sich dem Daten-Sog entziehen wollen. Werden sie abgehängt? Oder wird Technik irgendwann so intuitiv bedienbar sein, dass sich nur sehr wenige mit technischen Details beschäftigen müssen?

Dieses Buch ist kein Datengrundkurs. Es kann nur darum gehen, auch all denen, die sich in technischen Fragen nicht zu Hause fühlen, die Dimension von Big Data zu verdeutlichen. In der folgenden Darstellung sind die Größenverhältnisse deshalb bildlich dargestellt. So bekommen Sie ein Gefühl für die Datenexpansion.

Lassen Sie uns eine kleine Zeitreise machen, um zu verstehen, wie die Daten, über die wir reden, eigentlich entstehen. Gehen wir zurück in die 1970er-Jahre. Zu dieser Zeit wurden Großrechner mit sogenannten »Lochkarten« gefüttert. Diese Lochkarten wiesen gestanzte Löcher auf. Die Zustände 0 und 1 wurden dadurch repräsentiert, ob an der betreffenden Stelle auf der Karte ein Loch gestanzt war oder nicht. So ließen sich Programme mit diesen Karten speichern. »Lochkarten«– wer hat heute noch eine Vorstellung davon? Im Jahr 1976 wurde die Diskette erfunden. Es dauerte zehn Jahre, ehe auf dem Technologienachfolger, der CD-ROM, bis zu 650 Megabyte gespeichert werden konnten.

Diese Entwicklung zeigt bereits, dass das Phänomen der stark wachsenden Datenmengen schon seit den ersten Tagen der digitalen Informationstechnologie vorhanden war. Allerdings wurden diese Mengen zunächst nur auf lokalen Datenträgern gespeichert, die entsprechend angepasst werden mussten. Erst mit dem Aufkommen des Internets im Jahr 1983 kann man von einem globalen Datennetz und einem entsprechenden Datenwachstum reden. 1986, nur drei Jahre später, betrug die weltweite Speicherkapazität bereits drei Exabyte. Und das, wir erinnern uns, entspricht immerhin der 15-fachen Menge aller auf der Welt existierenden gedruckten Bücher. Das Internet wuchs schnell und beständig und wies im Jahr 1993 bereits eine Größe von 16 Exabyte auf. Diese Speichermenge entspricht einer Abspieldauer von Musikdateien von 19,8 Millionen Jahren. Sie sehen, die Datenmengen begannen sich bereits in den 1990er-Jahren ins Unvorstellbare zu steigern. Und noch ein Bild, das Ihnen die Dimension der Entwicklung verdeutlicht: Experten der Berkeley-Universität in Kalifornien schätzen, dass alle jemals von Menschen gesprochenen Worte in fünf Exabyte gespeichert werden könnten.14

1996 erschien der Nachfolger der CD-ROM, die DVD, die bis zu 8,5 Gigabyte fassen konnte. Und obwohl im Jahr 1997 lediglich zwei Prozent der weltweiten Bevölkerung Zugang zum Internet hatten, wuchs die Datenflut kontinuierlich an und erreichte im Jahr 2000 die Menge von 55 Exabyte. Um eine Vorstellung von dieser Menge zu bekommen, stellen Sie sich einen Film vor, der 55 Exabyte umfasst. Ihn anzusehen würde 1,1 Millionen Jahre dauern.

