Vergiss, was in jener Nacht geschah - Patricia Vandenberg - E-Book

Vergiss, was in jener Nacht geschah E-Book

Patricia Vandenberg

0,0
2,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Mitternacht war längst vorbei, als Manfred Reisner leise vor sich hin pfeifend von einer fröhlichen Geburtstagsfeier im Hotel Waldhof heimwärts ging. Die frische Nachtluft tat ihm gut, denn es war doch ziemlich viel getrunken worden. Aber sehr lustig war es gewesen, und für Peter Waldhof, den Sohn des Hoteliers, zugleich der Abschied vom Junggesellenleben. Übermorgen sollte Peters Hochzeit stattfinden, und zum ersten Mal in seinem gerade dreiundzwanzigjährigem Leben sollte Manfred Reisner, der Sohn des Brauereibesitzers, der tatkräftig zur Sanierung des Hotels beigetragen hatte, Trauzeuge sein. An diesem Abend waren die Freunde, dreizehn an der Zahl, unter sich gewesen, ohne Damen, um den zu feiern und aus dem Kreis der Junggesellen zu verabschieden, der zuerst den Weg zum Traualtar gehen wollte. Manfred war nicht abergläubisch, obgleich er als Dreizehnter erschienen war. Er hatte sich mit seinen Freunden und Kommilitonen köstlich amüsiert und war auch auf dem Heimweg noch in beschwingter Stimmung. Dem sollte jedoch ein Ende gesetzt werden, als er sich seinem Elternhaus bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatte. Aus dem Dunkel sprangen zwei schattenhafte Gestalten auf ihn zu. Einer versuchte, ihm die Arme auf dem Rücken zusammenzudrücken, aber Manfred konnte ihn abwehren. Dann traf ihn ein Schlag am Kopf, der ihn taumeln ließ, doch zu Boden ging er auch jetzt noch nicht, er war groß, kräftig und sportgestählt. »Schlag zu«, hörte er jemanden zischen, und dann traf ihn ein so harter Schlag, daß ihm die Sinne schwanden. »Jetzt haben wir ihn«, sagte der Größere, doch da leuchteten die Scheinwerfer eines Wagens auf, der um die Ecke bog. »Verflucht, hauen wir lieber ab«, stieß ein anderer hervor und trat Manfred noch einmal in den Magen, mit aller Wucht und voller Wut, und dann rannten die beiden los, verschwanden im Dunkel der Nacht, bevor die Scheinwerfer des Wagens Manfred Reisner erfaßten, der leblos am Rande der Fahrbahn lag. Dr. Daniel Norden kam von einem nächtlichen Krankenbesuch. Eine Stunde hatte er bei einem Sterbenden ausgeharrt, der ein langes, beschwerliches Leben hinter sich gebracht hatte, und dem der Tod ein schmerzhaftes Siechtum ersparte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 150

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Norden Aktuell – 23 –

Vergiss, was in jener Nacht geschah

Patricia Vandenberg

Mitternacht war längst vorbei, als Manfred Reisner leise vor sich hin pfeifend von einer fröhlichen Geburtstagsfeier im Hotel Waldhof heimwärts ging. Die frische Nachtluft tat ihm gut, denn es war doch ziemlich viel getrunken worden. Aber sehr lustig war es gewesen, und für Peter Waldhof, den Sohn des Hoteliers, zugleich der Abschied vom Junggesellenleben.

Übermorgen sollte Peters Hochzeit stattfinden, und zum ersten Mal in seinem gerade dreiundzwanzigjährigem Leben sollte Manfred Reisner, der Sohn des Brauereibesitzers, der tatkräftig zur Sanierung des Hotels beigetragen hatte, Trauzeuge sein.

An diesem Abend waren die Freunde, dreizehn an der Zahl, unter sich gewesen, ohne Damen, um den zu feiern und aus dem Kreis der Junggesellen zu verabschieden, der zuerst den Weg zum Traualtar gehen wollte.

Manfred war nicht abergläubisch, obgleich er als Dreizehnter erschienen war. Er hatte sich mit seinen Freunden und Kommilitonen köstlich amüsiert und war auch auf dem Heimweg noch in beschwingter Stimmung.

Dem sollte jedoch ein Ende gesetzt werden, als er sich seinem Elternhaus bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatte.

