Verfolgung - Joyce Carol Oates - E-Book

Verfolgung E-Book

Joyce Carol Oates

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Beschreibung

Als Kind quält Abby Nacht für Nacht ein immer wiederkehrender Traum, in dem sie über ein Feld, übersät von Schädeln und Knochen, wandelt. Später, als Erwachsene ist sich Abby sicher, diesen Traum hinter sich gelassen zu haben. Bis zum Abend vor ihrer Hochzeit, an dem der schreckliche Traum zurückkehrt und sie mit den dunklen Geheimnissen konfrontiert, die sie bislang vor Willem, ihrem künftigen Ehemann, verborgen hat. Am folgenden Tag – Abby ist weniger als 24 Stunden verheiratet – tritt sie auf die Straße und wird von einem Bus erfasst. Während seine Frau halb im Koma, halb im Wachzustand im Krankenhaus liegt, versucht Willem herauszufinden, ob der Unfall ein bloßes Missgeschick oder eine absichtliche Tat war, und stößt dabei auf rätselhafte Hinweise, auf das, was seine Frau möglicherweise verbirgt. Warum zum Beispiel hat sie einen ausschlagähnlichen roten Abdruck um ihr Handgelenk? Was wühlt sie in ihren Träumen derart auf, dass sie durch ihre eigenen Schreie erwacht? Allmählich öffnet sich Abby ihrem Ehemann und erzählt ihm, was sie bislang noch niemandem anvertraut hat. In Verfolgung lassen uns Gedankenfragmente von einer Erzählebene zur anderen, von einem Kapitel zum nächsten springen, sie spiegeln die Zerrissenheit der Protagonistin in Gegenwart, Vergangenheit und Traum wider. Realität und Albtraum sind kaum voneinander zu trennen, treiben die Handlung atemberaubend bis zum Finale.

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Joyce Carol Oates

Verfolgung

Roman

Aus dem Englischen vonIlka Schlüchtermann

Titel der Originalausgabe:

Pursuit

Copyright © 2019 by The Ontario Review, Inc.

First published in the United States of America in 2019

by The Mysterious Press, an imprint of

Grove Atlantic Inc.

Erste Auflage 2020

© der deutschsprachigen Ausgabe

Osburg Verlag Hamburg 2020

www.osburgverlag.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Bernd Henninger, Heidelberg

Umschlaggestaltung: Judith Hilgenstöhler, Hamburg

Satz: Hans-Jürgen Paasch, Oeste

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-95510-213-5

eISBN 978-3-95510-221-0

Für Arthur Vanderbilt

Inhalt

Teil I

Der junge Ehemann

Tanz der Skelette

Hochzeitsmorgen

Die Braut

Er gelobt, er wird sie niemals verlassen

Auf den ersten Blick

Im Koma

Sünde

Stalking

Erwacht

Frisch vermählt

Handschellen

Teil II

Zeugnis

»Liebe liebe liebe meine kleine Mier-mi wie verrückt«

Zeugnis

Ausspähung

Teil III

Zeugnis

Selbstmord

Zeugnis

Tatort

Aufklärung, Überwachung, Angriff, Plan ausgeführt

Letzter Ausweg

Teil IV

Zeugnis

Die Rekonvaleszentin

Shaheen

I

Der junge Ehemann

Was ging dir durch den Kopf, als es passierte. Du musst dich erinnern.

Ich glaube, du weißt es. Ich glaube, du musst es mir erzählen. Für uns beide. Du musst dich erinnern, und du musst die Wahrheit sagen.

Jener Moment. Der Moment, bevor es passierte.

Wir müssen zu jenem Moment zurückkehren.

Als du aus dem Bus ausstiegst. Als du auf dem Bordstein standest.

Als du vom Bordstein heruntertratest.

Ob du es unabsichtlich tatest oder – absichtlich.

Wir müssen das verfolgen. Wir müssen es wissen.

Deine Lunge ist durchlöchert. Dein Schlüsselbein und fünf Rippen sind gebrochen.

Dein Schädel hat ein halbes Dutzend Haarrisse. Dein Gehirn wurde gequetscht, aufgerissen. Die Gefahr sind Blutgerinnsel im Herzen.

Du schienst »eine Entscheidung zu treffen« – sagte der Busfahrer.

Wir müssen zu jenem Moment zurückkehren. Wir müssen wissen, warum.

Warum du getan hast, was du getan hast, was dir durch den Kopf ging, als es passierte. Als du von Bordstein heruntertratest.

Am Morgen nach unserem Hochzeitstag.

Tanz der Skelette

Ske-e-lett. Sie presst ihr Gesicht ins Kissen und flüstert das (schreckliche) Wort (kaum) hörbar.

Unsicher, was Skelett genau bedeutet. Obwohl sie (vielleicht) weiß, was es bedeutet.

Ske-e-lett. Ske-lett. Skelett.

