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Angesichts der Tatsache, dass die Anzahl dokumentierter Stressfolgeerscheinungen stetig im Wachsen begriffen ist, stellt sich die Frage nach Kompensationsstrategien, die der Notwendigkeit von Psycho- und Pharmakotherapie vorbeugen. Entspannungsverfahren haben sich in der Vergangenheit als wirksamer Bestandteil solcher Strategien erwiesen. Durch ihre Anwendung kann eine Entspannungsreaktion induziert werden, welche das physiologische Gegenstück der Stressreaktion darstellt. Gerd Schnack hat in 2012 ein Verfahren vorgeschlagen, welches die zentrale Rolle des Nervus vagus innerhalb dieses Geschehens betont, und die Stimulation vagaler Aktivität beabsichtigt. Ziel dieser Studie war es, die Wirksamkeit der Vagusmeditation nach Schnack zu evaluieren. Hierzu wurde sie anhand psychologischer und physiologischer Messergebnisse mit der Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson verglichen. Im Ergebnis wurden durch beide Verfahren signifikante Mittelwertsänderungen erzielt, die Effektstärke der Vagusmeditation war jedoch durchgehend ausgeprägter.
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Seitenzahl: 97
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Für Manuel
Abstract
Hintergrund des Forschungsinteresses
Zur Stressreaktion
Das Allgemeine Adaptations-Syndrom nach Hans Selye
Das Transaktionale Modell nach Richard S. Lazarus
Zusammenfassung
Zur Entspannungsreaktion
Psychologische Charakteristika einer Entspannungsreaktion
Emotionale Aspekte
arousal und Aufmerksamkeit
Modulation der Wahrnehmung
Zusammenfassung
Physiologische Charakteristika einer Entspannungsreaktion
Neuromuskuläre Veränderungen – EMG
Veränderungen der elektrodermalen Aktivität – GSR
Veränderungen der Durchblutung – periphere Körpertemperatur
Veränderungen von Herztätigkeit und Blutdruck – EKG und RR
Veränderungen der Atmung – Atemfrequenz und -volumen
Veränderungen der kortikalen Aktivität – EEG, MEG, fMRI etc.
Rolle des Autonomen Nervensystems
Entspannungsverfahren
Autogenes Training
Biofeedback
Die Progressive Muskelrelaxation nach Edmund Jacobson
Die „Vagusmeditation“ nach Gerd Schnack
Untersuchung von Entspannungsverfahren
Psychologische Maße
Physiologische Maße
Erfassung hirnelektrischer Aktivität mittels Elektroenzephalographie
Entstehung des aufzuzeichnenden Signals
Interpretation der α-Aktivität
Ableitung des EEG
Artefakte im EEG
Auswertung des EEG
Methode
Hypothesen
Variablen
Treatment – Auswahl der Techniken
Design
Stichprobe
Versuchsablauf
Auswertung
Datenaufbereitung
Statistische Prämissen
Ergebnisse
α-Power bei geschlossenen Augen
α-Power-Vergleich zwischen Messungen mit geschlossenen und geöffneten Augen
Mittelwerte der FEW16-Gesamtskala
Mittelwerte der FEW16-Subskala „Innere Ruhe“
Überprüfung der Hypothesen
Diskussion
Fazit und Ausblick
Verzeichnisse
Literatur
Abbildungen
Abkürzungen
Anhang
Anhang
Danksagungen
Given the fact, that stress-related disorders have constantly risen in the last years, strategies are necessary, which prevent the need of psycho- or pharmacotherapy. In the past, it could be proven, that relaxation techniques are an effective component of such strategies. By its use, a relaxation response can be induced, which seems to be the physiological counterpart of stress response. Emphasizing the essential role of nervus vagus within this context, Gerd Schnack proposed a set of techniques to stimulate vagal activity. It was the purpose of this study, to evaluate this approach. Therefore, “Vagusmeditation” was compared to Progressive Relaxation by psychological and physiological measures. Both techniques delivered significant results, whereas “Vagusmeditation” had higher effect sizes constantly. In this context, especially the interpretation of some physiological parameters remains as a matter of discussion, whereby further investigation is potentially needed.