Auch der Anteil der Weltbevölkerung, der einen Zugang zum Internet hatte, stieg kontinuierlich an. Betrug er 1997 zwei Prozent (120758310 Menschen), waren es 2012 schon 36 Prozent (2511615523). Apple brachte 2001 den iPod auf den Markt, der mit seinem Fünf-Gigabyte-Speicher bis zu 1000 Lieder speichern konnte. Facebook nutzten zur gleichen Zeit vier Prozent der Internetbenutzer. Die Gesamtmenge an gespeicherten Daten betrug mittlerweile 295 Exabyte. Um diese Datenmenge auf DVD zu speichern, müsste man das Chrysler-Gebäude in New York komplett mit DVDs füllen. Nur um die Dimension zu verdeutlichen: Dieses architektonische Meisterwerk hat 77 Stockwerke und ist 319 Meter hoch.15

2010 waren bereits sechs Prozent aller Internetnutzer beim Kurznachrichtendienst Twitter registriert. Facebook konnte 24 Prozent der Internetnutzer als Mitglieder verbuchen, während die Gesamtzahl der Menschen mit Internetzugang auf 30 Prozent der Weltbevölkerung anstieg, etwa 2 Milliarden Menschen. 2015 betrug die Datenmenge im globalen Netz 1.352 Exabyte. Auf DVD würde diese Menge einen Stapel von der Erde bis zum Mond ergeben. Bereits 45 Prozent der Weltbevölkerung oder 3,3 Milliarden Menschen nutzen das Internet. Und wenn Sie diese Zeilen lesen, dürften auch diese Zahlen bereits wieder deutlich übertroffen sein.

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Abbildung 2: Die IT-Entwicklung von 1972 bis 1984

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Abbildung 3: Die IT-Entwicklung von 1985 bis 2000

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Abbildung 4: Die IT-Entwicklung von 2001 bis 2007

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Abbildung 5: Die IT-Entwicklung von 2008 bis 2015

Das Interessante an der gesamten Entwicklung ist die rasante Zunahme an Daten seit 2011. Über 90 Prozent aller digital erfassten Daten stammen nämlich aus diesem Zeitraum. Dazu haben mehrere Faktoren beigetragen, unter anderem die intensive Nutzung und Verbreitung sozialer Netzwerke (Social Media) wie Twitter, Facebook, Google plus oder Instagram. Diese werden auch deshalb so stark frequentiert, weil zunehmend mobile Endgeräte, Smartphones und Tablets dies ermöglichen. Bei den mobilen Endgeräten– heute sieben Milliarden– wird im Jahr 2015 ein Absatz von 1,445 Milliarden Smartphones erwartet. Diese liegen damit klar an der Spitze. PCs und Tablets liegen bei knapp 0,545 Milliarden.16

Haben Sie heute schon Ihr Smartphone genutzt? Dann überlegen Sie einmal, was Sie damit allein heute schon alles gemacht haben. Ein Foto aufgenommen und an Ihren Arbeitskollegen verschickt? Die E-Mails gelesen? Eine neue App heruntergeladen und installiert? Musik gespeichert? Waren Sie in der U-Bahn vielleicht schon auf Facebook? Oder dient Ihr Smartphone gar als Sportcomputer, der Ihnen bereits heute früh die Höhenmeter Ihrer Laufrunde angezeigt hat?

Zur Datenflut haben Sie heute vielleicht schon kräftig beigetragen– allein mit dem kleinen Gerät in Ihrer Tasche! Und Sie sind nicht allein. In den nächsten drei Jahren erwartet die Branche einen Anstieg auf knapp zehn Milliarden mobiler Endgeräte, wovon 5,5 Milliarden Smartphones sein werden. Die mit den Smartphones übertragenen Datenmengen betragen heute knapp drei Exabyte pro Monat und werden in den nächsten drei Jahren die Zehn-Exabyte-Grenze durchbrechen. Dabei ist der asiatische Markt mit fast der Hälfte des Datenverkehrs global gesehen Spitzenreiter. Weltweit werden pro Minute 100 Stunden Videomaterial auf YouTube geladen, 4112500 Google-Suchanfragen abgesetzt, 3300000 Facebook-Einträge geteilt, 347000 Tweets auf Twitter verschickt, 48000 Apps aus Apples AppStore geladen und 38200 Fotos auf Instagram eingestellt. Wie gesagt: alles pro Minute.17

