Verführt von einem Ritter - Elizabeth Lowell - E-Book
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Verführt von einem Ritter E-Book

Elizabeth Lowell

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Beschreibung

Nur ihre Liebe kann ihn retten: Der bewegende historische Liebesroman »Verführt von einem Ritter« von Elizabeth Lowell jetzt als eBook bei venusbooks. Wer ist Freund, wer ist Feind? Großbritannien im 12. Jahrhundert: In einer gefährlichen Zeit, in der Clans sich bis aufs Blut bekämpfen und ganze Landstriche im Chaos zu versinken drohen, findet die schottische Heilerin Amber einen verwundeten Krieger, der sich an nichts anderes erinnern kann als an seinen Namen. Obwohl Amber sich geschworen hat, niemals einen Mann zu lieben, schlägt ihr Herz bald schneller bei jedem Lächeln, das Duncan ihr schenkt. Aber dann kehrt seine Erinnerung zurück – und bringt eine schreckliche Wahrheit ans Licht: Der Mann, der mit seinen Berührungen ein nie gekanntes Feuer und Verlangen in ihr geweckt hat, steht auf der Seite der Feinde! Hat die Liebe Amber in tödliche Gefahr gebracht? »Elizabeth Lowell ist eine der besten Autorinnen sinnlicher, aufregender und ganz und gar hinreißender Liebesromane!« New York Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Ritter-Romance »Verführt von einem Ritter« von Bestsellerautorin Elizabeth Lowell ist der zweite Band der Valiant-Knights-Saga, der unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden kann. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 612

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Über dieses Buch:

Wer ist Freund, wer ist Feind? Großbritannien im 12. Jahrhundert: In einer gefährlichen Zeit, in der Clans sich bis aufs Blut bekämpfen und ganze Landstriche im Chaos zu versinken drohen, findet die schottische Heilerin Amber einen verwundeten Krieger, der sich an nichts anderes erinnern kann als an seinen Namen. Obwohl Amber sich geschworen hat, niemals einen Mann zu lieben, schlägt ihr Herz bald schneller bei jedem Lächeln, das Duncan ihr schenkt. Aber dann kehrt seine Erinnerung zurück – und bringt eine schreckliche Wahrheit ans Licht: Der Mann, der mit seinen Berührungen ein nie gekanntes Feuer und Verlangen in ihr geweckt hat, steht auf der Seite der Feinde! Hat die Liebe Amber in tödliche Gefahr gebracht?

»Elizabeth Lowell ist eine der besten Autorinnen sinnlicher, aufregender und ganz und gar hinreißender Liebesromane!« New York Times

Über die Autorin:

Elizabeth Lowell ist das Pseudonym der preisgekrönten amerikanischen Bestsellerautorin Ann Maxwell, unter dem sie zahlreiche ebenso spannende wie romantische Romane verfasste. Sie wurde mehrfach mit dem Romantic Times Award ausgezeichnet und stand bereits mit mehr als 30 Romanen auf der New York Times Bestsellerliste.

Elizabeth Lowell veröffentlichte bei venusbooks bereits ihre historischen Liebesromane der Valiant-Knights-Saga »Begehrt von einem Ritter«, »Verführt von einem Ritter« und »Geküsst von einem Ritter«.

Die Website der Autorin: elizabethlowell.com

***

eBook-Neuausgabe Februar 2023

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1993 unter dem Originaltitel »Forbidden« bei Avon Books, HarperCollins Publishers, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2002 unter dem Titel »Verzauberte Küsse« bei Goldmann.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1993 by Two of a Kind, Inc.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Malinovskaya Yulia, michelaubryphoto, SergeyKlopotov, FXQuadro

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96898-227-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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***

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Elizabeth Lowell

Verführt von einem Ritter

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke Iheukumere

venusbooks

Für Marjorie Braman – deren Sinn für Humor so manches Mal die anstrengende Arbeit am Buch belebt hat.

Kapitel 1

Er wird zu dir kommen, in den Schatten der Dunkelheit.

Die Worte der schrecklichen Prophezeiung dröhnten durch Ambers Gedanken, als sie den nackten, kräftigen Mann betrachtete, den ihr Sir Erik bewusstlos vor die Füße gelegt hatte.

Die Flammen der Kerzen flackerten und bewegten sich, als wären sie lebendig – als würden sie gerufen von dem kalten Herbstwind, der durch die offene Tür der Kate blies. Licht und Dunkelheit fielen auf den Körper des Fremden und machten die Kraft seines Rückens und seiner Schultern sichtbar. Schneeregen glänzte auf seinem beinahe schwarzen Haar, eisige Nässe auf seiner Haut.

Amber spürte die Kälte des Mannes, als sei es ihre eigene. Schweigend blickte sie zu Erik auf. Ihre großen goldenen Augen stellten unbeantwortbare Fragen.

Doch das half nichts, denn auch Erik hatte keine Erklärungen. Alles, was er hatte, war der leblose Körper des Fremden, gefunden an einem heiligen Ort.

»Kennst du ihn?«, fragte Erik knapp.

»Nein.«

»Ich denke, du irrst dich. Er trägt dein Zeichen.«

Mit diesen Worten drehte Erik den Mann um. Kerzenlicht fing sich in dem Wasser auf seinem muskulösen Körper; doch es war nicht die elementare Kraft, die Amber aufkeuchen ließ.

Ein Stück Bernstein leuchtete zwischen dem dunklen Haar auf seiner Brust.

Vorsichtig, um den Fremden nicht zu berühren, kniete Amber neben ihm nieder und hielt die Kerze so, dass sie den Talisman betrachten konnte. Kunstvolle Runen waren auf dem Schmuckstück eingeritzt. Diese Runen empfahlen den Träger dem Schutz der Druiden.

»Wende ihn einmal«, bat sie leise.

Schnell drehte Erik den Talisman aus Bernstein um. Auf der anderen Seite priesen lateinische Worte in der Form eines Kreuzes die Herrlichkeit Gottes und baten ebenfalls um Schutz für den Träger. Es war ein bekanntes christliches Gebet, das alle Ritter bei sich trugen, die in die Schlacht der Sarazenen gezogen waren, um das Heilige Land zu erobern.

Amber stieß einen langen Seufzer aus, erleichtert, dass der Fremde kein schwarzer Zauberer war, der in die Umstrittenen Gebiete geschickt worden war, um dort Schaden anzurichten. Jetzt erst fasste sie ihn als Mann und nicht als ein Objekt ins Auge, das zu ihr gebracht worden war, damit sie herausfand, ob es sich um einen Ritter oder Betrüger handelte.

Wo immer Amber auch hinsah, die überwältigende Kämpferfigur des Fremden war offensichtlich. Nur seine dichten, ein wenig gebogenen Augenwimpern und der klare, sanfte Schwung seiner Lippen wiesen eine gewisse Zartheit auf.

Zweifellos lag da vor ihr ein gut aussehender Krieger, der die Schönheit des Sturmes anstatt die der Blumen besaß. Frische Abschürfungen, kleine Schnitte und blaue Flecke vermischten sich mit Narben von anderen, länger zurückliegenden Schlachten. Diese Male verstärkten noch den Eindruck seiner Männlichkeit.

Obwohl er außer dem Talisman keinerlei Dinge bei sich trug, nicht einmal Kleidung, war Amber klar, dass man diesen Neuankömmling nicht unterschätzen sollte.

»Wo hast du ihn gefunden?«, fragte sie.

»Im Steinkreis.«

Ambers Kopf flog herum.

»Was?«, entfuhr es ihr ungläubig.

»Du hast gehört, was ich gesagt habe.«

Das Mädchen wartete voller Spannung.

Erik richtete seinen Blick mit den Augen eines Wolfes auf sie.

»Lass mich dir nicht die Worte aus der Nase ziehen, wie ich Federn aus einem Huhn rupfe«, erklärte Amber verärgert. »Sprich!«

Die harten Linien von Eriks Gesicht verzogen sich zu einem belustigten Lächeln. Er trat über den bewusstlosen Fremden und schloss die Tür der Kate, schloss den frischen, kalten Herbstwind aus, der in den Raum geweht war.

»Hast du nicht ein wenig Glühwein für einen alten Freund?«, erkundigte sich Erik freundlich. »Und eine Decke für diesen Mann, wer immer er auch sein mag. Es ist zu kalt, um nackt hier zu liegen, sei er nun Freund oder Feind.«

»Aye, Lord! Selbst dein kleinster Wunsch ist für mich selbstverständlich ein Befehl.«

Der trockene Humor in Ambers Stimme klang deutlich durch, genau wie die Zuneigung. Sir Erik war der Sohn und Erbe eines großen schottischen Lehnsherrn; doch Amber hatte in seiner Gesellschaft immer ein eigenartiges Gefühl von Behagen, obwohl sie selbst nicht von hoher Geburt war und nicht mehr Verwandtschaft besaß als der wilde Herbstwind.

Erik zog seinen kostbaren Mantel aus. Er bedeckte den Fremden mit der dicken warmen Wolle, die so blau war wie die Dämmerung. Nicht viel von dem Mantel stand an den Füßen über.

»Er ist erstaunlich groß«, meinte Erik abwesend.

»Sogar noch größer als du«, bestätigte Amber von der anderen Seite des Raumes. »Der Ritter, der diesen Mann geschlagen hat, muss ein mächtiger Krieger gewesen sein.«

Erik betrachtete Amber aus zusammengezogenen Augen, als sie auf ihn zukam; über dem Arm trug sie die dicke Felldecke, die normalerweise ihr Bett wärmte.

»Wenn ich den Spuren Glauben schenke, wurde er durch einen Blitzschlag aus dem Himmel niedergestreckt«, erklärte Erik deutlich.

