Vampirblut - Angela Mackert - E-Book

Vampirblut E-Book

Angela Mackert

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Beschreibung

Kein Vergessen - das ist die Essenz der Erinnerung, die der Vampir Luczin an seine große Liebe, die Halbfee Lena hat. Ihm kommt die Aufgabe zu, alles aufzuschreiben, was seit der Rückkehr der Gefährten aus Taherehs Schattenreich passiert ist. Aber kann das seinen größten Schmerz, den er immer noch mit sich herumträgt, heilen? Zur Fantasy-Romanreihe: Begleiten Sie die Halbfee Lena und ihre Gefährten auf die gefährliche Reise durch die Schattenwelt und begegnen Sie göttlichen Königinnen, mutigen Feen, Lichtmagiern, Alraunen und Vampiren. Erleben Sie den Verlauf von Jahrzehnten und lassen Sie sich berühren von Mut, Freundschaft und Liebe.

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Dieser Roman gehört zu einer mehrteiligen Saga. Jedes Buch beinhaltet eine eigenständige Geschichte, und kann unabhängig vom Vorgängerband gelesen werden.

Bisher erschienen:

Band 1: DIE FARBE DER DUNKELHEIT

Band 2: FEENSCHWUR

Band 3: VAMPIRBLUT

Antiquerra-Saga 3: VAMPIRBLUT

Kein Vergessen ...

»Im Grunde ist unsere alte Erde Antiquerra nur eine Insel in einem zeitlosen Raum. Doch in ihr ist ein Geheimnis verborgen, das ihre Bedeutung über alle Grenzen der Schöpfung hinweg ausdehnt.« - Luczin zu Briann, während einem ihrer vielen Gespräche, die den Ereignissen folgten.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Am Fluss der Tränen …

Schatten …

Weltsichten …

Kapitel 2

Pläne …

Dämonische Tricks …

Kapitel 3

Spurensuche …

Eine Erkenntnis …

Klagelieder …

Reflektionen …

Gefangen …

Kapitel 4

Alte Wunden …

Unbeschreibliche Farben …

Nachklang …

Nivens Dunkelheit …

Kapitel 5

Mit keinem Wort …

Rabenfedern …

Wunder …

Schweigegelübde ...

Kapitel 6

Die Stimme Antiquerras …

Begegnung …

Kapitel 1

Am Fluss der Tränen …

Wieder einmal hatte mich der Fluch der Ewigkeit kalt erwischt, und die Trauer über Kierans Tod wühlte auf eine Weise in mir, dass jeder Sterbliche mit pulsierendem Blut in den Adern gut daran tat, mir aus dem Weg zu gehen. Deshalb zog ich mich vor ein paar Tagen in unsere Burgenstadt Dracopatria zurück, die mit ihren hohen Mauern ringsum wie ein Bollwerk wirkte, dem der Puls der Zeit nichts anhaben konnte. Vom Altan aus, einem von Mauerwerk und Säulen gestützten Balkon vor meiner Bibliothek, sah ich den Fluss der Tränen, den Lacrimoa, in dem sich neben anderen Burgen auch meine in den Wellen des ruhig dahinfließenden Wassers spiegelte. Seit meinem Rückzug saß ich jede Nacht auf der Brüstung dieses Balkons und betrachtete das wässrig-bewegte Schattenbild meiner Festung da unten, suchte darin Antworten, Frieden. Konnte man Frieden finden, wenn die Seele einer offenen Wunde glich? Ich starrte in den Strom und wünschte mir, dass er meine Tränen forttrüge. Doch ich konnte solche nicht einmal weinen, uns Vampiren blieb so etwas zumeist versagt.

Ich hasste diesen Fluch! Er weckte immer auch die Vergangenheit wieder auf. Als wir auf Finleys Nachricht hin vor vierzehn Tagen zum Turm eilten, sahen wir Kieran in seinem Studierzimmer, die aufgeschlagenen Bücher noch vor sich auf dem Tisch. Um seinen Mund spielte ein Lächeln. Ich aber hätte schreien mögen, denn mit der Erkenntnis, dass der alte Herr des Turms gegangen war, kehrte auch der Schmerz um all die lieb gewonnenen Gefährten, die ich vor ihm schon verloren hatte, mit Macht zurück – besonders der Schmerz um einen Verlust.

Briann, mein treuer Gefährte seit über dreitausend Jahren, Vampir wie ich, wusste es. Er war beim letzten Gespräch, das ich erst vor Kurzem noch mit Kieran geführt hatte und das mich damals so aufwühlte, dabei gewesen – er und Finley, der Nachfolger von Meister Kieran. Beide bedrängten mich jetzt. Ich sollte mein Versprechen, welches ich an jenem Tag gab, erfüllen und unser Geheimnis preisgeben, das wir alle so viele Jahrzehnte für uns behalten mussten. Aber ich konnte das nicht – nicht jetzt. Allein der Gedanke daran riss alte Wunden wieder auf, und ich haderte damit, dass Kierans Wahl auf mich gefallen war. »Es wird deiner Seele Frieden geben, Luczin«, hatte er zu mir gesagt. Aber wie sollte das gehen, wenn meine Erinnerungen sich immer nur zu ihrer Stimme formten, die mir zurief: Kein Vergessen! Niemals!

Der scharfe Klang von Brianns Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Luczin, du hockst ja schon wieder auf dieser verdammten Brüstung!«

Ich hörte, wie die Tür meiner Bibliothek ins Schloss fiel, lauschte seinen Schritten, die näher kamen, und spürte, wie er mich kurz darauf an der Schulter packte.

Er beugte sich nah an mein Ohr. »Findest du nicht, dass es allmählich genug ist? Du hast ein Versprechen gegeben und du musst es erfüllen.«

»Das hab ich getan.«

Briann ging zu meinem Schreibtisch und betrachtete das aufgeschlagene Buch. »Zwei Worte?«

»Kein Vergessen!«

Briann kam wieder zu mir heraus. »Und du glaubst, jetzt werden alle verstehen, was aus Lena und Niven geworden ist?«

»Es ist die Essenz.«

Briann stemmte die Arme in die Seiten und atmete tief ein. »Hast du heute noch nicht getrunken?«

»Mehr als dir lieb ist.« Ich nahm wahr, wie sich in Brianns Kopf die Gedanken überschlugen. Beinahe hätte ich gelacht.

