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In diesem Buch geht es um den längsten der fünf Wege der Via Alpina: den Roten Weg. Geschildert wird das intensive Wanderabenteuer einer Gesamtdurchquerung des Alpenbogens. Der ultimative Fernwanderweg führt mit 161 Etappen durch alle acht Alpenstaaten Europas, von Triest an der Adria bis nach Monaco an der Côte d'Azur. Urs Liechti gehört zu den ersten, ambitionierten Weitwanderern, die sich auf diesen grenzüberscheitenden Weg eingelassen und ihn von Anfang bis zum Ende zurückgelegt haben. Er ging die 2500 Kilometer lange und anspruchsvolle Route in den Jahren 2010 und 2011. Die meiste Zeit war er alleine unterwegs. Mit seinem reich bebilderten Buch gibt der Autor dem Leser die Möglichkeit, ihn auf seiner fünfmonatigen Fussreise zu begleiten. Eindrücklich erzählt er von seinen Erlebnissen und Erfahrungen, anschaulich berichtet er von der Schönheit und Vielfalt der Alpenregionen, von der Fauna und Flora, von den kulturellen, historischen Zeugnissen, den kulinarischen Gaumenfreuden sowie von den Begegnungen mit den Menschen. Und nicht zuletzt fasst er auch seine Gefühle in Worte zusammen. Das Buch ist auch für Nicht-Wanderer interessant.
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2021
Urs Liechti
Via Alpina
Roter Weg
Grenzenlose Wanderlust – Von Triest bis Monaco
Urs Liechti
Via Alpina
Roter Weg
Grenzenlose Wanderlust – Von Triest bis Monaco
140 000 Höhenmeter
2500 Kilometer
161 Etappen
8 Länder
5 Monate
2 Paar Wanderschuhe
Mit 200 farbigen Abbildungen
Impressum
Via Alpina, Roter Weg,Grenzenlose Wanderlust – Von Triest bis Monaco
Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigendes auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe
Für die Richtigkeit der Angabenkann keine Haftung übernommen werden
© 2021 Urs Liechti, www.berg-frei.ch
Lektorat: Michael Lück
Text und Fotos: Urs Liechti
Cover: Drei Zinnen (Sextner Dolomiten, Italien)
Rückseite: Mont-Blanc-Massiv (Frankreich)
Übersichtskarte und Logo mit freundlicher Genehmigungder Via Alpina-Organisation
Verlag: Tredition GmbH, Halenreie 40-44, D-22359 Hamburg
ISBN Paperback:
978-3-347-41396-2
ISBN Hardcover:
978-3-347-41397-9
ISBN E-Book:
978-3-347-41398-6
Der Autor
Urs Liechti, geboren 1946, ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau in Thun, der Stadt der Alpen, am Thunersee im Berner Oberland der Schweiz. Er ist ein grosser Freund der Berge und Naturliebhaber. Zu jeder Jahreszeit ist er in den Bergen unterwegs. Den Weg zu ihnen hat er über die Naturfreunde gefunden. Der Autor ist vom Bergvirus schwer infiziert und will immer wissen, wie das Bergwetter wird. SAC-Hütten ziehen ihn magisch an. Er trägt das Edelweiss im Herzen und der Wolf ziert seine Kleidung. Ohne Fotokamera geht er fast nie aus dem Haus. Sein Lieblingsberg ist der Napf (1406 m), der höchste Gipfel in den Emmentaler Alpen der Schweiz, sein Lieblingsmenü das Heimat-Teller (guter Wurst-Käse-Salat) und das Lieblingsgetränk die Apfelschorle.
Zum reichen Wander- und Bergsteigerleben von Urs Liechti zählt die Königsdisziplin der Weit- und Fernwanderwege. Neben dem Roten Weg der Via Alpina war er auf dem «Traumpfad» von München nach Venedig unterwegs und ist dem lappländischen Kungsleden («Königspfad») in Schweden gefolgt. Aus eigener Muskelkraft hat er die ganze Schweiz grenznah umrundet. Auch auf dem Weg vom Jura zum Matterhorn und von Basel nach Ascona im Tessin hat er seine Fussspuren hinterlassen. Zudem ist er auf der Via Jacobi von Rorschach nach Genf gepilgert.
«Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.»
Tommaso Campanella, italienischer Philosoph (1568–1639)
Inhalt
Prolog
Erklärung der Alpen
Entstehung der Via Alpina
Voraussetzungen
Vorbereitung
Ausrüstung
Königsdisziplin
Roter Weg, die Etappen
Epilog
Dank
Prolog
Unerfüllte Träume. Wer hat sie nicht? Ganz oben auf meiner speziellen Wunschliste stand der sogenannte Rote Weg der Via Alpina. Es ist mit Abstand der längste und anspruchsvollste Fernwanderweg in Europa. Er durchquert auf 2500 Kilometern und in einem grossen Bogen alle acht Alpenländer und endet erst nach 161 Etappen.
Die Via Alpina ist nur mit grosser Ausdauer und Zeit zu bewältigen. Eine Wandersaison reicht nicht aus, um die Wegstrecke komplett zu begehen. Vor allem wegen der Schneefelder und der noch geschlossenen Hütten ist sie eigentlich nur von Juni bis September wanderbar. Nur ganz wenige schaffen es ohne Unterbrechung.
Nachdem ich im Jahre 2005 in einem Magazin für Bergsteiger und Bergwanderer erstmals auf die einzigartige und unvergleichliche Via Alpina aufmerksam wurde, liess mich der faszinierende Gedanke nicht mehr los, den gesamten Alpenbogen von Triest an der oberen italienischen Adria bis nach Monaco an der Côte d’Azur einmal an einem Stück zu durchwandern. Der Name Via Alpina klang für mich wie schönste Musik in den Ohren und liess mich nicht mehr in Ruhe. Fast täglich wurde ich an mein Vorhaben erinnert.
Endlich, anfangs Juni 2010, war es soweit. Nach 45 Jahren Berufsleben nahm ich mir die Freiheit, aufzubrechen. Bereits nach zwei Tagen frisch in Rente reiste ich mit einem Schuss Abenteuerlust in der Wanderbrust an den Golf von Triest. Meine körperliche Verfassung und Kondition – das wusste ich – waren gut, die Füsse in Form. Erfahrungen in den Bergen hatte ich als Weitwanderer auch schon gesammelt. Zehn Jahre zuvor war ich alleine in 28 Etappen von München nach Venedig (554 km) unterwegs gewesen. Jetzt stand der grossen Herausforderung nichts mehr im Wege. Ich konnte unternehmungsfreudig losziehen.
Die Verbindungsroute der Via Alpina schlängelt sich durch alpines Gelände von Italien über Slowenien, Österreich, Deutschland, Liechtenstein, die Schweiz und Frankreich nach dem Fürstentum Monaco. Insgesamt werden die Staatsgrenzen 44-mal überquert. Die Via Alpina ist gespickt mit vielen Highlights. Der Weg führt an den imposanten Berggrössen wie Triglav, Drei Zinnen, Zugspitze, Silvretta, Ortler, Bernina, Montblanc oder Barre des Écrins vorbei. Die atemberaubende Schönheit der zahlreichen Natur- und Nationalparks sowie die Möglichkeit, den unterschiedlichen Sprachen zu begegnen und von den kulinarischen Köstlichkeiten zu kosten, entschädigte mich für jede Anstrengung.
Im vorliegenden Buch bringe ich den Leserinnen und Lesern den Roten Weg der Via Alpina näher und erzähle ihnen die Eindrücke und Erlebnisse von meinem Wanderabenteuer. Sie beruhen hauptsächlich auf meinen Tagebucheintragungen und Recherchen im Internet. Die Tageszeiten und Kilometerangaben habe ich der Webseite der Via Alpina-Organisation entnommen (www.via-alpina.org). Persönlich konnte ich die Gehzeiten nicht immer einhalten. Obwohl alle Wege recht ausführlich beschrieben sind, erhebt das Buch keinen Anspruch auf einen Bergwanderführer. Auf der Roten Via Alpina kann sich vieles rasch ändern. Inzwischen sind neue Infotafeln installiert und die Routenverläufe angepasst worden.