Ein furchtbares (Erwachsenen-)Wort, das man nicht laut sagt. Ein Wort, das ein Kind nicht kennt und das ein Kind sicher auch nicht aussprechen würde. Ein Wort, das immer furchtbarer wird – je häufiger man es ausspricht. Ein Wort, das verführt, das dir wie ein giftiger Dampf die Nase hochkriecht und das du, obwohl du weißt, dass du es nicht einatmen solltest – tief einatmest.

Dieser Traum verfolgt sie, während sie heranwächst. Nachdem ihre Eltern verschwunden sind. Nachdem Verwandte sie aufgenommen haben.

Skelette. Im Gras.

Immer wieder dieser eine Traum. Nahezu jede Nacht. Überall, wohin sie auch gebracht wird. Ihre Habseligkeiten zusammengestopft in einem einzigen Beutel.

Zitternd, sodass ihre Zähne klappern wie Kastagnetten.

Ja, und manchmal macht sie ins Bett in der neuen Umgebung, sie hat solche Angst. Die gemurmelten Worte macht ins Bett beschämen und quälen sie, begleiten ihr Leben.

Sie kann nicht begreifen, wer oder was sie dazu zwingt, diesen zugewachsenen Pfad zu gehen. Dazu zwingt, durch das hohe Gras zu stolpern, das ihre Hände aufreißt, ihr Gesicht. Sie zwingt zu sehen.

Hast du geglaubt, du könntest uns vergessen? Hast du geglaubt, wir könnten dich vergessen?

Das ist lange vorbei. Wenn es eine Straße gäbe vom Jetzt zum Damals, dann wäre da ein Riss in der Straße, eine Kluft, sodass man, um auf die andere Seite zu gelangen, in den Straßenspalt hinein- und auf der anderen Seite wieder herausklettern müsste. So weit weg war das.

So lange her, der furchtbare Skelett-Traum.

Wie oft hatte sie diesen Traum gehabt. Er ließ ihren schmalen Körper beben wie elektrischer Strom und jäh aufschrecken.

Zitternd vor Kälte. Zu wenig Luft, um zu schreien.

Gut zu erkennen – die Schädel.

(Menschliche) Schädel. Nicht von Tieren.

Im hohen Gras. Unten am Bach.

Nicht nah dran. Nein.

Aber – doch gesehen. Augen zu spät zugemacht.

Gesehen, dass ein Schädel größer war als der andere, das war der Daddy-Schädel. Der kleinere Schädel war der Mommy-Schädel.

Im hohen Gras lagen die Knochen so nah beieinander, dass es (fast) aussah, als tanzten sie zusammen. Liegengeblieben, wo sie hingefallen waren, vor langer Zeit.

Hochzeitsmorgen

Hast du geglaubt, du könntest uns vergessen? Hast du geglaubt, wir würden dich vergessen?

Frühmorgens an ihrem Hochzeitstag. Noch vor Morgengrauen wird sie von jenem Traum geweckt, jäh aufgeschreckt. Der Skelett-Traum, den sie hinter sich gelassen zu haben schien, lebhaft vor ihren schreckerfüllten Augen.

Schweißnass in ihrem weißen Baumwollnachthemd. Das letzte Mal wird sie dieses (ausgediente, geliebte) Nachthemd mit der Spitzenkante tragen, denn es ist das letzte Mal, dass sie allein schlafen wird.

Ja, sie ist (noch) Jungfrau. Zumindest das steht fest.

Erschöpft und erschreckt auf dem Rücken liegend an einem Ort, der aufgewühlt scheint, zerfurcht wie Erde, der aber ihr Bett ist. Ihre Haut ist wund, so als ob messerscharfe Grashalme sie aufgerissen hätten. Im Traum ist sie gerannt, verzweifelt und nach Luft schnappend, auch wenn ihr der Verstand sagt, dass es sinnlos ist zu rennen.

Hast du geglaubt, du könntest uns entrinnen?

Nicht wissend zunächst, wo sie ist oder welche Zeit es ist, denn in dem furchtbaren Traum ist sie sehr jung und an einem Ort, der nicht dieser Ort ist, in einer Zeit, die lange vorbei ist.

Ihr heutiges Ich hat sie sich sorgfältig aufgebaut, als Erwachsene in der Erwachsenenwelt – dieses Ich existiert noch nicht in jenem Traum. Im Traum gibt es nur das Kind-Ich, ihr wahrhaftigstes Ich, schutzlos, so wie ein neugeborenes Rehkitz schutzlos ist, das noch nicht einmal einen eigenen Geruch hat.

Ein schutzloses Kind, von der Mutter verlassen.

Ein schutzloses Kind, aus Mitleid von einer Tante aufgenommen, nachdem es von seinen Eltern verlassen wurde.

