Verbotene Frucht - Sylvia Day - E-Book
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Verbotene Frucht E-Book

Sylvia Day

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Beschreibung

Eves erster Fall.
Evangeline Hollis, genannt Eve, ist eine ganz normale junge Frau – bis ihr eines Tages ein heißer One-Night-Stand mit einem attraktiven Fremden zum Verhängnis wird: Eve wird für ihre Verfehlung mit dem Kainsmal gezeichnet und muss künftig auf Dämonenjagd gehen. Ihr neuer Boss, Reed Abel, ist unglaublich penibel und verboten sexy. Als wäre es noch nicht genug, dass sich Eve nun tagtäglich mit ihrem lästigen Chef und mordlustigen Dämonen herumschlagen muss, taucht auch noch der geheimnisvolle Alec Cain auf – Abels Bruder und der Mann, der einst Eves Herz gestohlen hat. Für Eve beginnt die aufregendste und gefährlichste Zeit ihres Lebens. Und das liegt nicht nur an den Dämonen …

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Evangeline Hollis, genannt Eve, ist eine ganz normale junge Frau – bis ihr eines Tages ein heißer One-Night-Stand mit einem attraktiven Fremden zum Verhängnis wird: Eve wird für ihre Verfehlung mit dem Kainsmal gezeichnet und muss künftig auf Dämonenjagd gehen. Ihr neuer Boss, Abel Reed, ist unglaublich penibel und verboten sexy. Als wäre es noch nicht genug, dass Eve plötzlich Superkräfte entwickelt und sich Tag für Tag mit den schlimmsten Ausgeburten der Hölle herumschlagen muss, steht eines Tages auch noch Alec Cain vor ihrer Tür – Abels Bruder und der Mann, der einst Eves Herz gestohlen hat. Für Eve beginnt die aufregendste Zeit ihres Lebens. Und das liegt nicht nur an den Dämonen …

Eine atemberaubend schöne Dämonenjägerin und zwei sexy Brüder – so heiß war der Kampf zwischen Gut und Böse noch nie!

Sylvia Day

Verbotene

Frucht

Eves erster Fall

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der amerikanischen OriginalausgabeEVE OF DARKNESSDeutsche Übersetzung von Sabine Schilasky
Redaktion: Catherine BeckCopyright © 2009 by Sylvia DayCopyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.Covergestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-15281-9V003
Twitter: www.twitter.com/HeyneFantasySF

Instagram: @HeyneFantasySF

www.heyne.de

»… wenn du nicht recht tust,

lauert an der Tür die Sünde als Dämon.

Auf dich hat er es abgesehen,

doch du werde Herr über ihn!«

GOTTZU KAIN, BUCH GENESIS 4,7

1

Der Teufel steckt im Detail.

Evangeline Hollis verstand den wahren Kern dieser Redewendung erst jetzt, denn sie war von Tausenden Teufelslakaien umgeben. Manche trugen Baseballcaps der Seattle Seahawks, andere Trikots der San Diego Chargers. Und sie alle hatten aufwendige Tattoos, die Tribals ähnelten und verrieten, welcher verfluchten Spezies sie angehörten und welchen Rang sie in der Höllenhierarchie bekleideten. Für Evangeline sah es aus wie ein verdammtes Sünderfestival. Sie tranken Bier, stopften sich mit Nachos voll und schwenkten riesige Schaumstofffinger.

In Wirklichkeit war es ein Footballspiel im Qualcomm Stadion. Es war ein klassischer kalifornischer Sommertag: sonnig und warm, wobei die sechsundzwanzig Grad von einer herrlich kühlen Brise ausgeglichen wurden. Sterbliche mischten sich in seliger Ahnungslosigkeit unter die Höllenwesen und genossen die nachmittägliche Sportveranstaltung. Für Eve war es eine makabre Szene: Als würde sie hungrigen Wölfen zusehen, die sich neben Lämmern sonnten. Jede Begegnung zwischen ihnen musste zu Blut, Gewalt und Tod führen.

»Hör auf, an sie zu denken.«

Alec Cains tiefe, sinnliche Stimme jagte ihr einen Schauer durch den Leib, von dem sie sich allerdings nichts anmerken ließ. Über den Rand ihrer Sonnenbrille warf sie ihm einen reumütigen Blick zu. Dauernd sagte er ihr, dass sie ihre Beute ignorieren sollte, wenn sie nicht auf der Jagd waren. Als würden sich böse Feen, Dämonen, Magier, Werwölfe, Drachen und tausend andere Variationen desselben einfach ausblenden lassen.

»Da stillt eine Frau ihr Baby neben einem Inkubus«, murmelte sie.

»Angel.« Sein Spitzname für sie war wie ein sanftes Streicheln. Mit seiner Stimme konnte Alec sogar eine schlichte Wegbeschreibung zu einem Vorspiel machen. »Wir haben heute frei, schon vergessen?«

Sie atmete langsam aus und blickte zur Seite. Alec war knapp einen Meter neunzig groß, hatte eine breite Brust und einen straffen Bauch, dessen Muskelwölbungen sich durch das ärmellose weiße T-Shirt abzeichneten. Seine langen muskulösen Beine wurden von knielangen Dickies-Shorts betont, und seine Oberarme waren so wunderbar definiert, dass er von Männern wie Frauen bestaunt wurde.

Er war Eves Liebhaber – jedenfalls gelegentlich. Wie Schokolade war Alec köstlich und äußerst befriedigend, doch zu viel von ihm würde wie ein Zuckerschock wirken, der sie benommen und unruhig zugleich machte. Noch dazu hatte er ihr das Leben ruiniert, das sie früher mal gelebt hatte. Eigentlich hatte sie eine erfolgreiche Innenarchitektin werden wollen, keine Jägerin von Höllenwesen.

»Wäre es doch nur so einfach«, nörgelte Eve. »Wie soll ich Urlaub machen, wenn ich von Arbeit umzingelt bin? Außerdem stinken sie immer, auch wenn ich sie ignoriere.«

»Ich rieche nur dich«, raunte er, beugte sich zu ihr und strich mit seiner Nasenspitze über ihre Wange. »Mmh.«

»Ich finde es unheimlich, dass sie überall sind. Gestern war ich bei McDonald’s, und die Frau an dem Drive-in-Fenster war eine Fee! Ich konnte nicht mal meinen Big Mac essen.«

»Aber ich wette, du hast die Pommes verputzt.« Alec zog seine Sonnenbrille herunter und sah sie ernst an. »Es gibt einen Unterschied zwischen Wachsamkeit und Paranoia.«

»Ja, ich bin vorsichtig, aber nicht irre. Bis ich einen Ausweg aus dieser Sache mit dem Mal gefunden habe, versuche ich, das Beste draus zu machen.«

»Ich bin stolz auf dich.«

Eve seufzte. Alec als Mentor zu haben war eine richtig schlechte Idee, und das nicht bloß, weil es in den Augen der meisten Gezeichneten das Pendant zur Besetzungscouch in Hollywood bedeutete. Mit dem Unterschied natürlich, dass man sich auf der richtigen Besetzungscouch die Rollen erschlief, die man wollte, wohingegen niemand jemals das Kainsmal wollte.

Die Hierarchie der Gezeichneten fing unten bei den Neulingen an und endete oben mit Alec, dem ersten und gnadenlosesten Gezeichneten von allen. An ihm führte kein Weg vorbei. Und mit ihm arbeiten konnte man erst recht nicht. Er war der Inbegriff des einsamen Wolfs. Und dennoch war Eve hier, eine sechs Wochen junge Novizin, oben an der Spitze, weil er niemand anderem zutraute, auf sie aufzupassen. Und sie war ihm wichtig.

