Verfassungsprozessrecht - Christian Hillgruber - E-Book

Verfassungsprozessrecht E-Book

Christian Hillgruber

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Beschreibung

Dieser Schwerpunkte-Band zum Verfassungsprozessrecht stellt in Anlehnung an die Lehrbücher zum materiellen Verfassungsrecht von "Degenhart, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht" und "Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II" die Grundbegriffe, Probleme und systematischen Zusammenhänge des zugehörigen Verfahrensrechts dar. Er vermittelt knapp, klar und einprägsam die prozessualen Voraussetzungen und Problemschwerpunkte von Verfassungsbeschwerde, Organstreitverfahren, abstrakter und konkreter Normenkontrolle und anderen verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten. Die Darstellung orientiert sich dabei in erster Linie an der das Verfassungsprozessrecht prägenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Verfassungsprozessrecht

von

Dr. Christian Hillgrubero. Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

und

Dr. Christoph GoosJuristischer Vizepräsident des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers

6., neu bearbeitete Auflage

www.cfmueller.de

Herausgeber

Schwerpunkte

Eine systematische Darstellung der wichtigsten Rechtsgebiete anhand von Fällen Begründet von Professor Dr. Harry Westermann †

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <https://portal.dnb.de> abrufbar.

 

ISBN 978-3-8114-9124-3

 

E-Mail: [email protected]

Telefon: +49 6221 1859 599Telefax: +49 6221 1859 598

 

www.cfmueller.de

 

© 2025 C.F. Müller GmbH, Waldhofer Straße 100, 69123 Heidelberg

Hinweis des Verlages zum Urheberrecht und Digitalen Rechtemanagement (DRM)

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Der Verlag räumt Ihnen mit dem Kauf des e-Books das Recht ein, die Inhalte im Rahmen des geltenden Urheberrechts zu nutzen.

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Vorwort

Entsprechend der Konzeption der Schwerpunkte-Reihe konzentriert sich die hier in 6. Auflage vorgelegte Darstellung des Verfassungsprozessrechts auf die besonders fall- und examensrelevanten verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten. Der jeweilige Bearbeiter der einzelnen Abschnitte ergibt sich aus der Inhaltsübersicht. Die Verantwortung für das Gesamtwerk tragen die beiden Autoren gemeinsam.

Die Darstellung orientiert sich in erster Linie an der das Verfassungsprozessrecht prägenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wir haben an ihr allerdings auch gelegentlich Kritik geübt und einen davon abweichenden eigenen Standpunkt eingenommen, wo uns dies notwendig erschien.

Für die Neuauflage wurden alle Kapitel gründlich durchgesehen, die eine oder andere Passage gekürzt, umgekehrt, wo nötig, Ergänzungen vorgenommen und das Werk insgesamt auf den neuesten Stand gebracht. Erhebliche Veränderungen aufgrund der Fortentwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung haben sich dabei vor allem in dem Kapitel über „Das Bundesverfassungsgericht und die europäische (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit“ (§ 13) ergeben.

In die Neubearbeitung sind auch wieder einige wertvolle Anregungen eingegangen, die die Verfasser aus dem Leser- und Kollegenkreis erhalten haben. Anregungen und Verbesserungen erreichen uns unter [email protected] und [email protected].

Tatkräftig unterstützt haben uns durch Recherchen und Korrekturen dieses Mal Christian Funck, Georg Heims, Silvie Kleinwächter, Sophie Platz, Ann Kathrin Schnieders, Robert Schwertel-Stahl, Max Stötzel, Simon Strickrodt und Tim Weyersberg. Ihnen allen gilt unser ganz besonderer, herzlicher Dank.

Bonn und Hannover im Januar 2025Christian HillgruberChristoph Goos

Inhaltsübersicht

 § 1Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland

 § 2Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze

 § 3Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 94 Abs. 1 Nr 4a, 4b GG)

 § 4Das Organstreitverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr 1 GG)

 § 5Das Bund-Länder-Streitverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr 3 GG)

 § 6Die abstrakten Normenkontrollverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr 2, 2a, Abs. 2 GG)

 § 7Das konkrete Normenkontrollverfahren (Art. 100 Abs. 1 GG)

 § 8Das Normenverifikationsverfahren (Art. 100 Abs. 2 GG)

 § 9Das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG) und das Verfahren der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG)

 § 10Die Wahlprüfungsbeschwerde (Art. 41 Abs. 2 GG)

 § 11Die einstweilige Anordnung (§ 32 BVerfGG)

 § 12Das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte

 § 13Das Bundesverfassungsgericht und die europäische („Verfassungs“-)Gerichtsbarkeit

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort

 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

 § 1Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland

  I.Das Bundesverfassungsgericht als Gericht1 – 7

  II.Das Bundesverfassungsgericht – ein Verfassungsorgan?8, 9

  III.Das Bundesverfassungsgericht als maßgeblicher Letztinterpret des Grundgesetzes: Hüter oder Herr der Verfassung?10 – 20

  IV.Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?21 – 27

  V.Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?28 – 36

  VI.Das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzgeber37 – 51

  VII.Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts52 – 54

 § 2Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze

  I.Das Bundesverfassungsgericht als Teil der rechtsprechenden Gewalt55, 56

  II.Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen57 – 73

   1.Grundsätze57 – 60

   2.Bindung des BVerfG an verfassungswidrige Verfahrensregelungen?61, 62

   3.Problematische Zuständigkeitserweiterungen63 – 73

    a)„In-Verbindung-mit“-Judikatur65 – 67

    b)Verfassungsprozessuale Bedeutung der Elfes-Logik68 – 70

    c)„Ausbau“ des Art. 38 GG zum „Anspruch auf Demokratie“71 – 73

  III.Die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts im Überblick74 – 95

   1.Organstreitverfahren74

   2.Abstrakte Normenkontrolle75

   3.Kompetenzkontroll- und Kompetenzfreigabeverfahren76 – 78

   4.Bund-Länder-Streitverfahren79

   5.Weitere föderative Streitigkeiten80, 81

   6.Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde82 – 84

   7.Nichtanerkennungsbeschwerde85 – 89

   8.Weitere im Grundgesetz geregelte Zuständigkeiten90

   9.Einfachgesetzlich geregelte Zuständigkeiten91 – 95

 § 3Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 94 Abs. 1 Nr 4a, 4b GG)

  I.Die Individualverfassungsbeschwerde (Art. 94 Abs. 1 Nr 4a GG)97 – 118

   1.Die Entscheidung für die Verfassungsbeschwerde97 – 101

   2.Rechtsgrundlagen102 – 104

   3.Funktion und Bedeutung der Verfassungsbeschwerde105 – 108

   4.Hohe Eingangszahlen und Strategien zur Entlastung des Gerichts109 – 118

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen119 – 347

   1.Ordnungsgemäßer Antrag120 – 145

    a)Schriftliche Einreichung (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG)121 – 123

    b)Funktion und inhaltliche Anforderungen (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG)124 – 141

     aa)Festlegung des Streitgegenstands125 – 130

     bb)Angabe der Prüfrichtung131, 132

     cc)Grundlage für das Annahmeverfahren133 – 141

    c)Ergänzung und Erweiterung des Antrags142

    d)Entscheidung trotz Antragsrücknahme?143 – 145

   2.Beschwerdefähigkeit146 – 176

    a)Grundrechte150 – 167

     aa)Rügefähige Rechte150 – 153

     bb)Grundrechtsträgerschaft154 – 167

    b)Grundrechtsgleiche Rechte168 – 174

    c)Nicht rügefähige Rechte175, 176

   3.Verfahrensfähigkeit177 – 199

    a)Grundsätze177 – 180

    b)Minderjährige181 – 189

    c)Volljährige190 – 193

    d)Verstorbene194 – 197

    e)Sonderfälle198

    f)Juristische Personen199

   4.Angriffsgegenstand200 – 230

    a)Gesetzgebung207 – 216

    b)Vollziehende Gewalt217 – 221

    c)Rechtsprechung222 – 224

    d)Hoheitsakte supranationaler Organisationen225 – 230

   5.Beschwerdebefugnis231 – 285

    a)Möglichkeit der Grundrechtsverletzung232 – 268

     aa)Prüfungsmaßstab: Grundrechtsverletzung nicht von vornherein ausgeschlossen233 – 241