Im Schlaf spürte sie, dass er ganz nah war, der Skelett-Traum. Zuerst hat man eine Vorahnung dieses Traums, wenn die Glieder wie gelähmt sind und der Körper taub wird, wenn man etwas ahnt, etwas ganz Furchtbares, was man nicht anschauen sollte, doch was man im Traum anschauen muss, denn man hat keine Wahl.

Aber warum gerade am Abend vor ihrem Hochzeitstag? Warum dieser alte, entsetzliche Traum ihrer Kindheit …

Sie ist mitten im hohen Gras, am seichten Bach. Abfälle wurden nach Sturzregen, Überflutung flussabwärts gespült. Schutt, abgebrochene Äste, mumifizierte Körper kleiner Tiere. Überreste verrotteter Rucksäcke. Und zwischen all diesen Dingen, im Gras verstreut, die Skelette.

Wie konnte man wissen, dass das menschliche Knochen waren? – Konnte man nicht.

Sie weiß es nicht. Nein!

Nur die Schädel. Ganz nah, versteckt im Gras, nah beieinander. Warteten auf sie.

Der größere Schädel mit den klaffenden Augenhöhlen, Nase. Grinsende, abgebrochene Zähne in einem ausgehängten Kiefer, der geschrien hatte.

Der kleinere Schädel mit kleineren Augenhöhlen, Nase. Das ist der ruhige Schädel, der wachsame und vorsichtige Schädel.

Vielsagend, oder ist es purer Zufall, dass beide Schädel zuletzt mit dem Gesicht nach oben liegen blieben.

Wer auch immer sie ist in jenem Traum, das ist nicht sie. Nicht mehr.

Viel älter jetzt. Zwanzig jetzt.

In Sicherheit! Erwachsen.

Doch: Wenn man den Bachlauf beobachtet, das glitzernde Wasser. Wenn man genau hinhört, dann kann man sie hören. Stimmen, gerade eben zu vernehmen. Mier-mi! Mier-mi!

Verstreute Felsbrocken, Geröll. Einige sind von der Sonne ausgeblichen, knochenweiß. Einige sind mattgrau, bleifarben. Einige sind mit seltsam knotigen Gewächsen überzogen, wie Geschwülste. Einige Knochen sind im Bachbett gelandet, wurden ein Stück flussabwärts getragen, haben sich in den Steinen festgekeilt, haben versucht, sich zu befreien und schafften es nicht.

Wie lange ist es her, dass das lebendige Fleisch abstarb, ranzig wurde, sich auflöste und von den Knochen abfiel …

Clavicula. Humerus. Femur. Tibia. Handwurzel. Rippen. Sternum … Wie kommt es, dass sie die Namen dieser Knochen kennt? Sie hat nie einen Biologiekurs besucht. Sie hat gar keine Begabung für Naturwissenschaften.

Ihr Verlobter würde die Namen der Knochen kennen. Immerhin schon im Vorsemester Medizin an der staatlichen Uni. Obwohl ihm der mörderische Konkurrenzkampf den Mut genommen hat und er sich im hinteren Teil des Kurses wiederfindet, aber nicht schummeln will, selbst wenn er mithilfe des Wissens und der Großtuerei anderer Studenten schummeln könnte. Vielleicht möchte ich einfach gar nicht so unbedingt Arzt werden. Macht’s dir was aus, Abby? Keine Arztfrau zu sein?

Sie hatte gelacht und ihn geküsst. So dankbar ihrem Verlobten gegenüber, weil er sie liebte, ohne zu wissen, was an ihrem Herzen nagte, sie würde ihm alles verzeihen.

Die Braut

Ein blendend-greller Aprilmorgen eines verlorenen Jahres. Ist sie erst einen Tag verheiratet?

Genau genommen ist sie zu dieser Zeit (elf Minuten nach acht) gerade einmal einundzwanzig Stunden verheiratet.

Diese Erkenntnis raubt ihr den Atem. Ein Schock.

Nein, ist das wirklich mir passiert? Verheiratet.

Im Raritan-Avenue-Bus, der sie ins Stadtzentrum von Hammond bringt, hoffte sie inständig, ganz allein in der hintersten Reihe sitzen zu können. Dem wundersamen Gefühl, verheiratet … Ehefrau … zu sein, ohne Störung nachzusinnen.

Doch mit zwanzig hat sie ein süßes, unschuldiges, sommersprossig-leuchtendes Gesicht, das bei Fremden den Wunsch auslöst, sie anzusprechen. Sie anzulächeln. Hal-lo! Verdammt kalt heute Morgen, was? – und sie ist zu höflich, um sich abzuwenden, zu schüchtern, nicht zu antworten, und schon ist es passiert: ihr großes Bedürfnis, im Bus allein zu bleiben, verwehrt.

Der erste Morgen als verheiratete Frau, so wertvoll. Furcht vor Eindringlingen.

Fahren Sie oft mit diesem Bus, Miss? Ich glaube, ich habe Sie schon mal gesehen …

Nein. Nein.

