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Verdient ihre Liebe eine zweite Chance? Allie kehrt nach einer schweren Ballettverletzung zur Regeneration nach Cape Cod zurück, wo eine Begegnung mit ihrem ehemaligen besten Freund längst vergessen geglaubte Gefühle und schmerzhafte Erinnerungen weckt. Hudson hat sie als Jugendliche vor dem Ertrinken gerettet, aber er hat sie auch nach dem Tod ihrer Schwester im Stich gelassen. Als Hudsons Nichte plötzlich vor Allies Tür steht und verzweifelt ihre leibliche Mutter finden will, gerät Allie in eine unmögliche Situation.
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Seitenzahl: 803
Veröffentlichungsjahr: 2025
Allie Rousseau, eine Ballerina auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, will sich im Sommerhaus ihrer Familie in Cape Cod in Ruhe von einer Verletzung erholen. Dort weckt eine Begegnung mit ihrem ehemaligen besten Freund jedoch schmerzhafte Erinnerungen. Hudson Ellis, jetzt ein Eliterettungsschwimmer, hat sie als Jugendliche vor dem Ertrinken gerettet, aber er hat sie auch nach dem Tod ihrer Schwester im Stich gelassen, als sie ihn am meisten brauchte. Als Hudsons Nichte sie um Hilfe bei der Suche nach ihrer leiblichen Mutter bittet, gerät Allie in eine unmögliche Situation. Während sie versucht, dem Mädchen zu helfen, spürt Allie eine vertraute Anziehung zu Hudson. Doch warum ist er damals gegangen? Und sind sie mutig genug, es noch einmal zu versuchen?
Von Rebecca Yarros ist bei dtv außerdem lieferbar:
Fourth Wing – Flammengeküsst
Iron Flame – Flammengeküsst
Onyx Storm – Flammengeküsst
Weil ich an dich glaube – Great and Precious Things
Alles, was ich geben kann – The Last Letter
Rebecca Yarros
Mein bestes Solo für dich
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Michelle Landau
Für meine Mutter
An Tagen wie diesem verstand ich, wieso dreiundsiebzig Prozent der Kandidaten die Ausbildung zum Rettungsschwimmer nie abschlossen. Mir blieben noch zwei Sommer, um sicherzustellen, dass ich zu den siebenundzwanzig Prozent zählte, die es schafften.
Das heutige Wetter sorgte für knapp zwei Meter hohe Wellen mit weißen Schaumkronen vor Cape Cod und zur Feier des Memorial Day gab es noch eine Extraportion Unterkühlung obendrauf. Es war unangenehm und herausfordernd und genau deswegen das perfekte Trainingswetter.
Die Müdigkeit hatte vor zwanzig Minuten eingesetzt, gefolgt von Erschöpfung zehn Minuten später und der komplette Zusammenbruch ließ nicht mehr lange auf sich warten, aber ich brauchte noch fünf Minuten. Hundert Meter mehr würden meinen persönlichen Rekord in dieser Art Seegang bedeuten und ich würde nicht aufgeben, bis ich ihn erreicht hatte.
Was waren im großen Ganzen schon dreihundert Sekunden?
Ich konzentrierte mich auf meine Atmung, hielt den Kopf unten und schwamm vorwärts, zählte jede Sekunde. Bei zweihundertelf atmete ich einen Schwall puren Salzwassers ein und kam hustend an die Oberfläche. Sobald die Welle, die meinen Schnorchel geflutet hatte, vorübergezogen war, riss ich mir das Mundstück heraus.
»Hudson!«, rief Gavin von links und ließ den Motor des sieben Meter langen Fischerboots verstummen, das unser Vater liebevoll als sein viertes Kind bezeichnete, obwohl es in Anbetracht seines Alters eigentlich sein erstes sein müsste. »Es reicht für heute.«
»Ich muss nur noch dreißig Meter schaffen, das wäre ein neuer Rekord«, rief ich zurück und trat Wasser durch die nächste Welle.
»Du musst nur eins und zwar deinen Hintern ins Boot bewegen, bevor die Wellen noch höher werden«, entgegnete er und sah mich über die Gläser seiner Sonnenbrille, die er trotz des verhangenen Himmels trug, hinweg an. »Du bist durch. Dreißig Meter packst du nicht mehr.«
»Halt die Klappe.« Ich schob mir das Mundstück des Schnorchels wieder zwischen die Lippen und machte mich bereit weiterzuschwimmen, einfach nur, um zu beweisen, dass ich es konnte.
»Mein Kater macht mich echt fertig, und wenn du nicht willst, dass bei deiner nächsten Trainingseinheit Caroline am Steuer steht, kletterst du hier rein, bevor ich in diesem Wetter eine Kehrtwende machen muss.« Er ließ das Boot treiben, lief zum Heck, beugte sich über die Reling und klappte die Leiter ins Wasser.
Verdammt. Er meinte es ernst.
Unsere ältere Schwester war eine überfürsorgliche Mutterhenne, die niemals auch nur in Erwägung ziehen würde, mich in solchen Verhältnissen rauszufahren, was bedeutete, dass mein neuer Rekord warten musste. Die Frustration darüber wärmte mich während der wenigen Züge, die ich brauchte, um das Boot zu erreichen. Ich wartete ab, bis das Heck sich mit dem Seegang senkte, und zog mich dann die dreisprossige Leiter hinauf.
»Du hast mir gefehlt und ich bin froh, dass du wieder zu Hause bist, aber du bist echt scheiße. Ich war so kurz davor.« Ich kletterte über das schmale Badedeck und auf die mit Handtüchern bedeckte Bank, bevor ich die Leiter hochzog. Dad würde uns umbringen, wenn wir die ausgebleichten Ledersitze nass machten. Das Boot neigte sich hart zur Seite, als ich meine Tauchmaske und die Kapuze meines Neoprenanzugs abnahm und beides in die schwarze Tasche zu Gavins Füßen warf.
»Das trifft mich schwer, kleiner Bruder.« Sarkastisch legte er eine Hand an die Brust, musste sich bei der nächsten Welle jedoch am Fahrersitz festhalten. »Lass uns heimfahren, damit ich mir endlich den Vortrag anhören kann, an dem Dad schon den ganzen Tag arbeitet. Wäre doch eine Schande, wenn er sich die Arbeit macht und dann niemanden hat, dem er seine Tirade vortragen kann.«
»Er ist nur …« Mir fehlten die Worte, genau wie heute Morgen, als er seine Entscheidung mitten im Café unserer Eltern verkündet hatte.
»Enttäuscht darüber, dass ich das College abbrechen will«, beendete Gavin den Satz. »Im Gegensatz zu Caroline, die es geschafft hat, ihren Abschluss zu machen, obwohl sie schon verheiratet war und zwei Jobs hatte.«
»Vergleich dich nicht mit Caroline und hab etwas Nachsicht mit Dad. Er ist einfach … überrascht.« Ich schälte mich aus dem Rest meines Neoprenanzugs und den Tauchsocken, bis ich nur noch eine alte Badehose mit Hawaiiprint trug.
»Ich habe innerhalb von zwei Jahren viermal mein Hauptfach gewechselt«, sagte Gavin und griff nach meiner Bruins-Kappe, die über dem Steuerrad hing. »Glaub mir, so überrascht ist Dad nicht.«
Da hatte er auch wieder recht. Gavin war bekannt dafür, dass man jede Menge Spaß mit ihm haben konnte, aber nicht dafür, dass er das, was er anfing, auch durchzog.
»Du könntest bei Caroline und Sean übernachten, bis Mom die Wogen geglättet hat.« Ich trat neben ihn.
»Ich lasse Mom nicht mit meinem Mist hängen. Themenwechsel.« Ein Lächeln zog Gavins Mundwinkel nach oben. »Du bist kaum siebzehn und steckst all deine Ersparnisse in einen neuen Neoprenanzug. Man könnte meinen, du hättest vor, bis nach Alaska zu schwimmen. Glaub bloß nicht, dass mir die Landkarte über deinem Bett nicht aufgefallen wäre.«
»Manche Träume verändern sich nie.« Vor drei Jahren war ich zufällig über eine Dokumentation gestolpert, seitdem wollte ich als Rettungsschwimmer in Sitka stationiert werden. Menschen helfen? Jap. Adrenalin? Jap. Den einzigen Ort verlassen, an dem ich jemals gelebt habe, um ans andere Ende des Landes zu ziehen? Jap! Ich zog das Handtuch von der Rückbank und rubbelte mir damit Haare und Brust trocken, bevor ich ein T-Shirt überstreifte. »Und danke, dass du mit mir rausgefahren bist. Dad hat immer so viel zu tun.«
»Ich fahre dich gern jeden Tag raus, wenn das hilft.« Gavin drückte mir meine Kappe gegen die Brust und balancierte das heftige Schwanken des Bootes mühelos aus.
»Danke.« Ich wusste, dass es besser war, ihn nicht beim Wort zu nehmen. Er hatte immer nur die besten Absichten, aber an der Umsetzung haperte es meistens. »Vermutlich übertreibe ich es mit dem Training, aber so habe ich wenigstens etwas, auf das ich hinarbeiten kann.« Die Brise ließ Gänsehaut über meine Arme ziehen, als ich mir die Kappe mit dem Schirm nach hinten auf den Kopf setzte. Siebzehn Grad waren ziemlich viel für diese Jahreszeit, fühlten sich aber trotzdem eisig an, wenn man frisch aus dem Wasser kam.
