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Shaughnessy Bishop-Stall

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Beschreibung

Wer kennt das nicht: Nachts fällt man in seliger Trunkenheit ins Bett, doch statt eines friedlichen Morgens erwartet einen der existenzielle Horror. Der Kopf hat Denken durch Schmerz ersetzt, der Magen verweigert jegliche Nahrungsaufnahme. Seit wir Menschen den Verlockungen des Alkohols erlegen sind, plagt uns der Kater, und dennoch gibt es bis heute kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über ihn. Shaughnessy Bishop-Stall riskiert Leib und Leber im Kampf gegen diese Geißel der Menschheit: In England bezwingt er zehn Pints in zehn Pubs, in den österreichischen Alpen stellt er seine Trinkfestigkeit im Bierzelt unter Beweis. Denn natürlich muss man für einen kräftigen Kater sorgen, wenn man die regionstypischen Heilmittel auf die Probe stellen will. Und von diesen sind der Löffel Olivenöl und ein Kräuterheubad die konventionelleren Methoden. Aber er nimmt den Leser nicht nur mit auf einen Flug im Kampfjet über der Wüste von Las Vegas, um seinem Kater den Garaus zu machen. Er beleuchtet auch Geschichte und Kultur des Katers, von den alten Griechen über die Kreuzritter und die Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bis hin zu Hemingway oder in die Popkultur.

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Seitenzahl: 507

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»DASWOHLWICHTIGSTE EXPERIMENTDER NEUZEIT«

Huffington Post

Seit wir Menschen den Verlockungen des Alkohols erlegen sind, plagt uns der Kater, und dennoch gibt es bis heute kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über ihn.

Shaughnessy Bishop-Stall stürzt sich unerschrocken in die Feldforschung, um dieses Versäumnis aufzuarbeiten: In England bezwingt er zahlreiche Pints in zehn Pubs – oder waren es zwölf? –, in den österreichischen Alpen stellt er seine Trinkfestigkeit im Bierzelt unter Beweis. Denn natürlich muss man für einen kräftigen Kater sorgen, wenn man die regionalen Heilmittel auf die Probe stellen will. Und von diesen sind der Löffel Olivenöl und ein Kräuter-Heubad die konventionelleren Methoden. Er schreckt sogar vor einem Flug im Kampfjet über der Wüste von Las Vegas nicht zurück, um seinem Kater den Garaus zu machen.

Bishop-Stall schaut ebenso tief in die Kulturgeschichte des Katers wie in die Gläser, die sich ihm auf seiner Reise in den Weg stellen.

»HUMORVOLLUNDLIEBENSWERTERKUNDET BISHOP-STALLDIE GESCHICHTEUND BEHANDLUNGDES KATERS.«

Publishers Weekly

© Mark Raynes Roberts

Shaughnessy Bishop-Stall lebt als Journalist und Autor in Toronto. Seine Beiträge und Bücher waren für einige sehr renommierte Preise nominiert, haben aber keinen einzigen davon gewonnen, und die meisten Magazine, für die er regelmäßig schrieb, haben dicht gemacht. Einmal versuchte er sich als Schauspieler, in der Serie The Newsroom, die prompt nach einer Staffel abgesetzt wurde. The Lowdown, seine Bar, hat für immer geschlossen.

Stephan Kleiner lebt als literarischer Übersetzer in München. Er übertrug u.a. Geoff Dyer, Michel Houellebecq, Tao Lin und Hanya Yanagihara ins Deutsche.

SHAUGHNESSY BISHOP-STALL

VERKATERT

Der Morgen danach. Ein Mann auf der Suche nach dem ultimativen Heilmittel

Aus dem Englischen von Stephan Kleiner

Die kanadische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

›Hungover. The Morning After and One Man’s Quest for a Cure‹ bei Harper Avenue, ein Imprint von HarperCollins Publishers Ltd., Toronto 2018.

© Shaughnessy Bishop-Stall, 2018

eBook 2019

© 2019 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Birgit Haermeyer, nach einer Vorlage von HarperCollins

Übersetzung: Stephan Kleiner

Lektorat: Jochen Veit

Satz: Fagott, Ffm

eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN eBook 978-3-8321-8483-4

www.dumont-buchverlag.de

WARNUNG:

Spoiler, Triggerwarnung und Offenlegung des Autors:

Für die Fertigstellung dieses Buches habe ich über ein halbes Jahrzehnt gebraucht. Und während ich das hier schreibe, bin ich noch am Leben. Das ist der Spoiler.

Was die Offenlegung betrifft: In den letzten Jahren habe ich zu viele Städte in zu vielen Ländern besucht und zu viel von allem getrunken – in Gesellschaft von Barkeepern, Geschäftsleuten, Brauern, Winzern, Alkis, Schnapsbrennern und Schnapsleichen, Ärzten und Druiden und Leuten, mit denen ich wohl besser nicht hätte trinken sollen. Ich habe alle Tinkturen, Elixiere, Pulver, Pillen, Placebos, Wurzeln, Blätter, Rinden, alle chemischen und therapeutischen Prozesse ausprobiert, die ich auf legale Weise testen konnte – und noch ein paar andere. Und auch wenn sich alles hier Niedergeschriebene tatsächlich so ereignet hat und ich beim Überprüfen der Fakten mein Bestes gegeben habe, ist die Abfolge, in der die Ereignisse hier geschildert werden, nicht immer streng chronologisch. Doch so sehr ich mich auch abgemüht habe – der Morgen danach folgte unvermeidlich auf den Abend davor.

Zudem war das Thema weit ergiebiger, als ich mir anfangs ausgemalt hatte. Entgegen meiner ursprünglichen Absicht eines globalen Projekts spielt die Erzählung daher größtenteils im sogenannten Westen. Sollte es jemals zu einer Fortsetzung kommen, hoffe ich, weiter nach Russland, Asien und Afrika und nach Süden, beispielsweise Südamerika, vorzudringen.

Und schließlich sind, seit ich mit der ganzen Sache angefangen habe, Triggerwarnungen in Mode gekommen, also seien Sie sich bitte über Folgendes im Klaren: Sollten Sie Anstoß an Geschichten oder Abhandlungen über exzessiven Alkoholkonsum, unglückselige Ausschweifungen, die Schwierigkeit, Geist, Körper und Seele beisammenzuhalten, und die Tücken von Experimenten am eigenen Leib nehmen, dann ist dieses Buch vermutlich nicht das richtige für Sie. Zudem beginnt es – darin seinem Gegenstand wohl angemessen – eher feucht-fröhlich, albert ein wenig herum, gerät dann ins Dozieren und schlägt ein paar überraschende Kapriolen, um schließlich geradezu tiefsinnig zu werden.

EINLEITUNG

Ein paar Worte über ein paar Worte

Jede Geschichte, die einen Titel hat, beginnt auch mit dem Titel. Verkatert ist ein Adjektiv, das vom Substantiv Kater abgeleitet ist und nicht mit betrunken verwechselt werden darf – ein Unterschied, der in Richard Linklaters School of Rock schön erklärt wird:

Dewey Finn (Jack Black): Also, hört zu, ich hab nen dicken Kopf. Wer weiß, was das bedeutet?

Kind: Dass Sie betrunken sind?

Dewey Finn: Nein. Es bedeutet, ich war gestern betrunken.

Oder wie Clement Freud, Sigmunds Enkel, es ausdrückt: »›Betrunken‹ bist du, wenn du viel getrunken hast. ›Verkatert‹ bist du, wenn ein Teil von dir nüchtern genug ist, um zu merken, wie betrunken der Rest ist.«

Menschen betrinken sich seit Anbeginn der Zeit. Vom Bronzezeitalter über das Eisenzeitalter bis hin zum Zeitalter des Jazz wurden Reiche gestürzt, Kriege geführt, Zivilisationen versklavt – alles wegen des Brummschädels. Doch liest man, was dazu geschrieben steht, dann bekommt man am häufigsten zu lesen, »wie wenig darüber geschrieben wurde«. Sei es der volltrunkene Beowulf, die alkoholgeschwängerte Ilias oder tausendundeine durchzechte Nacht – wie Barbara Holland in TheJoy of Drinking schreibt: »In keinem der Berichte über die herkulischen Gelage von einst findet der Kater Erwähnung, und unsere Ahnen hatten nicht einmal einen Begriff dafür.«

In seinem gewaltigen Kompendium von Texten über das Trinken mit dem passenden Titel The Booze Book schickt Ralph Schoenstein Kingsley Amis’ Essay On Hangovers zwei knappe Zeilen voraus: »Es gibt nicht viel Literatur über den Kater. Tatsächlich ist dieser Essay alles, was ich dazu finden konnte.«

Es scheint fast, als hätte der Kater nicht existiert, bis es das schicksalhafte Wort gab, das ihn bezeichnete. Oder als wäre er so allgegenwärtig gewesen, dass es sinnlos erschien, über ihn zu schreiben, so als würde man bei jeder Äußerung einer literarischen Figur dazuschreiben, dass sie atmet. Aber nicht nur die Dichter und Historiker haben den Kater, aus welchem Grund auch immer, mit Nichtbeachtung gestraft, sondern auch die Profis in den weißen Kitteln.

Obwohl der Kater eine der meistverbreiteten und komplexesten Erkrankungen ist, die wir heute kennen, werden von staatlicher Seite fast keine Mittel für seine Erforschung und Bekämpfung bereitgestellt. Begründet wird das damit, dass er ein Leiden sei, für das der Leidende selbst die Verantwortung trage. Das mag zwar stimmen, aber man sollte doch meinen, dass die medizinischen Experten im Laufe der letzten Jahrtausende selbst oft genug lallend von ihrem hohen Ross gefallen sein sollten, um sich der Sache versuchsweise einmal anzunehmen. Aber bis heute gibt es weit mehr selbstständige Unternehmer als Ärzte, die sich damit auseinandersetzen – die Traubenkerne auspressen, Guaven schälen, Kaktusfeigen mulchen und dann alles in Flaschen abfüllen, welche die Regale von Gemischtwarenläden füllen und Registrierkassen umstellen wie hoffnungsfrohe kleine Soldaten. Und niemand weiß, wo das enden wird – ebenso wie die Suche, die wir vor uns haben.