Angesichts der Tatsache, dass die Anzahl dokumentierter Stressfolgeerscheinungen stetig im Wachsen begriffen ist, stellt sich die Frage nach Kompensationsstrategien, die der Notwendigkeit von Psycho- und Pharmakotherapie vorbeugen. Entspannungsverfahren haben sich in der Vergangenheit als wirksamer Bestandteil solcher Strategien erwiesen. Durch ihre Anwendung kann eine Entspannungsreaktion induziert werden, die das physiologische Gegenstück zur Stressreaktion darstellt. Gerd Schnack hat in 2012 ein Verfahren vorgeschlagen, welches die zentrale Rolle des Nervus vagus innerhalb dieses Geschehens betont, und die Stimulation vagaler Aktivität beabsichtigt. Ziel dieser Studie war es, die Wirksamkeit der „Vagusmeditation“ nach Schnack zu evaluieren. Hierzu wurde sie anhand psychologischer und physiologischer Messergebnisse mit der Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson verglichen. Im Ergebnis wurden durch beide Verfahren signifikante Mittelwertsänderungen erzielt, die Effektstärke der Vagusmeditation war jedoch durchgehend ausgeprägter. Strittig bleibt in diesem Zusammenhang die Interpretation einiger physiologischer Parameter, wodurch gegebenenfalls weitere Untersuchungen notwendig sind.
Die vorliegende Untersuchung hat eine vergleichende Wirksamkeitsüberprüfung zweier Entspannungsverfahren zum Ziel.
Ein Blick in die psychologischen Nachschlagewerke zeigt, dass Entspannungsverfahren nahezu ausschließlich im Kontext therapeutischer Indikationen bzw. unter kurativen Gesichtspunkten behandelt werden (Caspar, 2009, S. 264 f; Fröhlich, 2010, S. 167 f; Kazdin, 2000, S. 28 f; Schrader, 2004, S. 73). Eine allgemeine Zunahme vorläufig nicht behandlungswürdiger Stressreaktionen (Techniker Krankenkasse, 2013, S. 8; Wissenschaftliches Institut der Ortskrankenkassen, 2011, S. 3) rückt jedoch verstärkt präventive Funktionen von Entspannungsverfahren in den Mittelpunkt.
In der Arbeitswelt dominieren gegenwärtig Präventionsstrategien, die darauf abzielen, durch organisationale Veränderungen die Konfrontation mit Stressoren für Mitarbeiter zu minimieren (Mainka-Riedel, 2013, S. 218 ff.; Riechert, 2015, S. 108 ff.; Rudow, 2014, S. 320 ff.). Auch im Privatleben können problemfokussierte Strategien zunächst hilfreich sein. Ist eine Konfrontation mit dem Stressor jedoch unausweichlich, sind Handlungsalternativen erforderlich. An dieser Stelle können Entspannungsverfahren zum Einsatz kommen. Ihre Aufgabe ist es, Stressreaktionen zu minimieren und den gesundheitlichen Folgen von anhaltendem Disstress vorzubeugen.
Die Implementation einer Entspannungsroutine in den beruflichen und privaten Alltag kann jedoch wesentlich von der Effizienz der eingesetzten Verfahren abhängig sein.
Die folgende Untersuchung geht daher der Frage nach, inwiefern die „Vagusmeditation“ nach Schnack einen Ansatz darstellt, der etablierten Verfahren diesbezüglich überlegen ist.
Einleitend wurde eine Verbindung zwischen der Anwendung von Entspannungsverfahren und einem Phänomen hergestellt, welches gemeinhin als „Stress“ bezeichnet wird. Zunächst sollen daher begriffliche Abgrenzungen und Grundlagen der Stressforschung eingeführt werden.
Dies ist umso wichtiger in Anbetracht der Tatsache, dass auch der Urheber des humanwissenschaftlichen Stressbegriffs, Hans Selye, bereits fünf Jahrzehnte nach seinen ersten Publikationen eine Rezeptionsgeschichte anerkennen musste, die weitgehend zur begrifflichen Einengung auf Phänomene des Disstress geführt hat (Selye, 1988, S. 61).
1936 postulierte Selye erstmals eine „unspezifische Reaktion des Körpers auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird“ (ebd., S. 58) und bezeichnete die Reaktion als „Stress“, die Anforderung als „Stressor“ (ebd., S. 57). Durch dieses Postulat wurde die unspezifische Stress-Reaktion als eigenständiges Phänomen herausgestellt, das nicht in Zusammenhang zu den vom jeweiligen Stressor ebenfalls zu erwartenden spezifischen Effekten steht (ebd., S. 59). Seine empirische Vorgeschichte soll zunächst näher beleuchtet werden.
Selye macht bereits während seines Medizinstudiums die Entdeckung, dass Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen ein stereotypes „Syndrom des Krankseins schlechthin“ (ebd., S. 67) aufweisen: unabhängig davon, ob ein Patient anämisch, infiziert oder von Krebs betroffen ist, kann Selye vergleichbare körperliche Reaktionen wie Appetit- und Gewichtsverlust, Einbuße der Muskelkraft, des allgemeinen Antriebs usw. dokumentieren.
