Verfassungsprozessrecht - Michael Sachs - E-Book

Verfassungsprozessrecht E-Book

Michael Sachs

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Beschreibung

Michael Sachs stellt in konzentrierter Form die für Klausuren in Übungen und Staatsexamen relevanten Problemstellungen des Verfassungsprozessrechts dar. Behandelt werden Stellung, innerer Aufbau und die Verfahrensgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts, die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen aller Verfahrensarten sowie Inhalt und Wirkungen der Entscheidungen. Gesetzesänderungen und alle wichtigen Entwicklungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind in der Neuauflage berücksichtigt.

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Michael Sachs

Verfassungsprozessrecht

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Inhaltsverzeichnis

VorwortAbkürzungsverzeichnis1. Teil: Gerichtsverfassung und allgemeine VerfahrensregelnA. EinführungI. RechtsgrundlagenII. HilfsmittelIII. Geschichte der VerfassungsgerichtsbarkeitIV. Bedeutung der VerfassungsgerichtsbarkeitB. GerichtsverfassungI. Grundgesetzliche AnforderungenII. Gesetzliche Ausformung der GerichtsverfassungC. Allgemeine VerfahrensregelnI. Lückenhaftigkeit des BundesverfassungsgerichtsgesetzesII. Ausschluss und Ablehnung von RichternIII. BeteiligteIV. Einleitung und Fortgang des Verfahrens – VerfahrenshindernisseV. VerfahrensgrundsätzeVI. EntscheidungenVII. KostenD. Sachentscheidungsvoraussetzungen im ÜberblickI. Bedeutung der SachentscheidungsvoraussetzungenII. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen2. Teil: Einzelne Verfahrensarten des BVerfGZur Systematik der VerfahrensartenA. Abstrakte NormenkontrolleI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. EntscheidungsinhaltV. EntscheidungswirkungenB. Kompetenzfreigabe-Ersetzungsverfahren gemäß Art. 93 Abs. 2 Satz 1 GGI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. EntscheidungsinhaltV. EntscheidungswirkungenC. Konkrete NormenkontrolleI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenV. KammerentscheidungenD. NormenverifikationsverfahrenI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenE. NormenqualifikationsverfahrenI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenF. OrganstreitverfahrenI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenG. Grundgesetzbezogener Bund-Länder-StreitI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. Verfahrensablauf, Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenH. Sonstiger Bund-Länder-StreitI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. EntscheidungsinhaltI. ZwischenländerstreitI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. EntscheidungsinhaltJ. LandesorganstreitI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. EntscheidungsinhaltK. Zugewiesene LandesverfassungsstreitigkeitenI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. Verfahrensablauf und EntscheidungsinhaltL. Quasi-strafprozessuale VerfahrenI. GrundrechtsverwirkungsverfahrenII. ParteiverbotsverfahrenIII. BundespräsidentenanklageIV. RichteranklageM. WahlprüfungsbeschwerdeI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenV. Verhältnis zu anderen VerfahrenN. NichtanerkennungsbeschwerdeI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenV. Verhältnis zu anderen VerfahrenO. DivergenzvorlageI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. VerfahrensablaufIV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenV. Verhältnis zu anderen VerfahrenP. GrundrechtsverfassungsbeschwerdeI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. Annahme zur Entscheidung und KammerentscheidungenIV. VerfahrensablaufV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenQ. Kommunale VerfassungsbeschwerdeI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. Besondere SachentscheidungsvoraussetzungenIII. Verfahrensablauf, Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenR. Sonstige, durch Bundesgesetze zugewiesene Fälle3. Teil: Sonderformen und Wirkungen bundesverfassungsgerichtlicher EntscheidungenA. Einstweilige AnordnungI. Rechtsgrundlagen, Funktion und praktische BedeutungII. SachentscheidungsvoraussetzungenIII. Begründetheit des AntragsIV. VerfahrensablaufV. Entscheidungsinhalt und EntscheidungswirkungenB. Vollstreckungsanordnung gemäß § 35 BVerfGGC. Wirkungen der Entscheidungen des BVerfG im AllgemeinenAntworten zu den LernkontrollfragenAntworten zum 1. TeilAntworten zu A. Einführung:Antworten zu B. Gerichtsverfassung:Antworten zu C. Allgemeine Verfahrensregeln:Antworten zu D. Sachentscheidungsvoraussetzungen:Antworten zum 2. TeilAntworten zu A. Abstrakte Normenkontrolle:Antworten zu B. Kompetenzfreigabe-Ersetzungsverfahren gemäß Art. 93 Abs. 2 Satz 1 GGAntworten zu C. Konkrete Normenkontrolle:Antworten zu D. Normenverifikationsverfahren:Antworten zu E. Normenqualifikationsverfahren:Antworten zu F. Organstreitverfahren:Antworten zu G. Grundgesetzbezogener Bund-Länder-StreitAntworten zu H. Sonstiger Bund-Länder-StreitAntworten zu I. Zwischenländerstreit:Antworten zu J. Landesorganstreit:Antworten zu K. Zugewiesene Landesverfassungsstreitigkeiten:Antworten zu L.I. Grundrechtsverwirkungsverfahren:Antworten zu L. II. Parteiverbotsverfahren:Antworten zu L. III. Bundespräsidentenanklage:Antworten zu L. IV. Richteranklage:Antworten zu M. Wahlprüfungsbeschwerde:Antwort zu N. Nichtanerkennungsbeschwerde:Antworten zu O. Divergenzvorlage:Antworten zu P. Grundrechtsverfassungsbeschwerde:Antworten zu Q. Kommunale Verfassungsbeschwerde:Antworten zum 3. TeilAntworten zu A. Einstweilige Anordnung:Antworten zu C. Wirkungen der Entscheidungen im Allgemeinen:Sachregister
[Zum Inhalt]

|V|Vorwort

Das Verfassungsprozessrecht ist für den Juristen im Beruf in den meisten Fällen eine Materie von eher randständiger Bedeutung, auch wenn man die doch recht zahlreichen Verfassungsbeschwerden und die nicht ganz seltenen Richtervorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG bedenkt, zu denen es in den unterschiedlichsten rechtlichen Zusammenhängen kommen kann. Für die Studierenden der Rechtswissenschaft, an die sich dieses Buch richtet, hat das Verfassungsprozessrecht indes von den ersten Semestern bis zum Examen einen hohen Stellenwert, und zwar auch dann, wenn das Juristenausbildungsrecht nur eingeschränkte Anforderungen stellt. Denn in den meisten Fällen sind Übungs- und Prüfungsaufgaben auf dem Gebiet des Staatsrechts (Staatsorganisationsrecht und Grundrechte) so gestaltet, dass nach den Möglichkeiten oder den Erfolgsaussichten eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht oder nach dem Inhalt einer von ihm zu treffenden Entscheidung gefragt wird. Die Landesverfassungsgerichte spielen demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle; zudem entspricht ihr Prozessrecht – unbeschadet mancher Besonderheiten, wie etwa der Popularklage in Bayern oder der bei Verfahren auf Landesebene viel wichtigeren Plebiszite – weitgehend dem des Bundesverfassungsgerichts. Daher ist es legitim, die Darstellung der verfassungsprozessualen Grundlagen auf das Bundesverfassungsgericht zu beschränken.

Im ersten Teil des Buches werden allgemeine Fragen behandelt, die für das richtige Verständnis der Verfassungsgerichtsbarkeit sowie für Stellung und Funktion des Bundesverfassungsgerichts im grundgesetzlichen System der Gewaltenteilung von großer Bedeutung sind, auch wenn sie eher selten den unmittelbaren Gegenstand von Klausuraufgaben bilden. Dazu gehören auch die Gerichtsverfassung des Bundesverfassungsgerichts und seine allgemeinen Verfahrensregeln.

