Wenn die Götter zocken - Reiner Nawrot - E-Book

Wenn die Götter zocken E-Book

reiner nawrot

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Beschreibung

Was wäre wenn die Götter auch nur ganz normale... na nicht Menschen, aber...na ja, eben Normale wären? Vielleicht hätten sie auch dunkle Seiten, wie etwa Spielsucht. Um welche Spiele könnte es sich dabei aber handeln und welche Einsätze würden sie wagen? Sind sie moralisch oder einfach auch nur profitorientiert? Würden sie mehr Rücksicht nehmen oder wären sie rücksichtsloser als wir? Das alles könnte uns eigentlich egal sein, wenn sie nicht manchmal über ihr Ziel hinausschießen und die Menschheit damit in Gefahr bringen würden. Herrgott hat nun bei einer Wette die Erde als Pfand gesetzt und Höhö, der Gott der Schadenfreude, steht kurz davor sie zu gewinnen. In diesem Fall hat er ziemlich Böses mit unserem Planeten vor, nämlich den gesamten Erdball zu vernichten. In diesem Augenblick, indem Sie das hier lesen, schweben Sie womöglich gerade in höchster Gefahr. Wer weiß. Lesen sie, solange sie noch lesen können.

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Seitenzahl: 325

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Reiner Nawrot

Wenn die Götter zocken

IMPRESSUM

Titel: Wenn die Götter zocken

Autor: Reiner Nawrot

Coverbild:©Reiner Nawrot

published by epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright

Noch am Abend, als er sich schlafen legte, hätte er nicht gedacht, dass er am nächsten Morgen vielleicht an einem völlig anderen Ort erwachen könnte. Er ging einfach davon aus, zu den sechsundneunzig Prozent zu gehören, die an gleicher Stelle erwachen, an der sie sich auch zur Ruhe gelegt hatten. Über die restlichen vier Prozent, die zu etwa gleichen Teilen auf Schlafwandler und Reisende im Schlafwagen entfallen, hatte er bisher immer nur gedacht: Selber schuld.

Umso größer war natürlich auch seine Verwunderung, als er erwachte und nichts mehr von seinem bekannten Umfeld zu sehen war. Zumal er auch „Scotty, beam me up“ weder gerufen noch gedacht hatte.

Zu sehen hätte es für ihn aber sowieso nichts gegeben, weil um ihn herum absolute Dunkelheit herrschte. Aber auch das wäre noch nicht mal das Merkwürdigste gewesen. Denn allein aufs Fühlen angewiesen, teilten ihm all seine Sinne ziemlich Kurioses mit: Bettzeug ist nicht mehr vorhanden und das Bett selbst …? Vielleicht hat es sich e t w a s entfernt, zumindest im Moment ist es nicht mehr anwesend. Und h i e r, wo wir uns momentan befinden, waren wir überhaupt noch n i e.

Aber worauf oder worin lag er dann? Wenn er genauer hinfühlte, wusste er nicht einmal, ob er stand oder lag, er fühlte sich einfach nur vorhanden. War er womöglich gestern Abend nach dem Einschlafen gestorben? Das soll ja manchmal fix gehen, hört man. Allerdings gab es im Himmel doch wohl Licht? Dass Sterbenden empfohlen wurde, neben der Letzten Ölung auch eine Taschenlampe mitzunehmen, hatte er jedenfalls noch nicht gehört. Oder sollte etwa …

Nicht dass er sich im Moment irgendwie unwohl gefühlt hätte, nein, nein. Es herrschte friedliche Ruhe und ihm war angenehm warm, aber wenn man nicht weiß, wo oben und unten ist und links, rechts, hinten und vorn nur noch Erinnerungen aus einer anderen Welt zu sein scheinen, schleichen sich einem doch unweigerlich komische Fragen ins Hirn, die hartnäckig nach einer Antwort suchen, wie zum Beispiel: Sollte ich mich vor der Dunkelheit eher fürchten oder noch mal für ein Viertelstündchen die Augen schließen? Hatte es einen Atomschlag gegeben oder habe ich nur vergessen die Stromrechnung zu bezahlen? In diesem Fall wäre doch aber immerhin das Bett noch da gewesen.

So wanderten ihm nun jedenfalls allerlei wilde Gedanken durch den Kopf, wobei er auch die eine Idee, nämlich erst einmal aufzustehen, gleich wieder verwarf, weil er ja nicht einmal wusste, ob er überhaupt l a g.

Mitten in diese Gedankenspiele hinein hörte er leises Kichern und Getuschel.

„Er ist wach …, jetzt können wir …"

An seiner Seite tauchten plötzlich aus dem alles beherrschenden dunklen Nichts drei spindeldürre Gestalten auf, die von einem matten Lichtschein umgeben waren. Es glimmerte um sie herum gerade so hell, dass sie zu erkennen waren und selber im Dunkeln etwas sehen konnten. In ihrem Aussehen erinnerten sie an aufgerollte, zu lange benutzte Flokati-Teppiche, aus denen unten zwei magere Vogelbeinchen und oben ebenso dünne Ärmchen herausstakten. In dem spärlichen Licht, das sie sicherlich noch seltsamer erscheinen ließ, als sie ohnehin schon aussahen, starrte er sie einen Moment an, schloss dann wieder schnell die Augen und versuchte sie zu ignorieren.

„Das hilft nichts …, du bist der Letzte“, hörte er eine kichernde Stimme.

Nur zu ganz schmalen Schlitzen öffnete er die Augen, in der Hoffnung, dass sich alles doch noch als Halluzination herausstellen würde. Kichernd und glucksend standen die drei Gestalten aber recht real da und nahmen ihm jegliche Illusion. An den oberen Enden der teppichähnlichen Wesen konnte er zwischen den grauen Zotteln runde, blinzelnde Augen und eine kleine Öffnung erkennen, die sich durch noch daran klebende Essensreste ohne weitere Erklärung als Futtereinwurfluke erkennen ließ.

„Der Letzte …? Wobei oder wovon?“, fragte er streng, nachdem er beschlossen hatte die Situation samt der Gestalten als real anzuerkennen.

