Verhaltensprobleme beim Hund - Dr. med. vet. Patricia Solms - E-Book

Verhaltensprobleme beim Hund E-Book

Dr. med. vet. Patricia Solms

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Beschreibung

Dieser übersichtliche und leicht verständliche Ratgeber gibt der TFA einen guten Überblick über die am häufigsten vorkommenden Problemverhaltensweisen beim Hund. Fünf renommierte verhaltenstherapeutisch tätige Tierärztinnen geben Tipps für die tägliche Praxis und schildern nachvollziehbare Therapieansätze für die Beratung von Patientenbesitzern. Das Buch ist problemorientiert aufgebaut, jede Verhaltensweise wird erklärt und durch eine Liste der einhergehenden typischen Auffälligkeiten ergänzt. Die TFA bekommt HIlfestellung für das Management von Verhaltensauffälligkeiten und nützliche Tipps zur Prävention. Fachbegriffe können jederzeit im Glossar nachgeschlagen werden. Hand-Outs für Patientenbesitzer stehen zusätzlich online zur Verfügung. Ein wertvoller Ratgeber zum Nachschlagen, den jede TFA gerne zur Hand nehmen wird.

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Patricia Solms (Hrsg.)

Verhaltensproblemebeim Hund

Patricia Solms (Hrsg.)

Verhaltensproblemebeim Hund

Von den Grundlagen bis zum Management

Mit Beiträgen von

Kerstin RöhrsBarbara SchneiderBarbara SchöningPatricia SolmsDaniela Zurr

Mit 102 Abbildungen und 7 Tabellen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

ISBN 978-3-89993-978-1 (print)ISBN 978-3-8426-8965-7 (PDF)ISBN 978-3-8426-9033-2 (epub)

Herausgeberin

Dr. med. vet. Patricia Solms (geb. Kaulfuß)Tierarztpraxis RheinalleeRheinallee 1955118 Mainztierarztpraxis-rheinallee@gmx.dewww.tierarztpraxis-rheinallee.de

© 2020 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte liegen beim Verlag.

Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt auch für jede Reproduktion von Teilen des Buches. Produkt- und Unternehmensbezeichnungen können markenrechtlich geschützt sein, ohne dass diese im Buch besonders gekennzeichnet sind. Die beschriebenen Eigenschaften und Wirkungsweisen der genannten pharmakologischen Präparate basieren auf den Erfahrungen der Autoren, die größte Sorgfalt darauf verwendet haben, dass alle therapeutischen Angaben dem Wissens- und Forschungsstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen. Ungeachtet dessen sind bei der Auswahl, Anwendung und Dosierung von Therapien, Medikamenten und anderen Produkten in jedem Fall die den Produkten beigefügten Informationen sowie Fachinformationen der Hersteller zu beachten; im Zweifelsfall ist ein geeigneter Spezialist zu konsultieren. Der Verlag und die Autoren übernehmen keine Haftung für Produkteigenschaften, Lieferhindernisse, fehlerhafte Anwendung oder bei eventuell auftretenden Unfällen und Schadensfällen. Jeder Benutzer ist zur sorgfältigen Prüfung der durchzuführenden Medikation verpflichtet. Für jede Medikation, Dosierung oder Applikation ist der Benutzer verantwortlich.

Projektleitung: Sabine Poppe, HannoverLektorat: Martina Kunze, EhringshausenGesamtherstellung: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, HannoverUmschlagabbildung:

Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort

 

1

Die Entwicklung von Hundewelpen

Patricia Solms

1.1

Allgemeine Einführung

1.2

Entwicklungsphasen des Hundewelpen

1.2.1

Pränatale Phase

1.2.2

Neonatale Phase

1.2.3

Übergangsphase

1.2.4

Sozialisations- und Juvenilphase

1.3

Entwicklung von Verhaltensstörungen

1.3.1

Entwicklung von Aggressionsverhalten

1.3.2

Entwicklung von Angstverhalten

1.3.3

Entwicklung von abnormal-repetitivem Verhalten

1.4

Präventionsmaßnahmen

1.4.1

Sozialisation und Habituation

1.4.2

Erziehungsmaßnahmen

1.4.3

Beschäftigung

2

Trainingsmethoden zur Verhaltensmodifikation

Barbara Schöning

2.1

Allgemeine Einführung

2.1.1

Training von Alternativverhalten

2.2

Lernen über Verknüpfung (Assoziation) und Konditionierung

2.3

Belohnung und Bestrafung in Theorie und Praxis

2.3.1

Shaping

2.3.2

Primäre und sekundäre Belohnung

2.4

Habituation

2.5

Desensibilisierung

2.6

Gegenkonditionierung

2.7

Flooding (Reizüberflutung)

2.8

Löschung (Extinktion)