Erklärung der Alpen
Die Alpen sind das mächtigste Hochgebirge in Europa. Sie entstanden vor etwa 130 Millionen Jahren und erstrecken sich über acht Staaten in einem rund 1200 Kilometer langen und bis 250 Kilometer breiten Bogen von Ost nach West.
Die spektakulären und vielfältigen Alpen liegen im Westen Mitteleuropas und trennen den Norden Europas vom Süden. Sie beginnen fast am Mittelmeer in Italien und enden in Frankreich. Es gibt 82 Alpengipfel mit einer Höhe von über 4000 Metern. Den Höhenrekord mit 4809 Metern hält der Montblanc an der Grenze zwischen Frankreich und Italien. Zurzeit befinden sich im Alpenraum (noch) ungefähr 5000 Gletscher. Der Aletsch im Schweizer Kanton Wallis ist der grösste davon. Die Anzahl der Bergseen wird auf über 4000 geschätzt. Zu den schönsten gehört der Pragser Wildsee in Südtirol. Die Alpen machen kaum zwei Prozent der Landfläche Europas aus, doch die Vielfalt des tierischen Lebens ist überwältigend. Etwa 30’000 Tierarten werden hier beherbergt.
Schon vor Jahrtausenden überwanden Steinzeitjäger, bronzezeitliche Händler und römische Soldaten den Alpenbogen, doch was sie damals wohl als furchteinflössende Hürde empfanden, ist längst zur sportlichen Herausforderung geworden. Wohl niemand kann sich heute dem magischen Bann dieser grandiosen Bergwelt entziehen.
(Wikipedia)
Eine der besten Möglichkeiten, die Alpen zu erkunden, ist, über die Via Alpina zu wandern.
Entstehung der Via Alpina
Im Jahre 1999 war beim französischen Wanderverein «Grande Traversée des Alpes» (GTA) die Idee entstanden, alle acht Alpenländer (Frankreich, Italien, Slowenien, Österreich, Deutschland, die Schweiz, Liechtenstein und das Fürstentum Monaco) durch einen grenzüberschreitenden Fernwanderweg zu verbinden. Damit wollte er die Alpenkonvention von 1991 und deren Ziele nachhaltiger Entwicklung im Alpenraum sichtbar machen.
Ein Jahr später, im Jahr der Berge, hatte ein Zusammenschluss alpiner Vereine und Gebietskörperschaften in Lyon dem Projekt zugestimmt. Man einigte sich auf den klingenden lateinischen Namen «Via Alpina». Es ist eine in allen Alpenländern und auch im englischsprachigen Raum verständliche Sprache.
Im Jahre 2002 wurde der Fernwanderweg offiziell eröffnet. Für die Via Alpina (Alpenweg) wurden keine neuen Wege angelegt, sondern auf die bestehenden Wanderwege und Unterkünfte zurückgegriffen. Die Via Alpina hat insgesamt 342 Etappen. Diese sind auf fünf Wege verteilt, von denen jeder eine eigene Farbe hat (Rot, Violett, Gelb, Grün und Blau). Der rote und längste Weg, der von Triest an der Adria bis nach Monaco an der Côte d’Azur führt, ist der Hauptweg und das Herzstück mit offiziell 161 Etappen. Die Wanderrouten sind mit dem charakteristischen Via Alpina-Logo oder kleinen Informationstafeln signalisiert. Das Dreieck im Logo symbolisiert einen Berg. Der rechte blaue Strich steht für den Alpenbogen, der linke Strich stellt den Weg dar. Je nachdem wird eine andere Farbe verwendet (Roter Weg – rote Farbe).
Auf der offiziellen Webseite der «Via Alpina» können die technischen Informationen abgerufen werden. Sämtliche Wege werden hier detailliert vorgestellt und Schwierigkeit, Entfernungs- und Höhenangaben sowie die Übernachtungs- und Verpflegungsstellen genannt. (www.via-alpina.org)
Voraussetzungen
Wer die Rote Via Alpina zum Ziel wählt, sollte folgende Voraussetzungen mitbringen: Der Fernwanderweg verlangt eine gute körperliche Verfassung und Kondition für die Gehzeiten sowie die Ausdauer für die unterschiedlich langen Tagesetappen von bis zu 9 Stunden. Neben dem Durchhaltevermögen ist auch Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich, da man sich in manchen Abschnitten im alpinen Gelände bewegt. Gletscher sind hingegen nicht zu traversieren. Wichtig ist zudem das Wissen um die Sicherheit am Berg und die Erfahrung in Bergtouren, um die objektiven Gefahren richtig einschätzen zu können. Die Bergbegeisterung und die Sehnsucht nach dem Erleben der alpinen Natur ist selbstverständlich. Der Weg weist einen mittleren Schwierigkeitsgrat auf, T3 nach SAC-Wanderskala (anspruchsvolles Bergwandern).