Erst zweifelnd, dann aber immer staunender, lauschte er der Erklärung. Demnach spielten die Götter ein Spiel, in dem der Besitzer der Erde gerade arg ins Hintertreffen geraten war. Sein Kontrahent habe daraufhin, sozusagen als Strafzahlung oder Pfand, die Erde komprimiert, mit einem riesigen Staubsauger einkassiert und zwischengelagert. Auf den Schultern des letzten Erdenbürgers läge nun die schwere Bürde, den Vorgang rückgängig zu machen und damit die Welt vor ihrem schweren Los der Vernichtung zu retten. Bei Versagen verschwände die Erde unwiederbringlich, für immer mit allem Drum und Dran in der Versenkung der Zeit. Die Gestalten selber stellten sich als die drei Schemen vor, die den Kandidaten durch die Aufgaben begleiten und ihn bei Bedarf beraten würden.

„Also …“, endete ihr Vortrag, „gib dir Mühe und rette die Erde … Du bist die letzte Hoffnung deiner Welt.“

„Und wie soll ich das machen?“, fragte er zweifelnd.

„Du musst drei Fragen beantworten.“

„Drei Fragen …? Was sind das für Fragen …?“

Die Schemen bekamen einen heftigen Lachanfall, hüpften kichernd durcheinander und schlugen sich auf ihre dünnen Beinchen, als hätte er einen tollen Witz erzählt.

„Genau d a s ist ja auch schon die erste Frage …“, gackerte einer der Schemen, als er wieder bei Stimme war, „wie h e i ß e n die drei Fragen?“

Trotz seiner leichten Irritation machte er jetzt die gleichen Bewegungen wie jeden Morgen beim Aufstehen und bekam dadurch tatsächlich in dem trüben Nichts ein zwar nicht erkennbares, aber doch ziemlich stabiles Etwas unter die nackten Füße. Auch sein Hirn meldete umgehend an alle Zellen: Jau, wir stehen.

Argwöhnisch betrachtete er die feixenden Gestalten vor sich, die ihm aus der jetzigen Perspektive nun noch kleiner und verhutzelter erschienen. Auf eine rätselhafte Weise wirkten sie irgendwie schadenfroh und in seinem Hirn meldeten sich erhebliche Zweifel, ob sie ihm tatsächlich und unbedingt zum Erfolg verhelfen wollten oder nicht doch eher parteiisch waren. Wahrscheinlich würden sie auch ein Scheitern seiner Mission, und damit die Vernichtung der Erde, mit einem lächelnden Achselzucken quittieren. Da aber begann sich sein Ehrgeiz zu regen. Mit einem leichten Anflug von Stolz über seine Rolle als Auserwählter wendete er sich an die Schemen:

„Und warum gerade i c h …?“

Als hätte er gerade die Pointe eines noch viel tolleren Witzes erzählt, brachen sie erneut in prustendes Gelächter aus. Kichernd und glucksend präsentierten sie ihm die simple Erklärung: „Zufall …, purer Zufall, bild’dir bloß nix darauf ein.“

Ernüchtert, aber auch verärgert über ihr Verhalten, verschränkte er entschlossen die Arme vor der Brust und versuchte sich an einer Zusammenfassung.

„Na gut …, ich rette also die Welt und muss dazu drei Fragen beantworten. Die erste Frage lautet: Wie heißen die drei Fragen? … So weit richtig?“

Die Schemen nickten und wischten sich die Lachtränen aus den blitzenden Äuglein, während er tief Luft holte und zu einer Antwort ansetzte: „Dann sag ich mal …, die drei Fragen heißen: erste Frage, zweite Frage und dritte Frage.“

Schlagartig war das Lachen der Schemen verstummt. Wie ertappte Kinder standen sie da, tuschelten kurz miteinander, ließen ihn dabei aber auch nicht aus den Augen.

„Bravo, du hast die erste Frage richtig beantwortet“, beglückwünschte ihn einer, wobei seine Mimik und der Tonfall aber genau das Gegenteil ausdrückten.

„Aber nun wird es Zeit, dass du aufbrichst“, sagte der Nächste.

Plötzlich schienen sie es sehr eilig zu haben. Wie Zauberer im Varieté zogen sie aus der Dunkelheit eine bunte Hose, ein Kettenhemd, Schwert und Lanze und zu guter Letzt auch noch ein Pferd hervor. Damit sollte er sich auf den Weg machen, um unterwegs zu erfahren, worum es bei der zweiten Frage ging. Erst wollte Ernst sich weigern in diese alberne bunte Hose zu steigen. Die Schemen fragten ihn aber kichernd, ob er etwa in seinem augenblicklichen Zustand losreiten wollte. Als er an sich hinabsah, bekam er einen Heidenschreck. Im Sommer ging er nämlich immer ohne alles schlafen und da ihm außer seinem nackten Körper nichts weiter geblieben war, musste er wohl oder übel diesen bunten Fummel anziehen. Verschämt versuchte er noch schnell den Augenblick zu retten, indem er seine Oberschenkel eng zusammenpresste und die Hände so zufällig wie möglich davor baumeln ließ. Die Schemen grinsten zwar immer noch, machten jetzt aber einen etwas freundlicheren Eindruck und mühten sich, ihn zu beruhigen:

„Mach dir nichts draus, da haben wir schon weitaus Schlimmeres gesehen. Außerdem ist die Hose aus Götterfleece …, allererste Sahne.“

Auf seinen ratlosen Blick hin verzog einer der drei anerkennend seine Gesichtsfransen.

„Das ist ein ganz besonderer Stoff. Du wirst noch mal dankbar für die Hose sein.“

Um die peinliche Situation schnell zu beenden, schlüpfte er ohne weiteres Zaudern hurtig in Hose und Ritterkleidung und stieg auf das stoisch dastehende Pferd. Die Schemen nickten ihm aufmunternd zu und gaben dem Tier einen leichten Klaps. Gehorsam trabte es los, als hätte es nur darauf gewartet.

Aber was war das? Waren sie etwa durch einen Vorhang geschritten, ohne es zu merken? Plötzlich befanden sie sich nämlich in offenem Gelände und die drei Kleinen waren auch verschwunden. Obwohl er sich noch einmal zu allen Seiten umdrehte, war von der gerade noch alles beherrschenden Dunkelheit keine Spur mehr zu sehen. Er befand sich mitten in einer prärieähnlichen Landschaft und weit und breit war nichts mehr von kleinen schrulligen Teppich- oder anderen Wesen zu sehen. Weil aber das Pferd wie selbstverständlich gleichmütig weiter durch die offene Landschaft stapfte, nahm auch er die neue Lage so hin. Was blieb ihm auch?

