Urknall am Mittag - reiner nawrot - E-Book

Urknall am Mittag E-Book

reiner nawrot

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Beschreibung

Nachdem auf dem Labortisch des Forschers Klaus Dietmar Sprachdochnix ein neues Universum entstanden ist, wächst das kontinuierlich zu einer fast zimmerfüllenden dunklen Wolke samt darin glitzernder Galaxien heran. Sein Assistent Herbert Sagichdoch und Universitäts-Hausmeister Kennichschon verschwinden darin und begeben sich unfreiwillig auf eine skurrile Reise. Bei dem Versuch die beiden Verschollenen wieder zurückzuholen, besucht Sprachdochnix unter anderem ein Treffen der Schöpfer-Gilde irgendwo im Nichts, auf dem er auch Gott trifft, der ihm die schockierende Wahrheit über die menschliche Schöpfung verrät.

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Seitenzahl: 356

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Reiner Nawrot

Urknall am Mittag

Mehr zufällig hatte der Wissenschaftler Klaus Dietmar Sprachdochnix bei einer Internet-Auktion eine bunte Tüte Quarks ersteigert. Eigentlich forschte er in seinem Labor der spekulativen Universität ja an neuen Proteinverwirblern, um magenfreundlicheres Verpackungsmaterial für die Bonbonindustrie zu entwickeln. Weil die Quarks aber ziemlich günstig waren, tummelten die sich nun in einem Glaszylinder auf seinem Schreibtisch. An diesem Tag X, an dem für einige eine neue Zeitrechnung beginnen sollte, geschahen mehrere Sachen, die sonst nur selten und schon gar nicht zur gleichen Zeit passieren. In ihrer Summe aber führten sie zu einem schier unglaublichen Ergebnis. Rein zufällig entstand nämlich an diesem Tag kurz nach zwölf ein blitzeblankes, nagelneues Universum. Hätte Herr Sprachdochnix die Gabe besessen, hochfrequente Töne zu hören, wäre ihm natürlich nicht die lautstarke Unterhaltung der Quarks entgangen, die schließlich in dem Satz gipfelte: Gleich geht’s los Jungs, lasst’s krachen.

Ihm wäre genug Zeit geblieben das folgende Geschehen zu verhindern und dem Alltagstrott seinen weiteren Weg zu ebnen. So aber nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Zuerst schien die grelle Mittagssonne durchs Fenster und ließ ihre heißen Strahlen über den Schreibtisch bis zum Glas mit den Quarks wandern, ohne dass Sprachdochnix etwas bemerkte. Was hätte er zu diesem Zeitpunkt aber auch bemerken sollen. Noch war ja nichts Außergewöhnliches passiert. Am Glas angekommen, begannen dann jedoch die sonderbaren Vorgänge. Entweder waren die Sonnenstrahlen so an den Quarks interessiert, dass sie sich diese etwas intensiver betrachten wollten, oder aber die Erdrotation kam für einen Moment ins stocken. Jedenfalls verharrten die Sonnenstrahlen länger als üblich auf einer Stelle, und zufällig stand genau dort das Glas. Wie Urlauber am Strand begannen die Quarks sich daraufhin aufzuheizen und gerieten in hektische Bewegung. Erschrocken über diese Reaktion, rief die Sonne ihre Strahlen zwar zur Ordnung, konnte die sich nun anbahnende Entwicklung aber auch nicht mehr stoppen, obwohl die Strahlen umgehend weiterzogen.

Mit einem zweifelnden Seitenblick hatte Sprachdochnix die schnelle Bewegung des Sonnenlichts zwar registriert, war aber darüber nicht weiter beunruhigt, denn die völlig aufgeheizten Quarks begannen sich ja schon wieder abzukühlen, wobei sie sich schwitzend zu Dreiergrüppchen zusammenfanden. Das ging recht unauffällig und war erstmal weder optisch noch akustisch zu erkennen. Sprachdochnix ließ die Zeitung sinken und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Ein inneres komisches Gefühl sagte ihm, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Allerdings sprach das komische Gefühl nicht richtig, sondern flüsterte mehr, und das auch noch so leise, dass er nicht mitbekam, worin das Unrechte bestand. Um das aber herauszubekommen ließ er seinen Blick forschend vom Fenster zu den Regalen, über den Boden und dann vor sich über den Schreibtisch wandern. Beim Glas mit den Quarks stutzte er. Die Luft darin schien zu brodeln als würden unsichtbare Energien wirken. Nachdem der erste Schreck von seiner Neugier abgelöst wurde, nahm er das Glas und ging damit hinüber zum Experimentiertisch. Unter dem Elektronenmikroskop wollte er sich den Inhalt genauer betrachten. Das Ergebnis ließ ihn aufstöhnen. „Das ist ja ungeheuerlich“.

Hinter sich hörte er wie die Tür des Labors geöffnet wurde und jemand hereinkam. Ohne aufzusehen blieb er weiter über das Mikroskop gebeugt und schaute gebannt dem unglaublichen Treiben im Glas zu. Die Dreiergrüppchen hatten sich nämlich mittlerweile zu Protonen und Neutronen vereinigt und wirbelten wie Hexen in der Walpurgisnacht darin herum. Weil sein Rücken zu schmerzen begann, richtete er sich umständlich auf und rieb sich ungläubig die Augen. Herbert Sagichdoch, sein Assistent, stand neben ihm. Irritiert sah der zwischen seinem Chef und dem Glaszylinder hin und her.

„Stimmt was nicht...?“, fragte er vorsichtig, während er hastig überlegte, ob er selber wohl wieder irgendetwas angerichtet hatte. Er war zwar der Assistent, stellte sich aber doch des Öfteren ziemlich ungeschickt an, und so passierten ihm von Zeit zu Zeit immer mal wieder eigenartige Tölpeleien. Sein Chef nahm das jedoch hin, weil er selber im Grunde auch ein etwas unkonventioneller Mensch war, der im Zweifel schon mal zu außergewöhnlichen Mitteln griff.

Mit einer stummen Geste bedeutete Sprachdochnix seinem Assistenten durchs Mikroskop zu schauen. Bevor der jedoch dieser Aufforderung nachkam, suchte er vorsichtshalber in der Miene seines Chefs nach Anzeichen für Ärger oder Enttäuschung, beugte sich dann aber doch, nachdem er keine Hinweise dafür fand, zögernd über die Optik. Mit einem unterdrückten Schrei zuckte er im nächsten Moment jedoch gleich wieder zurück. Dabei schlug er mit dem Hinterkopf so unglücklich unter die kleine Ablage an der Wand, dass sämtliche Reagenzgläser darauf durcheinander purzelten. Klirrend zersplitterten sie über und neben dem Mikroskop und zerschlugen selbst noch das Glas, dessen Inhalt er sich eigentlich ansehen sollte.

Sagichdoch rieb sich seinen schmerzenden Hinterkopf und Sprachdochnix sah ihn jetzt doch noch vorwurfsvoll an. Sämtliche Flüssigkeiten und Gase vermischten sich derweil zwischen den Glassplittern und bildeten eine kleine dunkle Wolke. Auf einem der Etiketten, die noch an den größeren Scherben klebten, prangte das Wort WASSERSTOFF, auf einem anderen HELIUM.