Aus dem Dunkel sprangen zwei schattenhafte Gestalten auf ihn zu. Einer versuchte, ihm die Arme auf dem Rücken zusammenzudrücken, aber Manfred konnte ihn abwehren. Dann traf ihn ein Schlag am Kopf, der ihn taumeln ließ, doch zu Boden ging er auch jetzt noch nicht, er war groß, kräftig und sportgestählt.

»Schlag zu«, hörte er jemanden zischen, und dann traf ihn ein so harter Schlag, daß ihm die Sinne schwanden.

»Jetzt haben wir ihn«, sagte der Größere, doch da leuchteten die Scheinwerfer eines Wagens auf, der um die Ecke bog.

»Verflucht, hauen wir lieber ab«, stieß ein anderer hervor und trat Manfred noch einmal in den Magen, mit aller Wucht und voller Wut, und dann rannten die beiden los, verschwanden im Dunkel der Nacht, bevor die Scheinwerfer des Wagens Manfred Reisner erfaßten, der leblos am Rande der Fahrbahn lag.

Dr. Daniel Norden kam von einem nächtlichen Krankenbesuch. Eine Stunde hatte er bei einem Sterbenden ausgeharrt, der ein langes, beschwerliches Leben hinter sich gebracht hatte, und dem der Tod ein schmerzhaftes Siechtum ersparte. Damit hatte er die Angehörigen trösten können.

Nun hatten seine Scheinwerfer dunkle Gestalten erfaßt, die es sehr eilig zu haben schienen, diesem hellen Licht zu entkommen. Dann aber sah Dr. Norden die zusammengekrümmte Gestalt am Straßenrand und trat auf das Bremspedal.

Seine Gedanken überstürzten sich. Es konnte eine nächtliche Rauferei unter Saufkumpanen gewesen sein, auch das war nichts Ungewöhnliches. Aber immerhin lag da ein hilfloser Mensch, und wer es auch sein mochte, er konnte ihm seinen Beistand nicht versagen.

Doch sein Erschrecken war groß, als er den Bewußtlosen erkannte. Erst vor ein paar Wochen hatte er Manfred Reisner wegen einer Sehnenzerrung behandelt, die sich der junge Mann beim Tennisspielen zugezogen hatte.

Dr. Norden wurde auch konsultiert, wenn den übrigen Familienangehörigen etwas fehlte, was allerdings äußerst selten der Fall war. Die Reisners brauchten selten einen Arzt.

Hier aber war schnellste Hilfe nötig. Das festzustellen, brauchte Dr. Norden nur wenige Sekunden.

Die Straße lag wie ausgestorben. Eine Telefonzelle war nicht in der Nähe. Für den Arzt war es das Naheliegendste, die Angehörigen von Manfred Reisner zu alarmieren, dann brauchte er Fremden keine langen Erklärungen zu geben.

Er lief zur Gartentür und drückte auf die Klingel. Dabei behielt er jedoch immer den Bewußtlosen im Auge, doch kein Laut, keine Schritte störten die nächtliche Stille, bis eine Stimme, die verschlafen klang, an Dr. Nordens Ohr tönte.

»Bist du es, Manni? Hast du den Schlüssel vergessen?« fragte die Stimme durch die Sprechanlage.

»Hier spricht Dr. Norden«, erwiderte er hastig. »Benachrichtigen Sie schnell den Notarzt. Hier liegt ein Verletzter.«

Er wollte nicht sofort sagen, daß der Verletzte der Sohn des Hauses war. Die Stimme hatte er als die von Melanie Reisner erkannt, der jüngeren Schwester Manfreds.

»O Gott«, sagte die nur noch und dann nichts mehr. Aber Dr. Norden kannte Melanie als ein sehr sportliches und durchaus nicht zimperliches Mädchen und hoffte auf ihre schnelle Reaktion. Er hoffte nicht umsonst. Bald vernahm er eilende, leichtfüßige Schritte, während er schon wieder bei Manfred Reisner kniete und so gut wie möglich erste Hilfe leistete.

Dann kniete neben ihm Melanie. »Manni«, schrie sie auf. »Was ist geschehen?«

»Er wurde niedergeschlagen«, erwiderte Dr. Norden. »Haben Sie den Notarzt benachrichtigt?«

»Ja, mein Gott, wer war das? Manni, hörst du mich? Melly ist da.«

Aber Manfred hörte nichts, und da kam auch schon der Notarztwagen.