Im Mittelpunkt der Darstellung stehen im zweiten Teil des Buches ihrer praktischen Bedeutung in Ausbildung und Prüfung entsprechend Probleme der einzelnen Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht. Vor allem werden hier die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen in den einzelnen Verfahrensarten erläutert, die im Rahmen der Zulässigkeit eines Verfahrens zu prüfen sind; daneben wird auf die Entscheidungsinhalte und Entscheidungswirkungen Wert gelegt, deren Problempunkte gleichfalls häufig den Gegenstand einschlägiger Aufgaben bilden. Einleitend werden zu den einzelnen Verfahrensarten jeweils ihre Rechtsgrundlagen angegeben, historische Vorbilder angesprochen und ihre allgemeine – theoretische wie praktische – Bedeutung beleuchtet. Besonders ausführlich sind bei all dem die in der Ausbildungs- und Prüfungspraxis wichtigsten Verfahrensarten (neben der Verfassungsbeschwerde vor allem die Normenkontroll- und die Verfassungsstreitverfahren) berücksichtigt; aber auch zu den seltener vorkommenden |VI|Verfahrensarten werden die notwendigen Kenntnisse in knapper Form vermittelt.

Der abschließende dritte Teil behandelt mit der einstweiligen Anordnung und der Vollstreckungsanordnung zwei Sonderformen bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen und die Wirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Allgemeinen.

Die Darstellung orientiert sich grundsätzlich an der Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts, die für dessen ureigenes Rechtsgebiet vielleicht noch größere Bedeutung besitzt als für andere Gebiete, ohne aber auf Kritik zu verzichten, wo dies nötig erscheint. Auf Einzelnachweise in Fußnoten wurde verzichtet; dafür sind jeweils am Abschnittsende sowie Abhandlungen sowie Klausurfälle angegeben, die zur Vertiefung für Studierende besonders geeignet scheinen. Zur Lernkontrolle finden sich dort ferner jeweils einige Fragen, die am Ende des Buches unter Hinweis auf die maßgeblichen Textpassagen beantwortet sind.

Hinweise auf Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten für zukünftige Auflagen nehme ich weiterhin gern entgegen; entsprechende Zuschriften werden an [email protected] erbeten.

Mein Dank für die umsichtige Unterstützung bei der Neuauflage gilt wieder meinem Wiss. Mitarbeiter Dr. Christian Jasper.

 

Köln, 23. April 2016 Michael Sachs

[Zum Inhalt]

|XV|Abkürzungsverzeichnis

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

Abs.

Absatz

abw.

abweichende

Alt.

Alternative(n)

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

ÄndG

Änderungsgesetz

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVerf.

Bayerische Verfassung

BayVerfGHG

Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof

BbgVerfG

Brandenburgisches Verfassungsgericht

Beschl.

Beschluss

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (sog. Amtliche Sammlung)

BSG

Bundessozialgericht

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfG (K)

Bundesverfassungsgericht (Kammerentscheidung)

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (sog. Amtliche Sammlung)

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerfGK

Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (sog. Amtliche Sammlung)

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (sog. Amtliche Sammlung)

BWahlG

Bundeswahlgesetz

ca.

circa

DDR

Deutsche Demokratische Republik

d.h.

das heißt

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiG

Deutsches Richtergesetz

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebda

ebenda

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Einstw. AO

Einstweilige Anordnung

EU

Europäische Union

|XVI|EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechtszeitschrift

f., ff.

folgende

GG

Grundgesetz

GO-BT

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

GOBVerfG

Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

HambgVerfG

Hamburgisches Verfassungsgericht

HessStGHG

Hessisches Gesetz über den Staatsgerichtshof

HessVerf.

Verfassung des Landes Hessen

Hs.

Halbsatz

i.V.m.

in Verbindung mit

i.S.

im Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

LER

Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde

lit.

littera (Buchstabe)

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung

LVerf

Landesverfassung

LVerfG

Landesverfassungsgericht(e)

MuSchG

Mutterschutzgesetz

MVVerfG

Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NdsVBl.

Niedersächsische Verwaltungsblätter

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NPD

Nationaldemokratische Partei Deutschlands

Nr.

Nummer(n)

NRWVerfGH

Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen

NSDAP

Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht

NWVBl.

Nordrhein-westfälische Verwaltungsblätter

o.ä.

oder ähnliche(s)

PartG

Parteiengesetz

PUAG

Untersuchungsausschussgesetz

RGBl.

Reichsgesetzblatt

Rn.

Randnummer(n)

S.

Seite(n)

SAnhLVerfG

Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt

SGG

Sozialgerichtsgesetz

SHVerf.

Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

|XVII|sog.

sogenannt(e/n)

SRP

Sozialistische Reichspartei Deutschlands

StPO

Strafprozessordnung

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblätter

ThürVerfGH

Thüringer Verfassungsgerichtshof

TÜV

Technischer Überwachungs-Verein

u.

und

u.a.

unter anderem, und andere

v.

vom

VBlBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VereinsG

Vereinsgesetz

vgl.

vergleiche

vs.

versus (gegen)

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

WahlprüfG

Wahlprüfungsgesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

z.B.

zum Beispiel

ZPO

Zivilprozessordnung

z.T.

zum Teil

[Zum Inhalt]

|1|1. Teil:Gerichtsverfassung und allgemeine Verfahrensregeln

|2|A.Einführung

I.Rechtsgrundlagen

1Die für das BVerfG und seine Tätigkeit maßgeblichen Rechtsgrundlagen finden sich vor allem im Grundgesetz (GG), im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sowie in der Geschäftsordnung des BVerfG (GOBVerfG).

1.Vorgaben des Grundgesetzes selbst

2Die zentral bedeutsamen Aussagen zum BVerfG und zu seiner Tätigkeit enthält das Grundgesetz selbst. Sie beschränken sich allerdings auf knappe Grundsätze, die durch gesetzliche Regelungen ergänzt werden müssen. Dabei kann es vorkommen, dass eine gesetzliche Regelung den bereits im Grundgesetz getroffenen Festlegungen widerspricht. In einem solchen Fall ist nach dem Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) allein die grundgesetzliche Regelung maßgeblich. Soweit sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben widersprechen, sind gesetzliche Vorschriften grundsätzlich nichtig (aber → Rn. 163ff.), wenn nicht eine vorrangig gebotene verfassungskonforme Auslegung möglich ist.

Beispiel: In § 63BVerfGG wird der Kreis möglicher Antragsteller und Antragsgegner ausdrücklich („nur“) durch eine abschließende Aufzählung festgelegt, die in unterschiedlicher Hinsicht hinter den in diesem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG möglicherweise Beteiligten zurückbleibt (näher → Rn. 299ff.). Das BVerfG erkennt in diesem Rahmen auch Beteiligte des Organstreitverfahrens an, die von der Aufzählung des § 63BVerfGG nicht erfasst sind. Eine förmliche Teil-Nichtigerklärung des § 63BVerfGG, der selbst nicht Prüfungsgegenstand eines Normenkontrollverfahrens war, im Hinblick auf das „nur“ ist nicht erfolgt. Vgl. für weitere Fälle → Rn. 126ff. (129), 389, 456f.

3Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Organisation des BVerfG finden sich vor allem in Art. 92 und 94 GG. Nach Art. 92 Hs. 2 GG wird die rechtsprechende Gewalt, die nach Hs. 1 des Artikels den Richtern anvertraut ist, u.a. durch das BVerfG ausgeübt. Mit dieser Zuordnung zur rechtsprechenden Gewalt im Rahmen der Gewaltenteilung trifft das Grundgesetz eine entscheidend wichtige Festlegung zur Qualität der Tätigkeit des BVerfG, die dadurch den besonderen Bindungen jeder rechtsprechenden Gewalt unterworfen wird. Vor allem bedeutet dies, dass die Entscheidungen des BVerfG stets in der Bindung an das Verfassungsrecht zu treffen sind und nicht etwa seinem politischen Gestaltungswillen überlassen bleiben. Im Zusammenspiel mit Art. 92 Hs. 1 GG wird auch deutlich, dass die Amtswalter des BVerfG, wie die aller anderen Gerichte, Richter sind. Dies hat vor allem zur Konsequenz|3|, dass die Garantien der Unabhängigkeit des Richters in sachlicher wie in persönlicher Richtung eingreifen (Art. 97 Abs. 1 und 2 GG). Art. 94 GG bezieht sich speziell auf das BVerfG und legt wichtige Grundzüge seiner Organisation fest, die im Übrigen in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG ebenso wie Fragen des Verfahrens und der Entscheidungswirkungen bundesgesetzlicher Regelung überantwortet werden (→ Rn. 6).

