Venezianische Feindschaft - Daniela Gesing - E-Book + Hörbuch

Venezianische Feindschaft E-Book und Hörbuch

Daniela Gesing

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Beschreibung

Kommissar Luca Brassonis neuer Fall "Diamanten, Feindschaft...", flüsterte der Mann mit letzter Kraft, dann sank sein Kopf zur Seite. Ein strenger Wind weht schon seit Tagen über die Lagunenstadt. Lose Fensterläden klappern im eisigen Zug der orkanartigen Böen, Gondeln schaukeln in den hohen Wellen der Kanäle und die wenigen Passanten senken im Laufen die Köpfe, um sich dem Sturmwind entgegenzustemmen. Der beliebte Juwelier Fabio Caliano ist von einem seiner Wachleute beraubt und niedergeschossen worden, der zweite Wachmann tot. Fassungslos über die Skrupellosigkeit beginnt die Suche nach dem Täter. Commissario Luca Brassoni, langjähriger Ermittler der venezianischen Polizei, hat damit einen neuen Fall auf dem Tisch und forscht zusammen mit seinem Kollegen Maurizio Goldini nach Motiven. Und fördert dabei Erstaunliches zutage. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Überfall vor einigen Jahren, bei dem der Vater des Juweliers zu Tode kam? Wo sind die Juwelen geblieben, die bei der Tat geraubt wurden? Welche Rolle spielt Calianos Ehefrau? Wie immer an Brassonis Seite: sein Hund Picco. Und Carla Sorrenti, Brassonis Ehefrau und die federführende Gerichtsmedizinerin, die die Kommissare auf eine heiße Spur bringt. In den Gassen von Venedig geht es schließlich auch für den dringend tatverdächtigen Wachmann nicht gut aus… Immer wieder ist von "Feindschaft" die Rede. Wer hasst die Familie Caliano so, dass er sie vernichten will? Patrizia Bertuzzi, die Signora Vice Questore und Brassonis Vorgesetzte, drängt auf die Klärung des Falles. Verbrechen in der Lagunenstadt - So geheimnisvoll und spannend wie die Serenissima selbst.

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Seitenzahl: 302

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Zeit:7 Std. 29 min

Sprecher:Günter Schoßböck

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Daniela Gesing

Venezianische Feindschaft

Krimi

 

Über das Buch

Kommissar Luca Brassonis neuer Fall

„Diamanten, Feindschaft…“, flüsterte der Mann mit letzter Kraft, dann sank sein Kopf zur Seite.

Der beliebte Juwelier Fabio Caliano ist von einem seiner Wachleute beraubt und niedergeschossen worden, der zweite Wachmann tot. Fassungslos über die Skrupellosigkeit beginnt die Suche nach dem Täter.

Commissario Luca Brassoni, langjähriger Ermittler der venezianischen Polizei, hat damit einen neuen Fall auf dem Tisch und forscht zusammen mit seinem Kollegen Maurizio Goldini nach Motiven. Und fördert dabei Erstaunliches zutage. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Überfall vor einigen Jahren, bei dem der Vater des Juweliers zu Tode kam? Wo sind die Juwelen geblieben, die bei der Tat geraubt wurden? Welche Rolle spielt Calianos Ehefrau?

Wie immer an Brassonis Seite: sein Hund Picco. Und Carla Sorrenti, Brassonis Ehefrau und die federführende Gerichtsmedizinerin, die die Kommissare auf eine heiße Spur bringt. In den Gassen von Venedig geht es schließlich auch für den dringend tatverdächtigen Wachmann nicht gut aus …

Immer wieder ist von „Feindschaft“ die Rede. Wer hasst die Familie Caliano so, dass er sie vernichten will? Patrizia Bertuzzi, die Signora Vice Questore und Brassonis Vorgesetzte, drängt auf die Klärung des Falles.

Verbrechen in der Lagunenstadt. So geheimnisvoll und spannend wie die Serenissima selbst.

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2022 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2022

 

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle

Korrektorat: Traudl Kupfer

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © Mr. Heo / Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN: 978-3-948346-54-6

 

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Epilog

Die Autorin Daniela Gesing

MAXIMUM: Kriminalromane und Thriller

MAXIMUM: Kriminalromane

Die Reihe um Kommissar Casper Munk

MAXIMUM: Spionage-Krimis

„Venezianische Feindschaft“: Das Hörbuch

Widmung

Für Christina, Janina, Ben,

Lotta und Marlene,

ohne die alles nichts wäre

Prolog

Ein scharfer Wind führte schon seit Tagen Regie in der Lagunenstadt. Nach dem ungewöhnlich kalten Winter sehnten sich die Menschen nach der Wärme des Frühlings, aber der Wettergott schien kein Erbarmen zu haben. Lose Fensterläden klapperten im eisigen Zug der orkanartigen Böen, Gondeln schaukelten in den hohen Wellen der Kanäle und die wenigen Passanten senkten im Laufen die Köpfe, um sich dem Sturmwind entgegenzustemmen. Es war noch früh am Morgen, als Fabio Caliano das Gitter vor seinem exklusiven Juweliergeschäft hochzog. Immer wieder klemmte es an derselben Stelle, er würde jemanden beauftragen müssen, um das verdammte Ding reparieren zu lassen. Seufzend entsicherte er den Alarm mit seinem Code und schloss die Eingangstür auf. Im Inneren des Ladens sah es blitzblank und aufgeräumt aus. Seit er die neue Putzfrau beschäftigte, konnte er sein Geschäft jeden Morgen mit einem zufriedenen Gefühl betreten. Die junge Rumänin war zuverlässig und arbeitete penibel, genau so, wie es sich für den besten Juwelierladen in ganz Venedig gehörte. Schließlich erwartete Fabios Stammkundschaft, in einem exklusiven Ambiente bedient zu werden. Deshalb hatte er sich auch eine neue, cremeweiße Ledergarnitur angeschafft, und ein ausgeklügeltes Duftsystem versetzte seine Kunden mit sanftem Vanille- und Rosenduft in wohlwollende Kauflaune.