Und damit kommen wir zum anderen Teil des Titels. Zwar bin ich offensichtlich – wohl oder übel – der eine Mann, aber das mit der Suche ist noch zu klären. Diese Suche wird einiges an ernsthaften, tiefgehenden Recherchen erforderlich machen; um zu verstehen, welche verschiedenen Mittel und Methoden es gibt, wird es vonnöten sein, mit sehr klugen Menschen zu reden, über wissenschaftlichen Studien zu brüten, aktuelle Daten zusammenzutragen, Chemie zu büffeln und so weiter. Vor allem aber wird angewandte Forschung notwendig sein – und das wird mit Sicherheit heikel werden.

Vom Flachland von Las Vegas und Amsterdam bis in die Höhen von Schottland und den Rocky Mountains; vom kanadischen Eisbärschwimmen zu den Schwimmbecken eines Spa-Resorts in den Alpen; vom ersten Katerforschungsinstitut der Welt zu einem Kater-Hostel auf dem Oktoberfest; von einer Voodoo-Kirche in New Orleans zur Londoner Praxis eines Arztes, der synthetischen Alkohol hergestellt haben will; von jenen, die nach einem Gegenmittel forschen, zu jenen, die behaupten, es schon gefunden zu haben – weder die Suche noch dieses Buch werden ganz abgeschlossen sein, ehe wir ein tatsächlich wirksames Heilmittel in den Händen haben.

Auf meinem Schreibtisch liegt neben einer leeren Flasche (hier bitte Markennamen des Sponsors einfügen) ein gigantischer Stapel kleiner Bücher, die meisten davon seltsam quadratisch und irgendwann im Laufe des letzten Jahrzehnts erschienen, darunter Hangover Cure, The Hangover Cure, Ultimate Hangover Cure, Cure for a Hangover, Cure Your Hangover, How to Cure a Hangover!, How to Stop a Headache and Cure a Hangover, Hangover Cures, Hangover Cures (Miracle Juices), Natural Cures for Hangovers, Real Hangover Cures, Hangover Cures for Hungover Heads, 10Ways to Quickly Cure a Hangover, The Hangover Handbook: 15Natural Cures, 40Cures for Hangovers, 50Hangover Cures, 50Ways to Cure a Hangover, 52Hangover Cures (52Ways), The Hangover Handbook: 101Cures for Humanity’s Oldest Malady!, The World’s Best Hangover Cures und A Little Book of Hangover Cures. Und doch bereichert, soweit ich sehen kann, nicht eines davon die Katerliteratur um irgendetwas Neues, geschweige denn um ein einziges tatsächliches Heilmittel.

Behandlungsmöglichkeiten vielleicht. Und lindernde Tinkturen, Muntermacher, Trinkstrategien, weise Worte und tausend Ave Marias, gewiss – aber ein echtes, wirkliches Heilmittel? Wenn es das gäbe, wäre ich jetzt schon bei der zweiten Flasche und würde ein völlig anderes Buch schreiben.

Ich will auf Folgendes hinaus: In Bezug auf den Kater wird der Begriff Heilmittel sowohl von Menschen als auch von Büchern äußerst leichtfertig verwendet. Ich werde daher versuchen, eine bestimmte Weisheit im Hinterkopf zu behalten, die in verschiedenen bedeutsamen Werken dem größten Katerschriftsteller aller Zeiten zugeschrieben wurde: Sir Kingsley Amis. Dennoch war bisher niemand in der Lage – weder sein offizieller Biograf noch sein Sohn, selbst ein namhafter Autor –, die Quelle dieses berühmten angeblichen Kingsley-Zitats zu benennen:

So wie die Suche nach Gott, mit der sie noch weitere Gemeinsamkeiten verbinden, wird die Suche nach dem unfehlbaren und unmittelbar wirksamen Katergegenmittel niemals abgeschlossen sein.

Ob das also von ihm ist oder nicht – das Ganze wird eine ziemliche Herausforderung. Aber versuchen wir’s, und schauen wir mal, worauf wir stoßen. Beziehungsweise anstoßen.

Willkommen zu deinem Kater

Du stürzt aus Träumen von Wüsten und Dämonen in einen halbbewussten Zustand hinein. Dein Mund ist voller Sand. Eine Stimme ruft dich von weither, wie von dieser verschwommenen Wüste aus. Sie fleht um Wasser. Du versuchst dich zu bewegen, aber du schaffst es nicht. Und jetzt schwillt der Ruf an, wird zu einem Kopfschmerz … einem Kopfschmerz … aber nein, o nein, das sind nicht einfach nur Kopfschmerzen – es ist etwas Schreckliches, das immer weiter anwächst. Es fühlt sich an, als würde dein Gehirn aufquellen und von innen gegen die Hirnschale drücken – die Augen werden aus den Höhlen gepresst. Mit zitternden Händen hältst du dir den Kopf, um zu verhindern, dass der Schädel aufbricht …

Doch in Wahrheit schwillt dein Gehirn gar nicht an; es schrumpft vielmehr stark. Während du schliefst, musste dein Körper, der Flüssigkeit verloren hat, von überallher Wasser ableiten, einschließlich dem Kilo gewundenen Fleisches, in dem dein verwirrter Geist sitzt. Während dein Gehirn also so fürchterlich schrumpft und sich zusammenzieht, zerrt es an den Häutchen, die es an deinem Schädel verankern, was dir diese Schmerzen verursacht, die in die tiefsten Fasern deines Ichs hineinziehen.

Alkohol wirkt harntreibend. Du hast gestern Nacht viel davon getrunken und deinen Körper so an der Aufnahme von Wasser gehindert. Und mit dem H2O haben ihn all die anderen Dinge verlassen – Elektrolyte, Kalium, Magnesium –, die deine Zellen (also dich) funktionieren lassen. Die unablässigen Rufe deines Gehirns haben daher eine Aussage: Du solltest schleunigst Wasser trinken!

Mit sisyphusartiger Anstrengung hebst du den Kopf. Der Raum beginnt sich zu drehen. Auch die Bar hat sich gestern Nacht gedreht und nicht auf so eine lustige Art wie eine Discokugel. Eher so, als wäre man in einem höllischen Karussell gefangen. Als du die Augen zugemacht hast, wurde es nur schlimmer – auf und ab, immer schneller auf dem herumwirbelnden Pony irgendeines Teufels.

Die Ursache dieses ganzen Gewirbels ist (abgesehen von dem getrunkenen Alkohol) ein Fisch, der vor 365Millionen Jahren an Land kroch und zum physiologischen Vorfahren alles tierischen Lebens einschließlich unseres eigenen wurde. Seine Flossen wurden zu Krallen, Klauen und Fingern. Seine Schuppen wurden zu Federn, Fell und Haut. Und sein Kieferknochen, der eine mysteriöse Flüssigkeit enthielt, älter als die Zeit, wurde zu deinem Innenohr, das heute mit mikroskopisch feinen, haarähnlichen Zellen ausgestattet ist, die die Bewegungen dieser Flüssigkeit messen und Informationen über Töne, die Neigung deines Kopfes und Beschleunigung an dein Gehirn weitergeben. Und daher dreht sich alles um dich herum. Es ist im Grunde wie Seekrankheit, nur eben an Land.

Alkohol ist wie ein Pirat. Er liebt das Abenteuer – sich eine Zeit lang mit dem Strom treiben lassen, dann auf einen Schlag das Steuer übernehmen und für Unruhe sorgen –, vor allem wenn er erst einmal dein Innenohr erreicht. Alkohol ist viel leichter als diese sonderbare uralte Flüssigkeit, die dein Gleichgewicht reguliert. Weil er sich nicht mit ihr vermischen, sich nicht mit ihr arrangieren kann, jagt er sie eben immer vor sich her, so lange, bis dein Gehirn glaubt, du würdest dich willenlos im Kreis drehen. Wenn das geschieht, versucht der Körper einen festen Punkt an einem imaginierten Horizont zu finden. Als du gestern Nacht die Augen zugemacht und gehofft hast, der Drehwurm werde aufhörten, sich zu drehen, sind deine Pupillen immer wieder nach rechts geschossen, im Versuch, einen festen Punkt zu fixieren, den es nicht gab.

Jetzt, am Morgen danach, hat der größte Teil des Alkohols deinen Körper verlassen; der Rest wird verbrannt und zersetzt und verflüchtigt sich durch deinen Blutkreislauf. Darum wird die Jagd in deinem Innenohr jetzt umgekehrt, und die Welt dreht sich in die andere Richtung – diesmal zucken deine Augen nach links. Das ist einer der Gründe, warum bei Polizeikontrollen in die Augen geleuchtet wird. Anhand der Richtung, in die sich deine Pupillen bewegen, können die Polizisten feststellen, ob du betrunken, verkatert oder hoffentlich nichts von beidem bist.

Nicht, dass dich das jetzt gerade interessieren würde; ein Drehwurm ist ein Drehwurm, und du willst, dass er aufhört. Sicher, du magst zu viel getrunken haben, aber für diesen Teil kannst du nun wirklich nichts. Es würde gar nicht passieren, wenn der blöde alte Fisch irgendeine andere Art von Flüssigkeit in sich gehabt hätte – oder einfach im Wasser geblieben wäre, wo er hingehörte. Gut, jetzt reagierst du etwas gereizt – sogar ein bisschen irrational. Das hat viel mit Erschöpfung und wiederansteigenden Wachmachern zu tun. Du hast vielleicht geschlafen, aber das war kein erholsamer Schlaf. Als die Sedierung verflogen war, hattest du keine Aussicht mehr darauf, die tiefen und zutiefst notwendigen Ebenen des Schlafs zu erreichen. Ebenso sehr wie auf Austrocknung ist ein Kater auf Erschöpfung zurückzuführen.