Die anderen Gezeichneten hielten es für eine Kaffeefahrt, mit Gottes oberstem Vollstrecker zu arbeiten. Auch wenn es stimmte, dass sich die Höllenwesen nicht mit Alec anlegten – es sei denn, sie wollten dringend draufgehen –, wurde es dadurch nicht leichter. Nun hatten es die Dämonen auf sie abgesehen, um ihm eins auszuwischen. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, war Alec inzwischen so lange gezeichnet, dass er völlig vergessen hatte, wie es sich anfühlte, neu und verwirrt zu sein. Es gab Dinge, von denen er schlicht erwartete, dass Eve sie wusste, und er wurde ungehalten, wenn er begriff, dass sie keinen Schimmer hatte.

Er drückte ihre Hand. »Was ist aus der Frau geworden, die alles für ein paar Stunden vergessen wollte?«

»Die wurde entführt und beinahe in Fetzen gesprengt.« Eve stand auf. »Bin gleich wieder da. Ich muss mal für kleine Mädchen.«

Alec ergriff ihr Handgelenk, und sie sah ihn fragend an.

»Angel«, sagte er und küsste ihren Handrücken. »Wenn ich dir sage, hör auf, an sie zu denken, dann nicht, weil ich möchte, dass du in einer Fantasiewelt lebst. Ich möchte nur, dass du das Gute um dich herum wahrnimmst. Du hast eine stillende Mutter gesehen, aber nicht erkannt, was für ein Wunder dieser Anblick ist, weil du zu sehr auf den Dämon neben ihr fixiert warst. Gib ihnen nicht die Macht, dir den Tag zu ruinieren.«

Stirnrunzelnd ließ Eve seine Worte sacken und nickte. Alec lebte seit Anbeginn der Zeit mit dem Mal und konnte immer noch die Wunder sehen; da könnte sie es eigentlich auch probieren.

»Ich bin gleich zurück«, entgegnete sie.

Er ließ sie los. Nachdem sie sich an den anderen Zuschauern vorbei bis zum Aufgang gedrängt hatte, sprintete Eve die breite Betontreppe hinauf. Die Geschwindigkeit, Kraft und Beweglichkeit, die mit dem Brandmal an ihrem Oberarm einhergingen, versetzten sie nach wie vor in Staunen. Eve war schon vorher sportlich gewesen, aber jetzt war sie Supergirl. Na ja … fliegen konnte sie nicht. Aber sie konnte richtig hoch springen. Außerdem konnte sie im Dunkeln sehen und durch verriegelte Türen preschen – auch wenn sie diese Talente früher nie für notwendig oder wünschenswert gehalten hätte.

Eve erreichte den breiten Gang unter den Tribünen und folgte den Schildern zu den Toiletten. Dort reichte die Schlange bis vor die Tür. Zum Glück war es bei Eve nicht dringend. Sie hatte vor allem für eine Weile von ihrem Platz weg gewollt.

Also wartete sie geduldig, die Hände in den Taschen und auf ihren Flipflops wippend. Hin und wieder ging ein Windstoß durch den Gang, der an Eves Pferdeschwanz zurrte. Der Wind trug den beißenden Gestank des Bösen und von verrotteten Seelen mit sich, bei dem sich Eve der Magen umdrehte. Er lag irgendwo zwischen Verwesung und frischen Exkrementen; umso verwunderlicher war es, dass die Ungezeichneten es nicht riechen konnten.

Wie hatte Eve achtundzwanzig Jahre ihres Lebens vollkommen ahnungslos sein können? Und wie hielt Alec es seit Jahrhunderten mit diesem Wissen aus?

»Mom!« Der kleine Junge vor Eve überkreuzte die Beine und zappelte wie wild. »Ich muss ganz doll!«

Dass die Frau aussah, als könnte sie die große Schwester des Jungen sein, erstaunte Eve nicht weiter. Viele Frauen in Südkalifornien alterten nicht. Sie wurden lediglich zu künstlichen Karikaturen ihres jugendlichen Ichs. Diese war blondiert und perfekt sonnengebräunt, mit Brüsten, die eine Nummer zu groß für ihre zierliche Gestalt waren. Dazu hatte sie wulstige, glänzende Lippen.

Die Mutter blickte sich um.

»Lass mich aufs Jungsklo gehen«, flehte ihr Sohn.

»Da kann ich nicht mit dir reingehen.«

»Ich bin auch ganz schnell fertig!«

Eve schätzte den Jungen auf sechs Jahre, alt genug, um allein pinkeln zu gehen. Trotzdem verstand sie die Sorge der Mutter. In Oceanside, unweit von hier, war ein Kind in einer öffentlichen Toilette ermordet worden, während seine Tante draußen gewartet hatte. Der Dämon, der den Horror inszenierte, hatte den ältesten Trick von allen benutzt – vorgegeben, Gott zu sein.

Die hilflose Mutter zögerte eine Weile, ehe sie nickte. »Aber beeil dich. Und die Hände kannst du hier in der Damentoilette waschen.«

Der Junge rannte an den Trinkbrunnen vorbei in die Herrentoilette. Eve lächelte seiner Mom mitfühlend zu. Die Schlange bewegte sich schrittweise vorwärts. Zwei Teenager stellten sich hinter Eve an. Sie waren nach der vorherrschenden Mode gekleidet: zwei Trägershirts übereinander zu Jeans, die tief auf den Hüften saßen. Teures Parfüm umwaberte sie, was inmitten des Gestanks nach Verwesung einer Erlösung gleichkam.

»Warum ist die Schlange so lang?«, fragte das Mädchen hinter Eve.

Eve zuckte mit den Schultern, doch die Frau vor ihr antwortete: »Weil die Toilette da hinten«, sie zeigte mit ihrem französisch manikürten Fingernagel nach links, »wegen Reparatur geschlossen ist.«

Prompt begann das Mal, das in Eves Deltamuskel eingebrannt war, zu schmerzen. Sie seufzte und ging beiseite. »Du kannst meinen Platz haben. Bei mir ist es nicht so dringend.«

»Danke«, antwortete der Teenager.

Eve wandte sich nach links und murmelte: »Toller Urlaub.«

»Dir war doch sowieso langweilig, Babe«, schnurrte eine vertraute Stimme.

Als Eve zur Seite blickte, gesellte sich Reed Abel zu ihr, dessen teuflisches Lächeln nicht einmal erahnen ließ, dass er hin und wieder gern seine Flügel und den Heiligenschein zeigte, um Leute zu erschrecken. Er war ein Mal’akh, doch insgesamt hatte Alecs Bruder wenig Engelhaftes an sich.

»Was nicht heißt, dass ich unbedingt Arbeit will.« Reed war dafür zuständig, ihr die Aufträge zu überbringen, was Eves Meinung nach nur ein fieser Trick war. Warum Gott Zwietracht zwischen den beiden zuließ, ja, sogar noch förderte, war ihr schleierhaft.

»Wir könnten diesen Taco-Stand sprengen«, schlug er vor. »Ein bisschen heißen Spaß haben.«

Diese Einladung würde sie nicht einmal mit einer langen Kneifzange annehmen. Wie sein Bruder wirkte auch Reed fast gleichermaßen anziehend wie abstoßend auf Frauen. »Machst du Witze über den Auftrag? Brauchst du mich für irgendwas Echtes, oder was?«

»Früher fandst du das echt genug?« Er zwinkerte anzüglich.

Eve knuffte ihn. »Jetzt hör schon auf! Ich weigere mich, das neueste Spielzeug zu sein, um das du dich mit deinem Bruder zankst. Such dir was anderes, womit du spielen kannst.«

»Ich spiele nicht mit dir.«

Da schwang eine ernste Note in seinem Ton mit, die Eve absichtlich nicht beachtete. Allerdings merkte ihre weniger misstrauische Seite auf.

»Die Toilette?«, fragte sie, als sie das gelbe »Außer Betrieb«-Schild sah.

»Ja.« Er packte ihren Arm und zog sie näher. »Raguel meinte, es wäre Zeit, dein Training auszuweiten. Ich gehe Cain holen.«

Raguel war der Erzengel, der die Weisungsbefugnis über sie hatte. Er war der Kautionsbürge, Reed der Einteiler, und sie war die Jägerin. Größtenteils lief das System wie geschmiert, für Eve jedoch von Anfang an holprig.