Die Wolke wuchs langsam aber beständig und quoll auf dem Tisch zu einem schwarzen Nebel heran. Ein kaum wahrnehmbares Knistern war dabei zu hören, als würde rotes Seidenpapier rascheln. Im Nu hatte die Wolke schon die Größe von zwei schlanken Dackeln erreicht. Das Mikroskop, die Scherben und sämtliche Substanzen waren mittlerweile darin eingehüllt. Sprachdochnix fuhr sich erregt durch die Haare.

„Großer Gott...“, brummelte er halblaut, „...ich glaub’ es nicht.“

„Was... was ist das?“, stammelte der immer noch erschrockene Sagichdoch und zeigte auf das unheimliche Gebilde. Mit einem seltsamen Grinsen hatte sich Sprachdochnix etwas vorgebeugt und betrachtete fasziniert die dunkle Wolke.

„Was das ist...?“ raunte er mit einer tiefen fast unheimlichen Stimme, in der nicht nur Forscherstolz und Überraschung, sondern auch ein Tröpfchen Wahnsinn mitschwang, „...ein Universum. Auf unserem Tisch ist ein neues Universum entstanden…wir haben gerade einen Urknall ausgelöst mein Freund, Reichtum und Ruhm sind uns gewiss ...junge Autos...schnelle Frauen ...“

Von Neugier getrieben, hatte er sich jetzt so weit vorgebeugt, dass seine Nase fast die Wolke selber berührte. Sagichdoch, der sich bei dem Wort „Urknall“ noch einmal die Beule am Hinterkopf befühlte, trat noch einen Schritt zurück und blickte mit verkniffenem Gesicht zum Tisch. Seine Arme hatte er wie verkrampft vor der Brust angewinkelt, während sich seine Finger unter dem Kinn fast verknoteten.

„Ich wäre vorsichtiger...“, warnte er den Wissenschaftler mit zitteriger Stimme, „...wer weiß, ob das Ding nicht vielleicht bösartig ist.“

Sprachdochnix aber ignorierte den Einwand einfach und schien von der Erscheinung völlig fasziniert. Man hätte denken können, sie würde magisch von der Wolke angezogen, so streckte sich seine Hand nach ihr aus. Kurz bevor er sie aber tatsächlich berührte, sprang daraus knisternd ein kleiner gelbschimmernder Energieblitz auf seinen Finger über. Wie von einem Schuss getroffen, kippte Sprachdochnix nach hinten über, landete auf seinem Allerwertesten und blieb wie hypnotisiert auf dem Boden sitzen. Sein rechtes Brillenglas war zersprungen und über die Nase zog sich eine dünne Schramme. Auf der Stirn waren leichte Russ-Spuren zu erkennen und seine Fingerkuppe qualmte noch. Für einen winzig kleinen Moment bildete sich um seinen Hinterkopf, im Fünfundvierzig-Grad-Winkel rotierend, ein schmaler Lichtkreis. Mit weitaufgerissenen Augen zeigte Sagichdoch auf Sprachdochnix’ Kopf.

„Sie haben einen Hei... “, stammelte er entsetzt, „...ein Lichtkreis... ihr Kopf hat geleuchtet.“

Sprachdochnix wischte sich über die Stirn und machte immer noch keine Anstalten sich zu erheben. Die Wolke hatte sich bereits über den gesamten Tisch ausgebreitet. An der Tischkante angekommen rutschte sie träge wie zäher Teig darüber hinweg und erreichte den Boden. In dem dunklen Gemenge waren winzige glitzernde Lichter zu sehen. Sagichdoch war vorsichtshalber noch weiter zurück getreten. Obwohl es an der Wand nicht weiterging, drückte er seinen Rücken trotzdem mit aller Kraft dagegen um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Wolke zu bringen. Sprachdochnix dagegen saß immer noch wie weggetreten auf dem Boden und starrte auf die Wolke, die sich inzwischen auf den Weg zu ihm machte. Erste Ausläufer würden gleich seinen linken Schuh erreichen.

„Vorsicht“, zischelte Sagichdoch, „ ...das Ding ist gleich an ihrem Bein. Stehen sie doch endlich auf ....“

Weil Sprachdochnix auch weiterhin keine Anstalten machte sich zu erheben und auch irgendwie abwesend wirkte, nahm Sagichdoch all seinen Mut zusammen, stolperte mit ausgestreckten Armen hastig einige Schritte vor und grapschte seinem Kollegen unter die Arme. In panischer Eile riss er ihn halb hoch und zerrte ihn aus der vermeintlichen Gefahrenzone. Scheinbar hatte ihn dieser rabiate Körperkontakt wieder ins Leben zurück geführt, denn Sprachdochnix begann, so als wäre gar nichts gewesen, sich völlig ruhig den Staub vom Kittel zu klopfen.

„Grandios....einfach gewaltig...“, brummelte er immer noch fasziniert vor sich hin.

Sagichdoch sah ihn zweifelnd an.

„Meinen sie wirklich es ist ein e c h t e s Universum... es ist doch nur so klein?“

Sprachdochnix beugte sich leicht vornüber um die Wolke mit feierlicher Miene genauer zu betrachten.

„Es dehnt sich kontinuierlich aus...sehen sie doch nur…. die kleinen Lichtpünktchen, das sind frisch geborene Sterne, Planeten und Galaxien....und uns ist das gelungen.“

Andächtig betrachteten beide die Wolke die sich, nach allen Seiten gleichmäßig blähend, nun schon eine ganze Ecke des Labors erobert hatte. Der Versuchstisch war nicht mehr zu sehen. Die Regale mit den Glaszylindern wurden gerade erreicht und von ihr verschluckt, wie auch die Diagrammtafeln an der Wand. Selbst die kleine Ablage unter dem Fenster, auf der Sagichdoch’s Aktentasche stand, war nicht mehr zu sehen. Der dachte bei dem Anblick besorgt an seine Frühstücksbrote, schüttelte sich kurz und rieb sich eindringlich die Augen.

„Ich hoffe, das ist alles nur ein böser Traum ...“ seufzte er.

Sprachdochnix selber schien dagegen bester Laune zu sein. Er legte Sagichdoch väterlich seine Hand auf die Schulter und öffnete die Tür. Mit sanftem Druck schob er ihn vor sich her, hinaus auf den Flur.

„Die Welt wird uns zu Füßen liegen“, schwärmte Sprachdochnix weiter, „wir werden in die Geschichte eingehen mein Lieber.“

Vor der Tür des Waschraumes blieb er kurz stehen und tätschelte seinem Assistenten aufmunternd den Arm. Auf Sagichdochs Gesicht lag aber immer noch ein verwirrter Ausdruck. Grübelnd sah er durch den Türspalt zu, wie sich Sprachdochnix im Waschraum die Hände gewaschen hatte und sich nun vorsichtig die Blutspur von der Nase tupfte. Bei ihm musste man ja mit allem rechnen. Aber durfte man denn einfach so mir nichts, dir nichts ein neues Universum erschaffen? Zu welcher Größe würde sich das wohl ausdehnen? Käme es mit einem Universum im Universum nicht zu Komplikationen? Und wo sollte das alles überhaupt enden?

