Verpuppt - Ana Marwan - E-Book

Verpuppt E-Book

Ana Marwan

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Beschreibung

Rita findet sich nicht zurecht in der Welt. Ihr Leben lang hat sie sich in Genügsamkeit und Akzeptanz geübt; früh kommt sie zu der Erkenntnis, dass sich Träume oder Dinge, die verlorengehen, durch andere ersetzen lassen. Durch Beobachtung stellt sie fest: Der Mensch ist ein Gefäß, in das über die Jahre alles hineinkommt von außen – Meinungen, Verhaltensweisen, Gesten... Das Leben betrachtet sie als eine reine Aneinanderreihung von Spielchen; je nach Situation wird diese oder jene Version der eignen Person zur Schau gestellt und vor sich hergetragen. Was aus ihr werden soll, weiß sie nicht. Um das Chaos ihrer Welt zu bändigen, schreibt sie Geschichten, gestaltet Wahrheiten, erfindet sich Gefährten wie Ivo Jež, der – wie sie – im Ministerium tätig ist, Abteilung Raumfahrt. Oder handelt es sich um eine andere Art von Einrichtung und Ivo ist ein Mitpatient? Wird Rita therapiert oder wird die Ärztin von Rita manipuliert? Ist der freie Mensch frei oder ist derjenige ohne Zwang, dem die Entscheidungen abgenommen werden? "Jede Geschichte ist eine Gewalt an die Wahrheit", schreibt Rita einmal. Verstehen wir dies als Einladung, den Wahrheitsgehalt der erzählten Geschichte infrage zu stellen.

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Seitenzahl: 263

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Ana Marwan

Verpuppt

Aus dem SlowenischenvonKlaus Detlef Olof

Roman

Die Herausgabe dieses Werks wurde gefördert durch TRADUKI, ein literarisches Netzwerk, dem das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten der Republik Österreich, das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die Interessengemeinschaft Übersetzerinnen Übersetzer (Literaturhaus Wien) im Auftrag des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich, das Goethe-Institut, die S. Fischer Stiftung, die Slowenische Buchagentur, das Ministerium für Kultur und Medien der Republik Kroatien, das Ministerium für Gesellschaft und Kultur des Fürstentums Liechtenstein, die Kulturstiftung Liechtenstein, das Ministerium für Kultur der Republik Albanien, das Ministerium für Kultur und Information der Republik Serbien, das Ministerium für Kultur Rumäniens, das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport von Montenegro, die Leipziger Buchmesse, das Ministerium für Kultur der Republik Nordmazedonien und das Ministerium für Kultur der Republik Bulgarien angehören.

Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert von:

Die slowenische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Zabubljena bei Beletrina in Ljubljana. www.beletrina.si / www.beletrina.com

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1302-0

eISBN 978-3-7013-6302-5

© für die deutschsprachige Ausgabe

OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN, 2023

Alle Rechte vorbehalten

© of the translation:

S. Fischer Foundation by order of TRADUKI

Lektorat: Christine Rechberger, Ludwig Hartinger

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Druck und Bindung: FINIDR, s.r.o. (Čestý Těšin)

Cover: Una Rebić

Gestaltung: Leopold Fellinger

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

1

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Einsamkeit, die Jež umgab, auch in sein Inneres eingedrungen war und die Boshaftigkeit fast vollkommen aus ihm vertrieben hatte. Er selbst würde, obwohl sie weg war, noch immer nicht zugeben, dass es sich um Bosheit gehandelt hatte. Wut, Hass, Schadenfreude – das hätte er akzeptiert. Aber wenn diese aus dem Widerstand gegen das menschliche Böse entstehen, kann doch von Boshaftigkeit keine Rede sein.

Wie dem auch war, in seinen vier Wänden wurde Jež wieder unschuldig, unschuldig wie im Mutterleib. Es half, dass er still war. Normalerweise sagte er auch während des Arbeitstages nicht mehr als Guten Tag, Guten Appetit, Frau Lah, Bitte sehr, Entschuldigen Sie, Danke, Macht nichts, Erlauben Sie, Zum Wohl, Auf Wiedersehen. Nur schöne Worte.

So lässt sich allerdings nicht lange leben, in der Haltung eines Fötus, in Unschuld. Aber warum sollte er mit dem Kopf durch die Wand, er würde sich dem natürlichen Lauf der Dinge überlassen, dachte er sich jeden Tag aufs Neue, wenn er vom Dienst kam, den Morgenmantel überzog und auf der Couch und später im Bett las, bis er einschlief, oder einfach aus dem Fenster auf die Pappel starrte, die manchmal unter seinem Blick erzitterte.