Sie schnupperte in die Luft. Der beißende Gestank der Höllenwesen bewirkte, dass sie die Nase rümpfte. »Wirklich, das ist, als würde man eine Medizinstudentin an ihrem ersten Tag in eine Gehirn-OP schicken.«

»Dir sind deine eigenen Stärken noch nicht vertraut, Babe.«

Sie wurde wütend. »Ich weiß aber sehr wohl, wann ich verarscht werde.«

»Bisher war bei dir jeder Wurf ein Treffer. Hier geht es um einen Wolf, und bei denen bist du gut. Sei aber trotzdem vorsichtig.«

»Du hast gut reden! Du bist es ja nicht, der seinen Hals riskiert.«

Er drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. »Deinen zu riskieren reicht, glaub mir.«

Eve ging um das gelbe Schild herum in die Herrentoilette und bereute sofort, dass sie ihre Lieblings-Flipflops trug. In ihrem »Job« hatte sie sich angewöhnt, nur noch in Kampfstiefeln aus dem Haus zu gehen, aber Alec hatte sie überredet, heute auf Freizeitkleidung umzuschwenken. Sie hätte nicht auf ihn hören dürfen.

Der Ammoniakgeruch von abgestandenem Urin biss ihr in die Nase. Ihr Zielobjekt zu finden, war nicht weiter schwer, denn er stand mitten im Raum. Allein. Ein Teenager-Werwolf, der Eve unheimlich vertraut war.

»Kennst du mich noch?«, fragte er lächelnd.

Der Junge war groß und dünn, mit einem länglichen Allerweltsgesicht. Er trug ein schmutziges graues Kapuzenshirt, und seine Jeans hing so tief, dass oben sein Hintern rauslugte. Ein dunkler Fleck bewegte sich über seine Wange und verharrte oben auf dem Knochen. Seine Züge verwirbelten in einem Rautenmuster. Wie das Mal auf Eves Arm, diente auch das sozusagen als Rangabzeichen.

Die Erinnerung traf Eve wie ein Schlag, gefolgt von einem eisigen Schauer, der ihr über den Rücken lief. »Solltest du nicht mit deinem Rudel im Norden sein?«

»Der Alpha hat mich hier runtergeschickt, damit ich den Punktestand ausgleiche. Er findet, dass Cain lernen muss, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt.«

»Sein Sohn war nicht zu retten«, erwiderte sie. »Und Cain sucht sich seine Beute nicht aus. Er bekommt seine Befehle.«

»Nein, er hat einen Deal gemacht. Für dich. Und er hat sein Versprechen gebrochen.«

Eve runzelte die Stirn. Einen Deal hatte Alec nie erwähnt – aber das würde sie später klären. Jetzt drängte eine andere Frage. »Glaubst du, dass du allein mit mir fertigwirst?«

Sein Lächeln wurde zu einem hämischen Grinsen. »Ich habe einen Freund mitgebracht.«

»Super.« Das war nie gut.

Die Tür zur extrabreiten Kabine hinten flog auf, und etwas vollkommen Scheußliches stürmte heraus. Ach du Schande! Bei einem Höllenwesen dieser Größe hätte der Gestank eigentlich auf mehrere Meter unerträglich sein müssen. Stattdessen roch Eve nur Wolf.

Der Drache hatte sich erst teilweise gewandelt. Er trug noch seine Hose und die Schuhe, und sein Kopf war noch von dunklem Haar bedeckt. Aber der Mund war bereits zu einem langen Maul mit messerscharfen Zähnen geworden, die Augen waren die einer Echse, und die sichtbaren Hautstellen waren mit bunten Schuppen bedeckt.

»Du riechst lecker«, knurrte er.

Eve hatte schon gehört, dass Gezeichnete für Höllenwesen eklig süß rochen, was sie fast lachhaft fand, denn so etwas wie einen süßen Gezeichneten gab es nicht. Das Mal war ausnahmslos bitter. »Du riechst nach gar nichts.«

Wir haben versagt, wurde ihr erschreckend klar. Die Höllenwesen konnten sich nach wie vor unerkannt in der Menge verstecken.

»Genial, oder?«, fragte der Wolf. »Wie es aussieht, habt ihr uns doch nicht vollständig ausgeschaltet.«

Der Drache brüllte furchterregend und so ohrenbetäubend, dass der kleine Waschraum unter dem Hall vibrierte. Doch Sterbliche konnten es nicht hören, und Eves Trommelfelle waren, trotz ihrer himmlischen Sensibilität, unverwüstlich. Der Drache schob den Wolf beiseite und stampfte auf Eve zu.

»Das ist wohl das Zeichen, dass ich gehen soll«, sagte der Junge. »Ich grüße den Alpha von dir.«

Eves Blick blieb auf ihren Gegner gerichtet. »Ja, richte ihm aus, dass er sich mit der Falschen angelegt hat.«

Der Wolf lachte und verschwand. Das hätte Eve auch gern getan.

Sie mochte sich frech geben, doch die Situation überforderte sie. Wäre sie zu körperlichen Stressreaktionen fähig, würde sie hyperventilieren, und ihr Herz würde rasen. Und zweifellos würde es ihr elend gehen, wenn das hier vorbei war – sofern sie dann noch lebte. Ein frommer Mensch hätte jetzt gebetet, dass Alec bald kam, doch das war keine Option für Eve. Der Allmächtige tat, was er wollte, und damit basta. Gebete sollten bloß dem Betenden das Gefühl vermitteln, er wäre nicht untätig. Eve kamen sie eher wie vergeudete Atemluft vor.

»Wo ist Cain?«, knurrte der Drache und kam schwankend auf sie zu. »Sein Gestank klebt an dir.«

»Er sieht sich das Spiel an, was du auch tun solltest.« Eve konnte nicht riskieren, ihm zu sagen, dass Alec kam. Dann würde er sie wahrscheinlich rasch umbringen und fliehen. In seiner Sterblichen-Tarnung und ohne verräterischen Geruch könnte er direkt an Alec vorbeilaufen. Glaubte der Drache hingegen, er hätte Zeit, spielte er vielleicht mit ihr. Höllenwesen waren ziemlich verspielt.

»Ich brauche einen Snack.« Seine Stimme war so kehlig, dass Eve Mühe hatte, ihn zu verstehen. »Und du wirst es tun.«

»Hast du es mal mit Nachos probiert?«, schlug sie vor und ballte die Fäuste. Tief in ihrem Innern bündelte sich Energie, dazu Hunger und Aggressivität. Es waren primitive, animalische Regungen, so ganz und gar nicht die elegante Form von Gewalt, von der sie erwartet hätte, dass Gott sie gegen seine Gegner einsetzte. Der Kraftschub war brutal … und machte süchtig. »Die Chips sind ein bisschen pappig, und der Käse kommt aus der Dose, aber alles in allem sind sie weit ungefährlicher für dich.«

Er schnaubte, wobei Flammen aus seinen Nüstern stoben. »Ich habe schon von dir gehört. Du bist keine Gefahr für mich.«

»Ach nein?« Sie neigte den Kopf zur Seite und tat überrascht. Dämonen nutzten Sarkasmus, Ausflüchte und Lügen zu ihrem Vorteil. Das tat Eve ebenfalls. »Wann hast du denn dein letztes Update über mich bekommen? Gibt es in der Hölle einen Newsletter? Einen Chatroom? Sonst hinkst du vielleicht ein bisschen hinterher.«

»Du bist frech. Und blöd. Denkst du etwa, die Nummer in Upland hat dich zur Heldin gemacht? Das Höllennetzwerk ist wie eine Hydra, Schlampe. Du schlägst einen Kopf ab, und zwei neue wachsen nach.«

In Eves Bauch bildete sich ein Eisklumpen. »Noch mehr abzuschlagen«, brachte sie mit dem Anflug eines Zitterns heraus.