Vielleicht im Kino? Gehen Sie manchmal ins Kino? Letzten Freitag – waren Sie da im Kino? Ich könnte schwören, ich hätte Sie gesehen … Also wirklich: Sie sehen aus, als ob Sie Schauspielerin wären, wie die … wie heißt sie noch …

Nein. Sicher nicht.

Aber Sie sehen besser aus als die. Jünger.

Wie der glimmende Faden in einer Glühbirne – sie glüht. Innerlich. Ihre Glückseligkeit, mit einem guten, anständigen Mann verheiratet zu sein, den sie liebt, der sie verehrt.

Aber das ist ihr privates Glück. Sie möchte es mit beiden Händen umschließen. Eine Flamme vor dem Wind schützen.

Ist das ein Ehering? Hey – Sie sind eine verheiratete Frau?

Entschuldigen Sie, wenn ich neugierig bin – aber – Sie sehen viel zu jung aus, um verheiratet zu sein … Oder?

Sehen doch nicht älter aus als – ja, sagen wir – sechzehn?

Nervöses Lächeln. Immer höflich. Augenkontakt vermeiden. Unbewusste Gewohnheit, ihr linkes Handgelenk zu reiben.

Um ihr linkes Handgelenk herum zieht sich ein roter, ausschlagähnlicher Ring. So als ob ihr Handgelenk festgebunden gewesen wäre, ganz fest. Als ob ein Seil oder ein Band ihre empfindliche Haut dort gerieben hätte, wundgerieben an einigen Stellen.

(Als junges Mädchen lernt man, Fremde nicht durch strikte Zurückweisung zu kränken. Vor allem nicht Männer. Fremde nicht, aber auch Vorgesetzte nicht. Als sie noch Schülerin war, scheinbar unendlich lange her, auch Lehrer nicht. Lächeln, freundlich wirken, man ist ja ein hübsches, nettes Mädchen, nur wenn man etwas Falsches sagt, nicht so strahlend lächelt wie erwartet, dann kann ein Mann ganz schön unangenehm werden. Sehr schnell.)

Na dann – einen schönen Tag noch, mein Mädchen! Hier muss ich raus.

Zwei freie Plätze in der hinteren Reihe, sodass sie sich, klug wie sie ist, auf den äußeren Platz setzt und den inneren, direkt am Fenster, frei lässt. So ist es unbequem für jemanden, über ihre Füße hinwegzusteigen, um zu dem freien Fensterplatz zu gelangen. Wenn also jemand neben ihr sitzen möchte, muss er sie bitten, hinüberzurutschen, was sie (natürlich) machen wird, jedoch mit einem zerstreuten Gesichtsausdruck, der zeigt, dass sie mit den Gedanken ganz woanders ist.

Noch ungeübt im Verheiratetsein, denn noch ist kein ganzer Tag vergangen, dass sie Mrs. Willem Zengler ist, doch geübt darin, Augenkontakt mit Fremden in der Öffentlichkeit zu meiden. Selbst mit freundlich wirkenden Frauen.

Entschuldigen Sie Miss – ist der Platz da besetzt?

Muss sagen: Nein. Nicht besetzt.

Muss rüberrutschen, ans Fenster. Steifes Lächeln, zum Fenster hindrehen, die linke Hand mit dem silbernen Ehering verstecken.

Kalt heute Morgen, was? Verdammter Wind, wenn man auf den verdammten Bus wartet …

So tun, als höre man das nicht. In der örtlichen Sozialbehörde trifft man immer mal wieder schwerhörige oder taube Menschen, auch Teenager, Kinder. Ist nichts Ungewöhnliches, hörgeschädigt zu sein.

Sie hat auch schon mit blinden Menschen gearbeitet. Sehgeschädigt.

Sie fragt sich, ob es noch weitere Kategorien gibt – seelengeschädigt.

Noch immer spricht die Person neben ihr mit ihr, oder besser gesagt, redet auf sie ein. Der alte Elmer Fudd aus Bugs Bunny. Spricht mit sich selbst, klagt, doch mit Humor, in der Hoffnung, dass das hübsche sommersprossige Mädchen neben ihm irgendetwas Interessantes aufschnappt und mit einem Kichern reagiert, mit einem flirtenden Blick von der Seite.

Sie hat gar nicht geschaut, wer er ist. Sie wird sich ihm auch nicht zuwenden, nicht einmal mit einem Seufzer der Verzweiflung, obwohl er (verdammter Kerl) angefangen hat sich auszubreiten, sein ganzes Gewicht, seine Masse in den harten Plastiksitz zu quetschen, und sich dann ganz unauffällig in ihren Sitz hinüberdrängt, so als ob er vorher die Luft angehalten hätte und sie jetzt rauslässt.

