Venezianischer Fluch - Daniela Gesing - E-Book

Venezianischer Fluch E-Book

Daniela Gesing

0,0

Beschreibung

Der Commissario auf der Spur alter Familiengeheimnisse – Luca Brassonis neunter Fall  "Es war der Fluch, dieser verdammte Fluch, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Sie blickte sich hastig um, ­konnte jedoch niemanden entdecken. Niemand konnte ihr jetzt mehr helfen. Sie musste zu Ende bringen, was ihr prophezeit worden war."  Commissario Luca Brassoni will eigentlich kürzertreten, als er einen scheinbaren Selbstmord auf den Tisch bekommt. Seine Frau, die Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti, geht jedoch schnell von Fremdeinwirkung aus, die junge Frau wurde offensichtlich gestoßen. Oder ist doch etwas dran an dem Fluch der mächtigen Hoteliersfamilie Perroni? Schließlich war das Opfer mit Carlo, dem Sohn der Familie, verlobt, der jedoch bereits einer anderen versprochen war, um die Geschäftsbeziehungen der Familie zu stärken. Hat jemand aus der Familie der jungen Liebe ein Ende gemacht? Und was hat es mit dem Fluch auf sich? Luca Brassoni und sein Team stoßen schnell auf Familiengeheimnisse, die nie ans Licht kommen sollten …  Schon bald ist niemand anderes als Carla Sorrenti Ziel eines Fluches und dann erfolgt auch noch ein weiterer Angriff auf die Hoteliersfamilie. Kann Luca Brassoni gemeinsam mit seinem Team den Fall aufklären und seine Familie beschützen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 316

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Daniela Gesing

Venezianischer Fluch

Krimi

 

Über das Buch

Der Commissario auf der Spur alter Familiengeheimnisse – Luca Brassonis neunter Fall

„Es war der Fluch, dieser verdammte Fluch, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Sie blickte sich hastig um, konnte jedoch niemanden entdecken. Niemand konnte ihr jetzt mehr helfen. Sie musste zu Ende bringen, was ihr prophezeit worden war.“

Commissario Luca Brassoni will eigentlich kürzertreten, als er einen scheinbaren Selbstmord auf den Tisch bekommt. Seine Frau, die Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti, geht jedoch schnell von Fremdeinwirkung aus, die junge Frau wurde offensichtlich gestoßen. Oder ist doch etwas dran an dem Fluch der mächtigen Hoteliersfamilie Perroni? Schließlich war das Opfer mit Carlo, dem Sohn der Familie, verlobt, der jedoch bereits einer anderen versprochen war, um die Geschäftsbeziehungen der Familie zu stärken. Hat jemand aus der Familie der jungen Liebe ein Ende gemacht? Und was hat es mit dem Fluch auf sich? Luca Brassoni und sein Team stoßen schnell auf Familiengeheimnisse, die nie ans Licht kommen sollten …

Schon bald ist niemand anderes als Carla Sorrenti Ziel eines Fluches und dann erfolgt auch noch ein weiterer Angriff auf die Hoteliersfamilie. Kann Luca Brassoni gemeinsam mit seinem Team den Fall aufklären und seine Familie beschützen?

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

Copyright © 2024 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

1. Auflage 2024

Lektorat: Bernadette Lindebacher

Korrektorat: Angelika Wiedmaier

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © photo.ua/ Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

Druck: CPI Books GmbH

Made in Germany

ISBN: 978-3-98679-034-9

 

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Epilog

Die Autorin Daniela Gesing

Kommissar Luca Brassonis siebter Fall

Kommissar Luca Brassonis achter Fall

Widmung

Für Thomas

Prolog

Der Canal Grande war in den frühen Morgenstunden in dichten Nebel gehüllt. Bis zur Dämmerung würde es noch eine gute Stunde dauern. Kaum jemand war in der Dunkelheit unterwegs. Nur ein paar Laternen und hier und da das Licht eines Zimmers erhellten die dunklen Häuserfluchten. Die zierliche Gestalt, die mit verzweifeltem Blick durch die Gassen Venedigs irrte, umwehte ein loses Kleid, das sie kaum vor dem kühlen Wind schützte. Am Oberkörper trug sie eine kleine blaue Umhängetasche, die seitlich gegen ihre Hüfte schlug. Immer wieder stützte die junge Frau mit den langen rotblonden Haaren sich an den Mauern der umliegenden Häuser ab. Sie war erschöpft, aber sie musste ihr Ziel erreichen. Ab und zu sah sie sich um, denn es schien ihr, als folgte ihr jemand. War da nicht ein Schatten? Und dort ein Geräusch? Schon zweimal war es ihr so vorgekommen, als scharrten ein paar Schuhe ganz in ihrer Nähe über den Steinboden. Sie fröstelte und überlegte für einen kurzen Augenblick, zurück zum Hotel zu laufen. Niemand hatte bemerkt, wie sie aus ihrem Zimmer geschlichen war. Auch Carlo nicht. Dabei hatte sie fast herbeigesehnt, dass er gekommen wäre, um sie zu beschützen und aufzuhalten. Es war der Fluch, dieser verdammte Fluch, der ihr das Leben zur Hölle machte! Wieder vernahm sie ein Scharren, so als schleife jemand mit seinen Sohlen unruhig über den Platz, auf dem er stand. Das Herz der jungen Frau schlug schneller. Sie blickte sich hastig um, konnte jedoch niemanden entdecken. Wie durch einen Schleier sah sie ein Lastenboot in Zeitlupe im dichten Nebel den Kanal durchqueren. Niemand konnte ihr jetzt mehr helfen. Sie musste zu Ende bringen, was ihr prophezeit worden war. Bald würde sie die Accademia-Brücke erreicht haben. Während sie weiterlief, zog für einen kurzen Augenblick ihr ganzes Leben vor ihrem inneren Auge vorbei. Ihre glückliche Kindheit, die Felder vor dem Hof ihrer Eltern, Ambra, ihre treue Hündin, dann die Schulzeit, ihre Ausbildung, der Umzug nach Venedig … Die junge Frau wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Ihre Hände waren blaugefroren. Sie klammerte sich mit der linken Hand am Geländer der Brücke fest. Mit der rechten umschloss sie den Gegenstand, der den Fluch beenden sollte. Es hatte sich alles so glücklich gefügt. Dann hatte sie Carlo kennengelernt. Schon bald war sie bis über beide Ohren verliebt gewesen. Sie strich sachte mit der Hand über das Liebesschloss, das sie erst vor einigen Tagen zusammen an der Brücke befestigt hatten. Sie würde es auch im Dunkeln immer wiederfinden. Der Stadtteil Dorsoduro, in dem die Ponte dell’Accademia den Canal Grande überspannte und den Campo S. Vidal mit dem Campo della Carità verband, war ihr schon immer der liebste gewesen. Und hier auf der hölzernen, mit Stahlkonstruktionen verstärkten Brücke hatten sie und Carlo sich ewige Liebe geschworen.

