Vergessenes Kind - Lydia Teuscher - E-Book

Vergessenes Kind E-Book

Lydia Teuscher

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie schaute sich vorsichtig um. Es war niemand in der Nähe. Langsam schlich sie weiter. Kaum zu sehen vor dem grauen Hintergrund. Angepasst durch ihre schmutzstarrenden Lumpen und dem dreckverschmierten Gesicht. Zarte, kindliche Züge, nur erahnend unter der verzweifelten Hoffnungslosigkeit. Mit kleinen, zitternden Händen durchwühlte sie die weggeworfenen Überreste einer ihr fremd gewordenen Welt. Der Hunger wühlte in ihrem Körper wie ein längst vertrauter Feind. Die Einsamkeit zerrte an ihrem Herzen wie ein hungriges Tier. Geschichten und Gedichte der Autorin Lydia Teuscher, die zu Herzen gehen und zum Nachdenken anregen. Aber auch einige, die ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



o

Vergessenes Kind

Gedichte und Erzählungen

Lydia Teuscher

o

Impressum:

Alle weiteren Personen und Handlungen des Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.papierfresserchen.de

www.herzsprung-verlag.de

© Erstauflage 2023 – Herzsprung-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2018

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover gestaltet mit Bildern von Heike Georgi und Anne Haggenmüller

ISBN: 978-3-96074-030-8 – Taschenbuch (2018)

ISBN: 978-3-96074-202-9 – E-Book

Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

o

Inhalt

Der Antrag

Der Regen

Stern

Der kleine Fuchs

Der kleine Junge

Ein letzter Gruss

Gefangen

Genug

Ich erzähl dir ihre Geschichte

Ist das wichtig?

Kind

Körperlos

Liebe

Morgen

Nachtjäger

Nein, danke

Sauber

Schwebend

Sonne und Mond

Träume

Vergessenes Kind

Verlorene Ideale

Verschenkt

Weiter lieben

Zerstört

Die Autorin

Unser Buchtipp

o

Der Antrag

Mit Blumen in der Hand

Stand er verlegen da

Die Hände schon sehr nass

Sein Blick doch fest und klar

Das Lächeln im Gesicht

Verkrampft und fast erstarrt

Denkt an den guten Freund

Und dessen einen Rat

Die Angst ihr bloß nicht zeigen

Kein Zögern und kein Bangen

Fest in die Augen schauen

Dann nach dem Ring schon langen

Nur ins Gesicht ihr schauen

Den Ring im Kästchen halten

Die Antwort schon erkennen

Dann musst ganz schnell du schalten

Die Augen sagen Ja

Dann kannst du sie auch fragen

Doch sagen die Augen Nein

Musst du was anderes sagen

Dann erzähl ihr von ’ner Frau

Für die der Ring soll sein

Frag sie nach ihrer Meinung

Ob er nicht doch zu klein

Die Augen sagten Ja

Also fragte er sie ganz offen

Das Lächeln ließ ihn dann

Ein freudiges Ja erhoffen

Doch dann sagte sie zu ihm

Und man sah ihr an die Freud’

Sie habe ihn nie geliebt

Sondern immer nur seinen Freund

*

Der Regen

„Der Regen wird nie wieder aufhören“, flüsterte sie mit kaum hörbarer, trauriger Stimme. Sie hörte sich jetzt immer so an. Früher hatte sie eine lachende, leuchtende Stimme gehabt. Und ihr kleiner Sonnenschein hatte eine Stimme wie aneinandergereihte, regenbogenfarbene Seifenblasen gehabt. Fast durchsichtig zart und sanft. Wie hatte er diese beiden Stimmen immer geliebt.

„Er hat uns unsere Sonne und unser Lachen gestohlen.“

Wieder so leise, so qualvoll.

„Geblieben ist nur der Regen und die Finsternis.“

Schluchzend diesmal, brechend.

„Indem er sie zerstörte, zerstörte er auch uns.“

Resignierender, fast versagend.

„Die paar Jahre, die es ihn gekostet hat.“

Tränenströme klangen mit.

„Jetzt ist er wieder frei.“

Er hörte die unvergessene Bitterkeit.

„Mit welchem Maß misst man das Leben eines Kindes?“

Die immer noch vorhandene Wut.

„Der Regen wird nie wieder aufhören“, flüsterte sie wieder. Sie drehte sich auf die Seite und schaute ihn an. „Wo warst du so lange?“, hauchte sie verzweifelt.

„In der Hölle.“ Seine Stimme rau und dunkel.