Das alles sind neue Dimensionen. Dass die Datenflut sehr schnell immer größer wird und in den letzten Jahren stark angestiegen ist, ist mittlerweile deutlich geworden. Aber das allein macht Big Data noch nicht zu einem so einschneidenden Ereignis. Es wird noch futuristischer. Auch die Dinge um uns herum vernetzen sich. Immer mehr Geräte erhalten Sensoren, die Daten aufnehmen und weiterleiten. So entsteht ein Internet der Dinge: der sogenannten »smarten« Geräte. Das fängt wie eben beschrieben beim Smartphone an, geht aber nahtlos ins Zuhause über, von der Waschmaschine, der Haussteuerung bis zur Zahnbürste. Sensoren sind auch im Auto aktiv und ermöglichen es, das Fahrzeug vollständig zu vernetzen und zu warten. Im Rahmen der »Smarter Cities« erfolgt die gesamte Infrastruktursteuerung von Städten über Sensoren. In Kapitel 4 werden wir diese Bereiche genauer kennenlernen und diskutieren. Es gibt fast keinen Bereich mehr, in dem keine smarten Geräte vorkommen. Experten erwarten hier bis zum Jahr 2030 über 50 Milliarden vernetzter Geräte weltweit.

Der Daten-Cocktail

Was macht die neue Qualität von Big Data aus? Die eine, von allen akzeptierte Definition von Big Data gibt es nicht. Aber es gibt einen Ansatz, der in der Publizistik und in der Wissenschaft am häufigsten zitiert wird, wenn wir über das Thema reden, und der Ihnen auf jeden Fall weiterhilft.

Lernen Sie die vier »V«s kennen: Volume (Größe), Velocity (Geschwindigkeit), Variety (Vielfalt) und Veracity (Unbestimmtheit). Dass Big Data groß ist, ahnten wir schon. Darauf deutet ja schon der Name hin. Aber Big Data ist darüber hinaus auch schnell, vielfältig und kann in Teilen sogar ungenaue Daten enthalten. Und das soll nun eine Revolution auslösen, die unser Leben auf den Kopf stellt? Genau so ist es.

Gerade die Geschwindigkeit versetzt die Wirtschaft in Aufbruchsstimmung. Unternehmen können in »real time«, in Echtzeit, beobachten, welche Ampel bald ein Problem haben könnte, welches Paket wo unterwegs ist, welche Rohre ausgewechselt werden müssen, und sofort darauf reagieren. Aber nicht nur für die Wirtschaft entstehen neue Möglichkeiten, auch Ihr tägliches Leben wird sich dadurch verändern. In einem vernetzten Zuhause können Sie aus dem Urlaub beobachten, wie hoch daheim die Zimmertemperatur ist oder in welchem Raum gerade gesprochen wird. Vieles wird möglich. Die Frage, die Sie sich immer wieder stellen werden, ist: Wie will ich leben?

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Abbildung 6: Die vier »V«s von Big Data

Was ist das Besondere am dritten »V«, der Vielfalt? Früher haben wir Daten gesammelt zu EINEM ganz bestimmten Zweck. Wenn wir mit den Daten herausgefunden haben, was wir wollten, haben wir sie bestenfalls irgendwo gespeichert, aber prinzipiell wurden sie wertlos. In der Welt von Big Data sind sie weiter wertvoll. Denn es ist gerade die Verknüpfung scheinbar nicht zusammenhängender Daten, die Big Data so spannend macht.

Fehlt noch das vierte »V«, die Unbestimmtheit. Auch ungenauere, unbestimmte Daten können im Zeitalter der Datenrevolution nützlich sein. Das klingt unspektakulär, hat aber in Kombination mit den drei anderen »V«s weitreichende Konsequenzen.