Zu dumm, dass ihr großer, starker junger Ehemann heute Morgen nicht bei ihr ist. Nah bei ihr. Ihre Hand mit seiner umschließt. Willem würde sein Leben für sie geben. (Das wusste sie.)

Niemand hätte sich neben sie setzen können, wenn Willem da gewesen wäre. Niemand hätte in ihr privates Glück eindringen können.

Aber Willem hat einen anderen Bus genommen, fährt in einen anderen Teil der Stadt. Willem ist auf dem Weg zur Uni.

Also jetzt, der erste Morgen als Mrs. Willem Zengler! Ihr neues Leben.

Die Neuvermählten haben nicht genügend Geld für Flitterwochen oder Ähnliches, jetzt noch nicht. Sie müssen beide arbeiten und Willem hat auch noch seine Uni. Am frühen Samstagmorgen werden sie nach Norden fahren, zum Lake George, wo sie einen Caravan gemietet haben, von einem Freund von Willems Vater, und Sonntagabend wieder zurück. Falls es bald mal ein langes Wochenende gibt, vielleicht zu den Niagara-Fällen, die sind nur fünf Stunden entfernt.

Und irgendwann werden sie eine richtige Hochzeitsreise machen, an einen romantischen Ort, so wie Miami Beach oder Paris. Willem hat es versprochen.

Neben ihr drückt der Oberschenkel des schwergewichtigen Fremden gegen ihren. Selbst durch mehrere Schichten Kleidung und ihren Mantel darüber spürt sie seinen aufdringlichen Druck.

Weicht zurück. Unauffällig.

Möglich, dass der massige Mann sich unabsichtlich in ihren Sitz hinein ausbreitet. Er ist schließlich ein Schwergewicht. Und alt. Sie hört ihn laut atmen, ein asthmatisches Schnaufen.

Vielleicht ist er gekränkt, weil sie so zurückhaltend ist. Das penetrante Reden hat aufgehört.

Doch die Anspannung hat sie ängstlich gemacht. Sie ist extrem sensibel gegenüber der Stimmung Erwachsener, vor allem erwachsener Männer.

Wie rasch eine Stimmung sich ändern kann. Im Nu kann sich die Stimmung ändern. Das erste Signal dazu ist ein steifer Kiefer. Die Sehnen im Nacken. Das Luftholen.

Hör mal. Wo fährst du eigentlich hin?

Hier. Genau hier. Sagte ich –

(Aber warum diese aufwühlenden Gedanken? An diesem besonderen Morgen!)

Sie wollte mit ihrem neugewonnenen Glück so gern allein sein. Der erste Morgen als verheiratete Frau. Der erste Morgen vom Rest ihres Lebens – Mrs. Willem Zengler.

Wie Zengler einfach Hayman geschluckt hat. So wohltuend!

Jeder hier im Bus hätte Mrs. Zengler zugelächelt, hätten sie es gewusst. Wie wäre sie errötet, wenn die Leute um sie herum es gewusst hätten. Witze über Flitterwochen, die Hochzeitsnacht – überhört sie, findet sie einfach nicht lustig, solche Witze.

Dieser kostbare Morgen, im Verborgenen gepriesen, als der rumpelnde Raritan-Avenue-Bus sie in die Stadtmitte zur Sozialbehörde fährt. Wenn der Mann neben ihr sich endlich dazu durchringt, sie in Ruhe zu lassen, dann kann sie gefahrlos wieder in ihrem Glücksgefühl schwelgen.

Schwindelerregender Freudentaumel, Erleichterung, Dankbarkeit. Ihr Hochzeitstag.

(Ehrlich gesagt, hatte sie gar nicht erwartet, dass er stattfinden würde. War sich sicher gewesen, dass irgendetwas Schreckliches dazwischengekommen wäre.)

(Das Schlimmste, was jetzt in ihrem Leben passieren könnte, wäre Willems Tod. Sie liebt ihn über alles. Ihr eigener Tod, nicht so schlimm. Nur eine Streichung.)

Die einzigen Hochzeitsgäste waren die Trauzeugen, und auch das waren nicht sehr viele. Die Verwandten der Braut lebten zu weit weg, um teilnehmen zu können. Konnten sich die Reise nicht leisten. Seltsamerweise glaubten sowieso alle, die Braut wäre ein Adoptivkind.

Sie fragt sich, ob die Zenglers ihr misstrauen. Sie an ihrer Stelle würde es tun.

Aber sie ist ja lächelnden Menschen gegenüber immer misstrauisch.

Ske-e-lett. Skelett!

Auf einmal ist sie wieder da, wie Gallensaft hinten im Schlund, die Erinnerung. Der Traum …

Der Morgen gestern, der Morgen am Tag der Hochzeit. Aufgewacht noch vor Tagesanbruch, voller Angst und zitternd und in einem schweißnassen Nachthemd.

Der Geruch ihres Körpers. Dieser beschämende Geruch.