Vorbereitung
Eine wesentliche Hilfe bei der wichtigen und unabdingbaren Planung bot mir die offizielle Website der Via Alpina. Spezielle Wanderführer, Flyer oder Erfahrungsberichte gab es damals noch kaum.
Die Kurzbeschreibungen der Etappen übertrug ich in mein kleines Tagebuch. Auf die topografischen Papierkarten konnte ich nicht verzichten, ohne sie hätte ich kaum eine Chance gehabt, die richtigen Wege zu finden. Die Wege waren in einigen Ländern noch sehr sparsam ausgeschildert. Das Kartenwerk gab mir aber auch einen guten Überblick über die komplette Region. Sämtliche Wegstrecken habe ich zu Hause zur besseren Orientierung durchwegs mit einem Filzstift gelb gekennzeichnet. Ich navigierte nicht digital. In den Unterkünften habe ich nur sehr selten im Voraus reserviert, da ich nicht wusste, wie ich vorankäme. Körperlich habe ich mich mit regelmässigen Tageswanderungen vorbereitet.
Ausrüstung
Die richtige alpentaugliche Ausrüstung war entscheidend für die erfolgreiche Fernwanderung. Sie musste stimmen. Ich konnte mich auf zwei solide Wanderschuhe mit griffigen Sohlen verlassen. Sie haben mich auf Schritt und Tritt getragen und waren überlebenswichtig. Der Rucksack mit Hüft- und Schultergurt war genau an meinen Rücken angepasst und hat sich bewährt. Auch die weitere Wanderausrüstung wie Kleidungstücke und Zubehör entsprach meinen Bedürfnissen. Den leichten Daunenschlafsack habe ich geschätzt, das Einmannzelt (Hilleberg) wäre nicht notwendig gewesen, da sich jeweils am Ende der Tagesetappe eine Unterkunft befand. Die komplette Ausrüstung hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Checklisten für Fernwanderungen gibt es im Internet genügend.
Königsdisziplin
Auf allen Gebieten der menschlichen Aktivitäten gibt es wohl Sparten, die so anspruchsvoll sind, dass man sie gemeinhin als «Königsdisziplin» bezeichnet. Unter diesen Begriff fällt auch das Weit- und Fernwandern. Nach Wikipedia zeichnen sich Weitwanderwege allgemein dadurch aus, dass sie durch unterschiedliche Regionen verlaufen und nur in mehreren Tagesetappen zu bewältigen sind. Fernwanderwege wiederum verlaufen sehr oft entlang bestehender Weitwanderwege. Der Alpenverein verwendet zur Abgrenzung von anderen Wegbezeichnungen für einen Weitwanderweg eine Mindestlänge von 300 Kilometer sowie einen Verlauf durch mindestens drei Bundesstaaten/Kantone. Fernwanderwege sind 500 km oder länger und verlaufen durch mehrere (Bundes-) Staaten. Zur Königsdisziplin unter den Fernwanderwegen gehört zweifellos der Rote Weg der Via Alpina.
Roter Weg, die Etappen
Ausgangspunkt Muggia/Triest
Der Kalender spricht von Anfang Juni. Das bezaubernde Küstenstädtchen Muggia im östlichen Zipfel des Golfs von Triest und ganz nahe an der slowenischen Grenze glänzt mit Sonne, Meer und Flair. Es ist das einzige Teilgebiet Istriens, das auch heute noch unter italienischer Verwaltung verblieben ist. Die malerische Ortschaft kann von der eleganten Hafen- und Grossstadt Triest mit dem Linienbus oder, aber schöner, auf einer Bootsfahrt entlang der blauen Adriaküste erreicht werden.