Anfänglich sah er sich zwar noch interessiert nach Veränderungen um, doch schon bald machte sich Monotonie breit und ließ ihn immer mal wieder in Tagträumereien verfallen. Irgendwie wirkte die Landschaft auch künstlich und n a c h Stunden sah es so aus wie v o r Stunden. Nirgendwo war auch nur ein Hauch von Leben zu entdecken. So ging es weiter und weiter. Mal auf festen Wegen, mal über Wiesen und durch Wälder, bis der Boden morastiger wurde und Nebel aufzog. Aber auch davon ließ sich das Pferd nicht schrecken. Wie ein Uhrwerk setzte es einen Fuß vor den anderen und hielt unbeirrt den eingeschlagenen Kurs bei. Die Nebelschwaden rissen immer mal wieder auf, ließen am Horizont aber nichts Besonderes erkennen.

Das sumpfige Schmatzen bei jedem Schritt des Pferdes hatte dann irgendwann aufgehört und der Ritter stellte zufrieden fest, dass der Untergrund wieder fester geworden, und damit die Gefahr, womöglich noch zu versinken, gebannt war. Wie ein grüner Teppich breitete sich die Landschaft vor ihnen aus. Große, weiche Moos- und Grasflächen bedeckten jetzt den Boden zwischen vereinzelten Bäumen, die Sonne schien strahlend und alles sah schon etwas freundlicher aus.

„Pause …“

Mit gesenktem Kopf blieb das Pferd neben einem verwitterten Findling stehen. Erschreckt drehte sich der Ritter in alle Richtungen, konnte aber niemanden entdecken. Argwöhnisch beugte er sich anschließend langsam zum Pferdekopf vor.

„Warst d u das?“

Das Pferd drehte seinen Kopf leicht herum und sah ihn aus einem trägen braunen Auge an. Der Ritter erwiderte den Blick und meinte fast etwas Spöttisches in dem feuchten, dunklen Rund zu erkennen. Erst nachdem er auch das restliche lang gezogene, ausdruckslose Pferdegesicht sorgfältig nach einer Regung abgesucht, aber nicht den kleinsten Hinweis für seine Vermutung gefunden hatte, gab er auf und ließ sich aus dem Sattel fallen. Das Pferd schnaubte zufrieden und scharrte mit einem Huf auf dem Boden. Während es begann, an den saftigen Grasbüscheln zu knabbern, kramte der Ritter in den Satteltaschen nach Essbarem und fand zu seiner Überraschung lauter Leckereien. Auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an den Findling gelehnt, ließ er es sich ordentlich schmecken. Keinen Gedanken wollte er im Augenblick an die Frage verschwenden, wo er sich hier befand und wohin sein Weg ihn führen sollte. Wenn er die Verfilzten richtig verstanden hatte, stand er sowieso mit dem Rücken zur Wand und hatte gar keine andere Wahl, als alles, was kam, einfach so hinzunehmen.

Für den Moment zufrieden, schob er sich zum Schluss das letzte Stück Käse in den Mund und streckte sich anschließend seufzend im weichen Moos aus. So gesättigt, kam ihm die Lage auch schon wieder viel angenehmer vor. Mit gefalteten Händen über dem Bauch, schloss er die Augen, bereit zu einem Nickerchen. Morgen früh sieht vielleicht vieles schon wieder ganz anders aus, ging es ihm durch den Kopf. Eventuell erwache ich ja wieder in meinem Bett und vom Pferd und der zu rettenden Welt ist keine Rede mehr. Womöglich ist die Zeit nur mal kurz über eine kleine Delle gestolpert.

„He, he, was soll das?“, schreckte ihn eine schnarrende Stimme auf. Er fuhr hoch und erkannte die dürren Schemen. Sie standen um ihn herum und wirkten unwirsch.

„Du sollst doch die Welt retten und nicht im Moos faulenzen.“

„Aber ich war den ganzen Tag unterwegs …“, antwortete er jammernd, „bin müde und es wird sicher bald dunkel. Morgen kann’s ja von mir aus weitergehen.“

Einer der Schemen schnippte mit den Fingern und flüchtig, so wie ein Fotoblitz alles erhellt, erschien die Nacht und verdunkelte die Szene für einen winzigen Moment. Der Ritter sah sich irritiert um und guckte fragend die Schemen an, die ja scheinbar über alles Bescheid wussten. Die standen aber schon wieder kichernd da.

„Und schoooon ist ein neuer Tag angebrochen“, sagte einer mit gespielter Unschuld. Dabei verdrehte er die Augen und schielte nach oben, um damit wohl zu demonstrieren, dass es wieder hell und die Nacht tatsächlich schon vorbei wäre. Der Ritter tat empört und sortierte im Kopf noch Einwände gegen die unterschlagene Nacht, als die Schemen ungeduldig näher kamen und ihn freundschaftlich anschoben.

„Los, komm schon …“, bedrängten sie ihn eher kumpelhaft, „alles wartet auf dich. So lange, bis du ausgeschlafen hast, will keiner warten.“

Der Ritter ließ sich auf die Beine stellen, verharrte dann aber reglos auf der Stelle. Die letzten Worte hallten ihm noch im Kopf nach. Außer den Schemen war doch hier überhaupt niemand zu sehen.

„W e r wartet auf mich?“, fragte er in einem Ton, der deutlich machte: Ohne vernünftige Antwort werde ich keinen Schritt weitergehen.

Die Schemen schienen diese Art Begriffsstutzigkeit jedoch absolut nicht verstehen zu können und verdrehten die Augen. Einer kam einen Schritt auf ihn zu und setzte, so wie man begriffsstutzigen Mitmenschen genervt etwas zum hundertsten Mal wiederholt, zu einer Erklärung an:

„Wir haben dir doch vorhin schon gesagt …, die Götter spielen ein Spiel. D e i n e Erde ist schon so gut wie verspielt und dein Gott hat d i c h jetzt als letzten Joker eingesetzt. Alles guckt auf dich, ob du die Welt retten kannst oder ob sie für immer und alle Zeiten verloren geht.“

Noch immer bockig wie ein Kind, stand er wie angewurzelt auf der Stelle und sah sich nach möglichen Neugierigen um, die ihm angeblich in diesem Moment zusahen. Kopfschüttelnd registrierten das die drei Schemen. Der fusselige Redner fasste ihm jetzt freundschaftlich auf die Schulter.