Eine recht alberne Handymelodie trällerte plötzlich von irgendwoher.

„Sagichdoch...ist das nicht ihr Handy…?“ fragte Sprachdochnix und gab ihm einen kumpelhaften Klaps an den Hinterkopf. Aufgeschreckt klopfte Sagichdoch sämtliche Taschen seines Kittels ab. Er war immer noch nicht richtig bei sich.

„Drüben…es klingelt drüben im Labor“, lachte Sprachdochnix, „was ist denn los mit ihnen?“

Sagichdoch schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rannte über den Flur. Als er die Tür zum Labor aufriss, blieb er wie angewurzelt auf der Schwelle stehen.

„Oh Shit...es ist doch in meiner Aktentasche“, jammerte er.

Sprachdochnix war ihm gefolgt und hinter ihm stehen geblieben. Beide starrten auf die Wolke, die inzwischen weiter gewachsen und jetzt noch viel mächtiger erschien.

„Meine Aktentasche... stand auf der Ablage...“, stammelte Sagichdoch.

„Und die ist vom neuen Universum verschluckt...“, kicherte Sprachdochnix mit kaum verhohlenem Spott in der Stimme, „...gehen sie doch einfach hinein und holen sie sie heraus. Materie verschwindet nicht...sie verändert sich höchstens.“

Dabei machte er einen ziemlich vergnügten Eindruck. Entweder hatte er den Ernst der Lage noch nicht erkannt oder er sah sich in Gedanken schon als von Ruhm und Lorbeeren überschütteter Forscher. Sagichdoch konnte diesen Optimismus überhaupt nicht teilen. Er drehte sich zu Sprachdochnix und sah ihn verständnislos an.

„Sie meinen…?“, stotterte er argwöhnisch, wobei er auf die Wolke zeigte, „...ich soll da einfach so reingehen? Ist das nicht zu gefährlich?“

Sprachdochnix zuckte stumm mit den Schultern. Mit Händen in den Kitteltaschen stand er einfach da und beobachtete amüsiert das aufquellende Universum. Es war jetzt schon höher als der davor stehende Sagichdoch. Der wurde durch die anhaltende Klingelmelodie immer nervöser. Mehrmals guckte er unschlüssig zwischen Sprachdochnix und der Wolke hin und her und trippelte dabei von einem Fuß auf den anderen. Langsam begriff er aber, dass Sprachdochnix nicht bereit war in dieser Situation auch nur irgendetwas zu unternehmen. Zögerlich ging er deshalb los und machte erste vorsichtige Schritte auf die Wolke zu. Seine rechte Hand streckte er zaudernd nach dem Gebilde aus und näherte sich so Stück für Stück dem wabernden Dunkel. Gespannt beobachtete Sprachdochnix, wie die Hand lautlos darin eintauchte. Sagichdoch selber machte noch einen Schritt, und eine Körperhälfte war nun völlig in der Wolke verschwunden. Er drehte den Kopf zu Sprachdochnix. „Es tut gar nicht weh“, flüsterte er heiser mit einem idiotischen Gesichtausdruck. Dann drehte er sich wieder um, machte einen weiteren Schritt und verschwand vollständig in der Wolke. Sprachdochnix warf entsetzt seine Arme in die Höhe und schien ihm folgen zu wollen, bremste aber gleich wieder ab und blieb erst einmal in gebührendem Abstand davor stehen. In diesem Moment hörte auch das Handy auf zu klingeln und es herrschte seltsame Stille. Sprachdochnix war nun doch beunruhigt. Allerdings wusste er gar nicht, ob er sich mehr um seinen Mitarbeiter sorgen sollte, oder darum dass der mit seinem ungestümen Benehmen womöglich das Universum beschädigen könnte.

„Hallo...? ...Herr Sagichdoch...“, rief er halblaut hinein, „...hören sie mich ?“

Nach einer Reaktion lauschend ging er seitlich um die Wolke herum und hoffte so, vielleicht einen Blick dahinter werfen zu können. Aber von seinem Assistenten war weder etwas zu sehen noch zu hören. „Wer war denn dran...?“, versuchte er es noch einmal etwas lauter, „...hee, Sagichdoch... was ist denn los...? ...so melden sie sich doch“.

Nervös blieb er vor dem dunkel dräuenden Junguniversum stehen. Sollte die vor ihm wabernde Masse tatsächlich gefährlich sein? Zögernd nahm er seinen silbernen Kugelschreiber aus der Kitteltasche und drehte ihn unentschlossen zwischen den Fingern hin und her. Mit einer hastigen Bewegung warf er ihn hinein.

Nichts.

Das Universum reagierte mit keinerlei Geräusch oder Reaktion darauf. Er hatte zumindest damit gerechnet, den Kuli fallen zu hören. Ächzend ließ er sich auf die Knie nieder. Auf allen vieren krabbelte er in entsprechendem Abstand vor der Wolke entlang. Seine rechte Wange schurrte schon fast auf dem Boden und trotzdem gelang es ihm nicht unter die Wolke zu sehen. Langsam bereitete ihm das Ganze doch Sorgen. Wenn nun Sagichdoch verschwunden blieb, wie sollte er das dessen Frau erklären, die ihn doch jeden Tag zum Feierabend abholte. Er sah auf die Uhr. Es blieben noch drei Stunden. Bis dahin musste ihm entweder etwas eingefallen oder aber Sagichdoch wieder aufgetaucht sein, sonst würde es vermutlich ein Unglück geben. Erst jetzt bemerkte Sprachdochnix, dass schon kleine Fetzen des Universums aus dem halb geöffneten Fenster hinausgeweht waren. Er verriegelte es und blickte hinaus auf den Rasen. Ein schöner Sommertag torkelte über das Institutsgelände. Der kleine Teich schimmerte silbern und einige Angestellte verlümmelten auf den Bänken ihre Pause. Vögel zwitscherten in den Bäumen, und eigentlich ...

Sprachdochnix schloss die Augen und hörte angestrengt in die Stille. Vielleicht war ja alles nur Einbildung? Wahrscheinlich ging gleich die Tür auf und Sagichdoch kam mit zwei Bechern Kaffee herein. Bestimmt, und die Milch hatte er sicher auch wieder vergessen, dieser Trottel. Aber heute würde er ihm das verzeihen und ihn dankbar in die Arme schließen. Milde lächelnd drehte er sich ganz langsam mit fest verkniffenen Augen herum. Wie konnte man nur solch einen Quatsch zusammenträumen. Wenn er die Augen öffnen würde, hätte er sicher sein altes, ihm bis zum letzten Winkel bekanntes Labor vor sich. Und wenn Sagichdoch dann herein käme, würde er ihm lachend von seinem Tagtraum erzählen. Genau, eine Kaffeepause hatten sie sich beide verdient. Wahrscheinlich kam alles nur vom ständigen Stress. Ganz bestimmt sogar. Er versuchte sich zu entspannen und der Druck, mit dem er die Augenlider zusammenpresste, wurde schwächer. Der erste helle Lichtschimmer war schon zu erkennen und schien ihm auch zu signalisieren: Alles in Ordnung! Na also, dachte er zufrieden, alles wird gut. Sein rechtes Lid zuckte einige male und wollte damit wohl anzeigen, dass es bereit war, sich als erster dem Anblick zu stellen, was immer es auch zu erblicken gab. Und weil kein Einspruch kam, öffnete sich das Auge und gab umgehend Meldung ans Hirn weiter.