»Und das respektiere ich.« Er drehte den Zündschlüssel und startete den Motor, ließ ihn jedoch im Leerlauf, als er über meine Schulter sah. »Ist das ein Ruderboot?«
»Hier draußen? Unmöglich.« Ich riss den Kopf herum, folgte seinem Blick und entdeckte schnell das kleine Boot etwa hundert Meter westlich von uns. An der Außenseite schien es einen Motor zu haben und die zwei Personen darin … duckten sich?
»Was zur Hölle machen die da?«, fragte Gavin, als die beiden Bootsinsassen sich scheinbar wieder und wieder auf ihren Bänken vorbeugten, während sie immerzu hinter den Wellen aus unserer Sicht verschwanden. »Wippen?«
Ein schweres Gewicht sackte in meinen Magen wie ein Stein. Ich zog das Fernglas aus dem Handschuhfach und spähte zu dem anderen Boot hinüber.
Verdammt. Zwei Mädels, etwa in meinem Alter, saßen in einem vielleicht vier Meter langen Boot mit winzigem Motor, das definitiv schon bessere Tage gesehen hatte, und waren dabei, mit den Händen Wasser aus dem Inneren zu schöpfen. »Die wippen nicht, die sinken.« Und keine der beiden trug eine Schwimmweste. Ich reichte das Fernglas an Gavin weiter und er hob es an sein Gesicht. »Wir müssen ihnen helfen.«
»Oh, Scheiße.« Gavin warf das Fernglas zurück ins Handschuhfach und knallte die Klappe zu. »Halt dich fest.«
Mit einer Hand stützte ich mich an der Windschutzscheibe ab, mit der anderen an der Brüstung des Armaturenbretts und Gavin gab Gas.
Kurz küsste die Nase unseres Bootes den Himmel, bevor Gavin den Trimm anpasste, und als das Boot sich wieder absenkte, glitten wir beinahe über das Wasser hinweg, doch auch das konnte die Wucht der Wellen, die gegen den Rumpf krachten, nicht abschwächen. Nachdem der dritte knochenerschütternde Treffer uns beinahe umgeworfen hätte, fluchte Gavin und änderte unseren Kurs.
»Wir müssen frontal auf sie zuhalten …«, begann er.
»Mit der Strömung«, stimmte ich zu. Jede Welle bedeckte die Windschutzscheibe mit einem dichten Sprühregen. Ich hielt den Blick fest auf das andere Boot gerichtet und Angst schoss durch meine Adern, dicht gefolgt von Adrenalin, als das kleine Gefährt in der nächsten Welle kippte und Wasser über den Bug strömte.
Bisher hatten die beiden Mädchen in Schwierigkeiten gesteckt, jetzt schwebten sie in akuter Gefahr.
Hinter Gavin bewegte ich mich rüber nach Steuerbord und klappte die hintere Beifahrerbank hoch, während er das Gas drosselte. Boote hatten keine Bremse. »Es gibt nur zwei Schwimmwesten?« Das durfte doch nicht wahr sein.
»Wir sind ja auch nur zu zweit«, rief Gavin zurück, als wir etwa zwanzig Meter neben der Backbordseite des kleineren havarierten Bootes trieben.
Ich zog mir eine der grellgelben Westen über und befestigte die drei Clips um meinen Torso, griff dann nach der zweiten Weste und tat mit ihr dasselbe, zerrte an den Riemen, um sie weiter zu stellen, damit sie über die erste passte. »Kannst du uns näher heranbringen?«
»Nicht, ohne gegen sie zu stoßen oder an ihnen vorbeizutreiben«, antwortete er und nahm die Sonnenbrille ab. »Mist, ich glaube, sie …«
»Hilfe!«, schrie das Mädchen im pinken Shirt, das jetzt im Bug des heftig schwankenden Bootes stand und panisch mit den Armen wedelte, als bestünde irgendeine Chance, dass wir sie übersehen hatten.
Ich riss die Augen auf. Was zur Hölle … »Setz dich wieder hin!«
»Gib mir eine Weste.« Gavin streckte seine Hand aus.
Das Mädchen, das noch hinten im Boot saß, griff nach dem anderen, aber es war schon zu spät, die nächste Welle kam, schwappte über die Seite des ohnehin schon unsteten Bootes und brachte es zum Kentern.
Die Mädchen verschwanden im Wasser und mein Herz machte einen Satz.
»Ich gehe rein.« Ich kletterte auf den Beifahrersitz. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
»Auf keinen Fall. Ich lasse nicht zu …«
Ich sprang.
Mit Neoprenanzug war das Wasser schon kaum erträglich gewesen. Ohne ihn traf mich die Temperatur wie ein Schlag in die Magengrube und ich musste kämpfen, um Luft in meiner Lunge zu behalten. Die Schwimmwesten zogen mich nach oben und kaum hatte ich die Wasseroberfläche durchbrochen, nahm ich einen tiefen Atemzug. Das Salz brannte in meinen Augen.
»Verdammt, Hudson!«, rief Gavin irgendwo hinter mir, aber ich war zu sehr aufs Schwimmen konzentriert, um ihm antworten zu können.
Bitte, Gott, lass sie beide am Leben sein.
Obwohl mich die Westen behinderten, schwamm ich schneller denn je, angetrieben von Adrenalin und panischer Angst vor dem, was mich erwartete.
Mit hämmerndem Herzen näherte ich mich dem Bug des gekenterten Boots und sah, dass sich die zwei Mädchen an der Seitenwand festgeklammert hatten. Mit beiden Händen hielten sie sich an dem Balken fest, der sich am Rumpf des Schiffskörpers entlangzog, und Erleichterung raubte mir die Worte. Es ging ihnen gut. Sie befanden sich in einer gefährlichen Lage, aber sie waren am Leben und … stritten sich.
»Ich wusste nicht, dass es ein Loch hat!«, kreischte das Mädchen im pinken Oberteil das in Grün an, das mir den Rücken zugewandt hatte. »Oder dass das Benzin fast leer ist, und ich habe dich auch nicht gebeten, an Bord zu springen, als ich aus dem Bootshaus gefahren bin!«
»Natürlich bin ich aufgesprungen«, erwiderte das Mädchen in Grün und klang dabei trotz des deutlich hörbaren Zähneklapperns erstaunlich ruhig. »Ich dachte, ich könnte dich aufhalten. Dad hat doch gesagt, dass wir niemals mit diesem Boot rausfahren dürfen.«
»Ich wollte einfach nur ein paar Minuten ohne sie!«, jammerte das Mädchen in Pink. »Und jetzt wird sie uns beide umbringen, wenn sie rausfindet, dass wir das Boot versenkt haben!«
»Wollt ihr vielleicht von hier verschwinden?«, fragte ich schwer atmend, als ich das Boot umrundet hatte.
Beide Mädchen rissen den Kopf zu mir herum, starrten mich an.
Der rote Striemen an der Schläfe des Mädchens, das mir am nächsten war, erregte sofort meine Aufmerksamkeit, doch was meinen Blick fesselte, waren ihre Augen. Sie waren beinahe zu groß für ihr herzförmiges Gesicht, hatten die Farbe von purem Whiskey und waren von dichten, nassen Wimpern gesäumt, die sich herabsenkten, als sie den Blick über mich schweifen ließ und an den Schnallen über meiner Brust hängen blieb.
In der Sekunde, als ihr Blick meinen fand, vergaß ich, wie man verdammt noch mal atmete, ganz zu schweigen von denken. Ich war noch nie vom Blitz getroffen worden, aber genau so musste es sich anfühlen. Und sie blutete. So richtig. Reiß dich zusammen.
»Du bist verletzt …«, setzte ich an, während Sorge meinen Brustkorb zusammenschnürte.
»Oh, Gott sei Dank!« Das Mädchen in Pink stieß sich vom Boot ab und warf sich in meine Richtung.
Aus reinem Instinkt fing ich sie auf.
»Ich bin erst vierzehn und das ist definitiv viel zu jung, um zu sterben, nur weil ich vergessen habe, den Benzinstand zu überprüfen … oder das Boot«, verkündete sie dramatisch, klammerte sich an meinen Schultern fest und sah aus angsterfüllten braunen Augen zu mir auf. »Und ich kann nicht besonders gut schwimmen.«
Und trotzdem war sie ohne Schwimmweste in einem uralten Ruderboot hier rausgefahren? »Gib mir eine Sekunde.« Ich trat Wasser. »Halt dich an dem Boot fest, als hinge dein Leben davon ab.«
Aufgebracht zog das Mädchen den Kopf zurück, ihre Kinnlade klappte so weit herunter, dass sie sich beinahe den Kiefer ausrenken musste.
»Er trägt zwei Schwimmwesten, Eva«, sagte das Mädchen mit den Whiskey-Augen. »Du musst eine davon anziehen, bevor er dich zu seinem Boot bringen kann.«
»Oh. Na klar.« Eva griff wieder nach dem Rumpf, als eine weitere Welle uns hochhob und wieder fallen ließ, das Boot aber nicht überspülte. »Und danach holst du Allie, ja?«
»Mir geht’s gut, Eva …«, begann die andere.
»Genau genommen sollte ich dich zuerst rüberbringen«, sagte ich zu dem Mädchen in Grün – Allie, wie ich annahm –, als die Kälte allmählich bis in meine Knochen drang.
»Sie ist sechzehn und kann viel besser schwimmen als ich.« Evas Stimme schnellte in die Höhe.