„Myriaden von Zuschauern im gesamten Universum sehen zu … und eben die Götter. Alle warten gespannt darauf, was du machen wirst und wie es weitergeht. Meinst du, die haben Lust, dir stundenlang beim Schlafen zuzusehen, gerade jetzt, wo das Spiel fast zu Ende ist …?“

„Die wollen Action …!“, unterstützte der Nächste diese Erklärung, indem er sein geballtes, fast walnussgroßes Fäustchen in die Luft stieß.

Sie beobachteten ihn lauernd und auf seine Einsicht hoffend,, mussten aber nach einem Augenblick enttäuscht feststellen, dass auch diese mit Nachdruck vorgetragenen Argumente ohne Wirkung blieben. Der Ritter schien sich nicht entscheiden zu können. Er atmete ganz tief ein und die Schemen hingen wie gebannt an seinen Lippen. Bahnte sich jetzt eine Entscheidung an?

Sekundenlang hielt er die Luft an …

… um sie dann wieder genauso langsam herauszulassen und weiter zu schweigen. Die Schemen schüttelten enttäuscht den Kopf. Der Ritter spürte, wie die Situation zu entgleisen drohte, wollte aber trotzdem noch nicht nachgeben und diesen Plagegeistern zeigen, dass er auch nicht alles mit sich machen ließ. Um wohl noch einmal alle Optionen zu überprüfen, fragte er zögerlich:

„Und wenn ich nicht will …?“

Die Schemen ließen ihre Ärmchen nach unten sinken und ordneten ihre verfilzten Flokati-Locken im Gesicht so an, dass sich eine gelangweilte Na-bitte-schön-wirst-ja-schon-sehen-was-du-davon-hast-Miene bildete.

„Dann ist deine Erde eben für immer futsch … und dein enttäuschter Gott wird wohl seinen Joker, der so elendig versagt hat, in irgendeine nette, kleine Hölle verkaufen, schätz ich mal …“, sagte einer der Schemen jetzt so gleichgültig wie möglich.

Der Ritter schwieg noch immer eisern. Eigentlich war die Entscheidung natürlich schon gefallen, sagte er sich. Wenn er aus dieser albernen bunten Hose wieder heraus wollte, zurück in sein Bett, sein Haus, ja, seine Welt, dann m u s s t e er machen, was ihm diese mottenzerfressenen Lachsäcke aufgetragen hatten. Aber um sein Gesicht zu wahren und die ganze Angelegenheit so aussehen zu lassen, als habe er sich selber dazu entschlossen, verordnete er sich noch eine Minute Schweigen. Unruhig gingen die Schemen vor ihm auf und ab und konnten nicht begreifen, was es denn in solch einer Situation noch lange zu überlegen gab. Doch endlich stülpte sich der Ritter den Helm wieder über und drehte sich zum Pferd.

„Na gut …“, sagte er mürrisch, „wenn ich aber nachher zu müde und für weitere Aufgaben nicht fit genug bin, jammert mir nicht die Ohren voll.“

Die Schemen wirkten schlagartig erleichtert und atmeten hörbar aus. Bevor er das Pferd aber wieder bestieg, guckte er noch einmal zum Himmel hinauf und rief aus Leibeskräften in die leere Luft hinein: „Ich habe euch jedenfalls gewarnt und Wetten würde ich auf mich nicht abschließen!“

Wie schon einmal, bekam das Pferd auch jetzt wieder von einem der Schemen einen Klaps und machte sich brav mit seinem unzufriedenen Reiter auf den Weg. Der gleichmäßige Gang wiegte den Ritter schon bald wieder sanft hin und her und mit geschlossenen Augen hoffte er zumindest jetzt auf ein kurzes Nickerchen. Sachte ging ihm der Wind um die Nase und er genoss die Stille. Zuerst hatte er noch die Schritte des Pferdes gezählt, gab es aber irgendwann auf, weil er immer wieder aus dem Rhythmus kam und ständig von vorn beginnen musste. So döste er nur noch vor sich hin und konnte deshalb auch nicht sagen, ob er träumte, als er leisen Gesang hörte.

„… mei Daaling …, oh mei Daaaaling, Kerrolein …“, krabbelte ihm der Gesang ins Ohr.

Er zwinkerte mit den Augen, konnte den schrägen Singsang aber noch immer in gleicher Lautstärke hören. Wohin er sich auch umsah, es war niemand zu sehen. Vorsichtig beugte er sich deshalb seitlich nach vorn und siehe da, die Lippen des Pferdes bewegten sich eindeutig. Wütend presste er mehrmals die Schenkel zusammen.

„Heja Pferd …, kannst du etwa singen …?“

Das Pferd zuckte zusammen, als wäre es aus einem Sekundenschlaf aufgeschreckt. Es schnaubte laut und warf mit flatternder Mähne den Kopf erschrocken in den Nacken, sodass das Zaumzeug klirrte. Der Gesang war im gleichen Moment verstummt. Ein weiteres Mal presste er die Schenkel zusammen und riss unwirsch am Zügel.

„Antworte, wenn man dich fragt!“

Das Pferd schnaubte zwar noch einmal, ging dann aber unbeteiligt in gleichmäßigem Schritt weiter. Verärgert schüttelte er den Kopf und schimpfte leise vor sich hin. Da sollte er nun für Gottes fast verlorenes Spiel die Kohlen aus dem Feuer holen und sie behandelten ihn wie einen lästigen Statisten. Langsam hatte er die Nase nämlich voll. Was wäre denn schon, wenn er alles verweigern würde? Dann wäre er tot, na und? Scheinbar ging ja hinter den Kulissen noch ein ganz anderes Spiel ab, als dieses angeblich einzigartige Leben. Und das alles mit Gottes Hilfe. Konnte der ihn denn hier nicht wenigstens ein kleines bisschen unterstützen?