Fabio Caliano sah sich in seinem Geschäft um. In den Glasvitrinen funkelten edle Geschmeide neben hochkarätigen Uhren und stilvollen Eheringen, seiner besonderen Spezialität. Wer in und um Venedig genug Geld besaß, kaufte seine Eheringe bei Caliano. Neben den Schmuckstücken verschiedener Hersteller besaß der Laden auch eine eigene Goldschmiedewerkstatt, in der Fabio selbst sowie eine Angestellte kostbare Preziosen nach eigenen Entwürfen und den Wünschen der Kunden herstellten. Sie verwendeten für die Stücke nur edles Gold und Platin, zusammen mit außergewöhnlichen Edelsteinen und Diamanten, die Caliano von langjährigen, geheimen Geschäftspartnern bezog.

Heute erwartete er eine besonders hochwertige Lieferung, deshalb war er früh aufgestanden und in den Laden gegangen. Es war ihm wichtig, dass noch keine Kundschaft im Geschäft war, wenn die Sicherheitsleute die Ware von unschätzbarem Wert bei ihm ablieferten. Fabio ließ jedes Mal alles sofort in den Tresor legen, der sich in einem der Nebenzimmer befand. Außer ihm und Nadja, seiner Frau, kannte niemand den Code. Als es an der Eingangstür zur vereinbarten Zeit klopfte, spürte er ein freudiges Kribbeln in seiner Magengegend. Er liebte seinen Beruf und das Geschäft, das er von seinem Vater geerbt hatte. Schon von Weitem erkannte er die beiden Sicherheitsleute, die ihn regelmäßig besuchten. Caliano öffnete die Tür.

„Buon giorno, Giuseppe, buon giorno, Pepe! Schön euch zu sehen! Kommt herein. Ich habe schon auf euch gewartet!“

Die Sicherheitsleute, zwei gestandene Männer in den Vierzigern, antworteten mit einem schweigenden Nicken auf die Begrüßung. Sie konnten sich erst wieder entspannen, wenn sie ihr unscheinbar wirkendes, aber hochwertvolles Paket sicher bei dem Kunden abgeliefert hatten. Wie immer schloss Caliano die Tür hinter den beiden ab und sie folgten ihm in das Nebenzimmer.

„Das wird wohl heute auch kein besonders schöner Tag“, sinnierte Caliano, während er den Tresor öffnete. „Man wäre ja schon froh, wenn das Thermometer mal um ein paar Grad stiege und dieser elende Wind endlich aufhörte!“

„Das hat meine Frau heute Morgen auch gesagt“, meldete sich Giuseppe zu Wort. Er lebte in Mestre und machte seinen Job für die Sicherheitsfirma schon seit über zwanzig Jahren. Er übergab Caliano das Päckchen.

„Wir wollten eigentlich nächste Woche für ein paar Tage wegfahren, aufs Land, aber bei dem Wetter …“

Giuseppe schüttelte sich angesichts der kühlen Temperaturen.

„Ja, da haben Sie recht“, erwiderte Caliano und drehte sich zu den beiden um, das Paket noch in der Hand. „Es ist doch kaum zu glauben …“, fing er an, aber plötzlich erstarrte er. Entsetzt blickte er in die Mündung von Pepes Waffe.

„Was … was soll denn das?“, fragte er überrascht. „Ich hoffe, das ist nur ein schlechter Scherz!“

Verängstigt krampfte er seine Hände um die Lieferung. Auch Giuseppe schien zuerst wie versteinert. Er betrachtete seinen Kollegen mit ungläubiger Miene.

„Pepe? Was ist los mit dir? Wie kannst du nur …“

Doch der Kollege stieß Giuseppe unsanft zur Seite. „Sei still, dann passiert euch nichts! Leg deine Waffe auf den Boden!“

Er ließ Giuseppe nicht aus den Augen, bis dieser seine Dienstpistole weit genug entfernt auf den Fußboden gelegt hatte.

„Los, Signor Caliano, geben Sie mir das Paket! Und keine falschen Bewegungen!“, forderte Pepe mit grimmiger Miene und hielt mit der Waffe seinen Kollegen ebenfalls in Schach. „Giuseppe, stell dich neben Caliano. Versuch bloß nicht, hier den Helden zu spielen!“

Dann fiel sein Blick suchend zum Hintereingang. Es sah fast aus, als warte er auf irgendetwas. Der Juwelier glaubte, von dort ein Geräusch zu hören, aber nur eine Sekunde später blickte Pepe ihn wieder mit grimmiger Miene an.

Fabio Caliano stockte der Atem. Gut, die Ware war versichert, aber trotzdem …

Widerstrebend streckte er die Arme aus, um dem Wachmann das Paket zu übergeben. In dem Moment, als er das kostbare Gut überreichen wollte, machte Giuseppe plötzlich den Versuch, seinen Kollegen zu überwältigen. Statt ruhig neben dem Juwelier stehen zu bleiben, stürzte er sich auf Pepe. Entsetzt verfolgte Caliano das Gerangel. Wie gelähmt hörte er das Gekeuche der Kämpfenden und beobachtete den verzweifelten Versuch des älteren Mannes, den Diamantenraub zu verhindern. Dann fiel plötzlich ein Schuss. Mit weit aufgerissenen Augen sah der Juwelier den dienstälteren Sicherheitsmann zu Boden sinken. Aus einer großen Bauchwunde floss Blut. Pepe wirkte für ein paar Sekunden ebenfalls entsetzt. Er beugte sich zu seinem Kollegen hinunter, die Augen ganz auf den getroffenen Mann gerichtet. Plötzlich war es mucksmäuschenstill. Im Laden hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Der Juwelier, flach und hektisch atmend, sah seine Chance gekommen. Instinktiv versuchte Caliano, noch ganz unter Schock, zu fliehen, das Päckchen dicht an sich gedrückt. Doch er kam nicht weit. Kurz vor der Eingangstür hörte er Pepe etwas schreien, dann fiel ein Schuss und gleich darauf noch ein weiterer. Caliano bemerkte einen brennenden Schmerz in seinem Rücken. Er war getroffen worden. Mit einem Stöhnen sackte auch er zu Boden. Die wertvolle Lieferung entglitt seinen Händen. Genau wie damals, als Vater überfallen wurde, dachte er. Er spürte den Täter über sich steigen und hörte noch, wie jemand den Laden verließ. Ihm wurde kalt, dann verlor er die Besinnung. Keiner hatte die Schüsse gehört. Die benachbarten Läden waren noch geschlossen. Ohne Hilfe würden die beiden Männer sterben.