Sie hat Angst davor, jetzt wo sie verheiratet ist und nicht mehr länger allein schlafen kann, dass sie stammelnd und wimmernd aufwacht von jenem Traum oder irgendeinem anderen. Und dass Willem zum ersten Mal ihr verzerrtes Gesicht sehen wird, verzerrt vor Angst.

Angst macht ein hübsches Gesicht hässlich. Immer die Angst verbergen.

Immer die Schwäche verbergen, so wie Tiere es tun.

Zum Glück denkt sie an ihre Hochzeitsnacht mit verschwommener (trunkener) Glückseligkeit. Zu lange war sie Jungfrau gewesen und zu lange hatte der junge christliche Ehemann glühend auf sie »gewartet«, wie er – halb vorwurfsvoll, halb stolz – betonte, denn er war ein guter Christ aus einer Methodistenfamilie und hielt nichts von vorehelichem Sex – wie dies von seinen Leuten altertümlich genannt wurde.

Na klar, sagte er. So ein Kerl macht dem Mädchen Druck, vor allem wenn er mit ihr verlobt ist, denn er leidet, quält sich, aber insgeheim möchte er gar nicht, dass sie nachgibt.

Nachgibt. Sie hört aufmerksam zu.

Weil – kannst du dir denken, warum?

Sie sagt Nein. Warum?

(Natürlich weiß sie, warum! Witzbold.)

Wenn ein Mädchen »leicht zu haben« ist, so heißt das auch, dass sie für andere Männer »leicht zu haben« ist. Willem erklärt ihr dies in ernstem Ton.

Genauso ernst hat er ihr erklärt, dass sein Name nicht William ist. Sein Name ist Willem.

Wer hat ihm das erzählt, fragte sich die Verlobte. Wer erzählt den Jungs solche Sachen über Mädchen? Über Frauen?

Wahrscheinlich die älteren Jungs. Willem hat Brüder, Cousins.

Nette christliche Jungs, doch mit derselben schmutzigen Fantasie wie die meisten anderen. Typisch Jungs eben.

Sie ist nicht stolz darauf, dass sie Willem Zengler viele Male betrogen hat. Schon bevor sie sich verlobten.

Nicht mit anderen Männern. Nicht mit Jungs. Vielmehr hat sie Willem so betrogen, wie alle anderen auch, indem sie nämlich ihre wahre Seele vor ihm verborgen hat, eine Seele, die beschmutzt ist, verfärbt, verdreckt wie ein ekliger Schwamm.

Alles Schlechte, was mir geschieht, verdiene ich.

Alles Gute, was mir geschieht, verdiene ich nicht.

Sagt Willem, dass ihr Name Abby ist – also: Gabriella, abgekürzt »Abby«.

Ihr richtiger Name, ihr offizieller Name, der Name auf ihrer Geburtsurkunde ist weder »Abby« noch »Gabriella«. Aus irgendeinem Grund heraus, den sie nicht zu benennen weiß, stellt sie sich Leuten ihres Alters, von denen sie hofft, gemocht zu werden, immer als »Abby« vor.

Der Name auf der Geburtsurkunde ist »Miriam Frances Hayman«. Nicht ihrer.

Willem und sie haben sich bei der Sozialbehörde kennengelernt, als sie im Rehabilitations-Zentrum für Blinde arbeitete. Willem war zu jener Zeit einer von einem Dutzend Freiwilliger des Christlichen Jugendverbandes, die einmal in der Woche das Zentrum besuchten, um den Blinden vorzulesen.

Hatte ihr zuerst gar nicht gefallen. Hatte gar nicht gewollt, dass er ihr gefällt. Nur ein flüchtiger Blick – groß, blond, jungenhaft, freundliche blaue Augen – dann brach innen drin Panik aus. Zog sich zusammen, rollte sich ein wie ein Wurm, der Schutz sucht.

Sexuelles Verlangen. Ein Gefühlsschock. Bauch, Herz. Treibt Tränen in die Augen.

Nein.

Schamlos, aber witzig, denkt sie, die Art und Weise, wie einige ihrer Kolleginnen es schafften, so häufig wie möglich Willem Zengler über den Weg zu laufen. Die Reha-Abteilung befand sich in der ersten Etage der Sozialbehörde, nicht weit von der Damentoilette entfernt.

Wie praktisch!

Einige (verheiratete) Frauen, die es besser wissen sollten, ließen sich den Flur entlangtreiben, in der Hoffnung, dem großen, attraktiven Christian Youth-Freiwilligen zu begegnen, der sie grüßte wie ein Gentleman, obwohl er doch erst Mitte zwanzig – wenn nicht jünger – war.

Sogar die Reha-Leiterin (so um die fünfzig) lauerte ihm auf und bedachte ihn mit munteren Bemerkungen und Fragen – dreist.