Obwohl der Ruf nach Wasser wie Donner hallt, lässt du dich daher wieder zurücksacken und hoffst, vielleicht, nur vielleicht wieder einschlafen zu können und zu träumen, statt die Wüste zu trinken. Aber als du diesmal die Augen schließt, wandert der Drehwurm nach unten. Und jetzt spürst du deine Eingeweide.

Irgendwann gestern Nacht hat der Alkohol, den du getrunken hast, die Magenschleimhaut durchbrochen; dabei haben sich die Zellen entzündet, und es wurde Salzsäure produziert – dasselbe Zeug, mit dem man Farbe abbeizt und Stein poliert. Zusätzlich zur Dehydration und Erschöpfung hast du jetzt also auch noch den Bauch voll Industriereiniger. Und die Zellen deines Magens sind nicht das Einzige, was brennt.

Auch deine übrigen Organe sind entzündet und schwellen an, bis sich das Gewebe um deine Nieren, deine Bauchspeicheldrüse, deine Leber und so weiter spannt und das Ausscheiden von Giften beziehungsweise die Aufnahme von Nährstoffen und Wasser behindert, selbst wenn du etwas davon hinunterkriegen würdest. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass nicht allein der Alkohol diesen Morgen so übel machen wird, sondern das, was dein Körper unternommen hat, um ihn zu bekämpfen.

Wenn es um die Zersetzung von Giften im Körper geht, ist deine Leber die Kommandozentrale. Um dem ganzen Alkohol zu Leibe zu rücken, schickt sie Kamikazetruppen los, die freie Radikale genannt werden. Wenn ihr Einsatz beendet ist, sollten sie eigentlich neutralisiert werden. Hast du aber immer weitergetrunken, sind stattdessen immer neue freie Radikale mobilisiert worden. Die Schlacht magst du also vielleicht gewonnen haben, doch jetzt streifen abtrünnige Mordbuben durch deinen Körper und zetteln an allen Ecken Streit an …

In einem verzweifelten Versuch, die Radikale im Zaum zu halten und das Kommando zurückzugewinnen, beginnt die Leber ein wenig durchzudrehen – was die Bildung von Acetaldehyd nach sich zieht. Auf diese Weise funktioniert auch eines der fiesesten Medikamente, die je hergestellt wurden. Antabuse wurde zur Behandlung schwerer Alkoholabhängigkeit entwickelt. Kommt es im Körper mit Alkohol in Berührung, führt das zu solch heftigen Kopfschmerzen und Erbrechen, dass selbst der heftigste Trinker vor dem nächsten Schluck zurückschreckt. Jahrzehntelang war das einzige Mittel gegen Alkoholismus also das Rezept für einen augenblicklich einsetzenden, lähmenden Kater – eine Ahnung dessen, worunter du jetzt leidest: Schmerzen und Übelkeit, bis dein Gehirn aufhört, an Wasser zu denken, und stattdessen um Gnade fleht.

Aber das ist natürlich alles rein körperlich; das Schlimmste kommt noch. Im Versuch, eine embryonale Haltung einzunehmen, rollst du über etwas hinweg. Es fühlt sich wie ein Fisch an, aber es ist deine Seele. Und deine schwammige, nachgiebige Seele stöhnt und lacht, als wärst du selbst an allem schuld. Was du natürlich auch bist.

Es kommt selten vor, dass sich Menschen bewusst selbst auf eine so schnelle Weise krank machen wie beim Konsum von Alkohol oder Drogen. Das ist ein Grund dafür, dass sich mit der Veränderung der physischen Auswirkungen das metaphysische Trauma ausbreitet. So wie die Qualität und Quantität des konsumierten Alkohols über die physischen Aspekte deines Katers entscheiden können, werden die metaphysischen oft von der Stimmung während des Konsums bestimmt. Darum fühlen sich der Ich habe einen Oscar/den Superbowl/die Lotterie gewonnen!-Kater und der Ich habe meinen Job/meine Freundin/1000Euro beim Blackjack verloren-Kater so unterschiedlich an. Dein Kater fällt in die zweite Kategorie. Und früher oder später werden der Schmerz und die Übelkeit eine willkommene Ablenkung von den Gedanken darstellen, die wie eine prähistorische Flüssigkeit oder verdammte Wüstendämonen durch deinen Kopf strudeln.

Du hast dein Potenzial verschwendet.

Und einen weiteren Tag deines Lebens.

Du wirst nie eine neue Freundin finden.

Wahrscheinlich hast du Leberkrebs.

Und wirst allein sterben.

Aber jetzt im Moment musst du einfach dringend kotzen.

Willkommen zu deinem Kater.

EINS

Was in Vegas passiert

In welchem unser Mann am Boden eine Menge trinkt, einen Rennwagen fährt, mit einer abgesägten Kalaschnikow schießt und in den Katerhimmel kommt. Mit Gastauftritten von Noah, Dionysos und einem Dreieinhalb-Kilo-Hamburger.

O daß wir einen bösen Feind in den Mund nehmen, damit er unser Gehirn stehle!

Das Glas ist hoch und gewunden. Die Oliven sind riesig und mit billigem, aber kräftigem Stilton gefüllt, der an dem Plastikschwert herabrinnt und eine gischtartige, schwimmende Schicht bildet. Aber noch verblüffender als der Drink ist, was ich hier überhaupt mache: mich möglichst rasch betrinken, um möglichst rasch wieder auszunüchtern, um Dinge zu tun, die man niemals verkatert tun sollte. Ich nehme einen großen Schluck.

Es sind nicht nur die offensichtlichen Zutaten – Junggesellenabschiede, Gratis-Alkohol und eine Blockbuster-Filmtrilogie –, die Las Vegas zur unangefochtenen Welthauptstadt des Katers machen, sondern eine weit komplexere Mischung aus Geografie, Biologie, Meteorologie, Psychologie, Popkultur-Philosophie und Alkoholverordnungen.

Von den leicht anzüglichen Witzen der Flugbegleiter beim Landeanflug über das allgegenwärtige Motto What happens in Vegas, stays in Vegas bis hin zum gefeierten Mythos seiner Gangster-Vergangenheit bekommt man bei der Ankunft in Las Vegas eine Regel mit auf den Weg, die bunt leuchtet wie eine um den Hals gelegte Blumenkette: »Die normalen Regeln gelten hier nicht!« Also schnappt sich die sonst so gediegene Konferenzteilnehmerin morgens um viertel nach zehn auf dem Weg zum Check-in-Schalter eines dieser riesigen fluoreszierenden Reagenzgläser voll Fusel. Den restlichen Tag hangelt man sich dann an einer Abfolge von Gratisgetränken entlang durch eine endlose Reihe von Räumen voller blinkender Lichter, künstlich hergestelltem Sauerstoff und Zigarettenrauch. Es ist schließlich Vegas. Die normalen Regeln gelten hier nicht … bloß deiner Leber hat das keiner gesagt.

Ich habe den Vegas-Effekt schon einige Male erlebt. Dennoch werde ich die quälende Sorge nicht los, dass ich, jetzt wo es wirklich drauf ankommt, vielleicht keinen Kater kriegen könnte. Und da kommen diese Bar und dieser komplizierte Martini ins Spiel. Ich trinke noch einen Schluck und versuche, mich zu konzentrieren.

Der Gedanke war, zwei Aufträge miteinander zu verbinden. So etwas tun freie Autoren häufiger. Natürlich ist es hilfreich, wenn es zwischen den beiden Geschichten irgendwelche Berührungspunkte gibt: beispielsweise ein kurzer Artikel über Digestifs für den Reader’s Digest, während man für das Bordmagazin von AeroFrance an einer Weintour teilnimmt. Aber was ich vorhabe, ist die Kombination aus Beschleunigungskraft und Brummschädel.

Ich bin wegen dieses Buchs in Las Vegas, aber auch im Auftrag einer Männerzeitschrift. Für das Buch recherchiere ich zu einem Ort namens Hangover Heaven, wozu gehört, dass ich mich immer wieder aufs Neue ausreichend betrinke, um den »weltweit führenden Katerarzt« auf den Prüfstand stellen zu können. Für die Männerzeitschrift werde ich in 1800Metern Höhe in einem Kampfjet einen Luftkampf simulieren, von einem dreihundert Meter hohen Gebäude springen, mit einer Seilrutsche einen Berg hinunterrasen, mit Maschinengewehren herumballern und einen Rennwagen fahren – alles Teil einer »Vegas Extrem«-Pressereise. Was kann da schon schiefgehen?

Aktuell bleiben mir noch zwölf Stunden, um mich zu betrinken, einen Kater zu bekommen und wieder auszunüchtern, bevor ich mit 240Stundenkilometern über eine kurvenreiche Rennstrecke fahre. Ich bin viel zu schlecht in Mathe, um zu beurteilen, ob das überhaupt möglich ist, aber ich denke, 90Milliliter Wodka und zwei mit Käse gefüllte Oliven sind ein guter Anfang. Ich schaue prüfend in meinen zur Neige gehenden Martini und versuche zu erkennen, ob er geschüttelt oder gerührt wurde. Eine vom British Medical Journal veröffentlichte Studie ist zu dem Schluss gekommen, dass ein geschüttelter Martini auf effizientere Weise Antioxidantien aktiviert und Wasserstoffperoxid deaktiviert als ein gerührter – wodurch ein Doppelnull-Agent offenbar das Risiko reduzieren könnte, an grauem Star, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einem Kater zu leiden.