Ja, es war eine Pappel. An einem Punkt ihres Wachsens, vor langer Zeit, hatte Jež zu seiner Frau gesagt: „Wie schnell der Baum wächst! Wie ein Vogel steigt er auf zum Himmel“, und seine Frau hatte geantwortet: „Pappeln wachsen schnell.“ Daraus hatte er geschlossen, dass dieser Baum eine Pappel war. Andere Bäume blieben Bäume. Seine Mutter hatte ihm nie beigebracht, zwischen Bäumen zu unterscheiden, so wie Mütter kleinen Inuitkindern beibringen, zwischen den Schneearten zu unterscheiden. Ježens Mutter hatte Bäume nicht für das gehalten, was sie am meisten umgab. Alles andere eher als Bäume. (An erster Stelle vermutlich menschliche Unzulänglichkeiten; so würde man wenigstens meinen.) Aber seine Frau war eine Meisterin im Differenzieren, nicht nur bei den Namen, die für sie sogar von nebensächlicher Bedeutung waren, sondern auch bei den Gefühlen, die sie weckten beziehungsweise wecken sollten. Ein wenig lernte er von ihr über Blumen. Orchideen solle er ihr nicht schenken, denn als Geschenk seien sie kleinbürgerlich, und Rosen seien ein leeres Klischee. In einem Strauß Blumen lauerten unzählige Gefahren. Wenn er sie selbst auf der Wiese pflückte, machte er in der Regel keinen Fehler, aber als er zu dieser Erkenntnis kam, war der Wille, sie zu pflücken, bereits verflogen. Je mehr er wusste, desto weniger wollte er sein Wissen nutzen; überhaupt war Wissen für ihn nur in einem Zustand der Wissbegierde attraktiv – ein Ziel an sich, niemals ein Werkzeug. So wenig bereit war er, nach einem Werkzeug zu greifen, und er wunderte sich, wenn die Dinge zu zerfallen begannen.

Nun verdeckte diese Pappel direkt vor dem Fenster, an dem er stand, die Sicht so vollkommen, dass es unmöglich war, etwas anderes zu sehen. Aber sie störte nicht, im Gegenteil – sie verbarg sehr schön. Außerdem konnte auch niemand mehr Jež sehen, denn durch dasselbe Fenster, durch das er auf die Welt geblickt hatte, hatte die Welt auf ihn geblickt.

Sie wird vielleicht noch ein Stockwerk höher wachsen, mehr vermutlich nicht – Jež hatte Glück, dass er nicht weiter oben wohnte. Oft hatte er Glück, oft begann er einen Satz mit „Ein Glück, dass …“.

Trotzdem blieb sein Blick traurig.

Sie sahen sich an, wie ich mit Über Jež angefangen hatte, und sagten, ich solle weitermachen. Sie legten sich nicht fest, ob der Anfang gut oder schlecht war, weil sie sich an ihre Prinzipien halten und Werturteile vermeiden. Alles, was ich von ihnen über mich weiß, ist das, was ich so mithöre. Was aber nicht schwer ist, denn sie vergessen sich oft, sie vergessen meine Anwesenheit. Vermutlich deshalb, weil ich meistens still und friedlich bin, an der Schwelle zur Welt der Dinge, mit einem Fuß schon in ihr. Die Aufgabe, die sie Über Jež nennen, haben sie mir gegeben, weil sie der Meinung sind, dass die Sprache mein Anker ist und Jež der feste Grund, auf den ich ihn werfen kann. So wird mein Frieden, wenn alles gut läuft, ein innerer statt eines äußeren sein. Das ist meine Zusammenfassung, sie selbst drücken sich nicht so aus, sie selbst drücken sich so sachlich wie möglich aus. Mich stört der gemeinsame Ursprung der Sachen (die ich gut nachahme) und des Sachlichen (das ich schlecht nachahme). Andererseits weiß ich, dass alles seinen Ursprung in ein und demselben Urknall hat und dass deshalb Missverständnisse unausweichlich sind. Alle ihre Aufgaben nehme ich an, das heißt, liefere ich ab. Dass Abgeben und Annehmen bei einer Aufgabe dasselbe ist, obwohl verkehrt, ist eine weitere Erinnerung an den Urknall. Den Auftrag Über Jež habe ich mit mehr Enthusiasmus angenommen als andere, weil ich hoffte, er würde mich von der Angst befreien, die sich meiner immer wieder bemächtigte – von der Angst, die menschliche Sprache zu vergessen. Die Angst überwältigte mich zwischen zwei Stillen mit solcher Wucht, dass ich immer wieder in kurzen Schreien möglichst unterschiedliche Wörter absonderte. Was nicht sachlich war. Sie ermahnten mich auch, ich solle „der Versuchung der Selbstreflexion widerstehen“, weil ich selbst kein so fester Grund sei wie Jež, weil ich bei mir selbst nie bis auf den Grund kommen werde, schon gar nicht mit einem so kurzen Anker wie der Sprache. Ich aber, gleich zu Beginn …

Das letzte Mal war Jež am achtundvierzigsten Geburtstag von Frau Klammer in Gesellschaft.

Er wollte nicht hingehen, aber seine Wünsche hatten keinen allzu großen Einfluss auf die Ereignisse. Diese Lektion hätte er schon als Kind lernen können, sie wurde ihm nicht vorenthalten, aber damals dachte er, dickköpfig wie er war, dass alles anders sein würde, wenn er groß wäre. Es stellte sich aber heraus, dass er sich umso weniger wünschen durfte, je größer er wurde. Wenn es so weiterging, würde er sich am Ende nur noch eines wünschen können.