Anfangs des 15. Jahrhunderts war das damalige Fischerdörfchen unter die Seeherrschaft von Venedig gefallen. Die Einflüsse sind noch heute am Baustil vieler Häuser oder auf dem Hauptplatz, der «Piazza Marconi», deutlich sichtbar. Hier findet die Via Alpina, die den ganzen Alpenhauptkamm quert und sich wie ein roter Faden durch alle acht Alpenstaaten zieht, ihren Anfang. Aber von einer Informationstafel keine Spur. Am folgenden Tag will ich die fünfmonatige Entdeckungsreise neugierig und auf eigene Faust unter die Füsse nehmen und möglichst komplett am Stück bewältigen. Was mich wohl alles auf dem langen Fussmarsch, den 161 Etappen, den rund 2500 Kilometern und 140 000 Höhenmetern erwarten wird?
Kaum bin ich angekommen, will mir schon jemand unbedingt meine extra angefertigte beige Schirmmütze mit der Aufschrift «Via Alpina» abkaufen. Dem Begehren kann ich natürlich nicht nachkommen.
Ich schlendere hinüber zum nahen und modernen Yachthafen von Porto San Rocco. Hier am Meer ist es wunderschön. Ich tröste mich. Das geht mir nicht verloren. Ich muss nur wiederkommen.
In zwei Lokalen lassen sich Fischspezialitäten kosten. Mich lockt das La Terrazza. Auf dem Dach des Wirtschaftsgebäudes schweift mein Blick auf das Meer, wenn ich mich nicht gerade fasziniert auf den servierten Teller mit dem Berg von frisch gefangenen und zubereiteten Sardinen konzentriere.
Meine ehemaligen Arbeitskolleginnen Dorothea und Yvonne schicken mir ein SMS und wünschen mir alles Gute zum Abenteuer. Als sich die untergehende Sonne bei einem Glas charaktervollem Weisswein in eine riesige orangerote Kugel verwandelt, sind es nur noch ein paar Schritte bis zum Albergo La Bussola, wo ich preiswert übernachten kann.
Die erste Zeltnacht
R1 Muggia/Triest – Rifugio Premuda
Gehzeit: 5h00 Entfernung: 14,1 km
Am frühen Morgen liegt eine verträumte Stimmung über der schmucken Hafenpromenade von Muggia. Das erste Fischerboot tuckert vom Fang zurück. Ein paar Katzen sind hellwach und harren auf Fischreste, die da kommen könnten. Es geht los. Jede grosse Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Diesen Satz sagte schon Konfuzius, der chinesische Philosoph (um 551 bis 479 v. Chr.). Und damit hatte er natürlich nicht Unrecht. Das mondäne Monaco an der Côte d’Azur ist für mich so fern wie ein Stern, und ob ich das Ziel einmal erreichen werde, noch gänzlich ungewiss. Eines kann ich hier aber schon verraten. Mein Begleiter ist der Rucksack. Der Grossraumtransporter bringt 16 Kilo auf die Waage. Sapperlot ist das ein Fuder. Ein erster Belastungstest steht an. In der Jackentasche trage ich 4000 Euro mit. Eine Kreditkarte nützt mir nur wenig.
Das Wetter spielt mit. Die Sonne wärmt und weckt meine Abenteuerlust. Meine Schnürsenkel sind straff angezogen. Ich schwinge den Rucksack auf meinen Rücken und ziehe die Trekkingstöcke aus. Frohen Mutes verlasse ich durch die verwinkelten schmalen Gassen unbemerkt die autofreie Altstadt. Leidenschaftlich, mutig, entschlossen, das soll mein Kompass sein. Ich biege in die Via S. Giovanni ein, gehe durch die Via XXV Aprile und die Via Colarich. Die Strasse führt hügelan zur Wallfahrtskirche von Santa Barbara. Auf einem blauen Wegweiser ist die erste quadratische Tafel mit der Aufschrift Via Alpina angebracht. Ich habe richtig eingefädelt. Der Auftakt ist gelungen.