»Das stimmt.« Allie klapperte mit den Zähnen. »Bitte nimm Eva mit. Ich kann warten.«
»Du blutest und wir haben keine Zeit zu diskutieren.« Ich trat Wasser, um zwischen den beiden zu bleiben, während die Strömung uns immer weitertrug.
»Nur am Kopf, nicht an den Beinen. Ich komme schon klar.« Ihr besorgter Blick huschte zu Eva.
»Bitte was?« In welcher Welt war eine Kopfwunde besser als eine an den Gliedmaßen?
»Sie kann wirklich nicht gut schwimmen. Bitte hol sie hier raus«, flehte Allie, während rosa Wasser von ihrem Kinn tropfte. »Wie heißt du?«
»Hudson Ellis.« Das dauerte alles viel zu lange. Ich löste die Schnallen der oberen Weste und Eva riss sie mir aus der Hand, kaum dass ich sie mir über den Kopf gezogen hatte. »Hey …«
»Hudson.« Allie klapperte noch vehementer mit den Zähnen. »Ich bin Alessandra. Ich weiß nicht, ob du Geschwister hast, aber für mich gibt es nichts Wichtigeres als meine Schwestern.«
Ah. Das erklärte ihren Widerstand.
»Abgesehen vom Tanzen«, widersprach Eva, die einen Arm nach dem anderen in die Weste schob, während eine weitere Welle uns schaukeln ließ.
»Nichts«, wiederholte Alessandra und hielt meinen Blick gefangen. »Du musst meine kleine Schwester zuerst rüberbringen. Bitte. Ich kann sie nicht hier zurücklassen.« Angst blitzte in ihren Augen auf, sie zog ihre Brauen zusammen und schürzte die Lippen. Dennoch hob sie das Kinn. »Ich komme nicht mit, bevor sie gerettet ist.«
Mist. Genauso wenig, wie ich Caroline oder Gavin zurücklassen könnte. Auf einer tiefen, instinktiven Ebene verstand ich dieses Bedürfnis. Ja, wir gingen uns gegenseitig auf die Nerven, aber wir waren füreinander da, komme, was da wolle, und Alessandra empfand ebenso intensiv für ihre Geschwister wie ich für meine. Etwas in meiner Brust brach auf und jede Unze meines gesunden Menschenverstands musste ins Wasser gesickert sein, denn diese eine Bitte gab mir das Gefühl, sie zu kennen.
»Ich habe Geschwister«, sagte ich und griff nach dem nächsten Set Schnallen. »Ich verstehe das.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Was machst du da?«
Ich zog den rechten Arm aus der Weste, griff dann nach dem Boot, um mich daran festzuhalten, bevor ich den Rest des gelben Rettungsschwimmkörpers über meinen linken Arm gleiten ließ und ihn ihr hinhielt. »Zieh die an.«
»Nein.« Sie starrte die Weste an, dann wieder mich. »Die brauchst du selbst. Die Wellen sind viel zu hoch.«
»Ich brauche sie nicht. Ich bin ein fantastischer Schwimmer und das ist der einzige Kompromiss, der mir einfällt.« Ich schenkte ihr ein – hoffentlich – beruhigendes Lächeln. »Ich brauche keine fünf Minuten, um euch zu unserem Boot zu bringen.«
»Fünf Minuten?«, fragte Eva panisch.
»Weniger als fünf Minuten«, verbesserte ich mich, ohne Alessandra aus den Augen zu lassen. »Fünf Minuten lang hält man alles durch. Ich bleibe die ganze Zeit bei euch. Nimm die Weste.« Das widersprach allem, was ich jemals über Rettungseinsätze gelesen hatte, aber in diesem Moment interessierte mich das nicht.
»Das kann ich dir nicht antun.« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich bin ein Fremder«, erinnerte ich sie.
»Nein. Du bist Hudson Ellis.« Ihre Arme zitterten.
»Dann haben wir ein Problem. Du willst deine Schwester nicht zurücklassen und ich werde dich nicht zurücklassen.« Ich streckte ihr die Schwimmweste entgegen. »Ich bin ziemlich stur, mit der Warterei verlängerst du also nur die Zeit, die ihr im Wasser seid.«
»Komm schon, Allie, ich erfriere!«, rief Eva.
Alessandra nahm die Weste und nachdem sie sie angelegt hatte, schwammen wir zu dritt auf Gavin zu.
Als ich die beiden Mädchen schließlich an Bord hievte, hatten ihre Lippen ein tiefes Blau angenommen und die Wellen hatten die Überreste ihres Ruderboots verschlungen.
»Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?«, fuhr Gavin mich an.
»Sie sind am Leben.« Ihren Widersprüchen zum Trotz gab ich Alessandra meinen schwarzen Rip-Curl-Hoodie und Eva so ziemlich jedes Handtuch, das wir an Bord hatten, bevor ich sie beide auf die Bank drückte. »Wir sollten euch zu einem Arzt bringen.«
Alessandra schüttelte den Kopf und zog den Reißverschluss meines Sweatshirts hoch. »Dann bekommt unsere Mutter mit, was passiert ist.«
Ernsthaft? Meine Brauen schossen so weit hoch, dass sie beinahe in meinem Haaransatz verschwinden mussten.
»Wenn du einen Arzt brauchst, müssen wir es trotzdem tun«, flüsterte Eva.
»Ich brauche aber keinen Arzt«, versicherte Alessandra ihrer Schwester in scharfem Tonfall. »Kannst du dir vorstellen, was sie mit uns machen würde?«
Was zum Teufel? Selbst wenn Gavin und ich bei etwas Verbotenem erwischt wurden, war Moms erste Reaktion immer Erleichterung darüber, dass unsere Dummheit uns nicht das Leben gekostet hatte.
»Wir könnten Dad anrufen. Warte. Du wirst ihr doch nicht erzählen, dass ich …«, begann Eva mit panischem Blick.
»Ich erzähle ihr nie irgendwas, oder?«, entgegnete Alessandra, die ihre Hände in den Taschen meines Hoodies verschwinden ließ. An ihr war das verdammte Teil quasi ein Kleid.
»Darf ich mir deinen Kopf mal ansehen?«, fragte Gavin und schob sich an mir vorbei, als das Boot scharf kippte. Unser Schiffskörper war zwar tiefer als der des kleinen Ruderboots, aber in diesem aufziehenden Sturm sollten auch wir nicht länger hier draußen bleiben.
Alessandra nickte und Gavin beugte sich vor, um ihren Kopf zu untersuchen.
»Die Wunde ist nicht groß und hat schon aufgehört zu bluten. Ich glaube nicht, dass sie genäht werden muss«, verkündete er, bevor er mir einen Blick zuwarf, der unmissverständlich klarmachte, dass wir später noch ein ernstes Wort über meine Entscheidungen wechseln würden.
»Könnt ihr uns bitte nach Hause bringen?« Alessandra straffte die Schultern und sammelte sich in einer Geschwindigkeit, die zugleich beeindruckend und ein wenig irritierend war, allerdings verrieten ihre Augen, dass sie nicht so ruhig war, wie sie uns weismachen wollte. »Wir wohnen …«
»Ich weiß, wo ihr wohnt«, unterbrach Gavin sie mit einer Grimasse. »Wir bringen euch hin.«
Er wusste, wo sie wohnten? Fragend sah ich ihn an.
»Danke.« Alessandra zog die Knie unter meinem Sweatshirt an die Brust und ihr Blick huschte zu mir. »Wirklich. Danke, Hudson.«
»Kein Problem.« Verdammt, es gefiel mir viel zu sehr, meinen Namen aus ihrem Mund zu hören.
»Wir sind etwa fünfzehn Minuten vom Festland entfernt«, sagte Gavin mit Blick zu mir und deutete zur Konsole. Ich folgte ihm zu den Sitzen am Armaturenbrett. »Das war verdammt leichtsinnig.« Er schüttelte den Kopf und ich hatte kaum Zeit, nach der Reling zu greifen, ehe er Gas gab und auf die Klippen am westlichen Rand der Stadt zuhielt, jenseits der Strände. »Und pass auf, wie du sie ansiehst. Du weißt, wer sie sind, oder?«, fragte Gavin leise, sodass nur ich ihn hören konnte.
»Nein, aber du offensichtlich schon«, erwiderte ich, während ich mir mit einem Handtuch über die Arme rieb, um meinen Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Scheiße, mir war echt kalt. »Und ich schaue sie nicht an.« Genau genommen war das nicht gelogen, da ich gerade nach vorn sah.
»Ich habe die ganze Szene beobachtet. Du schaust sie so was von an.« Er schnaubte. »Das wird dich in Schwierigkeiten bringen. Das sind die beiden jüngsten Töchter der Rousseaus. Alessandra und Eva, wenn ich mich recht erinnere. Komm gar nicht erst auf die Idee, mit ihr ausgehen zu wollen. Ihre Eltern lassen keinen Kontakt außerhalb ihres Bekanntenkreises zu, erst recht nicht zu Leuten aus dem Ort.«
Rousseau. Eine der Familien mit Sommerhäusern auf den Klippen. Altes Geld.
Mein Brustkorb fühlte sich plötzlich schwach und wackelig an. »Die Balletttänzerinnen.« Kein Wunder, dass ich sie nicht kannte. Sie trainierten jeden Sommer hier, die meiste Zeit allerdings hinter verschlossenen Türen, bis ihre Mutter sie im August zu dem Wettbewerb kutschierte, der jedes Jahr eine Flut tanzbegeisterter Touristen und deren reiche Familien anlockte. »Es gibt vier von ihnen, richtig?« Ich war mir ziemlich sicher, ein paar von ihnen mal im Café gesehen zu haben, als ich zufällig dort war, obwohl ich meine Sommer normalerweise als Rettungsschwimmer am Strand verbrachte.
