Velvet-Dilogie 1: Velvet Falls, but the Gods forgot to die - Julia Dippel - E-Book

Velvet-Dilogie 1: Velvet Falls, but the Gods forgot to die E-Book

Julia Dippel

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Beschreibung

Sieben Göttersöhne. Ein magisches Virus. Eine gefallene Heldin. – Bist du bereit?

Als die Sterne fielen, kehrte die Magie in unsere Welt zurück und mit ihr neue Götter. Seit diesem Tag träumte Velvet von der Aufnahme in einen Hexenzirkel, aber Schicksal und Verrat zwangen ihr einen anderen Weg auf: den einer Dämonenreiterin. Doch dämonische Kräfte sind unberechenbar, und als sie Velvet eines Tages mit Visionen einer brennenden Zukunft fluten, entdeckt sie, dass ein magisches Virus die unsterblichen Götter auszulöschen droht. Um es aufzuhalten, soll sie das Blut der sieben göttlichen Söhne beschaffen. Ein schier unmögliches Unterfangen – würde Velvet nicht zufällig einen der Göttersöhne kennen: Kash, alias Kashmere Sinclair, alias ihr Ex und der Grund für all ihre zerstörten Träume. Ihn um Hilfe zu bitten, reißt nicht nur alte Wunden auf, sondern stürzt Velvet in einen erbitterten Kampf um ihr Herz und die Rettung der Welt.

Düster, episch, romantisch: Auftakt von Julia Dippels neuem Urban Fantasy-Zweiteiler mit den beliebten Tropes Enemies to Lovers🔥, Forced Proximity 🔗 und Second Chance 💞.

Ein Schmuckstück fürs Bücherregal mit diesen Ausstattungs-Highlights:

  • Illustrierter Farbschnitt (nur solange der Vorrat reicht)
  • Hochwertig veredelter Schutzumschlag
  • Von der Autorin gezeichneter Bezug und Innenskizzen
  • Lesebändchen


Alle Bände der New Adult-Romantasy-Dilogie:

  • Band 1: Velvet Falls, but the Gods forgot to die
  • Band 2: Kashmere Rises, but the Skies fade in Ashes (Herbst 2026) 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch

Als die Sterne fielen, kehrte die Magie in unsere Welt zurück und mit ihr neue Götter. Seit diesem Tag träumte Velvet von der Aufnahme in einen Hexenzirkel, aber Schicksal und Verrat zwangen ihr einen anderen Weg auf: den einer Dämonenreiterin. Doch dämonische Kräfte sind unberechenbar, und als sie Velvet eines Tages mit Visionen einer brennenden Zukunft fluten, entdeckt sie, dass ein magisches Virus die unsterblichen Götter auszulöschen droht. Um es aufzuhalten, soll sie das Blut der sieben göttlichen Söhne beschaffen. Ein schier unmögliches Unterfangen – würde Velvet nicht zufällig einen der Göttersöhne kennen: Kash, alias Kashmere Sinclair, alias ihr Ex und der Grund für all ihre zerstörten Träume. Ihn um Hilfe zu bitten, reißt nicht nur alte Wunden auf, sondern stürzt Velvet in einen erbitterten Kampf um ihr Herz und die Rettung der Welt.

Die Autorin

© Rob Perkins

Julia Dippel wurde 1984 in München geboren und arbeitet als freischaffende Regisseurin für Theater und Musiktheater. Um den Zauber des Geschichtenerzählens auch den nächsten Generationen näherzubringen, gibt sie außerdem seit über zehn Jahren Kindern und Jugendlichen Unterricht in dramatischem Gestalten. Ihre Textfassungen, Überarbeitungen und eigenen Stücke kamen bereits mehrfach zur Aufführung.

Der Verlag

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Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

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Viel Spaß beim Lesen!

JULIA DIPPEL

VELVET FALLS, BUT THE GODS FORGOT TO DIE

LOOMLIGHT

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Auf der vorletzten Seite findest du eine Themenübersicht, die Spoiler für die Geschichte beinhaltet. Obwohl die Liste nach bestem Wissen angelegt wurde, erhebt sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da Auslöser und deren Wahrnehmung vielfältig sein können.

Spicy Szenen, also explizite Momente, erkennst du an einer durchgezogenen Linie am Anfang und am Ende der Szene. So kannst du selbst entscheiden, wie genau du diese Stellen lesen möchtest.

Gehe während des Lesens achtsam mit dir und deiner Gesundheit um. Falls du auf Probleme stößt oder dich etwas belastet, wende dich gerne an deine Familie, Freunde oder professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir das bestmögliche Leseerlebnis! Julia Dippel und das Loomlight-Team

Für alle, die etwas durchgemacht haben, das man nicht in Worte fassen kann. Für die, die weitergehen, ohne zu wissen, wie. Die lachen, obwohl es wehtut. Die leben, weil sie es sich nicht nehmen lassen. Euer Mut muss nicht glänzen. Es reicht, wenn er reicht.

VELVET Wo Rauch ist, bin meistens ich

Es sagte wohl einiges über den Grad meiner Verkorkstheit aus, dass sich das Herumwühlen in klebrigen Dämoneninnereien tröstlicher anfühlte als die Rückkehr in die Stadt, in der ich aufgewachsen war. Eigentlich wollte ich hier nur meinen Job machen und wieder abhauen, aber New Orleans war schwer zu ignorieren. Sogar mitten in der Nacht auf diesem gottverlassenen Werftgelände schien alles auf geradezu penetrante Weise »willkommen zurück« zu flüstern. Das Flackern der Laterne über mir, das hysterische Fiepen aus einer Rattenfalle, der viel zu fröhliche Graffiti-Smiley an der Laderampe, der mir geduldig dabei zusah, wie ich bis zu den Ellbogen in meiner Jagdbeute steckte – willkommen zurück, Velvet.

Endlich wurde ich fündig. Ich packte das glitschige Ding und stemmte mich mit dem Stiefel gegen den gewaltigen Brustkorb.

»Na komm schon, Süßer. Schenk mir dein Herz. Romantischer wird’s heute nicht.«

Diese Viecher auszunehmen, war Schwerstarbeit. Keine Ahnung, warum die Gilde auf eine derartig makabre Art der Beweisführung bestand – als wäre es nicht schon kompliziert genug, sie umzubringen. Aber klar: Nichts sagte so schön »Auftrag abgeschlossen« wie ein dampfendes Organ in einem Gefrierbeutel. Mit freundlichen Grüßen aus dem bezaubernden Big Easy.

Mann, diese Stadt vertrug sich definitiv nicht mit meinem sonnigen Gemüt. Sogar das Luftholen war hier ein Albtraum, weil alles stank. Nach versifftem Asphalt, Schlick, Diesel, rostendem Metall und dieser Art von Regen, der nie ganz fiel, sondern schwer in der Luft hing, als würde er beständig darauf warten, dass etwas Furchtbares passierte. Aber vor allem stank diese Stadt nach Erinnerungen. Nach Fehlentscheidungen. Und Schmerz. Das konnte auch der Mief eines toten Level-4-Dämons nicht überdecken.

Ich zerrte mit aller Kraft weiter. Jetzt komm schon. Nur noch ein kleiner Ruck und –

Schlagartig richteten sich die feinen Härchen an meinen Unterarmen auf. Als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Shit. Ich wusste sofort, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Ich war unaufmerksam gewesen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz und die dazugehörige Vision folgte wie der Donnerschlag. Ich hasste es, wenn das passierte. Ja, diese Gabe war dazu da, mir das Leben zu retten, aber es fühlte sich trotzdem jedes Mal an, als würde die Hölle mir mit erhobenem Zeigefinger mein Versagen aufzeigen.

Rostrote Klauen packten von hinten meinen Kopf. Die Berührung brannte. Ich schrie, als mir die finstere Höllensprache unter die Haut kroch. »Stirb!« Meine Runen glühten auf, aber es war zu spät. Der Dämon drückte mit aller Kraft zu und mein Schädel zersprang.

Noch während die Bilder verblassten, hechtete ich über den stinkenden Kadaver vor mir, rollte mich ab und zog im Aufstehen meine Glock. Ich schoss im gleichen Moment, als der Dämon aus den Schatten stürmte – schneller als es einem Wesen von seiner Größe erlaubt sein sollte. Ein unförmiges Ungetüm aus rauchender Haut und Klauen, die in der Dunkelheit aufblitzten wie rostige Dolche. Fuck, das war ein waschechter Level-7-Dämon. Vollständig mutiert. Und das mitten in einer Großstadt. Von wegen simpler Auftrag. Wenn ich das hier überlebte, würde die Gilde definitiv etwas von mir zu hören kriegen.

Ich pumpte das halbe Magazin leer. Die magische Munition grub sich glühend durch die zähe Haut des Dämons, doch ich wusste, dass ihn das nicht aufhalten würde. Damit bremste ich ihn lediglich etwas aus. Das Vieh zuckte, brüllte und stampfte dennoch weiter auf mich zu. Fieberhaft tastete ich in meiner Jackentasche nach den Hexengläsern. Arkane Säure war der beste Weg, um ihn verwundbar zu machen. Allerdings ließen sich die Glaskugeln mit blutigen Fingern echt schwer unterscheiden. Mir lief die Zeit davon. Ich packte das erstbeste Glas und warf es dem Dämon entgegen. Gleichzeitig erkannte ich mein Versehen. Das war kein rotes Hexenglas, sondern ein silbernes.

Oh, das würde gleich so was von wehtun.