Kapitel 1

Luca Brassoni liebte den Frühling fast noch mehr als den Sommer. In seinem kleinen Garten im Stadtteil Dorsoduro blühte und grünte es normalerweise um diese Zeit schon in allen Ecken, aber in diesem Jahr meinte das Wetter es nicht gut mit den Einwohnern von Venedig. Warm verhüllt schlichen die Menschen durch die Gassen, selbst sein kleiner Sohn Luis trug noch eine Mütze und einen Schal, wenn sie mit ihm in der Stadt oder am Lido spazieren gingen. Luis war jetzt schon ein aufgewecktes Kleinkind, er konnte laufen, versuchte sich an den ersten Worten, wobei Carla und er sich manchmal darüber stritten, ob er nun zuerst Papa oder Mama gesagt hatte.

Brassonis Kollege Maurizio Goldini, ein gut aussehender junger Mann mit pechschwarzen Locken, erwartete in diesem Frühjahr ebenfalls sein erstes Kind mit seiner Frau, der Juristin Sarah. Nach vielen Schwierigkeiten und einer Fast-Affäre hatten sich die beiden letzten Endes doch wieder zusammengerauft und noch vor Weihnachten in einer der schönsten Kirchen Venedigs geheiratet. Noch nie hatte er Maurizio so glücklich gesehen. Der Commissario freute sich mit ihm, hatten doch Heirat und Ehe die Laune und den Arbeitseifer Goldinis endlich wieder in die Spur gebracht. Sogar Elternzeit wollte Mauro nehmen. In der Questura würde man dann für zwei Monate auf den Kollegen verzichten müssen. Eine Vertretung wurde noch gesucht.

Brassoni öffnete seufzend die Eingangstür zu seinem Lieblingsbäcker, einem der wenigen ursprünglichen Geschäfte in Venedig, das sich tapfer behauptete. Viele Einheimische kauften dort ihr Brot. Aber wer wusste schon, wie lange das noch so ginge. Der Commissario reihte sich in die Schlange der Wartenden ein, die sich in der Frühe für zu Hause oder fürs Büro Brötchen und Cornetti besorgten. Endlich war auch er an der Reihe. Laura, die stattliche junge Verkäuferin, hatte ihre blond gefärbten Haare heute mit rosa Strähnchen aufgehübscht. Brassoni fragte sich manchmal, wie so eine sympathische junge Frau so einen skurrilen Geschmack haben konnte, denn die Farben ihres Kleids, das sie unter der Schürze trug, betonten weder ihre Figur noch ihren Teint. Ein schreiendes Orange mit dunklen Pünktchen. Dabei war sie immer nett und freundlich, und man konnte sich mit ihr über Gott und die Welt unterhalten. Man sollte eben nicht vom Aussehen auf den Charakter eines Menschen schließen, dachte er bei sich, während er drei Cornetti und ein Ciabatta bestellte.

„Buon giorno, Commissario! Haben Sie schon gehört? Signora Bertini und ihr Mann wollen die Metzgerei gegenüber aufgeben! Signor Bertini ist jetzt vierundsechzig Jahre alt, er hat es im Rücken und sein Knie ist auch kaputt. Der Sohn will den Laden nicht übernehmen, der ist aus Venedig weggezogen und arbeitet in einer großen Fleischfabrik. Ich frage mich, wo wir dann unseren Schinken und die Salami für die Panini herkriegen sollen.“

Brassoni sah überrascht auf. Die Metzgerei Bertini soll geschlossen werden? Das hätte er nicht für möglich gehalten. Carla und er kauften dort schon seit Ewigkeiten ein. Das wäre ein großer Verlust für seinen Stadtteil. Natürlich konnte man auch in einem der Supermärkte sein Fleisch und seine Wurst kaufen, aber die kleine Macelleria war bekannt für beste Qualität, und ein persönliches Gespräch mit Signor Bertini und seiner Frau gehörte zu jedem Einkauf dazu. Allein der Gedanke an die Steaks, die Brassoni im Sommer immer zum Grillen dort holte, ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

„Wirklich? Das wäre ja eine Katastrophe!“, entgegnete er, während er seine Bestellung entgegennahm. Laura zuckte mit den Achseln.

„Der Untergang der heimischen Geschäfte ist in vollem Gange. Wer will das noch aufhalten?“

Dann war sie schon wieder mit der nächsten Kundin beschäftigt. Nachdenklich verließ der Commissario die Bäckerei.

„Luca? Träumst du? Ist alles in Ordnung bei dir?“

Carla Sorrenti, die Frau des Commissarios, arbeitete seit Anfang des Monats wieder als leitende Gerichtsmedizinerin für die Stadt Venedig. Man hatte ihr angeboten, diesen Job fürs Erste in Teilzeit zu übernehmen, und Carla war gern auf dieses großzügige Angebot eingegangen. Sie liebte ihren Sohn, aber eben auch ihre Arbeit, und so konnte sie beides sehr gut miteinander vereinbaren. Fünfmal die Woche fünf Stunden in der Gerichtsmedizin, ein Wochenende im Monat und Nachtschichten nur im Notfall, das war zu schaffen. Luis ging ab dem Sommer in eine private Kleinkindergruppe in einer neuen Einrichtung gleich um die Ecke, und bis dahin betreuten Lucas Eltern ihr Enkelkind liebevoll. Opa Ernesto und Oma Sophia gingen ganz in ihrer Aufgabe auf.

Brassoni schluckte den letzten Bissen seines Hörnchens hinunter und starrte seine Frau an.