„Ich habe ihm die Hölle gezeigt.“ Sie hörte das Grauen heraus.

„Und habe ihn dort zurückgelassen.“ Seine schreiende Seele.

„Jetzt hat es aufgehört zu regnen.“

Mit verschränkten Händen sahen sie sich an.

„Danke“, flüsterte sie mit fast sterbender Stimme.

*

Stern

Simon schaute traurig aus seinem Fenster. Der Schnee sah wunderschön aus. Er lag wie eine Puderschicht über den Sträuchern. Hinter ihrem Garten begann der Wald. Weiß und frostig wie ein Zauberwald. Er hörte die Kinder aus der Straße schreien und lachen.

Er seufzte leise. „Nichts für mich“, dachte er resigniert. Und sein größter Wunsch war auch nicht in Erfüllung gegangen. Ein Pony! Na ja, ein schönes, großes Stoffpony hatte er bekommen. Er war ja selber schuld, denn auf seinen Wunschzettel hatte er einfach nur ein Pony geschrieben. Nicht ein echtes Pony.

Er schloss die Augen und seufzte wieder. Nun, es ging eigentlich auch nicht um das Pony, sondern um die Schnelligkeit. Er öffnete die Augen und schaute wieder in den Garten. Er stutzte. Was war denn das? Nebel hüllte den Waldrand ein und eine Gestalt erschien. Ein Pony? Nein, ein Fohlen. Schwarz, an den Fesseln mit Schnee bestäubt.

Er schaute fasziniert genauer hin. Nein, das war kein Schnee. Das Fohlen hatte weiße Fesseln, es sah aus, als hätte es weiße Socken an. Und auf der Stirn hatte es eine weiße Blesse, die wie ein Stern aussah. Das Fohlen schaute sich um, sah ihn am Fenster stehen und kam auf ihn zu.

Simon öffnete das Fenster und beugte sich vor. „Wo kommst du denn her?“, fragte er leise.

Das Fohlen schaute ihm in die Augen. „Von zu Hause natürlich, aber kannst du mir vielleicht sagen, wo ich hier bin? Ich bin durch den Wald gelaufen, plötzlich kam Nebel auf und ich bin hier gelandet.“

Simon sprang vom Fenster zurück und starrte das sprechende Fohlen entsetzt an. „Du ... du sprichst ...“, stotterte er.

„Du sprichst doch auch.“ Das Fohlen schien beleidigt zu sein.

„Ja, aber ... aber ich bin ein Mensch und du ... du ...“

Das Fohlen streckte die Brust raus. „Ich bin ein Hengst und da, wo ich herkomme, sprechen wir alle.“

Simon schaute das Fohlen skeptisch an. „Also, ich weiß nicht, wie das da, wo du herkommst, ist, aber hier bei mir, da würde ich sagen, dass du ein Fohlen bist.“

Das Fohlen ließ den Kopf hängen. „Bei mir auch.“ Dann aber streckte es sich wieder. „Aber bald, da bin ich ein Hengst, und jetzt bin ich ein Hengstfohlen. Meine Flügel fangen schon an zu wachsen. Schau.“ Es drehte sich zur Seite und Simon sah an der Seite des Fohlens kleine Erhebungen. Das Fohlen hob stolz den Kopf. „Wenn meine Flügel richtig groß sind, dann bin ich ein Hengst. Und wenn meine Flügel weiße Spitzen haben, dann können meine Geschwister mich nicht mehr ärgern. Denn weiße Flügelspitzen sind bei uns etwas ganz Besonderes.“ Jetzt schaute das Fohlen traurig. „Wenn meine Flügel keine weißen Spitzen haben, dann bleibe ich für sie immer Socke, so nennen sie mich, um mich zu ärgern.“

„Oh, andere Kinder können manchmal sehr gemein sein“, tröstete Simon das Fohlen. „Wie heißt du denn wirklich?“

Das Fohlen lachte. „Polarstern. Meine Mama hat es mit den Sternen. Meine Schwester heißt Sternschnuppe, mein Bruder Sterntänzer. Und da meine weiße Blesse auf der Stirn wie ein Stern aussieht, konnte sie mir gar keinen anderen Namen geben. “

„Polarstern“, sagte Simon andächtig. „Ein wunderschöner Name. Ich heiße einfach nur Simon.“

„Du kannst mich Stern nennen, Einfach-nur-Simon.“

„Nein, ich heiße ...“, fing Simon an.

