Vertrauen kann man lernen - Christina Burger - E-Book

Vertrauen kann man lernen E-Book

Christina Burger

0,0

Beschreibung

"Ich bewundere deinen Mut! - Als ich von meinem Plan erzähle, alleine mit Zelt und Hund durch Frankreich pilgern zu wollen, bekomme ich diesen Satz oft zu hören. Dabei bin ich gar nicht so mutig. Im Grunde fällt es mir schwer, zu vertrauen. Alleine loszulaufen, erscheint mir mehr das Ding von anderen, von Leuten, die mutiger sind als ich. Kann man lernen, seine Bedenken zur Seite zu stellen, um Freiheit und Leben zu schnuppern?" - Die Autorin nimmt Sie in 15 Vertrauensgeschichten mit auf ihren ungewöhnlichen Jakobsweg: von Fribourg bis Le Puy und weiter nach Brasilien.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 80

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



für Daniel

Ich weiss nicht wohin ich gehe, aber ich bin auf meinem Weg

Gertrude Stein

Einstimmung

Geschichten wie diese sind nicht aussergewöhnlich. Es gibt viele davon. Wenn wir offen dafür sind, erleben wir sie alle. Nicht nur auf dem Jakobsweg, sondern im ganzen Leben. Trotzdem hat es sich gelohnt, sie hier aufzuschreiben. In erster Linie für mich selbst, damit ich mich daran erinnere, was mir an Schönem widerfahren ist. Wenn wir Vertrauen lernen möchten, brauchen wir die Erinnerungen an all die Momente in unserem Leben, wo wir spürten, dass wir geführt wurden. Leider vergessen wir das allzu schnell wieder und schenken den nächsten Ängsten unsere Aufmerksamkeit. Darum ist es wichtig, die kleinen und grossen Wunder am Wegrand wertzuschätzen und sie nicht ständig den negativen Gedanken oder den Zweifeln zu opfern.

An manchen Pilgertagen war ich innerlich so erfüllt, dass es abends förmlich aus mir heraussprudelte und ich die Sätze spontan ins Handy tippte. Erst später kam mir dann die Idee, dass meine Weggeschichten vielleicht auch andere ermutigen, ihre Träume ernst zu nehmen. So oft haben mir Menschen erzählt, dass sie auch gerne einmal eine Auszeit machen und einfach loslaufen würden. Für einen Moment blitzte ein Glanz in ihren Augen und dann kam das grosse „ABER“:

Ich bin zu alt. Ich kann nicht frei nehmen. Ich kann meine Familie nicht alleine lassen. Ich habe kein Geld. Ich bin körperlich nicht fit. Ich traue mich nicht.

Für jede Idee, jedes Vorhaben gibt es tausend Gegengründe. Das Wörtchen „ABER“ schreit oft so laut, dass wir unsere Sehnsüchte schnell wieder ruhigstellen. Dass ich es in diesem Sommer überlisten konnte und trotzdem losgezogen bin, freut mich bis heute. „Du siehst so jung aus“ – hörte ich bei meiner Rückkehr von mehreren Seiten. Und so fühlen wir uns, wenn wir Grenzen überwinden, die unsere Zweifel und Ängste aufgebaut haben.

Aufbruch kostet etwas, umsonst ist er nicht zu haben. Es braucht die Überwindung. Der Preis fürs Stehenbleiben ist aber bei weitem höher. Er kostet die Lebendigkeit.

Wenn diese Vertrauens- oder Überwindungsgeschichten ermutigen, Träume in eine Tat zu bringen und Schritte ins Unbekannte zu wagen, dann wäre mir das eine grosse Freude.

DANKE allen, die mich unterstützt haben, meine vielen inneren „ABER“ zu überwinden.