Ärgerlich legte er den Kopf in den Nacken und suchte den Himmel nach irgendeinem verräterischen Hinweis ab. Wohin er aber auch sah, alles sah auf den ersten Blick nach realer Welt aus. Andererseits war ihm immer noch bewusst, wie er hierhergekommen war, und das war alles andere als real. Irgendwie fühlte er sich wie auf eine Bühne geschoben und tatsächlich von unsichtbaren Zuschauern beobachtet. Womöglich hatten sie noch Wetten auf ihn abgeschlossen, wie auf der Rennbahn. Vielleicht plärrte gerade in diesem Moment, nur für ihn nicht zu hören, irgendwo reißerisch der Stadionlautsprecher durchs Universum: „Der Kandidat nähert sich nun langsam dem Ziel … Machen Sie ihren Einsatz j e t z t ..., in wenigen Augenblicken schließen unsere Wettschalter und das spannende Finale beginnt.“

Solche Überlegungen ließen ihn immer ärgerlicher werden. Als er sich so seiner Ohnmacht den anderen gegenüber immer bewusster wurde, reckte er die Faust zum Himmel und drohte wütend ins Blaue hinein.

„Ihr Feiglinge …, zeigt euch doch mal …!“, brüllte er unvermittelt los. „Die schöne Erde zu verzocken und ich soll alles geradebiegen!“

„Pssscht …, schrei doch nicht so.“

Neben dem Pferd ging plötzlich einer der Schemen her und wedelte beschwichtigend mit den Ärmchen. Der Ritter schenkte ihm nur einen verächtlichen Blick. Aufrecht sitzend, guckte er stur geradeaus und überlegte, welche Verwünschungen er wohl noch gen Himmel schicken konnte. Anscheinend hatte sein Geschrei ja durchaus Wirkung gezeigt.

„Was soll dieser Quatsch überhaupt …?“, schnauzte er los, ohne den Schemen dabei anzusehen. „Ein sprechendes Pferd, das aber nicht antwortet, wenn man ihm eine Frage stellt …, Aufgaben, die zu lösen sind, die man aber nicht kennt …, und dieses elend lange Herumgereite, ohne dem Ziel näherzukommen … Ich habe keine Lust mehr!“

Die letzten Worte hatte er ärgerlich und lauter ausgestoßen und damit den Schemen wieder nervöser werden lassen. Noch heftiger mit den Armen wedelnd, versuchte der den Ritter zu beschwichtigen:

„Schon gut …, reg dich doch nicht so auf …, ist doch nur ein Spiel.“

Der Ritter sah ärgerlich zu dem neben ihm her wieselnden Schemen, der offensichtlich darauf bedacht war, die Situation nicht eskalieren zu lassen und ihn zu beruhigen.

„Du bist wohl dafür zuständig, dass euer Spielchen so funktioniert, wie ihr es möchtet, he?“, fragte der Ritter mit einem spöttischen Seitenblick.

Der Schemen gab sich aber ganz diplomatisch und versuchte herumeiernd auch weiterhin beim Allgemeinen zu bleiben: „Irgendwie ist doch immer j e d e r Beteiligte dafür zuständig, dass alles funktioniert …, das ist doch bei jedem Spiel so.“

Geräuschvoll atmete der Ritter so tief ein, dass die Glieder seines Kettenhemdes ächzten, und er schien vor einem neuerlichen Wutausbruch zu stehen.

„Erstens habe ich mir nicht ausgesucht, an diesem komischen … S p i e l … teilzunehmen, und zweitens ist es für mich kein Spiel.“

Er wollte sich am Kopf kratzen, hatte aber vergessen, dass er ja einen Helm trug, und so kratzten seine Fingernägel hässlich quietschend über das blanke Metall. Erschrocken und angewidert über das grausige Geräusch schüttelte er die Finger aus und wurde wieder bedächtiger im Ton.

„Wenn alles so stimmt, wie du es sagst, geht es um nicht weniger als mein Leben.“

Zufrieden registrierte der Schemen die neue Nachdenklichkeit und antwortete mit keckernder Stimme: „Eben deshalb solltest du dich auch anstrengen.“

„Aber wie denn oder wobei …?“, gab sich der Ritter aufbrausend. „Ich sitz hier auf diesem blöden Pferd und bin scheinbar der Einzige, der nicht weiß, worum es geht!“

Das Pferd kam nur kurz aus dem Tritt und schnaubte einmal mehr auf. Ob der Schemen tatsächlich langsam Mitleid bekam, war nicht genau auszumachen. Auf alle Fälle sah er sich verschwörerisch nach allen Seiten um, als müsste er sich erst vergewissern, dass auch wirklich keine unbefugten Ohren in der Nähe waren.

„Also gut, ich werde dir ein bisschen helfen“, sagte er mit gedämpfter Stimme. Er schnippte mehrmals mit seinen spindeldürren Fingern und die Geräusche hörten sich plötzlich an, als würde ein Film im Schnelldurchlauf abgespult. Während der Ritter sich noch über die piepsend quiekenden Geräusche wunderte, sauste auch schon die Landschaft wie im Flug an ihnen vorbei und ließ am Horizont die Umrisse von einem Schloss auftauchen, auf das sie nun geradewegs zusteuerten. Doch weil der Schemen anscheinend nur den Ritter und sich selber in den Beschleunigungsprozess einbezogen und das Pferd vergessen hatte, wäre es beinahe zurückgeblieben. Zum Glück erkennen Pferde Gefahren aber ziemlich schnell. Fix hatte es nämlich alle vier Beine angezogen und die Landschaft einfach unter sich hinwegsausen lassen. Allerdings widmete es dem Schemen noch einen vorwurfsvollen Blick und erntete dafür von ihm wenigstens eine entschuldigende Geste.

Wegen des rasanten Tempos jedoch immer besorgter, nahm der Ritter derweil das rasend schneller auf sie zu kommende Schloss in den Blick und befürchtete fast, frontal damit zu kollidieren. Als er schon ernsthaft in Erwägung zog, sich zur Seite zu werfen, um so dem Unglück zu entgehen, schnippte der Schemen noch einmal und der Spuk war vorbei. Gerade noch rechtzeitig hatten Schloss und Landschaft vor ihnen angehalten, sodass Pferd, Reiter und Schemen nun einen knappen Steinwurf vor den Schlossmauern standen. Direkt am Fuße der dicken Mauer herrschte mittelalterliches Markttreiben. Zwischen bunten Buden sortierten Marktfrauen ihre Waren. Bauern boten am Rande quiekende Schweine und blökende Schafe an und auf den staubigen Wegen tollten Kinder und bellende Hunde herum. Trotz ihres plötzlichen Erscheinens schien sich aber niemand über die kleine Reisegruppe wirklich zu wundern. Der Ritter sah fragend den Schemen an. „Und … was nun?“

„Na du wolltest doch nicht mehr so lange reiten …“, erklärte der, „nun bist du schon mal hier und kannst dich ganz auf deine Aufgaben konzentrieren.“

Der Ritter verdrehte ungehalten die Augen.