Vieles, was Big Data ausmacht, war als Einzelelement schon vorher da. Es gab schon immer Daten, schon lange Computer. Aber noch mal: Es ist nicht, wie man beim Begriff »BIG Data« vermuten könnte, die DatenMENGE allein, die die Welt verändert. Es sind alle vier Elemente zusammen, mit all ihren Wechselwirkungen: Volume, Velocity, Variety und Veracity, also »Größe«, »Schnelligkeit«, »Vielfalt« und »Unbestimmtheit«. Es ist der Cocktail aus diesen vier Elementen, der so viele in einen Rausch versetzt. Der Cocktail, der Energie und Fantasie freisetzt.

Da manche nicht genug bekommen, ergänzen sie weitere »V«s, zum Beispiel »Value«, also den Wert der Daten. Aber wir wollen die Definition nicht noch weiter komplizieren und belassen es deshalb bei den vier Ursprungs-»V«s.18

Was bedeutet das konkret? Was ändert sich durch diesen neuen Daten-Cocktail? Nun, manche sagen: Alles.

Das Ende der Theorie?

Beginnen wir mit der Wissenschaft. Die Sozialwissenschaften sind es seit Jahrzehnten gewohnt, an der Präzision der Verfahren zu arbeiten. Also, eine Stichprobe so exakt wie möglich zu erheben, um daraus Rückschlüsse für das Gesamte zu ziehen. Ein konkretes Beispiel, mit dem Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier die Veränderungen in der Wissenschaft illustrieren. Nehmen Sie an, Sie wollen messen, wie sich die Temperatur auf einem bestimmten Weinberg über die Monate verändert. Wie geht die Wissenschaft bisher vor? Sie entwickelt eine geringe Stückzahl exakter Messinstrumente und platziert sie an unterschiedlichen Positionen des Weinbergs, um aus den Ergebnissen Rückschlüsse für die Temperaturentwicklung zu ziehen. Big Data bedeutet: Wir haben an jeder Rebe, ja an jeder einzelnen Traube einen Sensor. Das bedeutet: »n ist gleich alle«. Wir haben damit Tausende von Messstationen, bei denen wir davon ausgehen, dass die meisten korrekt arbeiten. Im Zeitalter von Big Data müssen wir uns immer seltener Gedanken über eine repräsentative Auswahl machen. Außerdem ist es plötzlich unerheblich, wenn 20 Messinstrumente ausfallen oder einige nicht so exakt eingestellt sind. Das Ergebnis wird immer noch präziser sein als das, was ich vorher erstellt habe. Und ich kann es sofort, in Echtzeit, abrufen. Das heißt, auch ungenaue Daten, »messy data«, können im Big-Data-Zeitalter wertvoll sein. Über das dritte »V«, also die Vielfalt der Daten, haben wir in diesem Beispiel noch nicht einmal gesprochen.

Chris Anderson hat all das zum ersten Mal zum Thema gemacht. In einem kleinen Aufsatz verkündete er im Jahr 2008 das »Ende der Theorie«.19 Vereinfacht gesagt vertrat er damals die Position: Warum noch mit Hypothesen arbeiten, die wir anschließend mühsam überprüfen? Warum noch mit Stichproben arbeiten? Big Data macht Stichproben in vielen Fällen überflüssig und erzählt uns bereits in Echtzeit, was wir wissen müssen.

Auch wenn es in der Wissenschaft natürlich entschiedene Kritiker dieser Haltung gibt: Wir werden uns in Zukunft fragen müssen, ob die alten Instrumente noch die richtigen sind.

Vorhersagen

Warum sind Konzerne, Staaten und Geheimdienste an der Sammlung so vieler Daten interessiert? Jede heute noch so belanglos erscheinende Information kann in Zukunft in Kombination mit anderen Daten wertvoll sein. Dies erklärt das große Interesse der Datensammler, möglichst viele Daten aus noch so unterschiedlichen Bereichen zu speichern. Es ist die Vielfalt der Daten, die scheinbar nicht zusammenhängenden Einzelinformationen, die aber später in einem neuen Kontext ein Profil eines Menschen schärfen oder Aussagen zu völlig anderen Themenbereichen ermöglichen.