Die Einladung kam vier Monate vor dem Ereignis mit der Post, sie war mit Tinte geschrieben, die Handschrift war gekünstelt, aber es war keine Schönschrift, sie war schwer lesbar, sie verlangte Aufmerksamkeit und Mühe.

Auf der einen Seite stand:

Ich bin schon vierundzwanzig Jahre, ich arbeite nun schon so lange, und was hab ich erreicht? Mein Gehirn ist wie ausgetrocknet, ich bin abgemagert, verdummt, gealtert […]. (Tschechow, Drei Schwestern)

Und auf der anderen:

Auch wenn ich selbst doppelt so alt werde, würde ich trotzdem gerne mit Ihnen feiern! Ich lade Sie herzlich zu einem Abendessen mit meinen engsten Freunden am 16. März um 19 Uhr ein. Bitte bestätigen Sie Ihr Kommen schriftlich – ich würde ungern vergeblich auf Sie warten.

Ich freue mich!

Mathilde Klammer

Die Einladung zeigte das Wesen der Klammer besser, als es jedes noch so gelungene Porträt hätte tun können, wenn auch ein Bild mehr als tausend Worte sagt und eine Einladung nur ein paar Dutzend.

„Du sprichst, als ob das etwas Schlimmes wäre. Ich wäre froh, wenn alles, was ich tue, mich so treu repräsentieren würde“, sagte seine Frau.

Sie unterstützte ihn bei seiner Ablehnung der Klammer nicht. Sie habe auch gute Seiten, stellte sie fest, niemand sei perfekt und sie sei eine treue Freundin. Jež sagte etwas über Treue als Mangel an Wahlmöglichkeiten und kam sich klug vor, ohne sich bewusst zu sein, bis wohin diese kleine Wahrheit reichte. Später, wenn er alles bedauern wird, wird ihn alles ärgern, auch dass sie sich an diesem Tag nicht geschämt hatte, zweimal hintereinander „treu“ zu sagen. Daran erinnerte er sich gut. Es kann dir ein Mal aus Versehen aus dem Mund fallen, aber dem müssen in Zukunft Scham, Reue und Vorsicht folgen. Vieles wäre Jež erspart geblieben, hätte er nicht ein so gutes Gedächtnis gehabt.

Als sie warteten, dass ihnen Frau Klammer die Tür öffnete, wusste keiner von ihnen, dass es das letzte Mal sein würde, und so warteten sie ohne Gefühle. Einige Dinge wurden Jež von Zeit zu Zeit doch für einen Moment erspart. Aber alles ist nur eine Frage der Zeit.

„Oh, willkommen!“, freute sich die Klammer in dem schreiend roten Kleid theatralisch und umarmte die Frau, dann näherte sie ihre linke Wange Ježens linker Wange und ihre rechte seiner rechten, wobei es zu keiner Berührung kam, aber das brauchte niemand zu wissen.

Alle Eingeladenen waren bereits in dem Zimmer versammelt, das die Klammer als Empfangszimmer bezeichnen musste, damit der Ausdruck mit dem Erscheinungsbild und der Besitzerin harmonierte.

Das Zimmer war wie ein Salon aus dem vergangenen Jahrhundert eingerichtet. Es gab auch ein Klavier, obwohl sie nicht spielen konnte. Ab und zu drängte jemand sie, etwas zu spielen, sie aber wehrte verschämt ab, von wegen, sie könne nichts, gar nichts, im Wissen, wie kostbar alles Ungesehene und Ungehörte in dieser Welt ist, und in der Tat waren auf diese Weise alle davon überzeugt, dass sie ausgezeichnet spiele und nur die Bescheidenheit ihr verbiete, es zu zeigen; und das sind zwei Eigenschaften, die den Preis eines Klaviers wert sind.

Die Gäste standen und klammerten sich an ihre Gläser. Unter ihnen war ein Mann, den sie nicht kannten, was nach fünfzehn Jahren ständiger Besetzung ungewöhnlich war.

„Das ist meine liebe Freundin Agata Jež, Staatsanwältin, und das ist ihr Mann, Ivo Jež“, stellte sie ihm die beiden vor.

„Bürokrat“, ergänzte Jež und schüttelte dem neuen Gast, August Černe, einem Galeristen, die Hand, und alle lachten, vor Unbehagen – ein Bürokrat kann bei einem Gesellschaftsabend viel verderben, ein Bürokrat hat nichts zu verlieren, es braucht viel Lachen, um den negativen Einfluss eines Bürokraten auf eine Gesellschaft wettzumachen.