„Die Aufgaben …? Welche Aufgaben denn? Muss man dir alles scheibchenweise aus der Nase ziehen? Erzähl doch einfach mal, worum es geht.“

„Oh, das wirst du gleich erfahren“, sagte der Schemen etwas zu hastig und deutete zur Seite. Der Ritter drehte seinen Kopf in die angezeigte Richtung und sah einen seltsam gekleideten Mann auf sich zu kommen. Auf den ersten Blick sah es allerdings eher so aus, als würde sich ein bodenlanger, dunkler Umhang nähern. Außer dem oben aus dem Kragen ragenden Kopf, auf dessen grauen, schulterlangen Haaren ein schwarzer Spitzhut thronte, war nämlich nichts von einem Mann zu sehen. Auf den zweiten Blick wirkte die Erscheinung aber eigentlich genauso, wie der Ritter sich als Kind immer einen ordentlichen Zauberer vorgestellt hatte. Die weiten Ärmel, in denen die Arme nur zu erahnen waren, hatte er vor der Brust gekreuzt und in einem Köcher an seiner Seite steckten mehrere glitzernde Zauberstäbe.

Vor dem Pferd blieb er stehen und beäugte beide mit hochmütigem Blick. An der Reaktion des Schemens wollte der Ritter ablesen, ob das Erscheinen dieser Gestalt so geplant und in Ordnung war oder ob es Grund zur Sorge gab. So weit er seinen Kopf aber auch drehte, vom Schemen war nichts mehr zu sehen. Was hatte denn das nun wieder zu bedeuten? War der womöglich geflohen, um von dem Schwarzen nicht gesehen zu werden? Auf alle Fälle trug das hastige Verschwinden nicht zur Beruhigung bei. Und erst recht nicht der Tonfall des Schwarzen, als der plötzlich loszumeckern begann:

„Fremdling, du hast dir viel Zeit gelassen …“

Mit stechendem Blick sah ihn der schwarze Mann an. Seine Stimme klang fest und selbstbewusst und hatte etwas drohend Lauerndes. Der Ritter schwankte zwischen Vorsicht, weil er nicht wusste, wen er vor sich hatte, Wut, weil anscheinend alle außer ihm wussten, worum es hier ging, und Zuversicht, weil alle grauhaarigen Männer in langen schwarzen Umhängen, die er kannte, ständig von Nächstenliebe und Frieden predigten. Als der Schwarze allerdings noch nachschickte, er wäre sein Gegenspieler, und ihn weiterhin mit eisigem Blick bedachte, neigte sich des Ritters schwankende Stimmung doch eher der Vorsicht zu.

„Wie …? Was …? Gegenspieler?“, versuchte er so bestimmt wie möglich seine Unsicherheit zu überspielen. „Wer bist du denn? Hast du keinen Namen?“

Der schwarze Mann atmete empört ein und Zornesröte stieg ihm ins blasse Gesicht. Die Augen drohten, Funken zu sprühen.

„Wer ich b i n?“, grollte er mit drohend geschwellter Brust. „Du kennst den größten Magier nicht …? Den Lenker allen Wirrwarrs …, die Mutter aller … äh … den Vater aller Ungereimtheiten, und wagst es trotzdem ihn herauszufordern?“

Die Stimmung des Ritters änderte sich noch einmal und pendelte jetzt doch mehr in Richtung Wut. Obwohl er sich Mühe gab und auch dem Magier eigentlich nichts Böses wollte, beschleunigte sich sein Puls merklich. Zornbebend und die Stimmung seines Gegenübers ignorierend, trat der Schwarze aber schon einen Schritt näher und unterstützte seine Schimpftiraden jetzt auch noch mit erhobenen Armen. Vorn aus den flatternden Ärmeln ragten zappelnd die knöchernen Finger.

„Würmling …, im Staub will ich dich zertreten!“

Verärgert hob der Ritter die Hand, als wolle er den Redner beschwichtigen, und sprang vom Pferd. „Das reicht jetzt aber.“

Doch der schwarze Wüterich zeterte unverdrossen weiter und trug so unbewusst dazu bei, die Stimmung des Ritters endgültig in die eingeschlagene Richtung zu treiben. Neben seinem Pferd stehend, zerrte er unbeherrscht das protzige Schwert, das ihm bisher nur lästig an der Seite gebaumelt hatte, aus der Scheide und hüpfte einen Schritt auf den Magier zu. Mit beiden Händen den Griff umschlungen, riss er das Schwert in die Höhe und ließ es im nächsten Moment mit voller Wucht dicht vor dem Magier niedersausen. Zischend erschrak sich die so plötzlich durchschnittene Luft. Weil er das Schwert fast bis zur Hälfte in den Boden gerammt hatte, zitterte der Griff über der funkelnden Klinge direkt vor den Füßen des erschrockenen Magiers. Als hätte ihm das Schwert auch seinen letzten Satz zerschnitten, war er schlagartig verstummt. Entsetzt ließ er seine Blicke zwischen seinem Kontrahenten und der vor ihm steckenden bedrohlichen Waffe hin und her wandern. Noch zweifelnd, ob er zornig weiter drohen oder aber das Schwert als überzeugendes Argument seines Gegenübers akzeptieren sollte, trat der Magier einen Schritt zurück und stellte sich wieder mit vor der Brust verschränkten Armen und herausforderndem Blick kerzengerade auf. Hatte er gehofft, damit den Ritter beeindrucken zu können, war er einem Trugschluss erlegen.

Von unbändiger Wut getrieben, ging der nämlich auf den Magier zu, packte ihn kurzerhand am Kragen und würgte ihn. Mit einer Hand umklammerte er den dünnen Hals mühelos und schüttelte den schlappen Mann wie eine Handpuppe hin und her. Als er keine Gegenwehr spürte, zog er sich den Magier fast bis an die Nasenspitze heran und polterte los:

„Wer bist du und was willst du von mir?!“

„Mrrrcchtt … trrrccchht … krrch trchttt ...“, antwortete der so Gewürgte.