2.9

Trainingsmantren

3

Problemverhalten

Barbara Schneider

3.1

Allgemeine Einführung

3.2

Spiel- und Jagdverhalten

3.2.1

Spielverhalten

3.2.2

Jagdverhalten

3.3

„Ungehorsamkeit“

3.3.1

Ziehen an der Leine

3.3.2

Anspringen

3.3.3

Stehlen

3.3.4

„Zerstörungswut“

3.4

Aufmerksamkeitsforderndes Verhalten

3.5

Vokalisation

3.5.1

Bellen

3.5.2

Bellstopphalsbänder

3.5.3

Andere Lautäußerungen

3.6

„Hyperaktivität“

4

Aggressionsverhalten

Kerstin Röhrs

4.1

Allgemeine Einführung

4.2

Ätiologie

4.3

Aggressionsverhalten und Lernen

4.4

Differenzialdiagnosen

4.5

Allgemeine Therapieansätze

4.5.1

Sofortmaßnahmen

4.5.2

Abklärung klinischer Ursachen bzw. deren Behandlung

4.5.3

Erläuterungen zur Ätiologie, Vermittlung von Grundlagenwissen

4.5.4

Regeln für das tägliche Miteinander

4.5.5

Verhaltenstherapeutische Techniken

4.5.6

Training erwünschten Alternativverhaltens

4.6

Aggressionsprobleme beim Hund

4.6.1

Angstaggression

4.6.2

Schmerzbedingte Aggression

4.6.3

Pathophysiologisches Aggressionsverhalten

4.6.4

Aggressionsverhalten im Zusammenhang mit Ressourcen

4.6.5

Statusbezogenes Aggressionsverhalten

4.6.6

Territoriales Aggressionsverhalten

4.6.7

Maternale Aggression

4.6.8

Aggressionsverhalten aus Frustration

4.6.9

Umgerichtetes Aggressionsverhalten

4.6.10

Aggressive Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Jagdverhalten

4.6.11

Aggressive Verhaltensweisen im Zusammenhang mit „Spiel“

4.6.12

Aggression gegenüber Artgenossen

4.6.13

Idiopathische Aggression

5

Angst, Furcht und Phobien

Patricia Solms und Barbara Schneider

5.1

Allgemeine Einführung

5.1.1

Das kleine Einmaleins der Grundbegriffe

5.1.2

Einfach ein Hasenfuß oder eine Panikattacke?

5.2

Ätiologie

5.2.1

Erkennen von Angstverhalten und Stress

5.3

Differenzialdiagnosen

5.4

Allgemeine Therapieansätze

5.4.1

Sozialisation und Habituation

5.4.2

Identifizierung und Vermeidung des Auslösers

5.4.3

Verhaltensmodifikationen und Trainingsmethoden

5.4.4

Ergänzende Therapien und Hilfsmittel

5.4.5

Einsatz von Psychopharmaka

5.5

Häufigste Angst-, Furcht- und Phobie-Problematiken beim Hund

5.5.1

Angstaggression

5.5.2

Angst vor Unbekanntem

5.5.3

Furcht vor anderen Tieren

5.5.4

Furcht vor Menschen

5.5.5

Lärmphobie

5.5.6

Trennungsangst/„Hyperattachment“

5.5.7

Generalisierte Angststörung

5.5.8

Störung ähnlich einer posttraumatischen Belastungsstörung

6

Abnormal-repetitives Verhalten

Patricia Solms

6.1

Allgemeine Einführung

6.2

Ätiologie

6.3

Differenzialdiagnosen

6.4

Allgemeine Therapieansätze

6.4.1

Bestrafung vermeiden

6.4.2

Vermeidung von ARV-auslösenden Situationen

6.4.3

Desensibilisierung und Gegenkonditionierung

6.4.4

Kanalisation des Verhaltens

6.4.5

Auslastung durch Beschäftigung

6.4.6

Unterbrechung des Verhaltens durch Alternativverhalten

6.4.7

Einsatz von Psychopharmaka

6.4.8

Ergänzende Therapien und Hilfsmittel

6.5

Beispiele von abnormal-repetitiven Verhaltensweisen beim Hund

6.5.1

Lokomotorische ARV

6.5.2

Halluzinatorische ARV

6.5.3

Automutilation/orales ARV

7

Verhaltensauffälligkeiten von Seniorhunden

Barbara Schöning

7.1

Allgemeine Einführung

7.2

Der Einfluss von gesundheitlichen Problemen auf das Verhalten

7.3

Kognitive Dysfunktion

7.3.1

Typische Symptome einer kognitiven Dysfunktion

7.4

Ruhelosigkeit

7.5

Unsauberkeit

7.6

Aggressionsprobleme

7.7

Training und Verhaltensmodifikation

7.8

Nahrungsergänzung und nutritive Therapie

8

Ergänzende Therapien und Hilfsmittel

Daniela Zurr

8.1

Allgemeine Einführung

8.2

Nahrungsergänzungsmittel

8.2.1

Aminosäuren und Eiweiße

8.2.2

Kombinationspräparate

8.3

Pheromone

8.3.1

Dog Appeasing Pheromone

8.4

Aromatherapie, Bachblüten, Homöopathie

8.5

Traditionelle Chinesische Medizin

8.6

Hilfsmittel (Thundershirt

®

, Anxiety Wrap

®

, Tellington-Körperband etc.)