15. November 2022, Christina Burger

Inhaltsverzeichnis

Einstimmung

01 Vertrauen kann man lernen

02 Die erste Lektion

03 Der Weg gibt dir, was du brauchst

04 Unterschiedliche Gangarten

05 Alles ist in Bewegung

06 Bittet, dann wird euch gegeben

07 Die Magie des Weges

08 Gastfreundschaft

09 Was ist der Weg?

10 Pilgern mit Hund

11 Auch Pilger sind verschieden

12 Jeder Schritt gehört zum Weg

13 Abzweigung

14 Abschiede

15 Heimweg

16 Epilog: Daniel

17 Epilog: Doro

18 Epilog: Suzana

19 Drei Jahre später

01 Vertrauen kann man lernen

“Ich bewundere deinen Mut.” - Als ich von meinem Plan erzähle, alleine mit Zelt und Hund durch Frankreich pilgern zu wollen, bekomme ich diesen Satz oft zu hören. Dabei bin ich gar nicht so mutig. Im Grunde fällt es mir schwer, zu vertrauen. Viel öfter spüre ich meine Ängste und mein Kopf beschäftigt sich sehr gerne mit allen möglichen Eventualitäten. Ganz im Sinne von: “Es könnte ja sein, dass ...” oder “was wäre wenn?”

Alleine loszulaufen, erscheint mir mehr das Ding von anderen, von Leuten, die mutiger sind als ich. Dabei gehe ich gerne davon aus, dass es zwei Arten von Menschen gibt: solche, die von Geburt an mit Selbstbewusstsein und Mut ausgestattet sind und dann die Ängstlichen, solche wie ich. Leute, die einfach losziehen und all ihre Bedenken über Bord werfen können, bewundere ich. Ich mag das Leben lieber organisiert und denke, dass ich da nicht mithalten kann. So ganz stimmt das natürlich nicht. Denn das ist nur ein Teil in mir.

Ein anderer Teil träumt nämlich von Freiheit und Abenteuer. Kann man lernen, seine Bedenken zur Seite zu stellen, um Freiheit und Leben zu schnuppern? Das war die Frage, die ich mir länger schon stelle. Zumal ich über die Jahre spürte, wie der Radius meines Lebens sich ständig verkleinert, wenn ich meine Ängste und Sorgen ständig über die Abenteuerlust gewinnen lasse.

An einem unvergesslichen Silvesterabend habe ich meine Frage einmal zwei „Experten“ gestellt. Zwei Menschen, die ihre eigenen Ängste überwunden und sich auf die Walz begeben haben. Damit hatten sie sich verpflichtet, mindestens drei Jahre lang ihr Zuhause zu meiden, um in der Fremde neue Erfahrungen zu sammeln. Mein Mann Daniel las die beiden auf dem Weg nach Hause mit dem Auto auf und lud sie spontan zu uns ein. Ich lag mit Hexenschuss bewegungslos auf der Couch und war anfänglich alles andere als erfreut über diesen Besuch. Doch es wurde ein wunderbarer Abend. Gemeinsam wurde gekocht, gegessen und erzählt und um Mitternacht setzte Luise, die Schneiderin, sich ans Klavier und gab ein kleines Konzert. Für einen Moment waren meine Rückenschmerzen wie weggeblasen.

Ich fragte sie und ihren Genossen Nemo nach ihren Erfahrungen und hörte ihnen mit offenem Herzen zu. Vielleicht spürte ich in diesem Moment, dass mit ihrem Besuch auch die Erinnerung in unser Haus kam, lebendig zu bleiben.

„Wie schafft ihr es, ständig diese Unsicherheiten auszuhalten?“ Ich meine damit, dass sie oft nicht wissen, wo sie neue Arbeit finden oder die Nacht verbringen können. “Wie bleibt ihr ruhig, wenn ihr gegen 18.00 Uhr immer noch nicht wisst, wo ihr schlafen werdet?” "Das kann man lernen", erklärt mir Nemo, der Fischer. “Anfänglich fällt das allen schwer, aber mit der Zeit wächst auch das Vertrauen.”