Eine schwarze Krähe ließ sich zwei Meter neben ihr auf dem Geländer nieder. Die junge Frau zuckte bei ihrem Anblick schaudernd zusammen, obwohl sie sie erwartet hatte. Trotzdem packte sie jetzt die nackte Angst. Sie wollte nicht sterben, sie war doch noch jung und hatte ihr ganzes Leben vor sich …

Die Krähe legte ihren Kopf schief und starrte die verängstigte und unterkühlte junge Frau neugierig an. Sie beobachtete alles, was in den nächsten Minuten geschah. Sie war die einzige Zeugin, als plötzlich ein schrecklicher Schrei durch den Nebel gellte und die junge Frau kurze Zeit später über die Brüstung hinunter ins kalte Wasser stürzte. Und nur die Krähe wusste, was wirklich an diesem Morgen vor sich gegangen war.

Kapitel 1

Luca Brassoni, Commissario Capo bei der venezianischen Polizei, hatte heute seinen freien Tag. Er hatte Luis, seinen Sohn, in die Kindertagesstätte gebracht und war mit Picco, dem wuscheligen Familienhund, eine Runde spazieren gegangen. Nun saß er zu Hause an seinem Esstisch und studierte die Sportergebnisse in der Tageszeitung. Carla Sorrenti, seine Ehefrau und die federführende Gerichtsmedizinerin der Stadt, ging bereits seit einer Stunde ihrer Tätigkeit im Ospedale nach. Am Morgen war es sehr neblig gewesen, und Luca hatte einen besorgten Blick aus dem Fenster geworfen. Doch als Carla, die im sechsten Monat schwanger war, losmusste, verzog sich der Nebel wie durch Zauberhand und sogar die Sonne schaffte es, ein paar erlösende Strahlen in die Lagunenstadt zu schicken. Luca legte die Gazzetta dello Sport beiseite und trank noch einen Schluck Kaffee. Seit sein Kollege Maurizio Goldini endlich wieder aktiv im Dienst stand, nachdem er sich für seine neugeborene Tochter ein paar Monate Elternzeit gegönnt hatte, war Brassoni zusammen mit seiner Frau darin übereingekommen, ebenfalls etwas kürzerzutreten und mehr Zeit mit der wachsenden Familie zu verbringen. Luca würde seine Überstunden abfeiern, um öfter freie Tage zu haben und nach der Geburt seines zweiten Kindes ebenfalls für ein halbes Jahr in Elternzeit gehen. Das Leben war kurz, und man sollte sich mehr um die wirklich wichtigen Dinge kümmern, fand er. Zufrieden schaute der Commissario zu Picco, der völlig entspannt in seinem Körbchen schlief. Der Hund war zu seinem ständigen Begleiter geworden. Selbst in die Questura nahm er ihn mit, und die Kollegen liebten alle sein freundliches und ruhiges Wesen. Nur gegen böse Menschen hatte Picco etwas. Er roch Angstschweiß und Nervosität schon von Weitem, bei Vernehmungen konnte Brassoni sich oft auf das Gespür des Hundes verlassen. Inzwischen war er der Ansicht, dass es in noch viel mehr Polizeidienststellen Hunde geben sollte, denn sie konnten zweifellos dazu beitragen, Lügner und bösartige Verbrecher zu entlarven oder ängstlichen Zeugen ein gutes Gefühl zu geben. Picco spürte sofort, wenn jemand traurig und hilflos war. Dann näherte er sich besonders vorsichtig und legte seine Schnauze auf das Knie der betreffenden Person. Diese Geste löste schwierige Situationen meistens schnell auf und führte dazu, dass die Person sich beruhigte und Vertrauen fasste. Brassoni stand auf und streichelte seinem Hund kurz über den Kopf. Die Wäsche musste gemacht werden und auch das Kinderzimmer für den Neuankömmling war noch nicht fertig gestrichen. Es gab also noch viel zu tun. Umso dankbarer war er, als plötzlich sein Handy klingelte. Als er allerdings sah, dass es Carla war, erfasste ihn plötzliche Unruhe. War etwas mit ihr oder dem Baby nicht in Ordnung? Hastig tippte er auf die Annahmetaste und drückte das Handy gegen sein Ohr.

„Liebling, geht es dir gut?“

Er hörte ein kurzes, genervtes Stöhnen durch den Lautsprecher und konnte förmlich sehen, wie Carla mit den Augen rollte. Sie fand, dass er sie behandelte wie ein rohes Ei, dabei fühlte sie sich nach eigenem Bekunden topfit. Nur ein paar Mal war ihr am Anfang der Schwangerschaft schlecht gewesen.

„Luca, caro mio, es muss doch nicht immer ein Notfall sein, wenn ich dich anrufe. Ich weiß, du hast heute frei, aber ich habe hier die Leiche einer jungen Selbstmörderin auf dem Tisch. Zumindest hieß es, die junge Frau hätte sich mit einem Sprung von der Accademia-Brücke am frühen Morgen, fast noch in der Nacht, das Leben genommen.“

„Und du hast Zweifel an diesem ersten Befund?“

„Das kann man wohl sagen. Meiner ersten Einschätzung nach hat da jemand nachgeholfen. Der Körper weist Kampfspuren auf. Ich glaube, sie ist nicht freiwillig gesprungen, sie wurde gestoßen. Aber Genaueres kann ich natürlich erst nach einer gründlichen Obduktion sagen. Ich erreiche Maurizio nicht. Vielleicht kannst du ihm mitteilen, dass ihr einen neuen Fall habt? Er soll gegen Mittag zu mir in die Gerichtsmedizin kommen, wenn das möglich ist. Ich halte dich auf dem Laufenden.“

„Va bene, alles klar, ich rufe ihn gleich an. Wer ist denn das Opfer? Kenne ich sie?“

„Antonella Carracci, die Empfangsdame des Hotels Nuovo tempo“, antwortete Carla.