Die Frau überreichte ihrer Freundin sofort danach als Entschuldigung ein Geschenk und eine Glückwunschkarte, auf der stand: Alles Gute wünschen dir Agata und Ivo Jež. Ein matter Glückwunsch, der in keiner Weise den Kampf gegen Agatas Nach Moskau, nach Moskau, nach Moskau verriet, den Jež mit einer Vehemenz geführt hatte, die ihn – wie so oft – überrascht hatte. Im Allgemeinen war er davon überzeugt, dass ihn nichts mehr berühren konnte, dass er zu einem harten Felsen geworden war, der stumm allem trotzte, und dennoch war er bereit, sich bei der erstbesten Gelegenheit auf die sinnlosesten Diskussionen einzulassen und seiner Frau hartnäckig zu trotzen. „Nein, nein, nein“, hatte er gesagt und erklärt und am Ende noch hinzugesetzt, dass das „außerdem sicher alle schreiben werden“, was seine Frau zum Lachen brachte, natürlich tat es das, aber sie hatte nachgegeben und geschrieben Alles Gute wünschen dir Agata und Ivo Jež. Sie gab immer erst nach, nachdem sie sich über ihn lustig gemacht hatte. Nie nach seiner Erklärung, immer erst nach ihrem Lachen – kein Sieg war ohne Makel, jeder wurde ihm aus Reue geschenkt.

„Oh, Ingeborg!“, rief die Klammer begeistert, als sie das Geschenk auspackte und ihre alte Bekannte erblickte. Alle großen Namen der Literatur rief sie beim Vornamen. Anders war es mit den Philosophen, war Jež aufgefallen, dem nichts entging, da er sich ständig auf der Lauer befand. Heidegger war nie Martin, Hegel nie Georg. Jež hatte dafür die entsprechende, aber falsche Erklärung gefunden.

Das seien unfertige Entwürfe für einen Romanzyklus, hatte seine Frau erklärt, und welches Buch solle man einem Menschen schenken, der schon alles gelesen hat? Eines, das niemand gelesen hat, habe sie gedacht, und außerdem wisse sie, wie vertraut Ingeborg ihr war.

„Wundervoll, danke dir, euch beiden“, grinste die Klammer, schickte jedem ein Küsschen durch die Luft und legte das Buch auf den Kaffeetisch, auf den Haufen mit den anderen Geschenken. „Ich bringe es später in meine Bibliothek“, fügte sie hinzu.

Eine nackte Provokation, die ausschließlich gegen Jež gerichtet war, glaubte Jež.

„Ach, Sie sind aus Kärnten?“, hatte der neue Gast die Vertrautheit mit der Bachmann falsch verstanden.

„Ich bin aus Ljubljana …“

August Černe spürte, dass er einen Fehler gemacht hatte.

„Ich meine, weil Sie das rr so charmant aussprechen. Als Sie das erste Mal Grüß Gott zu mir sagten, bevor ich Sie sprechen gehört habe, war ich mir sicher, dass Sie Französin sind“, versuchte der Neuling unbeholfen sich aus der Affäre zu ziehen, indem er anfängerhaft auf seinem Fehler beharrte, anstatt sich von ihm zu distanzieren, aber ihm lächelte das Anfängerglück:

„Französin? Oh, danke schön“, lachte die Klammer fröhlich.

Bei diesem danke schön fühlte sich Jež genötigt hinzuzufügen, dass auch er Sprachfehler charmant finde, genauso wie Zahnlücken, aber heutzutage werde ja alles repariert, alle Kinder hätten Metall im Mund, es sei wirklich eine Schande.

Wieder einmal war es die Bosheit, die sich seiner bemächtigt und ihn zu dieser Bemerkung gezwungen hatte, ein unschuldiges Opfer der reinen Bosheit, das war er. Mochte er sich noch so sehr bemühen, angenehm zu klingen – sobald er die Türschwelle der Klammer überschritten hatte, wurde er zu einer Violine in den Händen eines Anfängers. Les sanglots longs des violons, fiel ihm dabei ein, wie er sie mehrmals hatte rezitieren hören, wenn sie zeigen wollte, was für eine poetische Sprache das Französische war. Immer derselbe Vers und die obligatorische rhetorische Frage: „Haben Sie jemals etwas Melodiöseres gehört?“, auf die Jež nicht antwortete, obwohl er einmal mehrere Verse in anderen Sprachen vorbereitet, aber im letzten Moment erkannt hatte, dass er sich so auf ihr Niveau hinabbegeben würde.

Aber jetzt war er bei Frau Klammer noch tiefer in Ungnade gefallen, nicht nur, weil er ihren Fehler aufgedeckt hatte, der sie zu einer Ausländerin gemacht hätte, sondern weil er sie nicht in den Genuss der Verkleidung kommen ließ, in der sie sich gefiel – wenigstens ein- oder zweimal hätte sie sich gern darin vor dem Spiegel gedreht, bevor sie sie abgelegt hätte. „Aber ich habe tatsächlich Französisch studiert“, hätte sie gesagt und vermutlich hinzugefügt: „Ausschließlich Paul zuliebe, muss ich zugeben“, und auf eine Art, auf ihre Art gelacht, die nicht die Möglichkeit zuließ, dass es sich um einen Scherz handeln könnte, oder sie hätte gesagt: „Ich habe einen Sommer in Paris gelebt.“ Jedenfalls war er überzeugt, dass sie nicht mehr sagen würde: „Ich habe einen Sommer in Paris verlebt“, denn einmal hatte er ihr dazu schon gratuliert. „Ich gratuliere“, hatte er gesagt, „den Sommer in Paris zu verleben, ist nicht leicht.“ Ein paar Gäste hatten gelacht, vermutlich um die Stichelei in einen Scherz zu wenden, aber die Klammer erwiderte auf eine gestellt verträumte Weise, was bei ihrer Stimmung gar nicht so einfach war: „Es war wunderbar“, aber Jež hörte nicht auf: „Im Sommer flüchten alle Pariser an die Küste“, wobei er nicht wusste, ob es stimmte oder nicht, und die Klammer widersprach: „Das ist nicht wahr“, sagte sie, aber der Zweifel blieb in der Luft, und die Klammer, die in der Luft rings um ihre Person nur Zweideutigkeit duldete, keinerlei Zweifel, presste ihre Lippen zu einer Zornesfalte zusammen.