Er zischte mich an. »Meinst du etwa den Menschen, den sie vor ein paar Stunden gefunden haben?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Das muss aufhören, Luczin!«

Ich warf ihm einen Blick zu. »Der schadete den anderen aus seinem Dorf, hat sich nicht in die Gemeinschaft eingefügt. Ich tat nur, was wir geschworen haben, als die Flüchtlinge vor drei Jahren hierherkamen.«

»Es hätte genügt, die Zähne zu zeigen.«

»Seit wann bist du so nachsichtig?«

Briann schüttelte den Kopf. »Es passt nicht zu dir, den Henker zu spielen. Kieran wäre entsetzt, wenn er wüsste, was du seinetwegen anrichtest.«

»Kieran …« Ich sprang von der Balkonbrüstung herunter. Meine Trauer verwandelte sich plötzlich in furchtbare Wut, und ich schrie ihn an: »Er hätte das Schicksal der Fatas aufschreiben sollen! Ich hätte ihm gern assistiert. Aber er hat es ja vorgezogen zu sterben!«

Briann wich nicht vor mir zurück. »Du vergisst, dass wir alle trauern, Luczin!«

Sein Gleichmut machte mich erst recht rasend und das fegte auch noch den letzten Rest meiner Vorsicht fort. Briann erkannte das, als ich mit geballten Fäusten hastig einen Schritt auf ihn zutrat. Er presste die Lippen zusammen, sog heftig die Luft durch die Nase und ehe ich meinem Zorn freien Lauf lassen konnte, packte er mich und sauste mit mir hoch in die Luft bis zu den Wolken. Ich begriff noch kaum wie mir geschah, da raste er auch schon im Sturzflug wieder der Erde zu. Es riss mir fast den Umhang vom Leib. Verflucht! Was sollte das! Ich hielt den Atem an, weil die Fallgeschwindigkeit auf meine Lungen drückte, versuchte gegenzusteuern, doch mein Freund sah jede meiner Bewegungen voraus. Er ließ mir keine Chance. Weit unter mir sah ich den spitzen Fahnenmast auf einem der Türme meiner Burg. Cumaru-Holz! Wir stürzten direkt darauf zu! Wenn dieses Holz unsere Herzen durchbohrte, war es aus, wir würden von innen heraus verbrennen.

»Briann, bist du wahnsinnig?«, schrie ich.

»Wir sehen uns in der Schwarzen Zone …«, brüllte er zurück, während wir der Spitze des Masts immer näher entgegensausten. »Vielleicht gibt dir das ja deinen Verstand wieder!«

Verzweifelt versuchte ich, meine Eigenständigkeit zurückzuerlangen. Vergebens. Wollte Briann erst im letzten Moment an dem Mast vorbeifliegen? Bestimmt! Er war ja nicht lebensmüde. Aber bei dieser Geschwindigkeit war das höllisch gefährlich! Das musste ihm doch klar sein! Nur ein winziger Fehler, nur eine klitzekleine Ablenkung seiner Aufmerksamkeit genügte, und wir würden beide aufgespießt werden. Herrje! Ich musste mich beruhigen, kalt werden wie Eis. Mir blieb ja nichts anderes übrig. Briann war sehr geschickt, es würde sicher alles gutgehen! Schon sah ich die Spitze des Fahnenmasts ganz deutlich vor mir, sie wies auf die Stelle meines Herzens. Im nächsten Moment fühlte ich einen messerscharfen Schmerz, der mir durch die Brust fuhr. Ich spürte, wie mein Hemd zerriss. Nein! Vor Schreck schnappte ich nach Luft. Wind zerrte an meinem Haaren, als Briann zur Seite schwenkte. Ich sah einen Blutstropfen von meiner Brust fallen, schrie auf. Verdammt! Gleich würde ich in Flammen aufgehen! Ich merkte kaum noch, wie Briann den Balkon vor meiner Bibliothek erreichte und dort mit mir zu Boden fiel.

Geschockt blieb ich liegen, dann riss ich mir mein zerlöchertes Hemd vom Leib und tastete über meinen Brustkorb. Ein breiter Schnitt klaffte dort, nicht tief, eigentlich nur ein Kratzer, aber ich blutete tatsächlich. Doch mein Herz schlug, schien unversehrt. Ich schaute zu Briann, der mich mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht beobachtete, und schrie ihn an. »Du wolltest mich wohl umbringen!«

Briann schüttelte den Kopf. »Hab’s nicht fertig gebracht. Meine Freundschaft zu dir stand mir im Weg.«

»Du spinnst!« Ich wies auf meine Brustwunde. »Ist dir klar, wie lang das dauern wird, bis das wieder verheilt? Cumaru-Holz! Wenn es mich durchbohrt hätte, dann könntest du jetzt sehen, wie du ohne mich zurechtkommst!«

»Hat es aber nicht, und was regst du dich überhaupt auf, Luczin. Du wolltest ja unbedingt so einen mahnenden Finger auf dem Dach haben!« Briann stand vom Boden auf, griff nach meiner Hand und zog mich mit einem Ruck hoch. »Außerdem, in ein paar Stunden ist das wieder verheilt, hab’s vor ein paar Tagen an mir selbst getestet.«

»Du bist eindeutig nicht mehr ganz richtig im Kopf!«, erwiderte ich aufgebracht. Als Briann grinsend über meine blutende Wunde strich und seinen Finger ablutschen wollte, schlug ich ihm auf die Hand. »Lass das!«

Er bugsierte mich in die Bibliothek hinein. »Nur dann, wenn ich ab jetzt wieder vernünftig mit dir reden kann.«

Drinnen wurde mir plötzlich schwindlig. Das Blut rauschte in meinen Adern, schien sich auf einmal in meiner Wunde zu sammeln, die versuchte, sich klopfend und höllisch brennend zu schließen. Aber das, was bei normalen Verletzungen binnen weniger Augenblicke erledigt war, wollte hier einfach nicht richtig klappen. Stöhnend ließ ich mich auf das Sofa fallen, das gegenüber meines Schreibtischs stand.

»Herrjemine, ist doch nur ein Kratzer!« Briann öffnete wenige Schritte neben mir die Geheimtür in der Bücherwand, die zu unseren Schlafräumen führte. Wenige Augenblicke später kam er mit einer Schüssel zurück, in der sich eine blau schimmernde, milchige Flüssigkeit befand, sowie einem Tuch und breiten Stoffbändern. Er stellte das Gefäß auf den kleinen Couchtisch, nahm das Tuch, tunkte es in den dünnen Brei und drückte es aus. Dann half er mir, die Reste meines Hemds auszuziehen, legte das zusammengefaltete Tuch auf die Wunde und fixierte es mit den Stoffstreifen. Ich ließ ihn gewähren.

»Kornblumen-Lotion. Damit ist es bis morgen verheilt«, erklärte Briann.

Während er mich verarztete, beobachtete ich jede seiner Bewegungen. »Du bist bewusst so geflogen, dass ich mich an dem verdammten Holz verletze!«

»Du kennst meine Methoden, mit denen ich dich zur Vernunft bringen will.«

Oh ja, ich wusste, zu was Briann fähig war, wenn er glaubte, mich vor mir selbst schützen zu müssen. Und ich war blöd genug gewesen, es darauf ankommen zu lassen.

»Bist du jetzt zufrieden?«, fauchte ich ihn an.

»Sofern du wieder geerdet bist, ja. Bist du es? … BIST DU ES?«

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. »Der Tag wird kommen, da ich mich revanchiere. Das ist dir sicher klar!«

»Ich bitte darum!« Briann grinste, atmete durch und schwieg eine Weile. Dann setzte er sich neben mich auf das Sofa. »Luczin, ich weiß, dass du Kieran vermisst und ich weiß auch, wie schwer es dir fällt seinen letzten Willen zu erfüllen und das Schicksal der Fatas in Worte zu fassen. Aber denk auch mal an Wighard. Vor jedem anderen hat er das Recht darauf, alles zu erfahren – aus deiner Feder! Und zwar bald. Außerdem geht es nicht nur um Lenas Geschichte, nicht nur um die Nivens, sondern auch um unsere. Wenn ich es recht bedenke, um noch viel mehr. Es ist die Geschichte derer, die aus Taherehs Schattenreich zurückkehrten, um einen Kreis zu schließen, von dem sie nicht einmal wussten, dass es ihn gab.«

Ich seufzte. Briann hatte es wieder einmal auf den Punkt gebracht, und ein besseres Argument als Finleys Ziehsohn Wighard hätte er nicht vorbringen können, denn dieser war unter anderem das Ziel der vergangenen Ereignisse gewesen. Ja, um seinetwillen musste ich alles zu Papier bringen.