Stern lachte. „Simon ist auch ein schöner Name.“ Dann schaute er sich um. „Ich höre andere Kinder, warum bist du nicht bei ihnen?“

Simon schaute auf den Boden. „Ich ... ich darf nicht so viel toben. Mein Herz ist nicht ganz so stark“, nuschelte er. Oft wollten andere Kinder nicht mit ihm spielen, weil er nicht so stark und so schnell war.

„Aha.“ Stern stupste ihn mit der Nase an. „Du brauchst nichts mehr zu sagen, ich weiß Bescheid. Solche gibt es überall. Mach dir nichts draus. Mein Papa sagt immer, egal, ob andere besser sind, wenn man immer nur sein Bestes gibt, dann kann man mit sich selber zufrieden sein.“

Simon lächelte Stern strahlend an. „Das sagt mein Papa auch immer.“

„Na siehst du, wenn beide das sagen, dann muss es ja richtig sein. So, jetzt muss ich aber zusehen, dass ich den Weg nach Hause finde.“

Simon schaute Stern traurig an. „Musst du schon gehen?“

„Ich bin lange durch den Wald gelaufen, meine Eltern werden sich schon Sorgen machen. Ich muss zu dem Nebel, denn durch den Nebel bin ich zu dir gekommen, also muss es durch den Nebel wieder nach Hause gehen.“

Simon nickte. „Weißt du, Stern, ich hatte mir zu Weihnachten ein Pony gewünscht. Ich wusste, dass ich kein echtes Pony bekomme, aber einmal nur so schnell wie der Wind reiten, das wäre schon echt cool. Doch dass du hier warst, das war viel, viel schöner. Schade, dass du gehen musst.“

Stern stupste ihn noch einmal an. „Vielleicht kann ich dich noch einmal besuchen. Vielleicht kommt der Nebel irgendwann wieder.“

Simon lächelte traurig. „Ich werde auf dich warten, ich werde meinen Eltern von dir erzählen und ich werde auf dich warten.“

„Halt die Ohren steif, Nicht-einfach-nur-Simon.“

„Bis bald, Stern.“

Stern schnaubte freundlich und ging dann zum Waldrand. Er drehte sich noch einmal um, rief: „Bis bald“, und verschwand im Nebel.

Simon lief zu seinen Eltern und erzählte ihnen ganz aufgeregt von Stern. Sie warfen sich amüsierte Blicke zu.

„Du kannst wundervoll erzählen“, sagte sein Vater. „Vielleicht wirst du einmal Schriftsteller.“

Seine Mutter strich ihm liebevoll durchs Haar. „Du hast eine blühende Fantasie, mein Schatz.“

Simon war ihnen nicht böse, dass sie ihm nicht glaubten. Er hätte es auch keinem geglaubt. Er lächelte. Hauptsache, er wusste, dass es Stern wirklich gab.

Simon saß danach oft am Fenster und schaute zum Waldrand, und bei allem, was er tat, versuchte er, sein Bestes zu geben. „Wie Stern“, dachte er.

Weihnachten rückte näher und Simon hatte nur ein Wort auf seinen Wunschzettel geschrieben: Stern.

Heiligabend bekam er sehr schöne Geschenke, doch er wartete auf Stern. Nachdem seine Eltern ins Bett gegangen waren, saß er am Fenster. Irgendwann würde er Stern wiedersehen, er glaubte ganz fest daran. Er schloss seine Augen und dachte an Stern. Ob er schon seine Flügel hatte? Waren seine Flügelspitzen weiß?

Er wünschte es ihm von Herzen. Ein leises Schnauben schreckte ihn auf. Er öffnete die Augen und sah einen großen schwarzen Pferdekopf. Mitten auf der Stirn eine weiße Sternblesse. Simon riss das Fenster auf und strahlte übers ganze Gesicht. „Stern“, flüsterte er.

„Hast du auf mich gewartet, Simon?“, fragte Stern verschmitzt.

Simon lachte. „Ich habe das ganze Jahr auf dich gewartet, aber meine Güte, wenn ich die Sternblesse nicht gesehen hätte, dann hätte ich dich nicht erkannt. Du bist kein Fohlen mehr, jetzt bist du ein Hengst. Zeig mir deine Flügel, Stern.“

Stern ging ein paar Schritte zurück und breitete stolz seine großen Flügel aus.

„Weiße Flügelspitzen“, flüsterte Simon andächtig.

Stern lachte. „Meine Geschwister beneiden mich. Sie nennen mich zwar noch oft Socke, aber jetzt ärgere ich mich nicht mehr darüber.

---ENDE DER LESEPROBE---