»Er muß schleunigst in die Klinik«, sagte Dr. Norden zu Melanie. »Und Sie müssen zurück ins Haus, sonst holen Sie sich eine Erkältung.«

Melanie trug nur einen dünnen Morgenmantel, aber sie hörte nicht auf Dr. Nordens Ermahnung. Wie versteinert stand sie, während er mit dem Kollegen sprach und Manfred denn auf die Trage gebettet wurde, was mit aller Vorsicht geschah.

»Ich komme nach«, sagte Dr. Norden zu dem Notarzt, dann griff er nach Melanies Arm und schob das bebende Mädchen vor sich her.

»Wir müssen Ihre Eltern verständigen und auch die Polizei«, sagte er.

Sie hatten das Haus betreten. Eine tiefe Stimme schallte ihnen entgegen.

»Was ist denn los? Findest du den Eingang nicht, Manfred?«

»Reg dich nicht auf, Paps«, sagte Melanie mit trockenem Schluchzen. »Es ist etwas passiert. Komm bitte herunter.«

Der Hausherr erschien im dunkelblauen Hausmantel. Gleich hinter ihm auch Frau Reisner. Sie starrte Dr. Norden an.

»Sie?« stieß sie hervor. »Ist Manni verunglückt?«

»Ihr Sohn wurde auf der Straße niedergeschlagen«, erklärte Dr. Norden, denn ein langes Herumgerede hätte die Spannung nur noch verschlimmert.

»Wo ist er?« fragte Ernst Reisner rauh.

»Schon auf dem Wege zur Behnisch-Klinik. Sie werden schon dort sein«, erwiderte Dr. Norden. »Ihre Tochter hat den Notarzt schnell verständigt.«

»Ich verstehe das nicht, ich verstehe das nicht«, schluchzte Frau Reisner. »Wir müssen zu ihm, Ernst.«

»Nimm dich jetzt zusammen, Hanni«, sagte Ernst Reisner. »Dr. Norden wird uns erklären, was passiert ist.«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Daniel Norden. »Ich kam ganz zufällig durch diese Straße, gerade von einem Krankenbesuch.«

»Glücklicherweise«, warf Melanie leise ein, und darauf fragte sich Dr. Norden, was sonst wohl mit Manfred Reisner noch geschehen wäre.

»Ich habe nur gesehen, wie zwei schattenhafte Gestalten davonliefen«, fuhr Dr. Norden fort. »Ich hielt an und erkannte Ihren Sohn. Da habe ich geläutet und…«

»Ich habe dann den Notarzt angerufen«, warf Melanie mit versagender Stimme ein. »Aber ich wußte doch nicht, daß es um unseren Manni geht.«

»Ich hielt es für besser so«, sagte Dr. Norden. »Es war keine Zeit zu verlieren.«

»Ist es so schlimm?« fragte Hanni Reisner aufweinend.

»Ich kann im Augenblick noch nichts sagen. Ich fahre zur Klinik. Dann werde ich Sie informieren.«

»Nein, wir kommen«, erwiderte Ernst Reisner heiser. Melanie nickte stumm.

*

Ernst Reisner ließ sich nicht so schnell anmerken, wenn ihn etwas aus dem Gleichgewicht brachte und behielt auch jetzt die Beherrschung. Er war ein großer wuchtiger Mann, dem man ansah, daß ihm das Bier schmeckte, das in seiner Brauerei gebraut wurde. Doch seine Grundsätze waren: Alles in Maßen genießen und immer den Tatsachen ins Auge zu blicken.

Die Tatsache, daß seinem Sohn Schlimmes widerfahren war, ließ sich nicht wegleugnen, aber Dr. Norden hatte gesagt, daß Manfred lebe, und dies allein zählte jetzt für ihn.

»Jammere nicht, Hanni, damit machst du es nicht besser«, sagte er zu seiner Frau, als sie in der Halle der Behnisch-Klinik warteten.

Melanie verhielt sich ganz still. Sie kauerte in einem Sessel und starrte vor sich hin.

Dr. Norden sprach mit Dr. Behnisch. Sie waren Duzfreunde, kannten sich schon von der Universität her und arbeiteten in schwierigen Fällen immer Hand in Hand.

Dr. Norden war Arzt für Allgemeinmedizin, Dr. Behnisch war Chirurg und Besitzer dieser Privatklinik, die er Dank eines reichen Onkels, der ihm ein großes Erbe hinterlassen hatte, immer auf den modernsten Stand ausstatten konnte.