Am nächsten Abend war meine Wunde verheilt und mein Ärger auf Briann und seine haarsträubenden Therapiemethoden verraucht. Ich hatte mich dazu entschlossen, nun endlich mit dem Schreiben anzufangen, und nichts konnte mich jetzt mehr davon abbringen. Durch die offene Balkontür hörte ich das Rauschen des Flusses, der mich einlud, aber ich ging nicht mehr hinaus, um in seine Tiefen zu sehen. Es blieb mir auch gleichgültig, ob einer der Tränenperlenfischer die Zeit vergessen hatte und jetzt im Licht der untergehenden Sonne mit seiner Beute eilig davonpaddelte, um keinem von uns zu begegnen. Vor mir mussten sie sich jedenfalls nicht mehr fürchten, ich hatte mich wieder im Griff. Die Grungalp, die am gegenüberliegenden Ufer in ihren Hütten lebten, mochte ich ebenso wenig beobachten. Sie würden wie jeden Abend aufwachen, weggehen und der einen oder anderen Fee eine Krankheit oder sonst ein Verderben bringen, ob ich das nun bemerkte oder nicht.

Meine Aufmerksamkeit galt nun ausschließlich meinem Vorhaben, und ich saß an meinem Schreibtisch aus Ebenholz mit den wuchtig wirkenden Tischbeinen, welche die Form von geschnitzten Drachen hatten. Deren Augen schienen jede meiner Bewegungen zu beobachten. Es machte mir nichts aus, jetzt nicht mehr. Ich entschloss mich, nicht nur einfach mein Versprechen zu erfüllen und für Wighard oder meine Gefährten zu schreiben, auch nicht nur für die Stämme der Feen, Lichtmagier und Alraunen, sondern für alle Wesen unserer alten Erde Antiquerra, wer sie auch sein mochten und wo sie auch lebten. Auch meine eigene Sippe sollte etwas aus der Geschichte lernen, denn die Jungen unter uns begriffen noch nicht, was es hieß, endlos zu leben. Sie machten sich keine Gedanken darüber, dass jeder Vampir seine Erinnerung über viele Jahrhunderte hinweg mit sich schleppen muss, vor allem die schmerzlichen. Aber auch von der wahren Liebe, die weit über die Begierde hinausgeht, wussten die meisten Vampire nichts. Wer überhaupt?

Wie gesagt, ich wollte für alle schreiben, sogar für die Erdenkinder. Mit »Erdenkinder« meinte ich natürlich nicht diejenigen Menschen, die vor drei Jahren von den Feen nach Antiquerra gebracht worden waren und sich allmählich ihrer neuen Umwelt anpassten. Diese betrachtete ich bereits als zu uns gehörig. Nein, ich meinte die, welche im alles entscheidenden Jahr 2099 auf der Menschenwelt geblieben waren. Ob sie die von ihren Vorfahren herbeigeführte Apokalypse überlebt hatten, wusste ich zwar nicht, aber das konnte ich herausfinden.

Ich schloss für einen Augenblick die Augen, um mich zu sammeln. Vor mir lag das aufgeschlagene Buch. Ich schaute hinein und las die zwei Worte, die ich gestern geschrieben hatte: »Kein Vergessen.«

Lena sagte das, wenn ich ihr die Erinnerung an ein schreckliches Erlebnis nehmen wollte. Ja, es liegt durchaus eine gewisse Ironie darin, dass ich andere so spielend vergessen machen kann. Ich betrachtete diese Vampirfähigkeit immer als ein Geschenk, das ich großherzig geben konnte, denn warum sollte jemand mehr leiden als unbedingt nötig? Zu Anfang verstand ich deshalb nicht, warum sich Lena so vehement gegen das Vergessen wehrte. Ich ließ ihr ihren Willen, aber erst später begriff ich, dass sie nur wegen ihrer Erfahrung von leidvollen Zeiten das Schöne ebenso intensiv empfand. Doch diese zwei Worte besiegelten nicht nur ihr Schicksal, sondern auch meines, und so wurden Lenas dunkle Zeiten auch ein Teil von mir.

Mehr als dreiundneunzig Jahre ist es her, da versprach ich, ihr Freund zu bleiben, obwohl Lena sich für Niven entschieden hatte. Es erschien mir besser, als sie zu verlieren, aber jedes Mal, wenn ich sie danach im Arm hielt, zerriss es mich fast, weil ich sie nicht so berühren durfte, wie ich es gern getan hätte. Ich weiß nicht, ob Lena das wusste, aber ich glaube nicht. Ich ließ es mir ihr gegenüber nie anmerken. Niven dagegen ahnte es, denn ich sagte ihm offen, dass ich eingreifen würde, sollte er sie je schlecht behandeln. Aber das tat er nicht. Und je öfter ich die beiden zusammen sah, desto mehr begriff ich, dass sie wirklich zusammengehörten, nicht aufgrund ihrer Herkunft – beide waren Halbfeen, Fatas –, sondern weil sie wahrhaft Seelenverwandte waren. Aber kann das Glück von zwei so innig verbundenen Wesen Bestand haben, wenn der dunkle Schleier der Nacht auf ihnen liegt? Beiden war Taherehs Siegel eingebrannt, aber damals bemerkte das keiner von uns.

Manchmal fragte ich mich, ob wir, die wir Lena und Niven in Taherehs Schattenreich begleitet hatten, bei unserer Rückkehr nicht alle gezeichnet waren. Sicher, wir durften stolz darauf sein, dass wir unseren Auftrag erfüllt hatten, und froh, dass wir noch lebten. Aber kann man wirklich darauf hoffen, frei zu sein, wenn man der Herrin der Toten gegenübergestanden hat? Lena und Niven blickten ihr ins Antlitz, und ich erinnere mich noch gut an Taherehs Zorn, auch wenn ich sie nur aus der Entfernung sah. Sie wollte die beiden nicht gehen lassen, und zumindest zum Teil hing alles, was danach geschah, damit zusammen.

Nachdem wir zurückgekehrt waren, dachte allerdings niemand daran, dass es noch nicht vorbei sein könnte. Alrik, der Feenkrieger, ging in sein Korria-Dorf zurück. Mihai, Feenkrieger der Sidda, machte sich ebenfalls auf den Heimweg und bereitete alles vor, um seinen wiedergefundenen Neffen Niven bei sich aufzunehmen. Die Lichtmagier Meister Kieran und Finley sowie Finleys Liebste, die Sidda-Fee Cara, nahmen ihr Leben im Turm wieder auf. Reik, der Alraun, kehrte zu seinem Volk zurück, das im Eichenwald neben dem Turm lebte, und Lena ging zunächst in die Menschenwelt, in der sie aufgewachsen war und weiter zur Schule gehen wollte, um ihr Abitur zu machen. Wir Vampire – Briann, Darian, Vico, Thure und ich – zogen uns erst einmal in die Burgenstadt Dracopatria am Fluss der Tränen zurück, um dort nach dem Rechten zu sehen und den Unseren zu zeigen, dass ihre Führer noch lebten. Nach unseren Anweisungen entstanden in Dracopatria auch bald Gemälde mit den Stationen unserer Schattenreise, die wir Meister Kieran für das Museum der Strahlenkönigin überließen.