Zehn Jahre später gelingt es ihm, ein experimentelles Gegenstück für seine Beobachtungen zu konstruieren. Er stellt fest, dass Versuchstiere auf unterschiedlichste Agenzien mit gleichartigen Organveränderungen reagieren. Unabhängig davon, ob es sich um experimentell vorgenommene Läsion, Intoxikation oder Infektion handelt, stellt sich eine Vergrößerung und übermäßige Tätigkeit der Nebennierenrinde, eine Atrophie der lymphatischen Organe und das Auftreten von Magen- und Darmgeschwüren ein (ebd., S. 69).
Selyes Annahme, dass es sich bei diesen Phänomenen um eine allgemeine „Stresstrias“ handelt, beruht jedoch nicht ausschließlich auf Beobachtungen an Labortieren. Ihm liegen die Berichte von Medizinern vor, die akut aufgetretene Magen-Darm-Geschwüre sowohl bei Patienten mit großflächigen Hautverbrennungen festgestellt hatten, als auch bei solchen, die unter postoperativen Infektionen litten (ebd., S. 76). Außerdem ist nach Selyes Kenntnis die Beobachtung einer „akzidentellen Thymusatrophie“ bei Krankheit bereits anerkannter Bestandteil der medizinischen Fachliteratur (ebd., S. 77). Er fasst seine Erkenntnisse daher als auf den Menschen verallgemeinerbar auf und stellt durch weitere Versuche fest, dass das Auftreten der Stresstrias in einem konstanten Ablauf erfolgt.
Diesen Ablauf schildert Selye in einer ersten Publikation als „A Syndrome produced by Diverse Nocuous Agents“ unter Bezugnahme auf detaillierte Zeitangaben (Selye, 1936, S. 32). Sie ermöglichen die Gruppierung der Symptome in drei grundlegende Stadien. Die folgende Abbildung veranschaulicht dies.
Abbildung 1: Stadien des Allgemeinen Adaptationssyndroms nach Selye (Heinrichs, Stächele & Domes, 2015, S. 23)
6 – 48 Stunden nach der Konfrontation mit einem Stressor zeigt der Organismus eine Fülle von Reaktionen, unter anderem die bereits erwähnte Atrophie von Thymus und lymphatischen Organen, sowie das Auftreten von Magen- und Darmgeschwüren. Selye wertet diese als „Alarmreaktionen“. Die allgemeine Widerstandskraft unterschreitet dabei vorübergehend ihr normales Niveau. Im Anschluss wächst sie rasch an. Endet die Konfrontation mit dem Stressor innerhalb dieses Zeitraums, sinkt sie wieder auf Normallevel (Selye, 1936, S. 32).
Hält die Konfrontation dagegen weiter an, folgt nach 48 Stunden eine Phase ausgeprägter Widerstandsfähigkeit gegen den Stressor. In diesem Stadium tritt der Thymus gemeinsam mit dem Nebennierenorgan in eine Hyperplasie über, die zu entsprechend vermehrter Sekretion von Thymuspeptiden, Glukokortikoiden und Katecholaminen führt, sowie der damit verbundenen Aktivierung und Immunisierung. Als Resultat bildet der Organismus im späteren Verlauf dieser Phase eine derartige Resistenz aus, dass sich die Organe in Erscheinung und Funktion wieder zurückbilden, während die Widerstandskraft erhalten bleibt (ebd.)
Nach 1 – 3 Monaten anhaltender Konfrontation mit dem Stressor verliert der Organismus jedoch seine Widerstandsfähigkeit und tritt in ein Stadium der Erschöpfung ein. Dessen Symptomatik ähnelt jener zu Beginn des Anpassungsprozesses, besteht aber fort, solang der Organismus dem Stressor weiter ausgesetzt ist. Ist dies ohne Unterbrechung der Fall, kommt als finales Resultat dieses Stadiums auch der Untergang des betroffenen Organismus in Betracht (ebd).
Neuere Erkenntnisse über die Aktivität von Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinden-Achse und Sympatho-Adrenomedullärem System bestätigen Selyes Vermutung, dass sich die geschilderten Phänomene in ähnlicher Weise auch beim Menschen einstellen: sobald sich der Organismus/die psychische Organisation einer kritischen Situation ausgesetzt sieht, regt der Hypothalamus die Hypophyse an, mehr des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) in den Blutkreislauf zu sezernieren. Durch ACTH wird die Nebennierenrinde ihrerseits stimuliert, höhere Mengen von Glukokortikoiden auszuschütten. Diese sorgen für die Freisetzung von Zucker und die Unterdrückung entzündlicher Prozesse (Brannon & Feist, 2007, S. 104 ff.). Ersteres dient der Bereitstellung von Energie, letzteres macht einen Zusammenhang mit der Atrophie von lymphatischem Gewebe im Frühstadium des Anpassungssyndroms ersichtlich.