Sogar blinde Frauen schienen etwas zu merken. Vielleicht schnupperten sie es? Willems nasale Singsang-Stimme, die bei jedem anderen Sprecher als unangenehm und nervig empfunden worden wäre, schien sie wahrlich zu bezaubern.

Bitte tragen Sie mich bei Wil’m Zengler ein. Wenn es eine Teilnehmerliste bei ihm gibt, setzen Sie bitte meinen Namen drauf. Vielen Dank!

Ihr eigener Vater hatte auch verdammt gut ausgesehen, so hieß es. Wie ein Filmstar aus alten Zeiten – Alan Ladd?

Keine Erinnerung an ihren Vater. Nicht an das verdammt gut aussehend – und auch an nichts anderes. Einfach – keine Erinnerung.

Verschwand, als sie gerade mal fünf war. Das war’s.

Keine Bilder, nichts. Nicht mal ein Foto, das überlebte.

Schnappschüsse, die ihre Mutter gemacht und unter den Verwandten verteilt hatte. Nur ganz schwach kann sie sich erinnern.

Traut gutaussehenden Männern nicht. Das Gesicht ist eine Maske, sie schauen dich durch diese Maske an. Selbst ältere Männer, wenn sie glattrasiert sind, attraktiv. Männer mit sorgsam gekämmtem Haar. Ein Hauch von Haaröl, sie spürt einen Anflug von Übelkeit. Beißender Zigarettenqualm, stärkere Übelkeit. Süßlicher Whiskeygeschmack im Atem, sie atmet schneller, ein Asthma-Anfall, kann einen Blackout hervorrufen, man fällt in eine tiefe Ohnmacht, fällt zusammen wie eine Marionette, deren Fäden zerschnitten werden.

Kein Öl auf Willem Zenglers kurzgeschnittenem Haar. Kein Whiskey in seinem Atem – niemals!

Willems Geruch? Seife, Zahnpasta. Fruit Loops. Wenn er trainiert hat, erregt ist, ein markanter Geruch von Schweiß.

Wie er geschwitzt hatte in ihrer Hochzeitsnacht. Rutschig-glatte, weiche Haut seines Rückens, Muskelwölbungen. Pickelchen verstreut über seinen breiten, weichen Rücken, die sie zufällig entdeckt hatte, unter ihren Fingerspitzen, winzige Erhebungen, von denen Willem sicher selbst nichts wusste.

Ein nackter Männerkörper. Sie hat ihn (noch) nicht angeschaut. Auch Willem hat den nackten Körper seiner Braut (noch) nicht angeschaut, obwohl sie jetzt schon eine ganze Nacht zusammen verbracht haben, in einem Bett.

In der Reformed Methodist Church, zu der Willems Familie gehört, ist nicht einmal Limonade erlaubt. Kein Tabak, kein Alkohol (noch nicht einmal Bier »light«), Kaugummi, Fast Food, künstliche Süßstoffe. Verbotene Dinge, die doch eigentlich sowieso niemandem etwas bedeuteten.

Als ob sie glaubten, dass Gott zuschaue. Gott sieht, was du isst, oder hört dich sagen Hölle, verdammt, gottverdammt.

Gott sieht zu, richtet. Gott sorgt dafür, dass dir nur so viel Schlimmes passiert, wie du ertragen kannst.

Genau das glauben die Christen. Und das scheinen auch Willem und seine Familie zu glauben.

Ja, Abby Hayman ist ein feines Mädchen. Abby hört man niemals laut »Schimpfwörter« sagen.

Ske-lett. Ske-lette.

Doch jetzt: Ihr Fehler war es, dem Glück nachgegeben zu haben. Jetzt wird sie dafür bestraft.

Hast du geglaubt, du könntest uns vergessen?

Sie erinnert sich an dieses stechende Beben zwischen ihren Beinen, da wo sich ihr Körper verzweigt, als Willem sie (sanft, nachdrücklich) dort berührte, in ihrer Hochzeitsnacht, sie zu beben begann, ihren Körper ganz still hielt, wie einen gespannten Bogen, der fester gespannt wird, immer fester, fast bis zum Zerreißen …

Es ist ein Fehler, nachzugeben. Man kann ja gar nicht alles bis zum Ende auskosten, wenn man sofort nachgibt.

Dieses unmittelbare, unmissverständliche, heftig pulsierende Vergnügen, so etwas war ihr nie zuvor in ihrem Leben geschenkt worden. Schien der sanften Hand ihres jungen Ehemannes zu entspringen, und seinem nassen saugenden Mund auf ihrem.

Du verdienst solch ein Vergnügen nicht. Solche Glückseligkeit. Dieses Brennen, ein grelles Licht, das ihre verstörten Augen blendet.