„Ich kann in Verbindung mit Frau Klammer nicht von Fehlern sprechen“, bemühte sich Černe galant weiter um Korrektur.

„Ach, kommen Sie“, lachte Frau Klammer wieder, „an Fehlern mangelt es mir nicht, aber Fehler sind das Salz des Lebens, finden Sie nicht auch?“

„Ich finde sie charmant“, mischte sich Jež erneut ein, woraufhin seine Frau ihm streng zuflüsterte, er solle sich zügeln, und er: „Was habe ich denn gesagt, charmant habe ich gesagt.“ Er würde am liebsten nach hinten ausschlagen, so gefangen zwischen Zaumzeug und Sporn.

„Darf ich euch zu Tisch bitten?“, breitete die Klammer die Arme aus.

Jež wurde zwischen seine Frau und ein Kind gesetzt, eine Freundin der Tochter von Frau Klammer.

Er wusste, dass Frau Klammer ihn absichtlich so setzte, damit er nicht überheblich wurde. Alles, was Frau Klammer tat, geschah mit Absicht. Es würde ein langer Abend werden.

Sie würde den ganzen Abend wieder Kant und Augustinus und andere im Munde führen, davon war er überzeugt. Es würde klug klingen. Aber ihre Zitate waren leer, sie waren, so dachte Jež in seiner Boshaftigkeit, wie die Flüche einfacher Leute, die ihnen aus Gewohnheit aus dem Munde kommen, nicht aus Zorn. Sie kommen ihnen aus Gewohnheit aus dem Mund, so wie er jeden Tag von der Arbeit kommt, ohne sich dabei irgendwas zu denken. Überhaupt sah er die Klammer immer so völlig veräußerlicht, dass er überzeugt war, sie habe keine Tiefe. Als er die Idee von ihrer Seichtheit zum ersten Mal mit seiner Frau teilen wollte, wusste er, dass er auf ein Hindernis stoßen würde: Denen, die ständig von Tiefe reden, sitzt man leicht auf, im Seichten sitzt man überhaupt leichter auf. Die Seichten geben keine widersprüchlichen Signale von sich, sie kennen keinen Raum für den inneren Konflikt. Wer täuscht, ist vorsichtig, er achtet darauf, dass die Täuschungssignale eindeutig sind. Und der Wahrheit zuliebe muss man zugeben, dass Jež seine Anschuldigungen nicht geschickt formulierte, er hätte sich vorbereiten müssen. Der Vorwurf, dass alles, was aus ihr herauskommt, von außen in sie hineingekommen war, war viel zu unausgeformt, und auch der Vergleich mit einem Hund, der zwar gelehrig ist, dessen Unterscheidungsvermögen zwischen gut und schlecht aber doch von seinem Herrn abhängt, dem er blind vertraut, hatte nicht einmal ihn selbst überzeugt. Er hatte vergessen, dass ein Hund bei gutem Futter seibert, egal ob es erlaubt ist oder nicht, der Klammer gestand er aber keinerlei Fähigkeit zu verbotenem Genuss zu, die Klammer war völlig veräußerlicht. „Völlig veräußerlicht“, hatte er sie seither immer wieder vor seiner Frau verurteilt, ohne sich noch jemals um eine Erklärung zu bemühen.

„Und wie heißt du?“, fragte er das Kind, während man auf das Essen wartete.

Er hatte das Gefühl, als Erwachsener die Anwesenheit des Mädchens aus Höflichkeit bestätigen zu müssen. Aber er spürte sofort, dass das Mädchen zu alt war, um mit ihm auf kindliche Art und Weise zu reden, und er fürchtete, dass er nur einen mit der Verachtung einer jungen Frau ausgesprochenen Namen als Antwort bekommen würde, der in ihm schmerzhaft nachklingen würde, aber seine Befürchtung verflog sofort, das Mädchen räusperte sich, es hauchte „Julia“, wurde rot und senkte den Kopf. Ah ja, ein kleines, schüchternes Mädchen, wie angenehm, dachte sich Jež. Er war zufrieden, dass sein Alter und seine Reife offiziell bestätigt worden waren. Er wusste nicht, dass das Erröten von einer Lüge herrührte, Ritas Name war nicht Julia, sie trug diesen neuen Namen linkisch wie ein neues Kleid, das nicht ihr Stil war, und es war ihr unangenehm vor ihrer Freundin, obwohl die sie unterstützte, nicht nur aus Gleichgültigkeit – sie verstand, dass Rita momentan alles ablehnen musste, was ihre Mutter ihr je gegeben, angeboten oder aufgezwungen hatte, angefangen beim Namen, der am Anfang war und nach Ritas Meinung als Quelle allen Übels galt. Aber Jež schrieb das Verdienst am Erröten sich zu, denn es ist vermutlich nicht ungewöhnlich, dass wir alles mit uns verbinden, wenn wir uns mit anderen verbinden, und setzte die Unterhaltung aus Zufriedenheit fort: Wie alt sie sei?