Kaum dass der kleine gläserne Ball die Brust des Dämons traf, erfüllte eine ohrenbetäubende Explosion die Nacht. Hitze schlug mir entgegen. Die Druckwelle schleuderte mich durch die Luft. Ich krachte hart gegen einen alten Schiffscontainer, spürte, wie mein Körper das Metall verbog und etwas in meiner Schulter knackte. Dann übernahm die Schwerkraft. Unsanft landete ich auf dem Boden, hustete gegen die Asche an und ließ den Schmerz über mich hinwegrollen. Großartig, Vel. Zehn von zehn Punkten für meine selbstzerstörerischen Tendenzen. Wer brauchte schon Feinde, wenn ich mich auch selbst umbringen konnte?

Ich kämpfte mich auf die Beine, als der Rauch sich teilte und einen ziemlich angepissten Dämon enthüllte. Er schwankte und seine Haut erinnerte mich irgendwie an eine aufgeplatzte Grillwurst. Prompt knurrte mein Magen, was wirklich widerlich war. An meinen Hunger würde ich mich nie gewöhnen.

Keine Zeit dafür. Schrotflinte.

Ich zog mein Baby. Liebevoll abgesägt, modifiziert und geladen mit gesegneten Knochensplittern. Leider war der Dämon bereits bei mir. Und er war noch immer schnell und holte aus. Aber Geschwindigkeit war eine Eigenschaft, die wir teilten. Ich duckte mich unter einem Schlag hindurch, der mühelos den Ladecontainer hinter mir zerfetzte, wirbelte herum und schoss.

Blut, schwarz wie Motoröl, spritzte auf die staubigen Betontrümmer.

Durchladen. Noch ein Schuss.

Das Vieh brüllte und zeigte dabei seine nadelspitzen Zähne. Es schlug um sich, jedoch viel träger als zuvor. Die Knochensplitter taten ihre Wirkung. Perfekt. Ich tauschte die Flinte gegen meine Machete, die ich zu Ehren einer früheren, sehr scharfzüngigen Nachbarin »Grete« getauft hatte. Ein Sprung. Meine Runen glühten auf, als ich erneut meine dämonische Schnelligkeit benutzte. Die Klinge traf auf zähen Widerstand – Knorpel, Muskeln, Dämonenpanzer. Mit einem Schrei und all meiner übermenschlichen Kraft zog ich durch und spürte, wie das magiegetränkte Metall sein Werk vollbrachte. Auf Grete, die Machete, war immer Verlass. Der Kopf des Dämons polterte zu Boden und panierte sich selbst im Staub der Trümmer. Dem massigen Körper versetzte ich einen Tritt, damit er auf den Rücken fiel. Ich hatte wirklich keine Lust, das Ding nachher herumwuchten zu müssen, um an sein Herz zu kommen.

»Sorry, Kumpel. War wohl nicht dein Tag.«

Ich spuckte Blut und Asche aus und humpelte zur Leiche des ersten Dämons, wo der Rucksack mit meiner Ausrüstung lag. Ja, ich humpelte. Und ich fühlte einen scharfen Schmerz an meiner Seite. Eindeutig gebrochene Rippen. Mein explosives Eigentor hatte also noch mehr kaputt gemacht als nur meine Schulter. Egal, es würde heilen. Aber gegen den Hunger sollte ich bald etwas unternehmen, sonst –

Meine Muskeln krampften. Ich fiel auf die Knie und wurde ein zweites Mal heute Nacht mit Bildern geflutet, die nicht aus der Gegenwart stammten.

Mit tosendem Dröhnen fraßen Flammen den Himmel, als hätten die brennenden Stahlskelette Imperions selbst die Wolken entzündet. Tag und Nacht besaßen keine Bedeutung mehr, denn das Feuer beherrschte alles. Asche fiel in dicken glühenden Flocken auf früher weißen Marmor. Menschen schrien in Panik, versuchten zu entkommen, während die Götter stürzten. Alle. Miss Link brüllte, ohne dass ein Laut aus ihrer unsterblichen Kehle drang – nur der flimmernde Schrei eines Wesens, das im Inneren zerfiel. Blut quoll aus ihren Augen. Zu ihren Füßen wand sich Mr Meaning in den Überresten seines Mantels. Auch ihm liefen blutige Tränen über die Wangen. Sein göttlicher Glanz zerbrach mehr und mehr in flirrende Fragmente. Genau wie bei Scamina, Million, Curess, Glamour, Gleam und all den anderen. Überall wanden sich hilflose Götter in Blut und Asche. Sterbende Götter, deren schwindende Macht die Welt ins Höllenfeuer stürzte …

Noch immer im Staub kniend kam ich zu mir. Ich zitterte am ganzen Leib und meine Runen glühten so heftig, als hätte ich all meine dämonischen Fähigkeiten auf einmal benutzt. Vielleicht hatte ich das, denn mein Hunger wuchs mit einer Intensität, wie ich sie schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Eine gierige Leere, ein Ziehen, ein Reißen, das in meinem Inneren tobte, als würde ich ausgehöhlt werden. Mein Magen war nicht länger der Ursprung – es hatte sich ausgebreitet in jede Faser meines Körpers und jeden Winkel meiner Gedanken.

Reiß dich zusammen, Vel. Such die Bedrohung! Visionen bedeuteten unmittelbare Gefahr. Sie bedeuteten Tod. Und sie wurden immer wahr.

Ich sah mich um. Werft, Nacht, stinkende Dämonenkadaver. Alles schien wie zuvor.

Eigentlich logisch. Ich befand mich nicht in Imperion. Hier gab es keine Götter. Und Götter konnten nicht sterben. Abgesehen davon würde ich Stunden brauchen, um in die Welthauptstadt zu gelangen. Von einer unmittelbaren Bedrohung konnte man da ja wohl kaum sprechen. Nur warum hatte ich dann diese Vision gehabt? Was für eine Scheiße lief hier? Wenn bloß dieser verdammte Hunger nicht wäre, würde mir auch das Denken nicht so schwerfallen. Ich musste unbedingt –

Da! Am Wasser. Zwischen den Containern schob sich eine Gestalt hervor. Menschlich. Allerdings sagte mir mein Bauchgefühl, dass das kein aufgeschreckter Wachmann war. Bevor ich reagieren konnte, verselbstständigte sich die dämonische Energie in mir erneut und überrollte mich abermals mit Bildern. Dieselben Bilder.

Mit tosendem Dröhnen fraßen Flammen den Himmel, als hätten die brennenden Stahlskelette Imperions selbst die Wolken entzündet. Tag und Nacht besaßen keine Bedeutung mehr, denn das Feuer beherrschte alles.

Nein! Nicht noch mal! Nicht jetzt! Mit aller Kraft drängte ich die Vision zurück und sah die menschliche Gestalt näher kommen.

Asche fiel in dicken glühenden Flocken auf früher weißen Marmor. Menschen schrien in Panik, versuchten zu entkommen, während die Götter starben. Alle.

Vision und Realität überlagerten sich, als Schmerz durch meine Schulter schoss. Ich riss die Augen auf und fand mich auf dem Boden wieder. Mein Gesicht lag im Dreck, während mein Körper nach wie vor zuckte. Ich hatte das Gleichgewicht verloren und war gefallen. Schweiß rann über meinen Rücken. Die Gestalt war jetzt nur noch wenige Meter entfernt. Ein junger Mann. Durchschnittlich, unscheinbar, aber umgeben von einer Aura, die meine schlimmsten Befürchtungen wahr werden ließ. Ein pulsierendes giftiges Grün wie faules Wasser. Er war ein Atax, ein Jünger der Ataxía. Nur wo war der Rest von ihnen? Sie kamen immer in Gruppen und –

Mit tosendem Dröhnen fraßen Flammen den Himmel, als hätten die brennenden Stahlskelette Imperions selbst die Wolken entzündet. Tag und Nacht besaßen keine Bedeutung mehr, denn das Feuer beherrschte alles.

Ich schrie auf, um die Vision abzuschütteln, was den Jünger lachen ließ. Er schien es zu genießen, wie ich mich vor ihm im Dreck wand.

»Keine Ahnung, warum alle sagen, man muss sich vor euch in Acht nehmen«, murmelte er mit einem gehässigen Grinsen. Er zog eine Pistole und richtete sie auf meinen Kopf. »All die Macht, die ihr gestohlen habt … und dennoch müssen wir nichts weiter tun, als darauf warten, dass ihr euch selbst vernichtet. Weil ihr schwach seid.«

Da hatte er nicht mal unrecht. Allerdings vertrug es sich so gar nicht mit meiner Vernunft, in den Lauf einer geladenen Waffe schauen zu müssen. Besonders wenn ein Vollidiot sie hielt. Egal, was es mich kostete, ich war nicht in der Stimmung, mich von diesem fanatischen Flegel mit Höllenfantasien und Zugang zu dämonischen Beschwörungsformeln abknallen zu lassen. Nicht heute. Nicht hier. Nicht in dieser Stadt.

»Du hättest besser auf deine Freunde gehört«, krächzte ich. Mehr noch, er hätte nicht so dumm sein sollen, alleine aufzutauchen. Ich entfesselte meine telekinetische Gabe, wählte ein altes Ölfass als passende Mordwaffe und schleuderte es dem Jünger entgegen. Es würde –

Asche fiel in dicken glühenden Flocken auf früher weißen Marmor. Menschen schrien in Panik, versuchten zu entkommen, während die Götter starben. Alle.

Nein, nein, NEIN! Das war echt mieses Timing. Ich konnte keine Visionen gebrauchen, wenn ich mich gerade darum bemühte, nicht draufzugehen. Wo war mein Fass hin? Und wieso stand der Atax noch und grinste mich an? Hatte ich ihn verfehlt? War er ausgewichen? Falls ja, dann bewegte er sich schneller als alle Jünger, denen ich bislang begegnet war. Und das hieß, dass sein dämonischer Patron verdammt hochrangig sein musste. Schöne Scheiße.