„Natürlich ist alles in Ordnung. Ich habe nur ein wenig nachgedacht.“

Carla schmunzelte.

„Dann sag das mal deinem Gesicht! Du schaust aus, als würde übermorgen die Welt untergehen. Das ist doch hoffentlich nicht immer noch wegen der Macelleria? Luca, du wirst es überleben, wenn du nicht mehr die Steaks von Bertini essen kannst.“

Auf Brassonis Stirn bildete sich ein imaginäres Fragezeichen. Er war sich da nicht so sicher. Gerade wollte er seiner Frau etwas erwidern, als sein Diensthandy klingelte.

„Commissario, es hat einen Überfall auf den Juwelier Caliano gegeben! Einer der Wachmänner ist tot, und der Juwelier selbst wurde schwer verletzt. Wenn nicht zufällig eine Passantin einen Blick in den Laden geworfen hätte … Der Überfall muss heute am frühen Morgen stattgefunden haben. Für den Wachmann kam jede Hilfe zu spät.“

Ispettore Colludi schien sehr aufgeregt. Dann fiel Brassoni ein, warum. Colludis Nichte arbeitete in dem Laden.

„Ist mit Ihrer Nichte alles in Ordnung?“, fragte er besorgt.

„Si, si, Commissario. Sie war ja um die Zeit noch gar nicht im Laden. Aber sie steht unter Schock. Serena weint die ganze Zeit. Sie kann nicht verstehen, warum jemand so etwas tut.“

„In Ordnung. Ich mache mich gleich auf den Weg. Haben Sie Commissario Goldini schon Bescheid gesagt?“

„Natürlich, Commissario. Sie werden ihn am Tatort treffen.“

Carla hatte das Telefonat ihres Mannes mitangehört, während sie versuchte, Luis seine Latzhose anzuziehen. Picco, der wuschelige Junghund, den Luca nach einem komplizierten Fall als Waisenhund vor einigen Monaten mit nach Hause gebracht hatte, sprang begeistert um die beiden herum.

„Was ist passiert? Irgendetwas mit Ispettore Colludis Familie?“

„Nein, es hat einen Raubüberfall auf den Luxusjuwelier Caliano gegeben. Ein Wachmann ist tot.“

Brassoni trank den letzten Schluck seines Kaffees. Er tätschelte Picco den Kopf. Der Hund beruhigte sich sofort und legte sich zu den Füßen des Commissarios. Sein erwartungsvoller Blick besagte, dass er hoffte, heute mit in die Questura gehen zu dürfen. Er war inzwischen der Liebling aller Mitarbeiter geworden.

„Bei Caliano? Wo es die tollen Eheringe gibt? Die dir zu teuer waren?“, fragte Carla neugierig.

Brassoni rollte genervt mit den Augen.

„Das ist doch wohl jetzt egal.“

Er gab Luis einen Kuss auf die Stirn.

„Und was ist mit mir?“, meinte Carla halb schmollend, halb belustigt.

Brassoni drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Wange.

„Ich muss los. Wir telefonieren heute Mittag. Bis wann bist du in der Rechtsmedizin?“

„Wenn wir deinen Toten auf den Tisch kriegen, sicher lange. Und dabei wollte ich eigentlich nachher mit Sarah in Carusos Café vorbeischauen.“

Stefan Mayer, Brassonis Cousin, wurde von allen Freunden Caruso genannt, weil er so gern Arien hörte und dabei lautstark mitsang. Er hatte sich als freier Journalist in Venedig niedergelassen und dem Commissario schon häufig durch seine Recherchen und Beziehungen bei der Aufklärung von schwierigen Fällen geholfen. Carusos Lebensgefährte Francesco hatte vor zwei Monaten das Angebot bekommen, ein Café in bester Lage Venedigs zu übernehmen, und Stefan Mayer war als stiller Teilhaber mit eingestiegen. Nach aufwendiger Renovierung war das Café vor drei Tagen neu eröffnet worden und Caruso war begeistert bei der Sache. Er war sogar so euphorisch, dass er sich vorstellen konnte, auf Dauer aktiv im Laden mitzuhelfen. Brassoni sah das Engagement seines Cousins eher kritisch.

„Ach, hör bloß auf mit Carusos neuester Idee. Erst wollte er nur stiller Teilhaber sein, und jetzt sieht er sich schon als neuer Sterne-Patissier … Er hat auch nur verrückte Sachen im Kopf.“

Carla schüttelte den Kopf.

„Das ist nicht wahr. Er ist aufgeschlossen und lebensfroh. Warum soll man sich nicht verändern dürfen? Ich finde, so ein Café passt super zu den beiden.“

Luis fing an zu kreischen, weil Carla sein Lieblingskuscheltier vergessen hatte.

„Bis später, Luca!“, rief sie, während sie versuchte, ihren Sohn zu beruhigen.

„Ciao, amore“, raunte Brassoni in ihre Richtung, schnappte sich Piccos Leine, öffnete die Wohnungstür und machte sich auf den Weg.

Kapitel 2

Die Questura, Brassonis Dienststelle, befand sich ganz in der Nähe des Campo San Fantin, des kleinen Platzes mit der Renaissance-Kirche San Fantin aus dem sechzehnten Jahrhundert und der Scuola sowie dem berühmten Opernhaus „La Fenice“ an der Westseite. Hier arbeitete Luca Brassoni schon seit vielen Jahren erfolgreich als Commissario Capo zusammen mit seinem jüngeren Kollegen Maurizio Goldini, einem sympathischen, sportlichen Mann Anfang dreißig mit lockigen schwarzen Haaren und einem Hang zu guter Schokolade. Unterstützt wurden die beiden von der attraktiven Chefsekretärin Maria Grazia Malafante, die mit Brassoni durch eine kurze, heimliche Liaison verbunden gewesen war, allerdings vor dessen Beziehung zu Carla Sorrenti. Inzwischen war sie Mutter einer kleinen Tochter und arbeitete deshalb nur noch in Teilzeit. Anfang des Jahres hatte es einen spektakulären Umbruch in der Questura gegeben. Patrizia Bertuzzi, die die kommissarische Leitung der Dienststelle innehatte, solange sich der bisherige Vice Questore Roberto Morandi nach privaten Querelen in einer krankheitsbedingten Auszeit befand, wurde offiziell zur amtierenden Signora Vice Questore erklärt. Zeitgleich hatte Marco Maria Alberti, ein junger Mann, als Kollege im Sekretariat angefangen, der sich die Stelle mit Maria Grazia teilte. Es wehte ein frischer Wind in der Questura, der allen guttat.