„Oh, dieses frisch renovierte Vier-Sterne-Hotel in San Marco? Gehört das nicht der Hoteliersfamilie Perroni? Ein ganz alter Bau, der in grandioser Weise wiederhergerichtet wurde. Ich habe es mir mal von außen angesehen. Es heißt, der Geist des ehemaligen Besitzers spukt immer noch durch das Anwesen.“

„Das ist nicht hilfreich, Luca“, empörte sich Carla. „Du glaubst doch wohl nicht an solche Geschichten. Jetzt geht es darum, den Tod der jungen Frau aufzuklären. Ich habe in ihrer Handytasche, die sie immer noch um den Hals geschlungen trug, einen eigenartigen Zettel gefunden. Zum Glück konnte man noch alles lesen, da sie nicht lange im Wasser gelegen hat. Da ist auch von einem Fluch die Rede. Solche idiotischen Märchen haben schon so manchen in den Wahnsinn getrieben.“

Carla war im wahrsten Sinne des Wortes realistisch. Flüche und Aberglauben waren ihr ein Graus, denn sie meinte, es gäbe schließlich für alles im Leben eine wirklichkeitsnahe Erklärung. Nicht, dass sie keine Fantasie gehabt hätte. Aber ihrer Meinung nach hatten die Menschen Flüche und Aberglauben nur erfunden, um sich gegenseitig zu ängstigen und einzuschüchtern.

„Schon gut, mein Schatz, du hast ja recht. Trotzdem hört es sich nach einem spannenden Fall an.“

„Das ist unsere Wäsche auch“, konterte Carla. „Hast du sie schon aus der Maschine geholt? Luis braucht morgen unbedingt seine neue Jeans für den Ausflug.“

Brassoni seufzte. „Das wollte ich soeben erledigen. Und die letzte Wand im Kinderzimmer habe ich gestrichen, bevor du nachher nach Hause kommst, versprochen!“

Carla lachte und schickte ihm einen Kuss durch den Hörer.

„Ich liebe dich, du bester aller Ehemänner! Jetzt muss ich aber weitermachen. Unsere Assistentin ist heute krank.“

„Das tut mir leid. Aber du hast ja noch deine neue Kollegin, und die ist doch wirklich ebenfalls eine erstklassige Gerichtsmedizinerin. Nicht, dass sie dir das Wasser reichen könnte …“, schob Luca hastig hinterher.

Carla lachte. „Romina Zarti sehe ich nicht als Konkurrentin, mein Lieber. Du brauchst mich nicht in Watte zu packen. Ich weiß, was ich kann, aber ich bin nicht blind für die Leistungen meiner Kollegen und Mitarbeiter. Die Schwangerschaft macht mich ab und zu ein bisschen müde, aber mein Gehirn leistet immer noch einhundert Prozent! So, und jetzt muss ich arbeiten. Ciao, Luca!“

Brassoni schickte seiner Frau ebenfalls einen Kuss durch den Hörer, legte anschließend gedankenverloren sein Handy auf den Esstisch, nahm es aber nach einer kurzen Eingebung sofort wieder zur Hand und tippte eine Nachricht an Maurizio. Das schien ein spannender Fall zu werden! Fast war er geneigt, sich lieber mit den ungeklärten Umständen des Todes der jungen Empfangsdame zu beschäftigen, doch dann kümmerte er sich wie geplant eifrig um die Wäsche. Er hätte sonst nur ein schlechtes Gewissen gehabt. Schließlich war es heutzutage keine große Sache mehr, dass sich beide Partner um den Haushalt kümmerten. Und eigentlich war es doch ganz schön, wenn alles rund lief. Am liebsten aber kümmerte Brassoni sich um die Mahlzeiten. Kochen war schon immer seine Passion gewesen. Heute sollte es selbst gemachte Gnocchi auf römische Art geben, dazu ein Paprikahähnchen aus dem Ofen. Und als Nachtisch hatte der Commissario Schokoladen-Cannoli ausgesucht, die er am Morgen schon beim Bäcker abgeholt hatte und nur noch füllen musste. Luis liebte alles, was nach Schokolade schmeckte. So würde er heute sicher wieder den Titel „Bester Papa der Welt“ einheimsen. Zufrieden lächelnd machte Brassoni sich an die Arbeit, nicht ohne dabei ab und zu an den neuen Fall zu denken, mit dem er sich erst wieder am nächsten Tag beschäftigen durfte.

Kapitel 2

„Buongiorno, Commissario Goldini“, grüßte Silvia Bertuzzi, die Signora Vice Questore, den jungen Commissario freundlich. Sie trug heute eine blaue Seidenbluse zur dunklen Jeans, ein ungewohnt legerer Stil, der ihr außergewöhnlich gut stand.

„Was für ein schöner Tag! Seitdem sich der Nebel verzogen hat, ist das Wetter doch richtig angenehm geworden.“

Maurizio Goldini grüßte freundlich zurück. Nach dem Desaster beim letzten Fall, wo Bertuzzi sich unglücklich in den Hauptverdächtigen verliebt hatte, war sie nun seit zwei Monaten mit einem sehr netten Lehrer liiert, der sie bereits zweimal in der Questura besucht hatte. Diese Verbindung schien ihr gutzutun, denn sie war seitdem außerordentlich gut gelaunt. Silvia Bertuzzi war bisher nie verheiratet gewesen. Ihre Karriere hatte immer Priorität gehabt, aber jetzt schien sie ihr Privatleben ernster zu nehmen.