Hinter mir ertönt ein schepperndes Geräusch, ein Klingeln und Pfeifen und dann Geschrei, als jemand einen Jackpot knackt. »Noch mal das Gleiche?«, fragt die Kellnerin.

»Ja«, sage ich, bitte aber darum, den Käse wegzulassen.

Ehrlich gesagt bin ich schon leicht verkatert. Aufgrund des frühen Abflugs in Toronto habe ich den Rausch von gestern Nacht noch nicht vollständig ausgeschlafen, und mein Magen bereitet mir Probleme, seit wir Nebraska überflogen haben. In einer halben Stunde treffe ich einige andere Journalisten und unseren Gastgeber zum Abendessen. Aber ich weiß nicht genau, wie feucht-fröhlich das Essen werden wird, und will den anderen nicht unbedingt meine verborgenen Motive zu erkennen geben. Irgendwann werde ich es wohl tun müssen; unser Terminplan ist so vollgestopft mit gefährlichen Aktionen, dass ich nicht weiß, ob ich ohne ihre Unterstützung jeden Tag so betrunken und dann wieder ausreichend nüchtern werden kann. Ich fühle mich schon jetzt ausgelaugt und als wäre mein halber Magen in Kanada geblieben. Auf diesem zweiten Martini lasten große Erwartungen.

Eine junge Frau mit einem Pillbox-Hut auf dem Kopf und einem Hängetablett voller nützlicher Kleinigkeiten um den Hals kommt vorbei. Ich kaufe ein Päckchen Camels, eine Rolle Säureblocker und ein Feuerzeug. Ich kaue die Tabletten, und als ich meine Zigarette angezündet habe, ist der Martini da. Ich trinke einen Schluck.

Dieser ist ausgezeichnet: ein bisschen rauchig, ein bisschen dreckig, hart und kalt. Und mit einem Mal geht es meinem Magen besser. Der Sauerstoff, der ins Casino gepumpt wird – damit die Leute immer weiter spielen und trinken und spielen –, kommt endlich in meiner Lunge an. Ich lege die Füße hoch, genieße die Stimmung und bestelle zur Sicherheit gleich noch einen.

Schön, wieder da zu sein.

Wie sich herausstellt, bezieht sich »Vegas Extrem« nicht nur aufs Autofahren, Fliegen und Irgendwo-Herunterstürzen, sondern auch aufs Essen und Trinken. Entsprechend werden die riesigen, aus Jakobsmuscheln und rohem Rindfleisch bestehenden Vorspeisenteller von einer Verkostauswahl an Single Malt Scotch begleitet – und es sind ganz schön große Kostproben.

Als Hauptgang gibt es fünf Arten Wild. Als ich nach einem Glas vollmundigem Rotwein frage, wird mir stattdessen eine Flasche gebracht. Während ich sie leere, erkläre ich meinen Tischgenossen, wie gut sich das alles fügt – dass ich tatsächlich betrunken werde! Ich fange an, Ihnen von meinem Buch zu erzählen … aber einer von den übrigen Presseleuten, ein Reisejournalist aus New York, will plötzlich nur noch über Unfallversicherungen reden – und darüber, ob wir am nächsten Morgen alle gleichzeitig auf der Rennstrecke sein werden.

Ich bin mir sicher, dass er mich dabei anschaut, und er gibt es auch unumwunden zu. Unser Gastgeber schlägt vor, das Dessert zu wählen. Es ist fast Mitternacht, und um neun sollen wir an der Strecke sein. Ich schaue auf die Uhr, versuche die Differenz auszurechnen und bestelle einen Grand Marnier.

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass Trinken und Glücksspiel zu den Dingen gehören, über die ich in meiner »Karriere« als Autor und Journalist am häufigsten geschrieben habe, was nahelegt, dass ich viel Zeit damit verbringe – in gewissen Kreisen zu gewissen Zeiten mag das gewiss als Problem betrachtet werden. Ich will damit nicht sagen, dass ich ein Problem mit dem Spielen oder auch nur mit dem Trinken hätte. Ich wollte es einfach nur erwähnen … zumal wir nun auf dem Weg vom Restaurant zu den Pokertischen sind, wo die Drinks nichts kosten.

Es ist nämlich so: Wenn man ein Buch über den gemeinen Kater schreibt und die Recherchekosten selbst trägt und man umsonst trinken kann (aber nur unter der Bedingung, dass man während des Trinkens spielt), nun ja, wäre es dann nicht aus finanzieller und professioneller Sicht fahrlässig, nicht zu spielen, zumindest ein kleines bisschen? Um diese größtenteils rhetorische Frage zu beantworten, führe ich eine kurze Kosten-Nutzen-Analyse durch, die ich dann mit meinem sehr pauschalen Verständnis von Wahrscheinlichkeitsrechnung engführe.

Dabei komme ich zu folgendem Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, am Pokertisch Geld zu verlieren, liegt irgendwo im oberen zweistelligen Bereich, wohingegen die Wahrscheinlichkeit, durch Alkoholkonsum am Pokertisch betrunkener zu werden, bei gediegenen 100Prozent liegt. Mir bleibt eindeutig keine andere Wahl, als Platz zu nehmen.

Gespielt wird Texas Hold’em mit zehn Dollar Einsatz. Eine Kellnerin kommt vorbei, und ich bestelle einen Whisky und ein Bier. Sie sagt, man könne immer nur je ein Getränk bestellen. Ich bestelle einen Whisky, gefolgt von einem Bier, und gebe ihr einen Zehn-Dollar-Chip als Vorabtrinkgeld. Der Geber klopft auf den Tisch.

Ich mache meinen Einsatz, lehne mich zurück, warte auf mein Blatt und versuche dabei meinen Betrunkenheitsgrad abzuschätzen, aber ich bin mir unsicher; ein Teil von mir fühlt sich besorgniserregend nüchtern. Abgesehen davon läuft alles bestens – die Kellnerin dreht ihre Runden, die Karten landen auf dem Filz …

DER MORGEN NACH ANBRUCH DER ZEIT

Der Kater ist älter als die Menschheit. Diese Annahme ist so sicher wie die Evolution – oder der Garten Eden, wenn Ihnen das lieber ist. Man lasse einfach einen Apfel lange genug an der richtigen Stelle hängen und schaue sich an, was danach mit den Vögeln und Bienen passiert. Von den Schlangen und Affen ganz zu schweigen. Seit Flora und Fauna existieren, existiert auch die Fermentation.

Wenn wir uns an die Evolution halten, sind unsere prähistorischen Vorfahren schon betrunken herumgetorkelt, als sie noch längst nicht aufrecht gehen konnten. Derlei Ausschweifungen mögen zu seltenen, festlichen Gelegenheiten stattgefunden haben oder manchmal vielleicht auch einfach schreckliche Unfälle gewesen sein – doch man darf annehmen, dass sich der erste Kater der Welt kurz nach dem ersten Alkoholrausch der Welt eingestellt hat. Da Alkohol dem geschriebenen Wort um mehrere tausend Jahre vorausgeht, konnten entsprechende Berichte jedoch nur mündlich überliefert werden. Und in den meisten Schöpfungsmythen waren es nicht die Tiere, sondern die Götter, die die tückischen Folgen der Fermentation als Erste zu spüren bekamen – und in der Folge den Beginn der menschlichen Geschichte beeinflussten.

In den afrikanischen Yoruba-Mythen langweilte sich der Gott Obatala eines Tages und begann, Menschen aus Lehm zu formen. Dann kriegte er Durst und trank Palmwein. Er wurde betrunken und richtete ein solches Durcheinander an – gestaltete einige seiner brandneuen Menschen mit deformierten Gliedmaßen und so weiter –, dass er am Morgen darauf in typischer Katermanier dem Alkohol auf ewig abschwor (was für einen Gott eine ziemlich lange Zeitspanne ist).

Enki, der sumerische Gott des Wassers, war eine in perfekter Weise unperfekte Verkörperung der Zwiespältigkeit des Alkohols. Der ziemlich fischige Genosse war ein Widerspruch auf zwei Beinen und zwei Flossen – der Gott der Weisheit und Erkenntnis, aber ein gedankenloser, trunkener Lustmolch. Als solcher versuchte er mit Inanna, der Göttin der geschlechtlichen Liebe und Fruchtbarkeit, Schindluder zu treiben, indem er sie zünftig abfüllte. Aber Inanna trank Enki unter den Tisch und brachte ihn dazu, ihr seine Schicksalstafeln auszuhändigen, mit deren Hilfe er sich die Sterblichen untertan machen wollte. Als er am nächsten Morgen seinen im Suff begangenen Fehler bemerkte, jagte er ihr nach; er rannte am Fluss entlang und kübelte sich dabei auf die eigenen Füße. Aber es war viel zu spät. Die Menschheit hatte den freien Willen und Enki einen Kater von Gottes Gnaden – inklusive ewig währender Reue.

Wie auch später im christlichen und jüdischen Glauben war der Baum der Erkenntnis gemäß der Überlieferung der Israeliten eigentlich eine heilige Rebe, und die verbotene Frucht bestand aus ein paar saftigen Trauben. Als Adam sie verzehrte, fühlte er sich erleuchtet und mächtig. Und dieser gottgleiche Rausch war es, der ihn in Ungnade fallen und in unserer niederen, fehlbaren Welt landen ließ: Sterblichkeit, entstanden aus dem ersten menschlichen Kater.

In der hebräischen Überlieferung schnitt Adam, als er aus dem Paradies verbannt wurde, rasch ein Stück der Rebe ab, die ihm zum Verhängnis geworden war. Und ebendiesen Ableger züchtete Noah dann auf Erden weiter – ein göttliches Geschenk, aber ohne das Wissen eines scheinbar allwissenden Gottes gegeben und angenommen.