4Art. 93 GG enthält eine Aufzählung der dem BVerfG übertragenen Aufgaben. Art. 93 Abs. 1 GG nennt selbst in Nr. 1–4c nur einige der wichtigsten Zuständigkeiten des BVerfG. Nr. 5 verweist auf die übrigen verfassungsunmittelbar begründeten Zuständigkeiten des BVerfG, die sich an ganz unterschiedlichen Stellen des Grundgesetzes meist im Rahmen der jeweiligen Regelungszusammenhänge finden. Dies betrifft namentlich Art. 18 Satz 2, Art. 21 Abs. 2 Satz 2, Art. 41 Abs. 2, Art. 61 Abs. 1 Satz 1, Art. 98 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 Satz 3, Art. 99, Art. 100 Abs. 1–3 sowie Art. 126 GG; zu erwähnen ist auch der den Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG ergänzende Art. 84 Abs. 4 Satz 2 GG. Eine weitere Verfahrensart wurde 2006 als Absatz 2 in Art. 93 GG selbst aufgenommen. Einen raschen Überblick über alle diese Verfahren ermöglicht § 13BVerfGG, der die Verfahrensarten grundsätzlich (aber → Rn. 110) nach der Reihenfolge ihrer Erwähnung im Grundgesetz aufzählt. Art. 93 Abs. 3 GG sieht allgemein die Möglichkeit vor, dem BVerfG durch Bundesgesetz weitere Aufgaben zuzuweisen, die nicht notwendig Rechtsprechungscharakter haben müssen.

Beispiel: Ursprünglich war dem BVerfG gem. § 97BVerfGG a.F. die Aufgabe übertragen, auf Ersuchen bestimmter oberster Bundesorgane Rechtsgutachten zu verfassungsrechtlichen Fragen zu erstatten. Aufgrund wenig günstiger Erfahrungen wurde diese Norm nach wenigen Jahren aufgehoben.

5Die auf dieser Grundlage nur (einfach-) gesetzlich begründeten Zuständigkeiten des BVerfG (→ Rn. 630f.) sind heute ohne große praktische Bedeutung.

2.Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

6Das in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Ausführungsgesetz ist mit dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12.3.1951 (BGBl. I, S. 243) ergangen. Es gilt gegenwärtig mit dem Klammerzusatz (Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.8.1993 (BGBl. I, S. 1473), die seitdem schon viele Male geändert worden ist (zuletzt durch Art. 8 der Zehnten Zuständigkeitsanpassungsverordnung v. 31.8.2015, BGBl. I, S. 1474).

7Das BVerfGG gliedert sich in fünf Teile. Der I. Teil regelt in §§ 1–16 Verfassung und Zuständigkeit des BVerfG, der II. Teil enthält – neben Regelungen zur Akteneinsicht außerhalb des Verfahrens, §§ 35a–c – allgemeine Vorschriften über das verfassungsgerichtliche Verfahren (§§ 17–35), der III. Teil Bestimmungen zu den einzelnen Verfahrensarten (§§ 36–96d), die für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen praktisch besonders wichtig sind. Der 2011 eingefügte IV. Teil behandelt in den §§ 97a–e die Verzögerungsbeschwerde. Der nunmehr V. Teil besteht aus einigen für Studium und Prüfung weniger bedeutsamen Schlussvorschriften.

|4|3.Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts

8Die GOBVerfG wird nach § 1 Abs. 3BVerfGG von dessen Plenum erlassen. Die Rechtsgrundlage für diese Form der Rechtsetzung, die bei Gerichten im Allgemeinen nicht vorkommt, wird aus der besonderen Stellung des BVerfG abgeleitet, das nicht nur Gericht, sondern auch Verfassungsorgan ist (vgl. in diesem Sinne etwas versteckt § 1 Abs. 1BVerfGG). Als solches hat das BVerfG für sich auch schon vor deren Aufnahme in das Gesetz (mit ÄndG vom 12.12.1985, BGBl. I, S. 2226) eine Geschäftsordnungsautonomie in Anspruch genommen, wie sie auch bei anderen Verfassungsorganen (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung usw.) bekannt ist. Zurzeit gilt die GOBVerfG vom 19.11.2014 (BGBl. 2015 I, S. 286; dazu näher Zuck, EuGRZ2015, 362). Inhalt der Geschäftsordnung sind zum einen Vorschriften zur Organisation und Verwaltung des BVerfG (Teil A, §§ 1–19), daneben finden sich aber auch verfahrensergänzende Vorschriften (Teil B, §§ 20–73). Die Bestimmungen der Geschäftsordnung dürften für studentische Übungs- oder Prüfungsarbeiten kaum Bedeutung erlangen.

II.Hilfsmittel

1.Rechtsprechung des BVerfG

9Von entscheidender Bedeutung für eine intensivere Beschäftigung mit dem Verfassungsprozessrecht ist in erster Linie die Rechtsprechung des BVerfG. Die wichtigsten Entscheidungen, insbesondere die der beiden Senate, aber auch des Plenums des Gerichts, finden sich in der sog. Amtlichen Sammlung (genauer: in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, zitiert: BVerfGE, bisher erschienen Bände 1–138); für wesentliche Entscheidungen der Kammern gibt es seit einigen Jahren eine weitere Sammlung (BVerfGK = Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts; bisher erschienen Bände 1–20). Die verschiedenen juristischen Fachzeitschriften bringen je nach ihrer Ausrichtung unterschiedlich ausgewählte Entscheidungen, darunter auch solche, die in der Amtlichen Sammlung nicht berücksichtigt sind; die als besonders interessant für Studenten und Referendare eingeschätzten Entscheidungen werden auch in den Ausbildungszeitschriften (wie vor allem JuS, Jura, JA) aufbereitet. Auf aktuellstem Stand und – allerdings nur bis 1996 zurückreichend – recht vollständig ist die Judikatur des BVerfG im Internet (www.bverfg.de) greifbar. Auch ältere Entscheidungen finden sich in Datenbanken wie Juris oder beck-online. Wichtig kann auch das vom BVerfG herausgegebene „Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ (zitiert: NBVerfG; Stand: 192. Aktualisierung, Dezember 2015) sein, das als Loseblattwerk erscheint und die Rechtsprechung des Gerichts geordnet nach den darin behandelten Rechtsvorschriften in meist kurzen Zitaten dokumentiert. Für das Verfassungsprozessrecht ist dabei insbesondere der Abschnitt über das BVerfGG von Bedeutung.

|5|2.Schrifttum zum Verfassungsprozessrecht

10Aus dem Schrifttum ist für ein vertiefendes Studium insbesondere auf die nachstehend aufgeführten speziell verfassungsprozessualen Werke zu verweisen. Wichtige Aussagen zur Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und ihren Verfahren finden sich aber auch in den allgemeinen Werken zum Grundgesetz, namentlich in den Kommentaren (bei den einschlägigen Artikeln, → Rn. 2ff.) sowie in den großen Lehrbüchern (vor allem Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, §§ 32, 44, sowie Bd. III/2, 1994, §§ 87 V, 91) und Handbüchern des Staatsrechts (namentlich die Beiträge von Wolfgang Löwer, Wilhelm Karl Geck und Gerd Roellecke, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof [Hrsg.] Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 3. Aufl. 2005, §§ 67–70, sowie Helmut Simon, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel [Hrsg.], Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 34).