8.6.1

Thundershirt

®

, Anxiety Wrap

®

8.6.2

Tellington-Körperband

8.7

Körpertherapien

8.7.1

Tellington TTouch

®

Methode

8.7.2

Basis-TTouch

8.7.3

Führtechniken und Lernparcours

8.7.4

Andere Körpertherapien

Anhang

Glossar

Autorinnen

Sachverzeichnis

Abbildungsnachweise

Vorwort

„Deutsch ist nicht des Hundes Muttersprache!“

Liebe Leserinnen und Leser,

Durch Bilder wie Lassie und Haschiko werden Vorstellungen geprägt, wie Hunde sein sollen. Doch nicht jeder Hund kann den Ansprüchen seines Besitzers gerecht werden, denn so unterschiedlich wie die Hunde selbst, sind auch deren Halter. Angefangen von „Helikopter-Besitzern“, die – nie ohne Leckerli-Beutel um die Hüfte – peinlich genau darauf achten, dass ihr Hund nicht als erster durch die Tür geht, bis hin zu Besitzern von „Handtaschen-Hunden“, deren Pfoten niemals den Boden berühren dürfen, da sie sich schmutzig machen könnten. Häufig denken Hundehalter, ihr Hund wüsste automatisch sofort, was die Kommandos bedeuten, z. B. was „aus“ heißt. Oft wurde dem Hund diese Vokabel nie richtig beigebracht und er kann gar nicht wissen, was das überhaupt heißt. Genauso könnte der Besitzer „Gurke“ sagen. Probleme sind so vorprogrammiert, was sich nicht zuletzt im Erfolg von Hundeflüsterern und selbsternannten Experten widerspiegelt. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass der Tierarzt oder deren Helferinnen immer wieder zu Rate gezogen werden, wenn Probleme auftauchen. Aus Erfahrung weiß ich, dass viele Tierärzte „zwischen Synkope und Epilepsie“ nicht die Zeit oder die Möglichkeit haben, sich im Detail mit Verhaltensproblemen auseinanderzusetzen und die Besitzer kompetent zu beraten. Daher fällt es nicht zuletzt in den Kompetenzbereich der TFA, dies zu übernehmen. Aber woher soll die TFA wissen, was zu tun ist, wenn der Hund z. B. an Silvester nicht mehr aus dem Badezimmer hervorkommen möchte? In meiner Kindheit wurden Hunde noch angebrüllt und auf den Rücken geworfen, in meiner Studienzeit nur noch mit ihnen geflüstert. Heute geht nichts mehr ohne Leckerli – und an Strafe darf man nicht einmal denken. Aber welcher Ansatz zur Verhaltensänderung ist der richtige? Literatur zur Hundeerziehung gibt es zuhauf. Der Erfolg meines ersten Buches „Verhaltensprobleme bei der Katze“ zeigt mir, dass der Bedarf, sich sachkundig über die Grundlagen von Problemverhalten zu informieren und Patientenbesitzer zumindest bei ersten Lösungsansätzen kompetent zu beraten, nach wie vor ungebrochen ist. Nicht nur TFAs, sondern Tierpfleger in Tierheimen, Betreiber von Tierpensionen, Betreuer/Pflegestellen aus dem Tierschutzbereich und Tierärzte können davon profitieren, damit ein harmonisches Zusammenleben von Tier und Mensch (wieder) möglich ist und Schäden auf beiden Seiten vermieden werden.

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Sabine Poppe von der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, welche mich dazu ermutigte, ein weiteres Buch auf dem Gebiet der Verhaltenskunde herauszubringen. Des Weiteren wäre dieser Ratgeber nicht ohne den unermüdlichen Einsatz der Autorinnen und unserer Lektorin Frau Martina Kunze entstanden. Des Weiteren möchte ich mich auch bei allen Vier- und Zweibeinern für die vielen schönen Fotoaufnahmen bedanken, sowie bei Frau Dr. Dorothea Döring, welche erneut ihre wunderschönen Zeichnungen zur Verfügung gestellt hat. Auch im Namen aller meiner Kollegen möchte ich mich bei den vielen „Helferinnen“ bedanken, ohne die wir Tierärzte so manches Mal „aufgeschmissen“ wären.

Mein letztes großes Dankeschön geht erneut an meinem Mann, welcher mit viel Geduld und Verständnis zur Realisierung dieses Projektes beigetragen hat. Ihm sei dieses Buch gewidmet.

Mainz, im Herbst 2019

Patricia Solms

1Die Entwicklung von Hundewelpen

Patricia Solms

1.1Allgemeine Einführung

Das Verhalten eines Hundes ist von genetischen und umweltbedingten Einflussfaktoren während der Entwicklung abhängig. Je nach Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelteinflüssen ergibt sich später ein unterschiedliches Verhalten. Der Hund hat eine hohe Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten Umweltbedingungen und sozialen Lebensformen. Zum Beispiel sind Straßenhunde in der Entwicklung anders geprägt als hochdotierte Zuchttiere, die wohlbehütet ggf. mit nur einer Bezugsperson oder gar im Zwinger aufwachsen. Da insbesondere Umwelteinflüsse während der frühen Entwicklung die Eigenschaften oder Erscheinungsmerkmale des Tieres wirksam beeinflussen, diese jedoch nicht notwendigerweise mit den später herrschenden Umweltbedingungen übereinstimmen, besteht die Gefahr von Fehlanpassungen. Zudem können nicht artgerechte Umweltbedingungen zu pathologischen Veränderungen führen. Davon sind besonders die in menschlicher Obhut lebenden Tiere betroffen, die oft künstlichen oder im Vergleich zu ihren wildlebenden Verwandten zumindest stark veränderten Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Zwar werden relativ wenige Hunde unter sehr restriktiven Haltungsbedingungen (Abb. 1-1) aufgezogen (z.B. Laborhunde), doch ebenso wenige wachsen entsprechend den wildlebenden Arten im natürlichen Rudelverband auf. Dennoch beruht das Verhalten des Hundes maßgeblich auch auf genetisch angelegten Prädispositionen. Das Ausmaß an Unterschieden im Erscheinungsbild (Phänotyp) genetisch identischer Tiere (Genotyp) als Ergebnis unterschiedlicher Umweltbedingungen wird als phänotypische Plastizität bezeichnet.

Abb. 1-1 Soziale Deprivation oder restriktive Haltungsbedingungen können die Gehirnentwicklung beim Hundewelpen negativ beeinflussen und zu Verhaltensstörungen bzw. Verhaltensproblemen führen.