»Ja«, bestätigte er. »Und du hast gerade ein Auge auf die geworfen, die Lina immer nur die Stille nennt, also lass es einfach.«
»Wer ist Lina?« Es fiel mir schwer, Alessandra, nachdem sie sich eben so für Eva eingesetzt hatte, als still zu betrachten.
Er verzog das Gesicht. »Die älteste der Schwestern. Neunzehn, unglaublich talentiert und sagenhaft schön und so verdammt nervenaufreibend. Sie ist von dieser drei Meter dicken Mauer umgeben und so leid es mir für dich tut, scheint das in der Familie zu liegen.«
»Offensichtlich haben sie zumindest zu ein paar Einheimischen Kontakt.« Ich bedachte ihn mit einem wissenden Blick.
»Alessandra ist nicht Lina. Sie wird nicht gegen die Regeln verstoßen«, sagte Gavin, als wir die Strömung kreuzten. »Und diese kleine Rettungsaktion bleibt unter uns, Caroline hasst diese Mädels nämlich. Sie hat mal irgendwas von einem Milkshake-Vorfall erzählt und dass die alle eingebildet seien.«
Mist. Carolines Gefühle zu verletzen, war das Letzte, was ich wollte. »Ich bezweifle, dass es sich dabei um Alessandra gehandelt hat.« Auch wenn ich kaum fünf Minuten mit ihr verbracht hatte, machte sie einfach keinen eingebildeten Eindruck auf mich.
»So viel dazu, dass du kein Auge auf sie geworfen hast. Aber im Ernst, die dürfen mit niemandem ausgehen und ich will nicht zusehen müssen, wie du wieder in Melancholie versinkst.« Gavin verdrehte die Augen, ließ das Thema dann aber dankenswerterweise fallen.
Ich warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Alessandra mich beobachtete, auf eine Art, die mich vermuten ließ, dass es für sie nicht ungewöhnlich war, Dinge zu bemerken, die anderen entgingen, etwa der Fakt, dass ich zwei Schwimmwesten übereinandergetragen hatte. Bestimmt war sie immer so aufmerksam, nahm sämtliche Details wahr. Wachsamkeit konnte leicht mit einem stillen Charakter verwechselt werden, vor allem, wenn man so viele Geschwister hatte.
Sie neigte den Kopf zur Seite und das plötzliche Verlangen, mehr Zeit mit ihr zu verbringen, traf mich wie ein Pfeil zwischen die Rippen. Nicht in romantischer Hinsicht natürlich – sie befand sich weit außerhalb meiner Liga. Ich wollte wissen, was für Musik sie gern hörte, welche Bücher sie mochte, was ihre Lieblingsfilme waren. Ich wollte wissen, ob es ihr etwas ausmachte, so isoliert zu sein, und womit man sie zum Lächeln bringen konnte. Und je näher wir den Klippen kamen, desto enger wurde meine Brust.
Was immer ich in den nächsten fünf Minuten sagte oder tat, würde entscheiden, ob ich jemals die Chance bekommen würde, sie richtig kennenzulernen, oder ob das hier eine einmalige Begegnung bleiben würde, die mich mit jeder Menge Fragen zurückließ.
Mit einer Hand hielt sie die Knie an die Brust gezogen, die andere hatte sie fest um die Reling geschlossen. Als ihre Schwester etwas zu ihr sagte, wandte sie den Blick von mir ab.
Als wir schließlich den langen Steg und das Bootshaus am Fuß der Klippen erreichten, auf denen sich die meisten der noblen Sommerhäuser befanden, warteten bereits zwei weitere brünette Mädchen auf uns, eine mit besorgter, die andere mit wütender Miene.
»Sie ist sauer«, murmelte Gavin mit Blick hinauf zu dem wütenden Mädchen, als wir neben dem Steg zum Halten kamen. »Wie steht’s, Lina?«, rief er hinauf und ließ den Motor im Leerlauf weitertuckern. Die nächsten paar Wellen würden uns an die Leiter herantreiben, und wenn Gav die Distanz falsch eingeschätzt hatte, würde Dad uns umbringen.
»Meine Schwestern sitzen in deinem Boot, das sagt eigentlich alles.« Lina stemmte die Hände in die Hüfte. »Auch wenn ich zugeben muss, dass es schön ist, dich wiederzusehen, Gavin.«
»Zur Kenntnis genommen.« Heilige Scheiße – lief mein Bruder etwa rot an?
»Woher kennst du die denn?«, rief Eva zu ihrer Schwester hinauf, während ich auf die Steuerbordseite rüberging, die Bojen auswarf, damit wir nicht mit dem Steg kollidierten, und mich dann über die Reling lehnte, um die Leiter zu packen, sobald sie in Reichweite kam.
»Geht dich nichts an«, erwiderte Lina. »Und jetzt bedankt euch bei den Ellis-Jungs und macht, dass ihr hier hochkommt – oh, verdammt, Allie, bist du verletzt?« Sie ließ sich auf die Knie fallen und sah über die Kante des Stegs zu uns herunter, als wir immer weiter auf die Leiter zuschwappten.
»Sie ist verletzt?« Sofort kam die vierte Schwester an Linas Seite. »Wie schlimm? Schaffst du es die Leiter hoch?«
»Kein Grund zur Sorge, Anne«, antwortete Alessandra. »Versprochen.«
Ich bekam die dicke Leiter zu fassen und das Holz knarzte laut, als ich das Gewicht des Boots abfing, schnell ein Seil um das Gestänge schlang und an der mittleren Sprosse vertäute, damit uns die nächste Welle nicht wieder davontrug oder den ganzen Steg zum Einsturz brachte.
»Sie kennt diese Jungs? Schleicht Lina sich etwa heimlich raus?«, zischte Eva Alessandra zu, als Gavin den Motor ausstellte.
»Klingt so«, erwiderte Allie und musste sich ein Grinsen verkneifen, ehe sie mit Eva auf mich zukam. »Schön für sie.«
Ein Funken Hoffnung flammte in meiner Brust auf wie eine Feuerwerksrakete. Vielleicht hatte Gavin recht und sie war niemand, der gegen Regeln verstieß, aber womöglich war sie jemand, der Regeln dehnte.
Eva warf die nassen Handtücher auf den Boden des Boots, bedankte sich murmelnd und kletterte zwischen zwei Wellen die Leiter hinauf. Die nächste Woge spritzte Wasser über das Badedeck und auf die Sitze.
»Du solltest machen, dass du hochkommst, bevor die nächste Welle uns trifft«, sagte Gavin zu Alessandra und ich zog ernsthaft in Erwägung, meinem Bruder ins Gesicht zu schlagen.
»Klar. Danke, dass ihr uns gerettet habt.« Sie schenkte mir ein kurzes Lächeln.
»Gern geschehen.« Ich bot ihr meine Hand, um ihr hinaufzuhelfen, aber sie war schon dabei, über die Bank zu steigen, und erreichte mühelos die Leiter.
Sie schaffte es ein paar Sprossen hinauf, bevor die nächste Welle kam, und sah dann mit einer Grimasse zu mir zurück. »Mist. Ich hab noch deinen Hoodie an.«
»Zwei Möglichkeiten.« Ich grinste zu ihr hinauf. »Behalt ihn oder bring ihn mit, wenn ich dich das nächste Mal auf dem Boot mit rausnehme.«
»Ganz schön dreist«, murmelte Gavin.
Das war es, aber mir blieben maximal zehn Sekunden bis zur nächsten Welle.
»Ich …« Zweimal öffnete und schloss sie den Mund wieder, ehe sie fortfuhr: »Ich darf nicht mit Jungs ausgehen und bin sowieso nur für den Sommer hier.«
»Dachte ich mir.« Ich grinste noch breiter. »Darfst du denn während des Sommers Freunde haben?«
Sie runzelte die Stirn. »Fraglich. Ich bin nicht wirklich gut im Umgang mit Menschen.«
»Hinterlass einfach eine Nachricht im Ellis – dem Café –, falls du zu dem Schluss kommst, dass es die Frage wert ist, Alessandra.« Ich griff nach dem Tau und löste es, ohne dabei den Blick von ihr zu nehmen.
»Okay.« Sie lächelte und ich musste mein pochendes Herz daran erinnern, dass wir nur Freunde sein konnten, wenn überhaupt. »Ein Freund würde mich Allie nennen.«
Ja, verdammt!
»Dann also Allie.« Ich zog das Tau von der Leiter und Gavin startete den Motor.
Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht glauben, dass sie gerade zugegeben hatte, in Erwägung zu ziehen, die Regeln zu dehnen, und kletterte die restlichen Sprossen zu ihren Schwestern hinauf.
Am Ende jenes Sommers war sie meine beste Freundin.
Am Ende des nächsten hasste sie mich.
Und ich konnte ihr deswegen keinen Vorwurf machen.
Alles wankte und in meinen Ohren klingelte es laut. Was war gerade passiert?