Das lange Nachtgewand Ambers wirbelte um ihre Knöchel und verfing sich dort. Sie stolperte und wäre auf den Fremden gefallen, wenn Erik sie nicht gehalten hätte. Er stellte Amber wieder auf die Füße und ließ sie dann sofort los.

»Vergib mir«, sagte er schnell.

Obwohl Erik sie nur für den Bruchteil eines Augenblicks berührt hatte, konnte sie ein Gefühl des Unbehagens kaum unterdrücken.

»Es gibt nichts zu vergeben«, versicherte Amber ihm. »Du bist dann doch noch das geringere Übel als der Fremde.«

Trotz ihrer Worte beobachtete Erik Amber ganz genau; er wollte sicher sein, dass ihr Zurückweichen wirklich nur vorübergehend gewesen war.

»Ich kann nicht sagen, warum deine Berührung mir keine Schmerzen bereitet«, erklärte Amber ironisch. »Gott allein weiß, dass dein Herz nicht reiner ist, als es unbedingt sein muss.«

Das Lächeln, das um Eriks Mund spielte, war so flüchtig wie Ambers vorheriges Unbehagen.

»Für dich, Amber die Unberührbare«, beteuerte er, »ist mein Herz so rein wie frisch gefallener Schnee.«

Sie lachte leise. »Vielleicht ist es das Vermächtnis unserer Kindheit, in der wir die Lektionen von Cassandra gemeinsam erteilt bekommen haben.«

»Ja. Vielleicht.«

Erik verzog schmerzlich den Mund. Dann beugte er sich vor und wickelte den unbeweglich daliegenden Fremden in die Felldecke.

Rasch warf Amber einen Umhang über ihre Schultern und schürte das Feuer in der Mitte der Kate. Schon bald erwärmten die freundlichen Flammen den Raum und spielten wie das Licht der Sonne auf Ambers langen goldenen Zöpfen. Sie schob einen Topf von einem Dreibein über das Feuer.

»Was ist mit den Begleitern des Mannes geschehen?«, fragte sie.

»Sie sind in alle Winde verstreut, genau wie ihre Pferde.« Erik lächelte böse. »Der uralte Steinkreis hat sicher nichts übrig für Normannen.«

»Wann ist das geschehen?«

»Ich weiß es nicht. Obwohl sich die Spuren tief in den Boden eingegraben hatten, waren sie doch vom Regen beinahe weggewaschen. Die Eiche, die von dem Blitz getroffen wurde, bestand nur noch als ein geschwärzter, schwach glühender Stumpf.«

»Bringe ihn näher ans Feuer«, schlug Amber vor. »Er muss durch und durch unterkühlt sein.«

Erik hob den Fremden mit einer Leichtigkeit hoch, die bei der Größe des Mannes erstaunlich war. Die tanzenden Flammen ließen Eriks Haar und seinen Bart hell aufleuchten.

Das Haar des Fremden blieb auch im Schein des Feuers dunkel. Er war glatt rasiert bis auf einen genauso schwarzen Schnurrbart.

»Atmet er?«, fragte Amber.

»Aye.«

»Sein Herz ...«

»Schlägt so kräftig wie das eines Schlachtrosses«, unterbrach Erik sie.

Eigentlich war ihre Erleichterung viel zu groß angesichts eines Fremden.

Dennoch verspürte sie sie.

»Ist einer deiner Knappen unterwegs, um Cassandra zu holen?«, erkundigte sich Amber jetzt.

»Nein.«

»Warum nicht?«, fragte sie erstaunt. »Cassandra besitzt viel größeres Geschick, einen Menschen zu heilen, als ich.«

»Doch wesentlich weniger Geschick bei der Hellseherei.«

Insgeheim holte Amber tief Luft. Sie hatte sich davor gefürchtet, seit Erik den nackten Fremden ihr vor die Füße gelegt hatte. Zögernd griff sie in ihren Umhang und ihr Nachtgewand.

Obwohl sie viele Halsketten und Armbänder, Spangen und Haarschmuck aus kostbarem Bernstein besaß, so gab es doch nur ein Schmuckstück, das sie ständig trug – selbst im Bett. Die Kette um ihren Hals bestand aus goldenem Draht, fein gewunden. Ein Anhänger aus durchscheinendem Bernstein, halb so groß wie ihre Handfläche, hing an einer goldenen Schlinge und war mit winzigen Runen beschrieben.

Aus der Urzeit und von unschätzbarem Wert, war Amber dieser geheimnisvolle Anhänger bei ihrer Geburt umgelegt worden. In dem kostbaren Schmuckstück blitzte das eingefangene Sonnenlicht, wo es tanzte und lachte und brannte, unterstrichen von den Bruchstücken aus Dunkelheit, die sich auch in dem goldenen Harz tummelten.

Amber murmelte eine Beschwörungsformel und hielt den Anhänger zwischen ihren beiden Handflächen. Die Wärme ihres Atems drang in den geheimnisvollen Stein ein. Als die Substanz von ihrer Lebendigkeit erfüllt war, bildete sich ein leichter Dunst.

Schnell beugte sich Amber zum Feuer und hielt den Anhänger gerade außerhalb der Reichweite der Flammen. Als sich der Dunst klärte, schimmerte der Stein zwischen Licht und Schatten, die Formen darin änderten sich ständig.

»Was siehst du?«, wollte Erik wissen.

»Nichts.«

Er schnaubte ungeduldig und sah zu dem Fremden, der noch immer schlaff, doch anscheinend unverletzt, am Boden lag – bis auf seinen unnatürlichen Schlaf.

»Du musst ganz sicher etwas sehen«, murmelte Erik. »Selbst ich kann in den Bernstein schauen, wenn ich ...«

»Licht«, unterbrach Amber ihn. »Einen Kreis. Uralt. Die anmutigen Linien einer Eberesche. Schatten der Dunkelheit. Am Fuße dieses Baumes. Etwas ...«

Sie hielt inne. Als sie aufblickte, stellte sie fest, dass Erik sie beobachtete – mit Augen, die ebenfalls wie Bernstein waren, den man in der Nacht vor sich hat, dunkelgolden, unergründlich.

»Der Steinkreis und die heilige Eberesche«, bemerkte er mit ausdrucksloser Stimme.

Amber zuckte die Achseln.

Erik rührte sich nicht, sein Körper war angespannt, als erwarte er einen Kampf.

»Es gibt viele heilige Steinkreise«, meinte Amber schließlich. »Und es gibt auch viele Ebereschen und viele Schattierungen der Dunkelheit.«

»Du hast ihn so gesehen, wie ich ihn gefunden habe.«

»Nein! Die Eberesche steht im Steinkreis.«

»Dort war er auch.«

Eriks ruhige Erklärung ließ Amber einen Schauder über den Rücken rinnen. Sprachlos blickte sie von Erik zu dem Fremden in der warmen Wollhülle und unter dem Fell.

Dazu kamen tausend Schattierungen der Dunkelheit.

»Im Inneren?«, flüsterte sie und bekreuzigte sich eilig. »Lieber Himmel, wer ist er?«

»Ganz sicher einer der Gelehrten. Kein anderer Mensch gelangt zwischen den Steinen hindurch.«

Nun betrachtete Amber den Fremden, als würde sie nach seiner Identität suchen – mittels Runen auf seinem Gesicht eingeritzt. Aber sie sah nur diese Tatsachen – seine unbestreitbare Männlichkeit und Stärke.

Der Anblick bewegte sie wie nie etwas zuvor, außer dem Bernstein selbst.

Sie wollte seinen Atem spüren, seinen einzigartigen Duft erfahren, seine Wärme in sich aufnehmen. Sie wollte seine Beschaffenheit erforschen, seine Lebendigkeit genießen.

... ihn berühren ...

Diese Erkenntnis erschreckte Amber. Sie, die Unberührbare, wollte den Schmerz der Nähe riskieren.

»Hat die Eberesche geblüht?«, fragte Erik.

Amber zuckte zusammen und warf ihm einen Blick von der Seite zu.

»Seit tausend Jahren hat sie das nicht mehr«, erklärte sie. »Warum sollte sie ausgerechnet diesem Fremden ein Leben voller Segen bescheren?«

»Was hast du sonst noch in dem Anhänger gesehen?«, war das, was Erik darauf zu sagen hatte.

»Nichts.«

»Und du sprichst davon, Federn aus einem Huhn zu rupfen«, murmelte er. »Was hast du denn gefühlt?«

»Ich habe gefühlt ...«

Erik wartete.

Und wartete.

»Du liebe Güte! Heraus mit der Sprache«, forderte er sie auf.

»Dafür gibt es keine Worte. Nur ein Gefühl, als ob ...«

»Als ob?«, drängte er.

»... ich am Rande einer Klippe stehe und nur meine Schwingen ausbreiten muss, um zu fliegen.«

Erik verzog die Mundwinkel, in einer Mischung aus Erinnerung und Erwartung.

»Das ist ein wundervolles Gefühl, nicht wahr?«, flüsterte er.

»Nur für diejenigen, die Flügel haben«, gab Amber zurück. »Was bei mir nicht zutrifft. Mich erwartet nur ein langer Fall und eine harte Landung.«

Daraufhin erfüllte Eriks Lachen die kleine Kate.

»Ah, Kleines«, meinte er schließlich, »wenn es dir nicht wehtäte, würde ich dich jetzt in die Arme nehmen und dich wie ein Kind hätscheln.«

Amber lächelte. »Du bist ein guter Freund. Komm. Trage diesen Mann in mein Bett, bis Cassandra sich um ihn kümmern kann.«

Sie erhielt von Erik einen eigenartigen Blick.