„Oh nein…“, stöhnte Sprachdochnix enttäuscht, „…es ist kein Traum.... und Sagichdoch ist tatsächlich verschwunden.“

Kopfschüttelnd torkelte er zu seinem Schreibtisch und ließ sich resigniert auf den Stuhl sinken. Schlagartig hatte sich seine Stimmung geändert. Weitere Zeit war verplempert aber eine Lösung hatte er immer noch nicht gefunden. Sein Mitarbeiter, für den er doch irgendwie auch eine Fürsorgepflicht hatte, war verschwunden, das Universum wuchs weiter und...

….sein silberner Kuli war auch noch futsch.

Da kam ihm plötzlich eine geniale Idee. Hastig fummelte er sein Handy aus der Kitteltasche. Die Nummer hatte er doch irgendwo im Speicher, da war er sich sicher. Über das Display tanzten jetzt die gespeicherten Nummern. Pizza-Bringdienst, Sportverein, Autowerkstatt und....

Bingo, da war sie: Sagichdochs Handy-Nummer.

Das Freizeichen ertönte und Sprachdochnix atmete tief durch. Das hörte sich schon mal gut an. Vielleicht ließ sich ja doch noch etwas retten. Mit angehaltenem Atem lauschte er dem Klingeln. Zweimal dreimal viermal, dann knackte es in der Leitung.

„Hallooo...?“, quakte es aus dem Gerät.

Sprachdochnix atmete erleichtert aus und lehnte sich zurück.

„Mensch Sagichdoch…“, krakeelte er erleichtert los, „...sie haben mir ja einen schönen Schreck eingejagt. Was soll denn dieser Unfug? Sind sie schon nach Haus gegangen...?“

In der Leitung knisterte es. Sagichdochs Stimme klang verzerrt und wurde immer wieder mal von einem Rauschen unterbrochen. Sie hörte sich seeehr entfernt an.

„Ich weiß ja selbst nicht wo ich bin“ kicherte Sagichdoch. „Es sieht alles sehr seltsam aus, wie auf einer einsamen Insel ...von der Wolke ist nichts aber nichts mehr zu sehen.“

Sprachdochnix hörte ungläubig zu.

„Erzählen sie doch keinen Unfug, ich habe sie nicht hinausgehen sehen…“, kreischte er hysterisch, „…und außerdem ist bald Feierabend. Sagichdoch...was soll ich denn ihrer Frau erzählen? Kommen sie sofort wieder zurück.“

Sagichdochs verrücktes Lachen vermischte sich mit dem Rauschen.

„Wenn ich man wüsste w i e ...“, brabbelte er, „.. ich weiß doch selber nicht, wie ich hier hergekommen bin....“

Sprachdochnix schnaufte ärgerlich.

„Was haben sie denn in der Wolke gemacht…wieder irgendwo dran gedreht…?“

„Gemacht…?…ich habe gar nichts gemacht, ich wollte doch nur mein Handy herausholen. Und nun sitze ich hier in dieser komischen Landschaft. Ich weiß gar nicht ob das noch unsere Welt ist…“

Fassungslos hörte Sprachdochnix nun seinen Mitarbeiter weiterplappern. Der Himmel, der wie eine holzgetäfelte Zimmerdecke aussah, wäre von vielen Sonnen übersät, die wie kleine Heizlüfter aussähen, und bis zum Horizont würde sich ein riesiges gelbglitzerndes Meer erstrecken. Direkt vor ihm läge ein endloser Sandstrand....

…und ein silberner Kugelschreiber.

„Das ist meiner“, schrie Sprachdochnix aufgebracht, „bringen sie den bloß wieder mit.“

*

Im Sekretariat der Universität ließ die Chef-Sekretärin Frau Achwiegern den Zeigefinger langsam auf die Return-Taste ihres Computers sinken und lehnte sich zurück. Auf dem Monitor erschien daraufhin die Mitteilung, dass der Computer nun heruntergefahren wird. Ihr Blick wanderte noch einmal durch den Raum. Bevor sie Feierabend machte, checkte sie in Gedanken immer noch einmal alles durch: Blumen auf der Fensterbank...gegossen, Mülleimer… geleert, Fische im Aquarium...gefüttert, Schränke... müssen noch abgeschlossen werden.

Sie schaltete den Monitor aus, stand auf und ging zum Aktenschrank mit den großen Doppeltüren. In diesem Moment öffnete sich die Bürotür einen Spalt weit und eine Frau guckte vorsichtig herein. „Oh, Frau Sagichdoch...“ sagte die Sekretärin, „...kommen sie doch herein. Kann ich was für sie tun...?“

„Ich wollte eigentlich meinen Mann abholen“, begann die besorgt, „aber...irgendwas stimmt heute nicht. Sonst ist er immer pünktlich. Nun warte ich aber draußen schon eine halbe Stunde. Er hat nicht vielleicht bei ihnen irgendetwas ausrichten lassen...?“

Frau Achwiegern hatte anteilnehmend zugehört und schüttelte den Kopf.

„Er arbeitet doch mit Herrn Sprachdochnix an einem neuen Projekt“, antwortete sie, „ich habe die beiden schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Solange es keine Probleme gibt, trifft man die wissenschaftlichen Angestellten ja nur mal zufällig auf dem Flur. Sonst verkriechen sie sich doch regelrecht in ihren Räumen.“

Frau Sagichdoch war eingetreten und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Verschwörerisch sah sie sich um, bevor sie weitersprach.

„Ich war gerade drüben beim Labor von Herrn Sprachdochnix, aber die Tür war verschlossen und auch auf mein Klopfen hin hat niemand geantwortet.“

Frau Achwiegern hob die Augenbrauen, setzte ein besorgtes Da-wird-doch-wohl-nichts-passiert-sein-Gesicht auf und ging zum Schreibtisch zurück. Während sie nachdenklich eine Taste der Haussprechanlage drückte, beugte sie sich zum Mikrofon hinunter. Wie bei einem seltsamen Stereoeffekt hörte Frau Sagichdoch nun die Stimme von Frau Achwiegern einmal von ihr selbst, sozusagen Live, und einmal ganz leicht Zeitversetzt und etwas gedämpft vom Lautsprecher draußen auf dem Flur.

„Herr Sagichdoch möchte bitte im Sekretariat anrufen...Herr Sagichdoch bitte...“.

Über dieses Kommunikationsmittel hatten sich zwar schon des öfteren mal einige Kollegen beschwert, weil die Durchsagen sie angeblich bei der Arbeit störten, das Führungsgremium der Universität hatte allerdings darauf bestanden, dass die Anlage auch weiterhin in Betrieb blieb. Und so konnte man ziemlich sicher sein, dass solche Durchsagen auch im letzten Winkel der Universität von jedem gehört wurden, wenn er sich denn in einem der vielen Gebäude aufhielt. Mit einem Schulterzucken und einer Nun-müssen-wir-mal-abwarten-Geste drehte sich Frau Achwiegern wieder zu Frau Sagichdoch herum, die gleich wieder das Wort ergriff.