Die meisten Wissenschaftler und Kreationisten sind sich einig darüber, dass die Erde vor zehntausend Jahren von einer großen Flut überschwemmt wurde – und auch darüber, dass der Weinbau kurz darauf entstand. In mehreren altüberlieferten Texten fällt das Ende der Sintflut unmittelbar mit dem Beginn der gottlosen Trunkenheit zusammen. Sei es Kezer im prähistorischen Sibirien, Deukalion (dessen Name buchstäblich »süßer Wein« bedeutet) aus der griechischen Mythologie, Uta-napišti im Gilgamesch-Epos oder Noah im Alten Testament – das Erste, was diese Überlebenden lernten, nachdem sie ihre Arche geparkt hatten, war, Alkohol herzustellen.

Und dann wurde es kompliziert.

Der Bibel zufolge betrank sich Noah nach seiner ersten Weinlese so heftig, dass er nackt auf dem Boden ausgestreckt einschlief. Als er erwachte und merkte, dass sein Sohn Ham ihn so gefunden hatte, wurde er wütend und bestrafte ihn. Das heißt, eigentlich bestrafte er Kanaan, einen von Hams Söhnen, den er mitsamt allen seinen Nachfahren zu ewiger Sklaverei verurteilte.

Gewiss steckte ursprünglich noch mehr hinter dieser Geschichte. Bibel-Exegeten haben lange spekuliert, was in dieser ersten trunkenen Nacht und dem Morgen danach wirklich passiert sein mag – und warum Noah, der all dies ausgelöst hatte, indem er sich so betrank, nicht Gottes Zorn zu spüren bekam. Noahs Verteidiger erklären es folgendermaßen: Als erster Mensch, der sich je betrunken hatte, konnte er gar nicht zur Rechenschaft gezogen werden – wie soll man einer Verführung schließlich aus dem Weg gehen, wenn man gar nicht weiß, dass sie existiert? Man stelle sich vor, der erste Mensch zu sein, der sich betrinkt und dann einen Kater bekommt.

Der große Kingsley Amis benennt seine oberste Katerregel wie folgt:

Mach dir klar, dass du einen Kater hast. Du wurdest von keiner Krankheit heimgesucht, du hast keine leichte Hirnverletzung erlitten, du bist nicht ausnehmend schlecht in deinem Job, deine Familie und deine Freunde haben sich nicht zu einem mühsam bewahrten Stillschweigen darüber verschworen, was für ein Dreckskerl du bist, du hast das Leben nicht endlich als das gesehen, was es tatsächlich ist.

Was aber, wenn man das nicht wüsste? Was, wenn man nicht die geringste Ahnung hätte, was da vor sich geht? Man würde glauben, man sei vergiftet worden und werde sterben, verrückt werden und zur Hölle fahren. Selbst wenn man weniger gestresst wäre als Noah, würde man wohl ein wenig durchdrehen. Und wer sagt überdies, dass Gott ihn nicht doch zur Verantwortung zog, so wie er auch Adam zur Verantwortung gezogen hatte? Vielleicht wurden die ursprünglichen biblischen Trinker ja doch bestraft, und zwar auf alttestamentarische Weise, also eben nicht nur mit dem ersten Kater der Geschichte, sondern mit einem Kater für die gesamte Menschheit – bis in alle Ewigkeit, Amen.

WAS IN VEGAS PASSIERT (AM MORGEN DANACH)

Ich schrecke hoch, als eine Art summendes Klingeln und kreischendes Piepen ertönt. Ich greife nach dem Telefon, haue auf den Radiowecker neben dem Bett und lasse mich in meine zugleich zusammengerollte und ausgestreckte Position zurückfallen.

Und dann dämmert es mir langsam wieder: Flug nach Vegas, Martini, Abendessen, Poker … dann wird es verschwommen. Ich öffne meine verkrusteten Augen und schaue mich um. Irgendetwas ist komisch … Meine Gedanken preschen vorwärts: einen Sportwagen fahren, zum Katerarzt gehen, anziehen – halt, andersrum.

Ich versuche, scharf zu sehen, aber da ist immer noch etwas … etwas an dem Zimmer ist merkwürdig: Es scheint größer zu sein. Und alle Möbel sind umgestellt. Ich steige aus dem Bett und mache den Schalter für die Jalousien ausfindig. Auf dem Weg hinke ich ein wenig. Als sie sich heben, mache ich einen Schritt zurück. Ich blicke auf eine riesige Achterbahn hinunter. Sie ist aus dem Nichts aufgetaucht. Unter mir – viel weiter unten als erwartet – rasen Gesichter vorbei, überschlagen sich.

Das. Ist. Nicht. Mein. Zimmer.

Ich drehe mich schnell um – aber ich bin allein. Und alle meine Sachen scheinen da zu sein (wenn auch nicht genau dort, wo ich sie hingelegt hatte). Vielleicht ist es doch mein Zimmer – nur doppelt so groß wie in meiner Erinnerung und weiter oben und auf der anderen Seite des Gebäudes … Ich habe einen sehr trockenen Mund.

Ich hole mir ein Glas Wasser aus dem riesenhaften Bad, trinke es mit großen Schlucken aus, fülle es auf und trinke wieder, diesmal etwas langsamer … und jetzt schießen mir die Erinnerungen in den Kopf. Kombinationen von Wörtern, Bildern und Menschen, allesamt Teil einer Art narrativen Synästhesie: Ewig-Lampe, Telefon-Wut, Rosa-Krawatte-Idiot, Barfuß-Sicherheitspersonal, Reinigungskraft-Rosalinda …

Geistige Aussetzer können natürlich auf ein gefährliches Maß an Alkoholkonsum oder ein neurologisches Problem hindeuten – und für manche können sie eine erschreckende Realität darstellen: einen klaffenden Abgrund des Unbekannten, in den der Kater hineintaumelt. Ich dagegen erinnere mich normalerweise an alles, auch wenn es manchmal etwas Zeit braucht – Zeit, die ich im Augenblick nicht habe.

Die Schlummerphase des Weckers endet mit einem Klingeln, und ich suche nach meiner Hose. Als ich sie anziehe, spüre ich einen stechenden Schmerz im rechten Fuß, doch dafür bleibt jetzt keine Zeit, ebenso wenig wie für dieses mysteriöse Hotelzimmer-Upgrade. Dem Inhalt meiner Hosentaschen nach zu urteilen (ein Klapp-Korkenzieher, ein kleiner Türknauf, ein kleiner Stapel vollgekritzelter Notizzettel, mehrere Geldautomaten-Quittungen und null Bargeld), habe ich es mir wahrscheinlich nicht zur Feier einer Siegessträhne gegönnt.

Ich humple aus dem Hotel und in ein wartendes Taxi. »Wohin?«, fragt der Fahrer.

»Spearmint Rhino.«

Er lacht. »Noch ein bisschen weiterfeiern?«

Das am äußersten Stadtrand gelegene Spearmint Rhino ist einer der berüchtigtsten Strip-Clubs von Las Vegas – an 365Tagen im Jahr durchgehend geöffnet, damit man jeden Tag mit einer Flasche Sekt und einem simplen Lapdance beginnen kann. Direkt gegenüber ist Hangover Heaven.

Das seit weniger als einem Jahr existierende Hangover Heaven rühmt sich, »die einzige Arztpraxis der Welt« zu sein, die sich »der Erforschung, Prävention und Behandlung des Katers widmet«.

Zu den Behandlungspaketen gehören die »Sonntagsschule« ($45), die »Erlösung« ($99), das »Seelenheil« ($159) und die »Glückseligkeit« ($199). Auf der Internetseite wird immer wieder beteuert, wie wichtig es ist, den Kater als ein tatsächliches medizinisches Leiden zu behandeln. Mit einem Klick gelangt man auf die Seite mit den Fan-Artikeln, wo man Baseball-Kappen, Schnapsgläser und T-Shirts mit der Aufschrift »Ich fühle mich wie Jesus am Ostermorgen« kaufen kann.

Vor mir liegt einer dieser einstöckigen Gewerbehöfe, die zumindest im Fernsehen meist Kopfgeldjäger und Motivations-Gurus beherbergen. Ich beginne mir die Katerbehandlung als eine angenehme Mischung aus beidem vorzustellen. Ich mache die Tür ausfindig und öffne sie.

»Wie geht es Ihnen heute?«, sagt die lächelnde junge Frau, die an einer handelsmessemäßigen Tresen-Schreibtisch-Kreuzung lehnt.

»Gut«, sage ich, aber dann besinne ich mich auf den Grund meines Hierseins. Sie soll nicht denken, ich würde die Sache nicht ernst nehmen: »Ich meine, in Anbetracht von … na ja …« Ich hebe die Hand zur allgemeingültigen Alkoholtrinkgeste. Trotz meiner verschwommenen Erinnerung und eines allgemeinen Katergefühls bin ich mir noch immer nicht sicher, ob ich genug getrunken habe, um dem Etablissement richtig auf den Zahn zu fühlen.

»Ich bin Sandy.« Sie greift nach einem Klemmbrett. »Sind Sie der Schriftsteller?«

»Ja, Ma’am«, sage ich. Die Anstrengung, angemessen professionell und zugleich verkatert zu wirken, bereitet mir allmählich Kopfschmerzen, was ich als gutes Zeichen werte.

»Keine Sorge«, sagte Sandy inmitten der Wüste. »Bald sind Sie wieder voll auf dem Damm.«

Hangover Heaven entstammt dem angeschwollenen Gehirn von Dr.Jason Burke, der nach eigenen Angaben »mehr Kater behandelt hat als irgendein anderer Arzt auf der Welt«, indem er seine Erfahrungen als postoperativer Anästhesist auf Post-Party-Probleme übertragen hat. Ich habe am Telefon mit ihm gesprochen. Sein North-Carolina-Dialekt stimmte mit seinem Foto so perfekt überein, dass ich bei der Vorstellung seines überirdisch blendenden Lächelns unwillkürlich die Augen zusammenkneifen musste. Aber die Begegnung von Angesicht zu Angesicht muss noch etwas warten. Wenn er heute zur Arbeit kommt, dürfte ich schon über eine Rennstrecke rasen.