„Für Antonella Carracci ist es kein schöner Tag geworden“, hörte Goldini plötzlich Barbara Valgoni, die Ispettrice, schlecht gelaunt murmeln. Sie war schon seit sechs Uhr morgens im Dienst und hatte nicht gut geschlafen. Jetzt stand sie mit Ringen unter den Augen neben ihren Kollegen. Irritiert warf die Dienststellenleiterin ihr einen Blick zu, sagte aber nichts. Die Ispettrice hielt den ersten, vorläufigen Bericht in der Hand und überreichte ihn wortlos der Chefin.

„Haben wir einen Mordfall? Ich dachte, die junge Frau hat Suizid begangen?“, fragte Bertuzzi.

Die Ispettrice schüttelte den Kopf.

„Nein, so wie es aussieht, war es ein unnatürlicher Tod mit Fremdeinwirkung. Die Obduktion ist aber noch nicht beendet.“

Valgoni gähnte hinter vorgehaltener Hand und wandte sich an Goldini.

„Sie sollen heute Mittag zu Dottoressa Sorrenti in die Gerichtsmedizin kommen“, teilte sie ihm mit. „Sie hat übrigens mehrfach versucht, Sie zu erreichen.“

Goldini strich sich verlegen durch die schwarzen Locken.

„Tut mir leid, ich hatte das Handy auf lautlos gestellt. Laura bekommt den ersten Zahn, die Nacht war furchtbar, und da wollte ich die Kleine und meine Frau heute Morgen nicht wecken, als sie endlich eingeschlafen waren.“

Barbara Valgoni hob achselzuckend die Schultern. „Dann sagen Sie Dottoressa Sorrenti wenigstens Bescheid.“

Sie gähnte noch einmal, drehte sich um und verschwand in Richtung ihres Schreibtisches.

„So kenne ich unsere Ispettrice gar nicht“, wunderte sich die Signora Vice Questore. „Hat ihr Verhalten etwas mit unserem Kriminaltechniker Tommaso Pippo zu tun?“

Die ganze Dienststelle hatte inzwischen mitbekommen, dass Tommaso ein Auge auf die Ispettrice geworfen hatte. Er konnte sich nur schlecht verstellen, und so sahen alle, wie sein Gesicht leuchtete, sobald er auf Barbara traf.

„Ich weiß es nicht, Dottoressa Bertuzzi“, antwortete Goldini. „Ich glaube, die beiden hatten bereits ein oder zwei Dates, aber über das Privatleben von Barbara weiß ich ansonsten so gut wie nichts. Vielleicht hat sie einfach einen schlechten Tag.“

Silvia Bertuzzi nickte nachdenklich, war aber nicht wirklich überzeugt.

„Gut, dann kümmern Sie sich jetzt um den neuen Fall. Ich will aber vorher noch einen Blick in die Unterlagen werfen.“

Sie blätterte kurz in der Fallakte, die die Ispettrice ihr überreicht hatte, während Goldini geduldig wartete. Auf Bertuzzis Stirn bildete sich eine Sorgenfalte.

„Die Familie Perroni, in deren Hotel die Verstorbene gearbeitet hat, ist in Venedig sehr bekannt und angesehen. Bevor wir handfeste Beweise haben, fassen Sie die Leute bitte nur mit Samthandschuhen an. Signor Perroni sitzt im Gemeinderat. Er kandidiert dieses Jahr für den Vorsitz.“

Der junge Commissario legte einen Finger an seine Unterlippe und schien einen Moment zu überlegen. Schließlich hob er den Finger:

„Ah, der Name kam mir gleich bekannt vor. War er nicht eines der konservativen Mitglieder, die damals die Gesetzesänderung zum Kampf gegen den Klimawandel abgeschmettert haben? Kurz darauf hat doch das Hochwasser das Gebäude des Gemeinderats am Großen Kanal erreicht und den Sitzungssaal überschwemmt.“

Silvia Bertuzzi rollte mit den Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Goldini, Sie haben ja recht, aber was soll man machen? In der Politik läuft es nicht immer so, wie wir Bürger es gerne hätten. Perroni ist erzkonservativ und sperrt sich gegen jegliche Form von Neuerungen. Ich hoffe inständig, er wird nicht gewählt. Aber verraten Sie das niemandem.“

Sie zwinkerte dem Commissario zu und überreichte ihm die Akte.

„Halten Sie mich auf dem Laufenden. Und vielleicht sollten Sie sich mit Commissario Brassoni kurzschließen, auch wenn er heute seinen freien Tag hat. Ich glaube, der Fall wird ihn sehr interessieren.“

Goldini nickte bekräftigend.

„Das glaube ich auch, ich hätte ihn sowieso informiert.“

Schmunzelnd schüttelte Silvia Bertuzzi den Kopf.

„Meinen Sie, ich wüsste nicht, wie meine Mitarbeiter hinter meinem Rücken agieren? Aber ehrlich gesagt bin ich ja froh, dass alle so engagiert ihrer Arbeit nachgehen. Trotzdem ist es gerade heutzutage wichtig, auf eine gesunde Work-Life-Balance zu achten, wie man so schön sagt. Ich selbst profitiere auch gerade davon. Sie dürfen Brassoni in Kenntnis setzen, aber er soll sich auf keinen Fall heute schon in die Ermittlungen einschalten. Sie kriegen das auch alleine hin!“

Sie klopfte dem attraktiven jungen Commissario aufmunternd auf die Schulter. Goldini fremdelte zwar noch etwas mit den neuen Umgangsformen der Signora Vice Questore, aber insgeheim freute er sich auch über ihre Unterstützung und Anerkennung.