»Er ist übel zugerichtet«, sagte Dr. Behnisch. »Aber er ist ein harter Bursche und sehr widerstandsfähig. Das war doch nicht nur ein Straßenraub, Daniel?«

»Was sonst?« fragte Dr. Norden bestürzt.

»Nur so ein Gedanke«, sagte Dr. Behnisch sinnend. »Er hat einen reichen Vater. Vielleicht wollte man ihn entführen. Diese gemeine Unsitte reißt langsam ein.«

»Daran habe ich noch nicht gedacht«, sagte Daniel Norden. »Erschreck seine Eltern nicht mit solchen Vermutungen. Sie haben auch noch eine Tochter.«

»Rede du mit ihnen. Du kennst sie bereits. Ich habe kein Talent, meine Gedanken zu verbergen. Wieviel Millionen stehen hinter Reisner?«

»Keine Ahnung. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.«

»Es sieht jedenfalls nicht so aus, als wollten ein paar windige Straßenräuber ihn nur bestehlen. Geldbeutel und Brieftasche hat er noch bei sich.«

»Die Burschen wurden durch mich gestört. Sie liefen davon, als sie meinen Wagen kommen sahen.«

»Sie liefen davon«, wiederholte Dr. Behnisch. »Kein Wagen war in der Nähe?«

»Nicht in der Straße. Vielleicht in der Nebenstraße, aber worüber denkst du nach?«

»Daß Reisner ein sehr reicher Mann ist. Wieviel Millionen stehen eigentlich hinter ihm?«

»Keine Ahnung. Sie leben jedenfalls nicht aufwendig. Du denkst doch nicht etwa an eine geplante Entführung?«

»Solche sind doch heute schon an der Tagesordnung. Aber halten wir uns nicht mit Vermutungen auf. Vielleicht kann der junge Mann eine Erklärung geben, wenn er wieder bei Besinnung ist.«

Aber Manfred hatte nicht einmal bemerkt, daß ihm jemand gefolgt war und er konnte sich nur erinnern, daß er plötzlich von hinten oder von der Seite überfallen wurde und sich heftig zur Wehr gesetzt hatte. Eine Beschreibung der beiden Täter konnte er nicht geben.

Die Ermittlungen der Polizei blieben erfolglos. Manfred war nach der Geburtstagsfeier gemeinsam mit Wolfgang Brix gegangen, einem Studienfreund, der sich das Studium als Taxifahrer verdiente. Wolfgang hatte einen bedeutend kürzeren Heimweg. Er war den Reisners wohlbekannt und über jeden Verdacht erhaben. In dem Zweifamilienhaus, das er mit seiner Mutter bewohnte, hatte auch Kurt Weigel, der seit fünfzehn Jahren als Prokurist bei Ernst Reisner tätig war, seine Wohnung.

Einen so ruhigen und korrekten Mieter zu haben, betrachtete Frau Brix als großes Glück. Früh verwitwet hatte sie ihre liebe Not gehabt, die Hypotheken für das Haus abzubezahlen. Der sehr begabte Wolfgang sollte nicht auf das Chemiestudium verzichten. Er scheute keine Arbeit, um seine Mutter zu entlasten. Mit dem zurückhaltenden Kurt Weigel verstand er sich gut, da auch er ein sehr ernsthafter und intelligenter junger Mann war.

Kurt Weigel war tief bestürzt, als er erfuhr, was Manfred widerfahren war. Er fand es genauso selbstverständlich wie Wolfgang, daß die Ereignisse des Abends von der Polizei recherchiert wurden.

Es kam nichts dabei heraus. Auch die Vermutungen, daß es sich um einen Racheakt gehandelt haben könnte, wurde durch nichts bestätigt. Manfred Reisner war überall beliebt. Keineswegs streitsüchtig, und es gab in seinem Leben bisher auch keine Frau, die mit einem anderen liiert war, und der seinerseits seinem unerwünschten Nebenbuhler einen Denkzettel erteilen wollte.

Man gelangte zu der Überzeugung, daß es sich um Gelegenheitstäter handeln mußte, die möglicherweise betrunken waren und auch jeden anderen überfallen hätten, der ihnen in einer stillen Straße in den Weg gekommen wäre.

Vierzehn Tage mußte Manfred Reisner in der Klinik bleiben, aber seine Verletzungen waren doch so schwer, daß er sich nur langsam erholen konnte, und da auch Hanni Reisner durch den Schock sehr mitgenommen war, wurde beschlossen, daß Mutter und Sohn ein paar Wochen zur Kur auf die Insel der Hoffnung geschickt werden sollten.