„Ich habe ja auch schon versucht ihn über Handy zu erreichen, aber es war nur so ein komisches Rauschen zu hören.“

In diesem Moment öffnete sich die Bürotür von Direktor Könnwirnich, dem Leiter der Forschungsabteilung. Mit einem besorgten Gesichtsaudruck deutete er zum Fenster.

„Was ist das da, Frau Achwiegern...? ...was geht hier vor...?“ schnaubte er empört.

Beide Frauen folgten mit ihrem Blick seinem ausgestreckten Finger. Draußen vor dem Fenster kreiselten glitzernde, seltsame Gegenstände. Dunkle Nebelfetzen flirrten drum herum und versuchten erfolglos die Glitzerpünktchen, die sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit um einander drehten, zu verhüllen. Sprachlos guckten sich alle drei für einen kurzen Moment an. Frau Achwiegern war die erste die reagierte. Klein war sie ja, aber auch resolut. Mit energischen Schritten ging sie zum Fenster. Als das von ihr so plötzlich aufgestoßen wurde, wirbelten die Fetzen des zerrissenen Universums davor heillos durcheinander und verteilten sich draußen weiträumig in der Luft.

Vier schimmernde kleine Planeten wurden dabei besonders durcheinandergewirbelt und sanken danach sanft wie Seifenblasen in die Tiefe. Alles lief völlig geräuschlos ab. Beunruhigt lehnte sich Frau Achwiegern aus dem Fenster und sah den Hausmeister der Universität auf dem Rasen stehen. Auf seinen Besen gestützt hatte der die seltsamen Gegenstände ebenfalls entdeckt und verfolgte mit offenem Mund die komischen Vorgänge. Ehe der sich aber versehen hatte, kreisten die vier Planeten auch schon in geringem Abstand um seinen Kopf. Scheinbar hatten sie sich seine leuchtende Glatze als Zentralgestirn auserkoren. Kreischend ließ der den Besen fallen und lief hysterisch im Zickzack über den Rasen davon, wobei er mit den Armen in der Luft herumwirbelte als wollte er lästige Insekten abwehren. Mittlerweile waren der Direktor und Frau Sagichdoch ebenfalls an das Fenster getreten und guckten stumm und ergriffen dem Treiben auf dem Rasen zu. Frau Achwiegern bemerkte es als erste, als sich auf der anderen Seite des Innenhofes im dritten Stock ein Fenster öffnete. Eine lange dünne Stange schob sich langsam und zitterig heraus und stakelte ungelenk in der Krone der davor stehenden Trauerweide herum.

Der Direktor schnappte nach Luft, drängelte sich aufgeregt neben Frau Achwiegern ins offene Fenster und lehnte sich, um mehr erkennen zu können, weit hinaus.

„Was geht hier vor...?“ stöhnte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als Verantwortlicher war ihm natürlich gleich klar, dass hier etwas Unrechtmäßiges vor sich ging und er handeln musste. Nur wie?

„Da...da....ist das nicht Sprachdochnix...?“, flüsterte Frau Achwiegern ehrfürchtig und zeigte auf das halb geöffnete Fenster.

„Natürlich, da ist ja sein Labor, aber was macht er denn da nur ?“, stammelte der Direktor. Seine rote Gesichtsfarbe und die immer schwerer werdende Atmung signalisierten der Außenwelt seinen stetig steigenden Ärger.

Am halb geöffneten Fenster konnte man undeutlich einen Mann im Kittel erkennen, der krampfhaft die lange dünne Stange zu dirigieren versuchte und damit im Blätterwerk der Trauerweide herumfuhrwerkte. Vereinzelt rieselten Blätter und kleine Zweige zu Boden. Die Stange wurde immer wieder mal zurückgezogen und stocherte dann erneut nach vorn. Der Mann im Kittel selber versuchte sich augenscheinlich so gut es ging im Hintergrund zu halten, um nicht gesehen zu werden. Könnwirnich richtete sich jetzt auf, streckte seinen Bauch hervor und atmete langsam und drohend tief ein.

„Sprachdochnix...“ donnerte im nächsten Moment seine Stimme über den Rasen des Innenhofes, „...was hat das zu bedeuten? Was geht hier vor...?“

Als Antwort darauf ruckte die Stange hastig Stück für Stück zurück ins Labor bis sie verschwunden war. Das Fenster wurde geschlossen und die Vorhänge eilig zugezogen.

Stille.

Der Direktor und die beiden Frauen sahen sich fragend an. Abwechselnd gingen ihre Blicke zum gegenüberliegenden Fenster, suchten auf dem Rasen nach dem eventuell noch einmal vorbeieilenden Hausmeister und schwirrten dann ratlos im Zimmer herum.

Frau Achwiegern hatte plötzlich eine Idee. Mit einem drohenden Lächeln und erhobenem Zeigefinger deutete sie an: Ich hab’s.

Sie griff zum internen Telefonverzeichnis, das auf dem Schreibtisch lag, und begann darin zu blättern.

„Hier müsste es doch gleich sein....“, nuschelte sie vor sich hin und ließ ihren Zeigefinger über die Seiten huschen, „... Spa...Spa...Spr...Spra... das ist er doch schon ... Sprachdochnix...“ Schon hatte sie den Hörer in der Hand, tippte die Nummer ein und lauschte.

„Wir rufen ihn einfach an“, flüsterte sie halblaut über die Schulter zu Frau Sagichdoch, „…da wird er uns ja wohl sagen können ob ihr Mann schon gegangen ist und was dieses ganze Theater soll.“

Könnwirnich trat erregt mit erhobenem Zeigefinger einen Schritt auf sie zu.

„Und sagen sie ihm, er soll gleich mal rüberkommen und erklären, was diese Fisimatenten zu bedeuten haben....“

Nickend trommelte sie noch einen Moment mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum und flötete plötzlich in den Hörer.

„Schön guten Tag Herr Sprachdochnix.... Sekretariat....Achwiegern... Herr Sprachdochnix, bei mir......Hallo....?....Herr Sprachdochnix, sind sie noch da...?“

Ihre Stirn furchte sich und einen kurzen Augenblick horchte sie in die Stille.

„Hmm…komisch.“ Sie nahm den Hörer vom Ohr schüttelte ihn und betrachtete sich die Sprechmuschel, als wenn es dort Herrn Sprachdochnix eventuell zu sehen gäbe. Anschließend kontrollierte sie noch einmal die Nummer im Verzeichnis und wählte erneut. Während sie auf die Verbindung wartete, guckte sie zum Direktor.

„Wir sind unterbrochen worden“, murmelte sie ihm mit einem ratlosen Lächeln zu.

Könnwirnich wendete sich kopfschüttelnd ab, um in sein Büro zurückzukehren. Man merkte ihm dabei aber doch die Erleichterung an, dass jemand das Heft der Handlung in die Hand genommen hatte. Bevor er die Tür hinter sich schloss bellte er ihr über die Schulter noch zu. „Und rüberkommen soll er...sooofort.“

Es dauerte diesmal viel länger, doch dann meldete sich Sprachdochnix wieder und beschwerte sich als erstes darüber, dass sie ja wohl gerade unterbrochen worden wären.