     bb)Grundsatz: Umfassende Grundrechtsprüfung242, 243

     cc)Ausnahmen: Keine Prüfung nicht rügefähiger Rechte, keine Prüfung von Rechten Dritter244 – 249

     dd)Gerichtsurteile: Beschränkung auf die Prüfung „spezifischer Verfassungsrechtsverletzungen“250 – 268

    b)Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit269 – 285

     aa)„selbst“272 – 276

     bb)„gegenwärtig“277 – 281

     cc)„unmittelbar“282 – 285

   6.Vorherige Anrufung der Fachgerichte286 – 317

    a)Rechtswegerschöpfung291 – 299

    b)Subsidiarität300 – 309

    c)Ausnahmen310 – 317

   7.Frist318 – 338

    a)Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG319 – 329

    b)Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG330 – 338

   8.Rechtsschutzbedürfnis339 – 347

  III.Die Entscheidung348 – 355

  IV.Annahmeverfahren356 – 362

  V.Prüfungsschema (Zulässigkeit)363 – 365

  VI.Die Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 94 Abs. 1 Nr 4b GG)366 – 411

   1.Überblick367 – 372

   2.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen373 – 406

    a)Beschwerdefähigkeit374 – 379

    b)Prozessfähigkeit380

    c)Angriffsgegenstand381 – 388

    d)Beschwerdebefugnis389 – 396

     aa)Möglichkeit der Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht aus Art. 28 Abs. 2 GG392, 393

     bb)Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit394 – 396

    e)Rechtswegerschöpfung und allgemeine Subsidiarität397 – 399

    f)Subsidiarität gegenüber den Landesverfassungsgerichten400 – 404

    g)Frist405, 406

   3.Entscheidung407

   4.Annahmeverfahren408

   5.Prüfungsschema (Zulässigkeit)409 – 411

 § 4Das Organstreitverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr 1 GG)

  I.Überblick413 – 430

   1.Art. 94 Abs. 1 Nr 1 GG413

   2.Ausgestaltung im BVerfGG414 – 416

   3.Verfassungswidrigkeit der §§ 63–67 BVerfGG?417 – 426

   4.Das Organstreitverfahren als subjektives Rechtsschutzverfahren427 – 430

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen431 – 527

   1.Ordnungsgemäßer Antrag431 – 437

   2.Parteifähigkeit438 – 472

    a)§ 63 BVerfGG442 – 448

    b)Art. 94 Abs. 1 Nr 1 GG449 – 472

     aa)Oberste Bundesorgane450 – 452

     bb)Andere Beteiligte453 – 468

     cc)Exkurs: Beitritt zum Verfahren469 – 472

   3.Angriffsgegenstand473 – 483

   4.Antragsbefugnis484 – 516

    a)Verteidigung eigener Rechte494 – 509

    b)Prozessstandschaftliche Geltendmachung von Organrechten510 – 516

   5.Frist517 – 521

   6.Rechtsschutzbedürfnis522 – 527

  III.Die Entscheidung528 – 536

  IV.Prüfungsschema (Zulässigkeit)537 – 539

 § 5Das Bund-Länder-Streitverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr 3 GG)

  I.Überblick541 – 551

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen552 – 625

   1.Ordnungsgemäßer Antrag555 – 562

   2.Partei- und Prozessfähigkeit563 – 572

   3.Angriffsgegenstand573 – 583

   4.Antragsbefugnis584 – 605

   5.Vorverfahren606 – 608

   6.Frist609 – 617

   7.Rechtsschutzbedürfnis618 – 625

  III.Die Entscheidung626 – 638

  IV.Prüfungsschema (Zulässigkeit)639 – 641

 § 6Die abstrakten Normenkontrollverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr 2, 2a, Abs. 2 GG)

  I.Zweck und praktische Bedeutung des Verfahrens643 – 648

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen649 – 679

   1.Antragsberechtigung649 – 653

   2.Tauglicher Prüfungsgegenstand654 – 662

   3.Antragsgrund: Objektives Klarstellungsinteresse663 – 677

    a)„Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ iSd Art. 94 Abs. 1 Nr 2 GG663 – 667

    b)Objektives Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Normverwerfung, § 76 Abs. 1 Nr 1 BVerfGG668 – 670

    c)Objektives Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Normbestätigung, § 76 Abs. 1 Nr 2 BVerfGG671 – 674

    d)Verhältnis zu anderen Verfahrensarten675 – 677

   4.Form und Frist678, 679

    a)Form678

    b)Frist679

  III.Prüfungsmaßstab und Prüfungsumfang680 – 685

  IV.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkung – Tenorierungsvarianten686 – 712

  V.Der Sonderfall der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 94 Abs. 1 Nr 2a GG, § 13 Nr 6a BVerfGG713 – 724

   1.Zweck und Bedeutung des Verfahrens714 – 717

   2.Antragsberechtigung718, 719

   3.Antragsgegenstand720

   4.Antragsgrund721

   5.Prüfungsmaßstab und Prüfungsumfang722 – 724

  VI.Das Verfahren nach Art. 94 Abs. 2 GG725 – 732

  VII.Prüfungsschema für die Verfahren nach Art. 94 Abs. 1 Nr 2, 2a, Abs. 2 GG733 – 735

 § 7Das konkrete Normenkontrollverfahren (Art. 100 Abs. 1 GG)

  I.Zweck, Bedeutung und Verfahrensvarianten737 – 748

   1.Hauptzweck und Nebenzweck737 – 740

   2.Der mittelbar individualrechtsschützende Charakter des Verfahrens741, 742

   3.„Vorlagenflut“ und bundesverfassungsgerichtliche „Gegenstrategie“743

   4.Die drei Varianten der konkreten Normenkontrolle744 – 748

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen749 – 786

   1.Vorlageberechtigung749 – 754

    a)Zuständige Gerichte und geeignete Ausgangsverfahren749 – 752

    b)Die Stellung der Prozessbeteiligten753, 754

   2.Tauglicher Vorlagegegenstand755 – 770

    a)Gesetze im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG755 – 762

    b)Beschränkung des Prüfungsgegenstandes auf nachkonstitutionelle Gesetze763 – 769

    c)Qualifiziertes und einfaches gesetzgeberisches Unterlassen770

   3.Entscheidungserheblichkeit771 – 784

    a)Notwendigkeit einer Entscheidungsalternative771 – 776

    b)Aufklärungspflicht des vorlegenden Gerichts777

    c)Vorlagepflicht in einstweiligen Rechtsschutzverfahren?778, 779

    d)Kompetenz zur Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit780, 781

    e)Darlegung der Entscheidungserheblichkeit im Vorlagebeschluss782

    f)Späterer Wegfall ursprünglich gegebener Entscheidungserheblichkeit783, 784

   4.Die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Gesetzesnorm785, 786

    a)Darlegungsanforderungen785

    b)Das vorrangige Gebot der verfassungskonformen Auslegung786

  III.Prüfungsmaßstab787 – 797

   1.Grundgesetz und (für Landesgesetze) einfaches Bundesrecht787 – 792

   2.Nichtanwendung kompetenzlos gesetzten oder die Verfassungsidentität verletzenden sekundären Unionsrechts durch die Fachgerichte?793, 794

   3.Konkrete Normenkontrolle am Maßstab allgemeiner Regeln des Völkerrechts iSd Art. 25 GG?795 – 797

  IV.Entscheidungsausspruch und Entscheidungswirkungen798 – 802

   1.Tenorierungsvarianten798 – 800

   2.Entscheidungswirkungen801, 802

  V.Konkurrenzen803 – 806

   1.Andere verfassungsgerichtliche Verfahren803 – 805

   2.Das Verhältnis zur Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV806

  VI.Prüfungsschema (Zulässigkeit)807 – 809

 § 8Das Normenverifikationsverfahren (Art. 100 Abs. 2 GG)