11Aus der Spezialliteratur zum Verfassungsprozessrecht sind die Kommentare zum BVerfGG besonders für das Nachschlagen zu Einzelfragen wichtig. Unter den aktuell noch bedeutsamen Werken ist zunächst der handliche Kurzkommentar von Hans Lechner/Rüdiger Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 7. Aufl. 2015, zu erwähnen; in ähnlichem Format jetzt Christofer Lenz/Ronald Hansel, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2015. Daneben gibt es Großkommentare, insbesondere – in gebundener Form – zuletzt die Neuausgabe des Mitarbeiterkommentars von Christian Burkiczak/Franz-Wilhelm Dollinger/Frank Schorkopf (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2015. Als Loseblattwerk ständig aktualisiert ist das von Theodor Maunz begründete und etlichen Autoren fortgeführte Werk: Maunz u.a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand: 47. Nachlieferung August 2015.

12An systematisch angelegten Lehrbüchern stehen die folgenden Titel zur Verfügung: Christian Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, behandelt das Thema sowohl für die Bundes- wie für die Landesebene. Auf das BVerfG konzentriert sich das Lehr- und Handbuch von Ernst Benda†/Eckart Klein/Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012.

13Eher auf den Studiengebrauch zugeschnitten sind die immer noch recht umfassenden Werke von Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 10. Aufl. 2015, und Christian Hillgruber/Christoph Goos, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015. An knapperen Darstellungen sind zu erwähnen Gerhard Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl. 2005, Roland Fleury, Verfassungsprozessrecht, 10. Aufl. 2015, und Hubertus Gersdorf, Verfassungsprozessrecht und Verfassungsmäßigkeitsprüfung, 4. Aufl. 2014.

14Große Bedeutung bei vertiefter Befassung haben die Beiträge in den beiden Jubiläumsfestschriften des BVerfG, die jeweils einen Band verfassungsprozessualen Problemen gewidmet haben, nämlich: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Erster Bd., Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, und Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Erster Bd., Verfassungsgerichtsbarkeit – Verfassungsprozess, 2001.

|6|III.Geschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit

15Aus der Geschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit sollen hier nur wenige Eckpunkte angesprochen werden. Im weitesten Sinne sind als Vorläufer des BVerfG das Reichskammergericht und der Reichshofrat zu nennen, die allerdings nicht speziell mit der Entscheidung von Verfassungsfragen befasst waren. Daneben wurden in der Zeit des alten Deutschen Reiches bis 1806 Verfassungsstreitigkeiten vielfach durch sogenannte Austrägal-Instanzen entschieden, die aus konkretem Anlass eingesetzt wurden.

16Im 1815 begründeten Deutschen Bund, der noch keinen Bundesstaat, sondern einen völkerrechtlichen Staatenbund darstellte, konnten Streitigkeiten entweder durch die Bundesversammlung oder durch ein besonderes Schiedsgericht entschieden werden (vgl. Art. 11 Abs. 4 Deutsche Bundesakte von 1815 und Art. 21–24 Wiener Schlussakte von 1820). In der Reichsverfassung von 1849 (der sog. Paulskirchenverfassung) waren dem dort vorgesehenen Reichsgericht im Rahmen seiner umfassenden Zuständigkeiten nach Art. 126 auch verfassungsrechtliche Fragen zur Entscheidung zugewiesen; wegen des frühzeitigen Scheiterns dieser Verfassung ist dies indes nicht praktisch bedeutsam geworden. In der bundesstaatlichen Reichsverfassung von 1871 war nach Art. 76, 77 der damalige Bundesrat namentlich für Entscheidungen über verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen den Ländern sowie innerhalb der Länder berufen.

17Schon früher als auf der gesamtstaatlichen Ebene hatte sich die Verfassungsgerichtsbarkeit in Einzelstaaten des Deutschen Bundes von 1815 entwickelt. Solche Staatsgerichtshöfe konnten insbesondere über Streitigkeiten zwischen den Ständeversammlungen und den Monarchen entscheiden; daneben war die Ministeranklage verbreitet, über die die Verantwortlichkeit der Regierung sichergestellt werden sollte (→ Rn. 439).

18Eine echte Verfassungsgerichtsbarkeit wurde auf Reichsebene erstmalig in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 verwirklicht. Vorgesehen war insbesondere ein Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, der vor allem über Streitigkeiten bundesstaatlichen Ursprungs zu entscheiden hatte (vgl. etwa Art. 15 Abs. 3 und Art. 19WRV). Außerdem war eine Anklage des Reichspräsidenten beim Staatsgerichtshof vorgesehen (s. Art. 59WRV). Unabhängig von dieser spezifischen Verfassungsgerichtsbarkeit war aber auch das Reichsgericht mit Aufgaben betraut, die heute von den Verfassungsgerichten erledigt werden. Dies gilt namentlich für die in Art. 13 Abs. 2WRV vorgesehene Möglichkeit, in einem Normenkontrollverfahren die Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem Reichsrecht zu überprüfen. Eine Kontrolle der Reichsgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit war hingegen nicht geregelt. Die Frage, ob die Gerichte allgemein berechtigt waren, im Rahmen eines „richterlichen Prüfungsrechts“ über die Verfassungsmäßigkeit der von ihnen anzuwendenden Gesetze zu befinden, blieb während der kurzen Lebensdauer der Weimarer Verfassung im Streit. Der österreichische Verfassungsgerichtshof kannte demgegenüber schon seit der Bundes-Verfassung von 1920 ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle bezogen auf die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen.

19|7|Daran konnte nach dem Zweiten Weltkrieg die Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 anknüpfen, die dem Bayerischen VerfGH u.a. Zuständigkeiten für den Organstreit, die abstrakte Normenkontrolle und die Verfassungsbeschwerde zuwies. Dieses Vorbild ist über bayerische Vorschläge im Rahmen des Herrenchiemseer-Konvents für die Verfassungsgerichtsbarkeit im Grundgesetz prägend geworden.

20Die dort vorgesehene Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit entsprach von Anfang an weitgehend ihrer heutigen Form, kannte allerdings noch keine Verfassungsbeschwerde. Diese wurde aber bereits mit dem BVerfGG von 1951 geschaffen und 1969 dann ins GG übernommen. Das BVerfGG hat seinerseits seit 1951 vielfältige Änderungen erfahren. Hervorzuheben sind dabei:

die Abschaffung des Gutachten-Verfahrens,

die Änderungen im Zusammenhang mit Zahl und Amtsdauer der Richter sowie zuletzt im Hinblick auf die Richterwahl durch den Bundestag,

die wiederholt umgestaltete Vorprüfung von Verfassungsbeschwerden bis hin zur aktuell geltenden Möglichkeit der Entscheidung durch Kammern des BVerfG, die inzwischen auch bei Richtervorlagen vorgesehen ist,

die Ergänzungen im Hinblick auf die Zuständigkeiten nach dem Untersuchungsausschussgesetz,

die Regelung des Kompetenzfreigabe-Ersetzungsverfahrens

sowie zuletzt die Einführung der wahlrechtlichen Nichtanerkennungsbeschwerde und der Verzögerungsbeschwerde.

IV.Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit

21Die Existenz einer funktionierenden Verfassungsgerichtsbarkeit ist für die Verfassung eines Gemeinwesens in der Praxis von nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung. Denn eine solche Verfassungsgerichtsbarkeit kann die Beachtung der Verfassung in verschiedenen, zentral bedeutsamen Zusammenhängen sicherstellen.

22Dies gilt zum einen für den Bereich klassischer Verfassungsstreitigkeiten, die sich im Bundesstaat zwischen Bund und Ländern bzw. zwischen den Ländern sowie allgemein zwischen den Verfassungsorganen ergeben können. Eine funktionierende Verfassungsgerichtsbarkeit schafft hier die Möglichkeit, politische Machtkonflikte zwischen den maßgeblichen Faktoren des Verfassungslebens einer rechtlichen Lösung zuzuführen, während andernfalls unter Umständen mit der gewaltsamen Durchsetzung einer Seite gerechnet werden müsste.