Immer wieder trafen wir uns alle in Kierans Turm, und unsere Freundschaften vertieften sich. Es war eine gute Zeit, auch wenn ich heute glaube, dass sie nur dem Atemholen vor dem nächsten Sturm diente. Cara zauberte uns Vampiren immer köstliches Hirschblut, wir scherzten und lachten, aber vor allem lernte ich die Gespräche mit Meister Kieran schätzen.

Lena schickte mir stets einen himmelblauen Schmetterling, wenn sie unsere alte Erde Antiquerra besuchen wollte. Meistens ging ich dann zusammen mit Niven, Cara und Finley in die Menschenwelt, um sie abzuholen. Ich liebte es, sie zur Begrüßung im Arm zu halten, auch wenn es gleichzeitig wehtat, weil sie nicht mir gehörte.

Drei Jahre vergingen auf diese Weise wie im Flug. Doch dann, kurz nach Lenas Abiturfeier, schlug das Schicksal unerwartet wieder zu.

Schatten …

Es begann zur Zeit der zweiten Heuernte im Juli. Lenas Vater, den ich schon vor einiger Zeit kennengelernt hatte, war im Krankenhaus mit einer schrecklichen Diagnose konfrontiert worden: Krebs im Endstadium. Der Arzt hatte ihm gesagt, dass er sterben würde und es traf ihn umso härter, da er bis vor Kurzem keinerlei Beschwerden gehabt hatte. Als Lena mich bald darauf zu sich bat, wirkten beide ziemlich niedergeschlagen, aber dennoch relativ gefasst.

Während wir uns alle drei an den Esstisch vor dem Wohnzimmerfenster setzten, betrachtete ich Lenas Vater, den ich seit zwei Monden nicht mehr gesehen hatte. Er sah blass aus und ich entdeckte bereits die ersten Spuren des Schattens um ihn herum, den der Tod so gern vorausschickt. Vielleicht ein Jahr noch, eher weniger, dachte ich und sprach ihn an: »Ich habe es schon gehört. Wie geht es dir?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich muss es akzeptieren.« Sein Blick flog zu Lena, dann wieder zu mir und er straffte seine Haltung. »Luczin, ich hoffe, ich trete dir jetzt nicht zu nahe, aber ich möchte eines gleich klarstellen: Ich will kein Vampir werden! Versprecht mir also, dass ihr mich gehen lasst, wenn es soweit ist.«

Lena seufzte, und ich begriff, dass sie ihrem Vater angedeutet hatte, dass ich ihn zum Vampir machen konnte. Natürlich, wir Vampire redeten ja immer wieder einmal davon, jemanden zu beißen, um ihn zu einem der Unseren zu machen. Aber ganz so einfach war es in der Realität doch nicht. Es gab Regeln, an die wir uns halten mussten. Ein von uns erschaffener Vampir blieb nämlich nur dann ein fühlendes Wesen, wenn die geheimnisvollen gläsernen Drachen ihm beistanden und seine Seele während der Verwandlung mit ihrem Atem schützten. Keiner in Antiquerra außer uns konnte diese magischen Wesen sehen, aber wenn sie sich verweigerten, brachte unser Blut nur kaltherzige, blutgierige Monster hervor. Das konnte Lena für ihren Vater nicht wollen und ich wollte es nicht erklären müssen. Ich war daher jetzt froh, dass er von sich aus ablehnte.

Ich nickte ihm zu, griff dann nach Lenas Hand und drückte sie. »Es ist schwer. Für euch beide, ich weiß.« Ich schaute ihren Vater an. »Ich fühle, dass du etwas anderes willst.«

Lenas Vater nickte. »Lena hat mir soviel über Antiquerra erzählt, von den Blumen, dem Duft dort, dem Korria-Dorf. Ich würde das alles so gerne selbst einmal sehen.«

Ich spürte seine Sehnsucht, die vielleicht weniger Antiquerra galt, sondern mehr seiner Frau, Lenas allzu früh verstorbener Mutter, die im Korria-Dorf aufgewachsen war.

Ehe ich jedoch etwas sagen konnte, mischte sich Lena ein. »Der Weltenwirbel erfasst keine Menschen, und ich weiß nicht, ob es noch eine andere Möglichkeit gibt. Hab schon Niven gefragt, aber der kennt auch nur die wirbelnden Worte.«

»Doch«, sagte ich, »es gibt einen Weg, auf dem wir auch Menschen mitnehmen können. Und ich fände es gut, wenn ihr beide für immer zu Großmutter Dorith ziehen würdet. Damit wäre jedem geholfen, denn Dorith würde sich freuen, das weißt du, Lena.«

»Ein Besuch genügt mir, ich will ihr keinesfalls zur Last fallen«, warf Lenas Vater schnell ein. »Jetzt geht es mir noch einigermaßen gut, aber das wird nicht so bleiben.«

Ich lächelte ihn an. »Da mach dir mal keine Gedanken. Ich kenne Dorith mittlerweile gut. In der Menschenwelt fühlt sie sich nicht wohl, deshalb kommt sie so selten zu euch, wie du weißt, aber in ihrem Zuhause wird sie dich mit Freuden umsorgen.«

»Das ist wahr!«, sagte Lena und atmete aus. Sie schaute mich an. »Was ist das denn für ein Weg, den Vater auch benutzen kann?«

Ich erklärte es. »Es ist ein uralter magischer Wasserweg, der sich hinter einem Weltentor befindet. Man entdeckt solche Tore zumeist bei einer Quelle oder in einer Eiche. Allerdings reagiert die Eiche in eurem Stadtpark nur auf die wirbelnden Worte, ich muss also nach einem Tor mit klassischem Verbindungsweg suchen. Aber da die Gegend hier sehr waldreich ist, finde ich bestimmt eines. Es wird sich mir zeigen, sobald ich in der Nähe bin.«

Lena nickte. »Dann ist es beschlossen. Wir ziehen um. Ich schicke Dorith gleich einen Schmetterling, damit sie alles vorbereiten kann.«

Lenas Vater hob den Finger. »Stell sie bloß nicht gleich vor vollendete Tatsachen. Frag sie erst, was sie von der Idee hält!«

Lena nickte wieder und ging in den kleinen Garten hinter der Küche, um den Papilio-Wurfzauber auszuführen. Wenig später bekam sie bereits begeisterte Antwort: Großmutter Dorith freute sich sehr, bald mit ihrer Familie zusammenleben zu können, so wie es in den Feendörfern von jeher Brauch war. Sie wollte gleich damit beginnen, die Zimmer herzurichten.

Noch am selben Abend machte ich mich auf die Suche nach einem Tor. Aber erst ein paar Tage später fand ich eines. Die alte Eiche, die es hütete, stand etwa eine Stunde zu Fuß von Lenas Zuhause entfernt im Wald, abseits des Wegs an einer versteckten Stelle neben einem kleinen Quellbach. Wenn alles geregelt war, würde ich Lena und ihren Vater dorthin fliegen, denn der Fußweg würde den Kranken wohl überfordern.