Er redete wie ein Wasserfall, dass man sich mal bei der Universitätsleitung über diese völlig veralteten technischen Einrichtungen beschweren sollte, dass es so nicht weiterginge und überhaupt. Frau Achwiegern hörte ungeduldig zu, nickte ab und zu bestätigend, was natürlich unsinnig war, weil es Sprachdochnix ja eh nicht sehen konnte. Urplötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper und sie bekam große Augen.

„Herr Sprachdochnix...?“, rief sie erstaunt, „...sind sie noch da...? ...hallo...“

Ratlos drehte sie sich mit dem Hörer in der Hand zu Frau Sagichdoch.

„Schon wieder unterbrochen......irgendetwas stimmt hier doch nicht.“

Frau Achwiegern betrachtete sich kritisch nacheinander Hörer, Kabel und den Apparat. Während Frau Sagichdoch nun erst recht besorgt vor sich hin nickte, versuchte es Frau Achwiegern erneut. Energisch hämmerte sie die Ziffern in die Tasten, stemmte ihre freie Hand in die Hüfte und warf den Kopf lauernd zurück. Man hörte sie tief einatmen, und schon war die Verbindung wieder da.

„Herr Sprachdochnix…“, wetterte sie jetzt in völlig verändertem Tonfall los, „… was ist denn nur los. Warum werden wir ständig unterbrochen....und wieso ist ihre Tür zum Labor verschlossen wenn sie noch arbeiten...außerdem ist Frau Sagichdoch hier bei mir im Büro und möchte ihren Mann abholen, der aber… ?“

Anscheinend war ihr Sprachdochnix am anderen Ende aber ins Wort gefallen, denn ihr üppiger Redeschwall endete abrupt. Aufmerksam hörte sie jetzt mit hochgezogenen Augenbrauen nur noch zu.

Nur ab und zu nickte sie oder ließ ein „Hmm“ oder „Soso“ hören. Dann legte sie auf. Ihr Tonfall war zum Ende immer braver geworden. Jetzt drehte sie sich nachdenklich zu Frau Sagichdoch und schien noch nicht recht zu wissen, ob sie Sprachdochnix glauben oder seine Aussagen für Hokuspokus halten sollte.

„Also Herr Sprachdochnix berichtet mir gerade…“, begann sie zweifelnd, „..dass ihr Mann nicht mehr da wäre…“

Frau Sagichdoch, die dazu neigte allzu schnell und allzu heftig in Panik zu verfallen, schien auch jetzt wieder kurz davor zu stehen ihre Fassung zu verlieren. Während sich ihre Augen auf fast Billardkugelgröße weiteten wurde ihre Atmung immer heftiger, wodurch sich auch ihre Stimmbänder bedrängt fühlten, die Worte schneller als üblich zu formen und an die Luft zu befördern.

„Nicht mehr da…?…was soll das heißen…?…wo sollte er denn sein…?“

Angesichts der besorgten Ehefrau konnte sich Frau Achwiegern nicht entscheiden ob sie eine spöttische, eine mitfühlende oder eine ratlose Miene aufsetzen sollte, und so verzog sich ihr Gesicht erst einmal zu einer seltsamen Grimasse als sie antwortete.

„Sprachdochnix sagt, dass das Telefon im Labor heute Morgen eine Störung hatte. Ihr Mann versuchte es zu reparieren und bekam dabei einen leichten Stromschlag. Daraufhin wollte er dann vorsichtshalber einen Arzt aufsuchen und hat das Labor verlassen...“

Beide Frauen sahen sich eine ganze Weile schweigend an.

„Aber warum hat er mich dann nicht angerufen“, rätselte Frau Sagichdoch, die sich wieder ein ganz klein wenig in den Griff bekommen hatte aber immer noch sehr besorgt erschien. Frau Achwiegern zog unwissend die Schultern hoch und provozierte damit die nächste Frage der verzweifelten Ehefrau. „Zu welchem Arzt ist er denn gegangen?“

„Das weiß Sprachdochnix auch nicht...behauptet er jedenfalls...“, antwortete die Sekretärin, in deren Miene ihre eigenen Zweifel jetzt aber doch immer deutlicher wurden und kaum noch zu verbergen waren..

„Und wieso ist überhaupt das Labor abgeschlossen...?“ hakte Frau Sagichdoch noch einmal nach, „…da stimmt doch irgendetwas nicht“.

„Angeblich stünde noch alles unter Strom…“, sagte Frau Achwiegern, die sich jetzt doch für einen spöttischem Tonfall entschieden hatte, „… und er will erst alle Gefahren beseitigen, damit nicht noch mehr passiert.“

„Und...das da...?“, fragte Frau Sagichdoch zögerlich und deutete zum Fenster, „...was sagt er dazu...?“

Die Sekretärin schüttelte mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf.

„Er tippt auf russische Spionage-Satelliten...“, sagte sie mit einem fast schon wieder belustigten Tonfall, „...deswegen hat er nun auch die Vorhänge zugezogen.“

*

Sprachdochnix saß an seinem Schreibtisch. Hektisch kritzelte er wilde Zahlenkolonnen auf einen Zettel und tippte auf seinem Taschenrechner herum. Nach einer ziemlich alten, vor Jahren mal im Universitäts-Keller gefundenen Maja-Formel, versuchte er gerade die Wahrscheinlichkeit auszurechnen, nach der es seinem Assistenten möglich wäre zurückzufinden. Mal erschien als Ergebnis achtundvierzig Prozent, dann zeigte das Rechnerdisplay blinkend mal wieder nur achtzehn Prozent an. Für die unterschiedlichen Ergebnisse konnte es drei Gründe geben. Entweder war er bei der Eingabe zu nervös, oder die Batterien waren fast leer. Vielleicht konnten die Majas aber auch nicht rechnen. Zwischendurch raufte er sich immer wieder verzweifelt die Haare und gab nach dem siebten Versuch endgültig auf. Nachdenklich ging er mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab.

„Ganz ruhig bleiben“, versuchte er sich murmelnd selbst zu beruhigen, „...ruhig bleiben und systematisch vorgehen.“

Am Fenster blieb er stehen, zog den Vorhang einen kleinen Spalt zur Seite und guckte auf den Innenhof hinaus. In Ruhe ließ er noch einmal alles Revue passieren. Er selber hatte sich ja eigentlich gar nichts vorzuwerfen. Was war denn schon passiert? Für das Universum selber war er ja so direkt doch gar nicht zuständig. Wenn er es sich so recht überlegte, hatte sich das ja wohl irgendwie selbst erschaffen. Wenn trotzdem noch einer schuldig sein sollte, dann ja wohl höchstens Sagichdochs Hinterkopf. Und das Teile des neuen Universums aus dem angelehnten Fenster entwichen waren, na wenn schon.

Blieb nur das Malheur mit seinem verschwundenen Assistenten. Und wenn dessen Frau nicht so aufdringlich wäre, hätte selbst das niemand bemerkt. Solche Trottel gab es doch wie Sand am Meer. Er erstarrte für einen Moment. Was war denn das?