Niemand hat ihr davon erzählt, denn es gibt niemanden, der ihr davon erzählen könnte. Doch eines weiß sie: Sie hat dieses große Glück, einen Mann zu finden, der sie heiratet und liebt, nicht verdient. Sie trägt etwas Besonderes in sich, Fluch und Verdammnis. Aus dem hohen Gras heraus hatten die Schädel sie mit spöttischem Gleichmut angeschaut.

Hast du geglaubt, wir könnten dich vergessen?

In ihrem Traum, am Tag bevor sie Mrs. Willem Zengler wurde und dadurch ihr bisher in allen anderen Belangen verdammtes Leben zu retten hoffte, sprechen die grausamen Fakten eine andere Sprache: keinerlei Anzeichen von Liebe in ihrem Leben. Keine Erinnerung an einen jungen Mann, keine Erinnerung an seinen Namen.

In dem Traum, der sie erwartet, wenn sie sich traut, ihre Augen wieder zu schließen, ist sie in einer anderen Zeit, einer Zeit vor der Liebe. In der Zeit ihres wahren Ichs, in der es Willem nicht gibt.

Nein! Eine Lüge! Sie ist verheiratet. Ihren Mann gibt es wirklich …

Miss? Sind Sie okay?

Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Tränen der Freude, des Erstaunens. Dass sie ganz sicher verheiratet ist. Dass sie ganz sicher geliebt wird. Beschützt. Starrt auf den schmalen Silberring an ihrem Finger, keltisches Design. Kein sehr teurer Ring und (vielleicht) auch nicht aus echtem Silber, doch (in ihren Augen) wunderschön.

Ihr Mann trägt den dazu passenden Ring. Schmuckgeschäft im Einkaufszentrum mit der Werbung Sale 50 % Rabatt. In diesem Moment ist ihr Mann rund zehn Kilometer entfernt irgendwo auf dem weitläufigen Nord-Campus der Universität unterwegs.

Warum lügst du! Du hast keinen Ehemann.

Du hast das alles geträumt. Du bist böse, krank. Geistesgestört.

Kein anständiger Mann würde dich heiraten.

Verheiratet! Einen einzigen Tag.

Fährt sich mit den Fingerspitzen über die Augen. Heimlich. Wie sie sich schämt! – weint in der Öffentlichkeit, kann sich nirgendwo verstecken. Reibt ihr Handgelenk, fährt mit den Fingern um ihr rechtes Handgelenk herum.

Ja, wir haben sie gesehen. Wir wurden auf sie aufmerksam. Nicht, dass sie sich besonders merkwürdig benommen hatte, nein, aber sie hat auf jeden Fall mit sich selbst gesprochen, oder jemand hat mit ihr gesprochen, aber alles innerlich. Ehrlich gesagt, konnte man nichts Auffälliges sehen – nicht viel. Aber sie war so ein hübsches Mädchen, die konnte man nicht übersehen.

Hatte irgendetwas Altmodisches an sich. Kein Mädchen von heute – Mädchen von der High School, die sich wie Schlampen kleiden – sondern wie aus einer anderen Zeit, der Mantel, den sie trug, hatte einen Gürtel, kleine Strickmütze auf dem Kopf und ihre Haare nicht lang herunterhängend wie bei den meisten Mädchen, sondern kürzer und eher ordentlich, gewellt. Und sie trug einen Rock und sogar Seidenstrümpfe und flache Ballerinas, sah aus wie eine von den jungen Frauen, die im Büro arbeiten. Und kein Make-up, so wie es aussah – höchstens etwas Lippenstift.

Irgendetwas war seltsam an ihr – wie sie unaufhörlich an ihrem Handgelenk rieb. Als ob da etwas wäre, an ihrem Handgelenk, aber ich konnte nichts erkennen, trug nicht mal eine Uhr.

Als ob sie schlafwandeln würde – schlief mit offenen Augen. Ein zartes Lächeln auf den Lippen, bis sie dann anfing zu weinen.

Fragte sie, ob sie okay wäre, aber sie hörte es nicht …

Muss ganz plötzlich aussteigen. Kann nicht atmen. Zieht an der Leine zum Anhalten. Schnell!

Springt auf, zur hinteren Tür. Ruft dem Fahrer etwas zu, mit der Stimme eines erschrockenen Kindes Lassen Sie mich aussteigen, bitte – sofort! Der Fahrer schaut mürrisch in seinen Rückspiegel. Immer mit der Ruhe, Miss. Nächster Halt ist an der Ecke.

Ist (noch) nicht ihre Haltestelle, muss aber sofort aussteigen. Was auch immer ihr geschehen wird, es kommt näher. Immer näher!

Weiß nicht einmal genau, wo sie ist. Zwei andere Passagiere steigen mit ihr aus, beobachten sie.

Das arme Mädchen atmete laut – keuchend. So, als wäre sie schnell gerannt, keuchte wie ein Hund oder ein Pferd. Ihr Gesicht war totenbleich. Sah aus, als würde sie laut schreien, sollte jemand sie nur berühren.