Wie es der Zufall will, ist der Mann, der mich anstelle von Dr.Burke behandeln wird, nebenbei an genau dieser Rennstrecke als Rettungssanitäter tätig: »Ich sitze einfach herum und warte darauf, dass irgendwer verunglückt«, sagt er. »Oh, ich meine nicht Sie. Und machen Sie sich keine Sorgen – es verunglückt nie jemand.« Das erscheint mir alles höchst suspekt, und ich fühle mich unwohl.

»Also, wie fühlen Sie sich?«, sagt Sani Paul, während er mir einen riesigen Ledersitzsack herrichtet, einen von sechs in diesem weiß gestrichenen Raum.

»Unwohl.«

»Wie schlecht insgesamt, auf einer Skala von eins bis zehn?«

»Siebeneinhalb«, sage ich, aber das ist vielleicht ein bisschen übertrieben; ich habe Schuldgefühle, weil ich nicht verkatert genug bin.

»Was meinen Sie, wie sich die Beschleunigungskräfte auf ihren Kater auswirken werden?«, sagt Paul und hängt einen Infusionsbeutel auf.

»Das weiß ich nicht genau«, sage ich. »Aber ich werde ja gar keinen Kater haben, oder?«

»Das stimmt«, sagt er und klopft mit dem Finger auf die Innenseite meines Arms. »Machen Sie eine Faust.«

Nach Informationen von Hangover Heaven liegt die Erfolgsrate bei 98Prozent. Der Infusionsbeutel ist mit einem sogenannten Myers’schen Cocktail gefüllt. Er enthält Elektrolyte, Magnesium, Kalzium, Phosphat, Vitamin C und eine Handvoll B-Vitamine und soll die Flüssigkeitsaufnahme und Alkoholabsorption befördern. Paul fügt noch Zofran gegen Übelkeit, ein entzündungshemmendes Mittel namens Ketorolac und ein Steroid namens Dexamethason hinzu. Dann gibt er mir eine »Super B«-Spritze in die Schulter, die in den nächsten Tagen helfen soll, einen erneuten Kater zu verhindern. Außerdem werde ich noch zwei Pillenfläschchen mit Ergänzungsmitteln bekommen, von denen ich eines zum Mittag- und eines zum Abendessen nehmen soll.

Während Paul all das erklärt, bereitet sein Kollege Frank, ein ausgebildeter Krankenpfleger, die Sauerstoffflasche vor. Beide sind großgewachsene Kerle mit breiten Schädeln und sehr zuvorkommend. Genauso wie Sandy könnten sie auch in einem Nachtclub arbeiten.

Das ist natürlich typisch Vegas: einladend, stets zum Lachen aufgelegt und schnell mit massig Sauerstoff zur Hand.

Greg setzt mir die Maske auf. »Die behalten Sie eine halbe Stunde auf.«

»Wie wär’s mit einem Film?«, fragt Paul.

»Ach, schon gut«, sage ich und klinge dabei wie ein Astronaut in seinem Helm. Sie wirken enttäuscht; Paul war schon auf halbem Weg zu dem Großbildfernseher, eine DVD in der Hand. Ich sehe die Hülle und merke, dass das als unterhaltsamer Teil des Gesamterlebnisses angelegt ist – Hangover gucken, während der eigene Kater kuriert wird. Ich will niemanden enttäuschen, also deute ich mit einer Geste an, dass ich mich umentschieden habe.

Zufällig habe ich Hangover zum ersten Mal auf einer Vegas-Reise gesehen und mich dabei auch gegen einen Kater behandeln lassen. Aber das war ein richtiger Kater gewesen – einer von der Sorte, bei der du fast stirbst, Eidechsen aus deinen Augen trinken und dich deine Freundin, die Ärztin ist, in eine Wanne voll eiskaltem Wasser legen muss, um deine Körpertemperatur zu senken. Aber das ist eine von den Geschichten, die ich mir für das Kapitel über die schlimmsten Kater aller Zeiten aufhebe.

»Er läuft nicht!«, sagt Paul, reibt mit der DVD über seinen Kittel und versucht es noch einmal.

»Haben wir den nicht noch mal?«, sagt Greg.

»Die andere DVD hat einen Sprung.«

»Mist.«

Ich versichere ihnen, dass es mir nichts ausmacht; der Film sei gut, aber ich hätte ihn eben schon gesehen. Sie legen stattdessen Ted ein. An der Wand neben dem Großbildfernseher hängt ein Poster, auf dem der Hangover-Heaven-Bus durch die Wolken schwebt. deine gebete wurden erhört! steht darauf. Das Licht geht aus, und sie überlassen mich der Behandlung.

Etwa eine Stunde später treffe ich die anderen Journalisten im Besprechungsraum von Vegas Dream Racing – wo man gegen einen ausreichenden Betrag eines der schnellsten Autos der Welt fahren kann. Trotz der morgendlichen Behandlung fühle ich mich ein wenig wacklig auf den Beinen.

»Haben Sie das schon mal gemacht?«, fragt der Journalist aus Iowa – ein leicht onkelhaft wirkender Pressemann der alten Schule, der im Selbstverlag ein gut geschriebenes, angenehm witziges Selbsthilfebuch veröffentlicht hat, das man über seine Internetseite gegen eine freiwillige Spende beziehen kann. Es heißt Use All the Crayons und hat sich öfter verkauft als alles, was wir anderen hier zusammen geschrieben haben. Er ist in dem Maß selbstironisch und inspirierend, wie es der New Yorker Reiseschriftsteller nicht ist.

»Nein«, sage ich, »aber ich wollte es schon immer mal.« Ich erzähle ihm, dass ich einmal in dem kleinen italienischen Ort gelebt habe, in dem sämtliche Ferraris gebaut werden. »Man hörte sie den ganzen Tag lang über die Teststrecke rasen – so ein donnernder, grollender, brausender Dopplereffektklang. Es war großartig.«

»Cool!«, sagt er. »Ich habe ein bisschen Schiss. Aber auf eine irgendwie gute Art.«

Auf dem Weg zu den Simulatoren muss ich daran denken, dass ich mich um ein Haar selbst um diese Gelegenheit gebracht hätte. Natürlich tragen eine Unmenge an Faktoren zum Ausmaß eines Katers bei. Ich hatte mich mit Höhenunterschieden, verschiedenen Zeitzonen, Klimaveränderung, Drinks mit Käse, Whiskyverkostung, fünf Arten Wild, Poker, Zigaretten und heftigem Schlafmangel auseinandersetzen müssen. Selbst ich muss einsehen, dass das viel Vertrauen in einen Arzt erfordert, der nebenbei Schnapsgläser verkauft.

Der Simulator hat seine Tücken, und da ist immer noch dieser Schmerz in meinem Fuß, wie von einem Splitter. Komme ich von der Strecke ab, fängt der Sitz an zu vibrieren. Ich fahre gegen eine Wand, und das ganze Ding wackelt. Der Mann, der uns einweist, verspricht, die reale Version sei einfacher zu steuern. Aber die reale Version ist auch real: eine Bodenrakete mit einem einzigen Lenkrad und einem einzigen Bremspedal – und eine falsche Bewegung …

Nachdem ich alle Formulare ausgefüllt habe und in meinen Rennanzug gestiegen bin, wird mir ein bisschen übel. Ich gehe auf die Toilette, sehe mir meine Augen im Spiegel an und spritze mir Wasser ins Gesicht. Es pocht hinter meinen Schläfen, aber irgendwie fühlt sich der Schmerz weit genug entfernt an. Ich denke daran, was ich schon alles mit einem Kater gemacht habe. Das hier ist doch noch gar nichts, sage ich mir. Morgen kommen die Kampfflugzeuge und dann der Sprung aus der Stratosphäre. Und außerdem bist du behandelt worden, weißt du noch?

Ich nicke, nehme meinen Helm und gehe zu meinem Rennwagen.

Um mich in den engen Käfig des Fahrersitzes zu quetschen, muss ich mich so verrenken, dass es mir vorkommt, als würde ich zum ersten Mal in ein Auto steigen. So sehr ich mich auch vor einem Crash fürchte – noch mehr fürchte ich, ich könnte mich nicht trauen, so schnell zu fahren wie irgend möglich. Aber dann lasse ich den Motor an, und alles ist verflogen – zusammen mit den Katersymptomen. In der Limo zurück nach Vegas werden sie in zehnfacher Stärke zurückkehren, aber jetzt gerade spüre ich nichts als diesen Motor. Das Grollen klingt tief und mächtig und als ließe es sich nur mühsam im Zaum halten – als hätte man einen Drachen an der Leine und befände sich gleichzeitig in seinem Inneren.

Ich fahre auf die Strecke, nehme eine Kurve und dann noch eine; mein Gehirn versucht, mit meinem Körper Schritt zu halten, der mit meinem Wagen Schritt zu halten versucht, während nur ein Teil von mir dem Fahrlehrer auf dem Beifahrersitz zuhört. Ich weiß, was ich tun muss: Fuß von der Bremse lassen, vor der Kurve herunterschalten, dann Gas geben und hochschalten, hochschalten … aber ich versuche immer noch das Gefühl dafür zu bekommen. Dann kommen wir auf die erste Gerade.

Ich beschleunige immer weiter. Es ist ein unglaublicher Rausch. Und jetzt kommt die zweite Runde, dieselbe erste Kurve – mein Nichtkater ist verschwunden, und mit einem Mal begreife ich: Es ist wirklich einfacher als der Simulator. Es ist sogar einfacher, als ein normales Auto zu fahren. Du drehst das Lenkrad, und es tut genau, was du willst – man muss nicht gegensteuern, muss sich keine Gedanken machen, dass der Wagen hinten ausbrechen könnte, muss weder vor der Kurve bremsen noch danach korrigieren. Man vertraut ihm einfach und gebraucht ihn – wie die Macht bei Star Wars, nur mit offenen Augen.