In den Wochen darauf begann Lena nach und nach den Haushalt aufzulösen, und auch in Antiquerra liefen bereits Vorbereitungen. Cara plante zusammen mit Großmutter Dorith eine kleine Begrüßungsfeier, zu der alle aus dem Dorf eingeladen wurden und natürlich auch unsere Gefährten und ich. Das behagte mir zwar nicht, weil viele der Korria-Feen uns Vampiren noch immer gern aus dem Weg gingen, aber ich musste Dorith versprechen, dass wir an dem Tag wenigstens kurz vorbeischauen würden.

Der Sommer neigte sich allmählich dem Ende zu und brachte die Landschaft Antiquerras mit üppigen warmen Farben zum Leuchten. Die Wälder färbten sich bunt und in den Korria-Gärten reckten die ersten Herbstastern ihre Blütenköpfe. Wenn Lena mit ihrem Vater im Dorf ankommen würde, stand hier sicher alles in bunt schillernder Farbenpracht. Niven und ich wollten die beiden in acht Tagen abholen. Von ihrem Gepäck, das hauptsächlich aus Erinnerungsstücken bestand, hatte ich eben die letzten Stücke zu Dorith geschafft und nun befand ich mich auf dem Heimweg nach Dracopatria.

Ich hatte jedoch noch kaum den Waldrand hinter dem Korria-Dorf erreicht, als etwas Ungewöhnliches geschah. Ein hellblauer Schmetterling mit einem schwarzen Punkt auf dem linken Flügel setzte sich auf meine Schulter und zu meiner Überraschung hörte ich Nivens Stimme in meinem Kopf: Luczin, es ist etwas Schreckliches passiert! Mihai wurde von einer Grungalp berührt und liegt jetzt wie tot danieder.

Mir wurde plötzlich so kalt, als wenn ich in einer Gruft aus Eis und Schnee begraben läge. Erst Lenas Vater, jetzt Mihai. Konnte das Zufall sein? Unwillkürlich dachte ich an Tahereh. War es möglich, dass die Schattenkönigin noch einen Groll gegen uns hegte und sich jetzt rächen wollte? Niven hatte einmal gesagt, dass ihr Zorn lange anhielt, dass sie diesen pflegte, bis ihr die Zeit reif schien für eine Strafe. Und die Grungalp gehörten immerhin zu ihrem Gefolge und taten, was sie von ihnen verlangte. Sogleich sprang ich in die Luft, um zu Niven zu fliegen.

Am Waldrand vor dem Sidda-Dorf landete ich und ging von dort aus zu Fuß zu dem weißen Feenhäuschen, in dem Niven und Mihai lebten. Die Haustüre war geschlossen. Ich atmete durch, klopfte, drückte die Klinke herunter und trat in die Wohnküche.

Niven, der gerade einen Tee aufbrühen wollte, eilte sofort auf mich zu. »Luczin, du musst ihn dir ansehen, du nimmst mehr wahr als andere! Ich brauche deine Meinung, bevor ich unsere Gefährten alarmiere – und Lena, ich weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll, und womöglich ist auch bei ihr etwas nicht in Ordnung.«

So aufgewühlt hatte ich Niven nie erlebt. »Vielleicht sieht es ja schlimmer aus als es ist«, beruhigte ich ihn. »Und um Lena mach dir keine Sorgen, es geht ihr gut, ich komme gerade von ihr.« Ich schaute ihn prüfend an. »War das ein Lichtpfeil, der Mihai getroffen hat?«

Niven schüttelte den Kopf und schluckte schwer. »Eben nicht! Die Grungalp berührte ihn hier.« Er deutete auf seine Brust. »Es hat ein Mal hinterlassen, die gerötete Abbildung einer Hand auf seiner Haut, und seither ist er kaum noch ansprechbar.«

Ich hatte mich vollkommen geöffnet, um alles um mich herum erfassen zu können und so schwappten jetzt seine Gedanken ungebremst zu mir herüber: Tahereh hat mir nicht verziehen, dass ich von ihr fortging. Jetzt rächt sie sich an denen, die mir lieb sind! Ich begriff, dass Niven von seinen Gefühlen überrollt wurde, und das passte so gar nicht zu ihm. Es machte daher auch wenig Sinn, ihn jetzt auf seine Wahrnehmungen anzusprechen. Er hätte sich womöglich verschlossen wie früher.

Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter. »Es kann Zufall gewesen sein, dass die Grungalp Mihai berührt hat, eine Laune, der sie nachgab. Bring mich zu ihm, vielleicht kann ich etwas für ihn tun.«

Während Niven mich zu Mihais Schlafzimmer führte, bewegte er den Kopf, als ob er gleichzeitig Ja und Nein sagen wollte. »Ich kenne die Grungalp wie mich selbst, das weißt du. Sie tat es nicht aus einer Laune heraus, sie wurde von ihr beauftragt.«

Wir traten in Mihais Stube, und so konnte ich nichts mehr erwidern, aber das war wohl auch besser so. Jeder Widerspruch wäre einer Lüge gleichgekommen, wusste ich doch, zu was Tahereh fähig war. Die Schattenkönigin würde zu jedem Mittel greifen, um Niven – sei es lebendig oder tot – zurückzubekommen, zumindest dann, wenn sie das immer noch beabsichtigte. Auch uns, seine Gefährten, würde sie in dem Fall nicht verschonen. Als ich Mihai gleich darauf in seinem Bett liegen sah, erschrak ich zutiefst. Der sonst so kraftvolle Feenkrieger lag mit geschlossenen Augen da, ein Zerrbild seiner selbst, grau, alt, glanzlos und fast ohne Atem.

»Ich lasse euch einen Augenblick allein.« Niven schloss schnell die Tür hinter sich.

Ich setzte mich auf Mihais Bettstatt, aber als ich ihn ansprach, reagierte er nicht. Nur seine Lider zuckten kurz. Vorsichtig knöpfte ich sein Hemd auf, um seine Brust zu betrachten. Auf Höhe seines Herzens erkannte ich die Abdrücke einer kleinen Hand. Sachte strich ich mit den Fingern darüber. Die Haut fühlte sich rau und ledern an, zog sich wie ausgetrocknet zusammen. Sicher verursachte ihm das heftige Schmerzen. Ich schob den Ärmel meines Umhangs hoch, biss in mein Handgelenk und ließ ein wenig von dem aus der Wunde schießenden Blut in Mihais halb geöffneten Mund tropfen. Unwillkürlich schluckte er. Vielleicht half ihm das zu gesunden, und wenn nicht, so richtete es keinen Schaden an. Zum Vampir konnte er auf diese Weise jedenfalls nicht werden, dazu hätte es ein bisschen mehr als mein Blut gebraucht.

Für mich selbst hatte mein Handeln jedoch Konsequenzen, wenn auch nur für kurze Zeit. Mein Blut schuf eine direkte Verbindung zwischen Mihai und mir, ich sah seine wirbelnden Erinnerungen: das wie gemeißelt wirkende Gesicht einer Grungalp, die lächelnd ihre Hand ausstreckte. Wie ein Schlag traf mich die Empfindung seines Schmerzes, als ihre Finger wie brennende Fackeln seine Haut versengten. Die Dunkelheit, die sein Herz danach umfing, empfand ich nicht leichter, denn in den Schatten seines Geistes brodelte es, und das fühlte sich an wie damals, als die Dämonen angegriffen hatten. Nur mit Mühe konnte ich mich dem Zustrom seiner Empfindungen entziehen.