Hier sind wir beim Kern von Big Data. Viele, sehr unterschiedliche Daten werden in Echtzeit durch einen Algorithmus, vereinfacht gesagt durch eine spezielle Programmierung, miteinander kombiniert. Zu wissen, welche Bücher Sie bisher gekauft haben, über welche Themen Sie sich informieren, wo Sie leben und wie Sie leben, kann einem digitalen Buchhändler helfen, Ihnen die Bücher vorzuschlagen, die Sie als Nächstes lesen wollen.

Google will noch mehr. Eric Schmidt, der Google-Chef, hat es im Interview mit dem amerikanischen Journalisten James Bennet deutlich formuliert: »Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir können mehr oder weniger wissen, was du gerade denkst.«20 Was halten Sie von dieser Vorstellung? Dass ein Konzern schon vor Ihnen weiß, was Sie als Nächstes lesen, essen oder unternehmen wollen? Die Frage, wie wir mit den durch Big Data möglichen Prognosen umgehen, ist ein zentrales Thema dieses Buchs. Wenn sich die Präzision der Vorhersagen immer weiter verbessert und auch das Verhalten des Menschen prognostiziert werden kann: Warum dann nicht genau vorhersagen, wo in Kürze Verbrechen stattfinden? Und warum nicht diejenigen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ein solches Verbrechen begehen werden, inhaftieren, bevor sie die Tat verüben können? Dies wird tatsächlich intensiv diskutiert, mit allen Chancen und dunklen Seiten. Dem Thema »Predictive Policing« widmen wir uns in Kapitel 4.6.

Wir, die Datenspender

Wird Ihr Bild von Big Data langsam kompletter? Im Big-Data-Zeitalter stehen uns unvorstellbar große Datenmengen zur Verfügung. Über jeden Einzelnen von Ihnen, aber auch über die Dinge dieser Welt. Wir stellen Verknüpfungen her und treffen damit Vorhersagen. Alle Daten sind wertvoll. Alle können wichtig werden.

Das haben Geheimdienste schon immer so gesehen. Allerdings mussten sie früher einen großen Aufwand betreiben, um Informationen über Sie zusammenzutragen. Sie mussten Ihnen nachstellen, Wanzen in den Wohnungen anbringen, Sie beschatten und ein Netz aus Informanten knüpfen. Sie haben Ihre Freunde unter Druck gesetzt, damit Sie private Details über Sie preisgeben. Sie haben Sie überwacht, sind Ihnen nachgefahren, um zu erfahren, wo Sie sich aufhalten.

Heute müsste sich beispielsweise die Stasi nicht mehr so viel Arbeit machen. Denn wir werden freiwillig zu Datenspendern. Über Facebook legen Sie all das offen, was sich Geheimdienste früher mühsam erarbeiten mussten. Für welche Themen Sie sich interessieren, wer Ihre Freunde sind. Sie liefern auch noch gleich Fotos von ihnen, die direkt in den Datenbanken der Geheimdienste gespeichert werden können. Ihr Smartphone dokumentiert Ihr Bewegungsprofil. Man muss Ihnen nicht mehr mit dem Auto hinterherfahren, um zu wissen, wo Sie sich wann aufhalten. Auf der anderen Seite schaffen die sozialen Netzwerke für uns eine großartige Kommunikationsplattform, mit all den Errungenschaften, die wir sehr zu schätzen wissen. Diese Abwägung wird in diesem Buch immer wieder Thema sein. Wichtig ist an dieser Stelle nur die Erkenntnis, dass sich hier etwas Entscheidendes verändert hat.