»Du bist okay«, versprach Lina und drückte etwas an meinen Kopf, während Flüssigkeit an meinem Gesicht hinabrann. »Alles wird gut, Allie. Du musst nur durchhalten. Es tut mir so leid. Ich hätte nicht so schnell in die Kurve fahren sollen.«
Als ich zu meiner Schwester aufblickte, sah ich im Augenwinkel Flammen tanzen, fand jedoch keine Worte. Der beißende Geruch von Rauch und geschmolzenem Gummi versengte mir mit jedem Atemzug die Lunge.
Lina lächelte auf mich herab. »Ich hab dich lieb, Allie. Es tut mir so leid.«
Ich öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass ich sie auch lieb hatte, aber alles, was rauskam, war ein Wimmern, als Schmerz über mich hinwegspülte, in meinem Kopf dröhnte und mein Bein hinaufschoss. Ich versuchte, mich zu bewegen, doch während mein linker Fuß gerade weit genug über das Gras der Böschung schleifte, um meinen restlichen Körper zu erschüttern, weigerte sich mein rechter Fuß zu kooperieren. Wo waren wir? Irgendwo am Straßenrand? Wieso war es so kalt?
»Hör mir zu«, befahl Lina in schärferem Tonfall und eine Sekunde lang drehte sich alles, bevor ich sie wieder klar sehen konnte, doch ein paar ihrer Worte gingen in dem unablässigen Dröhnen unter, das meinen Kopf entzweiriss. Sie drückte fester gegen meine Schläfe. »Folge deinem Herzen und pass auf das auf, was ich zurücklasse.«
Was sie zurückließ? Wieso verließ sie uns? Wie sollte ich mich um Anne und Eva kümmern? Die beiden brauchten sie, nicht mich. Lina war diejenige, an der wir uns alle orientierten.
»Du musst überleben.« Lina zog ihren Ring – Moms Ring – vom Finger und schob ihn in die Tasche meines weißen Rocks.
Zumindest war er mal weiß gewesen. Jetzt war er braun und grau, stellenweise auch rot.
Lina hob meine Hände an das Stoffbündel an meiner Schläfe und drückte sie darauf. »Ich hab dich lieb. Nicht bewegen. Hilfe ist unterwegs, warte einfach hier.« Sie stand auf, wischte sich den Staub von ihrem blauen Kleid, rannte dann die Böschung hinunter und sprintete los, sodass ihr langes braunes Haar hinter ihr flatterte.
Bleib. In meinem Kopf klang das Wort klar und deutlich, doch meine Lippen wollten sich nicht bewegen.
Flammen stiegen in den Nachthimmel, leckten an den knorrigen Ästen des Baums, auf den Lina zurannte.
Nicht nur ein Baum … Linas Auto. Es hatte sich halb um einen Baumstamm gewickelt, die Beifahrertür stand weit offen und Feuer drang unter der zerbeulten Motorhaube hervor.
Ein Unfall. Wir hatten einen Unfall gehabt. Was zur Hölle hatte sie vor?
Nein. Ich versuchte zu schreien, als Lina zur Fahrertür rannte, aber kein einziger Ton kam heraus. Sah sie die Flammen nicht? Was konnte so Wichtiges dort drin sein?
O Gott, waren Anne und Eva …
Bum!
Hitze traf mein Gesicht und erhellte die Nacht.
Das Auto explodierte.
ReeseOnToe: OMG, sie ist einfach die Beste. Ich sehe sie heute Abend die Giselle tanzen und kann es kaum erwarten!
Mit der Fingerspitze über meiner Lieblingsplaylist zögerte ich. Heute war nicht der Abend, um Risiken einzugehen, deswegen tippte ich stattdessen auf die Auswahl darunter, bevor ich mein Handy neben mir auf die Decke legte, die ich auf dem Boden ausgebreitet hatte. Dann nahm ich Nadel und Faden zur Hand und machte mich an die Arbeit.
Durchstechen. Schieben. Ziehen. Durchstechen. Schieben. Ziehen.
Über meine Kopfhörer erklang Adolphe Adams Giselle und die vertraute Musik verdrängte alles aus meinem Kopf bis auf die bevorstehende Aufführung. Gestern Abend hatte ich bei den diagonalen Sprüngen in der Variation des ersten Akts eine Sekunde Verzögerung gehabt, das durfte nicht noch einmal passieren. Mein motorisches Gedächtnis lenkte meine Hände, während ich den unteren Saum meiner Leggins an die Spitzenschuhe nähte, die ich für die heutige Premiere vorbereitet hatte.
Lina sollte hier sein, nicht ich. Sie wäre perfekt für diese Rolle gewesen, wie mir meine Mutter im Lauf der letzten drei Monate nur allzu gern immer wieder ins Gedächtnis gerufen hatte.
Durchstechen. Schieben. Ziehen. Ich nähte, als könnte der Faden die zehn Jahre alte Wunde schließen, die nie ganz verheilt war.
Kaputter Knöchel hin oder her, heute Abend musste alles perfekt sein.
Mom würde dabei sein und nach der Vorführung würde sie sich garantiert an nichts anderes als meine Fehler erinnern. Meine Hand zitterte, die Nadel stach durch den Stoff und biss in meine Fingerkuppe. Der scharfe Schmerz ließ mich fluchen, instinktiv schob ich mir den Finger in den Mund und betrachtete dann den Schaden. Zum Glück war die Haut nur angegriffen, nicht durchbrochen.
Alles in meinem Leben hatte zu diesem Moment geführt. Jede Stunde an der Ballettstange. Jeder gebrochene Zehennagel – und Zeh –, all die Monate Reha nach dem Unfall, selbst die Sehnenentzündung, die nie wirklich zu verheilen schien. Für diese Rolle auf dieser Bühne mit diesem Ensemble hatte ich meinen Körper, meine Zeit, meine seelische Gesundheit und jeden Anschein einer normalen Beziehung zu der Frau geopfert, die ich heute Abend so unbedingt stolz machen wollte.
Ich hatte ihn geopfert. Ein vertrauter Schmerz pulsierte im selben Takt wie mein Herz, so viel schmerzhafter als der Nadelstich. Oder hatte er mich geopfert? Ich hielt in der Bewegung inne.
»Alles okay bei dir da drüben?«
Die Musik dämpfte Evas Frage, deswegen zog ich einen Stöpsel aus dem Ohr und sah über die Schulter zu meiner kleinen Schwester hinüber, die auf dem einzigen Stuhl in meiner Garderobe saß. Im Spiegel des Schminktischs traf ihr scharfer Blick auf meinen und sie unterbrach das Auftragen ihres Lipliners.
»Allie?« Sie hob eine geschminkte Braue. Mit ihrem herzförmigen Gesicht, den anmutigen Zügen und großen, runden Augen, die so überzeugend Unschuld vortäuschen konnten, mochte Eva wie die Süßeste von uns wirken, tatsächlich aber war sie diejenige unter den Rousseau-Schwestern, die am schnellsten zurückschlug, wenn man sie verletzte … oder ihr auch nur Umstände bereitete.
Es war durchaus passend, dass sie unserer Mutter am ähnlichsten sah, da auch Mom ein Talent dafür hatte auszuteilen.
»Mir geht’s gut.« Ich zeigte ihr ein perfektes Lächeln. Mich jetzt in meiner Fixierung auf Mom zu verlieren, war keine Option. Denn dann würde mein Herz zu rasen beginnen, mein Atem würde ins Stocken geraten und meine Kehle würde so eng werden wie …
Mist. Ich streckte den Hals und schluckte gegen den wachsenden Kloß in meiner Kehle an.
Genau so. Ich atmete durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus, um den Kloß loszuwerden und die aufsteigende Übelkeit zurückzudrängen, die vor jedem Auftritt von meinem Magen Besitz ergriff. Heute Abend fühlte sie sich an wie ein Tsunami.
Im Spiegel sah ich, wie Evas Augen schmal wurden. »Wieso glaube ich dir nicht?«
Unter keinen Umständen würde ich ihr irgendeinen Grund geben, sich Sorgen um mich zu machen, nicht vor ihrem ersten Auftritt als Tänzerin dieser Company. Ich wusste von mindestens vier Schwesternpaaren, die zusammen in derselben Truppe tanzten, aber in der Metropolitan Ballet Company waren wir das einzige.
Dabei hätten wir zu dritt sein sollen.
»Nichts, worüber du dir Sorgen machen musst.« Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder meinem Schuh, ließ den linken Ohrhörer jedoch auf der weichen grauen Decke liegen, während das Orchester im rechten Stöpsel in die Variation überging. Schieben. Ziehen. Ich konzentrierte mich auf den methodischen Bewegungsablauf des Nähens und ging im Kopf die Choreografie dieser Variation durch. Es war einer meiner absoluten Lieblingstänze – nicht, dass meine Vorliebe ihn auch nur ansatzweise leichter machte.
Da. Das war der Moment, in dem das Adrenalin gestern Abend bei der Kostümprobe nicht mehr gegen den Schmerz in meinem Knöchel angekommen war, wodurch ich gezögert hatte und aus dem Rhythmus gekommen war. Ich verlangte mir zu viel ab, aber anders ging es in dieser Rolle nicht.
»Wie geht’s der Achillessehne?«, fragte Eva, als könnte sie meine Gedanken lesen.
»Gut.« Jede andere Antwort würde Eva sofort im Namen schwesterlicher Sorge zu Vasily rennen lassen.