So nehme ich die nächste Kurve: Ich halte fest und lasse gleichzeitig los. Und als ich aufs Gas trete, kommt es: das Donnergrollen. Es erfüllt alle fünf Sinne und durchspült mich wie eine reißende Adrenalinflut.

Ich beschleunige auf 260Stundenkilometer. Die Beschleunigungskraft fühlt sich an wie die Umarmung eines Geistes, zugleich innerhalb und außerhalb der Zeit. So gut habe ich mich seit Monaten nicht gefühlt.

»Ein Geist, der dich umarmt?«, sagt der junge freischaffende Journalist aus Kalifornien, als wir zum Mittagessen nach Vegas zurückfahren. »Klingt komisch.« Die Fahrübung ist längst vorbei, und jetzt sitzen wir in einer dieser riesigen Partylimousinen, aus den Lautsprechern dröhnt so eine Mariachi-Clubmusik, und ich sitze mit dem Rücken in Fahrtrichtung.

»Ein sehr starker Geist«, sage ich zur Klarstellung. Aber allmählich fühle ich mich in der Tat etwas komisch. Und dann dreht sich mir der Magen um, als ich begreife, dass das die denkbar schlechteste Position für mich ist – rücklings in einem sich bewegenden, dröhnenden Partymobil. Aber es ist zu spät. Und jetzt scheinen die getönten Scheiben auf mich zuzukommen, während meine Eingeweide zugleich von innen nach außen drücken. Ich lege die Arme um meinen Torso, schließe die Augen und versuche verzweifelt, mich mit der kreiselnden, knüppelnden Musik statt gegen sie zu bewegen.

Endlich kommen wir an einem Hotel an, und ich springe aus der Limo. Mister Iowa ruft den Namen der Bar, in der wir uns zum Mittagessen treffen sollen, und ich versuche eine »Alles gut«-Geste hinzubekommen. Aber es ist nicht alles gut. Es ist alles ziemlich bescheiden. Könnte ich klar denken, würde ich annehmen, dass die Beschleunigungskraft vielleicht der Katerbehandlung entgegengewirkt hat – oder dass es einfach keine gute Idee ist, in weniger als acht Stunden vom Betrunkenen zum Rennwagenfahrer zu werden, egal, was man in einen Infusionsbeutel packt oder wie viel Sauerstoff man sich in die Lunge pumpt. Aber ich kann nicht klar denken. Da ist nur dieser Verletzter-Dachs-Instinkt, der dich bloß noch daran denken lässt, die Veranda zu finden – die, unter die du dich zum Sterben zurückziehen kannst.

Ich mache stattdessen die Toiletten ausfindig und öffne das Pillendöschen mit der Aufschrift »Tag«, auf deren Etikett der Hangover-Heaven-Bus durch engelhafte Lichtstrahlen fährt. Darin liegen ein weicher, in Folie gehüllter Würfel und ein paar mit weiß Gott was gefüllte Kapseln. Später lese ich das Etikett »Taurin, 1000mg; Mariendistel, 220mg; Resveratrol, 500mg; Acai; N-Acetylcystein, 600mg« –, aber das macht mich auch nicht schlauer.

Ich schlucke alles und schlürfe Wasser aus dem Hahn. Dann bleibe ich noch ein wenig in einer der Kabinen sitzen und warte darauf, dass der Drehwurm aufhört. Wenn ich mich tatsächlich übergeben müsste, wäre jetzt der denkbar ungünstigste Zeitpunkt – nachdem ich diese ganzen Pillen voller Verzweiflung und Hoffnung geschluckt habe.

Mit halb geschlossenen Augen und halbwegs fest auf den Beinen mache ich die Bar ausfindig und setze mich zu den anderen an den Tisch. Der New Yorker Reiseguru schaut vorwurfsvoll zu mir herüber. Plötzlich habe ich das sonderbare Gefühl, auf die Hälfte meiner Größe geschrumpft zu sein. Ich mache die Augen zu und öffne sie wieder – aber er ist immer noch da: ein Hamburger, doppelt so groß wie mein Kopf.

»Hamburger extrem!«, sagt unser Gastgeber.

»Dreieinhalb Kilo«, sagt der Kalifornier. »Wenn du es schaffst, ihn in einer Stunde zu essen, ist er gratis!«

Ich will darauf hinweisen, dass alles gratis ist – wir sind bescheuerte Journalisten auf einer Bring-dich-um-egal-wie-Pressereise. Aber das könnte undankbar klingen. Und außerdem fürchte ich, statt Worten könnte Erbrochenes herauskommen.

Die Kellnerin beschreibt die unterschiedlichen Strategien, mit denen es bisher gelungen ist, den Hamburger zu essen und den Rekord zu brechen: zuerst die Gürkchen, den Senf ablecken, das Brötchen in Bier tunken, das Fleisch erst vorkauen und dann einen Löffel benutzen … und immer so weiter, bis mir nur noch die Flucht bleibt. Ich renne durch die Bar und aus einer Schiebetür hinaus ins Freie und sacke an der goldenen Statue eines Piraten hinunter. Aus diesem Blickwinkel sieht er wie Captain Morgan aus, der eigentlich eher ein Freibeuter als ein Pirat war und sich im Jahr 1688 zu Tode gesoffen hat. Während ich zu seinen Füßen einschlafe, wünsche ich mir, solche Dinge nicht zu wissen.

DIONYSOS UND DIE ZWEI TÜREN

Für einen weiteren Anwärter auf den ersten menschlichen Kater gehen wir bis zu den Anfangstagen der griechischen Götter zurück, als sich Dionysos erstmals ungehindert in unseren sterblichen Gefilden auszutoben begann. Ja, Dionysos war der Gott des Weines. Aber zuerst einmal war er, was vielleicht noch wichtiger ist, der Halbgott der Gegensätzlichkeit. Als Sohn von Zeus und einer unerschrockenen, schönen Erdenfrau besaß er die Macht der Götter und zugleich die Widerspenstigkeit der Sterblichen – und den Stolz und die Lust von beiden. Das Ergebnis war eine kreative und charismatische, unorganisierte und abenteuerliche, gefährliche und zwiegespaltene Kraft, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte. Sie machte ihn zum Gott des Weines – den er trank, wie Menschen Luft atmen.

An jenem Tag schlürfte er ihn aus einem bodenlosen, leuchtenden Sack, während er bei Pandion eine staubige Straße entlangging und improvisierte Lieder über Ozeane im Himmel, fliegende Meerjungfrauen und die Freuden der Einsamkeit vor sich hin sang. Er war es leid, auf dem Olymp mit den Göttern zu zechen, und während er dahinging und trank, veränderte er sein Äußeres – von einem Halbgott zu einem Brahma-Bullen zu einem Blitz zu einem Echsenkönig und dann zu einer schlanken, lächelnden Gestalt, während er ein Stück Ackerland überquerte und ein Haus erreichte.

Es war das Haus von Ikarios und seiner Tochter Erigone – und Dionysos mochte die beiden auf Anhieb. Er setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und bot ihnen etwas von seinem Wein an, und sie baten ihn zum Essen herein.

Aus Respekt vor seinen sterblichen Gastgebern und weil er wusste, dass nur Götter den Wein unverdünnt genießen konnten, mischte er Wasser in ihre Gläser. Und dann verbrachten sie eine gute Zeit miteinander – so gut, dass Dionysos ihnen, ehe er wieder aufbrach, etwas von seinem Gebräu daließ und ihnen die Herstellung erklärte. Einige Zeit später zogen Ikarios, Erigone und ihr Hund Maira los, um diese himmlische Entdeckung mit einigen ihrer irdischen Nachbarn zu teilen. Und damit ging alles den Bach hinunter.

Wie jede alte Sage wird auch diese auf viele verschiedene Weisen erzählt und interpretiert, doch im Wesentlichen läuft es auf Folgendes hinaus: Ikarios’ Nachbarn tranken den Wein unverdünnt, verloren das Bewusstsein und fühlten sich beim Aufwachen so schlecht, dass sie glaubten, vergiftet worden zu sein. Also erschlugen sie Ikarios mit Knüppeln, zerstückelten ihn und warfen ihn in einen Brunnen. Der verzweifelte Hund sprang hinterher, und Erigone, die all das mit ansah, erhängte sich an einem Baum. Dann kam Dionysos vorbei.

Natürlich ist es unklug, einen von Zeus’ Nachkommen zu verärgern – doch für diesen galt das im Besonderen. Als Dionysos fertig war, war das erste alkoholgeschwängerte Missverständnis der Menschheitsgeschichte zu einem apokalyptischen Morgen danach geworden. Alle Sterblichen im näheren Umkreis waren pulverisiert, mit Krankheit geschlagen oder auf ein höllisches Eiland verbannt worden. Für die Mörder Ikarios’ hatte sich Dionysos eine höchst unkonventionelle Foltermethode ausgedacht: Er verführte sie so kunstvoll, aber unvollständig, dass sie den Verstand verloren und auf ewig in einem Zustand ungestillten sexuellen Verlangens brieten.

Seinen verstorbenen Trinkgenossen ließ er eine deutlich angenehmere Unsterblichkeit zuteilwerden, indem er sie zu engelsgleichen Geschöpfen machte – selbst das Hündchen Maira, das zum strahlenden und einsamen Hundsstern Sirius wurde.