Big Data wird häufig in den Zusammenhang der düsteren Prophezeiungen gestellt, die George Orwell in seinem Roman »1984« entworfen hat. Das Filmzitat »Big Brother is watching you« wurde zum Synonym für staatliche Überwachung. Allerdings ging Orwell in seinem Ende der 1940er-Jahre verfassten Meisterwerk noch davon aus, dass der Staat durch Omnipräsenz, das Schüren von gemeinsamen Feindbildern und die Kontrolle der öffentlichen Meinung die ständige Überwachung der in Klassen eingeteilten Bürger organisiert.

Heute werden keine Drohkulissen aufgebaut, um Sie zu überwachen. Einen Großteil der Informationen über sich liefern Sie selbst, vielleicht ohne dass Sie es sich bewusst machen. Sie spüren noch keine Konsequenzen, Ihr Leben läuft ja scheinbar weiter wie bisher. Und doch verändert sich etwas. Wenn Sie sich die einzelnen Lebensbereiche in Kapitel 4 vergegenwärtigen, können Sie selbst abwägen, was Ihnen die Verheißungen von Big Data wert sind. Manche von Ihnen spüren bereits die Präsenz der Daten und fragen sich, ob wir uns vor dem Datenzugriff Dritter überhaupt schützen können, wenn wir am modernen Leben teilnehmen wollen. Eine spannende Frage. Machen wir uns zunächst klar, was sich aus Sicht von Unternehmen ändert.

Die technische und ökonomische Sicht auf Big Data

Durch den neuen Datencocktail ist strukturell eine neue Situation entstanden. Wir alle wissen, dass die Datenübertragungsmöglichkeiten unser Leben beschleunigt haben. Die Zeit der Postkutsche, die unsere handgeschriebenen Briefe transportiert, kommt nicht zurück. Wir müssen nicht mehr tagelang auf eine Antwort warten. Mit der E-Mail wurde ein Austausch in Sekundenschnelle möglich– eine gravierende Veränderung, die in unserer Gesellschaft aber längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

Aus der Perspektive der Unternehmen war es aber noch bis vor Kurzem alles andere als normal, große Projekte und komplexe Datenmengen schnell bearbeiten zu können. Jüngste Technologieentwicklungen ermöglichen die Verarbeitung von Daten in bis zu 3000-facher Geschwindigkeit bei vergleichbaren Kosten. Welche Auswirkung hat dieser Technologiesprung für uns? Lassen Sie sich zum besseren Verständnis dieses Zusammenhangs auf ein Gedankenexperiment ein. Stellen Sie sich einen Flug von San Francisco nach Frankfurt vor. Die übliche Flugdauer beträgt heute zwischen neun und elf Stunden. Wenn man nun den letzten Technologiesprung, wie er in der Informationstechnologie stattgefunden hat, auf die Flugzeugindustrie gedanklich übertragen würde, wäre es möglich, diesen Flug in nur noch 20 Sekunden durchzuführen.

20 Sekunden! Das erinnert an die Vision des »Beamens«, die nicht nur allen Star-Trek-Fans seit Jahrzehnten utopisch und faszinierend zugleich erscheint. Wäre das noch eine »richtige« Flugreise für Sie? Das wäre nicht mehr dasselbe? Genau darum geht es. Die Vorstellung, etwas sei technisch nicht möglich und deshalb lohne es sich nicht, diese Perspektive weiterzudenken, ist auf vielen Ebenen durchbrochen worden.

Für unser Thema heißt das: Der Fortschritt wird die Art und Weise, wie wir zukünftig mit Daten und Informationen umgehen und leben, in erheblichem Maße verändern. Neueste Technologien erlauben es nämlich, diese riesigen Datenmengen, die aus ganz unterschiedlichen Informationen bestehen, effizient und in ihrer Gänze zu verarbeiten.

Diese Veränderungen eröffnen uns bisher ungeahnte Möglichkeiten. Die Interaktionen an verschiedenen Schnittstellen verändern sich– einerseits zwischen Menschen, andererseits aber auch zwischen Menschen und Dingen, sprich Geräten, Maschinen oder Automaten. Noch erleben Sie sich oft in der Rolle des Steuernden. Sie müssen sich Bedienungsanleitungen durchlesen und wissen, wie Sie das Gerät dazu bringen, das zu tun, was Sie von ihm erwarten. Hier entstehen neue Formen, wie der Benutzer die Handhabung eines Gerätes erlebt– man spricht von User Experience.