»Lügnerin«, murmelte sie und kramte mit zunehmend hektischen Bewegungen in ihrer Make-up-Tasche. »Wo ist er denn?«
Ziehen. Die Musik in meinem rechten Ohr mischte sich mit dem leisen Klicken von Evas Make-up-Pinseln auf der Tischplatte, dem Rascheln meiner Aufwärmhose, als ich meine Position leicht veränderte, und dem Summen des Heizlüfters in einer Ecke meiner Garderobe, der die späte Januarkälte vertrieb, die sich im Backstagebereich des Metropolitan Opera House eingenistet hatte.
»Wo zur Hölle ist mein Glücksbringerlippenstift?« Evas Stimme schnellte bis zum Dach hinauf.
»Schau mal in meiner Tasche nach.«
»Du trägst doch gar kein Ruthless Red!« Ihr Tonfall wurde schrill.
»Nein, aber du.« Ich sah wieder zu ihr hinüber. »Und ich habe dich lieb.«
Sie ließ die Schultern sinken. »Und du wusstest, dass ich meinen verlieren würde.« Sie ließ ihre Make-up-Tasche fallen und griff mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen nach meiner.
»Ganz genau.« Ich nickte.
»Danke.« Ihre Erleichterung war beinahe greifbar.
Lacey klopfte zaghaft an den Türrahmen, ihr geliebtes Klemmbrett an die Brust gedrückt, und ich zog auch den zweiten Stöpsel aus dem Ohr, verlor die Musik gänzlich.
»Dreißig Minuten, bis alle ihre Plätze einnehmen müssen«, informierte Lacey uns. »Oh, und eure Schwester ist …«
»Hier«, fiel Anne ihr ins Wort und lehnte sich mit dem breiten, entspannten Lächeln an den Türrahmen, das sie von unserem Dad geerbt hatte, ebenso wie die haselnussbraunen Augen und goldbraunen Locken, die sie zu einer eleganten Frisur hochgesteckt hatte. Eva und ich hatten die Haarfarbe unserer Mutter geerbt, dunkler als jeder Espresso, den ich jemals gesehen hatte, und während Evas seidig glatt waren, konnten meine Wellen nur mit einer ganzen Wagenladung von Pflegeprodukten und regelmäßigen Salonbesuchen gebändigt werden. Annes Locken hingegen schienen immer mühelos perfekt zu sitzen.
Sofort ließ der Druck in meinem Brustkorb nach und ich hob die Mundwinkel, um ihr Lächeln zu erwidern, ließ es zu einem Grinsen wachsen. In unserer meeresliebenden Familie war Anne eine Palme – sie wankte im Hurrikan, brach jedoch nie.
»Anne!« Eva sprang von ihrem Stuhl auf und warf die Arme um unsere ältere Schwester.
»Whoa!« Anne lachte und schlang die Arme um Eva. Die Diamanten ihres Eherings funkelten im hellen Licht.
»Danke, Lacey. Wir übernehmen«, sagte ich und die Inspizientin nickte kurz, bevor sie weiterging.
»Du siehst toll aus!« Anne löste sich von Eva und musterte sie mit liebevollem Blick von oben bis unten. »Das Kostüm passt perfekt. Ich kann es nicht erwarten, dich auf der Bühne zu sehen.«
»Ich bin doch nur im Corps.« Eva zuckte mit den Schultern und trat zur Seite. »Alessandra ist der wahre Star. Richtig, Allie?«
»Nur heute Abend.« Ich verknotete die letzte Naht und bewegte meinen Fuß ein paarmal hin und her, um sicherzugehen, dass sie hielt.
»Wenn du mich fragst, bist du das jeden Abend.« Trotz ihres schicken schwarzen Kleids kniete Anne sich neben mich und zog mich in eine sanfte Umarmung, sorgfältig darauf bedacht, mein Bühnen-Make-up nicht zu verschmieren.
Ich ließ mich in die Umarmung sinken, schloss ebenfalls fest die Arme um sie, wobei ich die Nadel sicher zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, um sie nicht zu stechen. »Ich bin so froh, dass du hier bist.«
Anne hatte ein Talent dafür, alles in Ordnung zu bringen. Dad war auf einer weiteren Geschäftsreise? Kein Problem, Anne kannte sämtliche Terminpläne. Mom kritisierte eine von uns wegen ihrer ersten Position? Anne lenkte sie ab. Sie war die lebendige Verkörperung einer warmen Umarmung. Lina mochte die Erstgeborene gewesen sein, aber es war Anne, die immer schon die Ausstrahlung der ältesten Schwester gehabt hatte.
»Ich auch«, flüsterte sie, bevor sie sich gerade weit genug von mir löste, um mich ebenso zu mustern wie zuvor Eva. »Wunderschön wie immer. Du wirst das großartig machen.«
»Ich will perfekt für sie sein«, antwortete ich, als sie sich zu mir auf die Decke setzte.
»Als hättest du irgendeinen anderen Modus als perfekt«, murmelte Eva.
Anne warf ihr einen tadelnden Blick zu, während ich meinen rechten Fuß in meinen Schoß legte und leicht das Gesicht verzog, als sich das hartnäckige Brennen in der Achillessehne bemerkbar machte. »Hast du Schmerzen?«
Anne entging nie etwas.
»Es geht mir …«, setzte ich an.
»Wenn du auch nur versuchst, das Wort gut zu sagen …«, warnte sie, ihren wachsamen Blick auf meinen Knöchel richtend.
»Sie hat gestern eine Kortisonspritze bekommen«, sagte Eva und beugte sich zum Spiegel vor, um ihren Eyeliner zu überprüfen.
Annes Augenbrauen schossen in die Höhe. »Weiß Kenna davon?«
»Als meine beste Freundin oder als Ensemble-Ärztin? In beiden Fällen lautet die Antwort Ja«, erwiderte ich. »Und du bist inzwischen fünfundzwanzig Jahre alt, Eva.« Ich zog den Saum meiner Leggins über den zweiten Schuh und begann zu nähen. »Irgendwann musst du mal aufhören, mich immer zu verpetzen, okay?«
»Und du musst irgendwann lernen, wann du langsamer machen solltest«, ermahnte Anne mich.
»Morgen«, antwortete ich und nähte zügig weiter.
Morgen würde das Programm von Giselle zu Romeo und Julia wechseln und während Eva auch in diesem Stück im Corps tanzen würde, hatte ich die nächsten paar Wochen frei, zumindest was Auftritte anging. Ich würde mir ein oder zwei Tage nehmen, um meinem Knöchel etwas Ruhe zu gönnen, wie Kenna vorgeschlagen hatte, dann würde ich es wieder versuchen.
»Bei dir heißt es immer morgen.« Anne seufzte. »Wenn Mom wüsste, dass du verletzt tanzt …«
»Was glaubst du denn, von wem wir das gelernt haben?«, warf Eva ein.
Ich musste grinsen. Da hatte sie nicht unrecht. Uns durch den Schmerz zu arbeiten, war eine der ersten Lektionen, die Mom uns beigebracht hatte, ob auf der Bühne oder im Leben. Traurigerweise hatte uns das nicht nur zu einer Familie professioneller Tänzerinnen, sondern auch professioneller Lügnerinnen gemacht. »Es geht mir gut. Die letzten Wochen waren einfach nur anstrengend, mit all den Proben, Auftritten und meinem Training mit Isaac.«
»Isaac?« Anne sah zu Eva auf und ich ließ die Fingerspitzen über die silberne Narbe entlang meiner Achillessehne gleiten.
Das Geräusch splitternden Glases klirrte in meinem Kopf, aber ich verdrängte die Erinnerung, bevor sie richtig Fuß fassen konnte. Nicht heute Abend. Heute Abend würde ich für Mom tanzen, weil Lina nie die Gelegenheit dazu bekommen hatte.
»Isaac Burdan«, antwortete Eva.
»Ah, der nächste Balanchine«, sagte Anne, stand auf und wischte etwas Staub von ihren Knien. »Sieh mich nicht so an, Eva. Nur weil ich nicht mehr tanze, heißt das noch lange nicht, dass ich aus der Szene nichts mehr mitbekomme. Ich lese, weißt du?«
Anne tat mehr, als nur zu lesen. Sie organisierte den Großteil der Events der Company, einschließlich der Haven Cove Classics, die dank unserer Mutter zum wichtigsten Sommerwettbewerb der unter Einundzwanzigjährigen geworden waren.
»Ich habe nie etwas anderes behauptet.« Eva hob die Hände, als wollte sie jemand verhaften. »Es hat mich nur überrascht, dass du gelesen hast, Isaac wäre der nächste Balanchine.«
»Lass ihn das bloß nicht hören.« Grinsend nähte ich die letzten paar Stiche und verknotete dann den Faden. »Sein Ego würde nicht mehr durch die Tür passen.« Ich bewegte meinen Fuß, streckte die Spitzen nach vorn und stand erst auf, nachdem ich mich von der Qualität meiner Näharbeit überzeugt hatte.
»Hast du auch gelesen, dass Allie zusammen mit ihm ein Ballett choreografiert hat?« Evas Stimme nahm einen verschmitzten Tonfall an.
»Wirklich?« Anne drehte den Kopf zu mir und zog wieder die Augenbrauen in die Höhe.
»Ist keine große Sache. Vielleicht. Vor der Nussknacker-Saison war er hier Residenzkünstler und eigentlich hat er choreografiert und ich habe ihm nur gezeigt, was funktioniert und was nicht.« Die Erinnerung an lange Nächte im Studio und frühe Morgen in seinem Bett entlockten mir ein Grinsen. Er war nicht Mr Right – der Zug war lange abgefahren. Aber er war definitiv Mr For-Right-Now und das war perfekt.