  I.Zweck und Charakter des Verfahrens811 – 816

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen817 – 840

   1.Vorlageberechtigung und -verpflichtung817 – 819

   2.Tauglicher Vorlagegegenstand820 – 831

   3.Zweifel832 – 835

   4.Entscheidungserheblichkeit836 – 840

  III.Entscheidungsausspruch und Entscheidungswirkungen841 – 847

  IV.Die Verletzung der Vorlagepflicht und das BVerfG als gesetzlicher Richter848 – 850

  V.Prüfungsschema (Zulässigkeit)851 – 853

 § 9Das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG) und das Verfahren der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG)

  I.Sinn und Zweck des Verfahrens855 – 865

  II.Die Verbotstatbestände des Art. 21 Abs. 2 GG866 – 894

   1.Der Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung867 – 879

   2.Die Gefährdung des Bestands der Bundesrepublik Deutschland880 – 883

   3.Das Verbotsverfahren884 – 891

   4.Verfahrensablauf892 – 894

  III.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkungen895 – 903

  IV.Das Verfahren auf Ausschluss einer Partei von der staatlichen Finanzierung (Art. 21 Abs. 3 GG)904 – 906

  V.Die Sperrwirkung des Verbotsverfahrens und zulässige Vorfeldmaßnahmen907 – 914

  VI.Exkurs: Das Verfahren der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG)915 – 931

   1.Sinn und Zweck des Verfahrens916 – 918

   2.Der Verwirkungstatbestand919 – 923

   3.Verfahrensablauf924 – 926

   4.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkung927 – 931

  VII.Prüfungsschema Parteiverbotsverfahren (Zulässigkeit)932 – 935

 § 10Die Wahlprüfungsbeschwerde (Art. 41 Abs. 2 GG)

  I.Sinn und Zweck des Verfahrens937 – 944

   1.Parlamentarische Selbstprüfung941 – 943

   2.Beschwerde zum BVerfG944

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen945 – 965

   1.Statthaftigkeit945, 946

   2.Beschwerdeberechtigung947 – 952

    a)Mögliche Beschwerdeführer947 – 949

    b)Besonderheiten bei der Beschwerde von Wahlberechtigten oder Gruppen von Wahlberechtigten950 – 952

     aa)Verfahrensfähigkeit950

     bb)Einspruch durch Bundestag verworfen951

     cc)Abschaffung des Unterschriftenquorums952

   3.Prüfungsgegenstand953, 954

   4.Beschwerdebefugnis955 – 957

   5.Form958 – 962

   6.Frist963, 964

   7.Rechtsschutzbedürfnis965

  III.Begründetheit966 – 969

   1.Prüfungsumfang966

   2.Wahlfehler967

   3.Erheblichkeit des Wahlfehlers968, 969

  IV.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkungen970 – 979

   1.Rechtsfolgen für Mandatsträger977

   2.Bestand von Parlamentsbeschlüssen978

   3.Erlass neuer Wahlrechtsnormen979

  V.Verhältnis zu anderen Verfahrensarten980 – 986

  VI.Prüfungsschema987 – 989

 § 11Die einstweilige Anordnung (§ 32 BVerfGG)

  I.Sinn und Zweck des Verfahrens991 – 998

  II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen999 – 1045

   1.Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts999 – 1009

   2.Antragserfordernis1010 – 1017

   3.Antragsberechtigung und Antragsbefugnis1018 – 1020

   4.Zulässiger Antragsinhalt1021 – 1029

   5.Keine Vorwegnahme der Hauptsache1030 – 1033

   6.Rechtsschutzbedürfnis1034 – 1043

   7.Form und Frist1044, 1045

  III.Begründetheit1046 – 1082

   1.Strenger Maßstab1046 – 1051

   2.Die Maßstäbe der Entscheidung über die einstweilige Anordnung1052 – 1080

    a)Auf Zulässigkeit/Unzulässigkeit und offensichtliche Begründetheit/Unbegründetheit beschränkte Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens1052 – 1056

    b)Folgenabwägung1057 – 1080

     aa)Abwägungsdirektiven1057 – 1067

     bb)Kritik1068 – 1080

   3.Dringlichkeit1081, 1082

  IV.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkungen1083 – 1095

  V.Widerspruch1096 – 1098

  VI.Befristung und Wiederholung1099

  VII.Schadensersatz?1100

  VIII.Prüfungsschema1101 – 1103

 § 12Das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte

  I.Einführung1104 – 1107

  II.Vorgaben des Grundgesetzes1108 – 1139

   1.Verfassungsgerichtskompetenz der Länder1109 – 1115

   2.Bedeutung des fachgerichtlichen Rechtswegs1116 – 1121

   3.Angriffsgegenstände1122 – 1125

   4.Prüfungsmaßstäbe1126 – 1132

   5.Kontrolle der Landesverfassungsgerichte durch das Bundesverfassungsgericht1133 – 1139

  III.Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts1140 – 1154

   1.Das konkrete Normenkontrollverfahren1140 – 1142

   2.Individualverfassungsbeschwerde1143 – 1145

   3.Landesverfassungsbeschwerden und einheitliche Anwendung des Bundesrechts1146 – 1152

   4.Subsidiarität und überschneidungsfreie Bereiche1153, 1154

  IV.Zusammenfassung1155 – 1159

 § 13Das Bundesverfassungsgericht und die europäische („Verfassungs“-)Gerichtsbarkeit

  I.Bundesverfassungsgericht und EuGH1161 – 1220

   1.Rechtsprechungsdualismus als Folge der verfassungsrechtlich vermittelten Anwendung des Völker- und Europarechts im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland1161, 1162

   2.Identitäts- und Ultra-vires-Kontrolle europäischer Rechtsakte durch das BVerfG1163 – 1172

   3.Grundsätzlich unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe des BVerfG und des EuGH1173 – 1201

    a)Die Behandlung entscheidungserheblicher europarechtlicher Vorfragen im Zusammenhang mit der Ultra-vires- und der Identitätskontrolle sowie bei Anwendung der Unionsgrundrechte 1181 – 1186

    b)Die novellierte Überprüfung richtlinienumsetzender Gesetze 1187, 1188

    c)Europarecht als Prüfungsgegenstand des BVerfG?1189 – 1199

     aa)Abstraktes Normenkontrollverfahren1192

     bb)Konkretes Normenkontrollverfahren1193 – 1195

     cc)Verfassungsbeschwerdeverfahren1196 – 1199

    d)Die Vereinbarkeit einfachen Rechts mit vorrangigen Bestimmungen des Europarechts1200, 1201

   4.Indirekte Rechtsprechungskonkurrenzen1202 – 1220

  II.Bundesverfassungsgericht und EGMR1221 – 1240

   1.Individualbeschwerde zum EGMR/Verfassungsbeschwerde zum BVerfG – Gemeinsamkeiten und Unterschiede1223 – 1239

   2.Bedeutung der EMRK für sonstige verfassungsgerichtliche Verfahren1240

  III.Weitere Europäisierung und Internationalisierung des deutschen Grundrechtsschutzes?1241 – 1243

 Sachverzeichnis

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die in diesem Buch mit Datum und Aktenzeichen zitiert werden, finden sich im Volltext auf der Homepage des Gerichts (www.bundesverfassungsgericht.de). Viele der nach der quasi-amtlichen Sammlung „BVerfGE“ zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind im Internet unter www.fallrecht.de zu finden. Die Abkürzung „BVerfGK“ steht für die mit Erscheinen des 20. Bandes im Jahr 2014 eingestellte Sammlung der Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Abkürzung „BVerfG-K“ (mit Aktenzeichen und Datum oder Fundstelle) macht deutlich, dass es sich bei der zitierten Entscheidung um eine Kammerentscheidung handelt. In diesem Buch zitierte Internetseiten wurden zuletzt am 20. Dezember 2024 abgerufen.