»Ich würde nicht gern einen Mann durch eine einfache Erkältung verlieren, der zwischen den heiligen Steinen hindurchgehen kann«, erklärte Amber.

»Vielleicht. Doch alles in allem wäre es einfacher, seinen Tod zu befehlen, befände er sich nicht als Gast in deiner Kate. Und in deinem Bett.«

Erschrocken starrte Amber Erik an.

Das Lächeln auf seinen Lippen war so kalt wie der Wind, der um die Kate pfiff.

»Warum solltest du einen Fremden richten, den du in dem heiligen Hain gefunden hast?«, fragte sie.

»Ich nehme an, dass er einer der Ritter von Duncan von Maxwell ist, die gekommen sind, um unser Land auszuspionieren.«

»Dann stimmen die Gerüchte also? Ein Normanne hat seinem angelsächsischen Feind das Recht eingeräumt, in Stone Ring Keep zu herrschen?«

»Aye«, antwortete Erik bitter. »Aber Duncan ist nicht mehr Dominics Feind. Der schottische Hammer hat Dominic – unter dem Druck einer Schwertspitze – die Treue geschworen.«

Amber wich Eriks Blick aus. Sie brauchte ihn nicht anzuschauen, um das Ausmaß seines gezügelten Zorns zu erfassen. Duncan von Maxwell, der schottische Hammer, war sowohl ein Bastard als auch ein Mann ohne Land. Nichts konnte seine illegitime Geburt ändern; trotzdem hatte Dominic le Sabre Duncan die Kontrolle über Stone Ring Keep und das umliegende Land anvertraut.

Aber Stone Ring Keep war ein Teil von Eriks Erbe!

Erik hatte gegen Geächtete, Bastarde und ehrgeizige Cousins um das Recht gekämpft, über die verschiedenen Besitztümer von Lord Robert in den Umstrittenen Gebieten zu regieren. Es bestand nur wenig Zweifel daran, dass er weiterkämpfen müsste. Leider lag es in der Natur der Umstrittenen Gebiete, nur dem Stärksten zu gehören.

»Womit war der Fremde bekleidet?«, fragte Amber jetzt.

»Ich habe ihn so gefunden, wie ich ihn dir brachte. Nackt.«

»Dann ist er kein Ritter.«

»Nicht alle Herren sind von den Sarazenen mit Fässern voller Gold und Edelsteine zurückgekehrt.«

»Aber selbst der ärmste Ritter besitzt eine Rüstung, Waffen, ein Pferd, Kleidung«, protestierte Amber. »Irgendetwas.«

»Etwas hat er.«

»Was?«

»Den Anhänger. Kennst du ihn?«

Amber schüttelte den Kopf, dabei leuchtete ihr Haar auf, als sei es die Sonne selbst.

»Hast du schon einmal etwas Ähnliches gesehen oder davon gehört?«, drängte Erik weiter.

»Nein.«

Erik stieß einen heftigen Seufzer aus, der gleichzeitig ein Fluch war.

»Vielleicht weiß Cassandra etwas«, vermutete Amber.

»Das bezweifle ich.«

Der Raum erschien ihr auf einmal kalt, trotz des fröhlich knisternden Feuers – denn Amber spürte die Krallen der Falle, die sich sowohl sanft als auch unausweichlich um sie schloss.

Erik war zu ihr gekommen – wie auch sonst häufig – auf der Suche nach der Wahrheit über einen Mann, der nicht selbst sprechen konnte oder wollte. In der Vergangenheit hatte Amber gelernt zu tun, was immer sie vermochte.

Sogar wenn Erik ihr befahl, einen Menschen zu berühren.

Der Schmerz der Berührung war eine freundliche Geste gegenüber dem Sohn des großen Lords, der ihr solche Großzügigkeit angedeihen ließ. Früher hatten Amber Berührungen keine Angst gemacht.

Doch jetzt schon.

Die Prophezeiung, die bei ihrer Geburt ausgesprochen worden war, sirrte im Raum wie eine Bogensehne, die man gerade losgelassen hatte ... und Amber fürchtete sich vor dem Tod, den der unsichtbare tödliche Pfeil bringen könnte.

Gleichzeitig indessen wuchs das Bedürfnis in ihr, diesen Fremden zu berühren, es drängte sie und ließ sie kaum zu Atem kommen. Sie musste ihn kennen lernen, so wie sie noch nie zuvor etwas hatte kennen lernen wollen, nicht einmal ihren Namen, ihre Eltern, die verschwunden waren, ihre verborgene Herkunft.

Dieses heftige Bedürfnis erschütterte Amber geradezu. In seinem Schweigen rief der Fremde förmlich nach ihr, sang für sie mit unhörbarer Stimme, zog sie an auf eine Weise, die sie nicht leugnen konnte.

»Cassandra weiß mehr als wir beide zusammen«, erklärte Amber angespannt. »Wir müssen auf sie warten.«

»Bei deiner Geburt hat Cassandra dich Amber getauft. Glaubst du etwa, das hätte sie nur aus einer Laune heraus getan?«

»Nein«, flüsterte sie.

»Du wurdest für alle Dinge aus Edelsteinen der Küsten geboren, in einer Uneingeschränktheit, die Cassandra erkannte, die sie jedoch niemals zu erreichen hoffen konnte.«

Vor Eriks bohrenden Augen senkte Amber den Blick.

»Leugnest du, dass der Fremde dein Zeichen trägt?«, beharrte Erik.

Sie schwieg.

»Du liebe Güte«, murmelte Erik. »Warum bist du nur so schwierig!«

»Du liebe Güte, warum bist du nur so dumm!«

Erschrocken über Ambers ungewöhnliche Empörung, starrte Erik sie einfach nur an.

»Kennst du den Namen dieses Mannes?«, wollte sie nun wissen.

»Wäre das der Fall, bräuchte ich nicht zu ...«

»Hast du Cassandras Prophezeiung vergessen?«, unterbrach Amber ihn.

»Welche?«, gab er zurück. »Cassandra verstreut ihre Prophezeiungen wie die Eiche ihre Blätter, wenn der Frost sie geküsst hat.«

»Du sprichst wie ein Mann, der nie über seine eigenen Arme hinausgeblickt hat.«

»Der Schwertmeister hat die Reichweite meiner Arme gepriesen«, berichtete Erik und lächelte dünn.

Amber schnaubte ärgerlich. »Mit dir zu streiten ist so, als würde man gegen einen Schatten kämpfen.«

»Cassandra gibt das noch viel öfter von sich als ihre Lieblingsäußerung, Perlen vor die Säue zu werfen. Ihre Perlen – ich das Schwein, natürlich.«

Zum ersten Mal ließ Amber sich nicht von Eriks wachem Verstand und seiner scharfen Zunge beeindrucken.

»Hör zu«, begann sie, »was Cassandra bei meiner Geburt für mich vorhersah.«

»Ich weiß, was ...«

Doch Amber sprach bereits, die Worte purzelten aus ihrem Mund, und sie wiederholte die Prophezeiung, die mit ihr auf die Welt kam und seither ihren Schatten auf ihr Leben warf.

»›Ein Mann ohne Namen könnte dich beanspruchen, dein Herz, deinen Körper und deine Seele. Dann könnte reiches Leben daraus erwachsen, doch der Tod wird es begleiten ...

Er wird zu dir kommen, in den Schatten der Dunkelheit. Wenn du ihn berührst, wird sich dir ein Leben bieten, das sein kann, oder ein Tod, der sein wird ...

Sei daher wie das Sonnenlicht, verborgen in Bernstein – unberührt von Menschen und sie nicht berührend ...

Du bist verboten!‹«

Grüblerisch blickte Erik auf den Fremden und dann auf das Mädchen, das wirklich so war wie in Bernstein gefangenes Sonnenlicht, mit Farben von goldener Helligkeit, eingeschränkt durch eine einzige, dunkle Wahrheit: eine einfache Berührung konnte ihr großen Schmerz bereiten.

Dennoch würde er sie bitten, den Fremden zu berühren. Er hatte keine Wahl.

»Es tut mir Leid«, beharrte Erik deshalb, »aber wenn Spione von Dominic le Sabre oder Schottische Hämmer im Land von Stone Ring Keep sind, dann muss ich das wissen.«

Amber nickte langsam.

»Doch hauptsächlich muss ich wissen, wo der Schottische Hammer selbst sich aufhält«, sprach Erik weiter. »Je eher Duncan von Maxwell tot ist, desto gesicherter werden die Besitzungen von Lord Robert in den Umstrittenen Gebieten sein.«

Erneut nickte Amber, dennoch machte sie keine Anstalten, den Mann zu berühren, der bewusstlos vor ihr lag.

»Kein Mann erreicht das Alter dieses Fremden, ohne in irgendeiner Weise bekannt geworden zu sein«, erklärte Erik völlig richtig. »Sogar Sklaven und Leibeigene haben einen Namen. Du brauchst dich nicht vor Cassandras Prophezeiung zu fürchten.«

Der Anhänger in Ambers Hand brannte wie eingefangenes Feuer. Sie starrte darauf, doch sah sie nach wie vor dasselbe: den heiligen Kreis; die heilige Eberesche.

Schatten der Dunkelheit.

»So sei es«, flüsterte Amber.

Sie biss die Zähne zusammen gegen den Schmerz, der sie erwartete, dann sank sie auf die Knie und legte die Hand an die Wange des Fremden.

Das Gefühl des Glücks war so heftig, dass Amber aufschrie und die Hand zurückzog. Dann, als sie begriff, was sie getan hatte, streckte sie die Hand noch einmal nach dem Fremden aus.