Als ich Mihais Hemd wieder zuknöpfte, beobachtete ich sein Gesicht. Es hätte durch meine Blutspende zumindest ein wenig von seinem porzellanenen Glanz zurückgewinnen müssen, aber die Haut blieb fahl.

Plötzlich riss Mihai jedoch die Augen auf, packte mich an den Armen und zog mich zu sich herunter. Er flüsterte: »Luczin, hilf uns! Sie drohte mir. Wir müssen Niven schützen!«

Gleich darauf fiel er wieder in seinen katatonischen Zustand zurück. Meine Hoffnung auf Mihais Genesung sank mit meiner zunehmenden Gewissheit, dass die Schattenkönigin Tahereh tatsächlich zum Schlag gegen uns ausholte. Ich wollte Niven jedoch nicht noch mehr deprimieren, als er wieder hereinkam und mich fragend ansah. Und dass ich Mihai von meinem Blut gegeben hatte, durfte er sowieso nicht wissen. So etwas taten wir immer heimlich, die Geheimnisse unseres Blutes mussten ein Geheimnis bleiben.

»Im Augenblick können wir nur abwarten und die Augen offenhalten. Mihai ist in einem seltsamen Zustand, aber zumindest sehe ich keinen Todesschatten um ihn herum«, sagte ich daher zu ihm. »Briann gebe ich gleich Bescheid, damit er in der Nacht auf euch achtet. Und ich gehe zum Turm und erkläre, was geschehen ist. Morgen sehen wir dann weiter.«

Niven seufzte. »Bitte geh auch nochmal zu Lena, Luczin. Sag ihr aber vorerst nur, dass Mihai krank ist und dass ich vielleicht nicht mitkommen kann, um sie abzuholen.«

»Gut!« Ich zog Niven an mich. »Wir alle haben die Schatten bereits kennengelernt, und wir werden sie auch diesmal überwinden.«

Ich spürte, wie er nickte. Schon einmal hatte er es mit Tahereh aufgenommen, und er würde es wieder tun, ganz gleich, womit sie ihn strafte.

Ich ging zu dem Transporttor, das nahe des Sidda-Dorfs am Waldrand stand – ein mit Efeu umrankter, gemauerter Torbogen mit einem zweiflügeligen Portal darin. Nahe des Drachenkopfs, der als Türklopfer diente, gab es eine Wegweisertafel für die sieben Ziele, die man von hier aus erreichen konnte. Neben »Birkenwäldchen beim Turm« stand die Zahl 3. Also griff ich nach dem Ring im Maul des Drachens und schlug damit dreimal gegen die Tür. Kurz darauf strahlte ein Licht auf, die zwei Flügel öffneten sich, und ich schritt hindurch. Noch ehe das Portal sich wieder verschloss, erkannte ich den Waldweg, von dem seitlich eine Abzweigung zum Korria-Dorf führte. Ganz kurz überlegte ich, ob ich dort hinuntergehen und Alrik informieren sollte, aber dann dachte ich an die Korria-Feen seines Stammes, die sich noch immer nicht an unsere Besuche im Dorf gewöhnt hatten und noch zu oft erschraken, wenn sie einen von uns sahen. Das konnte ich heute nicht gebrauchen, es hätte mich womöglich zu unüberlegten Handlungen hingerissen. Also nahm ich erst einmal davon Abstand, wanderte geradeaus weiter und erreichte wenig später die Lichtung vor dem Turm.

Die Tür des aus groben Sandsteinen gemauerten Turms stand offen, und ich trat hinein. Meister Kieran war jedoch nicht da, nur Finley und Cara.

Mit wenigen Worten erklärte ich ihnen die Lage. Dann atmete ich durch. »Wir dürfen nicht kopflos reagieren. Es ist nicht sicher, dass die Schattenkönigin dahintersteckt. Schließlich erlebt jeder Lebende auch dunkle Tage.« Ich trank das Glas Hirschblut aus, das Cara mir gezaubert hatte. »Informiert Meister Kieran, Alrik und Reik. Ich schaue jetzt nochmal nach Lena. Morgen Abend treffen wir uns dann hier bei euch im Turm.«

Cara klammerte sich an Finley. Dass sie nicht an eine normale Ursache von Mihais Krankheit glaubte, wurde an ihren Augen deutlich. Sie verengten sich, und ihr Gesicht verwandelte sich für einen kurzen Augenblick in die fauchende Fratze einer Raubkatze.

»Beruhige dich!« Finley streichelte ihren Rücken und nahm sich sehr zusammen, um seinen eigenen Schreck nicht zu zeigen. »Luczin hat recht, wir können nichts tun, ehe wir die Zusammenhänge kennen.« Er schaute mich an. »Hoffentlich sehen wir morgen klarer.«

Ich nickte und ging in dem Bewusstsein, wider besseren Wissens nach verharmlosenden Erklärungen zu suchen. Das war im Grunde nicht meine Art, ich sprach die Dinge sonst immer deutlich aus, aber im Augenblick standen mir meine eigenen Gefühle im Weg. Meine Hauptsorge galt natürlich Lena, die Krankheit ihres Vaters belastete sie schon genug, und sie würde dazu unter allem leiden, was Niven zustieß. Aber auch um uns alle machte ich mir Gedanken, denn ich hatte das beklemmende Gefühl, dass wir – falls uns tatsächlich ein Kampf bevorstand – dieses Mal mit unseren üblichen Waffen nicht viel erreichen konnten.

So schnell meine Füße mich trugen rannte ich durch den Eichenwald, vor allem deshalb, damit mich keiner der Alraunen sah und Fragen stellen konnte. Unten an der Wiese vor dem Wasserfall legte ich meine Hand auf den Fels und konzentrierte mich auf Lenas Zuhause. »Antiquerra Terra.«

Ein Sog erfasste mich und wirbelte mich davon, in die Menschenwelt hinüber, bis zu der Eiche im Stadtpark von Lenas Wohnort. Von hier aus ging ich zu Fuß durch die Dämmerung bis zu dem Reihenhaus, in dem sie mit ihrem Vater lebte. Hinter den Fenstern brannte Licht. Erst wollte ich an der Fassade hochklettern, um über das Dach auf die Rückseite bis zu ihrem Zimmer im ersten Stock zu gelangen, doch als ich sie unten im Wohnzimmer spürte, entschied ich mich dafür, zu klingeln.

Mein Gehör ist exzellent, ich kann Geräusche selbst aus sehr weiter Entfernung wahrnehmen und so hörte ich auch jetzt, wie auf mein Klingeln hin drinnen im Wohnzimmer das Sofa ächzte, weil jemand hektisch aufstand. Ich wusste sofort, dass das nur Lena sein konnte, ihren Herzschlag würde ich jederzeit zwischen tausend anderen wiedererkennen. Sie hielt den Atem an, und als sie kurz darauf ausatmete und wieder Luft holte, nahm ich wahr, dass ihr Blut plötzlich so schnell durch die Adern rauschte, als würde ein Schrecken es antreiben. Das letzte Mal, als ich dieses schnelle, rhythmische Rauschen bei ihr gehört hatte, waren wir alle in großer Gefahr gewesen, und dass ich dies jetzt wieder erlebte, irritierte mich. Vor ein paar Stunden war doch noch alles in Ordnung gewesen! Ich lauschte. Zwei, drei Sekunden lang rührte sie sich nicht von der Stelle, dann erklangen ihre Schritte, jedoch nicht in Richtung Haustüre, wie üblich, wenn wir klingelten, sondern zum Wohnzimmerfenster hin. Mir schien gar, dass sie besonders leise auftrat, und dann sah ich, wie sie vorsichtig den Vorhang beiseiteschob. Ich stellte mich ein wenig mehr ins Licht der Straßenlaterne, damit sie mich besser erkennen konnte. Wenig später öffnete Lena die Haustüre.