Der Drache hob seine Hände. Während dicke, scharfe Krallen aus seinen Fingerspitzen sprossen, geiferte er, und Sabber rann aus seinem offenen Maul. »Du bist ein Baby. Also müsstest du saftig und zart sein.«

»Ein Baby?«, wiederholte sie spöttisch und widerstand dem Drang zurückzuweichen. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich die letzten sechs Wochen durchgemacht habe? Dieser Job setzt ganz schön Aggressionen bei mir frei.«

Eve stellte die Beine etwas weiter auseinander, erhob die Fäuste und holte tief Luft. Das würde gleich wehtun. »Willst du dich selbst überzeugen?«

Die Brust des Drachen weitete sich beim Einatmen, und er veränderte sich, bis er seine natürliche Reptilienerscheinung vollständig eingenommen hatte. Nun überragte er sie deutlich und musste den Kopf auf seinem langen Hals neigen, um nicht gegen die Decke zu stoßen. Er war eine schöne Kreatur mit schimmernden Schuppen und geschmeidiger Gestalt. Das Problem war nur, dass die schöne Haut wie Zement war. Jeder Versuch, ihn zu treten oder zu schlagen, würde nur massive Schmerzen verursachen – bei ihr, nicht bei ihm.

Ihre Haut ist so gut wie unverwundbar, hatte Raguel ihr im Grundkurs über Drachen beigebracht. Schwachpunkte sind die Netzhäute zwischen den Zehen, die Gelenke zwischen Vorderfüßen und Rumpf, die Augen und das Rektum. An Ersteren kann man ihnen keine tödlichen Wunden zufügen, Nummer zwei und drei erfordern, so nahe an sie heranzukommen, dass man getötet werden könnte, und das vierte … tja, wie die Jugendlichen so gern sagen: Das will man sich bestimmt nicht geben.

Eve streckte eine Hand aus und bat um eine Klinge. Ein Schwert erschien und schwebte in der Luft, brennend bis zum Heft. Feuer. Höllenfeuer, Himmelsfeuer und Feuer aus den Drachennüstern zwangen sie, einen Satz zurück zu machen, damit sie nicht versengt wurde.

Die sind doch alle verkappte Pyromanen!

Hätte sie eine Wahl, würde sie ihren Revolver vorziehen. Aber der Allmächtige zog nun mal das Flammenschwert vor. Man konnte wahrlich nicht behaupten, Gott läge der Sinn fürs Dramatische fern. Er kannte seine Stärken, und ein bisschen Budenzauber zur Einschüchterung gehörte definitiv zu ihnen.

Der Drache lachte … oder gurgelte oder prustete, wie immer man das nennen wollte. Er war nicht beeindruckt. Dass er es vielmehr amüsant fand, machte Eve nervös, und sie drehte ihr Handgelenk, wobei sie das Gewicht des Schwerts nutzte, um sich fit zu machen. Anfangs war sie die erbärmlichste Fechterin in ihrem Kurs gewesen. Inzwischen hielt sie sich recht passabel und wurde mit jedem Tag besser.

»Du hast mich verfehlt«, reizte sie den Drachen und verzog das Gesicht, als ihre Flipflops am schmierigen Fußboden festklebten. Ganz miese Schuhwahl!

Eines der vielen Dinge, die sie gelernt hatte, seit ihr dieser Job aufgebrummt worden war, war, dass man die eigenen Schwächen tunlichst überspielte. Ihre Gegner konnten ihre Angst riechen und ergötzten sich daran. Sie mit ein wenig Überheblichkeit zu täuschen war manchmal die einzige Methode, um sich einen winzigen Vorteil zu verschaffen.

Der Drache stapfte einen Schritt auf sie zu. Seine Krallen bohrten sich in den Fliesenboden, der unter seinem massigen Leib erbebte. Die Flammen heizten den Raum auf, doch Eve schwitzte nicht. Das konnte sie gar nicht, denn ihr Körper war neuerdings ein Tempel.

Die Bestie brüllte scheußlich auf und schwang ein kurzes Vorderbein nach ihr. Auf ihren ausweichenden Sprung hin schlug der Drache mit dem Schwanz aus, an dessen Spitze eine dicke, harte Schuppe prangte. Die krachte nun in die Stelle, an der Eve vorher gestanden hatte, und sie stolperte mit einem Aufschrei aus dem Weg. Als der Drache die Schwanzspitze wieder aus dem Boden zog, sprühte Keramikstaub in alle Richtungen.

Eve rannte an ihm vorbei, und er drehte sich um, sodass sein fliegender Schwanz mehrere Waschbecken aus der Wand riss. Eve preschte an seine Seite, wo es ihr gelang, eine seiner Schuppen mit einem schnellen Schwerthieb loszuschlagen.

Er demolierte die Toilette, und sie verpasste ihm einen Papierschnitt.

»Dämliche Fotze!«, grölte das Monster. Es schien gar nicht mitzubekommen, dass Unmengen Wasser aus den geborstenen Rohren schossen. Der unendliche Hass und die Bosheit in den Reptilienaugen bestärkten die Härte in Eves Seele, die sie langsam, aber dauerhaft veränderte.

Eves Zorn überwog ihr Entsetzen. Mit Höllenwesen wie diesem Typen sollten es weit fortgeschrittenere Gezeichnete aufnehmen. Und hätte er sein Wesen und seinen Geruch nicht so gut verborgen, würde Eve jetzt nicht gegen ihn kämpfen.

Sie steckte mächtig in der Klemme. Und sie hatte es verdammt satt, dauernd durchnässt zu werden. Jedes Höllenwesen, dem sie begegnete, war offenbar von dem Ehrgeiz besessen, sie mit möglichst viel Wasser zu begießen.

»Reed.« Ihre Stimme war nicht ihre eigene; sie war tiefer und leiser. Das war die Sprache der Gezeichneten, auch bekannt als »Herold«, instinktiv und für Höllenwesen komplett unverständlich. »Beeil dich. Ich habe Probleme.«

Eine warme Sommerbrise wehte über sie hinweg: Reeds Antwort.

Den freien Arm ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten, begann Eve, anzutäuschen und zu parieren. Dabei hielt sie ihren Oberkörper halb seitlich, sodass er ein schmaleres Angriffsziel bildete. Als ein neuer Flammenschwall aus den Drachennüstern blies, duckte sie sich hinter ihr Schwert. Er verbrannte Eve den Handrücken, und sie schrie auf. Die Wunde würde gleich wieder heilen, was jedoch den Schmerz bis dahin nicht erträglicher machte.

Eve fiel zurück, stolperte über zerbrochene Fliesen und schluchzte, als eine spitze Keramikscherbe die Sohle ihres Flipflops durchbohrte und tief in ihre Ferse schnitt. Unangenehme Wärme und die nun rutschige Innensohle verrieten, dass Eve Blut verlor. Der Drache brüllte triumphierend, als er ihre Wunden roch, und schnappte mit seinen messerscharfen Zähnen nach ihr.

Sie würde nicht in diesem Herrenklo sterben. Auf keinen Fall!

»Wie tief die Mächtigen doch gefallen sind«, raunte Alec.

Vor Erleichterung stieß Eve einen stummen Schrei aus, duckte sich, als der Bestienschwanz auf sie zugeschnellt kam, und linste an dem massigen Körper vorbei.

Alec lehnte mit verschränkten Armen in der offenen Tür. Er sah entspannt und ein bisschen gelangweilt aus, aber in seinen Augen lag eine entsetzliche Dunkelheit, als er Eve ansah. Sie war seine einzige Schwäche, eine Verwundbarkeit, die er um jeden Preis verbergen wollte.

»Cain«, knurrte der Drache und nahm eine wachsame Haltung ein.

»Damon? Du warst doch früher mal ganz oben, ein Höfling bei Asmodeus.« Alec schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Und jetzt kannst du nur noch Anfänger erschrecken?«

»Hey«, protestierte Eve. »Verglichen mit der Toilette, halte ich mich gut!«

Die Tatsache, dass ihr Gegner ihr den Rücken zugekehrt hatte und darin offenbar keinerlei Gefahr zu sehen schien, ärgerte Eve allerdings. Was sollte sie denn verdammt noch mal tun, um sich etwas Respekt zu verschaffen?