„Danke, Dottoressa“, sagte er deshalb höflich und zog sich, mit der Akte winkend, zurück in sein Büro. Kurze Zeit später saß er vor seinem Laptop und studierte die Informationen, die Google ihm über die Familie Perroni und das Hotel zu bieten hatte. Viel kam dabei nicht heraus. Einige Boulevardblätter berichteten über eine angebliche Affäre zwischen der verstorbenen Antonella und Carlo, dem Sohn der Familie Perroni. Es gab ein verwackeltes Bild, auf dem die beiden zusammen aus dem Privateingang des Hotels der Familie Perroni zu kommen schienen und versuchten, ihre Gesichter hinter einem vorgehaltenen Mantel zu verbergen. Dennoch war das ein interessantes Detail: die einfache Angestellte und der Millionenerbe! Vielleicht wusste Caruso, Luca Brassonis Cousin und darüber hinaus ein erfahrener Journalist, mehr über die Angelegenheit. Caruso hieß mit vollem Namen Stefan Mayer und lebte schon seit einigen Jahren hier in Venedig. Inzwischen führte er mit seinem Lebensgefährten Francesco das Café „Capello rosso“ im Stadtteil San Marco. Maurizio würde ihn später anrufen und um Unterstützung bitten. Caruso verfügte über zahlreiche Verbindungen und konnte so der Polizei immer wieder bei den Ermittlungen gute Dienste leisten. Allerdings stürzte er sich manchmal zu sehr in einzelne Nachforschungen, sodass ihm sein Eifer das eine oder andere Mal bereits fast zum Verhängnis geworden war. Trotzdem wollte Goldini nicht darauf verzichten, ihn um Hilfe zu bitten. Der junge Commissario machte sich eine Notiz auf einem Zettel und scrollte sich weiter durchs Netz. Antonella Carracci war in den sozialen Medien kaum vertreten. Ein Instagram-Account, auf dem ein paar Fotos von ihr in schüchterner Pose zu sehen waren. Er fand keinerlei weitere Informationen über die junge Frau, außer dass sie im Hotel der Perronis als Empfangsdame gearbeitet hatte. Eine hübsche Frau war sie gewesen, stellte er fest. Schlank, zart, ein sympathisches, natürliches Gesicht mit ebenmäßigen Gesichtszügen und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Dazu die rotblonden Haare … Ein bisschen sah sie aus wie eine Fee aus einem Bilderbuch. Kein Wunder, dass Carlo Perroni sich in sie verliebt hatte. Am besten würde er jetzt gleich mit Carla Sorrenti sprechen, um zu erfahren, was die Gerichtsmedizinerin noch herausgefunden hatte. Doch zuallererst griff er zum Telefonhörer und wählte Luca Brassonis Privatnummer. Um diese Zeit müsste er Luis bereits in die Kita gebracht haben und wieder zu Hause sein. Es klingelte vier Mal, bis der junge Commissario die Stimme seines Kollegen hörte.

„Pronto?“

„Buongiorno, Luca, ich bin es, Maurizio.“

„Ah, Mauro, ich hätte dich auch gleich angerufen. Carla hat versucht, dich zu erreichen. Du sollst zu ihr in die Pathologie kommen. Sie hat die Selbstmörderin von heute Nacht auf dem Tisch. Oder besser gesagt, die vermeintliche Selbstmörderin.“

„Du bist also schon auf dem Laufenden?“, fragte Goldini überrascht.

„Ja, es geht um die Rezeptionistin vom Hotel Nuovo tempo. Carla hat Zweifel an der Selbstmordtheorie, sie hat einen recht kryptischen Zettel bei der Leiche gefunden. Soweit ich verstanden habe, geht es da um einen Fluch oder Ähnliches. Du hast doch sicher auch schon von der Sage gehört, dass in dem Hotel der Geist eines Verstorbenen umgehen soll? Die Patriarchin der Besitzerfamilie, Magda Perroni, soll eine tiefgläubige, sehr strenge Frau sein, die aber trotzdem heidnischen Zeremonien anhängt. Sie hält wohl auch den Glauben an diesen Spuk aufrecht. Ich bin gespannt, was sie dir zum Tod ihrer Angestellten zu sagen hat.“

„Unter anderem wahrscheinlich auch, dass diese Angestellte fast auch ihre Schwiegertochter geworden wäre“, warf Goldini ein. Brassoni war überrascht.

„Oh, dann würde ich die Familie als Allererstes befragen. Das scheint ja ein außergewöhnlicher Fall zu werden. Ich habe jetzt leider noch einiges hier in der Wohnung zu tun. Du weißt doch, das Kinderzimmer muss gestrichen werden …“

Goldini musste sich ein Lachen verkneifen. Er wusste, dass sein Kollege und Freund handwerkliche Arbeiten verabscheute.

„Na dann, viel Erfolg! Ich melde mich bei dir, sobald ich Neuigkeiten bezüglich des Falls habe.“

„Mach das, du weißt ja, wo du mich findest!“, seufzte Brassoni.