„Maria Grazia, haben Sie die beiden Kommissare erreicht?“, fragte Patrizia Bertuzzi die Chefsekretärin, die meist die Vormittagsschicht im Sekretariat übernahm.

„Ispettore Colludi hat schon mit Commissario Brassoni gesprochen, und Commissario Goldini habe ich direkt zum Tatort geschickt“, antwortete diese freundlich.

„Ist Ispettrice Valgoni schon im Haus?“

„Barbara ist heute mit der Wasserschutzpolizei unterwegs“, erklärte Maria Grazia. „Sie müsste gegen Mittag wieder im Haus sein.“

„Gut, dann suchen Sie mir bitte die Akte zu dem Überfall auf den Juwelier Caliano vor vier Jahren heraus. Ispettore Colludi hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass das Geschäft vor meiner Zeit hier bereits schon einmal überfallen worden ist. Offensichtlich wurde der Vater des jetzigen Inhabers bei dem damaligen Raub getötet.“

Maria Grazia nickte bedrückt.

„Das stimmt. Der alte Signor Caliano war so ein netter Mann. Wir haben uns bei ihm unsere Eheringe anfertigen lassen. Er hat uns einen guten Preis gemacht.“

Der Ehemann der Chefsekretärin war ein angesehener Anwalt.

„Ich suche Ihnen die Akte raus und bringe sie gleich vorbei“, versprach Maria Grazia. Ihre Tochter hatte schlecht geschlafen, deshalb fühlte sie sich auch müde. Sie hatte das Gefühl, dass bei der Kleinen ein Infekt im Anmarsch war, bestimmt würde der Kindergarten gleich anrufen. Sie strich sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, speicherte ihr aktuelles Dokument auf dem Computer und stand auf. Wegen des kühlen Wetters trug sie heute ausnahmsweise keinen Rock, sondern einen hellbraunen Anzug über einer fliederfarbenen Seidenbluse. Ihre Affinität zur Mode teilte sie mit der neuen Chefin, die etwas kleiner, stämmiger und gute zehn Jahre älter war. Patrizia Bertuzzi war sympathisch, konnte sich gut durchsetzen und hatte keine Scheu vor Konfrontationen. Die Chefsekretärin seufzte. Der neue Fall würde ihnen einen arbeitsreichen Tag bescheren.

Luca Brassoni erreichte den Juwelierladen fast zeitgleich mit seinem Kollegen Goldini.

„Buon giorno, Mauro“, begrüßte er den jüngeren Kollegen.

„Buon giorno, Luca. Ciao, Picco!“

Picco wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als Goldini ihn kurz streichelte.

„Mach Platz, Picco!“, befahl der Commissario dem Hund und wies ihm eine Ecke im vorderen Teil des Ladens zu, den die Spurensicherung bereits untersucht hatte. Nunzio Sposato, der Leiter der Spurensicherung, winkte ihn zu sich herüber.

„Ein nahezu klassischer Diamantenraub“, erklärte er achselzuckend. Sposato nahm seine Brille mit den runden Gläsern ab und putzte sie mit dem Ärmel seiner Schutzkleidung. „Ein Wachmann wurde getötet, der zweite ist spurlos verschwunden, ebenso die Sendung, die die beiden bei Signor Caliano abliefern sollten. Der Juwelier ist schwer verletzt. Der Notarzt meinte, es wäre nicht sicher, ob er durchkommt. Die beiden Opfer haben sehr lange im Laden gelegen, bevor eine Passantin einen Blick in den Innenraum geworfen und sie entdeckt hat. Womöglich wäre der Wachmann noch zu retten gewesen, aber der Blutverlust …“

„Habt ihr schon irgendwelche Spuren gefunden, die auf den Verlauf der Tat hindeuten?“, fragte Brassoni gespannt.

„Ich kann dir sagen, dass mindestens drei Leute vor Ort waren. Laut Calianos Ehefrau hat die Putzfrau am Abend zuvor gründlich sauber gemacht, und wenn ich sage gründlich, dann meine ich das auch so. Abgesehen von den Tatortspuren findest du hier kein Staubkörnchen.“

„Das müsste euch doch die Arbeit erleichtern. Finger- und Fußabdrücke, fremde DNA …“

„So ist es, aber wir sind eben noch nicht fertig mit unseren Untersuchungen. Interessanterweise scheint es so, als wäre noch eine vierte Person durch den Hintereingang in das Ladenlokal gelangt. Sobald alle Spuren gesichert sind, werdet ihr informiert.“

Brassoni nickte ergeben. Im Laufe der Jahre hatte sich eine gut eingespielte Zusammenarbeit mit den Kriminaltechnikern ergeben. Man musste Geduld haben, auch wenn schnelle Ergebnisse natürlich die Ermittlungen voranbrachten. Alle taten zuverlässig ihre Arbeit, das wusste der Commissario. Er wandte sich jetzt an Ispettore Colludi, während Goldini sich weiter im Geschäft umsah und mit den Kollegen von der Stadtpolizei sprach.

„Ispettore, was können Sie mir noch berichten?“, fragte er den wie immer korrekt gekleideten Beamten.

Colludi wischte sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Obwohl die Temperaturen draußen immer noch eher winterlich waren, herrschte im Ladenlokal eine unangenehme Hitze, die von der Heizung und den vielen Personen herrührte, die mit den Untersuchungen beschäftigt waren.