Da Umwelteinflüsse, insbesondere während der frühen Entwicklung, großen Einfluss auf den erwachsenen Hund ausüben können, müssen die Mechanismen und Auswirkungen der phänotypischen Plastizität bei der Beschreibung der Verhaltensentwicklung von Hunden berücksichtigt werden. Es ist daher sehr wichtig, Besitzer darüber aufzuklären, dass Verhaltensweisen weder nur mit der Genetik noch ausschließlich mit den Umweltbedingungen zu erklären sind, sondern dass die Verhaltensentwicklung immer ein Zusammenspiel aus beiden Komponenten ist.

BEACHTE

Das Verhalten eines erwachsenen Hundes entwickelt sich zum einen aus den angeborenen genetischen Voraussetzungen, zum anderen aber auch aus den gegebenen Umweltbedingungen.

1.2Entwicklungsphasen des Hundewelpen

Geprägt durch bestimmte biologische Prozesse wird die Entwicklung von Hundewelpen meist in vier bis fünf Phasen unterteilt:

1.pränatale Phase

2.neonatale Phase

3.Übergangsphase

4.Sozialisations- bzw. Juvenilphase

1.2.1Pränatale Phase

Die Bedeutung der pränatalen Phase für die Verhaltensentwicklung wurde bei Hunden lange Zeit übersehen, obwohl Studien an Labornagern bereits in den fünfziger Jahren zeigten, dass wesentliche Aspekte des Verhaltens durch Umwelteinflüsse auf das Muttertier während der Trächtigkeit, aber auch durch das Geschlecht der Nachbarföten in der Gebärmutter, beeinflusst werden können. So sind z.B. Nachkommen von Müttern, die während der Trächtigkeit Stress ausgesetzt waren, im Erwachsenenalter ängstlicher und stressempfindlicher.

Aufgrund des unterentwickelten Zustandes des zentralen Nervensystems (ZNS) von Hundewelpen zum Zeitpunkt der Geburt ist nicht davon auszugehen, dass pränatale Einflüsse auf die Verhaltensentwicklung durch Lernen entstehen können. Vielmehr sind direkte hormonelle Einflüsse auf die Entwicklung des zentralen Nervensystems der Hundeföten in Betracht zu ziehen. Von Labornagern weiß man, dass der männliche Fötus kurz vor der Geburt Testosteron produziert. Dies ist ein Hormon, welches für typisch männliches Verhalten, wie z.B. Urinmarkieren, verantwortlich ist und zu einer Vermännlichung (Maskulinisierung) des Gehirns führen kann. Aber auch von weiblichen Föten abgesonderte Sexualhormone können benachbarte Föten in der Gebärmutter verweiblichen (feminisieren), was sich damit unter anderem auf die spätere Aggressionsbereitschaft der Männchen auswirken kann. Aufgrund der Analogien zu Säugetieren wäre beim Hund eine ähnliche Beeinflussung der Hormone auf Nachbarföten möglich. Angesichts der Häufigkeit von stress- und angstbedingten Verhaltensstörungen sowie Aggressionsstörungen bei Hunden (Kap. 1.3), verdienen daher die Haltungs- und Umweltbedingungen von Hündinnen während der Trächtigkeit in Zukunft eine erhöhte Aufmerksamkeit, auch das Züchten mit verhaltensauffälligen Tieren sollte vermieden werden.

1.2.2Neonatale Phase

Die neonatale Phase umfasst den Lebensabschnitt von der Geburt bis zum Öffnen der Augen 10–16 Tagen nach der Geburt. Das Verhalten von neonatalen Welpen wird hauptsächlich von Reflexen bestimmt, die unmittelbar der Bedarfsdeckung dienen. Im Vordergrund stehen hierbei neben Schlafen insbesondere Verhaltensweisen, die zu erfolgreichem Säugen und mütterlichem Pflegeverhalten führen. In dieser Phase sind die Welpen weitestgehend von der Hündin abhängig. Diese versorgt ihre Welpen mit Nahrung (Abb. 1-2), hält sie im Nest zusammen und sorgt dadurch für die nötige Nestwärme. Den Absatz von Kot und Urin der Welpen stimuliert die Hündin durch Lecken im Anogenitalbereich. Dabei nimmt sie die Exkremente auf und hält dadurch das Nest sauber.

Abb. 1-2 Hundewelpen sind sogenannte Nesthocker und damit in den ersten Lebenswochen von der Mutterhündin abhängig.

Abb. 1-3 Säugende Hündin

Säugen

Das Aufsuchen der Zitzen durch die Welpen erfolgt vorwiegend reflexbedingt und ist unabhängig von Hunger, Magenfüllung oder Nahrungserwerb (Abb. 1-3). Durch kräftige, mit den beiden Vordergliedmaßen abwechselnd ausgeführte Tret- und Knetbewegungen gegen das Gesäuge, den sogenannten Milchtritt, werden die Milchbildung und der Milcheinschuss zusätzlich gefördert. Saugen kann bei Welpen in diesem Alter jedoch leicht durch andere Reize als die Zitze ausgelöst werden. Ein gewisses Maß an umorientiertem Saugen (z.B. an Wurfgeschwistern) gehört deshalb zum natürlichen Verhalten von Welpen, tritt jedoch bei Frustration von ernährungsbedingtem Saugverhalten (z.B. bei Flaschenaufzucht) deutlich vermehrt auf und kann sich auch zu einer Verhaltensstörung entwickeln (Kap. 1.3).