Ihr Frust verdrängte die Angst, bis nur noch wütende Entschlossenheit blieb. Eve bewegte sich zur linken Seite des Drachen, sprang so hoch, wie es der Raum erlaubte, und verlagerte ihr gesamtes Gewicht in den Schwerthieb nach unten. Sie stach in die weiche Falte, die sein kurzes Vorderbein mit dem Rumpf verband, und trennte es sauber ab. Das Vorderglied plumpste mit einem dumpfen Aufprall zu Boden. Dunkelrotes Blut spritzte aus der offenen Wunde und vermengte sich mit dem Wasser, das nach wie vor aus den abgebrochenen Rohren sprühte.

Der Drache heulte, fuhr herum und schlug Eve zu Boden. Sie robbte rückwärts durch den ekligen See auf den Fliesen. Der Drache konterte mit einem Flammenschwall. Das Höllenfeuer hüllte Eve ein, versengte ihr Haar und ihre Haut von oben bis unten und brachte die Flut auf dem Boden zum Brodeln. Der Schmerz war so überwältigend, dass Eve keinen Laut herausbekam, und als die Flammen abrupt erstarben, hoffte sie nur noch auf einen schnellen, erlösenden Tod.

In den sie jedoch nicht allein gehen würde.

Aufgeputscht vom Adrenalin und der Wut einer Frau, die ihr Leben gründlich satthatte, rappelte sich Eve hoch. Sie stürzte sich auf Brust und Bauch der Bestie, wo sie sich mit einer Hand verzweifelt an die Schuppen klammerte. Der Kontakt zwischen dem harten Echsenpanzer und ihrer verbrannten Haut war so übel, dass sie aufschrie und um ein Haar ihr Schwert verlor.

Alec war vor ihr dort, schlang einen Arm um den Drachenhals und bohrte die Finger der anderen Hand in die Augen. Der Drache wand sich und kreischte, warf seinen Hals hin und her, panisch bemüht, seine Angreifer abzuschütteln.

Während Eve ihre Klinge in die Wunde stach, wo sie das Vorderbein abgetrennt hatte, fühlte sie riesige Krallen in ihrem Rücken. Sie krümmte sich und trieb ihre Waffe das letzte Stück hinein, um das Drachenherz zu durchbohren.

Die Bestie heulte auf und explodierte in einer gigantischen Wolke aus weißer Glut.

Eve krachte zu Boden, gelähmt von ihren Verletzungen. Dort lag sie keuchend und blinzelnd inmitten des Abgesangs aus den sprudelnden Rohren.

Zunächst nahm sie das Wummern von Schritten im Wasser wahr, bevor Alec bei ihr war und sie vorsichtig auf seinen Schoß hob.

»Angel …« Seine Hände zitterten, während er behutsam ihre ruinierte Haut berührte. »Wag es ja nicht, mir wegzusterben, verstanden? Ich habe dich gerade erst zurück, verdammt!«

»Alec.« Sie versuchte, die Augen zu öffnen, was sie aber mehr Kraft kostete, als sie übrig hatte. Zuckungen setzten ein, die sie durchschüttelten und ihre Zähne klappern ließen. Der leicht chemische Geruch des Leitungswassers vermischte sich mit dem nach Asche, Dämon und Blut. Ihrem Blut.

Endlich konnte sie riechen und schmecken, wie süß es war.

»Ich bin hier«, sagte Alec mit brüchiger Stimme. »I-ich bin hier.«

»Das war der Alpha.«

»Wie bitte?«

»Der Alpha. Er wollte … sein Sohn … er hat versucht …«

»Schhh. Nicht reden, Angel.« Eine heiße Träne tropfte auf ihre brennende Haut, dann noch eine. »Schone deine Kräfte.«

»Etwas haben wir in Upland übersehen«, flüsterte sie und versank in tiefer Dunkelheit. Der Schmerz ließ nach, die Angst schwand. »Du musst zurück … Wir haben etwas übersehen …«

2

Sechs Wochen zuvor …

In dem Moment, als ihr Blick seinem begegnete, wusste Eve, dass sie eine stürmische und extrem kurze Affäre haben würden.

Seine Schulter streifte ihre, als er an ihr vorbeiging. Der Duft seiner Haut hing noch für einen köstlichen Moment in ihrer Nase, und sie erschauerte. Vor Vorfreude ging ihr Puls schneller. Sie kannte seinen Namen nicht, nein, sie kannte ihn nicht, aber der Wunsch, diesen gut aussehenden Fremden mit nach Hause zu nehmen, war übermächtig und unwiderstehlich.

Eine winzige Stimme in ihrem Hinterkopf ermahnte sie, vorsichtig zu sein, und sagte ihr, sie solle es langsam angehen. Es sich lieber zweimal überlegen. Sie war keine Frau, die sich auf schnellen Gelegenheitssex einließ; die war sie nie gewesen. Doch ein Blick, und ihre Lust hatte sie schier überwältigt.

Sein Gesicht … Gott, er hatte eine solche Ähnlichkeit mit Alec Cain, dass sie Brüder sein könnten: glatter Olivteint, pechschwarzes Haar und mokkabraune Augen. Wandelnde Sinnlichkeit. Obwohl zehn Jahre vergangen waren, seit die Nacht mit Alec alle anderen Männer uninteressant gemacht hatte, bezweifelte Eve, dass er sich sonderlich verändert hatte. Männer wie Alec wurden mit dem Alter nur besser.

Der Mann, der eben an ihr vorbeigegangen war, hatte dieselbe gefährliche Aura von mühsam gebändigter Kraft. Diese Ausstrahlung von jemandem, der sich kaum zügeln konnte. Der Armani-Anzug an seiner großen, muskulösen Gestalt betonte nur jene primitiven Züge, nach denen sich Eve verzehrte. Die animalische Anziehung war so intensiv, dass sich ihr Herzschlag beschleunigte und ihr Bauch verkrampfte.

Ihre Absätze schlugen einen Stakkato-Rhythmus auf dem golden geäderten Marmorboden. Irgendwo tief in ihrem Innern schrillten Alarmglocken. Ihr kam es beinahe vor, als würde sie fliehen, als wären der Anblick und Geruch eines dominanten männlichen Wesens etwas, vor dem sie sich fürchten musste. Dabei waren gewisse Teile von ihr alles andere als verängstigt.

In der weiträumigen Eingangshalle des Gadara Tower wimmelte es von geschäftigen Leuten. Das stete Raunen der diversen Unterhaltungen und das Sirren der gläsernen Aufzüge konnten Eves schnellen Atem nicht übertönen. Fünfzig Etagen über ihr ließ die gläserne Decke natürliches Licht ins Atrium, und die Reflexion des Sonnenlichts auf seinem dichten schwarzen Haar hatte Eve gleich auf den mysteriösen Fremden aufmerksam gemacht. Die sanfte Wärme von oben sorgte zusammen mit der üppigen Vegetation in den großen Pflanzkübeln für eine leichte, sinnliche Schwüle.

Alles zusammen bewirkte, dass Eve erregt war. Ziemlich überhitzt sogar. Ein Blick auf den verführerischen Fremden hatte ein dunkles, ungekanntes Verlangen in ihr entfacht, und das setzte ihr ganz schön zu. Seit sie den Gadara Tower betreten hatte, empfand sie eine seltsame Unruhe, als hätte sie zu viel Kaffee getrunken. Und da sie nicht zu Nervosität neigte, fühlte sie sich schlicht nicht wie sie selbst. Sie wollte dringend nach Hause und ein heißes Bad nehmen.

Eves Hände zuckten und umfassten ihr Lederportfolio fester. Sie waren verschwitzt und glitschig. In der Mappe steckten zwölf ihrer besten Zeichnungen; sie waren der Grund, weshalb Eve hier war. Raguel Gadara wollte sein Immobilienimperium vergrößern, und Eve gehörte zu den wenigen Innenarchitektinnen, die er als Bewerber ausgewählt hatte. In der Präsentation steckte Eves Herzblut, und sie war sicher gewesen, dass sie das Gebäude mit dem Auftrag in der Tasche verlassen würde. Stattdessen hatte sie zwanzig Minuten lang am Empfang gewartet, bevor man ihr sagte, dass Mr. Gadara den Termin verschieben müsse. Eve verstand die Botschaft: Ich habe die Macht und bestimme, du nicht.