„Commissario, ich habe den armen Signor Caliano noch gesehen. Er wurde gerade abtransportiert, als ich eintraf. Eine entsetzliche Geschichte. Ein Schuss in den Rücken, so eine feige Tat! Und wie es aussieht, könnte der verschwundene zweite Wachmann der Täter gewesen sein. Warum sonst ist er unauffindbar? Zusammen mit den Diamanten? Es scheint ein Gerangel zwischen den beiden Wachleuten gegeben zu haben. Vielleicht wollte Giuseppe, das ist der ältere, der bei dem Überfall ums Leben gekommen ist, Pepe, den Kollegen, der noch nicht so lange bei der Sicherheitsfirma arbeitete, von seinem Vorhaben abhalten. Die Kriminaltechniker haben auf jeden Fall entsprechende Spuren gefunden.“

Ispettore Colludi wies auf die Stelle, an der Giuseppe zu Boden gegangen war. Eine Blutlache, Tupfer, leere Spritzen und heruntergefallene Unterlagen sowie eine beim Kampf zerbrochene Glasschale, die von einer der Vitrinen hinabgefallen war, zeugten von dem Geschehen.

„Theoretisch könnte der zweite Wachmann auch unter Schock oder vor Angst weggelaufen sein“, überlegte Brassoni. „Es wäre hilfreich, wenn wir mit Signor Caliano sprechen könnten, aber im Moment sieht es wohl nicht so aus, als wenn das im Bereich des Möglichen liegt.“

„Der Wert der Lieferung lag mindestens im sechsstelligen Bereich“, erwiderte Colludi. „Eine große Versuchung für einen unterbezahlten Wachmann. Alles deutet darauf hin, dass er der Täter ist.“

„Dann besorgen Sie uns Informationen über den Mann. Privatleben, finanzielle Verhältnisse … Sie wissen schon. Ist er bereits zur Fahndung ausgeschrieben?“

„Naturalmente, Commissario! Die Fahndung läuft. Weit kann er nicht kommen. Auch der Bahnhof und der Flughafen sind informiert. Normalerweise gibt es für ihn keinen Weg mehr raus aus Venedig.“

Brassoni nickte zufrieden.

„Ist das dort Calianos Ehefrau?“

Der Commissario machte mit dem Kopf eine Geste in Richtung einer elegant gekleideten Frau Anfang bis Mitte dreißig, die blass und verweint auf einem Stuhl hinter der Ladentheke saß. Eine Polizeibeamtin reichte ihr gerade ein Glas Wasser.

„Si, Commissario. Nadja Caliano. Der Notarzt hat ihr eine Beruhigungsspritze gegeben. Sie wollte unbedingt hierherkommen“, erklärte Colludi. „Jemand wird sie gleich ins Ospedale zu ihrem Mann bringen. Vorhin hat ihr Kreislauf schlappgemacht, deshalb sitzt sie vorsichtshalber auf dem Stuhl.“

„Ob ich ein paar Worte mit ihr reden kann?“

„Da bin ich überfragt“, zuckte Colludi mit den Schultern. „Aber sie sieht schon etwas besser aus als vorhin. Versuchen Sie es doch einfach.“

Brassoni sah sich hilfesuchend um, aber der Notarzt und die Sanitäter waren schon abgefahren. So taxierte er noch einmal die Gattin des Überfallopfers und entschied, dass es jetzt wichtiger war, schnell an Informationen zu kommen, als übertriebene Rücksicht zu nehmen. Er würde die Befragung einfühlsam und ruhig angehen.

Brassoni bewegte sich gemessenen Schrittes bis zur Ladentheke vor, wobei Signora Caliano ihm bereits mit großen, verängstigten Augen entgegensah. Der Commissario lächelte ihr freundlich entgegen.

„Signora Caliano, mein Name ist Luca Brassoni“, stellte der Commissario sich vor. „Ich bin der Leiter des Ermittlungsteams. Meinen Sie, es ist möglich, dass ich Ihnen ein paar Fragen stelle? Sie wollen doch sicher auch, dass der oder die Täter schnell gefasst werden?!“

Die junge Frau, unter anderen Umständen bestimmt eine sehr aparte Erscheinung mit glänzenden braunen Haaren und milchweißer, auffällig schöner Haut, nickte stumm.

„Ich möchte aber unbedingt schnell zu meinem Mann ins Krankenhaus!“, stieß sie hervor, als Brassoni sich einen Stuhl heranzog und sich der Frau gegenübersetzte.

„Das dürfen Sie gleich auch. Im Moment können Sie nichts für ihn tun. Aber vielleicht helfen uns Ihre Aussagen bei der Suche nach dem Täter. Nur ein paar Fragen, Signora“, erwiderte Brassoni. „Nach der ganzen Aufregung ist es ohnehin besser, wenn Sie noch ein paar Minuten ausruhen. Die Ärzte werden alles Menschenmögliche für Ihren Mann tun!“

Nadja Caliano blickte starr geradeaus.

„Ich habe es ihm immer gesagt. Seit das mit seinem Vater passiert ist, hatte ich Angst. Aber Fabio meinte nur, dass der Laden gut gesichert sei und so etwas kein zweites Mal passieren würde. Dabei habe ich es geahnt.“

Brassoni blickte überrascht auf. Es gab tatsächlich keinen Grund, warum ausgerechnet dieser Laden ein zweites Mal so einen schweren Überfall erleben sollte. Wieso also hatte sie es geahnt?

„Signora, wieso sagen Sie das? Gab es einen Grund anzunehmen, dass ein weiterer Überfall geschieht?“

Nadja Caliano sah den Commissario mit weit geöffneten Augen an.

„Es liegt ein Fluch auf dieser Familie, glauben Sie mir“, murmelte sie mit starrem Blick. „Fabio wollte es nicht wahrhaben. Aber ich habe es gespürt.“

Sie kam wieder zu sich, wischte sich über die Augen, als könne sie damit auch alle schlechten Gedanken fortwischen.