„Wie Anja“, antwortete das Mädchen und zeigte auf die Freundin, ein Bild der Vollkommenheit, unveränderlich, nie errötend, in der Hoffnung, dass sie das Gespräch mit dem Erwachsenen übernehmen werde. Und tatsächlich tat sie es, wieder erwies sie ihr einen jener großen Dienste, die sie nichts kosteten – an Jež erinnerte sie sich noch aus Zeiten, als sie auf seinen Knien gesessen hatte, so wie bei allen Besuchern ihrer Mutter, die ihr übers Haar gestreichelt und zu ihr gesagt hatten: Oh, was für ein schönes Mädchen!, als wäre sie ein Spielzeug. Sie übernahm das Gespräch, antwortete auf dieses und jenes, und nein, sie wisse noch nicht, was sie werden wolle, dass sie wahrscheinlich einen Fleck in Physik haben werde, weil sie nicht so büffele wie Julia, aber dass sie hoffe, an der Kunstakademie angenommen zu werden. Jež wusste, wie begabt sie war, drückte seine Überzeugung aus, dass sie es ohne Schwierigkeiten an die Akademie schaffen werde, und wünschte ihr Glück bei der Ausbesserung des Flecks. Bei „Fleck“ streifte er mit einem Blick seine Frau, die ihn aber entweder nicht hörte oder so tat, als hörte sie ihn nicht – und Jež war beides recht. Er empfand allerdings Genugtuung bei den ungeschliffenen Worten von Fräulein Klammer: Sie wuchs in Opposition zu ihrer Mutter auf, sie war seine Verbündete.

Ihm kam der Gedanke, dass das Mädchen auf eine Weise schön war, die kein geneigtes Auge brauchte, weder das der Mutter noch eines nach Liebe Dürstenden, sie wurde mit Sicherheit von allen gemocht. Ihre Freundin musste sich neben ihr unbeholfen unerwachsen fühlen. Während sich Anja ohne Stockungen oder grobe Unterbrechungen schrittweise vom Mädchen zur Frau entwickelte, war sie selbst offenbar von jener Art Frau, deren Entwicklung wie bei einem Schmetterling oder einer Fliege eine vollständige Metamorphose darstellt. Jetzt war sie noch immer eine Puppe. Jež bemerkte den Flaum auf ihrer Oberlippe. Sie ist schwarzhaarig, der Flaum ist künstlich gebleicht, damit er zum Weiß ihrer Haut passt. Eine seltsam rührende Korrektur war das, ausgeführt von einer Hand, die unvergleichlich ungelenker war als die der Natur, die ein großzügigeres Schaffen gewöhnt ist. Aber vielleicht wird auch sie einmal eine schöne Frau werden, alles ist möglich.

„Und woran denkst du?“, fragte er sie.

Das Mädchen wurde steif.

„An welchen Beruf“, erklärte Jež rasch.

„Ich weiß nicht. Ich suche noch“, sagte Rita leise. Trotzdem klang es erprobt, schon mehrmals gesagt, anders als „Julia“.

„Sie kann sich nicht entscheiden, weil sie überall ausgezeichnet ist“, sprang Anja lauter ein.

Überall ausgezeichnet. Eine schöne und zudem unwiderlegbare Tatsache, die vor fremdem Urteil sicher ist, weil sie schwarz auf weiß im Notenbuch steht. Auch ihre Mutter darf diese Worte benutzen, um ihre Tochter zu beschreiben, wenn sie sich in der Jausenzeit mit ihren Kolleginnen vergleicht, und wenn sie sie ausspricht, ist sie stolz. Diese Worte repräsentieren die Tochter sehr schön, sie sind gute Repräsentanten, sie bringen sie ihrer Tochter näher, die in der Abwesenheit immer an Wert gewinnt, sie ist gerade in dieser schwierigen Phase des Heranwachsens, während die Anwesenheit ihr nicht zum Vorteil gereicht, aber das wird sich später schon ändern, ihre Mutter ist bereit, der Zeit Zeit zu lassen.