Fortbewegung

Obwohl Hundewelpen zu den sogenannten Nesthockern gehören, sind sie von Geburt an in der Lage, sich fortzubewegen. Vom 1. bis 5. Tag verbleiben die Welpen noch im „funktionellen U“, dem Halbrund, das die liegende Hündin durch Rumpf und Gliedmaßen bildet. Ab dem 6. Lebenstag wird der Aktionsradius zunehmend auf die Wurfkiste ausgedehnt. Dabei tritt auch das sogenannte Suchpendeln auf, ein rhythmisches horizontales Pendeln mit dem Kopf. Suchpendeln zieht die Aufmerksamkeit der Hündin auf sich und veranlasst diese, die Welpen in Richtung Gesäuge zu stupsen oder sich anderweitig um diese zu kümmern. Suchpendeln tritt jedoch nur während der ersten 1–2 Lebenswochen auf. Ab der 2. Lebenswoche werden je nach Rasse bereits erste Steh- und Gehversuche unternommen.

Schlafverhalten

Die Welpen schlafen in dieser Phase fast ausschließlich in Seitenlage und in Körperkontakt mit der Hündin oder den Wurfgeschwistern (Abb. 1-4). Anfangs schlafen Welpen oft und kurz, mit der Zeit jedoch zunehmend seltener und länger. Die Gesamtdauer des Schlafes kann anfangs durchaus 16–20 Stunden betragen und geht dann kontinuierlich auf 12–14 Stunden beim erwachsenen Hund zurück.

Abb. 1-4 Welpen schlafen anfangs nur in Seitenlage und bis zu 20 Stunden am Tag.

Wahrnehmung

Welpen nehmen ihre Umwelt in dieser Phase hauptsächlich durch Berührung und über Geruch sowie Geschmack wahr. Obwohl sich das Nervensystem noch in der Entwicklung befindet, ist bereits einfaches Lernen möglich. So kann sich Stimulation mit Geräuschen oder Lichtimpulsen trotz geschlossener Gehörgänge und Augen positiv auf die Gehirnentwicklung auswirken und die Entwicklung des Welpen beschleunigen.

BEACHTE

Welpen, welche von Geburt an menschlichem Kontakt ausgesetzt waren, treten auch im späteren Leben freundlicher gegenüber Menschen auf.

1.2.3Übergangsphase

Die Übergangsphase beginnt mit dem Öffnen der Augen zwischen dem 10. und 16. Tag nach der Geburt und endet zwischen dem 12. und 23. Tag mit dem Öffnen der Gehörgänge. Sie ist verbunden mit verschiedenen Verhaltensänderungen, die den Übergang vom Neugeborenenverhalten zum Verhalten juveniler Welpen charakterisieren. Mit der Erweiterung des Sinnessystems wird auch der Aktionsradius ausgedehnt. Dies dient anfangs hauptsächlich dazu, Verunreinigung des Nestes durch Kot und Urin, welche mittlerweile ohne Stimulation durch die Hündin ausgeschieden werden, zu vermeiden. Später führen Exploration und Spielverhalten zunehmend zu einer Vergrößerung des Aktionsraumes.

Obwohl die Fähigkeit der Welpen zu lernen immer noch relativ gering ist, führt die visuelle und auditive Entwicklung zu einer Reaktionsfähigkeit auf Umweltreize, welche bereits für die Gewöhnung (Habituation) an verschiedene Umweltreize und somit für die gesunde neurologische Entwicklung des Welpen genutzt werden kann.

1.2.4Sozialisations- und Juvenilphase

Der Übergang von der Sozialisations- zur Juvenilphase ist weniger scharf als früher angenommen. Deshalb neigt man mehr und mehr dazu, diese beiden Phasen zusammenzufassen.

Die Sozialisationsphase beginnt im Alter von ca. 3–4 Wochen (Abb. 1-5) und geht im Alter von ca. 12–14 Wochen in die Juvenilphase über, welche mit dem Beginn der sexuellen Reife (Pubertät) sehr individuell zwischen fünf und 14 Monaten endet. In die Sozialisationsphase fällt ebenfalls die „sensitive Phase“ (auch „Prägephase“ oder „sensible Phase“ genannt). Dies bezeichnet eine Phase in der Entwicklung, in der bestimmte Verhaltensmuster oder Präferenzen leichter erworben werden als in anderen Phasen. Welpen entwickeln in dieser Zeit nicht nur ihre sozialen Bindungen zu Eltern, Wurfgeschwistern und anderen Rudelmitgliedern, sondern gehen auch besonders leicht artfremde Bindungen zu Menschen und anderen Tieren ein. Das soziale Spiel ist in dieser Phase von besonderer Wichtigkeit. Hierbei lernt der Welpe nicht nur den Umgang mit den Wurfgeschwistern zu kommunizieren und zu interagieren, sondern auch mit anderen Spezies. Darüber hinaus bilden Welpen in dieser Phase aber auch Präferenzen für spezifische Orte aus, was dafür spricht, dass die Bindung von Welpen an ihre Umgebung belebte und unbelebte Objekte mit einschließt. Die Sozialisation in dieser Phase ist allerdings nicht dauerhaft. Erst ab einem Alter von sechs bis acht Monaten bleiben Hunde auch nach längerer Kontaktlosigkeit zu Menschen mit diesen sozialisiert.

Abb. 1-5 Hundewelpe im Alter von vier Wochen (Sozialisationsphase).

Zusätzlich gibt es in der 8.–12. Lebenswoche innerhalb der Sozialisationsphase die Möglichkeit zur Ausbildung einer Angstperiode. Diese kann jedoch individuell erheblich variieren. Aufgrund der erhöhten Ängstlichkeit in dieser Zeit, sollten mögliche traumatische Erfahrungen weitgehend vermieden werden. Welpen mit einer genetischen Prädisposition für Angstverhalten (Kap. 5) können während dieser Zeit erhöhte Ängstlichkeit aufweisen, welche jedoch nach dieser Periode auch ohne schlechte Erfahrungen anhalten kann.