Dieses Sanatorium, das nach den Plänen von Dr. Cornelius, Fee Nordens Vater, geleitet wurde, hatte seinen Namen zu Recht bekommen. Ganz individuell wurde jeder Patient behandelt. Auch ein junger Mann wie Manfred Reisner konnte sich dort in herrlicher Umgebung und unter liebenswerten Menschen wohl fühlen.

War er auch mit gemischten Gefühlen und mehr seiner Mutter zuliebe einverstanden gewesen, so sollte er es nicht zu bereuen haben.

*

Melanie, achtzehn Jahre jung, eine Frohnatur und ganz die Tochter ihres energischen Vaters, hatte den Schrecken bald überwunden. Manfred lebte, und sie grübelte nicht mehr darüber nach, daß dieser Überfall geplant gewesen sein könnte, wie es die Polizei anfangs vermutet hatte.

Ernst Reisner hatte seine Kinder vernünftig erzogen. Sie hatten immer ihr Taschengeld bekommen, aber damit hatten sie auch auskommen müssen. Ihr Lebensstandard war gutbürgerlich. Es herrschten solide Verhältnisse, und die Kinder hatten sich nie Gedanken gemacht, welches Vermögen hinter dem Namen ihres Vaters stand. Ernst Reisner sprach nicht darüber.

Als Chef erfreute er sich großer Beliebtheit, man konnte mit allen Sorgen zu ihm kommen, und seine Angestellten hielten ihm die Treue. Einen Wechsel gab es nur, wenn eine Frau heiratete oder ein Kind bekam.

Melanie wäre nach dem Abitur, das sie spielend gemacht hatte, gar nicht auf den Gedanken gekommen, sich nun nur dem süßen Nichtstun hinzugeben.

Studieren wollte sie nicht. Sie war ein romantisches Mädchen, das sich wünschte, bald dem Mann zu begegnen, den sie lieben, heiraten und sich als Vater ihrer Kinder wünschen würde.

Da nun ihre Mutter und Manfred auf der Insel der Hoffnung weilten, fuhr sie jeden Morgen mit ihrem Vater in die Brauerei und machte sich im Büro nützlich.

Sie ahnte nicht, wie glücklich Kurt Weigel darüber war. Er kannte Melanie seit ihrem dritten Lebensjahr. Er liebte sie nahezu abgöttisch, ohne daß jemand dies wußte. Niemals hätte der stille, verschlossene Kurt Weigel seine Gefühle preisgegeben.

Melanie hatte schon als kleines Mädchen sein einsames Herz gewonnen. Sie war zutraulich und begegnete ihm ohne Vorurteile, ohne die Distanz, die andere wahrten, weil er selbst nicht die Fähigkeit besaß, anderen Menschen unbefangen zu begegnen.

Bei Melanie war es anders gewesen. Für sie war er der gute Onkel, der zu jedem Fest ein hübsches Geschenk für sie hatte. Alle fanden Kurt Weigel ein wenig und machmal auch sehr wunderlich. Melanie nicht. Sie hatte ihn gern, und ihr Vater freute sich darüber, denn er schätzte seinen Prokuristen.

Kurt Weigel hatte Melanie heranwachsen sehen. Aus dem putzigen kleinen Mädchen war eine bildhübsche junge Dame geworden, die nicht ahnte, welche Sorgen sich Kurt Weigel machte, daß sie an den falschen Mann geraten könnte. Melanie war unbefangen, gutgläubig und unverdorben. Für sie war Kurt Weigel ein netter älterer Herr, der Generation ihres Vaters zuzuordnen, doch nicht so kräftig und vital wie dieser, eher immer kränklich wirkend.

Er tat Melanie leid, und gerade deshalb war sie immer ganz besonders nett zu ihm.

Mittags wollte sie mit ihrem Vater zum Essen gehen, wie jeden Tag seit die Mutter und Manfred auf der Insel der Hoffnung weilten.

»Können wir Herrn Weigel nicht mal einladen, mit uns zu essen, Papa?« fragte sie ihren Vater.

»Was kommt dir nur in den Sinn«, erwiderte Ernst Reisner schmunzelnd. »Damit brächten wir ihn nur in Verlegenheit. Ich hätte gewiß nichts dagegen, Mäuschen, aber der gute Weigel ist wie eine Schnecke, die gleich in das Haus zurückkriecht, wenn er sich mal persönlich angesprochen fühlt.«

»Ich könnte es doch mal versuchen, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken«, sagte Melanie.