Ohne es zu wollen, tat Erik einen Schritt auf sie zu, wie um Amber vor noch mehr Schmerzen zu schützen. Jäh hielt er sich zurück und blieb stehen, beobachtete sie; unter seinem lichten Bart presste sich sein Mund zu einem schmalen Strich zusammen. Er hasste es, Amber Unbehagen zu bereiten; doch der Gedanke, einen Fremden unnötig zu töten, gefiel ihm noch weniger.

Als Amber den Mann zum zweiten Mal berührte, zuckte sie nicht mehr zurück. Nach einem kurzen Luftholen rückte sie näher an ihn heran. Sie schloss die Augen, schloss den Rest der Welt aus und genoss das reinste Vergnügen, das sie je erlebt hatte.

Es war, als würde sie in einen Teich von süßem Feuer eintauchen, liebkost von Wärme, während sie das Herz des Lichts wahrnahm.

Und hinter der goldenen Wärme des Teiches lag das Wissen, in den Schatten der Dunkelheit.

Wartete.

Amber stieß einen leisen Schrei aus. Sie konnte sich nur sehr wenige Männer vorstellen, die ein solches Selbstvertrauen in ihre persönliche Kampffähigkeit besaßen. Dominic le Sabre und Duncan von Maxwell fielen ihr als die ersten beiden ein. Ein dritter war Erik.

Ein großer Krieger liegt unter meinen Händen, Licht und Dunkelheit, Freude und Schmerz, Seelenverwandter und tödlicher Feind zugleich.

»Amber.«

Langsam öffnete sie die Augen. Der Ausdruck von Eriks Miene sagte ihr, dass er sie mehr als einmal angesprochen hatte. Seine durchdringenden, goldgelben Augen beobachteten sie. Seine Besorgnis um sie war fühlbar. Sie zwang sich zu einem Lächeln, trotz des Aufruhrs, der unter ihrem ruhigen Äußeren tobte.

Denn sie schuldete Erik so viel. Sein Vater hatte ihr Kleidung gegeben, die Kate, Männer, die ihr Land bearbeiteten. Erik vertraute ihr, als sei sie ein Mitglied seines Clans und keine Waise, die weder Eltern noch Geschwister ihr Eigen nennen konnte.

Trotzdem würde sie, hinsichtlich dieses Fremden, der sehr wohl ein Feind sein konnte, Eriks Vertrauen missbrauchen.

Nachdem Amber den Fremden berührt hatte, vermochte sie ihn nicht dem Tode durch die Hand von Erik auszuliefern. Nicht, bis sich ihre Vermutung wirklich erhärtet hatte.

Und vielleicht nicht einmal dann.

Er konnte ganz einfach ein Fremder sein, den niemand kannte.

Der Gedanke war so verlockend wie das Herdfeuer an einem Wintertag.

Aye! Ein Fremder. Andere Ritter sind in die Umstrittenen Gebiete gekommen. Ich habe die Geschichten gehört, wie sie in den Reißzähnen der Sarazenen geprüft worden sind. Sie waren sich ihrer eigenen Macht sehr sicher.

Dieser Mann könnte dazugehört haben.

Er muss es sein.

»Amber?«

»Lass ihn hier«, erklärte sie mit belegter Stimme. »Er gehört mir.«

Die Versuchung, den Fremden weiter zu berühren, war sehr groß. Zögernd ließ sie ihn los. Die Leere, die sie augenblicklich erfüllte, bestürzte sie. Bis zu diesem Augenblick wusste sie nicht, was Einsamkeit bedeutete.

Erik stieß einen erleichterten Seufzer aus, als er begriff, dass es Amber verunsichert hatte, den Fremden anzufassen, doch dass sie nicht wirklich litt.

»Gott muss meine Gebete erhört haben«, meinte Erik. Amber gab ein fragendes Hm von sich.

»Ich brauche erfahrene Krieger«, erklärte Erik. »Der Schottische Hammer ist nur ein Problem, dem ich mich stellen muss.«

»Und was sonst noch?«, fragte Amber betroffen.

»Nördlich von Winterlance sind Normannen gesichtet worden. Und meine lieben Cousins werden auch wieder einmal unruhig.«

»Schicke sie los, gegen die Normannen zu kämpfen!«

»Eher werden sie sich mit ihnen verbünden und dann die Besitzungen meines Vaters angreifen«, meinte Erik düster.

Amber zwang sich, an dem Fremden vorbeizuschauen. Einen Krieger wie Dominic le Sabre zu haben oder den Schottischen Hammer, der mit Erik zusammen kämpfte statt gegen ihn, könnte sehr wohl den Unterschied bedeuten zwischen Frieden und einem ausgedehnten Krieg in den Umstrittenen Gebieten.

Dennoch ähnelte es dem Versuch, das Licht der Sonne von einer Hand in die andere zu schütten – wenn sie sich wünschte, dass der große normannische Lord oder sein schottischer Vasall sich mit Lord Robert aus dem Norden verbündete.

»Wie lautet der Name meines neuen Kriegers?«, hakte Erik wiederum nach.

»Ich werde ihn fragen, wenn er aufwacht«, versicherte Amber ihm.

»Warum ist er in die Umstrittenen Gebiete gekommen?«

»Das wird die zweite Frage sein, die ich ihm stelle.«

»Wohin wollte er gehen?«, ließ Erik nicht locker.

»Das wird die dritte Frage sein.«

Erik knurrte unwillig. »Du hast nicht viel erfahren durch die Berührung, oder?«

»Nein.«

»Der Schlaf des Fremden ist unnatürlich.«

Amber nickte.

»Ist er verzaubert?«, drängte Erik.

»Nein.«

Erstaunt zog der junge Lord die Augenbrauen hoch, weil ihre Antwort so prompt erfolgte.

»Du scheinst sehr sicher zu sein«, meinte er.

»Das bin ich auch.«

»Warum?«

Mit gerunzelter Stirn durchkämmte Amber ihre Erinnerung. Die Sicherheit, die von dem Fremden auf sie übergegangen war, unterschied sich von allem, was sie bis jetzt durch eine Berührung erkannt hatte. Seine grundlegende Natur – wild, stolz, großzügig, leidenschaftlich, entschlossen, kühn – hatte sich ihr beängstigend einfach offenbart.

Dennoch gab es keine sich bewegenden, chaotischen Bilder von den Stunden oder Tagen oder Wochen oder Jahren vor seiner Ankunft in Stone Ring und bei der heiligen Eberesche. Da war kein klares Bild seiner Absichten, das wie der Blitz die Dunkelheit durchdrang. Es gab keine Gesichter seiner Lieben oder von Menschen, die er hasste.

Anscheinend hatte dieser Fremde kein Gedächtnis.

Ohne sich dessen gewahr zu sein, streckte Amber noch einmal die Hand nach dem Mann aus. Sie zwang sich, das Gefühl des Glücks zu ignorieren. Blütenblatt um Blütenblatt von verführerischen Gefühlen entfernte sie, während sie nach den Erinnerungen des Fremden suchte.

Vergebens. Es gab nur schwache, schwindende Schimmer von Licht, die sich zurückzogen, wenn sie ihnen zu folgen trachtete.

Der Mann kam ihr vor wie neu geboren.

»Ich spüre nichts von seinem Wesen«, erklärte sie schließlich. »Es ist so, als würde ich ein Baby berühren.«

Erik schnaubte verächtlich. »Ein Baby? Der Himmel möge mich mit Blindheit schlagen, aber er ist das größte Baby seit Anbeginn der Welt!«

Amber zog ihre Hand zurück.

»Was kannst du mir sonst noch mitteilen?«, drängte Erik.

Sie verschränkte die Finger miteinander, so fest, dass sie weiß wurden. Ihre Ängste wollte sie eigentlich nicht mit Erik teilen; doch seine Fragen näherten sich mehr und mehr dem Kern ihres Unbehagens – einer Furcht, die sie jeweils erkannte, wenn sie sie zu leugnen suchte.

Großer Krieger, tödlicher Feind und Seelenverwandter in einer Gestalt.

Nein! Ich weiß nicht, wer er ist!

Nun – ein Mann ohne Namen, gleichwohl äußerst selbstsicher, was seine Fähigkeiten zu kämpfen betrifft.

»Normalerweise stellst du Fragen, die Person, die ich berühre, antwortet, und meine Berührung sagt mir, ob die Wahrheit gesprochen wurde«, meinte Amber zögernd. »Diesmal war es ... anders.«

Erik blickte von dem bewusstlosen Fremden zu Amber, die gegenwärtig beinahe auch eine Unbekannte für ihn war.

»Geht es dir gut?«, fragte er leise.

Sie zuckte zusammen. »Aye.«

»Du scheinst benommen zu sein.«

Es fiel Amber schwer, sich zu einem Lächeln zu zwingen, doch sie schaffte es. »Das macht die Berührung«, erläuterte sie ihm.

»Es tut mir Leid.«

»Das ist nicht nötig. Gott schickt uns nichts, was wir nicht ertragen können.«

»Oder die Ereignisse bringen uns um«, fügte Erik spöttisch hinzu.

Ambers Lächeln schwand, und die Worte der Prophezeiung kamen ihr erneut in den Sinn.

Der Tod wird das Leben begleiten.

Kapitel 2

Der Geruch von zeitlosem Immergrün erfüllte Ambers Kate. Kerzen flackerten in den Halterungen über dem Bett. Sie warfen einen zitternden Schein über den Namenlosen. Ein Mann, der gefangen war in einem Schlaf ohne Träume.