Im Wissen, dass ausgezeichnete Mädchen ein fruchtbarer Boden sind, der sich danach sehnt, dass der Keim einer erlösenden Pflanze in ihn eingesetzt wird, sagte Jež, dass er sie verstehe. Dass er sich selbst auch lange gesucht habe. Dass er aber nie das Gefühl gehabt habe, sich in etwas so recht gefunden zu haben – er habe sich einfach überall von selbst wiedergefunden. Und habe sich wieder zurechtfinden müssen. Dass ein junger Mensch, der sagt, er suche sich, noch nicht wisse, dass er bei allem, was er tut, nur beobachten könne, bis er entdeckt, welcher Art er sei. Dass wir alle aus einem Samen gekommen seien und dass wir alle eine Knospe bekämen und nur darauf warten können, dass sie sich öffne. Aber wir würden uns nie von außen sehen, und es könne passieren, dass wir ein Veilchen sind, das glaubt, es sei eine Primel.

Er konnte mit seinem Auftritt nicht zufrieden sein. Vielleicht hätte er die Dinge allein für sich aussprechen müssen, bevor er sie in Gesellschaft laut sagte, Ohren sind gute Kritiker, sie können unparteiisch von außen urteilen, während der Mensch sich selbst nur von innen beurteilen kann. Diese These, die in ihrem Kern nicht falsch war, hätte er zunächst aufschreiben und sie dann gereinigt auswendig lernen und als Sprechübung vortragen müssen. Er hatte viel Überflüssiges gesagt, vieles hätte er weglassen können. Was hat zum Beispiel, könnte sich der Fratz denken, jemand zu sagen, der sich mal hier, mal dort wiederfindet. Als ob er keinen eigenen Willen habe. Tatsächlich hat Jež sehr wenig davon, aber das muss man nicht an die große Glocke hängen. Nun, beim nächsten Mal würde er es wissen. Alles weiß man beim nächsten Mal, aber angeblich klappt es erst beim dritten Mal. Andererseits war es völlig egal, was er sagte. Ihr Heranwachsen wird sich nach dem Willen der Natur fortsetzen und sie, das denkende Veilchen, die Primel, das Schilfrohr, wird doch an einem Punkt erkennen: „Ach ja, der ältere Herr damals hatte recht.“

Oder auch nicht. Ihm war es egal. All das hatte er genau genommen mehr für seine Frau gesagt, die immer noch so tat, als würde sie ihm nicht zuhören. Und vielleicht tat sie es ja wirklich nicht.

„Vor allem müssen wir uns damit anfreunden, dass uns der Verstand und die Augen um nichts weniger täuschen als die Welt“, schloss er, und endlich sah ihn seine Frau an.

Und dann die Getränke und das Essen, und ja, die Klammer hatte selbst gekocht, das Rezept hatte sie von einem syrischen Flüchtling bekommen, der in einem Restaurant arbeitet, das syrische Flüchtlinge beschäftigt, es ist ein gutes Restaurant, in jeder Hinsicht, vor allem bezüglich der Gäste! Toleranz ist heutzutage der wichtigste Wert, sie akzeptiert alles mit offenen Armen, außer was die Laktose betrifft, der Arzt wirft ihr Intoleranz vor (Lachen), sodass sie ihren White Russian jetzt leider mit Sojamilch trinken muss (Lachen).

Seine Frau hatte mitgelacht, die Mädchen hatten ihren eigenen Spaß. Sie hatten gekichert. Ach ja, das mädchenhafte Kichern. Das war eines der Dinge, bei denen Jež wie bei jedem unerreichbaren Vergnügen ein Bedauern verspürte. Er selbst hatte noch nie gekichert. Auch in Gesellschaft nicht.

Er hatte vor, etwas auf dem Teller zurückzulassen als Zeichen, dass es nicht ausgezeichnet war, ein klitzekleines Minus oder wenigstens einen Kreis, und dabei reuig zu sagen, es sei „ausgezeichnet, nur zu viel“ gewesen, aber sein Appetit war übermächtig. Und das Lamm war schon geschlachtet, es wäre unsinnig gewesen, es zu opfern.

Das Gespräch lief unvergleichlich schneller als die Zeit.

Das Rouge der Frau Klammer wanderte mehr und mehr von den Lippen ans Glas.

Irgendwann legte Jež seine Hand auf die Rückenlehne des Stuhls, auf dem seine Frau saß, und flüsterte ihr verschwörerisch zu: „Ich kann nicht mehr“, und sie streichelte ermunternd seinen Oberschenkel. Er konnte noch.

Der Mensch hält immer bis zum Ende aus.

Sie sind zufrieden mit mir. Sie sprechen von ungewöhnlichem Fortschritt. Sie staunen über die Kohärenz. Wir sind auf dem richtigen Weg, meinen sie, und wenn sie mit mir zufrieden sind, sind sie mit sich selbst zufrieden, denn wir haben einen gemeinsamen Ursprung. Nur eines legen sie mir ans Herz: Jež ist der Schlüssel. So viel wie möglich über diese Person, so wenig wie möglich über mich selbst. Den gemeinsamen Ursprung von Jež und mir erkennen sie nicht an.

Was Jež später das Ermuntern seines Oberschenkels nannte, als er in seiner Einsamkeit begann, Ereignisse anzusprechen und mit Worten zu spielen, indem er Buchstaben zu Mustern legte, wie er einst Klötzchen gelegt hatte, wenn er auf seine Mutter wartete – das war eine der Gesten, die er ihr nicht verzeihen konnte.