BEACHTE

Die Sozialisations- bzw. juvenile Phase ist mit der wichtigste Lebensabschnitt für die Entwicklung späterer Verhaltensweisen des erwachsenen Hundes.

1.3Entwicklung von Verhaltensstörungen

In der Literatur wird oftmals nicht klar unterschieden zwischen Verhaltensproblemen und Verhaltensstörungen. Aus ethologischer Sicht sind Verhaltensstörungen eine Teilmenge der Verhaltensprobleme. Verhaltensprobleme können auch artgemäßes Verhalten einschließen, das aus Sicht des Hundehalters unerwünscht ist (z.B. Ziehen an der Leine, Kap. 3). Des Weiteren können auch körperliche Probleme zu Verhaltensauffälligkeiten führen, welche somit jedoch lediglich das Symptom und nicht die Ursache einer Erkrankung darstellen (z.B. schmerzinduzierte Aggression, Kap. 4). Der Begriff Verhaltensstörung hingegen bezieht sich auf anhaltende Abweichungen des Verhaltens, welches Ausdruck einer psychischen Erkrankung darstellen kann.

1.3.1Entwicklung von Aggressionsverhalten

Aggression ist die mit Abstand am häufigsten beschriebene Kategorie von Verhaltensproblemen bei Hunden. Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, dass Aggression einen Teil des natürlichen Verhaltens von Hunden darstellt. Vom natürlichen Aggressionsverhalten (ggf. Verhaltensproblem) abzugrenzen sind Aggressionsstörungen (Verhaltensstörung) (Kap. 4). Die Ursachen für die Entwicklung von Aggressionsstörungen können vielfältig sein. Sie reichen von genetischen Ursachen über Krankheiten, traumatische Erfahrungen während der Entwicklung und mangelnde Sozialisation bis hin zu Fehlkonditionierungen durch die Hundehalter. Aber gerade Aggressionsverhalten kann im Zusammenleben mit Menschen und anderen Tieren im späteren Leben erhebliche Probleme verursachen.

BEACHTE

Der frühzeitige Kontakt mit anderen Tieren (nicht nur Hunden) und fremden Menschen hilft, späteren Verhaltensauffälligkeiten vorzubeugen.

Wildlebende bzw. nicht-domestizierte Caniden bilden innerhalb des Rudels stabile lineare Rangordnungen aus. Diese sind für das Rudel essenziell. Bei domestizierten Hunden scheinen allerdings die Bildung stabiler Rangordnungen und der Zusammenhang zwischen dem Verhalten in unvertrauten Situationen und dem sozialen Rang weniger stark ausgeprägt zu sein. Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung vieler Hundebesitzer ist eine statusbezogene Aggression (Kap. 4) gegenüber Familienmitgliedern (auch häufig als Dominanz bezeichnet) weitaus seltener zu finden, als angenommen. Nachgewiesen und unbestritten ist die Tatsache, dass soziale Deprivation (Abb. 1-1, S. 2) zu grundlegenden Störungen im Sozialverhalten (einschließlich Aggression) führen kann. Insbesondere betrifft dies die Sozialisationsphase, wenn die Regeln sozialer Interaktionen erworben werden und dies durch Deprivation während dieser Phase ausbleibt.

Abb. 1-6 Ein breites Angebot an unterschiedlichen Explorationsmöglichkeiten und der vielseitige Kontakt mit Mensch und Tier kann dazu beitragen, Verhaltensproblemen vorzubeugen.

Im Hinblick auf die möglichen Effekte von frühen Erfahrungen des Hundewelpen gilt bei Aggressionen ein möglichst breites Angebot an unterschiedlichen Explorationsmöglichkeiten, vielseitige Kontakte mit Mensch und Tier (Abb. 1-6) und ein liebevoll-konsequentes Durchsetzungsvermögen des Hundebesitzers (besonders zum Zeitpunkt der Pubertät des Tieres) als ein guter Ansatz, spätere Verhaltenskomplikationen zu vermeiden (Kap. 1.4, Kap. 2, Kap. 4). Ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Hund und Hundehalter ist ebenfalls von enormer Bedeutung und trägt besonders zu einer ausgeglichenen Entwicklung des Welpen bei.

1.3.2Entwicklung von Angstverhalten

Auch ängstliches Verhalten gehört zum normalen Verhaltensrepertoire eines Welpen und sichert in der Natur das Überleben des Individuums. Dem normalen Angstverhalten gegenüber steht die pathologische Angstreaktion. Dabei müssen die Begriffe Angst, Furcht und Phobie getrennt voneinander betrachtet werden (Kap. 5.1.1). Die Ursachen von pathologischem Angstverhalten sind vielfältig. Ängstlichkeit und Furchtsamkeit beruhen auf genetischen Dispositionen, sodass auch das Auftreten von krankhaften Ängsten und Phobien abhängig ist vom Genotyp. Angstverhalten ist aber auch von vorliegenden Umweltbedingungen, Erfahrungen und individuellen Unterschieden des jeweiligen Welpen abhängig. Auch körperliche Erkrankungen (z.B. anhaltende Schmerzen) können zu verstärktem Angstverhalten führen. So vielfältig wie die Ursachen, so vielfältig sind auch die möglichen Angstformen, die sich ausbilden können: z.B. Angst vor Menschen, anderen Tieren, Artgenossen, Geräuschen, bestimmten Orten, bestimmten Situationen oder Gegenständen und vor dem Alleinsein (Kap. 5). Häufig verstärkt der Hundehalter sogar unbeabsichtigt das Angstverhalten, indem er den Welpen tröstet und damit das Angstverhalten zusätzlich noch durch Aufmerksamkeit belohnt. Keinesfalls sollte jedoch das Angstverhalten auch noch bestraft werden. Neben solchen Fehlkonditionierungen können Angststörungen auch durch inkonsistentes Strafen, z.B. falsches Timing der Bestrafung, ausgelöst werden. Diese Art des Strafens bedeutet für die Hunde unvorhersehbare und unkontrollierbare aversive Erfahrungen, die die generelle Ängstlichkeit erhöhen, da die Hunde die Strafe nicht mit der verbotenen Tat in Verbindung bringen können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Welpe, nach der Rückkehr seines Besitzers für Unsauberkeit oder zerstörerisches Verhalten in der Wohnung bestraft wird, das heißt, das unerwünschte Verhalten schon längere Zeit zurückliegt (Kap. 3).