Kapitel 3

Im Hotel Nuovo tempo herrschte reges Treiben. In der Nebensaison kamen die wirklichen Kenner und Liebhaber der Lagunenstadt, wenn die Touristenströme des Hochsommers endlich versiegt waren. Schließlich gab es auch im Herbst schöne, sonnige Tage, außerdem waren die Temperaturen endlich einigermaßen erträglich. Das Hotel war erst vor Kurzem einer gründlichen Modernisierung und Renovierung unterzogen worden. Dabei hatte Magda Perroni, die Matriarchin der Hoteliersfamilie, darauf geachtet, den ursprünglichen Charme des Gebäudes zu erhalten. Schon der Eingangsbereich des alten Palazzos war imposant. Die große, schwere Eingangstür mit eingesetzten Glasmosaiken wurde flankiert von bunt bepflanzten Blumenkübeln. Den Besucher empfing ein glänzender Marmorfußboden, die Wände waren verziert mit typisch venezianischen Wandmalereien. Eine hochwertige Sitzgruppe in hellen Grüntönen lud zum Verweilen ein. Die gesamte Inneneinrichtung hatte den Spagat zwischen Tradition und Moderne geschafft. Moderne Zimmer mit bequemen High-Class-Betten, Badezimmer mit Whirlpool-Badewanne und eigenem Balkon oder sogar Terrasse, Seidentapeten – alle Materialien waren sorgfältig ausgesucht und verarbeitet worden. Und doch spürte man den Hauch der Vergangenheit, wenn der Blick auf die hohen Decken, die Kristalllüster im Speisesaal oder auf das frisch versiegelte historische Parkett in den oberen Etagen fiel. An der Rezeption stand heute eine eilig eingesetzte Aushilfe, nachdem die Ereignisse der vergangenen Nacht das gesamte Personal und die Familie Perroni aufgewühlt hatten. Doch Magda Perroni, eine Frau Ende fünfzig mit kühler Ausstrahlung, tadelloser Kleidung und aufrechter Haltung, hatte alle ermahnt, sich nichts anmerken zu lassen und dem Tagesgeschäft wie gewohnt nachzugehen. Als die Nachricht von Antonella Carraccis Tod eingetroffen war, ein Unfall, wie Signora Perroni eisern behauptete, war ihr Sohn Carlo weinend zusammengebrochen. Obwohl er nicht mit Antonella zusammengelebt hatte – sie schlief weiterhin in einem der Dienstbotenzimmer, auf ausdrücklichen Wunsch seiner Mutter –,war ihm doch schon am frühen Morgen aufgefallen, dass sie nicht wie immer auf seine SMS geantwortet hatte. Zuerst hatte er sich nichts dabei gedacht, aber kurz darauf war schon ein Polizist im Hotel erschienen und hatte alle aus den Betten geholt. Bernardo, sein Vater, ein kleiner, fast zierlicher Mann, hatte stumm zu Boden geschaut. Er wirkte in der Nähe seiner Ehefrau fast unsichtbar und gar nicht mehr wie ein souveränes Gemeinderatsmitglied, während seine Frau sofort das Heft in die Hand nahm und dem Polizisten unumwunden erklärte, dass ihre Angestellte mit Sicherheit ein Opfer des Fluchs geworden war. „Diese dumme Gans ist bestimmt vor lauter Schreck ins Wasser gefallen. Sie war nicht sehr schlau, müssen Sie wissen“, erklärte sie dem verdutzten Beamten.

„Mama, wie redest du über meine Verlobte?!“, stieß Carlo wütend und verletzt hervor. „Antonella war die klügste Frau, die mir je begegnet ist.“ Doch Magda Perroni ignorierte ihren Sohn. Livia, ihre Tochter, die noch im Nachtgewand an einer Säule neben der Rezeption lehnte, wirkte weder betroffen noch besonders interessiert. Sie hatte sehr viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, würde der Beamte später den Kollegen berichten. Eine schöne Frau mit langen, rotbraunen Haaren, einer leicht gebogenen Nase und großen, braunen Augen, die den jungen Beamten ungeniert musterten, aber sie wirkte ebenso kühl und empathielos.

Nun saß die Familie zusammen im Wohnzimmer der Besitzeretage im obersten Stock des Hotels. Carlo starrte mit rotgeränderten Augen aus dem Fenster hinaus auf den Markusplatz. Magda Perroni lief unruhig im Zimmer hin und her, während ihr Mann sie weiterhin stumm und fast ehrfürchtig beobachtete. Livia rauchte an einem offenen Fenster in der hintersten Ecke eine Zigarette und blies den Rauch hinaus in die Luft.

„Ich habe gewusst, dass diese Person uns nur Ärger machen würde“, sagte Magda zornig und ballte ihre Hände zu Fäusten. Carlo hob den Kopf und sah sie voller Hass an. „Du bist schuld an ihrem Tod, du ganz allein“, sagte er leise. „Du konntest sie nie leiden. Ich hätte mich mehr dagegen wehren sollen.“

Sein Vater sah ihn betroffen an. „Aber Carlo, so kannst du doch nicht mit deiner Mutter …“, fing er an, aber seine Frau schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab. „Schon gut, Bernardo. Antonella hatte ihm den Kopf verdreht. Er ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Wir müssen jetzt an das Hotel und an unseren guten Ruf denken. Nichts darf nach außen dringen. Wenn die Polizei fragt, sagen wir, dass Carlo die Verlobung ohnehin lösen wollte. Antonella war ein armes, bemitleidenswertes Geschöpf. Und sicher nicht die richtige Frau für unseren Sohn. Wir sind eine angesehene Familie, unsere Vorfahren leben schon seit Jahrhunderten hier in Venedig. Carlo wird Giovanna heiraten, die Tochter von Giacomo Benatelli, dem Besitzer der großen Hotelkette. Das wird uns zu einem unschlagbaren Einfluss verhelfen. Unser Auskommen wird für die Zukunft gesichert sein.“

Carlo wollte aufspringen und auf seine Mutter losgehen, aber sein Vater und seine Schwester hielten ihn davon ab.

„Ich hasse euch alle!“, schrie er wutentbrannt, während er versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien. „Ihr habt mir Antonella genommen. Das Hotel ist mir egal. Niemals werde ich Giovanna heiraten. Ihr seid doch verrückt. Lasst mich in Ruhe und macht, was ihr wollt. Aber glaubt nicht, dass ich nicht herauskriegen werde, was mit Antonella passiert ist. Und wenn es einer von euch war … dann gnade euch Gott!“

Er stürmte voller Zorn aus dem Zimmer.

„Lasst ihn nur, er wird sich wieder beruhigen“, sagte Magda Perroni mit kalter Stimme. Ihre Gefühlskälte ließ selbst ihren Ehemann erschaudern. Aber er hatte sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt. Das Hotel gehörte ihr, ohne das alles war er ein Nichts. Also hielt er sich zurück. Ihm war sein eigener Seelenfrieden lieber als eine Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau, die er sowieso nur verlieren konnte.

Im Ospedale Civile SS. Giovanni e Paolo wartete Carla Sorrenti bereits ungeduldig auf Maurizio Goldini. Die Rechtsmedizinerin ließ sich immer Zeit mit der Obduktion. Sorgfältig zu untersuchen und respektvoll mit den Toten umzugehen, war für sie selbstverständlich. Sie tat stets ihr Bestes, um die Wahrheit über die Todesumstände der Menschen, die da vor ihr auf dem Tisch lagen, herauszufinden. Das war sie den Opfern schuldig, fand sie. Sie hatte bereits ihre Arbeitskleidung gewechselt und war dabei, das Sektionsbesteck zu reinigen. Manchmal übernahm sie diese Arbeit lieber selbst, zumal sie sich dabei setzen konnte, was sie aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft oft als sehr angenehm empfand. Zum Glück war ihr nur in den ersten Wochen schlecht gewesen. Carla hatte einen sehr robusten Magen, sonst hätte sie ihre Tätigkeit in der Gerichtsmedizin gar nicht so lange fortsetzen können. Doch jetzt kam immer öfter eine bleierne Müdigkeit hinzu, von der sie Luca jedoch nichts erzählt hatte. Rückenschmerzen zählten auch zu den unabdingbaren Beschwerden im letzten Drittel einer Schwangerschaft. Sie seufzte und legte das Besteck in die dafür vorgesehene Schale. Der Fall der jungen Hotelangestellten ging ihr nahe. Sie wollte unbedingt, dass die Polizei den Täter fasste.