Da blühte Gadara noch eine heftige Lektion von Eve Hollis: Sie hatte die Macht, einen Auftrag anzunehmen oder nicht, und sie würde ganz sicher nicht für einen Mann arbeiten, der gern Machtspielchen veranstaltete. Er hatte es sich soeben mit der allerbesten Innenarchitektin des Landes verscherzt.

Zu sagen, sie wäre furchtbar enttäuscht, wäre maßlos untertrieben. Sie hatte sich mit vollem Elan auf die Chance gestürzt, Gadara als Kunden zu gewinnen. Seit Wochen schon war sie deshalb ganz aus dem Häuschen und voller Erwartung – wie eine Achterbahn direkt vor dem Steilhang, bereit loszurasen. Und jetzt fühlte sie sich, als wäre ihr Wagen gähnend langsam zum Eingang zurückgerollt.

Die Aufzüge zur Tiefgarage lagen vor ihr, und Eve ging schneller. Dann bemerkte sie eine grau gestrichene Tür mit der Aufschrift »Treppenhaus«.

Etwas trieb sie in die Richtung, als wäre sie nur Beifahrerin in ihrem eigenen Körper, der von jemand anderem gelenkt wurde.

Ihre Hand hatte die Türklinke kaum berührt, da war der mysteriöse Mann direkt hinter ihr, seine Brust an ihrem Rücken, und schob sie in das stickige Treppenhaus. Drinnen wurde sie grob umgedreht und an die zufallende Tür gedrückt, sodass sie eingesperrt waren. Ihr kostbares Portfolio fiel auf den Estrichboden und war sofort vergessen.

»Oh!« Ihr Herz stotterte und wechselte den Takt von Furcht zu purem Verlangen. Sie bog den Kopf nach hinten, als der Mann an ihrem schmalen Hals leckte und saugte, seinen viel größeren Körper über ihren gebeugt. Der würzige Duft seiner Haut berauschte ihre Sinne und wirkte auf sie wie ein sehr starkes Aphrodisiakum. Ihre Hände glitten unter sein Jackett und streichelten seinen straffen Rücken. Er war heiß, ja, seine Haut brannte förmlich. Und er presste sich so dicht an sie, dass ihr der Schweiß ausbrach.

Seine linke Hand umfing ihre Brust durch Seide und Spitze, drückte und knetete die schmerzlich geschwollene Rundung. Mit der rechten Hand packte er den Saum ihres Bleistiftrocks und riss ihn nach oben. Ein lautes Ratschen verriet, dass der Schlitz nachgegeben hatte.

»Langsam«, flehte sie, obwohl sie mit jeder Sekunde erregter wurde. »I-ich mache solche … Sachen eigentlich nicht.«

Er ignorierte sie, umfasste ihren Oberschenkel und zog sie dichter an sich. Eve spürte seine Erektion groß und hart an ihrem Bauch und erschauerte. Es war lange her, dass sie Sex gehabt hatte. Zu lange. Sie war ausgehungert, und als er zwischen ihre Beine fasste, musste er spüren, wie bereit sie war.

»Verführerin«, raunte er. Seine Stimme klang aggressiv. Er zerfetzte ihren Tanga und ließ die Stoffstücke auf den Boden fallen. Dann wich er gerade lange genug zurück, um sein Jackett abzustreifen. »Mach meinen Reißverschluss auf.«

Es war ein Befehl.

Linkisch öffnete Eve seinen Gürtel. Seine starken Finger rieben zwischen ihren Beinen, glitten durch die Feuchtigkeit dort. Die Hand an ihrer Brust war sanfter, und sein Daumen strich über ihren aufgerichteten Nippel. Eve wimmerte und spreizte die Beine weiter. Sie konnte nichts gegen ihre Lust tun.

Dann fiel ihr ein monotones Brummen auf. Ein rascher Blick nach oben bestätigte ihren Verdacht: Eine Sicherheitskamera war auf sie gerichtet, und das rote Blinklicht unter der runden Linse verriet, dass sie lief.

Eve wurde feuerrot vor Scham und fragte sich, wie sie mit ihrem knielangen Rock, der sich an ihrer Taille bauschte, aussehen mochte. Vermutlich wie eine Schlampe.

Was war denn nur in sie gefahren? So etwas hatte sie noch nie zuvor getan.

Aber sie fühlte sich wunderbar, trotz ihrer Verblüffung. Der Mann, der sie an Alec Cain erinnerte, setzte genau die richtigen Reaktionen in ihr in Gang. Jene, die ihre innere Moralpolizei außer Gefecht setzten.

»Beeil dich«, knurrte er.

Seine raue Stimme ließ Eve zusammenzucken, und sie widmete sich wieder ihrer Aufgabe. Irgendwie gelang es ihr, seinen Gürtel aufzuziehen und ihm die Hose zu öffnen. Für einen Moment hing der Bund noch lose an seinen Hüften, ehe er nach unten an die Knöchel rutschte. Als Eve sein Hemd nach oben zog, stellte sie fest, dass er keine Unterwäsche trug. Er war groß und bereit.

»O Gott«, hauchte sie, und vor lauter Vorfreude und Lust zogen sich ihre Schoßmuskeln zusammen.

»Ja«, raunte der Mann, bevor er die Hände hinten an ihre Schenkel legte und Eve mühelos hochhob. »Er weiß Bescheid.«

»Kondom?«, japste sie.

Er sah sie an. Sein Blick war dunkel und intensiv, voller mysteriöser Geheimnisse und gefährlichem Verlangen. Vor Gier und Angst musste Eve keuchen.

»Schhh«, befahl er und streifte ihre Lippen mit seinen. Sie spürte, wie sich die Muskeln an seinem Hintern und seinen Oberschenkeln anspannten.

Dann stieß er tief in sie hinein.

Vor Schmerz und Erregung schrie sie auf. Er ließ ihr keine Zeit nachzudenken, sich zu rühren oder zu wehren. Stattdessen verfiel er sofort in einen harten, hämmernden Rhythmus und brachte sie direkt zum Höhepunkt. Eve wand sich schluchzend vor Wonne und erbebte in seinen Armen. Doch er machte weiter, stieß in sie hinein, streichelte sie und katapultierte sie gleich in den nächsten heftigen Orgasmus. Und danach in den dritten.

»Aufhören«, bettelte sie und stemmte sich schwächlich gegen seine Schultern. »Ich kann nicht mehr!«

Er hielt sie mit einem Arm unter ihrem Hintern und zerrte an ihrer Bluse, dass die kleinen Perlmuttknöpfe über den Boden und die Stufen hinunterflogen. Der Mann entblößte ihre Schulter und beobachtete, wie sie kam und sich ihr Körper unter dem Orgasmus nach vorn wölbte wie ein stramm gespannter Bogen. Dann hob er die linke Hand, in deren Innenfläche ein kompliziertes Tattoo erschien. Es begann zu leuchten und nahm das hellrote Glühen eines Brandeisens an.

»Trage das Kainsmal«, knurrte er, presste seine Hand auf Eves Oberarm und versengte ihre Haut. Eves Schreie erstickte er mit seinem Kuss, während er weiter in sie hineinstieß.

Eve bohrte die Finger in seinen Rücken. Die Kombination von intensivstem Wohlgefühl und Schmerz überreizte ihre Sinne, sodass sie Dinge sah, die nicht sein konnten.

Ihr Liebhaber schien sich zu verändern, von innen zu leuchten, und seine Kleidung fiel von ihm ab, um einen muskulösen Leib und goldene Haut zu enthüllen. Seine dunklen Augen bekamen einen Bernsteinton, als er den Kopf in den Nacken warf und brüllte. Sein Hals spannte sich an, während er kam – tief in ihr.