„Signora, Sie stehen unter Stress, ich glaube, es ist besser, wenn wir unsere Unterhaltung ein andermal fortführen“, meinte Brassoni plötzlich. Es war wohl doch noch zu früh für eine Befragung. Signora Caliano musste erst wieder klar denken können, bevor ihre Aussagen einen Sinn ergaben. „Trinken Sie ihr Wasser, beruhigen Sie sich etwas, dann können Sie gleich zu Ihrem Mann. Wir melden uns bei Ihnen.“

 

Kapitel 3

Der Mann legte die Beute achtlos auf die Bank im Flur des kleinen Appartements am Rand der Stadt. Die Wohnung gehörte einem flüchtigen Bekannten, der für ein paar Wochen eine Strafe wegen wiederholten Schwarzfahrens auf den Vaporetti und eines Einbruchs in ein Lebensmittelgeschäft absaß. Hier würde ihn niemand suchen. Erschöpft ließ er sich auf das schmuddelige zweisitzige Sofa fallen. Es war alles schiefgelaufen, was nur schieflaufen konnte. Giuseppe, dieser Idiot! Warum hatte er auch den Helden spielen müssen? Der Mann fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Er hatte ihn nicht töten wollen. Wenn er daran dachte, wie Giuseppe zusammengesackt war, seine entsetzten Augen, das viele Blut … Augenblicklich wurde ihm schlecht. Er sprang auf, rannte zur Toilette, klappte den Deckel auf und erbrach sich, bis sein Magen leer war. Der Plan war gewesen, die Lieferung mit den Diamanten an sich zu nehmen, ohne dass irgendjemand verletzt wurde. Nun saß er in der Tinte. Langsam rappelte er sich wieder auf, mit weichen Knien. Er begutachtete sein bleiches Ebenbild in dem zerkratzten Spiegel über dem Waschbecken. Dann spülte er sich den Mund aus, ließ kaltes Wasser über sein Gesicht und die Innenseiten seiner Unterarme laufen, trocknete sich ab und wankte zurück zum Sofa. Er war gelinkt worden. Der Auftraggeber hatte ihn unter Druck gesetzt, ihm gedroht und dann letztendlich sein schauriges Vorhaben selbst in die Tat umgesetzt. Er hatte Mitleid mit Signor Caliano, der immer so nett zu ihm gewesen war. Sicher war er ebenfalls seinen Verletzungen erlegen.

Der Mann spürte, wie erneut Übelkeit in ihm aufstieg. Er versuchte ruhig zu atmen, öffnete eine Flasche acqua minerale, die auf dem Tischchen neben der Couch stand, und trank einen Schluck. Augenblicklich ging es ihm besser. Jetzt musste er nur noch sehen, wie er aus diesem Schlamassel wieder herauskam.

Im Juweliergeschäft der Familie Caliano wurde es langsam ruhiger. Maurizio Goldini widmete seine gesamte Aufmerksamkeit den Spuren am Tatort. Sein geschultes Auge und seine Intuition übermittelten ihm ein Bild vom Tathergang, das in etwa dem der Kollegen von der Spurensicherung gleichkam.

„Sieh mal, Tommaso!“, rief er den jungen Kollegen von der Spurensicherung zu sich. „Dort oben, das da in der Decke, neben der Leuchte, das könnte doch eine Kugel sein, meinst du nicht?“

Tommaso Pippo, sonst nicht auf den Mund gefallen, wurde rot.

„Das gibt’s doch nicht. Maurizio, ich schwöre dir, wir haben alles gründlich …“

„Lass gut sein, das ist auch wirklich schwer zu erkennen neben der kaputten Glühbirne. Das sieht auf den ersten Blick aus wie ein unverputztes kleines Bohrloch.“

Pippo schaffte eine Leiter heran und nahm die verdächtige Stelle sofort unter die Lupe. Kurze Zeit später hielt er ein leicht verformtes Projektil in einer Pinzette.

„Sieh an, haben Mauros Luchsaugen mal wieder etwas Wichtiges entdeckt?“, frotzelte Nunzio Sposato, Pippos Chef, mit einem scharfen Blick auf seinen Mitarbeiter. Der schrumpfte augenblicklich in sich zusammen.

„Es tut mir leid …“, verkündete er kleinlaut. „Aber ich war die ganze Zeit mit der Suche nach Fingerabdrücken am Hintereingang beschäftigt. Theoretisch hätten Sie ja auch …“, fing er an, beendete den Satz aber vorsorglich lieber nicht.

Alle merkten, wie es in Sposato zu brodeln begann. Doch der erfahrene Mann bemühte sich, sachlich und ruhig zu bleiben.

„Darüber reden wir später, Tommaso. Wichtig ist, dass wir das Projektil überhaupt gefunden haben. Meine Herren …“

Er wandte sich an Goldini und Brassoni, der inzwischen ebenfalls neben den Kollegen stand. Signora Caliano war gerade in Begleitung einer Polizeibeamtin zum Krankenhaus aufgebrochen.

„Wie ich vorhin schon angedeutet habe, haben wir Anlass zu der Vermutung, dass außer dem Geschäftsinhaber und den beiden Wachleuten noch eine vierte, bisher unbekannte Person zur Tatzeit im Laden gewesen sein könnte. Ich habe mir den Hintereingang selbst noch einmal gründlich angesehen, und ich konnte frische Spuren von der Sohle eines Sportschuhs ausmachen, bei der Größe sind wir uns noch unsicher. So gründlich wie hier im Laden geputzt wird, fällt jeder neue Krümel sofort auf. Ich wünschte, ich könnte mir die besagte Putzfrau für ein paar Tage ausleihen. Ihr solltet sie auf jeden Fall vernehmen, vielleicht ist ihr in den letzten Tagen etwas aufgefallen. Sie scheint ein gutes Auge für Details zu haben, solche Menschen nehmen meist auch kleinste Veränderungen bezüglich der Räumlichkeiten, aber auch von Personen oder Handlungsabläufen wahr.“

Brassoni nickte zustimmend und befahl Ispettore Colludi, sich um die Einbestellung der Putzfrau zu kümmern.