Amber wusste, dass er nicht träumte; denn sie hatte die letzten beiden Tage ununterbrochen kostbare Öle und Wärme in seinen Körper gerieben. Während dieser Zeit hatte sie nichts Neues gefühlt. Und auch die Freude, die sie durchströmte, wenn sie ihn berührte, hatte sich nicht verändert. Sie war jetzt noch genauso heftig wie beim ersten Mal.

Während Amber sich um ihn kümmerte, sprach sie mit dem Fremden; sie versuchte, ihn sowohl mit Worten zu erreichen als auch durch die Wärme ihrer Berührungen und die stark heilenden Kräfte des Immergrüns und des Bernsteins.

»Mein dunkler Krieger«, murmelte Amber, wie schon so viele Male zuvor. »Wie bist du in den Steinkreis gekommen?«

Ihre Hände massierten zuerst einen seiner kräftigen Arme, dann den anderen, sie glitten über Muskeln, die selbst in der Entspannung noch fest waren. Das dunkle Haar an seinen Unterarmen glänzte im Schein des Kerzenlichtes vor Öl. Der Anblick der starken Seile, mit denen er an das Bett gefesselt war, erzeugte eine tiefe Falte auf ihrer Stirn. Sie berührte die Seile und seufzte, doch löste sie nicht.

Erik hatte gesagt, dass der Fremde gefesselt werden sollte, sonst müsse einer von Eriks Knappen die ganze Zeit über bei Amber bleiben. Sie hatte sich für die Fesseln entschieden – denn sie wollte niemanden in der Nähe haben, wenn der Mann aufwachte und er sich als der Feind herausstellte, den sie vermutete und fürchtete.

Amber wusste nicht, was sie tun sollte, wenn sich das bewahrheitete. Und sie weigerte sich auch, darüber nachzudenken – denn es gab keine Lösung des Dilemmas, welches daraus erwüchse.

Feind und Seelenverwandter in einer Person.

»Warst du zu Fuß unterwegs?«, fragte Amber. »Warst du allein?«

Seine Antwort bestand weiterhin im rhythmischen Heben und Senken der breiten Brust.

»Sind deine Augen grau wie das Eis und der Winter, so grau wie die von Dominic le Sabre? Oder sind deine Augen dunkler, so wie man es von denen des Schottischen Hammers sagt?«

»Oder bist du ein ganz anderer Krieger, ein Unbekannter, der von den Sarazenen zurückgekommen ist, voller Selbstvertrauen in deine persönlichen Fähigkeiten?«

Es gab keine Veränderung in den tiefen, gleichmäßigen Atemzügen des Fremden.

»Ich bete, dass du ein unbekannter Krieger bist«, flüsterte Amber.

Mit einem Seufzer machte sie sich wieder daran, über das Brusthaar des Mannes zu streichen. Es beglückte und erfreute sie. Sie mochte es, über das Gekräusel zu fahren, zu fühlen, wie es unter ihren Händen federte und sie liebkoste.

»Hast du deine Kleidung ausgezogen, damit du den heiligen Kreis betreten und sicher unter der Eberesche schlafen konntest?«

Der Mann gab ein Murmeln von sich.

»Ja«, ermutigte Amber ihn schnell. »Oh ja, mein Krieger! Komm zu dem goldenen Licht! Lass alle Schatten der Dunkelheit hinter dir!«

Obwohl der Mann ihr nicht antwortete, war Amber doch begeistert. Langsam, ganz langsam regte er sich in seinem unnatürlichen Schlaf. Sie fühlte seine Freude darüber, als hätte er sie in Worte gekleidet.

Doch noch immer drangen keine Erinnerungen von ihm zu ihr, keine Bilder, keine Namen, keine Gesichter.

»Wo versteckst du dich, mein dunkler Krieger?«, fragte sie. »Und warum?«

Amber strich das dichte, ein wenig gelockte Haar aus der Stirn des Fremden.

»Vor was auch immer du dich fürchtest, du musst bald aufwachen. Sonst wirst du unwiederbringlich in einer Dunkelheit verloren sein, die zuletzt mit dem Tode endet.«

Der Fremde gab kein Geräusch von sich. Es war, als hätte sie sich seine kurze Bewegung nur eingebildet.

Erschöpft richtete Amber sich wieder auf und blickte zu der Schüssel mit Bernstein, die wie ein Kerzenhalter in die Wand eingelassen war. Das tränenförmige Stück des Edelharzes, das darin verbrannte, war beinahe aufgebraucht. Sie fügte ein weiteres Stück aus ihrem Vorrat von medizinischem Bernstein hinzu. Eine dünne Fahne aus duftendem Rauch stieg empor.

Der Körper des Fremden rührte sich, doch er wachte nicht auf. Amber begann zu fürchten, dass er nie wieder zu sich käme. Zu oft geschah das bei Menschen, die von einem Stein, einem Breitschwert oder den Hufen eines Pferdes getroffen wurden. Sie fielen in eine dunkle Ohnmacht. Und wachten nicht wieder auf. Nie.

Das darf diesem Mann nicht passieren. Er gehört mir!

Die Eindringlichkeit ihrer Gefühle erschreckte Amber abermals. Unsicher lief sie in der Kate auf und ab. Nach einer Weile merkte sie, dass die Morgendämmerung erste Lichtstrahlen durch die Läden vor den Fenstern schickte. Hinter der Wand krähten die Hähne triumphierend in die schwindende Nacht hinaus.

Amber blickte durch eine Spalte, wo die Läden nicht ganz dicht waren. Der Herbststurm, der dem Fremden so geschadet hatte, war übers Land gezogen. Ihm auf dem Fuße folgte eine neue Welt, glitzernd vor Tau und vielen Möglichkeiten.

Normalerweise wäre Amber zu dieser Zeit bereits aufgestanden und in ihren Garten gegangen, um nach den Kräutern zu sehen, die sie für Cassandra und sich selbst anbaute. Oder sie machte einen Spaziergang durch das Moor, um zu sehen, ob die Scharen fetter Gänse bereits eingetroffen waren, die die Gewissheit des kommenden Winters mit sich brachten.

Aber all diese Stunden hatten nichts Normales. Nichts war mehr normal seit dem Augenblick, in dem Amber einen Mann ohne Namen berührt und herausgefunden hatte, dass sie zur Gefährtin dieses Mannes geboren war.

Sie ging zum Bett und legte ihre Finger leicht auf seine Wange. Er befand sich noch immer in den Fängen seines unnatürlichen Schlafes.

»Aber nicht mehr so tief, glaube ich. Etwas hat sich verändert.«

Die Hähne draußen hatten aufgehört zu krähen und sagten Amber damit, dass die Sonne zu ihrer üblichen Runde aufgegangen war.

»Wenn du erwachst, werde ich dich mit meiner Erscheinung so erschrecken, dass du gleich wieder einschläfst«, meinte sie. »Ich muss so ungepflegt aussehen wie ein Garten im Winter.«

Amber erfrischte sich mit etwas gewärmtem Wasser und Seife, die nach Immergrün duftete. Sie zog ein sauberes Leinenhemd an, rote Strümpfe und streifte dann ein dickes Kleid aus weicher Wolle über den Kopf.

Das Gewand war auch ein Geschenk von Lord Robert; er hatte es ihr durch seinen Sohn Erik geschickt, als Dank für die feinen getrockneten Kräuter, die Amber an Roberts Haushalt lieferte. Die goldene Stickerei um den Ausschnitt herum bot einen wunderschönen Kontrast zu dem Indigoblau der Wolle. Das Kleid war mit gelbem Leinen besetzt, was sich im Inneren der langen, weiten Ärmel und am Saum wiederholte.

Als sie fertig angezogen war, schmiegte sich der weiche Stoff an ihre Brüste, ihre Taille und Hüften. Sie umfasste die weiten Ärmel und band sie mit Bändern um ihr Handgelenk, damit sie sie nicht störten.

Mit flinken Fingern legte sie einen dreifachen Gürtel goldbemalten Leders um ihre Hüften und band ihn vor dem Bauch zusammen. Am Ende der sechs Lederbänder glänzten undurchsichtige Ringe aus Bernstein in verschiedenen Goldtönen. Eine Scheide aus vergoldetem Leder hing an ihrer Taille. Darin steckte ein silberner Dolch, dessen Griff aus einem Stück blutroten Bernsteins gefertigt war.

Sie griff nach einem Kamm aus Ebereschenholz, auf dem orangefarbener Bernstein prangte, und lief damit zum Bett hinüber. Eine kurze Berührung sagte ihr, dass der Mann noch immer wie eine Forelle unter der Oberfläche seines unnatürlichen Schlafes schwamm. Und genau wie eine Forelle bemühte er sich, zu der leuchtenden Verlockung der Sonne zu streben.

Amber schüttelte ihn ein wenig. Nur ein leises Murmeln war zu hören, das keine Bedeutung hatte. Sie stand neben dem Bett und kämmte ihr langes goldenes Haar, während sie ihn intensiv betrachtete.

»Mit jedem Herzschlag kommst du dem Licht der Sonne ein wenig näher«, sagte sie voller Hoffnung. »Bitte, wach auf und sage mir deinen Namen.«

Sein Kopf bewegte sich unruhig, und seine Hand zuckte. Amber berührte ihn, doch sie erfuhr nichts Neues.

Selber fühlte sie sich genauso ruhelos, wie es der Schlaf des Fremden war. Sie lief auf und ab, kämmte ihr Haar, lief wieder auf und ab, und schließlich öffnete sie die Läden hinter dem Bett und schaute aus dem Fenster. Niemand spazierte den Weg aus Stone Ring Keep zu ihrer abgeschiedenen Kate entlang.