Dass Luise und Nemo auch Angst haben und ihr Vertrauen durch die Angst hindurch gewachsen ist, tröstet mich. Und dann erfahre ich, dass eben aus diesem Grund jeder Mann und jede Frau am Beginn ihrer Walz einen erfahrenen Begleiter erhält, der oder die weiss, wie solches Reisen geht. Jemand also, der hilft, einen Schlafplatz zu finden, einem lehrt, wie man ohne Handy untereinander kommunizieren kann oder eine Arbeitsstelle findet. Am Anfang sei es schon komisch, gibt er zu, aber mit der Zeit würde man entspannter. Und Luise ergänzt, dass es bei ihr bis jetzt immer geklappt hat und sie meistens sogar überrascht würde von schönen Begegnungen und von Menschen, so wie wir, die ihnen Unterkunft gewähren. Erst ein einziges Mal habe sie nichts gefunden und notgedrungen halt in einer Tiefgarage schlafen müssen.

Vertrauen kann man lernen! Die Begegnung mit Luise und Nemo berührte mich und sie hat Anteil daran, dass ich mich zwei Jahre später selbst auf die “Walz” mache.

Silvester 2019 mit Luise und Nemo

02 Die erste Lektion

"Du könntest mich filmen, wie ich dastehe", sage ich zu Daniel. So oft werden mich meine Kinder ja nicht als Anhalterin zu Gesicht bekommen. Ist sicher lustig zu sehen, wie ihre Mutter mit Riesenrucksack und Hund am Strassenrand steht und vergeblich versucht, ein Auto anzuhalten. Den ganzen Tag waren wir hoch und runter gelaufen und ich war müde. Die Aussicht, bei glühender Hitze noch weitere vier Kilometer an einer befahrenen Strasse zu marschieren, gab mir den Rest. Ich will es mit Autostopp probieren und halte den Daumen raus. Daniel nimmt mein Handy und filmt mich. Doch völlig überraschend hält bereits das zweite Auto - ein schicker BMW. Damit hatte ich nicht gerechnet. Der Fahrer will uns mitnehmen, lässt aber den Kofferraum zu. Also quetschen wir uns mit Hund, Rucksäcken und Wanderstöcken in sein Auto. Die Chance müssen wir nutzen.

Unsere Verständigung ist kompliziert. Anfänglich vermute ich, dass es an meinem schlechten Französisch liegt, bis ich kapiere, dass unser Fahrer Italiener ist und gar kein Französisch spricht. Mit Hand und Fuss verständigen wir uns und der nette junge Mann fährt uns nach La Cure an unser Ziel. An diesem Abend werden wir nicht im Zelt schlafen, sondern in einem Hotel, das direkt auf der Grenze liegt. Bei der Buchung konnte man wählen, in welchem Land man schlafen will. Es gibt Zimmer zur französischen und solche zur Schweizer Seite.

Ich freue mich auf die Nacht in einem richtigen Bett und bin unendlich dankbar, dass der freundliche Italiener uns mitnimmt. Sicher hat sein schicker Wagen schon vornehmere Reisende als uns chauffiert. Nach zwei Nächten im Freien und einem anstrengenden Wandertag, kommt jedes Deo an seine Grenzen. Dezent öffnet er leicht das Fenster und erzählt dann, dass er Ferien hat und alleine unterwegs ist. Er ist froh um etwas Gesellschaft und nimmt dafür auch zwei verschwitzte Pilger samt Hund in Kauf. Als wir aussteigen, verabschieden wir uns herzlich. Ein letzter Blick auf das Auto und dann ist der schwarze BMW verschwunden. Jetzt schnell ins Hotel, duschen und Beine hoch. Ich freue mich wie eine Schneekönigin. "Gibst du mir mein Handy wieder?", bitte ich Daniel, denn ich will das Filmchen gleich meinen Kindern schicken und voller Stolz erzählen, dass gleich das zweite Auto angehalten hat. Daniel beginnt zu suchen und wird blass um die Nase. Mein Handy ist weg. Wir überlegen und vermuten, dass es beim Einsteigen ins Auto auf den Boden gefallen ist.