Unten auf dem Rasen vor Sprachdochnix’ Fenster kam gerade wieder der flüchtende Hausmeister vorbei. Die Planeten kreisten immer noch ganz stabil in ihrer Umlaufbahn um seinen Kopf. Alle Leute die ihn so sahen, blieben stehen und guckten ihm staunend hinterher. Mit wehendem Kittel und wild rudernden Armen machte der aber auch einen recht interessanten Eindruck.

Sprachdochnix schauderte es, denn der Hausmeister sah sonst doch etwas anders aus. Dessen panische Flucht über den Rasen hing ja offensichtlich mit der Entwicklung und den Vorgängen hier oben bei ihm zusammen, und Sprachdochnix fühlte sich deshalb für den gerade stattfindenden Verzweifelungslauf des Hausmeisters doch ein kleines bisschen mitverantwortlich. Er öffnete das Fenster und lehnte sich so weit es ging hinaus.

„Herr Kennichschon...hier her...“, rief Sprachdochnix ihm zu und ruderte dabei wild mit den Armen, „...kommen sie rauf ...schnell...“

Der Hausmeister sah zu ihm auf und schien gleich begriffen zu haben. Er stoppte seinen Lauf, sah sich kurz zu allen Seiten um und verschwand im nächsten Eingang. Sprachdochnix ging zur Tür und lauschte in gebückter Haltung bis er die trappelnden Schritte auf dem Flur hörte. Dann schloss er auf, zog den Hausmeister blitzschnell herein und verriegelte die Tür wieder hastig.

„Setzen sie sich doch“, bot er dem völlig außer Atem geratenen Mann an. Noch immer prustend und keuchend, ließ der sich auch nicht lange bitten und sackte schnaubend auf einen Stuhl. Sprachdochnix beguckte sich fasziniert die kreisenden Planeten.

„Wo haben sie d a s denn her?“ fragte er scheinheilig. Dabei konnte er natürlich ganz sicher sein, dass der Hausmeister nicht wusste dass es sich um kleine Planeten handelte.

Herr Kennichschon neigte deprimiert den Kopf: „Ich weiß es nicht...ich habe nur etwas durch die Luft segeln sehen...und als ich hochgucke...Zack...“

Resigniert ließ er die kurz erhobenen Hände wieder auf seine Oberschenkel plumpsen.

Sprachdochnix ging grübelnd in gebückter Haltung einige male um den Hausmeister herum und hatte ernste Zweifel, ob da noch etwas zu machen sei. Hinter ihm blieb er stehen, zog eine Lupe aus der Tasche und betrachtete sich die Planeten genauer. Seltsame Gedanken gingen ihm dabei durch den Kopf. Deshalb richtete er sich wieder auf, trat einen Schritt zurück und betrachtete sich das Gesamtkunstwerk eindringlich. Wenn man mit so einem im Fernsehen auftreten könnte.

„Tut es eigentlich weh...?“, bohrte er in unverfänglichem Tonfall weiter, „...haben sie irgendwo Schmerzen...?“

Der Hausmeister überlegte kurz und schüttelte den Kopf. Das hätte er aber besser gelassen, denn die Planeten kamen dadurch ins Straucheln und drohten für einen Moment aus ihrer Umlaufbahn geschleudert zu werden. Zum Glück stabilisierten sie sich aber doch wieder bis auf die beiden kleinsten. Die tickten zwei, drei mal gegeneinander, wobei helle Funken sprühten. Erschreckt ruckte der Hausmeister mit dem Kopf, wodurch sich das Schauspiel noch einmal wiederholte.

Sprachdochnix legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.

„Ganz ruhig bleiben, Herr Kennichschon....“, sagte er mit leiser Stimme, „...alles wird gut...ganz ruhig.“

Das Telefon klingelte.

Schon wieder, dachte Sprachdochnix und guckte ärgerlich zwischen Apparat und Hausmeister hin und her. Dann wandte er sich von Kennichschon mit einem beruhigenden Klaps auf dessen Schulter ab und griff zum Hörer.

„Herr Sprachdochnix...“, kreischte ihm die Stimme von Frau Achwiegern erbarmungslos ins Ohr, „...was ist denn heute nur los. Frau Sagichdoch wüsste gern wo ihr Mann abgeblieben ist...vor unserem Fenster fliegen immer noch diese seltsamen Gegenstände herum, und der Direktor möchte sie sooofort sprechen. Könnten sie ...“

Sprachdochnix hielt den Hörer mit verzerrtem Gesicht und ausgestrecktem Arm weit von sich, dann klopfte er abwechselnd mit seinem Finger auf die Sprechmuschel oder fuhr mit dem Fingernagel knirschend darüber.

„Hallo...?...ist da jemand...?“, rief er in den Hörer, „...ich kann nichts hören... halloooo... so sagen sie doch was…“

Obwohl sich Frau Achwiegern nun noch viel lauter zu Wort meldete, setzte Sprachdochnix das Spiel fort. In kurzen Abständen ratschte er mit dem Fingernagel über die Sprechmuschel und imitierte dazu mit der Zunge schnalzende und knackende Störgeräusche. Zwischendurch rief er immer wieder mal: „Hallo...wer ist denn da...? So melden sie sich doch.“

Frau Achwiegern versuchte es noch eine ganze Weile, schien dann aber von der Störung überzeugt zu sein.

„Dann ist wohl wieder der Apparat kaputt.“ hörte Sprachdochnix sie schimpfen.

„Genau...“, rief er in den Hörer, „...ich habe jedenfalls nichts gehört.“

Er legte auf und drehte sich wieder zum Hausmeister. Der hatte inzwischen die dunkle Wolke in der Ecke des Zimmers entdeckt und betrachtete sie interessiert von seinem Stuhl aus. „Was ist denn das da überhaupt…? ...brennt da was…?“

Sprachdochnix tat so als wäre das das normalste der Welt und antwortete gelangweilt. „Och ... war nur so ein Experiment …ist ein neues Universum bei rausgekommen…“

Vielleicht hatte Kennichschon das Wort ja noch nie gehört oder eben nicht richtig verstanden, jedenfalls verzog er keine Miene und ließ sich nur ein ziemlich emotionsloses „Ach so“ entlocken.

Anscheinend kreisten seine Gedanken um etwas anderes. Er war jetzt aufgestanden und betrachtete sich vor dem Spiegel staunend seine neuen Weggefährten. Vorsichtig versuchte er immer wieder die seinen Kopf umkreisenden Planeten mit dem Finger zu berühren. Die ließen sich aber nicht beirren und zogen weiterhin wie von Geisterhand bewegt gleichmäßig und träge ihre Bahn.

„Was ist das nur...?“ fragte Kennichschon und suchte im Spiegel den Blickkontakt zu dem hinter ihm stehenden Sprachdochnix.