Sie schob die Läden ein wenig weiter auf und machte sich daran, ihr Haar zu flechten. Dabei ignorierte sie den Schwall kühler Luft, der in den Raum drang. Ihre Finger waren ungeschickt vor Ungeduld und Besorgnis. Der Kamm glitt aus ihren Fingern und fiel auf den mit Binsen bedeckten Boden neben dem Bett. Fahrig schloss sie die Läden wieder.

»Was habe ich für eine Mühe mit meinem Haar«, murmelte sie.

Als sie sich bückte, um den Kamm aufzuheben, fiel ihr Haar über die gefesselte rechte Hand des Fremden. Lange, kräftige Finger griffen danach und hielten sie so gefangen.

Amber erstarrte, dann blickte sie in eindringliche haselnussbraune Augen, die nur wenige Zentimeter von ihren entfernt waren.

Nicht grau. Gott sei Dank sind sie nicht grau wie die von Dominic le Sabre! Ich habe mein Herz nicht an einen Mann verloren, der bereits verheiratet ist.

»Wer seid Ihr?«, ertönte eine tiefe Männerstimme.

»Oh, wie schön! Ihr habt zwei Tage geschlafen, und ich befürchtete ...«

»Zwei Tage?«, unterbrach er sie.

»Erinnert Ihr Euch nicht mehr?«, fragte Amber leise und strich über die Hand, deren Finger noch immer ihr Haar hielten. »Es hat einen Sturm gegeben.«

Sie wartete voller Hoffnung.

»Ich erinnere mich an gar nichts mehr«, gestand er.

Amber bezweifelte das nicht. Alles, was sie durch die Berührung dieses Fremden fühlte, war seine Verwirrung.

»Ich ... erinnere mich ... an gar nichts!«, wiederholte er heftig. »Beim heiligen Blute Christi, was ist mit mir geschehen?«

Sowohl Angst als auch Verwirrung klangen aus seiner Stimme. Er versuchte aufzustehen, doch dann stellte er fest, dass er an Händen und Füßen gefesselt war. Zwar konnte er seine Finger bewegen und seinen Kopf, doch mehr nicht. Er war so überrascht, dass er seinen Griff um Ambers Haar lockerte und sich vorerst gegen die Seile stemmte, mit denen sein rechter Arm gefesselt war.

Sein Schwertarm.

»Es ist alles in Ordnung«, versicherte Amber ihm und griff nach seiner Hand.

»Ich bin gefesselt! Bin ich ein Gefangener?«

»Nein, es war nur ...«

»Was ist los, im Namen von Jesus und Maria?«

Sie berührte die geballte Faust des Mannes, spürte seine Wut darüber, dass er gefesselt war, seinen Aufruhr über das verlorene Gedächtnis, seine Furcht und seine Hilflosigkeit – doch sie spürte nichts von einem Wunsch, sie zu verletzen.

»Ich möchte Euch kein Leid antun«, versuchte Amber ihn zu beruhigen. »Ihr wart krank und bewusstlos.«

Genauso gut hätte sie mit dem Wind reden können. Die Muskeln des Mannes spannten sich an, und er kämpfte gegen seine Fesseln. Die hölzernen Bretter des Bettes knarrten, und die Seile gruben sich in seine Haut, doch es erfolgte keine Lockerung.

Ein wildes Schnauben entfuhr ihm. Sein Körper bäumte sich auf, und die Decke fiel herunter, während er danach trachtete, sich zu befreien. Die Seile schnitten in seine Haut, bis er zu bluten begann. Doch noch immer wehrte er sich.

»Nein«, beschwor Amber ihn. »Hört auf!«

Sie warf sich über den Körper des Fremden und klammerte sich an ihn, als wäre er ein ungebärdiges Pferd; sie gab sich alle Mühe, ihn ruhig zu halten, damit er sich nicht selbst noch mehr verletzte.

Der Schock, eine sanfte, duftende Frau auf sich zu fühlen und wildes goldenes Haar, war so stark, dass der Hüne für einen Augenblick sein Toben unterbrach.

Mehr brauchte Amber nicht. Sie hauchte einen Kuss auf seine nackte Brust und erschreckte ihn damit so sehr, dass er erstarrte. Dann berührte sie seine Lippen mit ihren Fingern, wie um seine Schreie zu ersticken.

»Liegt still, mein dunkler Krieger! Ich werde Euch befreien.«

Ein Schauder durchrieselte ihn. Sein Herz hämmerte in der wilden Agonie, die sich in seinem Kopf zusammengebraut hatte. Langsam, mit sichtbarer Anstrengung, ließ er davon ab, weiter gegen die Fesseln anzukämpfen.

Das Gefühl von Ambers Händen auf seiner Haut machte ihn innerlich ganz warm, genauso wie das Gefühl ihres seidigen Haares auf seinem Unterleib. Sein Herz raste, auch noch aus anderen Gründen als dem Willen, sich zu befreien.

Dann entdeckte er den antiken silbernen Dolch, den sie aus ihrem Gürtel gezogen hatte.

»Nein!«, erklärte er mit rauer Stimme.

Doch es wurde ihm klar, dass sie den Dolch benutzen wollte, um die Knoten aufzuschneiden und nicht, um ihn zu durchbohren. Mit einem Aufstöhnen kapitulierte er. Als sein Blut ihn wieder langsamer durchpulste, ließ auch der Schmerz in seinem Kopf nach.

Amber blickte von ihrer Arbeit auf und lächelte ihn aufmunternd an.

»Es tut mir Leid, dass Ihr gefesselt wurdet«, sagte sie. »Ihr wart ... nicht Ihr selbst.«

Wer auch immer er sein mochte ...

»Niemand wusste, was Ihr tun würdet, sobald Ihr aufwacht«, fügte sie hinzu.

Der Mann atmete tief aus, als seine rechte Hand frei war. Auch die anderen Fesseln gaben bald nach unter dem blitzenden Dolch. Noch ehe der Schweiß seines kurzen Kampfes auf seiner Haut getrocknet war, konnte er schon seine Glieder bewegen.

»Es tut mir Leid«, versicherte Amber ihm noch einmal. »Erik hat darauf bestanden – wegen meiner Sicherheit. Aber ich weiß, dass Ihr mir nichts angetan hättet.«

Ein Schütteln seines Kopfes war die einzige Antwort des Fremden. Einige Atemzüge lang blieb er still liegen und beobachtete Amber; dabei überlegte er eindeutig, was mit ihm geschehen war.

Allerdings wusste er nur sicher, dass sein Kopf weniger schmerzte, wenn er sich nicht bewegte.

»Krank?«, fragte er nach einem Augenblick. »Ich war krank?«

Amber nickte.

»Was für eine Krankheit ist das, die einem Mann die Erinnerung raubt und ihm nichts lässt – nicht einmal seinen eigenen Namen!«

Ein eisiger Schrecken packte Amber. Mit zitternden Händen schob sie den Dolch in seine Scheide zurück.

Es kann nicht das sein, was Cassandra prophezeit hat.

Ich bin nicht leichtsinnig gewesen ... und nicht dumm.

Er kann kein Mann ohne Namen sein.

Doch das war er.

»Ihr erinnert Euch nicht mehr an Euren Namen?«, fragte sie mit zitternder Stimme.

»Nein, und auch an nichts anderes, nur ...«

»Ja?«, fragte Amber eifrig.

»Dunkelheit. Tausende Schattierungen von Schwarz.«

»Ist das alles?«

Seine dichten Wimpern bewegten sich einen Augenblick, während er seine wunden Handgelenke rieb und dann zur Decke blickte, um etwas zu suchen, das nur er sehen konnte.

»Ein goldenes Licht«, begann er langsam, »eine süße Stimme, die mich ruft, die mich aus dieser fürchterlichen Nacht lockte und den Duft von Lärchen und Pinien über mich haucht.«

Haselnussbraune Augen mit Flecken von Grau, Grün und Blau richteten sich erneut auf Amber. Seine Hand bewegte sich so schnell, dass sie seine Gefangene war, noch ehe sie wusste, wie ihr geschah. Seine Finger glitten in ihr Haar, bis auf ihre Kopfhaut. Er hielt sie sanft, doch so fest, dass sie keine Möglichkeit hatte, ihm zu entkommen.

Doch das wollte Amber auch gar nicht. Ein eigenartiges Glücksgefühl machte sich in ihr breit. Sie hatte den Fremden viele Male berührt, doch noch kein Mal war sie von ihm berührt worden. Der Unterschied erregte sie – trotz ihres deutlichen Bewusstseins, dass seine Gefühle ein wirbelnder, unvorhersehbarer Sturm waren, der jeden Augenblick seiner Kontrolle entgleiten konnte.

Langsam zog der Mann Amber neben sich auf das Bett. Er barg sein Gesicht in ihrem Haar und sog tief ihren Duft ein, er trank ihn fast. Amber strich mit den Lippen über seine Wange und seine Brust, wie sie es sich in den langen Stunden seiner Pflege zur Gewohnheit gemacht hatte.

»Ihr wart das«, erklärte er rau.

»Ja.«

»Kenne ich Euch?«

»Ihr kennt nur das, was in Euren eigenen Gedanken ist«, antwortete sie. »Kennt Ihr mich?«, fragte sie dann.

»Ich glaube, ich habe noch nie ein schöneres Mädchen gesehen. Nicht einmal ...«

Die tiefe Stimme des Mannes verhallte, und er runzelte die Stirn.

»Was ist?«, wollte Amber wissen.

»An ihren Namen kann ich mich auch nicht mehr erinnern.«

»Wessen Name?«

»Das Mädchen, das hübscheste Mädchen, das mir je begegnet war. Bis ich Euch sah.«

Während der Fremde sprach, legte Amber absichtlich beide Handflächen auf die nackte Haut seiner Schultern. Ein vages Bild formte sich vor ihr, das Bild eines Mädchens mit Haar, so rot wie die Flammen, und Augen, so grün wie Juwelen.