„Kannst du nicht deutlich sprechen?“, fauchte der Ritter und traktierte ihn dermaßen, dass dessen Kopf von einer Schulter zur anderen flog. Aber trotz aller Schüttelei wurde der Schwarze nicht deutlicher. Erst als der Ritter die immer weiter hervorquellenden Augen und die mittlerweile recht dunkelrote Gesichtsfarbe des Magiers sah, lockerte er den Klammergriff und schob den Keuchenden angewidert von sich. Der strauchelte und landete auf allen vieren. Hechelnd saß er auf dem staubigen Boden, rieb sich seinen geschundenen faltigen Hals und blickte verwirrt umher, als könne er gar nicht glauben, was gerade passiert war. Der Ritter, immer noch in Rage, trat einen Schritt auf ihn zu. Leicht vorgebeugt, als hätte er einen Schwerhörigen vor sich, setzte er seine Befragung fort: „Also … was willst du von mir?“

Ein bösartiges Lächeln zog nun aber schon wieder über das Gesicht des Magiers, während er sich erhob.

„Einen Zauberer sollte man niemals unterschätzen … und angreifen schon gar nicht. In der Regel haben die Leute Angst vor mir und i c h bestimme den Ablauf.“

„In der Regel ... vielleicht“, schnaubte der Ritter und klatschte dem Magier blitzschnell mit der flachen Hand auf den Hut, wodurch der hohe Spitzhut plötzlich nur noch wie eine flache Baskenmütze aussah. Geschockt und verärgert darüber, dass sich dieser komische Gegner überhaupt nicht beeindrucken ließ, griff der Magier zu seinem letzten Mittel. Urplötzlich war er verschwunden und von dem Platz, an dem er gerade noch gestanden hatte, zischte eine dunkle Rauchfontäne in die Höhe. Entsetzt stolperte der Ritter vor der brodelnden Wolke einige Schritte zurück, aus der ein böses und höhnisches Lachen drang. Oben heraus ragte jetzt der von dunklen Wolkenfetzen umwehte Kopf des Magiers, in dessen Gesicht sich wilde Entschlossenheit spiegelte.

„Ich habe dich gewarnt …“, zürnte der mit drohender Stimme, „nun wirst du deine gerechte Strafe erhalten. Zur Hölle mit dir!“

Von einem schauderhaften Lachen begleitet, schossen aus der Wolke brennende Pfeile auf den Ritter herab. Der wehrte sich verzweifelt und versuchte so gut es ging auszuweichen. Jetzt war er froh, dass er Helm und Kettenhemd trug, an denen die meisten Feuerpfeile abprallten. Wohin er sich aber auch wendete, die Wolke folgte ihm und versuchte ihn sogar einzuhüllen.

„He Zauberer, was soll das? Hör auf damit!“

Einer der Schemen hüpfte plötzlich aufgeregt zwischen dem Ritter und der furchterregenden Wolke herum und versuchte mit erhobenen Ärmchen den Magier zu beruhigen. Der war aber nicht zu beeindrucken, wütete nur noch schlimmer und ließ weiter Feuer regnen.

„Ich wärrrde diesen elenden, frechen Wicht värrrrnichten!“, schnarrte seine wütende Stimme aus der Wolke.

„Aber doch j e t z t noch nicht …“, rief der Schemen verzweifelt, „erst, wenn er die Frage nicht beantworten kann. Du musst dich schon an die Regeln halten.“

Empört hatte der Ritter die letzten Worte aufgenommen. So war das also, als Kanonenfutter sollte er dienen, wie der Stier in der Arena, von vornherein zum Opfer auserkoren. Das stachelte seine Wut nur weiter an.

Noch immer versuchte der Schemen den Magier zu beruhigen, indem er in die Wolke grapschte, um sie festzuhalten, aber natürlich nur ins Leere griff. Zu allem entschlossen, bückte sich der Ritter nun nach dem Schwert. Mit aller Kraft musste er am Griff reißen, um die Klinge überhaupt wieder aus dem Boden zu ziehen. Sowie er das Schwert aber frei hatte, hieb er, ohne weiter zu überlegen, mal links, mal rechts in die Wolke hinein. Wuchtig führte er das Schwert mit beiden Händen und wäre ihm ein Baum dazwischengeraten, hätte er den wohl mit einem Schlag gefällt. Der Schemen war jedenfalls sofort zur Seite gesprungen, als er die bedrohliche Klinge durch die Luft sausen sah. Reglos wurde er Zeuge, wie zuerst der Feuerregen versiegte und dann die Wolke immer kleiner wurde. Ein letztes Stöhnen entwich ihr, dann verschwand sie leise zischend, ohne dass irgendetwas davon übrig geblieben wäre. Keuchend stand der Ritter da. Die schwere Waffe hatte seine ganze Kraft gefordert und Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Trotz alledem sah er zufrieden aus.

„Da hat er sich aber den Falschen ausgesucht.“

Der Schemen machte einen besorgten Eindruck. „Jetzt hast du alles durcheinandergebracht. Der Magier hätte dir die zweite Frage stellen sollen …, und jetzt?“

„Und jetzt … und jetzt. Warum denkt ihr euch auch so blöde Spiele aus?“, gab der Ritter aufgebracht zurück. Als wäre ihm gerade wieder etwas eingefallen, wurde sein Blick noch strenger und er umklammerte den Griff des Schwertes fester.

„Du wusstest ja wohl vorher Bescheid, was mich hier erwartet, tust aber wie die reine Unschuld.“

Der Schemen fühlte sich unwohl. „So wie es jetzt passiert ist, war es auch nicht abgesprochen. Eigentlich sollte er dir nur die zweite Frage stellen. Du hättest vielleicht nicht gleich … na ja … so aggressiv reagieren sollen.“

Der Ritter schob das Schwert betont langsam in die Scheide zurück und gab sich bockig:

„Wer hat denn mit dem Feuer angefangen? I c h habe mich nur gewehrt.“

So, wie wohl ein Flokati-Teppich gucken würde, der von einer heruntergefallenen brennenden Zigarette oder einem kippenden Glas Rotwein bedroht wird, so guckte jetzt auch der Schemen: sehr, sehr sorgenvoll.