Es war ein Albtraum und ein feuchter Traum zugleich, und Eve wurde in Empfindungen gestürzt, die ihr den Verstand raubten. Riesige gefiederte Flügel breiteten sich auf dem Rücken des Fremden aus und umfingen Eve.

Danach war nichts als Dunkelheit.

3

»Miss Hollis? Miss Hollis, können Sie mich hören?«

Eves Lider öffneten sich flatternd.

»Miss Hollis?«

Eve tat alles weh, und obwohl ihr heiß war, bibberte sie vor Kälte, als hätte sie eine Grippe.

In Wellen wurde ihr bewusst, wo sie war. Die Männerstimme rief ihren Namen, ein Dutzend Gesichter starrten auf sie herab, über ihnen das Glasdach des Gadara Tower.

Sie schoss hoch und knallte mit dem Kopf gegen das Kinn eines Gaffers. Fluchend torkelte der Mann zurück, aber Eves ganze Aufmerksamkeit galt ihrer Kleidung. Während sie den makellos gebügelten Rock betrachtete, der ihr bis über die Knie reichte, wanderten ihre Finger über die Reihe winziger weißer Knöpfe an ihrer hellblauen Bluse.

»Was ist passiert?«, fragte sie. Ihre Stimme klang kratzig, als hätte sie geschrien.

»Das wissen wir nicht genau.«

Eve wandte den Kopf und begegnete den blauen Augen eines uniformierten Sanitäters. Ihr Blick fiel auf sein Namensschild. Woodbridge.

»Haben Sie heute schon etwas gegessen?«, fragte er sie und stützte ihren Rücken mit seinem kräftigen Arm.

Sie überlegte und nickte. »Joghurt und Kaffee morgens.«

Woodbridge lächelte. »Es ist zwei Uhr nachmittags. Das ist ziemlich lange, nur mit ein bisschen Joghurt im Magen. Ich schätze, Ihr Blutzucker ist im Keller, sodass Ihnen schwindlig wurde und Sie in Ohnmacht gefallen sind.«

Zwei Sicherheitsleute von Gadara drängten die Menge zurück, und mithilfe des Sanitäters stand Eve auf. Sie schwankte kurz, wurde von starken Händen gehalten, und dann glitten Finger durch ihr langes schwarzes Haar, die behutsam ihren Kopf abtasteten. »Tut es irgendwo weh?«

Überall, aber das meinte er sicher nicht. »Nein.«

»Ich kann keine Beule fühlen, aber ich würde Sie vorsichtshalber gern mit in die Klinik nehmen.«

»Klar.« Sie hielt sich an ihm fest, da sich alles um sie drehte.

Als Samenflüssigkeit an ihrem Innenschenkel hinunterrann, merkte Eve, wie ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Ihr wurde noch schwindliger und schlecht.

»Nein, ich habe es mir anders überlegt«, flüsterte sie mit ausgetrockneten Lippen und hob die rechte Hand an ihren linken Oberarm. Dort war eine schmerzhafte Schwellung unter dem Blusenärmel. »Ich möchte nach Hause.«

Eve starrte auf ihren Computerbildschirm. Vibrierende Panik wallte in ihr auf.

Das Kainsmal. Jenes Mal, mit dem Gott Kain gegen jeden Schaden gefeit machte, während er über die Erde wanderte; es war die Strafe dafür, dass er seinen Bruder Abel getötet hatte.

Sie war von einem religiösen Eiferer halb totgevögelt worden.

Das allein war schon schaurig genug. Aber noch viel beängstigender war, wie vertraut ihr das Zeichen war. Sie hatte es schon mal gesehen, es mit den Fingern und den Lippen nachgemalt und den Mann, der es trug, ob dieses Zeichens erst recht für einen Rebell gehalten. Alec Cains Tattoo hatte sie zu einer sündhaften Nacht verleitet, die ihr bis heute nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Sie rollte ihren Stuhl zurück, stand auf und verließ ihr Arbeitszimmer. Jeder Schritt in Richtung Küche erinnerte sie an die hitzige Begegnung im Treppenhaus. Ihre empfindliche Scham machte es unmöglich zu vergessen, wie sich der mysteriöse Fremde in ihr bewegt hatte.

Sie atmete zittrig aus, wie sie überhaupt am ganzen Leib zitterte.

Welche Erklärung gab es für das Vergnügen, das sie nicht empfinden wollte? Für das Brandzeichen an ihrem Arm? Für ihre völlig intakte Kleidung? Und die Flügel … Mein Gott, der Mann hatte sie in weiche, weiße Flügel gehüllt!

»Ich verliere den Verstand.«

Nachdem sie geduscht hatte, betrachtete sie das Brandzeichen, eine knapp vier Zentimeter breite Triquetra, umringt von einem Kreis aus drei Schlangen, die sich gegenseitig in den Schwanz bissen. Anders als bei richtigen Verbrennungen, waren die Details des Mals deutlich zu erkennen. Vielleicht hätte Eve das Zeichen sogar hübsch und exotisch gefunden, hätte sie es denn tatsächlich an sich gewollt. Jetzt verhüllte sie es mit einer dicken Schicht Silvadene-Brandsalbe und einem Verband.

Es klingelte an der Tür, und Eve lief ins Wohnzimmer. Dort griff sie in die Schublade des Wandtischs und holte ihren Revolver heraus. Ruhig öffnete sie den gefütterten Behälter. Sie war Single und lebte allein in einer Großstadt; da war es nur vernünftig, eine registrierte Waffe zu besitzen. Und weil Eve nichts von halben Sachen hielt, war sie Mitglied im örtlichen Waffenclub und übte oft Schießen.

»Evangeline?«

Die Stimme erkannte sie auf Anhieb. Es war ihre Nachbarin, Mrs. Basso. Eve atmete erleichtert auf und wunderte sich, dass sie vor etwas so Harmlosem wie einem Besucher Angst bekommen hatte. Sie packte die Waffe wieder weg.

Als sie die Tür aufzog, wartete ihre Nachbarin bereits mit sorgenvoller Miene und einer Tupperschale. Mrs. Basso hatte ihre üblichen klobigen Stiefel an, Jeans, eine weiße Bluse und eine Sweatshirt-Weste. Ihr Ensemble war in verschiedenen Blautönen gehalten, und Perlen zierten ihre Ohren, ihren Hals und das Handgelenk. In jungen Jahren war Mrs. Basso eine echte Schönheit gewesen. Heute besaß sie eine stattliche Eleganz, die einzig durch leicht vorgekrümmte Schultern getrübt wurde.

»Alles okay mit Ihnen?«, fragte sie. »Sie sehen müde aus.«

»Mir geht es gut«, log Eve.

Mrs. Basso gehörte Basso’s Ristorante and Grill, ein beliebtes italienisches Restaurant. Ihr Mann und sie hatten es früher gemeinsam geführt, doch nachdem Mr. Basso vor einem Jahr gestorben war, hatte sie das Restaurant verpachtet. Auf die Weise hatte sie ein verlässliches Einkommen, ohne viel arbeiten zu müssen. Da sie allein lebte, sah Eve mehrmals pro Woche nach ihr, und wenn sie einkaufen ging, fragte sie Mrs. Basso vorher immer, ob sie etwas brauchte. Im Gegenzug behandelte ihre Nachbarin sie wie ein heiß geliebtes Enkelkind.

»Sie müssen mal Ihre Schilddrüse untersuchen lassen«, sagte Mrs. Basso.

Eve lächelte. »Okay.«

Mrs. Basso hielt ihr die Schüssel hin. »Ich habe Hühnersuppe mit Nudeln gekocht. Ganz viel Knoblauch und ein bisschen Basilikum. Sie müssen das alles aufessen.«

»Das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte Eve.