23Daneben hat in einem weitestgehend durchnormierten Rechtsstaat die Aufgabe der Normenkontrolle an Bedeutung noch gewonnen, durch die der Vorrang der Verfassung vor sonstigen Rechtsnormen sowie der Vorrang des Bundesrechts vor dem Landesrecht durchgesetzt wird.

24Eine weitere traditionelle Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit liegt im Bereich des rechtlich geordneten Verfassungsschutzes, wo die Verfassungsgerichte in |8|bestimmten, zum Schutze der Verfassung eingerichteten Verbots- und Anklageverfahren zu entscheiden haben.

25Die gegenwärtig in der Praxis dominierende Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit besteht schließlich darin, das Individuum mit seinen Grundrechten allgemein gegenüber Zwängen der Staatsgewalt verfassungsrechtlich zu schützen, was insbesondere durch das Instrument der Verfassungsbeschwerde geschieht. Durch die Kontrolle der fachgerichtlichen Rechtsprechungstätigkeit anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe erlangt das BVerfG dabei großen Einfluss auf die Rechtsanwendung in fast allen Bereichen der Rechtsordnung. Um nicht zum Superrevisionsgericht für alle Zweige der Gerichtsbarkeit zu werden, betont das BVerfG allerdings die Beschränkung seiner Aufgaben auf die Wahrung gerade des Verfassungsrechts und die Subsidiarität gegenüber der sonstigen Rechtsprechung (→ Rn. 227 allgemein; Rn. 366, 372, 383, 393 zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG; Rn. 568f., 584ff. zur Grundrechtsverfassungsbeschwerde; Rn. 623, 627 zur kommunalen Verfassungsbeschwerde).

26Die Fülle der vorstehend nur angedeuteten Aufgaben des BVerfG verschafft ihm im Rahmen der bestehenden Verfassungsordnung eine so herausragend wichtige Bedeutung, dass das BVerfG trotz seiner Stellung als nur zur Rechtsanwendung berufenes Gericht einer der wichtigsten Akteure des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens und damit ein Verfassungsorgan ist.

Fragen zu A. Einführung:

Nennen Sie die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Organisation des BVerfG!

In welchen Normen ist die Zuständigkeit des BVerfG geregelt? Gibt es eine Generalklausel für seine Zuständigkeit?

Durch welche Entscheidungsträger wurden verfassungsrechtliche Fragen in Deutschland in früheren verfassungsgeschichtlichen Epochen entschieden?

Welches sind die wichtigsten Aufgaben der Verfassungsgerichtsbarkeit?

Die Lösungen finden Sie auf S. 193.

Literaturhinweise: Meinel, Florian/Kram, Benjamin, Das Bundesverfassungsgericht als Gegenstand historischer Forschung, JZ2014, 913; Collings, Justin, Democracy’s Guardians. A History of the German Federal Constitutional Court 1951–2001, 2015; von Ooyen, Robert/Möllers, Martin (Hrsg.), Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, 2. Aufl. 2015.

|9|B.Gerichtsverfassung

I.Grundgesetzliche Anforderungen

27Die Gerichtsverfassung, d.h. der Aufbau und die Organisation des BVerfG, ist im Grundgesetz nicht abschließend geregelt. Es enthält nur einige diesbezügliche Grundsätze, deren Ausführung im Einzelnen es dem Bundesgesetzgeber überlässt (auch → Rn. 2f.). Als für diese Gesetzgebung verbindliche verfassungsrechtliche Vorgaben sind insbesondere die folgenden zu erwähnen:

Art. 92 GG schreibt im Zusammenhang seiner beiden Halbsätze vor, dass das BVerfG mit Richtern besetzt sein muss, weil seine Tätigkeit zu der den Richtern anvertrauten rechtsprechenden Gewalt zählt.

Art. 94 Abs. 1 Satz 1 GG schreibt vor, dass dem Gericht Bundesrichter und andere Mitglieder angehören sollen; nachdem sämtliche Mitglieder des BVerfG nach Art. 92 GG Richter zu sein haben, ist dies dahingehend zu verstehen, dass ein Teil der Mitglieder dieses Organs schon zum Zeitpunkt der Bestellung zu den Bundesrichtern, d.h. den Richtern an den anderen Bundesgerichten (Art. 95, 96 GG), gehört haben muss.

Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG legt zum einen fest, dass die Mitglieder des BVerfG durch Wahl bestellt werden müssen; zum anderen wird für die Wahl im Sinne der bundesstaatlichen Parität bei der Besetzung dieses Organs vorgeschrieben, dass der Bundestag und der Bundesrat (als Mitwirkungsorgan der Länder) je die Hälfte der Mitglieder des BVerfG zu wählen haben.

Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG enthält eine Vorschrift über die sog. Inkompatibilität (Unvereinbarkeit) der Stellung als Mitglied des BVerfG mit anderen Funktionen; namentlich dürfen die Mitglieder des BVerfG weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes (also insbesondere: dem Landesparlament bzw. der Landesregierung) angehören.

28Im Übrigen erteilt Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG dem Bundesgesetzgeber den ausdrücklichen Auftrag, insbesondere die Verfassung des BVerfG zu regeln.

|10|II.Gesetzliche Ausformung der Gerichtsverfassung

1.BVerfG als Ganzes

29Das BVerfG als Ganzes wird in seiner verfassungsrechtlich vorgezeichneten Rechtsstellung in § 1 Abs. 1BVerfGG als ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes beschrieben. Das Gesetz bestätigt damit die aufgrund der verfassungsrechtlichen Befugnisse anzunehmende Qualität des BVerfG als Verfassungsorgan und unterstreicht zugleich seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die dem gerade wegen seiner weitreichenden Kompetenzen hier besonders bedeutsamen Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung trägt. § 1 Abs. 2BVerfGG, der Karlsruhe zum Sitz des BVerfG bestimmt, kann im Sinne einer auch räumlichen Bekräftigung dieser Selbständigkeit verstanden werden. § 1 Abs. 3BVerfGG erkennt nachträglich die Geschäftsordnungsautonomie an, die das BVerfG schon vorher aufgrund seiner Stellung als Verfassungsorgan in Anspruch genommen hatte (auch → Rn. 8).

2.Zwei Senate

30Nach § 2 Abs. 1BVerfGG besteht das BVerfG aus zwei Senaten. Wegen dieser Aufgliederung wird es gelegentlich auch als „Zwillingsgericht“ bezeichnet. Die Untergliederung in zwei Senate erlaubt es, die Arbeitsbelastung des Gerichts auf mehrere Schultern zu verteilen, ohne die Zahl der Richter in einem einzelnen Spruchkörper untunlich zu erhöhen. Andererseits begründet die Aufteilung in zwei Senate die Notwendigkeit, Aufgaben und Tätigkeit der beiden Senate zu koordinieren.

31In erster Linie geschieht dies durch die Aufteilung der Zuständigkeiten auf die beiden Senate, die in § 14BVerfGG eine detaillierte, gleichwohl noch nicht abschließende Regelung gefunden hat. Dabei ist die grundsätzliche Aufgabenteilung in der Weise vorgenommen, dass der Erste Senat über Grundrechtsfragen entscheidet, während der Zweite Senat für das organisatorische Verfassungsrecht einschließlich des Wahlrechts zuständig ist. Diese Grundkonzeption der Zuständigkeitsverteilung ist in der Wirklichkeit undurchführbar geworden, weil vor allem durch die sehr hohe Zahl von Verfassungsbeschwerden die grundrechtsbezogenen Verfahren eine weitaus größere Arbeitsbelastung für das Gericht bedeuten als die zum Staatsorganisationsrecht. Diesem Umstand trägt § 14 Abs. 4BVerfGG dadurch Rechnung, dass das Plenum des BVerfG (→ Rn. 40ff.) ermächtigt wird, die Zuständigkeit der Senate abweichend von den gesetzlichen Grundsätzen zu regeln, wenn dies infolge einer nicht nur vorübergehenden Überlastung eines Senats unabweislich ist. Von dieser Ermächtigung ist seit langem in der Weise Gebrauch gemacht worden, dass dem Zweiten Senat bestimmte Teile der Aufgaben des Ersten Senats übertragen worden sind. Die jedenfalls heute doch recht komplizierte Aufgabenverteilung bringt Abgrenzungsprobleme mit sich, für die § 14 Abs. 5BVerfGG Vorsorge trifft. Danach entscheidet, wenn zweifelhaft ist, welcher Senat für ein Verfahren zuständig ist, darüber ein besonderer, aus beiden Senaten paritätisch besetzter Ausschuss. Für |11|den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Senaten über Rechtsfragen ist die Entscheidung durch das Plenum vorgesehen (→ Rn. 41ff.).