Bald darauf gab der König von Athen bekannt, nur ein Gott könne unverdünnten Wein trinken, und jeder Sterbliche, der es versuche, werde den Verstand verlieren und/oder sterben. Und während die frühen Zivilisationen immer mehr Geschmack am Wein fanden, wurde das Mischen mit Wasser zu einem maßgeblichen Grundsatz, der die Zivilgesellschaft von der Barbarei, die Weisheit von der Fahrlässigkeit und den gesunden Lebensstil von der Ausschweifung trennte.

Die jungen Griechen lernten das verantwortungsvolle Trinken im Symposion, dessen an das Gymnasion angelehnter Name suggerieren sollte, dass man, um ein guter Trinker zu werden, ebenso viel innere Stärke, Übung und Disziplin brauchte wie ein geschulter Athlet. Mit Wasser gestreckten Wein zu schlürfen und dabei über die Schönheit der Logik und die Logik der Schönheit zu sinnieren, bedurfte der sorgfältigen Anleitung durch einen meisterlichen Symposiarchen wie Platon. Wie Tom Standage in seinem sehr coolen Buch Sechs Getränke, die die Welt bewegten schreibt, beobachteten die Gelehrten damals, dass es »denjenigen, die mit Platon speisten, am nächsten Tag bestens ging.«

Während die frühen Zivilisationen die Vorzüge des Weintrinkens auskosteten und gegen seine schädlichen Auswirkungen ankämpften, wurde der mit so vielen Talenten und Gaben gesegnete und so viele Paradoxien in sich vereinigende Dionysos so mächtig, dass ihm hundert Namen nicht gerecht wurden. Er war bekannt als der Wilde, der zweigesichtige Gott, der Tänzer, der Löser, der Lichtbringer, der Träumer, der Ekstatische, er, der die Frauen um den Verstand bringt, der Krieger, der Befreier, der Gnadengeber, der Heilige, der Fernste, das Ende, er von den zwei Türen … Wie jene des künftigen Heilands gründete auch Dionysos’ Breitenwirksamkeit in der Vorstellung, dass seinen Anhänger durch die Kommunion die Seligkeit im Jenseits zuteilwerden würde.

Zu diesem Zweck tranken sie den Wein, der sein Blut war. Bei ausreichender Menge spürten sie den Vorboten der Seligkeit – die Befreiung der Seele von ihrem irdischen Körper. Doch ein wenig zu viel, und das Gegenteil konnte passieren: Chaos, irdische Erniedrigung und ein heftiger Anfall von Seelenschmerz. Daher die zwei Türen, die sowohl in den Himmel als auch in die Hölle führen, die göttliche Dualität von Trunkenheit und Kater.

WAS IN VEGAS PASSIERT (WENN SCHÜSSE FALLEN)

Meine Kopfschmerzen erreichen ihren Höhepunkt, als wir im Waffenladen eintreffen. Ich habe das Gefühl, sterben zu müssen, und das hier gehört nicht zu den Dingen, die ich unbedingt noch tun will, bevor ich den Löffel abgebe. Wir bekommen eine grobe Einführung, Ohrenstöpsel und Schutzbrillen, und dann folgt eine »extreme« Überraschung: Zusätzlich zu den standardmäßigen Kriegswaffen werden wir mit einer abgesägten Kalaschnikow schießen dürfen.

Meine Pressekollegen entscheiden sich für ziemlich abseitige Ziele: eine Mumie im Smoking, einen Hipster-FBI-Agent, einen ramboartigen Clown. Der New Yorker Reiseschriftsteller wählt eine attraktive Frau, an die sich ein Zombie anschleicht. (Er entpuppt sich als erfahrener Schütze, und der Zombie bleibt selbstredend unversehrt.) Ich entscheide mich für das gewöhnliche, unscheinbare Ziel: eine Art zusammengespleißte, gesichtslose Barbapapa-Figur. Und nicht mal auf die will ich schießen.

Jede Kugel, jedes Magazin, jeder einzelne Schuss scheint direkt durch meinen Schädel zu fliegen. Gott, wie muss man sich mit einem Kater in einem echten Feuergefecht fühlen … in dir ringen Schmerz, Angst und Übelkeit miteinander, während um dich herum der Tod herabregnet. Dass Soldaten das seit Jahrhunderten tun, verschlimmert meine Kopfschmerzen bloß. Ich schieße, bis mir wieder schlecht wird, und versuche gar nicht erst zu zielen.

Nach dem Schießstand fahren wir zu einem mexikanischen Restaurant, um Mammut-Margaritas zu trinken und superscharfe Tacos zu essen – womit meine Liste von Dingen, die man mit einem Kater niemals tun sollte, nahezu komplett wäre. Morgen kommen noch Luftakrobatik in einem Kampfflugzeug und ein Sprung von einem dreihundert Meter hohen Gebäude dazu. Ich habe noch nie so angewidert auf ein Tablett voller kostenloser Margaritas geschaut. Und dann fallen die Mariachis über uns her.

Als ich endlich zurück in unsere Hotellobby wanke, wird mir klar, dass ich gar nicht weiß, auf welcher Etage sich mein neues Zimmer befindet. Bevor ich mich erkundigen kann, stößt der Mann am Empfang ein einladendes Lachen aus: »Ah! Mr.Bishop! Wie fühlen Sie sich in ihren neuen vier Wänden? Ich bitte nochmals um Entschuldigung wegen gestern Abend!«

Ich habe keine Ahnung, wovon er redet, versichere ihm aber, dass alles vergeben und vergessen ist und die neuen Räumlichkeiten mehr als angemessen sind. Und dürfte ich mich noch einmal nach der Zimmernummer erkundigen …?

»Natürlich.« Er tippt kurz etwas auf seiner Tastatur, um das Zimmer zu finden. »Wie war Ihr Tag?«

»Bestens«, sage ich und humple zum VIP-Tower 3.

Der Tag ist so ekelerregend ereignisreich gewesen, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, über den Vorabend nachzudenken. Ich versuche mich zu erinnern, während ich meinen Laptop einschalte, um meinem Redakteur eine bemüht fröhliche E-Mail zu schreiben. Und da, mitten auf dem Desktop, ist ein Dokument mit dem Titel »Ok! Ich bin betrunken!« abgelegt. Ich klicke es an und beginne zu lesen:

Ok! Ich bin betrunken! Aber jetzt geht die Lampe nicht aus, und ich kann nicht mal den Stecker ziehen! Das Kabel verschwindet direkt in diesem bescheuerten Tischdings in der Wand! Ich muss schlafen, damit ich morgen Rennauto fahren kann, und ich krieg das Licht nicht aus!

Ok, ich hab versucht, die Glühbirne rauszuschrauben, mir dabei aber die Hand verbrannt und die Birne zerdeppert, und jetzt ist das Bett voller Splitter. Ich glaub’s einfach nicht! Die Rezeption lässt mich seit einer halben Stunde in der Leitung hängen. Ich glaube, die wissen gar nicht, dass ich aus dem Hotel anrufe. Ich rufe aus dem Hotel an!

Jetzt geht das Telefon nicht mehr!

O mein Gott. Der bescheuerte Typ mit der pinken Krawatte unten am Empfang hat gesagt, ich hätte nur acht Minuten in der Warteschleife gehangen, und behauptet, ich wäre betrunken, nur weil ich keine Schuhe anhatte! So ein Arsch! Und dann musste ich mit zwei Sicherheitsleuten im Aufzug hier rauffahren, und die finden auch, dass er ein Arsch ist. Wir haben alle über das mit den Schuhen gelacht, aber beim Reinkommen hab ich’s dann vergessen, und jetzt hab ich Glassplitter im Fuß, und die Sicherheitsleute meinten, sie schicken einen vorbei, der das Telefon repariert, und ich warte schon seit einer halben Stunde!

Ich hab gerade die netteste Frau der Welt getroffen. Rosalinda. Ich glaub, sie ist die Chefin vom Reinigungspersonal. Sie war draußen auf dem Flur. Jetzt ist es schon so viel später, weil ich ihr die ganze Geschichte erzählen musste. Sie hat gemerkt, dass ich überhaupt nicht betrunken bin. Sie hat gesagt, sie kümmert sich um alles und besorgt mir ein neues Zimmer. Aber ein schönes, habe ich gesagt, und eins, wo ich auch rauchen kann. Jetzt warte ich also schon wieder. Der Tag nimmt kein Ende. Ich kann gar nicht glauben, dass ich morgen …

Das Telefon klingelt. Ich höre auf, mein eigenes betrunkenes Geschreibsel zu lesen, und hebe ab.

»Wie war Ihr Tag?« Zuerst denke ich, es sei schon wieder der Empfangsmann, aber dann erkenne ich den selbstbewussten, gedehnten Tonfall Dr.James Burkes.

»Ehrlich gesagt, ziemlich schmerzhaft«, sage ich.

Er schweigt kurz, und ich begreife, dass ich wie ein Restaurantkritiker bin, der dem Gastronom sagte, sein Fisch sei ungenießbar.

»Das tut mir leid«, sagte Dr.Burke. »Erzählen Sie mir doch alles, und vielleicht finden wir heraus, woran es lag.«

»Gern«, sage ich und fange mit dem Schimmelkäse-Martini an.

»Und wie geht es Ihnen jetzt?«, fragte Dr.Burke, nachdem ich ihm alles erzählt habe.

»Ganz okay, würde ich sagen.«

»Nun, wissen Sie, wir haben eine Erfolgsrate von über 90Prozent –«

»Auf der Website steht 98.«

»Richtig. Also, ich habe mehrere Theorien, was passiert sein könnte.«

»Schießen Sie los.« Ich öffne ein neues Dokument, um mitzuschreiben.

»Nun, erst einmal sind wir, wie gesagt, nicht in hundert Prozent der Fälle erfolgreich. Bei manchen Menschen funktioniert es einfach nicht. Ich weiß nicht, warum. Aber das ist nicht besonders wahrscheinlich.«

»Die Wahrscheinlichkeit beträgt ungefähr zwei Prozent.«