»Das ist eine Riesensache!« Annes Lächeln hätte das ganze Gebäude erhellen können. »Dein eigenes Ballett …«
»Wir werden sehen.« Ich hielt mein Lächeln klein, ebenso wie meine Erwartungen, was Isaac anging, und griff nach meinem Kostüm für den ersten Akt.
Ich strich kurz über den Amethystring in meiner Tasche, öffnete dann den Reißverschluss des verschlissenen schwarzen Hoodies mit den ausgefransten Ärmeln, zog ihn aus und hängte ihn über die Stuhllehne. Auch die Aufwärmhose streifte ich ab und stieg in das Kostüm.
»Muss schön sein, einen Reißverschluss zu haben«, murrte Eva, als Anne nach ebenjenem an meinem Kostüm griff. »Die im Corps haben immer noch Haken und Ösen.«
Ich hielt meine für den ersten Akt frisierten Haare zur Seite, damit Anne den Reißverschluss schließen konnte, und schaffte es irgendwie, mir einen Kommentar zu Evas Jammern zu verkneifen.
»Ich bin mir sicher, nächstes Jahr hast du auch einen Reißverschluss«, versicherte Anne ihr und tätschelte mir den Rücken, als sie mit meinem Kostüm fertig war. »Mom war begeistert, als sie gehört hat, dass ihr heute beide auf der Bühne steht.«
Das Stichwort für eine weitere Welle der Übelkeit. Die Gemüsesuppe, die ich vor einer Stunde runtergewürgt hatte, drohte wieder hochzukommen.
»Sitzt sie in der Familienloge?« Sicher mit Annes Ehemann. Ich hob die Decke vom Boden auf und warf sie auf meine Tasche.
»Ja, mit Finn und Eloise.« Anne beobachtete mich mit Adleraugen, während ich mich ein paarmal auf die Zehenspitzen hob, um meine Schuhe und Füße zu testen.
»Ich dachte, Eloise unterrichtet in Vaganova.« Ich hielt meine Miene unter Kontrolle, als Schmerz durch meine Achillessehne schoss.
»Sie hat sich gerade zur Ruhe gesetzt. Und du hast nicht ohne Grund eine Zweitbesetzung«, fügte Anne flüsternd und mit gerunzelter Stirn hinzu. »Wenn du deiner Achillessehne zu viel zumutest …«
»Ich muss nur endlich die Musik hören«, unterbrach ich sie leise und sah kurz zu Eva hinüber, die uns den Rücken zugewandt hatte und auf die Tür zuging. »Bei jeder anderen Rolle würde ich es in Erwägung ziehen, aber Giselle …«
Anne begegnete meinem Blick und im Licht sah ich den feuchten Film in ihren Augen schimmern, bevor sie ihn hastig fortblinzelte, die Lippen zwischen die Zähne zog und nickte.
»Wollen wir?«, fragte Eva über die Schulter hinweg, als einige andere Tänzer und Tänzerinnen an unserer Tür vorbei in Richtung Bühne liefen.
»Definitiv.« Ich setzte ein falsches Lächeln auf und nickte.
Anne hakte sich bei mir unter und sagte mit leiser Stimme: »Du erlaubst ihr, sich in deiner Garderobe fertig zu machen? Sollte sie nicht beim Corps sein? Freundschaften schließen und so?«
»Bei ihrer großen Klappe fällt es zwar schwer, das zu glauben, aber sie hat ziemlich mit ihrer Nervosität zu kämpfen. Für alle außer mich ist sie immer noch die Neue hier.« Ich tanzte für diese Company, seit ich achtzehn war, und war schon kurz nach meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag zur Ersten Solotänzerin aufgestiegen, wohingegen Eva erst zu einem Vortanzen bei der MBC eingeladen wurde, nachdem sie mehrere Jahre in Boston und Houston verbracht und sich hochgearbeitet hatte. »Ich versuche nur, es ihr ein bisschen leichter zu machen.«
»Du hast ihr das Vortanzen besorgt und zugestimmt, dir einen Account bei dieser albernen Seconds-App zu machen, die sie so liebt«, erwiderte Anne und drückte sanft meinen Arm. »Ich finde, du hast mehr als genug getan.«
Als wir in den Flur traten, sahen wir, dass Eva neben Vasily Koslov, dem Intendanten der Metropolitan Ballet Company, auf uns wartete. Mein Brustkorb wurde eng. Vasily hielt unser Schicksal in seiner Hand. Das silbergraue Haar war wie immer ordentlich geschnitten, der Dreiteiler perfekt gebügelt. Es war schwer zu glauben, dass dieser hoch aufragende Mann mit den funkelnden blauen Augen genauso alt war wie meine Mutter.
Sie hatten zusammen in diesem Ensemble getanzt, Vasily war jedoch irgendwann zu Choreografie und einer Ehe mit unserer Geschäftsführerin übergegangen, wohingegen meine Mom sich widerstrebend im besten Alter zur Ruhe gesetzt hatte, Mutter geworden war und schließlich begonnen hatte zu unterrichten.
»Da ist sie ja.« Lächelnd griff Vasily nach meiner Hand und ich ließ ihn gewähren. Er hauchte einen flüchtigen Kuss auf meine Knöchel, wie er es vor jedem Auftritt tat, seit ich zur Ersten Solotänzerin befördert worden war. »Bereit, uns zu begeistern, Alessandra?«
»Ich werde mein Bestes geben, um dich stolz zu machen.« Mein Magen schlug einen Salto.
Reiß dich zusammen. Du wirst dich nicht vor Vasily übergeben. Seit dem Tod meines Vaters kam er dieser Rolle in meinem Leben am nächsten.
»Sie wird heute Abend für unsere Mutter tanzen«, fügte Eva hinzu.
»Sophie ist hier?« Sein Blick huschte zu Anne und zwischen seinen Brauen bildeten sich zwei steile Furchen, als versuchte er angestrengt, sie zuzuordnen. »Sie verlässt ihre kleine exklusive Schule doch sonst nur für die Classics. Wird sie …«
»Ich werde ihr Grüße von dir ausrichten«, unterbrach Anne ihn, bevor er um ein Treffen bitten konnte und wir uns eine Ausrede einfallen lassen mussten.
»Ah.« Wieder runzelte er die Stirn. »Anneli, nicht wahr? Die Tochter, die nicht tanzt?«
»Sie organisiert die Events der Company, unter anderem auch die Classics.« Sofort stiegen Ärger und der Drang, Anne zu verteidigen, in mir auf, obwohl ich wusste, dass Vasily es nicht böse meinte. Er hatte die schlechte Angewohnheit, nur die Menschen wahrzunehmen, die sich in seinem unmittelbaren Orbit befanden.
»Die bin ich«, antwortete Anne ihm mit einem einstudierten Lächeln und wandte sich dann wieder an Eva und mich. »Wir sehen uns nach der Show. Wir müssen noch über die Pläne für das Strandhaus diesen Sommer sprechen.«
»Ich kann nicht …«, begann Eva.
»Du kannst und du wirst.« Anne bedachte unsere kleine Schwester mit einem Blick, der keinen Widerspruch zuließ. »Wir werden das Haus nicht verlieren, nur weil du dich weigerst, mal Urlaub zu machen.« Sie richtete ihren Blick auf mich. »Dasselbe gilt für dich. Bis später.«
Ohne ein weiteres Wort ging sie davon und verschwand im Strom kostümierter Tänzer, die den Flur bevölkerten.
»Das Haus in Haven Cove?«, fragte Vasily mich, als wir uns auf den Weg zur Bühne machten. Die anderen Tänzer wichen ihm aus wie ein Fluss, der sich teilte, um einen Felsbrocken zu umfließen.
»Mom hat das Haus letzten Sommer einer Stiftung vermacht, mit der absurden Auflage, dass wir es verkaufen müssen, falls wir nicht belegen können, dass wir jedes Jahr gemeinsam Zeit dort verbringen«, erklärte Eva, bevor ich es konnte.
»Das klingt so gar nicht wie die Sophie, die ich kenne.« Vasily blinzelte. »Sie hat das Haus gehasst, genauso wie die Tatsache, dass euer Vater sie gezwungen hat, jeden Sommer mit euch Mädels dort hinzufahren. So viele verpasste Gelegenheiten für Trainings und Sommerkurse, aber immerhin sind die Classics daraus hervorgegangen.« Er warf einen Blick auf seine Rolex. »Oh, Alessandra, ich habe mit Isaac gesprochen. Er hat um ein Meeting nächste Woche gebeten, weil er das neue Ballett, das er choreografiert hat, ins Herbstprogramm aufnehmen möchte.«
Mein Herz machte einen Sprung. »Equinox?«
»Ist das der Titel, den ihr ausgesucht habt?« Er verzog die Lippen zu einem amüsierten Lächeln. »Sehr hübsch.« Er schnalzte tadelnd mit der Zunge, als ein junges Mitglied des Corps de Ballet in den Flur geeilt kam, sodass die Tänzerin sofort ihre Schritte verlangsamte.
»Ich stehe jederzeit zur Verfügung, falls du irgendeine Passage davon sehen willst«, versprach ich und hatte Mühe, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Vasily schätzte gesittetes Verhalten mehr als alles andere.