32Die beiden Senate sind die Spruchkörper, die – mit wenigen Ausnahmen – alle dem BVerfG übertragenen Entscheidungen zu treffen haben. Sie sind damit die zentral bedeutsamen Untergliederungen des Gerichts. Die Zusammensetzung der Senate ist in § 2 Abs. 2 und 3BVerfGG geregelt. Danach besteht jeder Senat aus acht Richtern, von denen jeweils drei aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) gewählt sein müssen. Um die anteilige Berücksichtigung des spezifisch richterlichen Elements, das den Art. 94 Abs. 1 Satz 1 GG ausformt, auch der Sache nach gegen denkbare Umgehungen zu sichern, sieht § 2 Abs. 3 Satz 2BVerfGG vor, dass diese Richter wenigstens drei Jahre an einem obersten Gerichtshof des Bundes tätig gewesen sein sollen.

33Den Vorsitz führen in ihrem jeweiligen Senat der Präsident des BVerfG und der Vizepräsident (§ 15 Abs. 1 Satz 1BVerfGG). Sie werden in dieser Funktion von dem dienstältesten bzw. lebensältesten Richter des Senats vertreten.

34Nach § 15 Abs. 2 Satz 1BVerfGG kann ein Senat Beschlüsse nur fassen, wenn mindestens sechs Richter anwesend sind. Bei fehlender Beschlussfähigkeit werden in Verfahren von besonderer Dringlichkeit so viele Richter des anderen Senats durch das Los als Vertreter bestimmt, dass die Beschlussfähigkeit erreicht wird.

35Entscheidungen des Senats werden nach § 15 Abs. 4 Satz 2BVerfGG grundsätzlich mit der Mehrheit der an der Entscheidung mitwirkenden Mitglieder des Senats getroffen. Von dieser Grundregel formuliert das Gesetz zwei Ausnahmen. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1BVerfGG können in den strafprozessähnlichen Verfahren gemäß § 13 Nr. 1, 2, 4 und 9BVerfGG dem Antragsgegner nachteilige Entscheidungen nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der acht Mitglieder des Senats, d.h. von mindestens sechs Senatsmitgliedern, getroffen werden.

Beispiel: Aus diesem Grunde ist die Einstellung des Parteiverbotsverfahrens gegen die NPD durch den Zweiten Senat im Jahr 2003 mit den Stimmen von nur drei seiner Mitglieder gegenüber vier gegenteiligen Voten erfolgt (BVerfGE107, 339 [356ff.]).

36Als weitere Ausnahme von der Mehrheitsregel sieht § 15 Abs. 4 Satz 3BVerfGG vor, dass bei Stimmengleichheit im Senat ein Verstoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob der Antrag auf die Feststellung eines solchen Verstoßes oder auf seine Verneinung gerichtet war. Für Entscheidungen mit abweichendem Inhalt bleibt es demgegenüber bei der grundsätzlichen Mehrheitsregel, so dass in diesen Fällen bei Stimmengleichheit der jeweils gestellte Antrag abgelehnt ist. Mangels klar ausgerichteter Anträge hilft dies allerdings in einigen Verfahren nicht weiter (→ Rn. 270); insoweit bleibt die Lösung problematisch.

37Eine besondere Rolle für die praktische Arbeit der Senate spielen die im Gesetz nur in einzelnen Zusammenhängen (§ 15a Abs. 2, § 23 Abs. 2, 3, § 97c Abs. 2, § 97d Abs. 1BVerfGG) erwähnten Berichterstatter. Dabei handelt es sich um Richter, die für das jeweilige Verfahren in besonderer Weise verantwortlich sind; ihnen obliegt insbesondere die allgemeine Förderung des Verfahrens (§ 22 Abs. 3GOBVerfG) |12|und die Vorlage eines schriftlichen Votums für die vom Senat zu treffende Entscheidung (§ 23GOBVerfG).

3.Kammern

38Für die Erledigung der zahlreichen Vorlagebeschlüsse nach § 80BVerfGG und vor allem der Verfassungsbeschwerden berufen die Senate jeweils für die Dauer eines Geschäftsjahres mehrere Kammern, die aus je drei Richtern bestehen und in ihrer Zusammensetzung nicht länger als drei Jahre unverändert bleiben (§ 15a Abs. 1BVerfGG). Die Kammern entscheiden im Rahmen ihrer Befugnisse in den Verfahren, die einem ihrer Mitglieder als Berichterstatter zugeteilt sind (§ 40 Abs. 1 Satz 1GOBVerfG) – ein Zusammenhang, der in § 15a Abs. 2BVerfGG nur angedeutet ist.

4.Beschwerdekammer

39Zur Entscheidung über die 2011 eingeführte Verzögerungsbeschwerde (→ Rn. 630) ist nach § 97c Abs. 1BVerfGG die Beschwerdekammer berufen, in die das Plenum zwei Richter aus jedem Senat für eine Regelamtszeit von zwei Jahren beruft.

5.Plenum

40Von den weiteren Gliederungen des BVerfG ist vor allem das Plenum von Bedeutung, in dem alle Richter des BVerfG zusammenwirken. Das Plenum ist im BVerfGG nur im Zusammenhang mit einzelnen Zuständigkeiten angesprochen; einige nähere Bestimmungen treffen die §§ 1–3GOBVerfG. Abgesehen von der schon erwähnten Regelung der Geschäftsverteilung gemäß § 14 Abs. 4BVerfGG (→ Rn. 31) sind dem Plenum die Entscheidungen übertragen, die das BVerfG im Zusammenhang mit der Versetzung eines dienstunfähigen Richters des BVerfG in den Ruhestand oder mit seiner Entlassung zu treffen hat (vgl. § 105BVerfGG).

41Eine für den Inhalt der Judikatur des BVerfG zentrale, wenngleich in der Praxis selten relevant gewordene Entscheidungskompetenz des Plenums ergibt sich aus § 16 Abs. 1BVerfGG. Diese Bestimmung dient dem Zweck, Divergenzen zwischen der Judikatur der beiden Senate des „Zwillingsgerichts“ zu vermeiden, positiv ausgedrückt, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des BVerfG zu sichern. Dieses den Vorbildern anderer Prozessordnungen entsprechende Zwischenverfahren, das in §§ 48f. GOBVerfG näher ausgestaltet ist, ist dann durchzuführen, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will. Die fragliche Rechtsauffassung muss für die Entscheidungen beider Senate von tragender Bedeutung sein bzw. gewesen sein (auch → Rn. 497f.); Unterschiedlichkeiten der Rechtsprechung, die sich nur in obiter dicta, d.h. in beiläufigen Bemerkungen der Entscheidungen, finden, bleiben unberücksichtigt. Ob die Voraussetzungen für eine Vorlage gegeben sind, entscheidet allein der jeweils vorlagepflichtige Senat.

|13|Hinweis: Den Versuch des Zweiten Senats, in einem spektakulären Fall („Kind als Schaden“) den Ersten Senat zu einer Vorlage zu veranlassen (BVerfGE96, 409ff.), hat dieser dementsprechend zurückgewiesen (BVerfGE96, 375 [403ff.]).