BEACHTE

Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit einer Situation sind bei Welpen entscheidende Faktoren für die Entstehung von Stress und können zu Angstverhalten sowie Anzeichen von klinischer Depression führen.

1.3.3Entwicklung von abnormal-repetitivem Verhalten

In der verhaltensmedizinischen Fachliteratur werden abnormal-repetitive Verhaltensweisen (ARV) auch als Stereotypien und/oder als Zwangsstörungen bezeichnet (Kap. 6). Bei Menschen und Nagern ist bekannt, dass die Entwicklung von Zwangsstörungen eine starke genetische Grundlage hat. Verschiedene Umwelteinflüsse stellen jedoch weitere Risikofaktoren dar, insbesondere traumatische soziale Erlebnisse während der frühen Entwicklungsphase sowie hormonelle Faktoren. Stereotypien hingegen entstehen hauptsächlich unter Bedingungen, welche das Ausüben von natürlichen Verhaltensweisen wiederholt oder permanent verhindern (z.B. Zwingerhaltung). Dabei entwickeln sich die Stereotypien aus den Reaktionen der Tiere auf Verhaltensfrustrationen. Gerade bei Welpen kann durch nicht artgerechte Umweltbedingungen (Abb. 1-1) oder fehlende Sozialisation die Gehirnentwicklung beeinträchtigt werden, was zu irreversiblen Veränderungen des zentralen Nervensystems (ZNS) und damit zur Ausbildung von ARV führen kann. Bei Hunden mit einer Veranlagung für ARV können auch medizinische Ursachen als Auslöser der Entwicklung von ARV wirken (Kap. 6).

1.4Präventionsmaßnahmen

Umwelteinflüsse und Erfahrungen, insbesondere während der frühen Entwicklung des Hundes, können sich nachhaltig auf das Verhalten des erwachsenen Hundes auswirken. Neonatales Handling (Anfassen, Streicheln oder Hochheben) oder milder Stress, z.B. wenn der Welpe für kurze Zeit (30 Sekunden) aus dem Nest entfernt wird, haben langfristige, positive Auswirkungen auf die Verhaltensentwicklung (Abb. 1-7). Die Welpen werden dadurch weniger stressempfindlich und weniger ängstlich. Sie zeigen sich explorationsfreudiger und sind selbstbewusster im Umgang mit Artgenossen oder Artfremden. Restriktive Haltungsbedingungen hingegen können sich negativ auf die sensorische Entwicklung des Welpen auswirken (Abb. 1-1, S. 2). Die Folgen sind ein reduziertes Lernvermögen und eine mangelnde Trainierbarkeit. Auch chronischer Stress, z.B. durch langanhaltende belastende Situationen, denen sich der Welpe nicht entziehen kann, kann die Verhaltensentwicklung des Welpen negativ beeinflussen. Daher ist das Wissen um die normale Verhaltensentwicklung eines Welpen enorm wichtig, um der Entwicklung von Verhaltensstörungen vorbeugen und vorhandene Probleme lösen zu können.

Abb. 1-7 Neonatales Handling (Anfassen, Streicheln oder Hochheben) hat langfristige, positive Auswirkungen auf die Verhaltensentwicklung des Hundewelpen.

BEACHTE

Die Erfahrung, die ein Welpe in seinen ersten Lebenswochen macht, prägen sein Verhalten oftmals ein Leben lang.

1.4.1Sozialisation und Habituation

Prä- und postnataler Stress sowie soziale Deprivation (Abb. 1-1, S. 2) in den ersten Lebenswochen können zu erhöhter Stressempfindlichkeit gegenüber neuen Reizen und Situationen führen. Die wichtigste Zeit zur Vorbeugung von Verhaltensstörungen ist jedoch die Sozialisationsphase (sensible/sensitive Phase). In dieser Zeit entwickeln Welpen nicht nur soziale Bindungen zu Eltern, Wurfgeschwistern und anderen Rudelmitgliedern, sondern gehen auch besonders leicht artfremde Bindungen zu Menschen und anderen Tieren ein. Phobien und generalisierte Ängste richten sich vorzugsweise auf Reize, denen die Hunde erstmals nach der 12. Lebenswoche ausgesetzt sind. Dies gilt auch für die generalisierte Angst vor Menschen. Eine solche kann bei Hunden entstehen, die während der Sozialisationsphase kaum oder keinen Kontakt zu Menschen hatten. Danach ist es nachweislich sehr viel schwieriger, die Welpen an unbekannte Spezies zu gewöhnen. Da in der Sozialisierungsphase auch eine Prägung auf Objekte (z.B. Staubsauger) der Umgebung stattfindet, können objektbezogene Ängste und Aggressionen am ehesten vermieden werden, wenn Welpen in dieser Zeit einem möglichst reichhaltigen Angebot an sozialen und unbelebten Reizen ausgesetzt werden (Abb. 1-8).