§ 1Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland

I.Das Bundesverfassungsgericht als Gericht

1

Das Bundesverfassungsgericht übt rechtsprechende Gewalt aus (Art. 92 HS 2 GG), die Richtern anvertraut ist (Art. 92 HS 1 GG). Art. 94 Abs. 4 GG[1] und § 1 Abs. 1 BVerfGG qualifizieren daher das Bundesverfassungsgericht als einen allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbstständigen und unabhängigen Gerichtshof des Bundes (§ 1 Abs. 1 BVerfGG). Die Stellung des BVerfG als Gericht bedeutet, dass aus Richtern zusammengesetzte Spruchkörper, die nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen sind (Art. 97 Abs. 1 GG), in ihre Zuständigkeit fallende Streitigkeiten anhand rechtlicher Maßstäbe entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht übt wie jedes andere Gericht Rechtskontrolle aus, indem es in den ihm zur Zuständigkeit zugewiesenen Streitigkeiten das Verhalten sämtlicher anderer Staatsorgane sowie der Verwaltungsbehörden und Fachgerichte am Maßstab des Grundgesetzes – und teilweise bei Akten der Landesstaatsgewalt auch am Maßstab sonstigen Bundesrechts, das Vorrang genießt (Art. 31 GG) – entscheidet. Diese gerichtsförmige Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterscheidet sich nicht prinzipiell von der anderer Gerichte. Die interpretative Sinnentfaltung des Grundgesetzes stellt zwar angesichts dessen regelmäßiger Wortkargheit und der relativen Unbestimmtheit der verwandten Rechtsbegriffe wohl eine noch anspruchsvollere Aufgabe als die der Gesetzesauslegung und -anwendung dar. Dies macht den Vorgang – anders als Carl Schmitt gemeint hat – aber noch nicht notwendig zu politischer Dezision, auch wenn die Prüfungsgegenstände selbst nicht selten politischer, ja hochpolitischer Natur sind und die Einleitung und Durchführung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, erst recht aber seine rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen, auch politischer Natur sind. Die Aufgabe des BVerfG bleibt dessen ungeachtet die eines Gerichts.

2

Die Beschränkung der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht auf eine Kontrolle der Grundrechtskonformität von Akten öffentlicher Gewalt macht das Bundesverfassungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a GG) gegenüber der zwecks Erschöpfung des Rechtswegs vom Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst anzurufenden Fachgerichtsbarkeit genau zu jenem, eine auf die mögliche Verletzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte beschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle durchführenden „Superrevisionsgericht“, welches das Bundesverfassungsgericht nach eigenem Bekunden nicht sein will (BVerfGE 7, 198, 207; 35, 311, 316). Indem das BVerfG die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall allein zur Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und seiner eigenen Nachprüfung entzogen erklärt hat (BVerfGE 18, 85, 92), weist es lediglich die Rolle eines „Superberufungsgerichts“ von sich. Entgegen seinem erklärten Selbstverständnis unterzieht es allerdings doch immer wieder einmal Streitgegenstände einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung und geriert sich damit wie ein Berufungsgericht (vgl BVerfGE 41, 323, 327; 63, 266, 282 ff).[2]

3

Es entspricht dem Gerichtscharakter des BVerfG, dass es nur auf Antrag entscheidet (vgl zum Antragsgrundsatz § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) und grundsätzlich nur über den Gegenstand, den der Antrag vorgibt (vgl BVerfGE 2, 347, 367 f; 73, 1, 28 – Organstreit; 93, 121, 151 f – SV Böckenförde; zur Möglichkeit nachträglicher Beschränkung siehe BVerfGE 126, 1, 17 f)[3]. Auch für das BVerfG gilt also grundsätzlich: wo kein Kläger, da kein Richter. Die Antragsabhängigkeit des Tätigwerdens des BVerfG erfährt zwei bedeutende Einschränkungen: Zum einen hält es sich ohne nähere Begründung für befugt, auch von Amts wegen eine vorläufige Regelung eines streitbefangenen Rechtsverhältnisses durch Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG zu erlassen (BVerfGE 1, 74, 75; 1, 281, 282 f; 42, 103, 119 f; 46, 337, 338; 112, 284, 293; 140, 211 Rn 22)[4]. Zum anderen ist das BVerfG im – dem Individualrechtsschutz dienenden – Verfassungsbeschwerdeverfahren und im kontradiktorischen Organstreitverfahren dazu übergegangen, nach Antragsrücknahme bei Bestehen eines von ihm selbst festzustellenden „objektiven“ Klärungsbedürfnisses noch in der Sache zu entscheiden (BVerfGE 1, 396, 414 f; 24, 299, 300; 98, 218, 242 f; 106, 210, 213)[5]. Damit ist die Dispositionsmaxime aufgehoben und das Antragserfordernis in seiner Bedeutung auf eine Anstoßfunktion reduziert. Mit der Verfahrenseinleitung durch Antragstellung geht die Herrschaft über das Verfahren (vgl Rn 21 ff) auf das BVerfG über.

4

Die Tatsache, dass das BVerfG nicht von sich aus initiativ werden, sondern nur nachträglich kontrollieren kann, bedeutet jedoch nicht notwendig, dass es nur reagieren, nicht auch gestalterisch agieren könnte. So verhält es sich beispielsweise, wenn es im verfassungsgerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung eine bis zur Hauptsacheentscheidung verbindliche Interimsregelung trifft, die rechtsgestaltende Wirkung entfaltet. Auch mit seinen Hauptsacheentscheidungen hat das BVerfG einen nicht lediglich negatorisch definierten Anteil an der Ausübung der übrigen Staatsgewalten. Zwar kann es im Organstreitverfahren und im Bund-Länder-Streitverfahren nur die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme feststellen, im Verfassungsbeschwerde- und Normenkontrollverfahren jedoch auch Maßnahmen der Exekutive, Judikative und selbst Gesetzgebungsakte aufheben. Es hat darüber hinaus sich selbst, unter Berufung auf § 35 BVerfGG, die Befugnis zugeschrieben, in Ausübung seiner reklamierten Letztverantwortung für die Durchsetzung der Verfassung den Gesetzgeber unter Setzung einer Frist, nach deren fruchtlosen Verstreichen eine von ihm selbst dekretierte Regelung maßgeblich sein soll, zur Behebung des Verfassungsverstoßes ultimativ anzuweisen (s. dazu Rn 28 ff).

5

Das Fehlen einer eigenen Initiativbefugnis hat den Aktionsradius des BVerfG im Übrigen bisher nicht wirklich entscheidend eingeengt. Es hat sich fast immer noch ein Staatsorgan, ein Teil desselben oder aber jedenfalls ein Bürger gefunden, der das BVerfG mit dem Ziel der Klärung der verfassungsrechtlichen Rechtslage angerufen hat. So sind praktisch alle hochpolitischen Streitfragen, die die Republik bewegt haben, in mehr oder minder großem Umfang zur Nachprüfung durch das BVerfG gestellt worden. Durch kontinuierliche Rechtsprechung kann das BVerfG auch mehr als bloß punktuell intervenieren, vielmehr ganze Rechtsgebiete (zB das Familien-, Steuer- und Sozialrecht) nach seinem maßgeblichen verfassungsrechtlichen Willen (um-)gestalten.