42Das Plenarverfahren unterbleibt, wenn der Senat, von dessen Rechtsauffassung der andere Senat abweichen will, auf Anfrage erklärt, dass er an seiner Rechtsauffassung nicht festhält (§ 48 Abs. 2GOBVerfG). Nach der Entscheidung des Plenums hat der Senat, der das Plenum angerufen hat, bei der Entscheidung in seinem Ausgangsverfahren die Rechtsauffassung des Plenums zu Grunde zu legen; eine erneute Anrufung des Plenums wegen derselben Rechtsfrage in späteren Verfahren ist nicht ausgeschlossen (zur vergleichbaren Divergenzvorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG → Rn. 501).

43Die wenigen einschlägigen Verfahren betrafen die Frage, wie politische Parteien vor dem BVerfG die Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status geltend zu machen haben (BVerfGE4, 27), die Auslegung des (zwischenzeitlich aufgehobenen) § 554b Abs. 1ZPO (BVerfGE54, 277), die Bedeutung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bei überbesetzten Spruchkörpern (BVerfGE95, 322), das Fehlen fachgerichtlicher Abhilfemöglichkeiten bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs (BVerfGE107, 395) und Kompetenzfragen im Zusammenhang mit dem Streitkräfteeinsatz im Inland (BVerfGE132, 1ff.). Ferner ist hinzuweisen auf die bereits erwähnte unterbliebene Vorlage des Ersten Senats der Frage, ob es von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) verboten ist, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen (→ Rn. 41).

6.Weitere besondere Organteile des BVerfG

44Als weitere Organteile des BVerfG mit besonderen Befugnissen kennt das BVerfGG den Präsidenten des BVerfG und den Vizepräsidenten, die zu den Richtern des BVerfG zählen und verschiedenen Senaten angehören müssen. Sie werden nach Maßgabe der §§ 9, 10BVerfGG abwechselnd vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt. Wie erwähnt (→ Rn. 33), führen beide den Vorsitz in ihrem jeweiligen Senat. Darüber hinaus hat der Präsident des BVerfG die typischen Aufgaben eines Behördenleiters, zu denen insbesondere die Außenvertretung des Gerichts, die Ausübung des Hausrechts und die Leitung der Verwaltung des Gerichts gehören. Der Vizepräsident ist an erster Stelle zur Vertretung des Präsidenten berufen.

7.Richter des BVerfG

45Alle Spruchkörper und sonstigen Untergliederungen des BVerfG sind mit dessen Mitgliedern, den Richtern des BVerfG, besetzt. Die Rechtsstellung dieser Richter wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben (→ Rn. 3) durch Bestimmungen des BVerfGG näher ausgeformt.

|14|a)Bestellung der Richter

46Besondere Bedeutung kommt – wie entsprechend bei allen Verfassungsorganen – der Frage zu, unter welchen Voraussetzungen eine Person die Stellung eines Richters des BVerfG erlangt. Unmittelbar geschieht dies nach § 10BVerfGG dadurch, dass der Bundespräsident die Gewählten ernennt.

47Die entscheidende Voraussetzung hierfür ist die in Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG vorgeschriebene Wahl. Die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass die Mitglieder des BVerfG je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden sollen, setzt § 5 Abs. 1 Satz 1BVerfGG dahin um, dass die Richter jedes Senats je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Gleichzeitig muss aber die Vorgabe des § 2 Abs. 3 Satz 1BVerfGG berücksichtigt werden, wonach drei Richter jedes Senats aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt werden müssen. Da sich diese ungerade Zahl nicht gleichmäßig auf Bundestag und Bundesrat verteilen lässt, musste in § 5 Abs. 1 Satz 2BVerfGG eine recht komplizierte Regelung getroffen werden, um den angestrebten Proporz richterlicher Mitglieder und die Hälftigkeit der Wahl durch beide obersten Bundesorgane sicherzustellen.

48Die Durchführung der Wahl ist für Bundestag und Bundesrat getrennt geregelt. Dabei ist für beide Organe gleichermaßen vorgesehen, dass die Wahl mit 2/3-Mehrheit zu erfolgen hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5, § 7BVerfGG). Das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit soll sicherstellen, dass nicht eine zufällige Mehrheit die Gelegenheit zur Besetzung der Positionen der Richter des BVerfG in politisch einseitiger Weise ausnutzt. Idealerweise würde die Notwendigkeit einer qualifizierten Mehrheit sich dahingehend auswirken, dass nur solche Personen gewählt würden, von deren optimaler Eignung für diese Aufgabe das jeweilige Wahlorgan mit großer Mehrheit überzeugt ist. Die Schwierigkeiten, insoweit zu einer einmütigen Einschätzung zu kommen, führen allerdings in der Praxis eher dazu, dass zwischen den maßgeblichen politischen Kräften Absprachen über eine Besetzung der Richterstellen nach Maßgabe eines parteipolitischen Proporzes stattfinden. Trotz dieser Probleme kann auf das qualifizierte Mehrheitserfordernis kaum verzichtet werden.

49Auch verfassungsrechtlich problematisch war die ursprünglich in § 6BVerfGG a.F. getroffene Regelung über die Wahl der vom Bundestag zu berufenden Richter. Für diese sah § 6 Abs. 1BVerfGG vor, dass sie „in indirekter Wahl gewählt“ werden. Dazu wählte der Bundestag gem. § 6 Abs. 2 Satz 1BVerfGG nach den Regeln der Verhältniswahl einen Wahlausschuss für die Richter des BVerfG, der aus zwölf Mitgliedern des Bundestages besteht. Dieser Wahlausschuss nahm bis 2015 die Wahl der Richter des BVerfG vor, wozu mindestens acht der zwölf Stimmen erforderlich waren. Nach jahrzehntelangem Schweigen hat BVerfGE131, 230 (234ff.) diese Regelung als verfassungsgemäß qualifiziert; die Begründung mit dem Umstand, dass trotz der verbreiteten Kritik keine korrigierende Verfassungsänderung erfolgt war, ist allerdings kaum überzeugend.

50Kurze Zeit nach der Senatsentscheidung hat der Gesetzgeber aufgrund eines interfraktionellen Gesetzentwurfs unter Hinweis auf die andauernde Kritik im Schrifttum das Wahlverfahren reformiert. Der neue § 6 Abs. 1BVerfGG von 2015|15|sieht nun die Wahl der Richter des BVerfG durch den Bundestag (im Plenum) vor; diese sei „jedenfalls verfassungspolitisch […] vorzugswürdig“ (BT-Dr. 18/2737, Begründung A.I., S. 4). Die Wahl ist ohne Aussprache mit verdeckten Stimmzetteln durchzuführen. Erforderlich ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestags. Der Wahlausschuss bleibt unverändert bestehen; die Wahl erfolgt auf seinen mit mindestens acht Stimmen zu beschließenden Vorschlag hin (§ 6 Abs. 1, 5BVerfGG).

51§§ 7a, 8BVerfGG treffen gewisse Vorkehrungen dafür, dass die erforderlichen Wahlen der Richter des BVerfG auch realisiert werden können, was nicht zuletzt wegen der Erfordernisse der qualifizierten Mehrheit keineswegs selbstverständlich ist. Bemerkenswert ist dabei die Regelung, dass im Falle solcher Schwierigkeiten ein Vorschlag des Plenums des BVerfG einzuholen ist, der freilich keine Einschränkung der wählbaren Personen zur Folge hat.

52Neben der Wahl bestehen nur wenige persönliche Voraussetzungen für die Bestellung zum Richter des BVerfG. Namentlich müssen die Richter das 40. Lebensjahr vollendet haben, zum Bundestag wählbar sein und ihre Bereitschaft, Mitglied des BVerfG zu werden, erklärt haben (§ 3 Abs. 1BVerfGG). Außerdem müssen sie nach § 3 Abs. 2BVerfGG die Befähigung zum Richteramt besitzen und dürfen nach § 4 Abs. 2BVerfGG nicht bereits Richter des BVerfG sein oder gewesen sein.