»Und es wäre auch nicht nötig, dass Sie dauernd nach mir sehen«, konterte ihre Nachbarin. »Trotzdem tun wir beide das.«

Eve nahm die Schale an. »Kommen Sie rein und essen mit mir.«

Doch Mrs. Basso schüttelte den Kopf. »Danke, aber gleich wird Buffy – im Bann der Dämonen wiederholt, eine meiner Lieblingsserien.«

»Welche Staffel?«

»Die sechste.«

»Ah, die, in der Buffy und Spike endlich zusammenkommen.«

Mrs. Basso errötete. »Dieser Spike ist ein toller Mann. Essen Sie die Suppe auf, haben Sie gehört?«

Eve lachte. »Natürlich. Vielen Dank.«

»Das ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann, so nett, wie Sie immer zu mir sind«, winkte sie ab, drehte sich um und hielt inne. »Nächste Woche kommt ein neuer Film mit Hugh Jackman raus. Das ist auch toller Mann!«

»Abgemacht, wir gehen rein.«

Mrs. Basso zwinkerte und ging zurück in ihre Wohnung.

Eine ganze Weile blickte Eve ihr nach und klammerte sich an das Gefühl von Normalität. Leider verschwand es in dem Moment, in dem sie ihre Tür wieder schloss. Nun blieb ihr wieder nur das Pochen in ihrem Arm und zwischen den Beinen sowie der dringende Wunsch zu erfahren, was zum Teufel überhaupt mit ihr passiert war.

Sie holte sich einen Löffel aus der Küche, setzte sich auf ihr cremeweißes Sofa und schaltete den Fernseher ein, um ebenfalls Buffy zu sehen. Ein Ex-Freund hatte sie während der dritten Staffel zu der Serie bekehrt. Sie war das Einzige, woran sich Eve aus der Beziehung noch erinnerte, und das war schon mehr, als sie von den vielen kurzen Romanzen behaupten konnte, auf die sie sich nach Alec Cain eingelassen hatte. Doch wenn sie ehrlich war, hatte sie mit ihm eigentlich keine Beziehung geführt. Sie war einfach nur gevögelt worden, sonst nichts.

Als sich Buffy und Spike gegenseitig grün und blau prügelten, spürte Eve, wie sich ihre Schultern und Arme geradezu schmerzhaft anspannten. Wilde, aggressive Energie pulsierte in ihr, Schweißperlen traten auf ihre Oberlippe, und ihre Sicht verschwamm.

Wieder klingelte es an der Tür, und Eve sprang auf wie ein geölter Blitz. »Ich habe alles ratzekahl aufgegessen!«, rief sie, während sie auf die Tür zulief. Bei dem Gedanken, dass sich Mrs. Basso vergewissern wollte, ob Eve auch brav gewesen war, musste sie grinsen.

»Angel.«

Eve erstarrte.

»Mach die Tür auf.«

Sie holte wieder ihre Waffe heraus und glitt mit einer Hand in die Tasche, um den Knauf zu umfassen. Dann schlich sie zur Tür, streckte sich auf die Zehenspitzen und sah durch den Spion.

Im ersten Moment konnte sie nicht glauben, was – wen – sie sah.

»Komm schon, Angel«, sagte er. Diesen Kosenamen benutzte sonst niemand für sie. Evangeline. Eve. Angel. »Lass mich rein.«

Selbst verzerrt durch das gewölbte Glas war Alec Cain atemberaubend. Ihr wurde der Mund wässrig, wie Eve verdrossen feststellte.

Leider ähnelte er auch sehr dem Mann, der heute über sie hergefallen war. Ihre Alarmglocken schrillten wie verrückt. Vorhin hatte Eve nicht auf sie gehört, und man sah ja, was es ihr eingebracht hatte.

Stumm wich Eve von der Tür zurück.

»Angel«, sagte er leiser, und seine Stimme war so klar, dass Eve glaubte, er müsste mit der Stirn an der Tür lehnen. »Ich weiß, was heute passiert ist. Du solltest jetzt nicht allein sein. Lass mich rein.«

Alecs Stimme. Sie nach all den Jahren so nahe zu hören, versetzte Eve einen Stich. Sie war wie dunkle Schokolade: dekadent und sündig. Sie hatte Eve einst verführt, ihre Unschuld herzugeben, und das in einem Akt, der für die meisten Frauen schmerzlich war, für sie hingegen der Gipfel des Hochgenusses. In jener Nacht hatte sie sich bis über beide Ohren verliebt. Sie hätte alles für ihn getan, wäre ihm überallhin gefolgt. Alles, wenn sie nur zusammen sein könnten.

Blöd. Naiv.

Kopfschüttelnd wich Eve weiter zurück. Tränen strömten ihr über die Wangen. Ihre Arme hielt sie ruhig und gerade vorgestreckt, sodass der Waffenlauf direkt auf die Tür gerichtet war. Es wunderte sie nicht, dass er wusste, was heute gewesen war. Alec wusste immer über alles Bescheid. Von Anfang an hatte er eine unheimliche Art gehabt, stets zu wissen, was sie dachte oder fühlte. Und sie war ziemlich sicher, dass er deshalb so fantastisch im Bett war. Noch ehe sie begriff, was sie wollte, gab er es ihr.

»Eve, hör mir zu. Du darfst jetzt nicht allein sein. Du bist nicht sicher.«

Nein, du bist nicht sicher, dachte sie.

»Ich bin deine beste Chance«, erwiderte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Nein, geh weg! Sie konnte es nicht laut sagen, weil ihre Kehle wie zugeschnürt war.

»Das werde ich nicht, Angel. Ich komme rein. Geh weiter zurück.«

»I-ich erschieße dich!«

Eve spürte, wie er innehielt.

Dann explodierte die Tür in einem Meer aus Holzsplittern und verbogenen Riegeln. Drei Sicherheitsbolzenschlösser von der Sorte, der nicht mal Kugeln etwas anhaben konnten.

Eve zitterte heftig, hielt jedoch ihre Waffe fest nach vorn gerichtet.

Lässig kam er in ihre Wohnung, und seine Stiefel donnerten mit den Stahlkappen laut auf dem Parkett.

Alec Cain war große und finstere Vollkommenheit. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt – von seinem engen T-Shirt bis zur Lederhose. Seine pechschwarzen Locken waren ein wenig zu lang, sodass sie hinten tief in seinen Nacken und vorn bis zu seinen Brauen hingen. Seine vollen Lippen waren verkniffen vor Anspannung, und die braunen Augen glühten. Diese Intensität hatte Absurdes mit Eve angestellt, als sie eine wilde Achtzehnjährige gewesen war. Und offenbar tat sie es heute noch.

In den letzten zehn Jahren war Alec überhaupt nicht gealtert.

»Ich sagte, du sollst verschwinden, Alec.«

Er warf seine Lederjacke und den Helm auf ihr Sofa, während er auf sie zukam. »Willst du mich echt erschießen, wenn ich es nicht tue?«

»Wenn du nicht umkehrst und aus meiner Wohnung verschwindest, ja.«

Alec könnte stocksteif dastehen und wäre schlichtweg atemberaubend; aber er bewegte sich, was es um ein Vielfaches schlimmer machte. Er besaß eine fesselnde, raubtierhafte Geschmeidigkeit, angesichts der sich eine Frau unweigerlich fragte, ob er die auch im Bett zeigen würde. Eve wusste, dass er es tat. Für Alec war Sex eine Kunstform, und er beherrschte sie.

»Ich werde nicht gehen, Angel.«

Eves Nasenflügel bebten. Dann drückte sie den Abzug.

4

Das Klicken des Bolzens nahm sich in dem stillen Zimmer ohrenbetäubend laut aus. Wäre eine Kugel in der Kammer gewesen, hätte Alec nun ein dampfendes Loch in der Brust.

»Du kannst mich nicht verletzen«, sagte er ruhig.

»Unterschätz mich nicht. Ich bewahre meine Waffe immer mit einer leeren Kammer im Anschlag auf. Du wirst nicht mehr so munter sein, wenn ich erst mal die Trommel auf dich abgefeuert habe.« Sie nickte in Richtung Tür. »Hau ab, solange du noch in einem Stück bist.«