Dann eben keine halben Sachen mehr. Der Bengel hatte nicht den geringsten Schimmer, auf wen er sich hier eingelassen hatte. Mit einem wütenden Gedanken schickte ich meine mentale Kraft durch die Werft, schlang sie um den ausgedienten Verladekran und zog. Der rostige Metallriese ächzte, als hätte Godzilla ihn mit bloßen Händen gepackt. Bolzen rissen, Stahl bog sich, das Gestänge knirschte wie alte Knochen. Ich hielt den Druck aufrecht, spürte die Belastung in meinen Schläfen pochen, mein Magen stand in Flammen, aber ich ließ nicht los.

Der Jünger bekam vor Schreck große Augen. Er kreischte auf, fuhr herum und wollte fliehen. Dummkopf. Wäre er näher gekommen, statt wegzulaufen, wäre ich erledigt gewesen. Doch so logisch dachten die wenigsten, wenn ihnen der Arsch auf Grundeis ging.

Ich fällte den Kran über ihn wie ein Urteil. Der Koloss kippte. Erst langsam, dann mit dem ganzen Gewicht seiner Existenz. Schatten rasten durch die verlassene Werft, bis das Stahlgerüst unter ohrenbetäubendem Donnern einschlug und den Jünger auf seiner Flucht plattmachte.

Die Stille war himmlisch.

Für einen Moment blieb ich einfach liegen. Vielleicht aus Angst, dass diese seltsame Vision wiederkehren würde, wenn ich mich bewegte. Vielleicht aber auch nur, weil ich es genießen wollte, ein kleines Stück dieser Stadt zum Einsturz gebracht zu haben. Oh ja, das Gefühl war definitiv jede Konsequenz wert, die nun folgen würde. Und davon würde es hier in nicht mal einer halben Stunde nur so wimmeln: Sirenen, Feuerwehr, Ordnungszirkel, Schaulustige, Paparazzi und eine richtig, richtig angepisste Gildekommission, die sich mit einer noch viel angepissteren Bürgermeisterin auseinandersetzen musste.

Besser, ich wäre nicht mehr hier, wenn das passierte.

Besser, ich wäre nicht mehr hungrig, wenn das passierte. Sonst wurde aus ein bisschen Sachbeschädigung ganz schnell ein Amoklauf.

Stöhnend zog ich mich auf die Beine und begann, meine Checkliste abzuarbeiten. Hunger, Fotos, Herzen, Abhauen. Uber alles andere – wie zum Beispiel diese verrückten Visionen – würde ich mir danach den Kopf zerbrechen.

Zum Glück hatte ich für Punkt eins meiner Checkliste vorgesorgt und mir auf dem Weg hierher bei einem Foodtruck zwei Portionen Jambalaya Balls einpacken lassen. Eine davon musste erst mal genügen, um den gröbsten Hunger zu stillen. Für mehr blieb keine Zeit.

Während ich mich durch die frittierten Reisbällchen mampfte, dokumentierte ich mit dem Handy den Tod der beiden Dämonen und den des geplätteten Jüngers. Anschließend schnitt ich das zweite Dämonenherz raus, packte alles in Zipbeutel, suchte meine Ausrüstung zusammen und schwang mich gerade auf mein Motorrad, als die ersten Sirenen zu hören waren.

Dem Trubel war ich entkommen, aber nicht meinem Hunger. Auf der Fahrt war die zweite Portion meiner Jambalaya Balls alles, woran ich denken konnte. Leider mussten sie ein paar Meilen warten. Und diese Meilen wurden zu einer wahren Tortur. Mein Inneres brannte. Jede Faser in mir schrie nach Sättigung. Schlimmer als je zuvor. Sogar meine Runen fingen wieder an zu glühen.

Daran konnten nur die verdammten Visionen schuld sein. Sie waren meine ranghöchste Fähigkeit und kosteten entsprechend viel Energie. Aber so viele und so ausufernde hatte ich noch nie gehabt. Das war kein lebensrettendes Feature mehr, das war Selbstmord.

Als meine Gedanken – zum ersten Mal seit Jahren – zu Plan B abdrifteten, erschrak ich vor mir selbst und hielt es nicht länger aus. Ich bremste kurzerhand unter einer Eisenbahnbrücke. Weit genug entfernt, um von den Ordnungszirkeln nicht mit der Werft in Verbindung gebracht zu werden, und nah genug, um dem Hunger nicht zu erliegen. Rastlos schob ich meine Maschine ins Kiesbett unterhalb eines Betonpfeilers und machte mich mit zittrigen Händen über alles Essbare her, was mein Rucksack hergab. Jambalaya Balls, Müsliriegel, Schokoriegel, Notfallcookies. Erst als alles verputzt war, hatte ich wieder das Gefühl, die Leere in mir halbwegs im Griff zu haben.

Allen Göttern dieser verfluchten Welt sei Dank.

Eine Stunde saß ich nur da und empfand pure Erleichterung. Und etwas anderes, das mich lähmte, das ich gerne verleugnet hätte. Angst. Leise. Kriechend. Nagend. Ich kannte sie. Und sie mich. Genau genommen waren wir alte Freunde, die sich aus den Augen verloren hatten. Aber vergessen hatte ich sie nie.

Und ich hasste dieses Gefühl.

Grimmig ließ ich den Angriff noch einmal Revue passieren und kam zu dem Schluss, dass es nur eine logische Erklärung für all das gab. Der Jünger musste meine Weltuntergangs-Visionen ausgelöst haben. Keine Ahnung, durch was für einen Fluch oder Zauber ihm das gelungen war, aber die Visionen hatten mit seinem Tod aufgehört, dementsprechend lag dieses Fazit nahe. Ja, so musste es gewesen sein. Ich hatte schon viel Verrückteres erlebt, was die Atax betraf. Kein Grund also, sich weiter den Kopf zu zerbrechen.

Redete ich mir zumindest ein, um weitermachen zu können. Jetzt gab es nämlich nur noch eins zu tun, bevor ich dieser verdammten Stadt endlich den Rücken kehren konnte: meine Beute melden, damit niemand anderes Anspruch auf das Kopfgeld erhob.

Ich zog eines meiner Handys hervor, öffnete die App der Gilde und loggte mich zunächst als mein Alter Ego Trigger ein. Nur so konnte ich den Fragen ausweichen, wieso ich plötzlich über telekinetische Fähigkeiten verfügte.

Der Upload der Daten und Fotos funktionierte reibungslos. Genau wie die Überweisung auf mein geheimes Konto.

Dämonenreiter:in »Trigger« Level unbekannt

Geschlecht unbekannt – Alter unbekannt

---

Lv7 Dämon – bestätigt – 450 Roots

Atax, Identität unbekannt – bestätigt – 50 Roots

Meinetwegen hätte Trigger auch die kompletten Lorbeeren einheimsen dürfen, zumal ich unter diesem Decknamen etliche Privilegien genoss. Anonymität und Befreiung von der Berichtpflicht waren nur zwei davon. Ein paar Vorteile musste es ja haben, wenn man eine Legende war, ein Phantom, der einzige Mensch, der die Besessenheit von einem Level-12-Dämon überlebt hatte. Da blieb der Gildekommission kaum etwas anderes übrig, als meine Bedingungen zu akzeptieren.

Allerdings war der ursprüngliche Auftrag leider nicht an Trigger gegangen, sondern an Velvet Shot, die Level-8-Dämonenreiterin, die ich vorgab zu sein, um meine Geheimnisse zu wahren. Ein bisschen wie bei Bruce Wayne und Batman, nur ohne Cape und Butler, dafür aber mit Dämonenresten in den Haaren.

Ich loggte mich also aus, wechselte das Handy und meldete mich unter Velvet Shot erneut an.

Einen Datenupload und einen Kurzbericht voller Lügen später kam die Bestätigung. Unglücklicherweise nicht ganz so, wie ich es erwartet hatte.

Dämonenreiterin »Velvet Shot« Level 8

Geschlecht weiblich – Alter 24

---

Lv4 Dämon – bestätigt – 250 Roots

Überweisung ausgesetzt

Persönliches Erscheinen im Hauptquartier 7 erforderlich

Bitte WAS?!

Die letzte Zeile blinkte rot, als wäre es nicht schon penetrant genug, mir mein Geld vorzuenthalten. War die Gilde jetzt völlig durchgedreht? Ich hatte mich seit Ewigkeiten in keinem Hauptquartier mehr blicken lassen – zumindest nicht aus offiziellen Gründen. Wieso auch? Es lief alles digital. Am Ende schrieb man die Bearbeitungsnummer auf die Zipbeutel mit den Herzen und schickte sie in einem hübschen Päckchen an die Gilde. Fertig.

Und wieso musste es ausgerechnet Hauptquartier 7 sein? Mitten im Herzen von New Orleans? Irgendwer da draußen hatte es wohl darauf angelegt, mir auch den Rest der Nacht zu versauen. Echt jetzt! Ich hätte kotzen können, hätte der Dämon in mir all das Essen nicht schon längst verbrannt.

Gereizt schob ich mein Handy ein. Ich war kurz davor, auf die 250 Roots zu pfeifen und abzuhauen. Allerdings wusste ich nur zu gut, was für eine hartnäckige und nachtragende Bitch die Gilde sein konnte. Sie würden nicht lockerlassen und mich für alle weiteren Aufträge blockieren, wenn ich ihren Forderungen nicht nachkam.

Fein.

Dann sollten sie eben ihren Willen bekommen.

Und sich dafür lieber warm anziehen.

VELVET Bürokratie und andere Symptome

Ich sprengte jedes Tempolimit, als ich durch den ehemaligen Lower Garden District raste. Jetzt hieß das Viertel New Ashes und steckte voller Erinnerungen, denen ich nicht entfliehen konnte – egal, wie schnell ich fuhr. Zu oft hatte ich meine Eltern früher überredet, mit mir herzukommen. Jede verdammte Woche. Weil dieser Ort einer der Hauptschauplätze in der Nacht der fallenden Sterne gewesen war und ich damals einfach alles über die Befreiung der Urgöttin in mich aufgesogen hatte wie ein Schwamm. Jap, im Nachhinein betrachtet war ich ein wirklich nerviges Kind gewesen. Ich konnte zu meiner Verteidigung nur anführen, dass man mit elf wohl schnell zum Fangirl wurde, wenn es plötzlich wieder Magie auf der Welt gab. Und neue Götter. Und Hexen. Vor allem Letztere hatten es mir zu jener Zeit nachhaltig angetan.