„Carla, geht es dir gut?“, fragte Dottoressa Romina Zarti, ihre neue Kollegin, die Rechtsmedizinerin besorgt. „Du siehst ein wenig blass aus.“

Carla seufzte erneut und drehte sich zu ihrer Kollegin um. Romina würde gleich die nächste Schicht übernehmen, und die beiden hatten sich inzwischen angefreundet.

„Ist nicht so mein Tag heute. In der Nacht wurde eine junge Frau eingeliefert, von der man annahm, dass sie Selbstmord begangen hätte. Sie ist von der Accademia-Brücke in den Canal Grande gestürzt. Sie konnte nicht schwimmen. Aber ich habe eindeutige Beweise dafür gefunden, dass jemand nachgeholfen hat. Ich warte noch auf Commissario Goldini. Du weißt doch, mein Mann hat heute seinen freien Tag.“

„Ah, und jetzt machst du dir Gedanken darüber, ob die Polizei den Täter ausfindig machen kann? Erzähl mir mehr über die Obduktionsergebnisse. Vielleicht kann ich helfen.“

Und so redeten die beiden Frauen noch eine ganze Weile über den Fall, bevor Maurizio Goldini endlich in den kühlen Räumen der Gerichtsmedizin erschien. Romina Zarti verabschiedete sich mit einer Sorgenfalte auf der Stirn von ihrer Kollegin und grüßte den Commissario freundlich, bevor sie sich auf den Weg ins Labor machte. Was sie von Carla erfahren hatte, beunruhigte sie zutiefst.

„Scusa, Carla!“, entschuldigte sich der junge Commissario. „Ich musste mir zuerst die Ermittlungsakte ansehen, die die Auffindungssituation und die ersten Eindrücke der Kollegen wiedergibt, die die Leiche am frühen Morgen geborgen haben. Und dann habe ich schon ein paar Recherchen angestellt. Du sagst, es war auf keinen Fall ein Suizid? Was hast du herausgefunden?“

Die Dottoressa blieb auf ihrem Stuhl sitzen und bat Goldini freundlich, ebenfalls Platz zu nehmen, was er auch tat. Carla lehnte sich zurück, atmete einmal tief durch und begann, von ihrer Untersuchung zu erzählen. Dabei blickte sie den Commissario vielsagend an.

„Allora, die Leiche von Signorina Antonella Carracci lag heute Morgen als Erstes auf meinem Sektionstisch. Es hieß, sie sei in den Kanal gesprungen, um sich umzubringen. Aber als ich sie mir näher angeschaut habe, wusste ich, dass das niemals der Fall gewesen sein kann.“

Goldini spielte nervös mit seinem Kugelschreiber. „Was heißt das genau?“

„Zum einen habe ich Abwehrspuren an ihren Händen gefunden. Sie muss sich verzweifelt gewehrt haben. Der Notarzt hat es anscheinend nicht für nötig befunden, nach solchen Hinweisen zu suchen. Man muss aber auch fairerweise sagen, dass sie nicht so leicht zu erkennen waren. An den Innenseiten der Hände kann man sehen, dass sie versucht hat, sich am Geländer festzuhalten. Schrammen und Kratzspuren deuten darauf hin. Außerdem gibt es am Rücken und an den Handgelenken Druckspuren. Ich vermute, der Täter hat sie von hinten überrascht und mit aller Kraft über das Geländer gestoßen.“

Goldini spürte ein leichtes Schaudern. Wie musste sich die junge Frau gefühlt haben, die doch wusste, dass sie nicht schwimmen konnte?

Carla Sorrenti machte eine kurze Pause. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, holte tief Luft und atmete langsam aus.

„Alles in Ordnung?“, fragte nun auch Goldini besorgt. „Du arbeitest zu viel, glaub mir!“

Carla schüttelte den Kopf.

„Nein, es geht schon wieder. Das war nur eine kleine Übungswehe. Ohne meinen Job ist mir zu Hause manchmal die Decke auf den Kopf gefallen. Aber kommen wir zurück zu unserem Opfer.“

Sie stand mit einiger Mühe auf und holte einen durchsichtigen Beutel, in dem sich ein blauer Zettel befand.

„Antonella Carracci hatte eine wasserabweisende Handytasche, in der ich diesen Zettel gefunden habe. Ihr Handy ist schon in der KTU. Sieh mal, was da draufsteht.“

Sie reichte Goldini die Tüte, die er vorsichtig zwischen seine Finger nahm und glattstrich.

„Du bist verflucht! Diesen Fluch kannst du nur lösen, wenn du in der Nacht auf der Accademia-Brücke um Verzeihung für deine Missetaten bittest und ein Opfer bringst. Sonst wird es dir ergehen wie einst der heimlichen Ehefrau von Marco Polo, die er von seiner Reise mitgebracht hat und die sich von der Brücke stürzen musste, um weiteres Unheil von sich und ihrem Mann abzuwenden!!

Verwirrt sah Goldini die Gerichtsmedizinerin an.

„Welcher Fluch ist denn da gemeint? Ich wusste nichts davon, dass Marco Polos Ehefrau sich in den Kanal gestürzt hat!“

Carla Sorrenti lächelte milde.