6

Die jüngere Praxis des BVerfG (vgl E 104, 305, 306 f), den Streitparteien Vorschläge für eine außergerichtliche Streitbeilegung („einvernehmliche Verständigung“) zu unterbreiten, die den Antragsteller veranlassen sollen, den gestellten Antrag zurückzunehmen bzw die Voraussetzungen dafür schaffen sollen, dass die Beteiligten verfahrensbeendende Erklärungen (übereinstimmende Erledigungserklärungen) abgeben, sieht sich – ungeachtet der Tatsache, dass eine Antragsrücknahme in allen Verfahren möglich ist (zu Einschränkungen beim abstrakten Normenkontrollverfahren s. § 6) – erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt[6]. Verfassungsrecht ist zwingendes Recht; die durch das GG gebundene Staatsgewalt (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) darf von den ihr auferlegten verfassungsrechtlichen Bindungen nicht dispensiert werden. Daher eignet sich die Verfassung nicht für einen Deal. Das selbst der Verfassung unterworfene BVerfG darf zu einer solchen verfassungsrechtlichen Entbindung nicht beitragen, auch nicht dadurch, dass es durch mehr oder weniger sanften Druck einen Antragsteller dazu bewegt, sich mit weniger zufrieden zu geben als verfassungsrechtlich geschuldet ist und daher vom BVerfG bei einer Entscheidung in der Sache zugesprochen werden müsste. Daher käme ein „Vergleichsvorschlag“ des BVerfG, bei dessen Annahme der Überprüfungsantrag zurückgenommen wird, überhaupt nur dann in Betracht, wenn und soweit der Antrag unbegründet ist, also der „verklagten“ Staatsgewalt der gerügte Verfassungsverstoß tatsächlich nicht zur Last fällt. Dann aber darf sich das BVerfG nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzen, weil es dem Antragsteller durch die dem Antragsgegner praktisch aufgenötigte außergerichtliche Einigung mehr gibt als dieser verfassungsrechtlich beanspruchen kann. Das BVerfG spielt sich mit solchem Verhalten als Moderator des politischen Prozesses auf, eine Rolle, die ihm nicht zukommt. Seine verfassungsgemäße Aufgabe als „Hüter der Verfassung“ (BVerfGE 1, 184, 195, 197; 1, 396, 408; 6, 300, 304; 40, 88, 93) beschränkt sich auf die Kontrolle der Einhaltung der Verfassung; diese Kontrolle muss es allerdings, wenn es in zulässiger Weise angerufen wird, auch wahrnehmen; ihr darf es sich nicht in falsch verstandenem judicial self-restraint (siehe dazu Rn 46) entziehen.

7

Angesichts der dem BVerfG gestellten Aufgabe gerichtsförmiger Rechtskontrolle potenziell sämtlichen dem Staat zurechenbaren Handelns und Unterlassens am Maßstab der Verfassung treffen das GG und das BVerfGG Vorkehrungen dafür, dass die Richter des BVerfG eine Unabhängigkeit gewährleistende Distanz gegenüber den von ihnen kontrollierten Gewalten besitzen und wahren. So dürfen nach der Inkompatibilitätsvorschrift des Art. 93 Abs. 2 S. 1 HS 3 GG die Mitglieder des BVerfG weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören (vgl auch § 3 Abs. 3 S. 1 und 2 BVerfGG). Mit der richterlichen Tätigkeit am BVerfG ist auch eine andere berufliche Tätigkeit als die eines Lehrers des Rechts an einer deutschen Hochschule unvereinbar (§ 3 Abs. 4 S. 1 BVerfGG). Ein zum Richter des BVerfG gewählter Beamter oder Richter scheidet grundsätzlich mit der Ernennung aus seinem bisherigen Amt aus (§ 101 Abs. 1 S. 1 BVerfGG). Neben diesen abstrakten Sicherungsvorkehrungen greifen gegebenenfalls noch der konkrete Ausschluss vom Richteramt nach § 18 BVerfGG und die Richterablehnung wegen Befangenheit (§ 19 BVerfGG) ein[7].

II.Das Bundesverfassungsgericht – ein Verfassungsorgan?

8

Das BVerfG hat sich über seine unbestrittene Gerichtsqualität hinaus in der berühmten „Status-Denkschrift“ vom 27. Juni 1952[8] selbst den Status eines Verfassungsorgans attestiert. Die Status-Denkschrift hat mit der Rolle des BVerfG als „oberstem Hüter der Verfassung“ argumentiert. Das BVerfG sei insoweit „nach Wortlaut und Sinn des Grundgesetzes und des Gesetzes über das BVerfG zugleich ein mit höchster Autorität ausgestattetes Verfassungsorgan, in eine ganz andere Ebene als alle anderen Gerichte gerückt“. Diese vom BVerfG erstrittene und in der Literatur weitgehend anerkannte[9] Rechtsstellung, seine Verfassungsorganqualität, erkennt Art. 94 Abs. 1 GG nunmehr explizit an, wenn er, die Formulierung des § 1 Abs. 1 BVerfGG aufgreifend, dem BVerfG Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber „allen übrigen Verfassungsorganen“ zuschreibt[10]. Ausdruck des besonderen organisatorischen Status des BVerfG sind seine – nun auch verfassungsrechtlich anerkannte – Geschäftsordnungsautonomie (Art. 93 Abs. 4 GG, § 1 Abs. 3 BVerfGG), seine Ressortfreiheit, die herausgehobene protokollarische Stellung seines Präsidenten sowie schließlich sein Recht auf Beteiligung bei der Aufstellung des Entwurfs des Bundeshaushaltsplans durch Voranschläge des Präsidenten (vgl § 28 Abs. 3 BHO) und auf autonome Bewirtschaftung der bewilligten und in einem eigenen Einzelplan ausgewiesenen Haushaltsmittel.

9

Ob das BVerfG aufgrund dieses Status auf einer Ebene mit den anderen, von ihm kontrollierten Verfassungsorganen oder im Hinblick auf seine Kontrollbefugnis gar über diesen Staatsorganen steht[11], ist eine Frage der Definition. Entscheidend ist, dass die Redeweise vom BVerfG als Verfassungsorgan nichts anderes bedeuten kann als den Versuch, die dem BVerfG zugewiesenen Kompetenzen auf einen als Abbreviatur fungierenden Begriff zu bringen[12]. Dagegen dürfen aus dem so, also induktiv gewonnenen Begriff weitere Rechtsfolgen, insbesondere zusätzliche Kompetenzen des BVerfG nicht deduziert werden[13]. Eine solche Ableitung wäre nichts anderes als unzulässige und irreführende Begriffsjurisprudenz.

III.Das Bundesverfassungsgericht als maßgeblicher Letztinterpret des Grundgesetzes: Hüter oder Herr der Verfassung?

10

Mit dem BVerfG ist ein organisatorisch selbstständiges Gericht errichtet worden, welches die Verfassung letztentscheidend mit Verbindlichkeitsanspruch interpretiert. Das BVerfG nimmt diese Kompetenz wie selbstverständlich in Anspruch (BVerfGE 108, 282, 295): „Entsprechend seiner Aufgabe, das Verfassungsrecht zu bewahren, zu entwickeln und fortzubilden […, hat es] selbst letztverbindlich über dessen Auslegung und Anwendung zu entscheiden.“ Allerdings tritt diese zentrale Funktion des BVerfG nicht unmittelbar in Erscheinung; denn das BVerfG entscheidet in erster Linie die ihm zur Entscheidung zugewiesenen, konkreten Verfassungsstreitigkeiten; es stellt die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des geprüften Rechtsakts mit der Verfassung fest und zieht daraus gegebenenfalls noch weitere Konsequenzen, insbesondere erklärt es mit dem GG unvereinbar befundene Gesetze und sonstige Rechtsnormen für nichtig (§§ 78 S. 1, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG) und hebt verfassungswidrige Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen auf (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die maßgebliche Interpretation des Grundgesetzes bildet für diesen, sich im Tenor der Entscheidung widerspiegelnden Entscheidungsinhalt lediglich die präjudizielle Vorfrage.