Doch dieses Kapitel meines Lebens war schon lange abgehakt und ordentlich weggesperrt in einem Hochsicherheitssafe namens »unliebsame Vergangenheit«. Heute hatte ich keine Träume mehr. Heute gab es für mich nur Hunger. Und Aufträge, bei denen ich wenigstens das Gefühl hatte, nicht grundlos eine tickende Zeitbombe zu sein.

Das Dämonenreiter-Hauptquartier lag im Zentrum von New Ashes. Zwar klemmte seine Klinkerfassade in einer Reihe anderer pseudohistorischer Bauten, als wollte es möglichst wenig Aufsehen erregen, doch das war bei der Wucht des kupfergedeckten Backsteinmonuments mit seinen spitz aufragenden Gruselhausgiebeln ein schlicht hoffnungsloses Unterfangen.

Ich parkte im Halteverbot direkt vor dem Eingang. Das Motorrad war geliehen und auf die Gilde zugelassen, also würde ein Strafzettel die Richtigen treffen. Ein Akt der Rebellion. Und sicher nicht der letzte heute, wenn man meine sinkende Laune bedachte.

Angriffslustig erklomm ich die Treppe zu dem geschwungenen Portal, auf dem in großen Lettern »What Must Be Done« stand. Einladender wurde es nicht. Bei jedem meiner Schritte wanden sich die gusseisernen Fenstergitter und Balkongeländer kaum merklich – als wären sie unruhig, weil sich ein potenzieller Eindringling näherte. Dann glühten die rötlichen Glyphen an der Fassade auf und das ganze Gebäude schien für einen Moment den Atem anzuhalten. Ein magischer Scan. Eine Sicherheitsvorkehrung. Und in diesem Fall völlig überflüssiger Schnickschnack. Nur ein Idiot würde ohne Erlaubnis in ein Haus voller eiskalter Killer eindringen.

Ich hielt der Prüfung stand. Das Schloss klickte und die schwere Tür schwang mit einem ungeduldigen Zischen auf. Wäre ich nicht ausgewichen, hätte sie mir die Nase gebrochen. Tja, Hexenmagie war vieles, aber selten höflich.

Als ich die Lobby betrat, erinnerte ich mich wieder daran, warum ich die Hauptquartiere normalerweise mied. »Lobby« war hier ein Euphemismus für »Bar«, und »Bar« bedeutete Musik, Orgien und fettiges Essen. 24/7. Etwa zwei Dutzend Gildemitglieder tummelten sich in gedämpftem Licht in Loungeecken, an Tischen und der Theke. Die meisten bemerkten mich nicht einmal. Sie waren zu sehr mit Fried Chicken beschäftigt oder mit dämlichen Wettstreiten oder damit, irgendwem die Zunge in den Hals zu stecken. Essen, Gewalt und Sex – die besten Wege, um nach einem Kampf den Hunger zu stillen.

Ich ignorierte die Anwesenden und schob mich durch die Szenerie wie eine Vegetarierin auf einer Jagdmesse. In Gesellschaft von Dämonenreitern hatte ich mich noch nie besonders wohlgefühlt. Kein Wunder, wenn man bedachte, welcher Typ Mensch sich hier rumtrieb. Wer ließ sich schon freiwillig auf die Besessenheit durch einen Dämon ein – einzig aus der kleinen Hoffnung heraus, ihn zu bezwingen und anschließend seine Macht übernehmen zu können? Das Ganze nannten sie dann »Rodeo« und zelebrierten es wie einen Kult. Wer überlebte, wurde gefeiert. Wer dem Dämon unterlag, bekam von seinen Freunden eine Kugel verpasst. Daran war für mich rein gar nichts erstrebenswert.

Ein bärtiger Kerl mit nackter, sehr haariger Brust wurde auf mich aufmerksam. Die Runen auf seiner Haut glühten noch in einem matten Weiß, weil er wohl gerade irgendein dämliches Wer-ist-der-Stärkere-Spielchen gewonnen hatte. Ihm zuliebe setzte ich meine finsterste Miene auf – nur für den Fall, dass er auf die miese Idee käme, mich anzusprechen und damit seine Messer polierende Freundin zu verärgern. Und, oh Wunder, obwohl ich eine Fremde in deren Revier war und damit auf die ein oder andere Weise Frischfleisch, schaffte ich es durch die Lobby ohne Zwischenfall, Anmache oder Prügelei.

Jetzt lag die Quelle allen bürokratischen Übels vor mir: die Rezeption. Hier drehte sich im Schein von ein paar alten Schwenkarm-Schreibtischlampen alles um Verwaltungskram. Ein ruhiger Arbeitsplatz sah anders aus. Das Einzige, was für ein wenig Privatsphäre sorgte, war ein schwarz lackierter Empfangstresen, auf den ich nun mit etwas zu viel Schwung mein eingetütetes Dämonenherz fallen ließ.

»Ich will mein Kopfgeld«, rief ich laut genug, um die Musik zu übertönen. »Sofort. Und außerdem würde ich gerne wissen, wieso man mich wie einen Hund herpfeift?«

Die Frau in den Sechzigern, die gerade irgendetwas auf ein Postit gekritzelt hatte, sah gelangweilt hoch. Auf ihrem Namensschild stand »Erna – Verwaltung«, was so gar nicht zu ihrem schneeweißen Sidecut, der auffälligen Brille und ihren Tattoos passen wollte. Sie blinzelte mich an. Einmal. Zweimal. Dreimal. Das getrocknete Dämonenblut an mir schien sie nicht zu stören. Eher meine generelle Existenz.

Dann bekam ich endlich eine Reaktion.

»Deckname?«

»Velvet Shot.«

Ohne eine Miene zu verziehen, tippte sie meinen Namen in ihren Laptop. Dann schnalzte sie mit der Zunge und betätigte die kleine Glocke auf ihrem Tresen. Anschließend wandte sie sich wieder mir zu und erklärte im strengen Ton einer Schulkrankenschwester: »Tja, Velvet Shot. In Ihrer Akte steht, dass Sie Ihren Verpflichtungen der Gilde gegenüber nicht nachgekommen sind.«

»Verpflichtungen?!«, blaffte ich gereizt. »Ich töte Dämonen. Etwas anderes steht nicht in meiner Stellenbeschreibung. Oder geht es etwa schon wieder um das Feuer in Bangladesch? Wie oft soll ich es noch sagen: Das war ich nicht. Und auch an der Massenpanik in Irland hab ich keine Schuld. Wenn die Gilde nicht –«

Die flache Hand der Verwaltungslady schoss in die Höhe und schnitt mir resolut das Wort ab, ehe ihr Zeigefinger auf etwas hinter mir deutete.

»Es geht nicht um Bangladesch. Es geht um ihn.«

Verwirrt drehte ich mich um und sah, wie ein schmächtiger blasser Bursche angerannt kam. Er war größer als ich, was nichts Außergewöhnliches war. Und er trug eine schwarze Lederjacke über seiner Kevlarrüstung. Auch das traf auf so ziemlich jeden hier drinnen zu. Allerdings wirkte er wie ein Teenager, der kaum die Pubertät hinter sich hatte. Ganz im Ernst. Als hätten ihm seine Eltern zu Halloween ein Dämonenreiterkostüm gebastelt. Und unter seinen wuscheligen blonden Haaren strahlte mir ein Paar rehbrauner Augen entgegen. Arglos und erwartungsvoll, wie ein Bub, der den verdammten Weihnachtsmann vor sich hatte.

»Hi, ich bin Eddie. Ich … äh …«

Kaum hatte er seinen Namen rausgebracht, schien er plötzlich vor Aufregung zu hyperventilieren.

»Kennen wir uns?«, erkundigte ich mich noch verwirrter als zuvor.

»Nein … äh … ich bin …«

»Er ist Ihr neuer Lehrling«, kürzte die Verwaltungslady das Gestammel ab.

Mein neuer WAS? Vor Empörung brachte ich den Mund kaum noch zu. »Ich nehme keinen Lehrling an! Wer die wirklich gefährlichen Aufträge erledigt, ist von so einem pädagogischen Mist befreit. Das war schon immer die Regel bei der Gilde. Es ist schwer genug, mich am Leben zu halten. Da kann ich mich nicht auch noch um einen Anfänger kümmern.«

»Doch, können Sie, Schätzchen. Die Gilde hat die Regeln letztes Jahr geändert, weil sich die Lehrlinge bei uns stapeln. Jetzt muss jeder ran, also finden Sie sich damit ab.«

Sie schnappte sich den Zipbeutel, trug ihn zum Kühlschrank an der Rückwand und begann, einen Platz dafür freizuräumen. Ihre Dreistigkeit machte mich fassungslos.

»Ich finde mich nicht damit ab! Ich will die Vorsitzende sprechen.«

»Die Weisung kommt von der Vorsitzenden persönlich. Sie hat Ihnen Eddie zugewiesen«, schallte Ernas Stimme aus dem Kühlschrank, wo sie das Herz gerade zwischen zwei Tupperdosen stopfte. »Und bevor Sie fragen, seit gestern ist die Vorsitzende im Urlaub. Für drei Wochen.«

»Drei Wochen!?«

Das war bestimmt kein Zufall. Das hatte das bornierte Miststück doch mit Absicht gemacht! Sie kannte mich nämlich und hatte gewusst, dass ich bei ihr auf der Matte stehen würde, wenn sie unseren Deal brach.