53Hinsichtlich der Inkompatibilität mit der Zugehörigkeit zu Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und entsprechenden Landesorganen gemäß Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG (→ Rn. 27) enthält § 3 Abs. 3 Satz 2BVerfGG eine Lösung dahingehend, dass die Ernennung zum Richter des BVerfG das Ausscheiden aus solchen Organen zur Folge hat. Eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Inkompatibilität mit dem Amt des Bundespräsidenten, die sich aus Art. 55 Abs. 2 GG ergibt, enthält das BVerfGG nicht. Eine Lösung müsste hier durch Rücktritt bzw. Entlassung aus einer der beiden Stellungen gefunden werden.

Hinweis: Die Wahl eines amtierenden Bundespräsidenten zum Mitglied des BVerfG ist wenig wahrscheinlich. Demgegenüber hat sich der umgekehrte Fall bei der Wahl des Präsidenten des BVerfG Roman Herzog am 23.5.1994 zum Bundespräsidenten bereits zugetragen.

b)Beendigung des Richteramtes

54Die Beendigung des Amts eines Richters des BVerfG tritt nach § 4 Abs. 1BVerfGG entweder durch Ablauf der zwölfjährigen Amtszeit oder durch Erreichen der Altersgrenze ein, die nach § 4 Abs. 3BVerfGG mit der Vollendung des 68. Lebensjahres erreicht ist. Auf Antrag sind Richter unter den Voraussetzungen des § 98 Abs. 3BVerfGG auch früher in den Ruhestand zu versetzen. Um Probleme mit der Beschlussfähigkeit bei Ausscheiden eines Richters infolge von Verzögerungen bei der Ernennung des Nachfolgers zu vermeiden, sieht § 4 Abs. 4BVerfGG, auf den § 98 Abs. 4BVerfGG verweist, vor, dass die ausgeschiedenen Richter ihre Amtsgeschäfte nach Ablauf der Amtszeit zunächst fortführen.

55Abgesehen von diesen regelmäßigen Fällen des Ausscheidens besteht die Möglichkeit der Entlassung eines Richter durch den Bundespräsidenten, die von dem Richter jederzeit mit bindender Wirkung beantragt werden kann (§ 12 Satz 1 und 2BVerfGG). Zudem ist eine Entlassung mit Ermächtigung des BVerfG nach § 105|16|Abs. 1BVerfGG bei erheblichen Pflichtverletzungen des Richters ebenso zulässig wie eine Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit; über die Einleitung dieses Verfahrens und die Erteilung der Ermächtigung entscheidet das Plenum des BVerfG.

c)Persönliche Rechtsstellung der Richter

56Regelungen über die persönliche Rechtsstellung der Richter des BVerfG finden sich in den Schlussvorschriften der §§ 98ff. BVerfGG; ergänzend greifen nach § 69DRiG die Bestimmungen des allgemeinen Richterrechts ein, soweit dies mit der besonderen Stellung der Richter des BVerfG vereinbar ist.

Fragen zu B. Gerichtsverfassung:

Was bedeutet die sog. Inkompatibilität des verfassungsrichterlichen Amts, und wo ist sie geregelt?

Wie ist die Zuständigkeit der Senate prinzipiell aufgeteilt?

Wie sind die Senate besetzt, und wer führt den Vorsitz?

Wann ist ein Senat beschlussfähig?

Was sind die Aufgaben des Plenums?

Mit welchen Mehrheiten werden die Richter des BVerfG gewählt, und was ist Zweck der diesbezüglichen Regelungen?

Die Lösungen finden Sie auf S. 194.

Literaturhinweis: Hong, Mathias, Ein Gericht oder zwei Gerichte?, Der Staat 54 (2015), 409.

|17|C.Allgemeine Verfahrensregeln

I.Lückenhaftigkeit des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes

57Das BVerfGG stellt keine in jeder Hinsicht umfassende, eigenständige Prozessordnung dar, ist vielmehr durchaus lückenhaft angelegt. Diese Lücken lassen sich zum Teil durch Rückgriff auf die GOBVerfG schließen, z.T. verweist das BVerfGG auch ausdrücklich auf gesetzliche Regelungen für andere Gerichte, ordnet namentlich in § 17 die entsprechende Anwendbarkeit von Vorschriften des GVG an. Soweit danach Lücken verbleiben, sollten diese – der Gerichts- und Rechtsprechungsqualität des BVerfG und seiner Tätigkeit entsprechend – grundsätzlich durch analoge Anwendung allgemeiner verfahrensrechtlicher Grundsätze im Wege einer Gesamtanalogie geschlossen werden.

58Unbeschadet der zwischenzeitlich vom Gesetzgeber anerkannten Geschäftsordnungsautonomie des Verfassungsorgans BVerfG kann die Lückenhaftigkeit der bundesverfassungsgerichtlichen Regelung nicht allgemein im Sinne einer Verfahrensautonomie dahin verstanden werden, dass das Verfahrensrecht im Einzelnen dem BVerfG zur freien Ausgestaltung nach seinen eigenen Vorstellungen überlassen werden sollte. Allerdings muss jede entsprechende Anwendung allgemeinen Prozessrechts auf das BVerfG seiner besonderen Stellung und seinen besonderen Aufgaben Rechnung tragen.

Beispiel: Ob wie in anderen Gerichtsbarkeiten ein Prozessvergleich geschlossen werden kann, wie ihn das BVerfG in den LER-Verfahren (zum Religionsunterricht in Brandenburg) vorgeschlagen hat (BVerfGE104, 305, sodann BVerfGE106, 210), kann deswegen unterschiedlich beurteilt werden, s. dafür Schmidt, NVwZ 2002, 925ff., dagegen Wolff, EuGRZ2003, 463; differenzierend Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 10. Aufl. 2015, Rn. 67f.

II.Ausschluss und Ablehnung von Richtern

59Eine bedeutsame Rolle im verfassungsgerichtlichen Verfahren spielen die beteiligten Richter des BVerfG, deren grundsätzliche Rechtsstellung bereits dargestellt wurde (→ Rn. 3, 56). Im Hinblick auf die Beziehung des Richters zu einem einzelnen Verfahren können sich Probleme ergeben, denen die §§ 18, 19BVerfGG Rechnung zu tragen suchen. Diese in ähnlicher Form aus allen Prozessordnungen bekannten Bestimmungen sollen sicherstellen, dass auch beim BVerfG die Richter die für ihre Entscheidungen im Einzelfall notwendige Neutralität mitbringen. Eine Verletzung der §§ 18, 19BVerfGG würde zugleich einen Verstoß gegen das Gebot des |18|gesetzlichen und verfassungsmäßigen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bedeuten.

1.Ausschluss eines Richters

60§ 18 Abs. 1BVerfGG schließt den Richter des BVerfG mit unmittelbarer Wirkung von der Ausübung seines Richteramts in einer bestimmten Sache aus. Dies hat zur Konsequenz, dass der ausgeschlossene Richter sich jeder weiteren Tätigkeit in der Sache zu enthalten hat. Entscheidungen, die der jeweils befasste Spruchkörper des BVerfG über den Ausschluss eines Richters ohne dessen Mitwirkung treffen kann, haben nur deklaratorische Bedeutung, sind aber im Interesse der Rechtsklarheit praktisch gleichwohl wichtig.

61Die Ausschlussgründe sind im Rahmen des § 18BVerfGG so ausgestaltet, dass zunächst in Abs. 1 die beiden Grundtatbestände genannt und sodann in den Absätzen 2 und 3 restriktiv präzisiert werden. Die Rechtsprechungspraxis tendiert dazu, die Bestimmung so auszulegen, dass es nur selten zum Ausschluss von Richtern kommt. Dies ist nicht allein mit dem Ziel der Vermeidung von Beschlussunfähigkeit zu erklären, sondern auch dadurch, dass sich durch den Ausschluss eines Richters die Mehrheitsverhältnisse verschieben können.

62Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1BVerfGG ist ein Richter ausgeschlossen, wenn er an der Sache in eigener Person beteiligt ist oder aber mit einem Beteiligten durch Heirat, Verwandtschaft oder Schwägerschaft in einer besonders engen Beziehung steht. Zur Bedeutung der