Dann ging er aber auf den Ritter zu und streckte ihm sein dünnes Ärmchen entgegen.

„Wir sollten vielleicht vertrauensvoller zusammenarbeiten, ich heiße Ernst.“

Erst überrascht, dann aber doch zur Versöhnung bereit, ergriff der Ritter die kleine dreifingrige Schemenhand, die ihn stark an einen Vogelfuß erinnerte. Vorsichtig schüttelte er das dürre, zerbrechlich wirkende Händchen. „Dann sind wir ja Namensvetter.“

Fast schon wieder versöhnt und mit einem angedeuteten, ziemlich übermütigen Diener stellte er sich vor:

„Ebenfalls Ernst.“

Der Schemen erstarrte auf der Stelle und verharrte in seiner Stellung. Erschrocken ließ der Ritter daraufhin die kleine Schemenhand los, die steif nachwippend in der Luft hängen blieb. Ungläubig betrachtete er den Kleinen und tippte ihn vorsichtig mit dem Finger an. Nichts, der stand wie eine Skulptur da und rührte sich nicht mehr. Ritter Ernst grübelte, was mit Schemen Ernst wohl so plötzlich passiert sein könnte.

„Hast du dich so erschreckt …?“, fragte er mitfühlend und stupste ihn noch einmal an, „oder habe ich zu kräftig geschüttelt?“

Schemen Ernst reagierte aber nicht mehr. Mit eingefrorener Miene und weiterhin ausgestreckter Hand blieb er starr stehen, wo er war.

*

Im Spielraum waren nur Götter zugelassen, die aktiv am gerade laufenden Spiel beteiligt waren. Alle anderen konnten nebenan in gemütlicher Atmosphäre oder draußen in der Arena die Liveübertragung verfolgen. Ins gesamte Universum wurde das Ereignis durch extrem schnelle Verbindungen übertragen, die durch einen simplen Trick, der hier aber aus patentrechtlichen Gründen nicht verraten werden soll, frei wählbar sieben- bis einundzwanzigfache Lichtgeschwindigkeit erreichten.

Ein Nebeneffekt war allerdings, dass es bei sehr kurzen Entfernungen und gleichzeitig zu hoher Übertragungsgeschwindigkeit zu ziemlich paradoxen Vorgängen kam. Durch Überschneidungen verschiedener Geschwindigkeiten konnten die Empfänger dann das Geschehen sehen, bevor es überhaupt geschehen war. Und durch noch viel schnellere Audio-Verbindungen, die etwa dreißigfache Lichtgeschwindigkeit erreichten, konnten dann zum Beispiel Zuschauer per Telefon den Beteiligten des Spiels berichten, was sie gleich machen würden. Wenn die nun aber von den Folgen ihrer Handlungen hörten, diese für zu gefährlich hielten oder persönliche Nachteile befürchteten und daraufhin alles abbrachen und ungeschehen machen wollten, traten starke elektromagnetische Feldüberlagerungen auf, die wiederum Auswirkungen auf weite Teile des Universums hatten.

Auch in diesem Fall waren die am Spiel beteiligten Götter vorher durch einen Anrufer davor gewarnt worden, dass das Spiel eine tragische Wendung nähme. Und obwohl sie noch rechtzeitig hätten eingreifen können, hatten sie die Lage wohl nicht so dramatisch eingeschätzt und das Spiel mit einer Mischung aus Neugier und Ignoranz weiterlaufen lassen. Als sie dann aber mit ansehen mussten, wie der Magier vernichtet wurde, waren sie mehr als überrascht und erst mal ratlos. Das hatten sie dem Ritter absolut nicht zugetraut. Weil sie sich nun über den weiteren Verlauf erst einmal beraten und einigen mussten, unterbrachen sie das Spiel und froren die Szenerie kurzerhand ein.

„Ich wäre dafür, er bekommt die volle Punktzahl, immerhin hat er den Magier besiegt“, sagte Herrgott, der seine Erde schon fast verspielt hatte, jetzt aber wieder Hoffnung schöpfte.

„Aber w i e …?“, schmollte Höhö, der Gott der Schadenfreude. „Er sollte sich ja nur die zweite Frage stellen lassen, stattdessen hat er ihn gleich kaputt gemacht.“

„Weil er bedroht wurde. Für deinen Magier bist d u ja wohl verantwortlich“, sagte Herrgott.

Höhö wehrte den Vorwurf aber wild gestikulierend, vehement ab:

„Ich habe ihn nur erschaffen, wie d u auch deine Menschen. Verantwortlich für ihr Handeln sind doch immer alle selber … höööö höhö …“

Der Gott der Schadenfreude rieb sich die Hände und hoffte, dass die Vernichtung des Magiers als grobes Foulspiel gewertet werden würde. Das würde Disqualifikation bedeuten, das Spiel wäre aus und er könnte Herrgotts Lieblingsspielzeug, die Erde, ganz einkassieren. Auf Zustimmung hoffend, guckte er zum Dritten am Tisch, ahnte aber schon, dass von dem wohl keine eindeutige Zustimmung zu erwarten war.

Weisnich, der Gott der Unentschlossenheit, hatte aufmerksam zugehört. Neben Herrgott und Höhö sah er ziemlich unkonventionell aus. Während die beiden, so wie fast alle anderen Götter auch, stets blütenweiße, frisch gestärkte bodenlange Götterhemden trugen, sah man Weisnich meistens in eng sitzenden Batikhemden, die ihm obendrein noch nicht mal über das Knie reichten und beim Setzen unanständig in die Höhe rutschten. Die weiblichen Götter fanden das jedoch recht neckisch, was von den männlichen Kollegen wiederum mit Neid zur Kenntnis genommen wurde. Von daher war Weisnich bei vielen zwar nicht sonderlich beliebt, man ließ ihn aber doch immer mitspielen, weil er oft ziemlich innovative Ideen einbrachte. Jetzt allerdings folgte er tapfer der Unschlüssigkeit seiner Kollegen. Vielleicht aber auch nur, weil er als Einsatz zwei Tonnen Materie gesetzt hatte, die sich beim Sieg des Richtigen verdoppeln würden. Und glaubte man seiner Nervosität, schien Höhö nicht unbedingt der Richtige zu sein.

„Also … na ja …, ich kann Höhö gut verstehen und unterstütze ihn …“