„Nun ja...ähh...“, räusperte der sich auch nicht ganz wohlfühlende Wissenschaftler, „...das ist vielleicht das...ähh, bisher noch nicht so bekannte Kennichschonsche Sonnensystem. Vier Planeten, die um... na ja...um etwas kreisen.“

„Um e t w a s kreisen...?“, empörte sich der Hausmeister, „…dieses E t w a s ist mein Kopf.“

Ärgerlich schnappte er nun mit tapsigen Bewegungen mitten zwischen die Planeten um ihnen den Garaus zu machen. Die dehnten sich aber nur zäh, wie durch eine klebrige Masse gehalten, glitschten ihm dann wieder zwischen den Fingern durch und zogen weiter ihre Bahn. Bevor Sprachdochnix eingreifen konnte, griff Kennichschon erneut, und diesmal kräftiger zu. Einen der Planeten hatte er erwischt und versuchte ihn mit aller Kraft nach vorn zu zerren. Die anderen drei kamen ins torkeln, kreisten aber weiter. Immer wenn sie an Kennichschons Hand vorbeikamen und diese berührten, zuckten kleine Blitze daraus hervor. Kennichschon zeterte wütend während seines Kampfes und heulte bei jedem Kontakt schauerlich auf.

Unermüdlich und mit aller Kraft zerrte er den Planeten in seiner Hand hin und her und schaffte es tatsächlich, ihn aus seiner geisterhaften Umlaufbahn herauszureißen. Triumphierend hielt er die schimmernde, etwa kirschgroße Kugel hoch über seinen Kopf. Der Planet dampfte und glühte immer heller. Bevor der Hausmeister aber reagieren konnte, hatte er sich schon Brandblasen an den Fingern eingehandelt. Kreischend ließ er die Kugel fallen, die nun vor ihm hinunter sauste und für einen Augenblick in der Brusttasche seines Kittels verschwand. Aber nur Sekunden später färbte sich die Tasche immer dunkler, bis zum Schluss ein Loch entstand, aus dessen Rand kleine Flammen züngelten. Die so wieder befreite Kugel sauste über Bauch und Hosenbein zu Boden. Dort platschte sie wie ein Tropfen Flüssigglas auf und zerteilte sich zu drei kleineren Kugeln. Die rollten in fast parallel verlaufenden Bahnen davon und hinterließen auf dem abgewetzten PVC-Belag, qualmende schwarze Spuren.

Kennichschon patschte mit bloßen Händen auf seine brennende Kitteltasche um den Brand zu löschen. Damit der Hausmeister nicht vollends abbrannte, hatte Sprachdochnix schon im nächsten Moment das nächstbeste Glas vom Tisch gegriffen und dem den Inhalt schwungvoll vor die Brust gekippt. Zischend erloschen die kleinen Flammen und Rauchwölkchen bildeten sich. Kennichschon atmete erleichtert auf und ließ sich wieder auf den Stuhl plumpsen. „Danke...“, stöhnte er dramatisch, „...sie haben mir das Leben gerettet...vorerst jedenfalls.“

Lauernd, aber auch mit einiger Resignation im Blick, schielte er zu den verbliebenen, im etwa Fünf-Sekunden-Takt an seiner Stirn vorbeiziehenden Planeten. In Anbetracht des gerade Erlebten wollte er wohl erst einmal nicht noch mehr Unheil anrichten und verzichtete auf weitere Attacken. Das war er auch dem Rest seines Kittels schuldig. Sprachdochnix dagegen beobachtete mit einer Mischung aus Faszination und Sorge, wie die kleinen Rauchwölkchen aufgestiegen waren, sich zusammengezogen und sich so um einen der drei verbliebenen Planeten verteilt hatten, dass sie ihn vollständig einhüllten.

Böses ahnend betrachtete er das Glas in seiner Hand. Mit welcher Flüssigkeit hatte er die Flammen eigentlich gerade erstickt? Hatte er dem jetzt verhüllten Planeten womöglich auch noch eine eigene Atmosphäre verschafft? War jetzt vielleicht sogar Leben darauf möglich?

Bevor er aber ganz ins Träumen kam, fielen ihm die drei entfleuchten Planetenteilchen wieder ein und sein Blick folgte den schwarzen Brandspuren, die direkt unter seinen Schreibtisch führten. Sprachdochnix legte sich flach auf den Boden, und sah, wie sich die kleinen Kugeln unter dem Schreibtisch in einem flimmernden Lichtschein drängten.

„Herr Kennichschon“, wandte er sich mit gepresster Stimme an den Hausmeister, „helfen sie mir doch mal die Bürschchen hier unter vorzutreiben, bevor uns noch das ganze Labor abbrennt.“

Der Hausmeister erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl. Jammernd betrachtete er sich seine Hände. Nachdem er sich die eine am glühenden Planeten verbrannt hatte, ereilte die andere beim Kittellöschen das gleiche Schicksal. Mit hängenden Schultern und anklagend erhobenen Händen tappte er zum Schreibtisch. Weil er den geschundenen Händen nicht noch mehr zumuten wollte, versuchte er sich wie ein segenerteilender Priester, mit erhobenen Händen und ohne sich abzustützen, neben Sprachdochnix auf die Knie nieder zu lassen. Schon halb in der Hocke, verlor er aber das Gleichgewicht und stolperte zu Boden. Mit seinem Kopf knallte er dabei frontal gegen den Schreibtisch, wobei blitzende bunte Funken und Rauchwölkchen aufstieben. Die verbliebenen Planeten die bei Kennichschons Sturz explodierten und abrupt aus ihrer Umlaufbahn gerissen wurden, prasselten in einem bunten Kometenhagel durchs Labor. In großen Sätzen hüpften die qualmenden Einzelteile wie Gummibälle über den Boden und verschwanden anschließend in den oberen Reihen von Sprachdochnix’ Bücherregal, das hinter seinem Schreibtisch stand. Fast im gleichen Moment kamen die drei glühenden Kugeln unter dem Schreibtisch vor, schienen sich wie Tiere auf der Flucht kurz zu orientieren und sausten dann den anderen hinterher.

Staunend starrte Sprachdochnix auf sein Regal. Dort wo die Zwergplaneten verschwanden, waren jetzt seine Bücher nur noch in schemenhaften Umrissen zu sehen. Stattdessen waren, so wie bei einem schlechten Aquarell, nur noch konturlose, ineinanderübergehende verwaschene Farbflächen zu sehen, in denen man die Buchrücken nur noch erahnen konnte. Allerdings schienen diese Flächen irgendwie lebendig zu sein. Sie bewegten sich wie ein Vorhang bei Zugluft leicht hin und her.

Sprachdochnix war aufgestanden und wollte sich die Sache gerade genauer ansehen, als ein Pfeil aus dem Bücherregal heraus knapp an seinem Kopf vorbeizischte und an der gegenüberliegenden Wand das Bild des Universitätsgründers traf. Klirrend zersprang das Glas und das Gründerbild sauste samt Scherben, Rahmen und Pfeil zu Boden.

Noch bevor Sprachdochnix sich auch nur wundern konnte, teilte sich die Aquarellfläche zwischen seinen Büchern wie ein Bühnenvorhang, und ein Indianer lugte daraus hervor.

Begleitet von unverständlichem Worten deutete er mit energischen Gesten auf den Pfeil. Zögerlich holte Sprachdochnix den und reichte ihn dem Indianer, der wartend wie in einem Fenster, aus dem Regal guckte. Er bedankte sich kurz nickend, und zog den Vorhang wieder zu. Mit offenem Mund am Boden liegend hatte der Hausmeister augenblicklich sein gerade angestimmtes Klagegeheul wieder eingestellt.