„Das ist so eine Sage, die manche Leute hier erzählen. Marco Polo soll von einer Chinareise eine asiatische Ehefrau mitgebracht haben, die seine Familie nicht akzeptieren wollte. Die Frau fiel in eine Depression, so weit von ihrer Heimat entfernt. Und dann redete man ihr auch noch ein, dass ein Fluch auf ihr läge. Zum Schluss stürzte sie sich wirklich von einer Brücke. Ob das der Realität entspricht, kann ich dir nicht sagen. Marco Polo hingegen hat ja wirklich gelebt. Er soll im Jahr 1254 hier in Venedig geboren worden sein und ist 1324 gestorben. Über seine Reiseberichte gab es immer wieder Zweifel aufgrund falscher Angaben und Ungereimtheiten. In Cannaregio unweit der Rialto-Brücke in der Corte Seconda del Milion kann man immer noch das kleine Haus bewundern, in dem er gelebt hat. Allerdings ist es nicht öffentlich zugänglich.“

Goldini war überrascht über Carlas eingehende Kenntnisse. Er hatte sich nie wirklich mit dem Leben eines der berühmtesten Bürger der Stadt beschäftigt.

„Alle Achtung, du weißt ja richtig Bescheid“, sagte er anerkennend.

Carla grinste. „Geschichte ist eines meiner Hobbys. Und Marco Polo fand ich schon immer interessant. Wer weiß, ob er seine Reisen wirklich alle so erlebt hat. Aber für die damalige Zeit war er schon ein sehr bedeutsamer Weltenbummler. Aber kommen wir zu unserem eigentlichen Thema zurück. Unser heutiges Opfer wurde scheinbar unter Druck gesetzt und war verängstigt. Möglicherweise gibt es Parallelen, was die Familienverhältnisse betrifft. Was sie opfern sollte, habe ich leider nicht herausgefunden. Vielleicht hat sie vor dem Mord etwas ins Wasser geworfen? Ihr solltet das überprüfen!“

Goldini nickte und wollte schon wieder aufstehen, doch Carla hielt ihn zurück.

„Da ist noch etwas.“

Der junge Commissario sah Carla fragend an.

„Antonella Carracci war schwanger. Im dritten Monat. Eventuell ein weiterer Grund, sie aus dem Weg zu räumen.“

Goldinis Gesicht verzog sich schmerzlich, als er unwillkürlich an seine eigene kleine Tochter denken musste.

„Wer tut nur so etwas Abscheuliches? Allerdings muss ich sagen, dass ich bei meinen ersten Recherchen schon herausgefunden habe, dass die junge Frau wohl mit dem Sohn der Hoteliersfamilie liiert war, was dem Clan, besonders der strengen Mutter, Magda Perroni, sehr missfallen hat. Ich denke, da werde ich mit den Ermittlungen ansetzen.“

„Ja, das war ein offenes Geheimnis in der High Society von Venedig. Ich wünsche dir viel Glück bei den Ermittlungen. So ein Ende hat diese junge Frau nicht verdient!“

Goldini nickte, bedankte sich bei Carla und verließ nachdenklich die Pathologie. Als Nächstes würde er sich an Caruso wenden, um mehr über den Klatsch bezüglich der Hoteliersfamilie zu erfahren. Carusos Quellen würden bestimmt einige interessante Informationen zutage fördern, die ihm bei den weiteren Nachforschungen hilfreich sein könnten.

Kapitel 4

Luca Brassoni versuchte ein gewinnendes Lächeln, als er am Mittag seinen Sohn Luis aus der Kindertagesstätte abholte. Die Erzieherin hatte ihm soeben mit versteinerter Miene mitgeteilt, dass der Kleine ein anderes Kind absichtlich geschlagen hätte. Es fühlte sich für den Commissario an wie ein Tritt in die Magengrube, denn so kannte er seinen Sohn gar nicht. Und natürlich waren er und Carla darum bemüht, Luis gewaltfrei zu erziehen und ihm die wichtigsten Werte wie Freundlichkeit, Respekt, Kompromissbereitschaft und Nächstenliebe mitzugeben.

„Aber dafür muss es doch einen Grund gegeben haben?“, insistierte Brassoni, als die Erzieherin, eine relativ neue Mitarbeiterin, die erst seit wenigen Wochen in der Einrichtung arbeitete, ihn bat, Luis für den Rest der Woche zu Hause zu lassen.

„Ihr Sohn muss lernen, wie er sich in einer Gruppe zu verhalten hat. Deshalb habe ich beschlossen, dass Sie als Familie ausführlich über das Geschehen reden müssen. Vielleicht ist Luis am Montag wieder so weit, mit den anderen zu spielen.“

Nun merkte Brassoni, wie Zorn in ihm aufstieg. Besonders als er sah, wie sein Sohn sich betroffen und verängstigt an ihn klammerte.

„Hören Sie, ich denke, das geht zu weit. Abgesehen davon, dass meine Frau und ich beide arbeiten müssen. Ich weiß noch gar nicht genau, was geschehen ist. Und als Pädagogin sollten Sie doch dazu in der Lage sein, mit den Kindern in der Gruppe darüber zu reden. Welches Kind hat Luis denn geschlagen und worum ging es? Nicht, dass ich sein Verhalten entschuldigen oder gutheißen möchte, aber ich meine, dass die Kinder auch gehört werden müssen!“

Die Erzieherin, eine vollschlanke Frau Mitte dreißig, die ihre langen, dunkelbraunen Haare zu einem Zopf geflochten trug, sah missbilligend auf Luis herab.

„Ihr Sohn weigert sich, mit mir zu reden. Er ist sehr renitent, das ist mir schon öfter aufgefallen“, fügte sie hinzu.

Brassoni warf ihr wegen ihrer herabsetzenden Bemerkung einen scharfen Blick zu und beugte sich dann hinunter zu seinem Sohn.

„Luis, mein Schatz, du brauchst keine Angst zu haben. Magst du mir erzählen, was passiert ist? Warum hast du dieses andere Kind gehauen?“

Luis versteckte seinen Kopf hinter Brassonis Bein. Er fühlte sich offensichtlich im Beisein der Erzieherin unwohl.

„Signora Nicoletta, ich würde gerne mit Luis alleine sprechen, dann komme ich noch einmal zu Ihnen. Ich würde die Angelegenheit gerne so schnell wie möglich klären.“