Ist heute noch das Smartphone angesagt, werden wir morgen Geräte in der Hand haben oder am Körper tragen, die durch Sensoren viele Aufgaben der Datenerfassung, aber auch der Steuerung selbstständig übernehmen. Wir sehen diese Form der Digitalisierung bereits heute in vielen unserer alltäglichen Gegenstände, vom Auto bis zu unserem Zuhause. Diese benutzer- und gerätebezogene Form der Interaktion wird unser Verhalten massiv verändern. Manuelle Eingaben werden voll automatisiert und können viel schneller und mit einem Vielfachen an Genauigkeit erfolgen. Dadurch werden aber nicht nur Daten durch einen Benutzer generiert, sondern es tritt auch der umgekehrte Fall ein: Der Sensor selbst wird zum Akteur, wodurch Vorgänge automatisiert werden, die heute noch eine Entscheidung oder ein unmittelbares Eingreifen erfordern. Sensoren und Maschinen sind nicht mehr nur »Befehlsempfänger«, sondern entwickeln ein immer größeres »Eigenleben«. Die Dinge kommunizieren also miteinander und treffen Entscheidungen für uns. Dadurch, dass sie fast alles über uns wissen, geht man davon aus, dass sie »in unserem Sinne« entscheiden. Natürlich stellen sich hier viele Fragen: Werden wir, ohne dass wir es bemerken, manipuliert? Werden wir es verlernen, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen?

Aber bleiben wir zunächst bei den Potenzialen: Neben diesen veränderten Bedingungen bei der Benutzung von Geräten ist es vor allem die Effizienz, die mit zunehmender Datenmenge immer wichtiger wird. Aber was heißt eigentlich Effizienz? Effizienz bedeutet aus Technologiesicht unter anderem eine Verarbeitung in Quasi-Echtzeit. Alles, selbst die kompliziertesten Abstimmungs- und Koordinationsprozesse werden sofort überblickt und in Gang gesetzt werden. Dadurch gibt es de facto keine technischen Limitierungen bei der Speicherung und Verarbeitung von Daten mehr. Kapazitäten und Verarbeitungsmöglichkeiten in Echtzeit sind anscheinend grenzenlos– ein Umstand, der das Systemverhalten und somit die Art und Weise, wie wir mit Informationstechnologie umgehen, verändert.

Durch die neue Art der User Experience und der Interaktion wie auch durch die Verarbeitung der Daten in Echtzeit wird das Machbare nicht mehr durch die Technik, sondern mehr oder weniger durch unsere eigene Vorstellungskraft limitiert. Wir erhalten eine Flexibilität in unserem Handeln, die uns in dieser Form bisher unbekannt war. Um die Potenziale freizusetzen, ist es aber auch notwendig, unser Verhalten zu ändern, das wir über Jahrzehnte– bedingt durch die technischen Grenzen– optimiert und an die jeweiligen Voraussetzungen angepasst haben.

Wahrscheinlichkeiten werden wichtiger als die Suche nach dem Grund

Was sind nun die Folgen, wenn Big Data und die neuen technischen Möglichkeiten Normalität werden? Welche Verhaltensänderungen werden dadurch hervorgerufen oder uns abverlangt, und welche neuen Optionen ergeben sich für unser Handeln?