Abb. 1-8 Um Verhaltensprobleme zu vermeiden, sollten Welpen möglichst ein breites Spektrum an unterschiedlichen Gegenständen spielerisch kennenlernen (hier einen Staubsauger).

Bei der Sozialisierung an den Menschen sollte das Spektrum unterschiedlich große Personen, verschiedene Haut- bzw. Haarfarben und unterschiedliche Geschlechter sowie Altersgruppen umfassen. Gerade im Hinblick auf eine Bissprävention sollten Welpen mit Kindern unterschiedlichen Alters konfrontiert werden und im Gegenzug auch die Kinder im Umgang mit Hunden vertraut gemacht werden. Auch unterschiedliche Kleidung/Accessoires sollten berücksichtigt werden (z.B. Hüte, Brillen, Schirme, Mäntel, Gehhilfen etc.). Viele Mitmenschen sind Welpen gegenüber unvoreingenommener eingestellt als erwachsenen Hunden. Es ist also besonders sinnvoll, möglichst junge Hunde an unterschiedliche Orte oder Situationen zu gewöhnen (z.B. Fußgängerzone, Straßenbahn, Stadtpark etc.). Dies kann gleichzeitig auch eine gute Sozialisation an andere Tiere oder Artgenossen zur Folge haben, welche sich ebenfalls in Größe, Alter, Geschlecht, Farbe etc. voneinander unterscheiden (Abb. 1-9). Welpenschulen können dies zusätzlich unterstützen.

Abb. 1-9 Bei den verschiedenen Hunderassen gibt es im Aussehen enorme Unterschiede. Je vielfältiger das Kennenlernen anderer Hunde, desto besser die Sozialisation.

Als unbelebte Gewöhnungsobjekte eignen sich Gegenstände aller Art, mit denen die Welpen auch im Erwachsenenalter konfrontiert werden könnten, wie z.B. Staubsauger, Fernseher, Fahrräder, etc. (Abb. 1-8). Bevor ein Welpe in sein neues Zuhause gebracht wird, sollte er auch an das Autofahren gewöhnt werden (Abb. 1-10) und positive Erlebnisse mit der Autofahrt verbinden können (z.B. die Fahrt ins freie Feld, auf die Hundewiese etc.).

Unterschiedliche Geräusche spielen bei der Sozialisation des Welpen ebenfalls eine große Rolle. Daher sollte auch auf die Habituation an verschiedene Geräuschkulissen (z.B. Stadtverkehr, Feuerwerk, Gewitter etc.) gedacht werden.

Abb. 1-10 Das Autofahren ist für viele Hunde ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens. Wenn es mit etwas Positivem in Verbindung gebracht wird, ist die Fahrt im gesicherten Autoheck oftmals kein Problem.

Prinzipiell lernen Welpen einfacher durch positive Assoziationen als durch negative Erfahrungen. Die Sozialisation an die unterschiedlichen Umweltsituationen sollte immer sicher für den Welpen sein und ihm Vergnügen bereiten. Traumatische Erfahrungen sind zu vermeiden, da sie einen gegenteiligen Effekt bewirken.

BEACHTE

Das Training darf nicht übertrieben werden. Für einen kleinen Hundewelpen sind fünf Minuten Training oftmals schon genug.

1.4.2Erziehungsmaßnahmen

Ähnlich wie Kinder brauchen auch Welpen klare Regeln mit konsequenten und konsistenten Erziehungsmethoden. Eine gut ausgebildete Gehorsamkeit fördert die Bindung zwischen Hund und Halter und ist essenziell, um (auch späteren) Verhaltensproblemen vorzubeugen. Beherrscht der Hund einfache Kommandos wie „Sitz“, „Komm“, „Aus“ oder „Geh’ auf deinen Platz“ fällt es dem Hund leichter, sich in schwierigen Situationen adäquat zu verhalten (Kap. 3). Aber auch das Alleinbleiben will gelernt sein und muss demnach geübt werden (Infoblatt „Alleinbleiben muss gelernt werden“ Kap. 5.5.6).

Auf der anderen Seite machen es die Kommandos dem Halter einfacher, seinen Hund zu kontrollieren und damit Konfliktsituationen zu umgehen. Wenn z.B. ein Welpe niemals Warnsignale (Knurren, Zähnefletschen etc.) zeigen darf, weil er für dieses unerwünschte Verhalten vom Menschen bestraft wird, könnte er beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation direkt zubeißen, um einer nochmaligen Bestrafung für das Warnverhalten zu entgehen (gelernte Aggression,Kap. 4). Die bessere Möglichkeit wäre jedoch, dass der Halter die Situation entschärft, indem er ein Alternativverhalten seitens des Welpen einfordert, um die Eskalation zu vermeiden. Liegt z.B. ein Junghund auf dem Sofa und knurrt den Besitzer an, kann dieser Konflikt durch das Kommando „Geh’ auf Deinen Platz“ gelöst werden. Dafür muss der Welpe das Kommando aber auch verstanden haben und sicher beherrschen.

BEACHTE

Deutsch ist nicht des Hundes Muttersprache. Ein Welpe kann erst dann ein Kommando ausführen, wenn er vorher gelernt hat, was es bedeutet!

Als Faustregel gilt: Ein Hund hat ein Kommando dann verstanden, wenn er bei acht von zehn Malen das gewünschte Verhalten bei der ersten Aufforderung sicher ausführt.

Abb. 1-11 Der vorsichtige Umgang mit der menschlichen Hand (Beißhemmung) muss gelernt werden, um Verletzungen zu vermeiden.

Ein weiteres Beispiel ist die spielerische Aggression (Kap. 4