»Luczin! Ist etwas passiert?« Ihre Stimme klang angespannt und auch ihre Haltung, die sonst so deutlich die besondere Magie, die in ihr steckte, spiegelte, erschien heute Abend ungewohnt verkrampft und mir fiel auf, dass sich ihre Aura verändert hatte. Die Farben, die ihren Körper umgaben, schienen viel dunkler zu sein, und als ich eintrat und sie umarmte, da klammerte sie sich für einen Augenblick an mich, als ob sie Halt bräuchte.

»Ich wollte noch einmal nach euch schauen«, wich ich ihrer Frage aus, während wir ins Wohnzimmer gingen und uns an den Esstisch vor dem Fenster setzten. »Schläft dein Vater schon?«

Sie nickte. »Gleich nachdem du heute Nachmittag fortgegangen warst, legte er sich ins Bett. Er hatte Schmerzen.«

Ich versuchte zu trösten. »Antiquerra wird ihm guttun.«

»Ja.«

Während Lena ein Glas stilles Wasser einschenkte, die Hände darüber hielt und es mithilfe gemurmelter Zauberworte in Hirschblut verwandelte – diese Magie hatte Cara ihr beigebracht – betrachtete ich sie. Lena wirkte traurig, was in Anbetracht der tödlichen Krankheit ihres Vaters natürlich war, aber sie erschien mir im Gegensatz zu heute Nachmittag auch seltsam unruhig.

Sie schob mir das Glas herüber, hielt aber den Kopf gesenkt. »Ich glaube, es braut sich was zusammen, Luczin.«

Ich sog den Atem ein. »Was meinst du?«

Lena schaute mich an. »Kurz nach Sonnenuntergang ging ich in den Garten hinaus, um noch ein bisschen frische Luft zu schnappen. Zwischen den Rosenstöcken entdeckte ich einen seltsam dunklen Nebel und ich fühlte mich beobachtet.«

Ich ließ mir meinen Schrecken nicht anmerken. »Glaubst du, das war eine magische Erscheinung? Geister womöglich?«

Lena seufzte. »Ja, etwas in der Art. Der Nebel erschien mir zumindest nicht natürlich. Ich hörte auch keinen einzigen Vogel mehr singen, sie waren alle fort. Außerdem habe ich ein komisches Gefühl wegen Niven, ich spüre, dass etwas nicht in Ordnung ist«, sie schaute mich forschend an, »und dass du deswegen gekommen bist.«

Ich lehnte mich im Stuhl zurück und lächelte. »Du kennst mich gut!«

Lena atmete tief durch. Ihre angespannte Haltung veränderte sich. Mit einem Mal schien sie wieder kraftvoll, bereit alles zu tragen, das ihr auferlegt wurde, wie damals auf dem Weg durch das Schattenreich.

Sie nickte. »Dann sag mir jetzt, was passiert ist.«

Ich beugte mich über den Tisch und ergriff Lenas Hände. »Niven geht es gut, aber sein Onkel Mihai wurde von einer Grungalp berührt und ist dadurch krank geworden. Ich soll dir sagen, dass Niven vielleicht nicht mitkommen kann, wenn ich euch in acht Tagen nach Antiquerra bringe.«

Lena entzog mir ihre Hände, stützte sich das Kinn auf. »Tahereh … Sie macht das.« Sie rieb sich die Stirn. »Ja, ich bin mir sicher. Aber warum jetzt? Was will sie?«

Ich gewann den Eindruck, dass Lena eher zu sich selbst gesprochen hatte als zu mir, und die Art, wie sie da saß, mich anschaute und dennoch scheinbar wie abwesend in sich selbst hineinhorchte, bestürzte mich. Mehr denn je erschien sie jetzt als die Fata, deren Ahnungen sich aus geheimem Quellen speisten, zu denen ich keinen Zugang hatte.

Ich räusperte mich. »Du glaubst also, dass die Schattenkönigin Tahereh dahintersteckt?«

Lena schien bei meiner Frage wieder in die Wirklichkeit zu finden. Sie blies die Backen auf. »Mit der Krankheit meines Vaters hat Tahereh sicher nichts zu tun, aber auf jeden Fall weiß sie davon, spätestens seit heute Abend. Ich glaube, dass einer ihrer Diener oder vielleicht sogar sie selbst mich beobachtet hat. Der unnatürliche Nebel im Garten … Was Mihai betrifft: Die Grungalp gehören zu Taherehs Gefolge, nicht wahr? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Tahereh sie beauftragt hat, und wenn es so ist, dann ist Niven ihr eigentliches Ziel.«

Lena hatte ganz sachlich gesprochen. Sie schien sich nicht zu fürchten, war auch nicht mehr unruhig, wie zu Anfang. Sie wirkte jetzt eher klar, gefasst, so als ob eine neue Tatsache geschaffen wäre, die sie eben einfach akzeptieren musste.

»Unsere Gefährten wachen über die Beiden, du musst dir also keine Sorgen machen«, sagte ich.

»Ja.« Lena erschien schon wieder wie abwesend. Dann sah sie mich an, und ich begriff, dass sie einen Entschluss gefasst hatte. »Ich habe hier nicht mehr viel zu regeln, sodass wir schon zwei oder drei Tage früher nach Antiquerra gehen können. Ich kann dir nicht sagen, warum, aber ich glaube, dass Vater und ich so schnell wie möglich bei Dorith einziehen sollten.«

Meine Gedanken überschlugen sich. Was meinte sie damit? War sie hier in Gefahr? »Ich werde heute Nacht in deiner Nähe bleiben«, sagte ich spontan.

Lena griff nach meiner Hand, lächelte. »Ich bin so froh, dich als Freund zu haben, Luczin.«

Ich küsste ihre Fingerspitzen. »Du kannst immer auf mich zählen, Süße …« Dann lenkte ich schnell ab. »Ist die Gartentüre offen? Ich möchte mich dort draußen gern umsehen.«

»Ja, ich hab sie noch nicht verschlossen.«

Gemeinsam gingen wir in den kleinen Küchengarten hinaus und ich betrachtete jeden Winkel. In der nächtlichen Dämmerung sah ich in der hinteren Ecke zwischen den Strauchrosen einen bewegten Schatten. »Meinst du das da hinten?«, fragte ich und deutete in die Richtung. Als Lena bestätigte, schob ich sie hinter mich. »Bleib hier, ich gehe näher heran.«

Ich stellte all meine Sinne auf Empfang und trat nach vorne. Aber ich blieb vorsichtig. Als ich etwa zehn Schritte von dem Schattengebilde entfernt war, spürte ich einen Widerstand, einen Druck gegen meinen Bauch, als ob mich jemand zurückschieben wollte. Ja, das war eindeutig eine magische Erscheinung! Sie wollte mich fernhalten, aber hatte sie auch die Absicht, anzugreifen? Nein, zumindest nicht jetzt und nicht mich. Ich hörte ein Flüstern zwischen den Blüten, verstand aber nichts.