11

Das BVerfG betreibt also keine prinzipale Verfassungsauslegung, erklärt nicht abstrakt, was Inhalt der Verfassung ist. Das gilt auch für das Organstreitverfahren ungeachtet der missverständlichen Formulierung des Art. 94 Abs. 1 Nr 1 GG. Die Streitigkeit zwischen obersten Bundesorganen oder anderen Beteiligten über den Umfang der Rechte und Pflichten, die ihnen das GG einräumt, bildet nicht lediglich den „Anlass“ für die Auslegung des Grundgesetzes, sondern den eigentlichen Prüfungsgegenstand; dementsprechend ordnet § 67 BVerfGG im Hinblick auf den Entscheidungsinhalt an, dass das BVerfG in seiner Entscheidung feststellt, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt (Satz 1). Das BVerfG kann in der Entscheidungsformel zugleich eine für die Auslegung der Bestimmung des Grundgesetzes erhebliche Rechtsfrage entscheiden, von der die Feststellung gemäß Satz 1 abhängt (§ 67 S. 3 BVerfGG). Aber auch diese Rechtsfrage, über die das BVerfG hier mitentscheidet, ist mit der Interpretation des Grundgesetzes, die das BVerfG zur Beantwortung dieser Frage vornimmt, nicht identisch (s. dazu Rn 419 ff). Nichts anderes gilt für die Rechtsfragen, über die das BVerfG in den Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 und 100 Abs. 3 GG „ausschließlich“ entscheidet (vgl §§ 81, 85 Abs. 3 BVerfGG). Von der formellen und materiellen Rechtskraft, die den nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen des BVerfG wie allen letztinstanzlichen Gerichtsentscheidungen zukommt, wird die Auslegung des Grundgesetzes, die das BVerfG vornimmt, als vorgreifliche Frage daher nicht erfasst.

12

Die Verbindlichkeit der seinen Entscheidungen zugrunde liegenden inzidenten Verfassungsauslegung folgt nicht schon aus Art. 93 Abs. 1 GG. Zwar weist diese Vorschrift dem BVerfG bestimmte Entscheidungszuständigkeiten zu, und wenn das BVerfG „entscheiden“ soll, dann impliziert die Anerkennung dieser Entscheidungsgewalt auch deren Verbindlichkeitsanspruch. Dieser erfasst jedoch nur die Entscheidung als solche, dh den in Rechtskraft erwachsenden Tenor der Entscheidung, nicht aber dafür vorgreifliche Verfassungsauslegungen.

13

Die Verbindlichkeit der vom BVerfG vorgenommenen Auslegung des Grundgesetzes ergab sich denn bisher auch erst aus § 31 Abs. 1 BVerfGG, und auch daraus nur dann, wenn man an der Bindungswirkung der Entscheidung die sie tragenden Gründe (rationes decidendi), soweit sie Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten, teilhaben lässt[14]. Diese Deutung des § 31 Abs. 1 BVerfGG entspricht dem Selbstverständnis des BVerfG[15], das sich für den „maßgeblichen Interpreten und Hüter der Verfassung“, für die „verbindliche Instanz in Verfassungsfragen“ hält (BVerfGE 40, 88, 93 f; 112, 268, 277; 150, 204 Rn 70). Darin dürfte – entgegen kritischen Stimmen in der Literatur[16] – wohl auch der eigentliche Sinngehalt des § 31 Abs. 1 BVerfGG liegen, über die personelle Geltungserstreckung der Rechtskraft der Entscheidungen des BVerfG auf alle staatlichen Organe, auch alle Behörden und Gerichte, hinaus[17]. Handeln Letztere dieser einfachgesetzlich angeordneten Bindungswirkung zuwider, dh setzen sie sich darüber hinweg, so liegt in diesem Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw gegen die Gesetzesbindung der rechtsprechenden Gewalt zugleich ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG, der vom BVerfG auf Verfassungsbeschwerde hin, die auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützt werden kann, durch Aufhebung des Verwaltungsaktes bzw der Gerichtsentscheidung sanktioniert wird (BVerfGE 115, 97, 108; BVerfGK 7, 229, 236).

14

Mit Art. 94 Abs. 4 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber[18] die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG in Übernahme der Formulierung des § 31 Abs. 1 BVerfGG auf Verfassungsebene gehoben. Damit sollte dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit genommen werden, durch Aufhebung des § 31 Abs. 1 BVerfGG die über die bloße Rechtskraftwirkung hinausgehende Bindungswirkung von Entscheidungen des BVerfG entfallen zu lassen. An der Reichweite der Bindungswirkung, wie sie sich aus der diesbezüglichen Rechtsprechung des BVerfG ergibt, sollte sich dadurch nichts ändern.[19] Man wird daher auch nicht annehmen können, dass damit den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und seiner Auslegung der Grundgesetzbestimmungen selbst Verfassungsrang zukommt, wodurch das BVerfG vom autoritativen zum authentischen Verfassungsinterpreten aufstiege. Dem BVerfG obliegt zwar in Sicherung des Vorrangs der Verfassung letztverbindlich die Durchsetzung der Verfassungsordnung (BVerfGE 36, 1, 14; siehe auch BT-Drucks. 20/12977, S. 8 f), aber der ihm aufgegebene Schutz der Authentizität der Verfassung erfolgt nicht mit der Autorität der Verfassung[20]. Daher soll für den Gesetzgeber auch nach wie vor kein striktes Normwiederholungsverbot gelten[21], was aber die notwendige Folge einer Teilhabe verfassungsrechtlicher Judikate am Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) wäre.[22] Die bloß autoritative Interpretation des Grundgesetzes durch das BVerfG steht daher ungeachtet Art. 94 Abs. 4 GG nach wie vor unter dem Vorbehalt authentischer Interpretation durch den Verfassungsgesetzgeber.

15

Dass letztlich nur das BVerfG, genauer: der Senat, der entschieden hat, wissen kann, welches die an der Bindungswirkung teilhabenden tragenden Gründe seiner Entscheidung gewesen sind, steht auf einem anderen Blatt. Nur das BVerfG selbst kann sein eigener authentischer Interpret sein. Die tragenden Entscheidungsgründen gehören daher zu den arcana imperii; ihre alleinige Kenntnis bildet das Herrschaftswissen des BVerfG, mittels dessen es seine Verfahrensherrschaft (s. dazu Rn 21 ff) ausübt.

16

Im Ergebnis bedeutet die nun verfassungsrechtlich festgeschriebene Bindungswirkung, dass die Auslegung, die das BVerfG im Rahmen seiner Entscheidungen dem GG gibt, nicht nur in dem Sinne praktisch wirksam ist, dass sich alle staatlichen Organe, wollen sie nicht Gefahr laufen, in Karlsruhe „aufzulaufen“, in ihrem Verhalten darauf einstellen werden, sofern nicht ausnahmsweise ersichtlich ist, dass sich das BVerfG, das selbst keiner Bindung an seine Rechtsprechung unterliegt (BVerfGE 4, 1, 38 f; 85, 117, 121 f), von dieser Auslegung in der ihm eigenen Souveränität wieder lösen könnte. Vielmehr ist diese Auslegung auch rechtsverbindlich, so dass von ihr nicht in zulässiger Weise abgewichen werden darf; etwas anderes gilt lediglich für den Gesetzgeber, der mangels Normwiederholungsverbot durch den jedenfalls bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zulässigen erneuten Erlass einer für verfassungswidrig erklärten Norm den Anstoß für eine – im Falle einer verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle mögliche – Überprüfung dieser Auslegung durch das BVerfG selbst geben kann[23].

17

Die Kompetenz zur letztverbindlichen Auslegung des Grundgesetzes verschafft dem BVerfG die im wahrsten Sinne des Wortes entscheidende Interpretationsherrschaft. Das BVerfG besitzt zwar kein Interpretationsmonopol hinsichtlich der Verfassung, aber in Sachen Auslegung der Verfassung das maßgebliche letzte Wort. Die anderen Verfassungsorgane sind dagegen lediglich zur Erst- oder Zweitinterpretation der ihr Handeln verfassungsrechtlich determinierenden Grundgesetzbestimmungen berufen. Der vom BVerfG (BVerfGE 106, 310 ff) abschließend entschiedene Streit um das wirksame Zustandekommen des so genannten Zuwanderungsgesetzes macht dies deutlich. Die Interpretation der hier maßgeblichen Vorschrift des Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG lag zunächst in der Hand des Bundesrates, genauer: in der Hand des die Verhandlungsleitung innehabenden und die vom Bundesrat gefassten Beschlüsse feststellenden Präsidenten des Bundesrates, sodann – in Zweitinterpretation – beim Bundespräsidenten, der vor Entscheidung über die Ausfertigung des Gesetzes dessen ordnungsgemäßes Zustandekommen gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG prüfen musste. Das entscheidende letzte Wort gebührte dann dem in einem abstrakten Normenkontrollverfahren gemäß Art. 94 Abs. 1 Nr 2 GG angerufenen BVerfG.