»Ich sag ja: Finden Sie sich damit ab«, wiederholte Erna mit einem Schulterzucken. »Die Überweisung für den 4er habe ich übrigens gerade angewiesen. Außerdem habe ich Zimmer 307 auf Ihre Gildekarte codiert. Waschen Sie sich das Blut ab, ruhen Sie sich aus und dann melden Sie sich zum Dienst. Ich finde sicherlich schnell einen neuen Auftrag für Sie und Ihren Lehrling.«

Auf gar keinen Fall.

»Wo genau ist die Vorsitzende denn im Urlaub?«

»Donnerlittchen, sind Sie hartnäckig. Jetzt verstehe ich auch die Anmerkung.«

»Welche Anmerkung?«

Mit einem Seufzen schloss die Verwaltungslady den Kühlschrank und kam zurück an den Tresen. Dort scrollte sie durch ihre Dateien und drehte schließlich den Bildschirm so, dass ich ihn sehen konnte. »Diese hier.«

Sollte sich Velvet Shot weigern, was sie mit Sicherheit tun wird, sagen Sie ihr, dass ich ihr jederzeit die Lizenz entziehen kann. Dasselbe gilt für den Fall, dass sie auf die Idee kommt, mich in meinem Urlaub zu stören.

Ich stieß einen frustrierten Laut aus. Die Gilde war unerlässlich für mich. Ohne meine Lizenz erhielt ich weder Aufträge noch Kopfgelder. Dann musste ich mich wieder an meine göttlichen Gönner wenden und darauf hatte ich wirklich keinen Bock. Oder ich machte einfach als Trigger weiter. Wobei das Risiko, dass mich jemand erkannte, eigentlich nicht tragbar war. Nein, ich musste die Vorsitzende überzeugen. Was aber erst in drei Wochen realisierbar war.

Oh, wenn ich diese kleinkarierte Mistkuh in die Finger bekam.

»Die Sache ist noch nicht vorbei!«, fauchte ich Erna entgegen und trat einen möglichst effektvollen Rückzug an. Dummerweise heftete sich mir Eddie sofort an die Fersen wie ein aufgeregter Labradoodle, der anscheinend seine Sprache wiedergefunden hatte.

»Ich verstehe, dass du überrumpelt bist, aber du sollst wissen, dass es eine unheimliche Ehre ist, mit dir zu arbeiten.«

»Es ist keine Ehre draufzugehen«, fauchte ich, ohne auf dem Weg durch die Lobby anzuhalten. »Und das wirst du, wenn du in meiner Nähe bleibst.«

Weil ihn entweder ein Dämon umbringen würde – oder ich.

»Ich bin kein blutiger Anfänger. Ich hab schon gegen Dämonen gekämpft. Ich weiß –«

»Du weißt gar nichts. Verpiss dich. Mach dir einfach die nächsten drei Wochen ’ne schöne Zeit. Ich werde niemandem verraten, dass du mich nicht begleitet hast.«

Es war auch so schon kompliziert genug, zu vertuschen, was ich war. Mit einem Labradoodle an der Seite würde das nahezu unmöglich werden.

»Aber das wäre Betrug. Und dann kann ich nichts dazulernen. Ich mein, du bist eine Level-8-Dämonenreiterin. Davon gibt es vielleicht zwanzig auf der ganzen Welt. Und: Du kennst Trigger. Das ist der Wahnsinn. Wenn ich –«

Ich wirbelte herum und packte Eddie am Kragen seiner brandneuen Lederjacke – ohne Flecken, ohne Kratzspuren. Das war eigentlich schon aussagekräftig genug. Doch als ich ihn zu mir herunterzog, hickste er erschrocken, als hätte er Schluckauf. Ganz zu schweigen von keinerlei Reflex, sich zu verteidigen. Beweisführung abgeschlossen. In meiner Welt würde er keine Woche überleben, also tat ich ihm den Gefallen und war lieber jetzt fies zu ihm, als später seine Gliedmaßen zusammensammeln zu müssen.

»Ich meine es ernst. Halt dich von mir fern. Sobald die Vorsitzende aus ihrem Urlaub zurück ist, wirst du sowieso jemand anderem zugewiesen.«

»Aber ich –«

Er verstummte abrupt. Sein Blick glitt nach oben und seine Augen weiteten sich vor Ehrfurcht. Na toll. Jemand stand hinter mir und ich hatte es nicht bemerkt, weil mein Labradoodle mich schon jetzt ablenkte. Wehe, Mr Haarige-Brust suchte doch noch Streit.

Ich hasste diese Stadt!

Wütend ließ ich Eddie los und fuhr herum – bereit, verbal und nonverbal zuzuschlagen. Allerdings wartete keine haarige Brust auf mich, sondern ein vertrautes Grinsen, das mich völlig aus dem Konzept brachte. Mit dem dazugehörigen Dämonenreiter, dessen Haut so dunkel war, dass seine Zähne noch weißer strahlten, hätte ich hier beim besten Willen nicht gerechnet.

»Atlas?!«

Ich kannte ihn aus Accra. Und aus Prag. Und von einer Reihe anderer Gelegenheiten, die weniger etwas mit Dämonen als mit zerwühlten Laken zu tun hatten. Angesichts der Fülle seiner nervtötenden Eigenschaften zählte diese Episode nicht gerade zu den Sternstunden meiner Selbstachtung. Aber was sollte ich sagen? Wen der Hunger plagte, der konnte nicht wählerisch sein.

»Hi, Rotschopf …«

Tiefe Stimme, samtiger Tonfall und ein Blick, der geradezu schrie, dass er mich auch ohne Klamotten kannte. Ich verdrehte die Augen. Atlas konnte es einfach nicht lassen. Nur weil wir ein paarmal zwanglos miteinander im Bett waren, glaubte er jedes Mal aufs Neue, mich mit seiner Sexstimme begrüßen zu dürfen. Wie gesagt: nervtötend.

»Was machst du hier?«, fragte ich unterkühlt. »Ich dachte, du willst nur noch in Imperion arbeiten, wo jemand von deinem Kaliber hingehört? Oder haben sie dich für dein 9er-Rodeo doch nicht zugelassen?«

»Doch, haben sie.« Sein Grinsen wurde breiter, aber er verstand meinen Spott als das, was er sein sollte: ein Warnhinweis. Dumm war Atlas noch nie gewesen. Ganz im Gegenteil. Er zählte zu den besten Agenten der Gilde. Groß, angstlos, gerissen und absolut tödlich. Als hätte jemand einen Elitekrieger modelliert und ihm dann ein dämonisches Upgrade verpasst. Die acht tätowierten Level-Kreuze an seinem Hals bewiesen das.

Er beendete seinen Flirtversuch und wechselte nahtlos in einen Kumpels-unter-sich-Tonfall. »Und ja, ich lebe jetzt tatsächlich in Imperion. Ich bin nur hier, weil heute Nacht ein Alarm für New Orleans reinkam. Für einen Level-7er, der von einem übereifrigen Atax beschworen wurde. Deshalb hat man mich herbeordert. Aber jemand anderes war offenbar schneller.«

Oh. Da hatte ich ihm wohl sein Kopfgeld weggeschnappt. Ich oder eher mein Alter Ego.

»Das ist wirklich ärgerlich für dich«, seufzte ich mit geheucheltem Mitleid. »Leider hatte ich keine Ahnung von deinem Auftrag, und Trigger ist manchmal schwer zu bremsen.«

Atlas nickte, als wüsste er, wovon ich redete. »Dafür schuldet er mir zumindest ein persönliches Treffen, findest du nicht?«

Netter Versuch. Ich setzte ein zuckersüßes Lächeln auf.

»Er? Wer sagt, dass Trigger ein Er ist? Abgesehen davon hat er – oder sie – keinerlei Interesse an irgendwelchen Bekanntschaften.«

Was ich ihm bereits hundert Mal gesagt hatte.

Atlas schnitt eine gefrustete Grimasse. »Komm schon! Verrat mir wenigstens, ob Trigger es wirklich geschafft hat, über Level 9 rauszukommen, oder ob das bloß Gerüchte sind? Ich habe alle Gildearchive durchforstet und keine Aufzeichnungen dazu gefunden. Nichts. Überall steht dasselbe: Niemand überlebt Level 10 bis 13.«

»Klingt eher nach einem Problem, das du mit der Gildeverwaltung klären solltest«, antwortete ich schroff genug, um das Gespräch damit abzuwürgen. Ich hatte echt keinen Nerv, mich mit seinem selbstmörderischen Ehrgeiz herumzuschlagen.

Doch als ich mich an Atlas vorbeischieben wollte, versperrte er mir den Weg. Nicht auf die bedrohliche Art. Dazu kannte er meinen rechten Haken zu gut. Nein, er gab sich versöhnlich und ließ seinen Blick an meiner blutbesudelten Kleidung hinunterwandern.

»Sieht aus, als hättest du einen harten Kampf gehabt. Soll ich dir bei deinem Hunger helfen?«

Und schon switchte er zurück zu seiner Sexstimme, und das mit einem verlockenden Angebot. Atlas war wirklich gut im Bett und wusste als hochrangiger Dämonenreiter sehr genau, was es brauchte, um wahren Hunger zu stillen. Aber ich wollte raus aus der Stadt. Schnellstmöglich.

»Danke, kein Bedarf«, log ich und nickte in Eddies Richtung. »Wenn du unbedingt helfen willst, dann nimm mir meinen Lehrling ab.«

Atlas musterte Eddie flüchtig und lachte plötzlich so lautstark los, dass der arme Junge sich vor Schreck fast einpinkelte.