Das Bild verblasste, und er fand keinen Namen, den er dem hübschen Gesicht zuordnen konnte. Er schüttelte den Kopf und fluchte dann verärgert.

»Gönnt Euch Zeit, gesund zu werden«, riet Amber ihm. »Euer Gedächtnis wird zurückkehren.«

Große Hände schlossen sich um ihre Schultern und kräftige Finger bohrten sich in ihre Haut.

»Ich habe keine Zeit. Ich muss ... ich muss ... du liebe Güte, ich kann mich nicht erinnern!«

Tränen traten in Ambers Augen, weil sie seine Qual nicht zu lindern vermochte. Er war ein Mann, dessen Ehre seinen größten Besitz darstellte. Wahrscheinlich hatte er sein Wort gegeben, und das musste er halten.

Aber er wusste nicht mehr, wem er etwas gelobt hatte.

Und er erinnerte sich auch nicht daran, um was für Gelübde es sich gehandelt hatte.

Ein leiser Schrei drang aus Ambers Mund, denn der Schmerz und die Angst des Mannes – auch sein Zorn – waren der ihre, solange sie ihn berührte.

Augenblicklich verringerte er den Druck seiner Hände auf ihren Schultern. Die kampfgestählten Hände begannen, sie zu streicheln, anstatt sich in ihre Haut zu graben.

»Verzeiht mir«, bat er heiser. »Ich wollte Euch nicht wehtun.«

Erstaunlich sanfte Finger strichen über Ambers Lider und fingen ihre Tränen auf. Erschrocken öffnete sie die Augen.

Das Gesicht des Mannes war ganz nahe vor ihr. Trotz seiner eigenen Aufregung sorgte er sich um sie. Es war so klar erkennbar für sie wie seine dunklen, dichten Wimpern, die seine haselnussbraunen Augen umrahmten.

»Ihr ... Ihr habt mir nicht wehgetan«, versicherte Amber ihm. »Nicht so, wie Ihr das glaubt.«

»Ihr weint.«

»Es ist Eure Qual, die ich so deutlich spüre.«

Er zog seine dunklen Brauen hoch. Seine Finger strichen sanft über Ambers Wange. Heiße Tränen brannten auf seiner Haut.

»Weint nicht, holde Fee.«

Unter den Tränen lächelte Amber. »Ich bin keine Fee.«

»Das seid Ihr doch! Nur eine magische Gestalt konnte mich aus dieser wilden Dunkelheit befreien.«

»Ich bin eine Schülerin von Cassandra der Weisen.«

»Ah, das erklärt alles«, meinte er. »Ihr seid eine Hexe!«

»Keineswegs! Ich bin ganz einfach nur eine der Gelehrten.«

»Das sollte keine Beleidigung sein. Ich habe eine Vorliebe für Hexen, die heilen können.«

»Wirklich?«, fragte Amber erstaunt. »Kennt Ihr denn viele?«

»Eine.« Der Mann runzelte die Stirn. »Oder sind es zwei?«

Seine Kontrolle schien ihm wieder zu entgleiten angesichts der Erkenntnis, dass er keine der Erinnerungen besaß, die anderen Menschen selbstverständlich erschienen.

»Versucht nicht, zu sehr dagegen anzukämpfen«, riet Amber ihm. »Es macht nur alles schlimmer. Seht Ihr das nicht ein?«

»Wie soll ich auf das Kämpfen verzichten«, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Kämpfen ist das, was ich am besten kann!«

»Woher wisst Ihr das?«

Der Mann erstarrte.

»Sei es, wie es sei«, erklärte er schließlich. »Auf alle Fälle ist es die Wahrheit.«

»Es steht auch fest, dass ein Mann, der gegen sich selbst ankämpft, nicht gewinnen kann.«

Schweigend verdaute der Fremde diese unglückliche Tatsache.

»Wenn es so sein soll, dass Ihr Euch erinnert«, erklärte Amber ihm, »dann wird es auch kommen.«

»Und wenn nicht?«, fragte er erschrocken. »Werde ich durch mein restliches Leben gehen als ein Mann ohne Namen?«

Seine Worte kamen der trostlosen Prophezeiung, die Ambers Leben überschattete, gefährlich nahe.

»Nein!«, rief sie. »Ich werde Euch einen Namen geben, und Euch ... Duncan nennen.«

Das Echo dieses Namens traf Amber und entsetzte sie. Sie hatte ihn gar nicht äußern wollen. Wirklich nicht.

Er kann nicht Duncan von Maxwell sein. Ich weigere mich, das zu glauben. Es ist besser, wenn er für immer ein Mann ohne Namen bleibt!

Doch es war schon zu spät, der Name gefallen.

Duncan.

Mit angehaltenem Atem, die Hände um eine seiner Fäuste geklammert, wartete Amber auf Duncans Reaktion.

Sie spürte ein schwaches Zeichen von Anspannung, Bewegung, Konzentration, von ...

Doch dann war es schon wieder verschwunden, verhallt wie ein Echo, das beim dritten Mal abgeebbt war.

»Duncan?«, fragte er. »Ist das mein Name?«

»Ich weiß es nicht«, erklärte Amber unglücklich. »Aber der Name passt zu Euch. Er bedeutet ›dunkler Krieger‹.«

Seine Brauen zogen sich zusammen.

»Euer Körper trägt die Zeichen des Kampfes«, Amber wies auf seine vernarbte Brust, »und Euer Haar besitzt einen angenehmen Schimmer in der Dunkelheit.«

Die leichte Liebkosung ihrer Finger verlockte und bezauberte Duncan; sie ermutigte ihn, dieses eigenartige Erwachen in eine Welt zu akzeptieren, die sowohl vertraut als auch für immer verändert war.

Doch ob nun fremd oder vertraut, Duncan war viel zu erschöpft, um nicht klein beizugeben. Der lange Aufstieg aus der Dunkelheit hatte selbst seine übergroße Kraft aufgezehrt.

»Versprecht mir, dass Ihr mich nicht wieder fesseln werdet, wenn ich schlafe«, bat er mit belegter Stimme.

»Ich verspreche es.«

Duncan blickte die entschlossene, ernsthafte Jungfer an, die ihn mit solcher Betroffenheit fixierte. Fragen drängten sich in seine Gedanken, zu viele Fragen, um sie zu bewältigen.

Zu viele, auf die er keine Antworten hatte.

Er erinnerte sich vielleicht nicht an die Einzelheiten seines Lebens vor seinem Erwachen, doch er hatte nicht seinen Verstand verloren. Zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit hatte er gelernt, dass der Frontalangriff nicht immer der beste Weg war, um sich eine Position zu sichern.

Und in jedem Fall besaß er im Augenblick nicht einmal die Kraft, gegen einen Schmetterling zu kämpfen. Immer, wenn er sich erneut aufbäumen wollte, wurde der Schmerz in seinem Kopf so groß, dass er ihn blendete.

»Ruht Euch ein wenig aus«, riet Amber ihm. »Ich werde etwas Tee kochen, um den Schmerz in Eurem Kopf zu lindern.«

»Woher wisst Ihr ...?«

Ohne eine Antwort griff Amber nach der heruntergeglittenen Decke. Ihr offenes Haar fiel über Duncan und wurde unter die Decke gezogen, als sie sie über ihn legte. Ungeduldig warf sie ihre Mähne über die Schultern, doch eine Hand voll davon entkam ihr auch diesmal.

»Euer Haar ist wie Bernstein«, freute sich Duncan und streichelte die weichen Locken. »Glatt und kostbar.«

»Das ist auch mein Name.«

»Kostbar?«, fragte er strahlend.

Amber stockte der Atem. Duncan besaß ein Lächeln, das Eis zum Schmelzen bringen und Lerchen vom Mittagshimmel locken konnte.

»Nein«, erheitert schüttelte sie den Kopf. »Mein Name ist Amber, und das bedeutet in unserem Sprachgebrauch Edelstein von der Küste.«

»Amber ...«

Duncan blickte von ihrem langen Haar zu ihren leuchtenden goldenen Augen.

»Ja«, bestätigte er. »So etwas wie Bernstein!«

Duncan gab die seidige Haarsträhne frei, er streichelte ihre Hand und legte sie dann auf die dicke Felldecke.

Als Duncan sie nicht mehr berührte, war es für Amber, als erlösche ein Feuer. Eilig unterdrückte sie ein leises Geräusch des Protestes.

»Also bin ich Duncan, und Ihr seid die kostbare Amber«, fasste er nach einer Weile zusammen. »Für den Augenblick ...«

»Ja«, flüsterte sie.

Verzweifelt wünschte Amber sich, Duncan einen anderen Namen gegeben zu haben.

Dennoch wusste sie, dass sie ihre Befürchtung, was seinen wirklichen Namen betraf, nicht hätte zurückhalten können. Sie, die einfach Amber gerufen wurde, kannte nur zu gut die Leere inmitten des Lebens, die daher rührte, dass man keinen Namen besaß, kein Erbe.

Vielleicht sind es nur meine Ängste, die mich plagen, die Schattenmonster an die leere Wand malen.

Befürchte ich, dass er Duncan von Maxwell ist, nur weil ich mir so sehr wünsche, dass er jemand anders ist?

Irgendjemand anders ...

»Wo bin ich?«, fragte Duncan abermals.

»In meiner Kate.«

Er sah sich um, blickte in den großen Raum hinter Amber. Dort brannte hell das Feuer, und der Rauch stieg hinauf zu dem Loch in der strohgedeckten Decke. Etwas Köstliches kochte in dem kleinen Kessel, der an einem Dreibein über dem Feuer hing. Die Wände waren weiß gekalkt, der Boden mit frischen Binsen bestreut. Fenster mit Läden gab es in drei der Wände, in der vierten Wand befand sich die Tür.