„Da ist noch Ihre Nichte, Ispettore, mit der werden wir ebenfalls reden müssen, so leid es mir tut. Sie war hier als Goldschmiedin und Verkäuferin angestellt, richtig?“

Der Ispettore verzog wehmütig den Mund.

„Giusto, Commissario. Sie ist sehr gut in ihrem Job, die kleine Serena … Sie hat direkt nach ihrer Ausbildung hier angefangen. Zur Tatzeit war sie ja gar nicht hier, aber ich weiß, dass Sie sie verhören müssen. Soll ich sie für heute Nachmittag in die Questura bestellen?“

„Wie alt ist die ‚kleine Serena‘ denn?“, wollte Goldini nun wissen.

„Im August wird sie sechsundzwanzig!“, verkündete Colludi stolz. „Sie ist die einzige Tochter meines Bruders.“

Goldini grinste, und Brassoni schüttelte ob der übertriebenen Fürsorge seines Inspektors den Kopf. Aber Familie war eben Familie, und die galt es zu beschützen.

„Wir werden die junge Dame schon nicht auffressen!“, beruhigte er Colludi. „Aber Sie wissen doch, es ist für unsere Ermittlungen wichtig, sämtlichen Spuren nachzugehen und Beweise heranzuschaffen, um uns ein möglichst genaues Bild von dem Tathergang und den Motiven machen zu können. Und lassen Sie bitte ein Bewegungsprofil von den beiden Wachleuten über die letzten zwei Tage erstellen. Wenn dieser Pepe einer der Täter war, wäre es interessant zu wissen, was er in dieser Zeit getan hat, wo er unterwegs war und mit wem er Kontakt hatte!“

Colludi nickte ergeben. Die Kriminaltechniker in ihren weißen Papieroveralls verließen nach und nach den Laden. Ihre Arbeit war getan. Auch Nunzio Sposato verabschiedete sich.

„Ich lasse es euch wissen, wenn wir genauere Untersuchungsergebnisse haben. Die Ballistiker werden feststellen, aus welcher Waffe das Projektil stammt. Ciao, amici!“

Mit diesen Worten verschwand auch er aus der Tür. Luca Brassoni winkte Picco zu sich, der brav an seinem Platz gewartet hatte.

„Ich weiß nicht, ich habe irgendwie das Gefühl, als ob wir das Szenario hier noch nicht richtig eingeordnet hätten. Irgendetwas lässt mich an der Theorie vom klassischen Diamantenraub zweifeln. Es ist zwar nur eine Vermutung, aber ich denke, wir müssen in Betracht ziehen, dass es um mehr ging. Diese vierte Person, die gibt mir zu denken …“

Er hatte zu Maurizio gesprochen, der ein Schokocroissant aus seiner Jackentasche gezogen hatte und es hungrig verschlang. Wahrscheinlich hatte er gar nicht richtig zugehört.

„Was hältst du von Nadja Calianos Aussage, ein Fluch liege auf der Familie? Und dass sie geahnt habe, dass so etwas passieren würde? Ich halte sie für reichlich überspannt.“

Goldini brummelte sich mit vollem Mund vor sich hin. „Sie steht noch unter Schock, Luca“, presste er zwischen den Zähnen hervor. Er verschluckte sich dabei und wurde von einem Hustenanfall geschüttelt.

„Buon appetito, Mauro! Hast du dich etwa von Sarahs Heißhunger anstecken lassen?“, fragt der Commissario amüsiert. Goldini hatte ihm erzählt, wie viel Appetit seine Frau im letzten Drittel der Schwangerschaft entwickelt hatte. Fast jede Nacht musste er ihr etwas anderes besorgen oder kochen. Mal waren es scharfe Spaghetti, nach denen es sie gelüstete, dann wieder ein süßer Auflauf, selbst Pizza um vier Uhr morgens hatte Goldini schon zubereitet.

„Ich koche so viel für Sarah, dass mir kaum noch Zeit zum Selberessen bleibt“, seufzte er. „Heute Morgen wollte sie eine Frittata mit Schinken und Erbsen zum Frühstück. Ich krieg so was so früh noch nicht runter.“

Brassoni klopfte dem Kollegen freundlich auf die Schulter.

„Bald habt ihr es ja geschafft!“

Er verschwieg ihm allerdings, dass mit der Geburt des Babys der Stress nicht weniger werden würde.

„Kümmerst du dich um die Einholung von Informationen über den zweiten Wachmann? Sein Profil samt persönlicher und finanzieller Situation? Und behalte bitte im Hinterkopf, dass wir überprüfen sollten, ob es irgendwelche Verbindungen zum ersten Überfall auf den Juwelierladen gibt.“

Goldini nickte widerspruchslos. Wie fast immer war er sich mit Luca über das Vorgehen einig. Entspannt lief er neben Brassoni und dem Hund durch die Gassen Venedigs Richtung Questura. Ab und zu telefonierte er jedoch mit dem Handy und suchte bei jedem Stopp, der Piccos unermüdlichem Interesse an Bäumen und Schnüffelspuren zu verdanken war, im Internet nach weiteren Informationen. Pepe Griffoni besaß sogar eine eigene Facebook-Seite. Im Büro würde er sich eingehender damit beschäftigen. Bisher war der Mann noch auf der Flucht, aber er konnte sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.

Kapitel 4

Im Café Capello Rosso herrschte ein reger Betrieb. Stefan Mayer sortierte konzentriert die Gebäckstücke in die Auslage, die Martha, die junge Konditorin, am frühen Morgen frisch zubereitet hatte. Die junge Frau war ein wahrer Glücksgriff, und Stefan hoffte inständig, dass sie, falls der Laden weiterhin so gut lief, ihnen auf lange Sicht erhalten blieb.

„Caruso, due cappucini, per favore!“, hörte der Journalist einen alten Bekannten, den renommierten Naturwissenschaftler Ottavio Millenotti von der Universität Ca’ Foscari, rufen.

„Kommt sofort!“, antwortete Caruso und summte leise ein Stück von Ed Sheeran vor sich hin, dessen Musik es ihm seit einiger Zeit angetan hatte.