Darüber hinaus kann der Hypothalamus direkt Einfluss auf die Sekretion von Adrenalin und Noradrenalin durch das Nebennierenmark nehmen (ebd.) Als exzitatorische Neurotransmitter erhöhen diese die Erregbarkeit von sympathischen Nervenfasern, welche daraufhin die physiologischen Phänomene der „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“ initiieren. Infolge erhöhter Herzschlag- und Atemfrequenz bei gleichzeitig verminderter Durchblutung der Peripherie, stellt sich dabei eine verbesserte Sauerstoff- und Nährstoffversorgung von Muskulatur und Gehirn ein (für nähere Ausführungen, siehe S. → f.). Im Zusammenspiel mit den durch die Kortikoidsekretion freigestellten Energiereserven ist auch beim Menschen eine allgemeine Mobilisierung und Erhöhung der Widerstandskraft das Resultat.
Der von Selye beschriebene Vorgang wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts als „Allgemeines Adaptations-Syndrom“ bzw. „Biologisches Stress-Syndrom“ bekannt. Es tritt seiner Auffassung nach in stärker oder schwächer ausgeprägter Form bei jeder Stressreaktion in Erscheinung (Selye, 1936, S. 32). Diese muss darüber hinaus nicht zwingend das Resultat einer kritischen Situation sein. Auch „eine Partie Schach oder gar eine leidenschaftliche Umarmung“ löst laut Selye die Stressreaktion aus (Selye, 1988, S. 62). Das nachfolgend abgebildete Erlebniskontinuum illustriert dies.
Abbildung 2: Beziehung zwischen Stressreaktion und Erlebnisspektrum
(adaptierte Reproduktion nach Selye, 1988, S. 63)
Selye zufolge tritt Stress als Eu- und Disstress sowohl infolge angenehmer als auch unangenehmer Erlebnisse auf. Am geringsten ist er ausgeprägt „wenn wir ganz ungerührt sind“ (ebd., S. 64). Er geht im lebenden Organismus jedoch nie gegen Null, da dieser sich in einem ständigen Anpassungsprozess befindet.
Genauere Vorhersagen lassen Selyes Entdeckungen indessen nicht zu. Bereits im Laufe seiner ärztlichen Tätigkeit stellte er fest, dass die Ausprägung des Anpassungssyndroms von Patient zu Patient auch dann variiert, wenn vergleichbare Stressoren vorliegen (ebd., S. 78 ff). Dementsprechend müssen Moderatoren existieren, die die Unterschiedlichkeit der Reaktionen auf einen identischen Stressor erklären. Selye schlägt als interne „konditionierende Faktoren“ Alter, Geschlecht, Erbanlagen etc. vor, als externe Faktoren berücksichtigt er Diät, pharmakotherapeutische Behandlung, hormonelle Therapie und ähnliches (ebd.).
Eine systematische Ursachenerforschung interindividueller Unterschiede der Stressreaktion erfolgte jedoch erst durch den Psychologen Richard S. Lazarus:
Mitte der 1960er Jahre setzt er der Diskussion um die unterschiedliche Wirkung vergleichbarer Stressoren gewissermaßen wieder „den Kopf auf“, indem er mit seinen Befunden die Rolle der menschlichen Kognition in kritischen Situationen hervorhebt.
Situationen dieser Art erzeugt Lazarus experimentell, indem er Probanden emotional belastendes Filmmaterial präsentiert. Während einer ersten Forschung sehen Versuchsteilnehmer einen Film über Genitalverstümmelung an Angehörigen eines indigenen Stammes. Parallel zur Darbietung werden Herzschlagrate und Hautleitfähigkeit der Teilnehmer als Indikatoren einer Stressreaktion registriert. In der Experimentalbedingung wird der Film außerdem von einem intellektualisierenden Kommentar begleitet, welcher emotionale Distanzierung vom Gesehenen ermöglichen soll. Unter anderem wird den Probanden erklärt, dass die dargebotenen Eingriffe kaum Schmerzen verursachen und Spätfolgen durch Infektionen oder ähnliches unwahrscheinlich sind. Im Resultat kann bei den Teilnehmern dieser Bedingung eine signifikant abgemilderte Stressreaktion festgestellt werden (Lazarus, Opton, Nomikos & Rankin, 1965, S. 622 ff.).