»Keine Chance. Die Vorsitzende hat gestern ein allgemeines Memo verschickt, dass Lehrlinge keine Tauschware sind. Hätte mir denken können, dass du der Grund dafür bist. Sorry, Vel.« Er zwinkerte mir zu und machte sich auf den Weg an die Bar. Über die Schulter rief er noch: »Ich werde erst morgen nach Imperion zurückfliegen. Falls du also doch Gesellschaft brauchst, weißt du, wo du mich findest.«

Gesellschaft? Ich brauchte keine Gesellschaft. Ich brauchte einen verdammten Plan, wie ich meinen Labradoodle loswurde.

VELVET Götter sind auch keine Lösung

Ohne mich noch einmal umzusehen, verließ ich das Hauptquartier. Die feuchte Nachtluft schlug mir ins Gesicht wie eine Ohrfeige. Wenn ich es schnell genug auf mein Motorrad schaffte, wäre ich weg, bevor Eddie –

»Velvet! Wo willst du hin? Du hast doch eins von den Gildeapartments gekriegt. Soll ich dir zeigen, wie man da raufkommt?«

Ich wollte ihm gerade sagen, dass er dort gern eine Party schmeißen konnte, wenn ich weg war, aber etwas in meinem Bauch zog sich zusammen und meine Sicht verschwamm. Scheiße, das fühlte sich genauso an wie in der Werft. Gleich würde mich eine Vision überrollen. Keine Ahnung, woher ich das so genau wusste, aber ich wusste es. Ich spürte es. Wie einen Schnitt in der Haut, bevor das Blut herausquoll.

»Ist alles okay mit dir?«

Eddies besorgtes Gesicht tauchte vor mir auf. Gar nicht gut. Er durfte das nicht mitbekommen. Niemand von der Gilde durfte das. Velvet Shot hatte keine Zukunftsvisionen. Alles würde auffliegen.

»Ja. Tu mir einen Gefallen: Im Parkhaus der Gilde steht mein Auto«, presste ich mühsam hervor. »Schwarzer SUV. Schlüssel steckt. Hol ihn mir.«

Eddie zögerte keine Sekunde. Das war sein erster Auftrag von mir. Er drehte sich um und lief. Mit etwas Glück würde ihn das eine Weile beschäftigen. Schwarze SUVs gab es in einer Garage der Gilde sicherlich zuhauf, auch wenn keiner davon mir gehörte. Das verschaffte mir genug Zeit, mich in eine dunkle Seitengasse zu schleppen. Kaum war ich aus dem Licht der Straßenlaternen raus, glühten meine Runen auf. So heftig, dass sie sogar durch mein Shirt schienen. Ich fing an zu zittern und stützte mich an einer Hauswand ab, um nicht umzufallen. Dann brach eine Welt aus Feuer über mir zusammen.

Mit tosendem Dröhnen fraßen Flammen den Himmel, als hätten die brennenden Stahlskelette Imperions selbst die Wolken entzündet. Tag und Nacht besaßen keine Bedeutung mehr, denn das Feuer beherrschte alles. Asche fiel in dicken glühenden Flocken auf früher weißen Marmor. Menschen schrien und Götter starben in ihrem Blut …

Als die Bilder vorbeigezogen waren, sog ich erleichtert Luft in meine Lunge und kämpfte gegen den Hunger an. Was sollte das? War es doch nicht der Atax gewesen, der mich verflucht hatte? Woher stammten diese schrecklichen Visionen sonst? Und wieso hörten meine Runen einfach nicht auf zu glühen?

Zumindest die letzte Frage wurde mir beantwortet, als zu meinem Entsetzen alles wieder von vorne begann.

Mit tosendem Dröhnen fraßen Flammen den Himmel … Tag und Nacht … keine Bedeutung … Asche … Schreie … Blut … Götter starben …

… und der Hunger verschlang mich von innen. Schlimmer als in meinen ersten Tagen als Dämonenreiterin. Ich hatte längst geglaubt, es im Griff zu haben, hatte gehofft, diese fürchterliche Hilflosigkeit nie wieder spüren zu müssen. Und jetzt fing alles von vorne an. Verdammt. Ich musste etwas essen. Dringend! Und doch konnte ich mich nicht vom Fleck rühren. Ich brauchte all meine Kraft und Konzentration, um den Hunger zurückzuhalten. Was nun? Was, wenn noch eine Vision mich packte? Was, wenn ich die Kontrolle verlor und die Instinkte meines Dämons durchbrachen? Wenn Eddie zurückkam? Wenn ich ihn umbrachte? Und dann den Nächsten. Und den Nächsten. New Orleans hätte keine Chance.

Plan B?

Aber ich hatte versprochen, sie zu rufen, bevor ich Plan B in Betracht zog. Und ja, verflucht, ich brauchte Hilfe. Und zwar von jemandem, der sich besser mit diesem Scheiß auskannte als ich.

Ach, verdammt. Stolz wurde überschätzt.

Und so tat ich in meiner Verzweiflung etwas, das ich seit einem Jahr nicht mehr getan hatte. Ich fasste mir ans Herz und betete.

»Morosa. Ich bitte dich, folge meinem Ruf.«

Sie ließ sich Zeit.

Wie immer.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit und einen weiteren Durchlauf der göttlichen Blutbad-Vision, bevor die Luft vor mir zu flackern begann. Zumindest glaubte ich das, denn inzwischen kauerte ich wie ein zuckendes Häufchen Elend auf dem dreckigen Asphalt und kriegte kaum noch etwas mit.

»Du überraschst mich immer wieder, meine Liebe.« Eine Stimme wie melancholischer Jazz um drei Uhr morgens. So klang nur die Göttin der gebrochenen Herzen. Na endlich. Wurde auch Zeit, dass sie ihren schimmernden Hintern herschob.

»Wie komm ich zu der Ehre, Vel? Hätte nicht gedacht, dass du – Fuck.«

Jap, auch so konnte die Göttin der gebrochenen Herzen klingen.

»Zeph! Flieg deinen Arsch her! Vendy! Wir brauchen dich!«

Kurz darauf verdichtete sich die Atmosphäre in der Gasse so sehr, dass meine Ohren knackten. Ich sah Lichtblitze, Umrisse von weißen Schwingen, Jeans, braune Locken, violette High Heels und immer wieder meine goldglühenden Runen. Mehrere Stimmen fluchten. Jemand berührte mich an der Schulter. Und schließlich roch ich … Pizza.

In diesem Moment verlor ich die Kontrolle endgültig und überließ mich dem Hunger. Ich fiel über die Jumbopizza her wie ein Schwarm Heuschrecken. Oder ein Staubsauger. Kauen wurde überbewertet, solange nur die brennende Leere in mir aufhörte. Ein Stück nach dem anderen. Für ein paar Minuten existierte nichts außer dem nächsten Bissen. Kein Göttersterben, keine Vision, kein nervtötendes Schicksal. Als die eine Schachtel leer war, wurde mir eine zweite in die Hand gedrückt. Toll, da hatte jemand mitgedacht.

Ich aß weiter, bis mein Kiefer schmerzte und meine Finger zu zittern aufhörten. Langsam kam ich wieder in meinem Körper an. Der Druck in meiner Brust ließ nach, mein Magen hörte auf zu krampfen, mein Kopf klärte sich ein bisschen.

Nach dem letzten Stück Pizza war ich halbwegs bereit, mich den fragenden, besorgten und irritierten Blicken von den drei unsterblichen Wesen zu stellen, die über mir aufragten. Ze-mo-ndy. Alias Zephyr, Morosa und Vendy. Alias meine göttlichen Gönner.

Ich atmete tief durch und wappnete mich vor dem, was jetzt kommen würde.

»Was bitte war das?«

Zeph verschränkte die Arme vor der Brust – golden, großspurig und dramatisch wie eh und je. Der göttliche Wächter benahm sich immer noch, als würde er zum Pantheon selbst gehören. Seine Schwingen hatte er inzwischen wieder verborgen, weil er sie verabscheute. Eigentlich verabscheute er alles an seiner Existenz, ganz besonders wenn irgendwelche Menschen ihn bestaunten und einen Engel nannten. Tja, er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, er sah definitiv wie einer aus.

»Eine Zukunftsvision …«, beantwortete ich seine Frage und warf die leere Pizzaschachtel zu einem Haufen Mülltüten, neben denen ich zusammengebrochen war. Hygienisch ging anders, aber ich hatte schon Schlimmeres überlebt.

»Eine Zukunftsvision? Droht dir Gefahr?« Vendy war sofort in Alarmbereitschaft. Sie zog eine riesige silberne Knarre aus den Untiefen ihres Rüschenrocks und suchte die Gasse nach möglichen Angreifern ab. Die Mischung aus ihrer puppenhaften Erscheinung und derart viel Gewaltbereitschaft ließ mich trotz meines Zustands schmunzeln. Die Neo-Furie mochte ich von meinen drei Gönnern am liebsten. Weil sie so menschlich wirkte. Kaum Götterglanz, aber dafür einen ausgeprägten Hang zu Waffen, Lipgloss und übertrieben hohen Schuhen. Der Albtraum aller übergriffigen Männer. Und meine Güte, sie und ihre Furien-Schwestern hatten so richtig mit der Gesellschaft aufgeräumt. Erstaunlich, wie schnell selbst Arschlöcher Respekt lernten, wenn ein Gebet ihrer Missbrauchsopfer ausreichte, um jemanden wie Vendy herbeizurufen. Vendy stand nämlich für Vendetta. Und der Name war Programm.

»Nein, keine Gefahr«, gab ich Entwarnung. »Zumindest nicht unmittelbar. Diese Vision ist irgendwie anders.«

Jetzt kniete sich Morosa zu mir. Eleganz und Energie strömten durch ihre Bewegungen. Ihre Haut schimmerte und ihre ganze Erscheinung ließ meine Sinne prickeln. Sie war die einzige wirkliche Göttin hier, wenn auch nur eine niedere, mit Lippen rot wie Reue und Augen dunkel wie gebrochene Versprechen. In ihren Pupillen leuchtete ein Licht, das einzelnen Sternen einer weit entfernten Galaxis glich. Götteraugen. Für viele ein unbeschreiblich schöner Anblick. Für mich? Na ja, mit einer Taschenlampe und einer Katze im Dunkeln konnte man denselben Effekt erzielen.