Nachdenklich glitten Duncans Finger über das Bettzeug. Leinen, weiche Wolle und kostbares Fell, hübsche Gardinen aus Stoff, die für den Tag geöffnet worden waren. In der Nähe stand ein Tisch mit einem Stuhl, einer Öllampe und, erstaunlicherweise, einer Hand voll, wie es schien, alter Manuskripte.

Duncan blickte zu dem Mädchen hinüber, das sich während seiner Krankheit um ihn gekümmert hatte – ihm vertraut und doch gleichzeitig unbekannt.

Ambers Kleidung war genau wie das Bettzeug, hübsch, weich, warm und bunt. An ihren Handgelenken und um ihren Hals leuchtete kostbarer Bernstein in Schattierungen von warmem Gelb bis Honiggold.

»Ihr lebt weitaus besser als die meisten Katenbewohner«, meinte Duncan.

»Ich habe Glück gehabt. Erik, der Erbe von Lord Robert aus dem Norden, beschützt mich.«

Ambers Zuneigung für Erik war offen ihrer Stimme zu entnehmen und an ihrem Lächeln zu sehen. Duncans Gesichtsausdruck verdunkelte sich, er sah jetzt aus wie der bedrohliche Krieger, der er war.

Einen Augenblick lang fragte sich Amber, ob sie nicht doch allzu vertrauensselig seine Fesseln gelöst hatte.

»Seid Ihr seine Geliebte?«, fragte Duncan.

Zuerst verstand Amber die unverblümte Frage nicht. Doch als ihr ein Licht aufging, errötete sie.

»Nein! Lord Robert ist ein ...«

»Nicht Robert«, unterbrach Duncan sie knapp. »Erik – allein die Erwähnung seines Namens zaubert ein Lächeln auf Eure Lippen.«

Amber lächelte breit.

»Eriks Geliebte?«, wiederholte sie. »Er würde so verrückt wiehern bei diesem Gedanken, dass er daran ersticken würde. Wir kennen einander seit der Zeit, als wir so groß waren wie Gänschen.«

»Macht er all seinen Freunden aus der Kinderzeit kostbare Geschenke?«, fragte Duncan kühl.

»Wir beide waren Schüler von Cassandra der Weisen.«

»Und?«

»Und deshalb wurde Eriks Familie zu meinen Freunden.«

»Das haben sie sich allerhand kosten lassen«, erklärte Duncan angelegentlich.

»Ihre Geschenke, auch wenn sie wirklich großzügig sind, verringern Lord Roberts Reichtum nicht«, wehrte Amber ab.

Und als Duncan den Mund öffnete, um Amber noch weiter zu befragen, begriff er, dass er viel zu eifersüchtig reagierte auf eine Jungfer, die er gerade erst kennen gelernt hatte.

Oder doch nicht?

Er lag nackt in ihrem Bett. Ihre Hände zögerten nicht, ihn zu berühren. Sie war weder errötet noch hatte sie sich abgewandt, als die Decke verrutschte und seine Nacktheit enthüllte. Und sie hatte sich auch nicht beeilt, ihn wieder zuzudecken.

Doch wie konnte man eine Jungfer mit allem Respekt fragen, ob sie seine Verlobte, seine Frau oder seine Geliebte war?

Oder, was der Himmel verhüten möge, seine Schwester?

Duncan verzog das Gesicht. Der Gedanke, dass er und Amber vielleicht blutsverwandt waren, entsetzte ihn.

»Duncan? Habt Ihr Schmerzen?«

»Nein.«

»Seid Ihr sicher?«

Er gab ein raues Stöhnen von sich. »Sagt mir ...«

Seine Stimme und auch sein Mut schwanden. Die sinnliche Hitze in seinem Blut blieb allerdings bestehen.

»Ja?«, fragte Amber aufmunternd.

»Sind wir blutsverwandt?«

»Nein«, erklärte sie sofort.

»Gott sei Dank!«

Amber sah erstaunt aus.

»Ist Cassandra eine von denen, die Ihr die Gelehrten nennt?«, wechselte Duncan das Thema, noch ehe Amber ihm weitere Fragen stellen konnte.

»Ja.«

»Ist das ein Stamm oder ein Clan oder eine Priesterschaft?«

Im ersten Augenblick fragte sich Amber, ob Duncan sie wohl foppte. Jeder Mann, der schlafend im Steinkreis gefunden wurde, am Fuße der heiligen Eberesche, war doch selbst einer der Gelehrten!

Der Gedanke erfüllte sie wie Balsam. Sie hatte viele Dinge gehört über Duncan von Maxwell, den Schottischen Hammer, doch niemals war auch nur angedeutet worden, dass er zu den Gelehrten gehörte.

Was auch immer oder wer auch immer dieser Fremde, den sie Duncan getauft hatte, früher einmal gewesen sein mochte – jetzt war er ein veränderter Mann, durch einen Blitz aus seiner früheren Gelehrsamkeit gerissen.

Mit gerunzelter Stirn suchte Amber nach Worten, um ihre Beziehung zu Cassandra und Erik und den wenigen anderen Gelehrten ihrer Bekanntschaft zu beschreiben. Sie wollte nicht, dass Duncan sie mit Aberglaube oder Furcht betrachtete, wie einige der einfacheren Menschen das taten.

»Viele Gelehrte sind blutsverwandt, doch nicht alle«, erklärte Amber langsam. »Es ist eine Art des Denkens wie in einer Schule; doch all diejenigen, die danach streben zu lernen, sind nicht gleich begabt.«

»Wie Hunde oder Pferde oder Ritter?«, fragte Duncan nach einer Weile.

Verwirrt sah sie ihn an.

»Einige sind immer besser als die anderen in dem, was sie tun«, verkündete er schlicht. »Und einige wenige, sehr wenige, sind weitaus besser als alle anderen.«

»Ja«, meinte Amber, erleichtert, weil Duncan sie verstand. »Diejenigen, denen man es nicht beibringen kann, behaupten, dass diejenigen, die lernen können, verflucht oder gesegnet sind. Normalerweise jedoch eher verflucht ...«

Duncan lächelte ironisch.

»Aber das sind wir nicht«, beteuerte sie. »Wir sind einfach nur das, zu dem Gott uns gemacht hat. Anders.«

»Aye. Ich habe einige dieser Menschen kennen gelernt. Sie sind ziemlich anders.«

Abwesend bewegte Duncan seine rechte Hand, als wolle er nach einem Schwert greifen. Es war eine Bewegung, die er ohne weiteres Nachdenken vollführte – genauso ein Teil von ihm wie das Luftholen. Er bemerkte es gar nicht.

Doch Amber schon.

Sie erinnerte sich an das, was sie über den Schottischen Hammer gehört hatte, einen Krieger, der nur einmal im Kampf besiegt worden war, und zwar von dem verhassten normannischen Eindringling Dominic le Sabre. Im Austausch für sein Leben hatte Duncan dem Feind die Treue geschworen.

Es wurde behauptet, dass Dominic Duncan mit Hilfe seiner Frau, einer Glendruid-Hexe, besiegt hatte.

Amber erinnerte sich an das Gesicht, von dem sie durch Duncans dichten Schleier des Vergessens hindurch einen Hauch hatte erkennen können – Haare wie Flammen und Augen von ungewöhnlich intensivem Grün.

Glendruid-Grün.

Lieber Gott, konnte er Dominic le Sabre sein, Eriks eingeschworener Feind?

Amber starrte in Duncans Augen und versuchte, sie als grau zu sehen, doch das gelang ihr nicht. Sie waren vielleicht grün. Oder blau. Oder braun. Aber nicht grau.

Nach einem langen Seufzer betete sie darum, dass sie sich nicht selbst etwas vormachte.

»Wo seid Ihr diesen ungewöhnlichen Männern begegnet?«, fragte sie. »Oder waren es Frauen?«

Duncan öffnete den Mund, doch kein Wort kam heraus. Er verzog das Gesicht bei diesem neuen Beweis für seinen Mangel an Gedächtnis.

»Ich weiß es nicht«, erklärte er niedergeschlagen. »Aber ich bin ihnen ganz gewiss begegnet.«

Amber ging zu Duncan hinüber und legte ihre Finger auf seine rastlose Schwerthand.

»Ihre Namen?«, fragte Amber leise.

Schweigen antwortete ihr, gefolgt von einem Fluch.

Sie spürte Duncans nackte Verzweiflung und seinen wachsenden Ärger; doch sah sie keine Gesichter, keine Namen, nichts, aus dem sich Erinnerungen ableiten ließen.

»Waren sie Freunde oder Feinde?«, erkundigte sie sich ruhig.

»Beides«, antwortete er rau. »Aber nicht ... nicht so ganz.«

Duncan ballte die Hand zur Faust. Sanft versuchte Amber, seine Finger zu entspannen. Er entriss ihr seine Rechte und schlug sich damit auf den Schenkel.

»Beim Blute Christi!«, fuhr er auf. »Welcher ehrlose Köter kann sich nicht mehr an Freund oder Feind erinnern, oder an geheiligte Schwüre?«

Schmerz durchfuhr Ambers Körper, ein Schmerz, der sowohl der Schmerz von Duncan war als eigenartigerweise auch der ihre.

»Habt Ihr solche Schwüre geleistet?«, fragte sie weiter.

»Ich ... weiß ... es ... nicht!«

Seine Worte kamen wie Schreie heraus.

»Schön langsam, mein Krieger«, sagte Amber.