18

Durch das Letztentscheidungsrecht des BVerfG wird die Erst- und Zweitinterpretation durch sonstige Verfassungsorgane jedoch nicht etwa bedeutungslos. Das gilt zum einen deshalb, weil zum Zeitpunkt der mit ihrer Interpretation zeitlich zusammenfallenden Anwendung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen noch gar nicht feststeht, ob das BVerfG in zulässiger Weise angerufen werden wird, so dass es seine Letztentscheidungsbefugnis ausüben kann. Zum anderen hat die vorgängige Erst-, auf jeden Fall aber die Zweitinterpretation des Grundgesetzes durch den zur Ausfertigung von Bundesgesetzen berufenen Bundespräsidenten im Fall der Anrufung des BVerfG unter Umständen eine entscheidende Bedeutung, nämlich dann, wenn bei der Entscheidungsfindung des BVerfG im zuständigen Senat Stimmengleichheit auftreten sollte[24]. Dann kann ein Verstoß gegen das GG, der mit dem Antrag geltend gemacht wird, nicht festgestellt werden (§ 15 Abs. 4 S. 3 BVerfGG)[25]. Es unterliegt also in diesem Fall der Antragsteller; es obsiegt der Antragsgegner. Es kann daher letztlich entscheidend sein, welche Seite aufgrund der zunächst maßgeblichen Erst- bzw Zweitinterpretation der Verfassung in die „Angreiferrolle“ gezwungen wird und welche Seite die bequemere „Verteidigungsposition“ einnimmt. Schon deshalb dürfen Bundespräsidenten sich bei Ausübung ihres formellen und – wenn auch auf Evidenzfälle begrenzten – materiellen Prüfungsrechts nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht einfach damit begnügen, „den Weg nach Karlsruhe frei zu machen“. Der Weg nach Karlsruhe steht immer offen. Fraglich ist nur, wer ihn beschreiten und damit das Risiko des Unterliegens, insbesondere einer für ihn nachteiligen Vier-zu-Vier-Entscheidung tragen muss.

19

Die Kompetenz des BVerfG, vom Parlament erlassene Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu kontrollieren und bei Feststellung der Unvereinbarkeit für nichtig zu erklären, begründet eine außerordentliche Rechtsmacht in der Hand des Verfassungsgerichts, die das politische Koordinatensystem entscheidend verändert: Es kommt zum Übergang des parlamentarischen Gesetzgebungs- zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat[26]. Wer dagegen vorbringt, Verfassungsgerichtsbarkeit füge doch der materiellrechtlichen Bindung an die Verfassung, dh dem Vorrang der Verfassung, der sich auch der Gesetzgeber beugen müsse (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) nichts hinzu, übersieht geflissentlich die Interpretationsfähigkeit und -bedürftigkeit der Verfassung und die durch die Befugnis zur letztverbindlichen Interpretation der Verfassung begründete Interpretationsherrschaft des BVerfG[27]. Anders formuliert – in Anlehnung an Carl Schmitts berühmtes Diktum: „Souverän ist, wer über die Verfassungsinterpretation gebietet“[28].

20

Denkt man sich das „(Verfassungs-)Haus ohne Hüter“, also die Institution des BVerfG, wie sie das GG verfasst hat, einmal hypothetisch weg, dann unterläge zwar die Verwaltung wegen der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG einer gerichtsförmigen Kontrolle am Maßstab auch der Verfassung, und auch die anderen Fachgerichte könnten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten aufgrund ihrer unmittelbaren Bindung an die Grundrechte und die Verfassung im Ganzen (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) deren Unverbrüchlichkeit verbürgen. Der parlamentarische Gesetzgeber wäre aber keiner prinzipalen Kontrolle unterworfen, und Gesetze könnten, sofern sie nicht in Individualrechte eingreifen und dagegen fachgerichtlicher Individualrechtsschutz mobilisiert werden kann, nicht auf ihre objektive Übereinstimmung mit der Verfassung überprüft werden. Daher liegt in der Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit, welche die umfassende Zuständigkeit für eine abstrakte und konkrete, prinzipale und inzidente, unmittelbare und mittelbare Kontrolle von formellem Gesetzesrecht besitzt, eine partielle Entmachtung des Gesetzgebers. Nur der verfassungsändernde Gesetzgeber kann – als authentischer Interpret der Verfassung – der verbindlichen Interpretation des Grundgesetzes durch das BVerfG wirksam entgegentreten, indem er durch Änderung oder Aufhebung einer Verfassungsvorschrift deren Auslegung durch das BVerfG die Grundlage entzieht. Aber auch er muss gewärtigen, verfassungsgerichtlicher Kontrolle, wenn auch nur am eingeschränkten Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG, unterworfen zu werden.

IV.Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?

21

Das BVerfG hat sich wiederholt, seit Beginn seiner Rechtsprechung, als „Herr seiner Verfahren“ bezeichnet (vgl BVerfGE 13, 54, 94; 36, 342, 357; 60, 175, 213). Es leitet diesen Herrschaftsanspruch insbesondere aus der für sich reklamierten Stellung als Verfassungsorgan ab.

22

Die Behauptung eigener Verfahrensautonomie des BVerfG wird prima facie durch Art. 93 Abs. 5 S. 1 GG dementiert. Denn danach sind dem BVerfG – anders als den übrigen Verfassungsorganen – Verfassung und Verfahren durch den Bundesgesetzgeber vorgegeben. Es besitzt also gerade nicht die Befugnis, sein Verfahren selbst zu regeln[29]. Die erstrittene Geschäftsordnungsautonomie (Art. 93 Abs. 4 GG, § 1 Abs. 3 BVerfGG) betrifft lediglich den internen Geschäftsgang, nicht aber die Stellung des BVerfG gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Die Redeweise vom BVerfG als „Herr seiner Verfahren“ wird denn auch im Schrifttum als „gründlich missglückt“ charakterisiert[30], verbunden mit der Aufforderung, sie tunlichst beiseite zu lassen[31]. Verfahrensherrschaft kann danach in der Tat nicht rechtliche Ungebundenheit bedeuten; die Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über die Verfassung und das Verfahren des BVerfG stehen nicht zur Disposition des Gerichts. Das BVerfG nennt sich denn nun auch – präziser – Herr des Verfahrens „im Rahmen rechtlicher Bindungen“ (BVerfGE 60, 175, 213).

23

Was aber kann Verfahrensherrschaft unter dieser Voraussetzung bedeuten? Das BVerfG deutet die angebliche Lückenhaftigkeit der Prozessordnung als implizite Ermächtigung, diese durch eigene Regelungen autonom zu schließen: „Das BVerfGG enthält keine erschöpfende Verfahrensregelung, sondern beschränkt sich auf wenige, unbedingt erforderliche, den Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens angepasste Bestimmungen. Im Übrigen ist es dem Gericht überlassen, die Rechtsgrundlagen für eine zweckentsprechende Gestaltung seines Verfahrens im Wege der Analogie zum sonstigen deutschen Verfahrensrecht zu finden“ (BVerfGE 1, 109, 110 f; siehe auch BVerfGE 2, 79, 84). Diese angebliche Befugnis des BVerfG zur Schließung wirklicher oder vermeintlicher Lücken in der gesetzlichen Regelung des Verfassungsprozessrechts stößt, auch wenn sie sich auf die Entstehungsgeschichte des BVerfGG berufen kann[32], auf durchgreifende Bedenken[33]. Sie lässt außer Acht, dass nicht ein vom BVerfG in Selbstermächtigung frei geschöpftes Verfahren, sondern nur die gesetzlich bestimmte Verfahrensordnung dem Prozedieren und Entscheiden des BVerfG die – wie für alle Staatsgewalt, so auch für dieses Rechtsprechungsorgan erforderliche – demokratische Legitimation zu vermitteln vermag[34]. Art. 93 Abs. 5 S. 1 GG enthält daher nicht nur eine Regelungsermächtigung, sondern auch eine Regelungsverpflichtung, der der Gesetzgeber (vollumfänglich) nachkommen muss.