»Was hast du gesehen?«, wollte die Göttin wissen.

Ich schluckte. Meine Kehle fühlte sich nach den Jumbopizzen wie verklebtes Schleifpapier an.

»Ein brennendes Imperion. Und Tod. Viel Tod. Alle sterben.«

»Du meinst, die Menschen von Imperion sterben?«

Ich hob das Kinn.

»Nein. Ich meine die Götter.«

Meinen Worten folgte eine erdrückende Stille, die auf ekelhafte Weise nach Mitleid schmeckte. Wahrscheinlich glaubten sie, ich hätte nun endgültig den Verstand verloren.

Zeph war der Erste, der aussprach, was alle dachten: »Das ist nicht möglich.«

»Was du nicht sagst. Erklär das der Scheiß-Vision«, schnauzte ich ihn an. »Die hat mich jetzt schon zum zweiten Mal außer Gefecht gesetzt. Beim ersten Mal wäre ich fast umgebracht worden und jetzt hätte ich fast die Kontrolle verloren. Also erhellt mich bitte! Was kann ich dagegen unternehmen?«

»Aber Zeph hat recht: Götter können nicht sterben«, stellte Vendy fest und verstaute ihre Pistole wieder in dem Halfter an ihrem Oberschenkel. »Nicht, solange Menschen an sie glauben.«

»Und was bitte sehe ich dann?! So echt, als würde ich mittendrin stehen? Was ich nebenbei bemerkt nicht tue. Ich bin nicht dort. Ich sehe mich selbst nicht, aber rieche ihr Blut, höre ihr Röcheln. Die Götter sterben.«

Erneut machte sich Stille breit. Diesmal eine von der ratlosen Sorte. Morosa erhob sich so lautlos wie ein Luftzug und wandte mir ihren Rücken zu. Als könnte sie so verhindern, dass ich das folgende Gespräch mitbekam. Ich verkniff mir ein Kopfschütteln. Manchmal waren Götter unendlich naiv. Und arrogant. Oder einfach beides.

»Ich dachte, die Visionen von Level-12-Dämonen dienen ausschließlich dazu, ihr eigenes Überleben zu sichern?«, murmelte sie in Zephs Richtung. »Vel hat diese Fähigkeit übernommen. Wieso sieht sie sich dann nicht selbst?«

Der goldblonde Wächter nickte bedächtig.

»Rein hypothetisch ist sie in Gefahr, wenn ihre Visionen echt sind.« Zephs Ton war jetzt ernst. »Sollten alle Götter sterben, dann sterben wir ebenso und damit auch sie.«

Oh Shit. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Aber klar, die Schutzrunen auf meiner Haut stammten nicht von Hexen, wie es bei allen Dämonenreitern üblich war. Sie stammten von Zemondy. Und das hieß, ich würde mit ihnen draufgehen. Nein, nicht nur draufgehen. Ohne die Runen, die die dämonische Macht in mir zügelten, würde ich wortwörtlich von innen heraus verbrennen.

Das erklärte auch, warum ich mich nicht selbst in der Vision sah. Es spielte schlicht keine Rolle, ob ich dort war, wenn es geschah. Mein Tod wäre nur eine Folge und könnte mich überall auf der Welt ereilen.

Vendy trat unruhig von einem ihrer High Heels auf den anderen. »Wir sollten vielleicht in Betracht ziehen, dass die Bedrohung echt ist. Immerhin passiert gerade so einiges.«

Zeph nickte. »Möglicherweise wurden wir damals genau deshalb geschickt, um sie zu retten.«

»Ich wurde nicht geschickt«, korrigierte ihn Morosa. »Ich habe ihren Schmerz gespürt.«

»Und ich war nur zufällig da«, schloss Vendy sich an.

Zeph schnitt eine so gar nicht engelhafte Grimasse. »Gut, ich wurde geschickt.«

»Und du weißt immer noch nicht von wem.«

»Nein, aber das ist jetzt gerade auch nicht wichtig. Wir haben größere Probleme«, brummte er. »Solange Vel nämlich Visionen hat, heißt das, dass sie es aufhalten kann.«

Das erschien mir als ein passender Zeitpunkt, um mich wieder in die Diskussion einzuklinken. Ihre internen Machenschaften und das Geschwafel über Schicksal interessierten mich kein bisschen. Das Spiel hatte ich lange genug mitgemacht. Im Moment interessierte mich nur eines:

»Wie? Wie kann ich es aufhalten? Wie viel Zeit hab ich? Was muss ich tun, um diese Drecksvisionen loszuwerden?«

Das göttliche Trio drehte sich zu mir um. Sie strahlten eine Selbstverständlichkeit aus, die auf Menschen normalerweise beruhigend wirkte. Ich kannte sie besser und konnte an ihren Gesichtern eines ganz klar ablesen: Sie hatten keine Ahnung.

Morosa kaschierte das mit einer geschmeidigen Geste.

»So wie bei deinen anderen Visionen auch.«

Aha.

»Meine bisherigen Visionen haben mir höchstens ein paar Sekunden Vorsprung verschafft. Und es war immer überdeutlich, was die Bedrohung ist. Diesmal ist alles anders. Ich weiß nicht, wo genau das Ganze stattfindet, und auch nicht wann. Ich bin noch nicht einmal Teil der Vision. Also wie soll ich so etwas aufhalten?!«

Die Göttin zwang sich zu einem gekünstelten Lächeln und versprach: »Wir werden uns umhören.«

»Bis dahin folgst du einfach den Visionen«, fügte Zeph hinzu. »Vielleicht klärt sich dadurch auch schon einiges auf.«

Gereizt starrte ich ihn an. »Das sind Bilder von sterbenden Göttern. Kein Navi.«

»Oh, es ist ziemlich genau wie ein Navi.« Vendy warf sich ihre brünetten Korkenzieherlocken über die Schulter und tat, als wäre das Ganze selbsterklärend. »Oder auch … Topfschlagen. Diese Visionen sind dazu da, um dein Leben zu retten. Bist du auf dem richtigen Weg, bleiben die Visionen aus. Kehren sie zurück, heißt das, dass du falsch abgebogen bist. Es wundert mich, dass du das nicht weißt.«

»Was ich über meinen Dämon weiß, habe ich von euch gelernt, also fasst euch an die eigene Nase. By the way wäre diese Information gleich zu Beginn hilfreich gewesen.«

»Wie auch immer«, schlichtete Morosa. »Wir strecken unsere Fühler aus.«

»Yay, Teamwork! Wie in alten Zeiten«, kicherte Vendy und verwandelte sich mit einem Fingerschnippen in eine göttliche Staubwolke. »Bis bald!«, hallte ihre Stimme nach.

Morosa verschwand nur einen Wimpernschlag später. Ihre Gestalt zerfiel in schimmerndes Licht, während Zeph kopfschüttelnd seine Flügel beschwor und sich in den Nachthimmel schwang.

Missmutig starrte ich ihnen hinterher. Sie hätten mir wenigstens noch eine Pizza bringen können, wenn sie mich schon mit meinen Problemen allein ließen.

»Wie in alten Zeiten …«

VELVET Die höllische Dreifaltigkeit

Während ich im fahlen Licht der Dämmerung meine Klamotten einsammelte, hörte ich, wie Atlas den Mülleimer im Bad öffnete, um das Kondom zu entsorgen. Danach stellte er die Dusche an. Ich beeilte mich, obwohl ich das eigentlich nicht musste. Er würde vermutlich erst wieder rauskommen, wenn ich weg war. So lautete unsere Abmachung: kein Reden, kein Frühstück, kein Abschied. Trotzdem wollte ich schnell hier raus. Nicht weil ich mich schämte – mit Scham hatte ich nie ein Problem gehabt. Aber Stolz sah auch anders aus. Das hier war notwendig gewesen, mehr nicht. Und ja, zum ersten Mal seit der Werft gab der Hunger wieder vollständig Ruhe. Dafür allein hatte sich der Besuch bei Atlas bereits gelohnt.

Meine Hose lag auf dem Sessel, der BH war halb unters Bett gerutscht und mein Shirt fand ich neben der Eingangstür. Ich zog mich an und versuchte, dabei nicht allzu laut zu fluchen, denn mein Kopf dröhnte wie ein kaputter Kühlschrank. So ein Hangover war normal, wenn man seine dämonischen Kräfte zu oft und ohne Regenerationszeit benutzte. Aber einen derart schlimmen Kater hatte ich dennoch schon lang nicht mehr gehabt.

Als ich fertig war, warf ich mir meinen Rucksack über die Schulter, verließ das Apartment und zog die Tür hinter mir zu.

»Hi.«

Ich fuhr zusammen und entdeckte Eddie im Schneidersitz auf dem Gang hocken. Direkt neben Atlas’ Tür, wie ein Hund vor dem Supermarkt.

»Oh, bitte nicht …«

Hatte er etwa die ganze Zeit über hier gesessen?!

Jetzt stand Eddie auf und sah mich vorwurfsvoll an.

»Erna von der Verwaltung hat mir gesagt, dass du kein Auto hast.«

Ich seufzte schwer. »Ja, das war nicht okay von mir. Sorry. Aber ich musste allein sein.«

Sein Blick huschte zu Atlas’ Tür, was meine Worte Lügen strafte. Er rümpfte die Nase, als würde er sich ein Urteil verkneifen. »Versteh schon. Der Hunger hat uns alle fest im Griff.«

Beinahe hätte ich laut losgelacht. Eddie trug drei niedliche Kreuze an seinem Hals. Drei! Er hatte keine Ahnung, was es bedeutete, von der Leere in sich verzehrt zu werden, bis man nicht einmal mehr seinen Namen wusste. Sein Hunger mochte ihn »im Griff« haben, meiner war eine Naturgewalt. Ich hatte sechs Monate Training gebraucht, um diese Naturgewalt zu beherrschen und mich wieder gefahrlos unter Menschen zu trauen.