»Das freut mich zu hören.« Er nickte, als wir die Gabelung erreichten, an der sich der Gang teilte und zu je einer Seite der Bühne führte. »Mach mich stolz, Alessandra. Du auch, Eve. Ah, Maxim, da bist du ja.« Er bog in den anderen Flur, wo er seine Nervensäge von Sohn – und unseren Choreografen – entdeckt hatte, der exakt so aussah wie Vasily vor dreißig Jahren, zumindest den Fotos zufolge, die ich gesehen hatte.
»Ich heiße Eva«, zischte Eva, als er außer Hörweite war. »Er nimmt mich überhaupt nicht wahr. Aber ich freue mich für dich.« Sie schlang einen Arm um meine Taille.
»Danke.« Ich lehnte meinen Kopf an den meiner Schwester. »Und nächste Saison wird er deinen Namen kennen. Du leuchtest heller als jede andere Corps-Tänzerin und das wird ihm nicht entgehen.« Nur die jahrelange Übung in gnadenloser Selbstdisziplin hielt mich davon ab, vor Freude zu jubeln. Sollte Equinox wirklich ins Herbstprogramm aufgenommen werden, würde ich eine Rolle tanzen, die eigens für mich geschaffen worden war.
Wir traten in die willkommene Dunkelheit der Seitenbühne, wie wir es vor jedem Auftritt taten – unser kleines Ritual. Mit jedem Schritt, der uns an einem Dutzend anderer Tänzer und Tänzerinnen und ein paar Bühnenhelfern vorbeiführte, spürte ich die Jahre dahinschmelzen. Als wir schließlich den Rand des Vorhangs erreichten, wo uns nur noch ein kostbarer schmaler Lichtstreifen vom Publikum trennte, war ich wieder sechs Jahre alt und spähte durch den Schlitz, um zu sehen, ob Mom und Dad im Publikum saßen.
Allerdings standen wir heute nur noch zu zweit hier, wohingegen wir früher zu viert gewesen waren.
»Ich sehe sie«, flüsterte Eva, nutzte ihre zusätzlichen Zentimeter, um über meinen Kopf, der nicht einmal die 1,70-Meter-Marke erreichte, hinwegzusehen.
»Ich auch.« Hitze brannte auf meinen Handflächen und mein Herz raste, als ich hinauf zu den Familienplätzen sah – erster Rang rechts, siebte Loge – und Mom sofort neben ihrer besten Freundin Eloise entdeckte.
Verdammt. Sie war jetzt schon schlecht drauf.
Für Außenstehende zählte die mehr als legendäre Sophie Langevin-Rousseau zum Hochadel der Metropolitan Ballet Company, sie war der Inbegriff von Kultiviertheit und Eleganz. Ich hingegen sah ein Pulverfass mit brennender Zündschnur. Sie saß mit gestrafften Schultern da, das Kinn hoch erhoben, das von silbernen Strähnen durchzogene dunkle Haar zu einem strengen Knoten zurückgesteckt, nur ihre manikürten Fingerspitzen, mit denen sie ungeduldig auf der Balustrade trommelte, während sie in den Orchestergraben hinabsah, verrieten sie. Sie war nicht hier, um die Darbietung zu sehen, sondern um nach Mängeln Ausschau zu halten. Missbilligend schürzte sie die perfekt geschminkten Lippen, als ein Flötist hereingeeilt kam, offensichtlich spät dran.
Anne erreichte die Loge und nahm neben ihrem Ehemann im Nadelstreifenanzug Platz. Ich hätte schwören können, dass sie einen Blick in unsere Richtung warf, bevor sie ihr Programmheft aufschlug.
»Eloise sieht gut aus«, flüsterte Eva. »Genau wie die Männer, die sie mitgebracht hat.«
»Eloise hatte immer schon tadellosen Geschmack«, stimmte ich zu. Eine kühle Brise hob die Haare in meinem Nacken an, als Eva zurücktrat und mich allein am Vorhang zurückließ.
Ich versuchte, gegen den Impuls anzukämpfen, aber er gewann die Überhand, wie immer, und ich sah hinauf zur letzten Reihe des Parketts. Der Sitz in der Mitte war leer, wie in meinem Vertrag vereinbart. Wieder explodierte der Schmerz in meiner Brust, wie jeden Abend diese Woche.
Ich hatte die Variation nur ein einziges Mal perfekt zu Ende gebracht und damals war er …
Hör auf!
Ich hatte es einmal geschafft, die Choreografie perfekt zu tanzen, und ich würde es wieder schaffen – heute Abend. Ich riss meinen Blick von dem leeren Sitz los und ging zurück, um meinen Platz am Rand der Bühne einzunehmen.
Wenige Minuten später hob sich der Vorhang, die Musik begann und ich sah zu, wie Everett in der Rolle des Hilarion die Bühne betrat, gefolgt von Daniel als Albrecht. Beide tanzten in der Perfektion, die auf unserem Niveau erwartet wurde.
Adrenalin flutete meinen Körper in der Sekunde, als ich unter Applaus auf die Bühne kam, und ließ sofort sämtliche Proteste meines Knöchels verstummen. Das Licht und die Musik erfüllten jeden meiner Gedanken, nahmen mir den Schmerz, die Sorgen, sogar das bleierne Gewicht von Moms Blick, bis ich nicht mehr nur die Rolle der Giselle tanzte, sondern Giselle war.
Zwanzig Minuten später flaute das Adrenalin ab, Schmerz kroch mit jedem Heben auf die Zehenspitzen meine Wade hinauf und ich bemerkte, wie Eva kurz aus dem Takt geriet, als sie hinauf in die Familienloge blickte. Es war nur ein winziger Fehltritt, dennoch würde unsere Mutter sie dafür niedermachen. Als ich dem Publikum kurz den Rücken zugewandt hatte, schenkte ich ihr ein tröstendes Lächeln, konnte damit jedoch nichts gegen die Röte ausrichten, die unter dem dicken Bühnen-Make-up in ihre Wangen stieg.
Die Musik ging in meine Variation über und ich atmete tief durch, hob den Arm zu der einzigen Mutter, die in diesem Augenblick zählte – die auf der Bühne –, und dann zu meinem Möchtegernliebhaber Albrecht.
Und dann tanzte ich.
Als ich mich in die erste Arabesque en pointe hob, explodierte Schmerz in meinem rechten Knöchel. Mist. Mein Lächeln verrutschte keinen Millimeter, während ich die Zähne zusammenbiss.
Der Schmerz war vorrübergehend und die Arabesque war makellos gewesen, das war alles, was zählte. Während ich mich über die Bühne bewegte, ließ der Schmerz immer weiter nach, bis ich die Figur wiederholte und er aufflammte wie ein Feuer, in das Brennspiritus gegossen wurde. Wieder und wieder wallte er auf und ebbte ab, immer höher und schmerzhafter, je länger die Variation andauerte, bis jede Bewegung die Grenzen meines Lächelns – und meiner Schmerztoleranz – auf die Probe stellte.
Anne hatte recht. Ich hatte eine Zweitbesetzung. Aber ich tanzte nicht nur für mich. Heute Abend tanzte ich für Lina. Ich tanzte für Mom.
Nur heute Abend, versprach ich meiner Achillessehne. Morgen konnte ich mich ausruhen, die Rolle an meine Zweitbesetzung abgeben. Wenn ich den heutigen Abend nur überstand. Die Sehne konnte nicht aufgeben, nicht vor Moms Augen.
Nach ein paar weiteren Drehungen verrutschte mein Lächeln zu einer Grimasse und Eva, die zwischen den anderen Bauernmädchen saß, riss die Augen auf. Ich wandte den Blick von ihr ab, drehte mich wieder dem Publikum zu, ging in eine Reihe von Sprüngen auf meinem linken Fuß über, die mich diagonal über die Bühne führten und meinem rechten Knöchel eine kurze Pause gönnten, sodass der Schmerz auf ein unangenehmes, übelkeiterregendes, aber erträgliches Level absinken konnte.
Jetzt musste ich nur noch die Piqué-Drehungen durchstehen.
Die Musik änderte sich und ich begann die achtzehn Drehungen, mit denen ich die gesamte Bühne umrunden würde.
Fünf Minuten lang hält man alles durch. Ungebeten schob sich seine Stimme in meinen Kopf.
Hier ging es nur um fünfzehn Sekunden. Ich konnte es schaffen.
Gesichter verschwammen, als ich mich en pointe drehte, und ich riss meinen Kopf zu den ausgewählten Fixpunkten herum, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, bis plötzlich flammender Schmerz mein Bein hinaufleckte, mich mit so unermesslichen Qualen erfüllte, dass ich mir auf die Lippe biss … und weitermachte. Mit der elften Drehung erreichte ich die linke Seite der Bühne und sah zu dem leeren Sitz in der letzten Reihe, dem einzigen Punkt in diesem Theater, der mich erdete.
Zwölf. Meine Arme erschlafften und mir stockte der Atem, als ich den Mann entdeckte, der plötzlich dort saß. Unmöglich. Nur ein einziger Mensch konnte dieses Ticket einfordern und das hatte er seit zehn Jahren nicht getan.
Dreizehn. Am Ende der Drehung riss ich den Kopf herum. Der Platz war leer. Langsam vernebelte mir der Schmerz offenbar die Sinne.
Vierzehn. Oder war das dort hinten ein sandblonder Schopf, vom Wind zerzaust und sonnengeküsst?
Fünfzehn. Das Feuer stieg von meinem Knöchel nach oben, bis hinauf in meine Brust, als ich mich an meeresgrüne Augen erinnerte und an das Grübchen in seiner linken Wange, wenn er lächelte. War er hier?
Sechzehn. Der Platz war leer.