Lena hatte es an ihrem Platz nicht ausgehalten und kam zu mir. »Kannst du etwas hören?«

»Nicht wirklich.« Ich sah, wie der Schatten sich plötzlich nach Lena ausstreckte und zog sie schnell ein Stück weit zurück. »Du darfst keinesfalls in die Nähe dieses Gebildes kommen!«

»Ich weiß«, flüsterte sie.

Ich schlang meinen Arm um Lenas Taille, behielt den Schatten fest im Auge und ging mit ihr rückwärts bis zur Küchentüre zurück.

Plötzlich streckte Lena ihren rechten Arm nach vorne aus. Ihre Fingerspitzen begannen zu leuchten. »Zeig dich, wer immer du bist!«, rief sie.

Das magische Gebilde begann zu pulsieren. Für einen kurzen Moment sah ich ein Stückchen dunklen Stoff und eine Hand, dann erhob sich der Schatten schwebend in die Luft und verwandelte sich in einen gespenstischen Schwarm von schwarzen Vögeln, die lautlos dem Nachthimmel zuflogen.

Ich drückte Lena an mich, atmete durch. »Vermutlich waren das Taherehs Spione. Sie sind fort, aber sie werden bestimmt wiederkommen. Bis ich euch nach Antiquerra bringe, darfst du jedenfalls nur noch tagsüber hier herausgehen. Sobald die Sonne untergeht, musst du den Garten meiden.«

Lena seufzte. »Ja, das ist mir klar. Ich bin so froh, wenn wir endlich in Antiquerra sind.«

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wir schaffen das auch diesmal wieder! Jetzt bleibe ich hier und passe auf euch auf, und ich komme auch die nächsten Nächte. Du kannst also unbesorgt schlafen gehen.«

Lena gähnte. »Das war das Stichwort. Danke, Luczin! Ich schau noch kurz nach meinem Vater und geh dann zu Bett.« Lena nestelte an dem Beutel, den sie auf Taillenhöhe an ihrem Kleid befestigt hatte. »Aber vorher schicke ich Niven einen Schmetterling. Er leidet sicher sehr wegen Mihais Krankheit.«

Damit hatte sie recht, aber ich sagte nichts, sah nur zu, wie sie einen Kokon aus dem Beutel nahm und sich konzentrierte. Die weiße Seidenhülse in ihrer Hand vibrierte, schoss dann in die Luft und platzte dort mit einem hell klingenden Ton auf. Heraus flog ein hellblauer Schmetterling, der eilig davonflatterte.

Bald darauf ging Lena ins Haus hinein. Kurz nachdem das Licht hinter dem Fenster ihres Zimmers erlosch, sah ich, wie sich zwischen den Rosenbüschen erneut ein magischer Schatten bildete.

Erst nach Sonnenaufgang traf ich wieder in Antiquerra bei Niven und Mihai ein. Im Garten unter dem Apfelbaum stand Briann.

»Er ist immer noch in demselben Zustand wie gestern, keine Veränderung«, sagte er und sah mich aufmerksam an.

Ich wollte meine schlechte Nachricht noch ein wenig hinauszögern. »Lena geht es gut. Niven hat zwischenzeitlich sicher schon einen Schmetterling von ihr bekommen.«

Briann nickte. »Ja, hat er, schon gestern Abend. Und wieso kommst du erst jetzt zurück?«

Jetzt musste ich es sagen. »In Lenas Nähe gibt es neuerdings ebenfalls Anzeichen für Taherehs Wirken. Sie wird von einer magischen Erscheinung in ihrem Garten beobachtet. Sieht aus wie ein dunkler Nebel, der sogar versucht, nach ihr zu greifen, wenn sie in seine Nähe kommt. Ich blieb deshalb die Nacht über bei ihr.«

Briann seufzte. »Dann hat mich mein Gefühl doch nicht getäuscht. Konntest du etwas über den Nebel in Erfahrung bringen?«

»Lena hat das magische Gebilde gezwungen, sich zu offenbaren. Aber so ganz eindeutig war es trotzdem nicht. Ich sah nur kurz ein Stück Stoff und dann löste sich die Erscheinung auf und gab Schattenvögel frei. Vermutlich waren das Taherehs Diener, aber mit Bestimmtheit kann ich das nicht sagen, denn ihre Absichten konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Sie flogen einfach davon. Schon zuvor hat mich eine machtvolle Energie daran gehindert, Fühlung aufzunehmen. Ich hab mir das vor Lena nicht anmerken lassen, aber ich fand das sehr bedenklich, und – das Nebelgebilde kam wieder, nachdem sie schlafen gegangen war.«

Briann gab einen grollenden Ton von sich. »Schattenvögel … Ja, das passt zu Tahereh. Verdammt! Dann müssen wir uns wohl tatsächlich darauf einstellen, dass es wieder beginnt.«

Ich nickte und deutete dann auf das Feenhäuschen. »Ich hab Lena nicht erzählt, wie schlimm es um Mihai steht.«

»Ja, ich denke, das ist Nivens Sache.«

Wir gingen zum Hauseingang, doch dann hörte ich auf dem Weg neben dem Gartenzaun Schritte und drehte mich um. Cara kam, um Niven bei der Pflege seines kranken Onkels zu unterstützen.

»Euren ernsten Gesichtern nach zu urteilen, hat sich Mihais Zustand wohl nicht verbessert.«, mutmaßte sie.

Ich schüttelte den Kopf und hielt ihr die Tür auf. Nacheinander traten wir in Mihais große Wohnküche.

Niven bereitete bereits das Frühstück zu. Er wirkte heute wieder ganz gefasst und nickte nur, als ich von dem Schatten erzählte, der Lena beobachtet hatte. »Wir müssen jetzt alle vorsichtiger sein. Ihr wisst, wie Tahereh reagiert, wenn man sich ihr in den Weg stellt.«

»Ja, deshalb hat sie auch keine Freunde«, murmelte Cara düster. Dann ging sie kopfschüttelnd zu Niven und nahm ihm den Topf weg, in dem er rührte. »Lass mich mal an den Herd. Dieses verbrannte Zeug kann doch keiner essen!«

Während Cara nun in rascher Folge mit den Fingern schnipste, um Niven und dem kranken Mihai ein kräftigendes Frühstück zu zaubern, verabschiedeten wir uns. Wir brauchten ein wenig Schlaf und am späten Nachmittag wollten wir dann zum Turm gehen, um mit den anderen zu reden.

Weltsichten …

Der Morgen graute schon und ich schrieb noch immer. Beinahe hätte ich nicht einmal mitbekommen, dass Briann eintrat. In der Hand hielt er eine doppelwandige Kanne und ein Glas. »Mir scheint, du fällst jetzt ins andere Extrem. Hast du die ganze Nacht geschrieben?«

Ich nickte. »Du unterbrichst meinen Gedankenfluss.«

»Das ist Absicht.« Briann schwenkte die Kanne vor meiner Nase. »Na, duftet das? Noch warm!«

Ich sah auf die Kanne, dann zu ihm und legte die Schreibfeder beiseite. »Noch warm, sagst du?«

»Eben frisch gezapft von einem prächtigen Kronenhirsch.« Briann lachte. »Ich glaube, der mag mich jetzt erst einmal eine Weile nicht mehr sehen.«

Ich deutete auf seine Schulter, wo ich einen kleinen blutverschmierten Riss in seinem Hemd entdeckt hatte. »Sag bloß, er hat dich erwischt.«