Er zuckte mit den Schultern. »Das nächste Mal kannst du aber auch einfach sagen: ›Hey Eddie, ich will mir mal kurz ’nen Kerl abschleppen, also halt die Füße still. Ist kein Problem für mich.‹«

Erschöpft nickte ich. Ich war wirklich nicht in der Stimmung, mit ihm zu diskutieren, doch so hartnäckig, wie er war, blieb mir das wohl nicht erspart.

»Eddie, ich brauche keinen Lehrling. Und ich will auch keinen. Das hat nichts mit dir persönlich zu tun.«

»Ist angekommen. Trotzdem hast du jetzt einen«, konterte er erstaunlich resolut. »Das heißt, dass ich dir folgen werde – egal, wie oft du mich abhängst. Ich hab nämlich keinen Bock, aus der Gilde zu fliegen.«

Der Druck hinter meinen Schläfen wurde mit jeder Silbe unerträglicher. Ich blinzelte dagegen an, rieb mir die Stirn und versuchte das Pochen wegzukneten. Vergeblich. Kampf, Hunger, Hangover. Meine höllische Dreifaltigkeit.

»Können wir später drüber reden? Ich muss schlafen.«

Seine Augen weiteten sich. »Oh! Klar. Du hast bestimmt ’nen Kater des Todes. Wart mal. Ich bin bestens für jeden Notfall gerüstet.« Eifrig kramte er aus seinem Rucksack ein Einmachglas mit einer trüben grünlichen Flüssigkeit hervor und hielt es mir wie ein Friedensangebot unter die Nase.

»Was ist das?«

»Gurkenwasser!«

»Gurkenwasser?«

»Jap. Das wirkt Wunder bei jeder Art von Kater! Auch bei dämonischen. Probier’s aus.«

»Ähm … danke.« Ich nahm das Glas zögernd entgegen und erwartete weitere Lobreden. Doch sein Gurkenwasserstolz war plötzlich wie weggefegt. Stattdessen kaute er verlegen auf seiner Backe herum.

»Ich hab dir vorhin übrigens ’ne Nachricht geschickt, damit du meine Nummer hast. Na gut, vielleicht waren es auch fünf oder sechs. Und vielleicht waren auch nicht alle ganz nett. Ignorier sie einfach.«

Jetzt musste ich tatsächlich grinsen. Nur ein bisschen. »Mach ich. Wir sehen uns später und klären dann, wie wir die nächsten Wochen über die Bühne bringen, okay?«

»Geht klar. Schlaf gut.« Er salutierte spielerisch und machte sich auf den Weg Richtung Treppenhaus.

Schöner Mist. Am Ende fing ich noch an, ihn zu mögen. Möglicherweise vertrugen sich Kopfweh und Schlafmangel aber auch einfach nicht mit meiner Zurechnungsfähigkeit. Ich brauchte dringend ein Bett. Eins für mich alleine. Und mindestens fünf Stunden ohne Störung.

Mit meinem Gurkenwasser in der Hand suchte ich nach Apartment 307, das Erna für mich reserviert hatte. Wie versprochen ließ es sich mit meiner Gildekarte öffnen. Die Einrichtung überraschte mich wenig. Die Apartments hier sahen alle gleich nüchtern und abgewohnt aus. Was mich jedoch überraschte, war der blonde Wächter mit Jeans und nacktem Oberkörper, der es sich an meinem Küchentisch bequem gemacht hatte.

»Echt jetzt?« Verärgert warf ich die Tür ins Schloss. »Schon mal was von Privatsphäre gehört?«

Zeph musterte mich ausdruckslos. »Was glaubst du, warum ich hier warte, anstatt dich von diesem sterblichen Vollidioten runterzuzerren?«

»Eifersucht steht dir nicht«, spöttelte ich. »Oder muss ich mich jetzt etwa vor dir rechtfertigen, mit wem ich ins Bett steige?«

Innerhalb eines Wimpernschlags stand Zeph vor mir. Er hatte sich so schnell bewegt, dass selbst meine dämonischen Sinne nicht hinterherkamen. Die Hitze seiner Nähe kribbelte auf meiner Haut, als würde seine göttliche Macht ein leises, fast elektrisches Knistern erzeugen. Und der Dämon in mir reagierte darauf.

»Gib zu, dass ich deinen Hunger besser stillen konnte als dieser Wichtigtuer.« Zephs Stimme war rau und dunkel. Ich spürte, wie mein Körper sich an seine Berührungen erinnerte, aber das war weder Sehnsucht noch Verlangen. Nur eine Erinnerung.

»Das zwischen uns bleibt eine einmalige Sache, Zeph. Ein Fehler, den ich nicht wiederholen werde.«

Ich wich seinen glühenden Blicken aus und wanderte zur Küchenzeile. Unterwegs warf ich Jacke und Gepäck in eine Ecke und versuchte mich schließlich an Eddies Gurkenwasser. Irgendetwas musste ich ja tun, um mich von der göttlichen Missbilligung abzulenken, die mich verfolgte. Ja, der Hunger in meinem Job brachte es mit sich, dass ich eine durchaus beachtliche Liste von Eroberungen aufweisen konnte. Allesamt One-Night-Stands. Mit Ausnahme von Atlas. Und das war kein Zufall. Ich trennte Sex und Privates und schlief nicht mit Männern, die sich hinterher nicht abschütteln ließen. Zeph zählte definitiv zu dieser Kategorie.

Bäh. Das Gurkenwasser schmeckte genauso widerlich, wie es aussah. Sauer, salzig, abgestanden. Aber Eddie hatte nicht gelogen. Der Druck hinter meiner Stirn ließ sofort spürbar nach. Keine Wunderheilung, und doch genug, um nicht mehr das Gefühl zu haben, dass mein Gehirn bei der nächsten Bewegung zerspringen würde.

»Bist du hier, um Kritik an meinem Liebesleben zu äußern, oder hast du etwas rausgefunden?«, fragte ich Zeph, der mich schweigend beobachtete. Ich wusste, dass er wütend war, auch wenn er es nicht zeigte.

Nicht mein Problem.

Für einen Moment flackerte etwas in seinen Augen, dann zog er sich zurück hinter die gewohnte Maske des kühlen göttlichen Wächters. Man konnte Zephyr vieles nachsagen. Mangelndes Pflichtbewusstsein gehörte nicht dazu.

»Es gibt ein Gerücht. Mehr nicht«, berichtete er. »Angeblich hat ein niederer Gott in Marseille gestern aus heiterem Himmel zu bluten angefangen.«

Entgeistert stellte ich das inzwischen leere Gurkenglas beiseite. »Ist er gestorben?«

»Nein. Allerdings ist er verschwunden und seitdem nicht mehr aufgetaucht. Auch nicht, wenn man ihn ruft oder betet. Ich hab es selbst versucht.«

»Also vielleicht doch tot«, murmelte ich.

Shit, das klang gar nicht gut. Jetzt fühlte sich das Ganze plötzlich real an. Zu real. Zum ersten Mal, seit diese Visionen aufgetaucht waren, begann ich mir ernsthaft Sorgen zu machen. Nicht bloß um mich – ich wusste, dass ich nicht auf ein friedliches Ende hoffen konnte. Eher um den Rest der Welt. Denn wenn die Götter wirklich starben, würde alles auseinanderbrechen. Imperion würde fallen, die Magie wieder verschwinden und Millionen Menschen wären in Gefahr. Bestenfalls. Schlimmstenfalls würde der Tod der Götter die Tore zur Hölle aufstoßen und die Welt mit hungrigen Dämonen fluten.

Zeph trat näher. Seine Stimme war jetzt gedämpft. »Es heißt, die Jünger der Ataxía stecken dahinter. Gerüchten zufolge arbeiten sie an etwas – einem magischen Virus, das Götter verwundbar machen kann. Das in Marseille war angeblich ein Testlauf.«

Mit gerunzelter Stirn starrte ich ihn an.

»Ein Göttervirus?!«

»Ich weiß, wie lächerlich das klingt. Aber es ist das Einzige, das auch nur ansatzweise deine Visionen erklären könnte.«

Großartig! Falls das stimmte und meine Visionen wollten, dass ich mich mit den Atax anlegte, war die Kacke wirklich am Dampfen. Und ich sprach nicht von diesem einen verirrten Volltrottel, den mein Kran gestern Nacht plattgemacht hatte. Ich sprach von einer uralten Organisation, die strukturiert und beharrlich genug war, um Pläne über Tausende von Jahren hinweg zu verfolgen. Der Aufstieg des männlichen Monotheismus, das Patriarchat … all das ging auf ihr Konto. Und das nur, um die göttliche Balance der Energien zu stören und die Urgöttin genug zu schwächen, damit sie sie gefangen nehmen konnten. Fuck, die schiere Willenskraft und die Geduld, die es dazu brauchte, jagten mir echt Angst ein. Ganz abgesehen davon, dass sie alle völlig durchgeknallte Höllenfanatiker waren. Ich kämpfte lieber gegen zwanzig Dämonen gleichzeitig als gegen die Atax.

Frustriert ließ ich mich aufs Sofa fallen. Die Polster waren steinhart, aber gerade kamen sie mir wie eine Wolke vor. Ich lehnte mich zurück und legte den Arm über die Augen.

»Ein verdammtes Virus also. Und was soll ich jetzt machen? Einen Alchemisten auftreiben und hoffen, dass er das Gegenmittel für etwas mixt, das es eigentlich gar nicht geben kann?«