Sie streichelt

sie strichelt

sie stichelt

sie stachelt.

Er presste die Augen zusammen.

„Brennen dir die Augen?“, fragte sie dann immer besorgt. Mit den Augen hatte er die meisten Probleme. Sie waren immer rot und brannten. Die Ärztin gab ihm künstliche Tränen und schickte ihn wieder weg. Was völlig unnütz war, denn sie tränten ja schon von selbst. Wenn er sie schloss, wenn sie ihn am meisten brannten, liefen zwei echte Tränen an seinem Gesicht herunter, sie traten aus dem äußeren Augenwinkel aus. Die Menschen konnten sich diese Entzündung nicht recht wegdenken. Sie sahen ihn entweder als Schlaflosen oder als Alkoholiker oder einen jener Hunde mit dem traurigen Blick, den man immer wieder aufmunternd streicheln muss, obwohl er von solcher Art ist.

„Ja, sie brennen. Ich müsste nach Hause, langsam.“

Langsam.

Seine Frau trug hohe Absätze, oh, wie hoch. Sie trug Schuhe, die ihr mehr wehtaten, als ihr der Boden wehgetan hätte, wenn sie barfuß gegangen wäre. Denn Damenschuhe sind genau nach dem Maß der Frauen, die nicht immer verstehen, warum Dinge so sind, wie sie sind, d.h. wozu sie gut sind; eine Frau hat oft ihren eigenen Zweck, den sie den Dingen aufzwingt, war Ježens Meinung in diesem Moment. Der Mann entdeckt, entwickelt und vervollkommnet die Werkzeuge der Erleichterungen, die Frau geht dann immer noch einen Schritt weiter, überschreitet die Grenze und verlässt sich darauf, dass ihr das Männchen folgt, in ihrem Tempo, d.h. langsam. Der Mann ist verführt, die freiwillige Entscheidung zum Leiden scheint ihm vielversprechend, er meint, dass die Frau auch das Ehejoch gut ertragen werde, mit einem gewissen Maß an Eleganz sogar, wie Schmuck würde sie es tragen, vielleicht; er merkt zu spät, dass sie alles nur auf den Kopf stellen und der Bequemlichkeit ein Ende setzen wird. In diesem Augenblick hatte Jež auch vergessen, wie sehr ihm die Absätze seiner Frau gefallen hatten, wenn er sie getrennt von den Folgen betrachtet hatte, und dass alles, was wir wollen, von etwas begleitet wird, was wir nicht wollen, das heißt, von einer Folge, und dass man sich damit anfreunden muss, aber er sagte nichts, denn angefreundet hatte er sich schon weitgehend.

Als sie nicht mehr konnte, wollte, wurde ein Taxi gerufen. Sie wurde sofort erhört, ohne dass sie zuvor ermunternd gestreichelt worden wäre.

Auf dem Rücksitz des Taxis streckte sie sich dann bequem aus, der Abend stieg ihr wieder in den Mund und sie begann ihn durchzukauen. An einem Punkt meinte sie, dass Ježens Anti-Snobismus die gleiche Art von verbissenem Streben nach schmeichelhafter Selbstkategorisierung sei, die er den Snobs vorhalte. In der Tat sprach sie von „verbissenem Streben“ und „schmeichelhafter Selbstkategorisierung“. Der Satz war offensichtlich schon vorher vorbereitet worden, gut vorbereitet, und Jež blieb still, um ihn zu verstehen und über ihn nachzudenken, während seine Frau, die einfach glaubte, dass, wer schweigt, zustimmt, aus lauter Freude darüber, dass es ihr gelungen war, den Nagel auf den Kopf zu treffen, verspielt hinzufügte:

„Um ihnen was anzukreiden, isst du selbst Kreide!“

Mit dem Wortspiel hatte sie ihn gekriegt. Als würde man einem Kind einen bitteren Bonbon geben. Und sie war mit sich zufrieden. Nach einer Weile entgegnete Jež:

„Ich werfe ihnen nicht ihr ‚Streben nach schmeichelhafter Selbstkategorisierung‘ an sich vor, ich hinterfrage nur den Wert dessen, was sie als schmeichelhaft empfinden.“

„Du meinst, dass ihre Freunde erfolgreich sind und dass sie intellektuelle Abhandlungen lesen“, steuerte seine Frau in konkrete Fahrwasser.

Das war ihr ständiges Manöver – das Ausweichen ins Konkrete.

„Genau so!“, stellte sich Jež aus Rache dumm und schaute weg, aus dem Fenster, in die gute Welt der Dinge, deren Konkretheit nicht ihre eigene fragwürdige Wahl war.

Seine Frau war erfolgreich. Er konnte es nicht leugnen. Auch ausdrücken konnte sie sich besser. Und obwohl er zum Beispiel jahrelang mit immer neuem Eifer Italienisch gelernt hatte, bis er schließlich an den Punkt gelangt war, dass er die Göttliche Komödie durchlas, das Inferno