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Trotzdem ist es nicht falsch, wenn das BVerfG als „Herr des verfassungsgerichtlichen Verfahrens“ bezeichnet wird, also als derjenige, der den Ablauf des Verfahrens nach seinem eigenen Willen bestimmt. Diese Herrschaft vollzieht sich indes nicht schlicht und einfach durch – rechtswidrige – Missachtung des vorrangigen Verfahrensgesetzesrechts, sondern – subtiler und verfahrensrechtlich unangreifbar – durch dessen „eigenmächtige“ Interpretation. So hat beispielsweise das BVerfG mit der Entwicklung der so genannten Doppelhypothese (siehe dazu Rn 1057 ff) einen autonomen, von den sonstigen Prozessordnungen abweichenden Entscheidungsmaßstab für seine Entscheidung über beantragte einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG festgelegt. Darüber hinaus hat es die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgenaussprüche bei Normverwerfungen „ausdifferenziert“ und damit modifiziert. Mit Hilfe dieser Selbststeuerung des verbindlichen Entscheidungsinhaltes übt es interpretative Herrschaft im Verfahren aus. Gleiches gilt für die – nun mit Art. 94 Abs. 4 S. 1 GG auch verfassungsrechtlich anerkannte – Extension der Entscheidungswirkungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, indem hier die Bindungswirkung über den Entscheidungstenor hinaus auf die tragenden, verfassungsrechtlichen Gründe erstreckt wird, und für die Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG (dazu Rn 28 ff).

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Das BVerfG vermag auch durch strenge(re) oder „großzügige(re)“ Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der einzelnen Verfahrensarten den Zugang zu ihm selbst zu verschließen bzw weit zu öffnen. Beispiele dafür sind einerseits die beständige Steigerung der Zulässigkeitsanforderungen an Richtervorlagen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 BVerfGG einerseits, die Zulassung von auf Art. 38 Abs. 1 GG im Sinne eines subjektiven Rechts auf Bewahrung der Demokratie[35] auch im fortgesetzten Prozess europäischer Integration gestützten Verfassungsbeschwerden gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht und die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Verfassungsänderungen (BVerfGE 89, 155), den Vertrag von Lissabon (BVerfGE 123, 267), gegen den OMT-Beschluss der Europäischen Zentralbank (BVerfGE 134, 366; 142, 123 Rn 79-86 mwN)[36], gegen die Übertragung der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB (BVerfGE 151, 202 Rn 91–93), gegen die Errichtung eines Europäischen Patentgerichts (BVerfGE 153, 74 Rn 96–99), gegen die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens CETA der EU mit Kanada (BVerfGE 160, 208 Rn 140–146) und zuletzt gegen das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz (BVerfGE 164, 193 Rn 106 ff) andererseits.

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Die Frage, ob das BVerfG bei alledem stets die Grenzen möglicher Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften hinreichend beachtet hat oder – darüber hinausgehend – in unzulässiger Weise Rechtsfortbildung betrieben hat (äußerst kritisch insoweit zum OMT-Vorlagebeschluss die Sondervoten Lübbe-Wolff und Gerhardt, BVerfGE 134, 366 Rn 105 ff, Rn 133 ff, vgl auch unten Rn 71 f), die allein Sache des Gesetzgebers ist, erscheint müßig. Denn sowohl die Interpretation wie auch eine etwaige Rechtsfortbildung ist verfahrensrechtlich nicht angreifbar, allenfalls, wenn der Gesetzgeber die dafür notwendige „Widerstandskraft“ aufbringen sollte, gesetzlich mit Wirkung pro futuro revidierbar.

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In diesem Sinne einer Interpretationsherrschaft kommt dem BVerfG in der Tat aufgrund seiner Kompetenz zur verbindlichen Letztentscheidung der reklamierte Anspruch auf Herrschaft über und durch das Verfahren zu; die prozessrechtliche Gebundenheit geht also mit interpretativer Autonomie einher.

V.Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?

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Gemäß § 35 BVerfGG kann das BVerfG in seiner Entscheidung nicht nur bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Das BVerfG erblickt in dieser Vorschrift eine unbeschränkte Generalermächtigung zum Erlass von Vollstreckungsanordnungen; der Gesetzgeber habe ihm mit § 35 BVerfGG insoweit „die volle Freiheit belassen“, das Gebotene in der jeweils sachgerechtesten, zweckmäßigsten, einfachsten und wirksamsten Weise zu erreichen (BVerfGE 6, 300, 304). Das BVerfG hat diese Kompetenz dazu benutzt, insbesondere in Normenkontrollverfahren nach der Nichtigerklärung eines Gesetzes durch von Amts wegen erlassene Vollstreckungsanordnungen dem Gesetzgeber detaillierte Vorgaben zu machen, die den Charakter einer richterlichen Anweisung für eine zukünftige verfassungskonforme Neuordnung annehmen. „Auf diese Weise erhält die Vollstreckungsregelung, als bloße Übergangsbestimmung deklariert, in ihrer Eigenart wie ihrer Wirkung den Charakter einer gesetzesvertretenden Notverordnung“[37].

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Das BVerfG und die ihm folgende Literatur interpretieren „die Vorschrift des § 35 BVerfGG als die Ermächtigung […], den in seiner Entscheidung aufgedeckten verfassungswidrigen Zustand auf die schnellstmögliche und wirksamste Weise in einen verfassungsmäßigen zu überführen“[38]. In Wahrnehmung seiner so verstandenen Entscheidungsverantwortung hat das BVerfG – vergleichbar den Verfahren der Kommunalaufsicht – ein abgestuftes Interventionsinstrumentarium entwickelt. Dieses beginnt mit der „Beanstandung“, also der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme oder Norm, führt sodann über die Anweisung zur Behebung des Verstoßes (als Akt der „Selbstreinigung“), also über den (fristgebundenen) Handlungsauftrag an den Gesetzgeber, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, bis hin zur „Ersatzvornahme“, dh zu einer Art von Selbsteintrittsrecht des BVerfG, das bei „Versagen“ des Gesetzgebers selbst als „Not- oder Ersatzgesetzgeber“[39] fungiert (vgl BVerfGE 39, 1, 2 f, 68; 88, 203, 209 ff, 336 ff; 102, 197, 198, 223; 103, 111, 113, 141 f; 109, 256, 274; 127, 123, 163–165).

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Diese Interpretation der Vollstreckungskompetenz nach § 35 BVerfGG, die unter Vollstreckung hier den „Inbegriff aller Maßnahmen, die erforderlich sind, um solche Tatsachen zu schaffen, wie sie zur Verwirklichung des vom BVerfG gefundenen Rechts notwendig sind“ (BVerfGE 68, 132, 140 mwN) begreift, eine Auslegung, bei der „das Gericht recht eigentlich zum Herrn der Vollstreckung“ wird (BVerfGE 6, 300, 304), während der Gesetzgeber in die Rolle eines nachgeordneten Vollzugsorgans gedrängt wird, ist nicht unbestritten geblieben und erscheint entstehungsgeschichtlich zweifelhaft[40]. Insbesondere darf nicht übersehen werden, dass Normverwerfungen, also die Nichtigerklärung von Gesetzen, sich im Regelfall von selbst vollstrecken, weil dann wieder die frühere, durch das verfassungswidrige Gesetz nur scheinbar abgelöste Gesetzeslage gilt[41]. Der Vollstreckung fähig und bedürftig sind im eigentlichen Sinne nur Leistungs-, nicht aber Feststellungs- und Gestaltungsurteile.

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Doch es gilt auch hier: Das BVerfG hat sich, im Wege der Interpretation des § 35 BVerfGG, eine umfassende Vollstreckungsbefugnis attestiert[42]