Der erste Bereich, der uns vollkommen verändern wird, ist die Art und Weise, Erkenntnisse zu erlangen und Entscheidungen zu treffen. Für die Erkenntnisgewinnung galt bisher immer das Prinzip der Kausalität, mit dem eindeutige Zusammenhänge hergestellt und wissenschaftlich erhobene Informationen in eindeutiger Weise– unter Zulassung bestimmter Ausnahmen– in Beziehung zueinander gebracht wurden. Die Grundlage für einen Erkenntnisgewinn war also eine Kausalkette, aufgrund derer eine Entscheidung getroffen werden konnte. Dies gehört der Vergangenheit an: Wir haben so riesige Datenmengen für eine Fragestellung, dass die korrelierte Erkenntnis dem exakten Beweis hinsichtlich der Präzision der Kausalität zwar nicht überlegen ist, definitiv aber bezüglich ihrer Geschwindigkeit weit vorauseilt und bereits heute zu einer »Korrelation reicht«-Mentalität führt. Die Fähigkeit, die Güte der Daten und ihre Anwendbarkeit auf die Problemstellung zu übertragen, wird die klassischen Modelle massiv infrage stellen, ergänzen oder gar ersetzen. Bei aller Euphorie darf man aber nicht vergessen, dass wir hier eine über Generationen entwickelte Verhaltensweise verändern und dies die Menschen stark beschäftigen wird.

Wir haben immer versucht, einem Thema auf den Grund zu gehen, Ursachen und Wirkung zu ergründen. Zum Beispiel– nehmen wir die Medizin– den Körper und seine Wirkmechanismen immer genauer zu verstehen, um so ein Mittel gegen Krebs zu entwickeln. »Klar, wie auch sonst?«– fragen Sie sich vielleicht.

Wir können Ihnen die andere Variante nennen: Google sammelt Milliarden von Daten, über jeden Einzelnen von Ihnen. Eine bisher unvorstellbare Datenquelle. Aber Google sammelt nicht nur, sondern verknüpft diese Daten durch Algorithmen und stellt Korrelationen her. Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier illustrieren das Potenzial der Korrelationen mit einem fiktiven Beispiel: Nehmen wir an, Google stellt fest: Diejenigen, die an einer bestimmten Krebsform erkrankt sind und– sagen wir– täglich Aspirin und Orangensaft trinken, leben im Schnitt drei Jahre länger als diejenigen, die das nicht tun. Also wird Google empfehlen: Trinkt Orangensaft und nehmt dazu Aspirin! Niemand dort muss Ahnung von den medizinischen Details haben. Niemand hat verstanden, warum Aspirin und Orangensaft so etwas bewirken. Nicht mehr das »WARUM« ist wichtig, es reicht, das »WAS« zu kennen.21

Ebenfalls höchst interessant ist das Verlassen vorhandener Industrie- und Expertisen-Domains. Während wir in der heutigen Zeit oftmals nur Informationen aus den uns vertrauten Gebieten als relevant empfinden und für unsere Arbeit zulassen, eröffnen gerade die Nutzung fremder Daten und das Herstellen neuer Zusammenhänge ungeahnte Möglichkeiten. Gerade im Verlassen der Kausalketten bei der Entscheidungsfindung ergeben sich plötzlich aus Daten fremder oder angrenzender Bereiche ungeahnte Erkenntnisse und Ideen.

Das hört sich harmlos an. Aber die Wucht dieser neuen Strategie ist beträchtlich. Bisher sind Universitäten in Fakultäten organisiert. Jeder Fachbereich steht für sich. Die Zukunft könnte mehr und mehr darin liegen, diese Grenzen aufzubrechen. Wir werden fachübergreifend denken, entwickeln und planen. Die Zeit des Kästchendenkens ist vorbei.

Aber es geht noch weiter. Dadurch, dass auch Maschinen sehr viele, sehr unterschiedliche Daten sofort in Zusammenhang miteinander setzen können und nach entsprechender Programmierung selbstständig Schlussfolgerungen ziehen, entsteht eine neue Form von Intelligenz– eine Art kognitives Verhalten. Wir können damit Systemen das geben, was wir als Erfahrung bezeichnen und was uns bisher von technischen Systemen unterscheidet.