»Und warum das?« fragte der Vater.

»Ich mag ihn. Er war immer lieb zu mir. Er ist bestimmt schrecklich einsam, Paps.«

»Daran ist er dann aber selbst schuld. Er wohnt bei einer sehr ansehnlichen Witwe, die recht gut zu ihm passen würde, Melly.«

»Aber Wolfgangs Mutter denkt gar nicht daran, sich nochmals an einen Mann zu binden. Ich glaube auch nicht, daß Herr Weigel noch an eine Heirat denken würde.«

»Du denkst anscheinend viel über ihn nach, Kleines.«

»Was wissen wir denn eigentlich von ihm?« fragte Melanie.

»Daß man sich auf ihn verlassen kann. Er war nicht einen einzigen Tag krank, seit er bei mir ist. Zu seinem Jahresurlaub mußte ich ihn jedes Jahr buchstäblich überreden. Er hat nie Vorschuß genommen und sich niemals mit einem Angestellten angelegt.«

»Hast du ihn mal zu uns eingeladen, Paps?« fragte Melanie.

»Ich habe es vor Jahren mal versucht, aber er hat höflich abgelehnt. Er hat seine Grundsätze, mein Kleines. Bei dir macht er eine Ausnahme, aber dich mochte er ja schon als Baby. Meine Güte, ich habe nichts dagegen, ihn zum Essen einzuladen, wenn es dir gelingen würde, ihn dazu zu bewegen.«

Es gelang Melanie. Dafür sagte Kurt Weigel den Termin ab, den er mit Dr. Norden verabredet hatte. Das erfuhr Melanie allerdings nicht. Sie wußte auch nicht, daß Kurt Weigel auch ein Patient von Dr. Norden war.

*

»Herr Weigel kann heute nicht kommen, Herr Doktor«, sagte Loni, die Sprechstundenhilfe. »Er hat eben angerufen.«

Dr. Nordens Augenbrauen schoben sich zusammen. »Haben Sie einen neuen Termin vereinbart?« fragte er.

»Ja, für morgen«, erwiderte sie.

»Okay, meine Frau wird sich freuen, wenn ich mal früher heimkomme.«

»Beschreien Sie es nicht«, sagte Loni, als das Telefon läutete.

Aber zum Glück wurde Dr. Norden nicht zu einem dringenden Hausbesuch bestellt. Eine Privatpatientin wollte nur einen Termin vereinbaren.

»Ich verschwinde«, sagte Dr. Norden und nickte Loni freundlich zu. »Gehen Sie in die Klause zum Essen, und lassen Sie es auf meine Rechnung schreiben, Loni. Sie haben ziemlich abgenommen.«

»Das wird gut sein«, erwiderte Loni. »Ich möchte auch mal wieder ein schickes Kostüm tragen.«

Sie lachten beide. Loni war ein bißchen mollig gewesen, aber sie hatte sehr schnell wieder abgenommen, und weil sie nun auch Anzeichen weiblicher Eitelkeit zeigte, war Dr. Norden recht zufrieden, denn seiner Ansicht nach sollte eine Frau in Lonis Alter ruhig noch eitel sein.

Loni hatte an diesem Tag auch ganz besondere Gelüste. Sie saß gern Fisch, und den sollte es, so hatte sie es gehört, im Hotel Waldhof in allen Varianten geben.

Einige Zeit hatte das Hotel keinen besonderen Ruf gehabt. Aber seit der Juniorchef Peter Waldhof, seine junge Frau Monika und der neue Geschäftsführer Paolo Franchetti den gar zu eigensinnigen Senior abgelöst hatten, ging es aufwärts.

Richtig ins Gespräch gekommen war das Hotel Waldhof jedoch erst, nachdem der Überfall auf Manfred Reisner stattgefunden hatte. Die Zeitungen hatten von der Geburtstagsfeier und dem Junggesellenabschied Peter Waldhofs berichtet, dann auch von der Hochzeit, an der Manfred leider nicht als Trauzeuge, wie es vorgesehen war, fungieren konnte. Für ihn war Paolo Franchetti eingesprungen.

Und weil man dann auch zu berichten wußte, daß dieser blendend aussehende Italiener als Partner von Melanie Reisner im gemischten Doppel am Tennisturnier teilnehmen würde, war auch Lonis Interesse am Hotel Waldhof erwacht.