Ich bringe den hässlichen Industriegürtel von Triest hinter mich und gelange durch Dörfer des Hinterlandes in die bewaldete, raue und charakteristische Karstlandschaft. Zu einem ganz mühelosen Auftakt wird die erste Etappe allerdings nicht. Am Nachmittag schwitze ich zu einem markanten Aussichtsfelsen hoch. Lohn der Mühe ist das weite Panorama auf die Triester Bucht.
Über rutschigen Schotter geht es steil hinunter zum Rifugio Mario Premuda der Società Alpina delle Giulie. Das Berghaus befindet sich am Eingang des Rosandratales. Es ist mit nur 82 m über Meer das tiefstgelegene Refugium des italienischen Alpenvereins. Die Premuda ist beliebt bei Wanderern, Bergsteigern, Höhlenforschern und allen, die ein paar Kilometer vom Stadtzentrum von Triest entfernt Ruhe und frische Luft suchen. Das Gasthaus bietet keine Übernachtungsgelegenheit, gilt aber dennoch als Etappenort der Via Alpina. Ich baue mein kleines rotes Zelt neben dem Gebäude auf der Wiese auf. Zum Abendessen gibt es gute Gnocchi und Insalata mista, einfach köstlich italienisch.
Blick auf den Hafen von Muggia und zur Stadt Triest
Sonnenuntergang am Hafen von Muggia
Erste Zeltnacht beim Rifugio Premuda nahe am Rosandratal
Grenzübergang nach Slowenien
R2 Rifugio Premuda – Divača
Gehzeit: 6h30 Entfernung: 25,7 km
Das Dieselaggregat des Rifugios Premuda hat mit seinem ständigen Wummern meine Nachtruhe im Outdoor-Bett gehörig gestört. Am frühen Morgen drängt es mich rasch in die Stille des Val Rosandra. Es ist der einzige Taleinschnitt des Triestiner Karsts. Das regionale Naturreservat wartet mit einer spektakulären Felsenlandschaft, Geröllhalden, überhängenden Wänden und einem 30 Meter hohen Wasserfall auf. Der Pfad führt zu verlassenen Häusern.
An einem kleinen Bach verirre ich mich im Gehölz. Das kann doch nicht wahr sein, dass ich schon hier scheitere. Es muss aber kein schlechtes Omen sein. Verirren ist menschlich. So ähnlich entdeckte Kolumbus auch Amerika. Auf der anderen Seite der tiefen Schlucht geht es kräftig bergan zu einem Aussichtseck. Zu meinen Füssen liegt das gesamte Rosandratal. Bald darauf gelange ich auf die Trasse einer ehemaligen Eisenbahnstrecke.
Beim Grenzübergang Pese verlasse ich schliesslich Italien. «Dober dan! – Guten Tag!» Ich bin in Slowenien, das sich 1991 von Jugoslawien gelöst hat. Der junge Staat liegt im südöstlichen Ende des grossen Alpenbogens und ist das einzige europäische Land, dessen Nationalflagge ein Berg ziert und damit den Triglav verehrt. Durch das bunte Hügelland wandere ich hinauf zum Berg Kokos (Huhn). Eine Wegstunde von hier entfernt befindet sich das bekannte Lipizzanergestüt Lipica. Seit mehr als vier Jahrhunderten pflegt dieser Betrieb die Tradition der Aufzucht der edlen, weissen Pferderasse. Ich verzichte auf eine Besichtigung und wandere über einen Waldpfad abwärts nach Lokev. Im Ortszentrum steht eine kleine Kirche aus dem zwölften Jahrhundert und daneben ein Turm aus der Türkenzeit mit einem Militärmuseum. Auf der Regionalstrasse erreiche ich das Etappenziel Divača und übernachte im empfehlenswerten Gasthaus Malovec. Die freundlichen Wirtsleute sprechen ein paar Brocken Deutsch. Das Zimmer ist riesig und das Abendessen schmackhaft. Touristisch hat Divača nicht viel zu bieten, ist aber ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Hier laufen die Bahnverbindungen von Venedig-Triest und Pula nach Lijubjana-Wien zusammen. Neben dem Bahnhofsgebäude steht als Denkmal eine Dampflokomative aus dem Jahre 1922.
Die gewaltigen Höhlen von Škocjan
R3 Divača – Razdrto
Gehzeit: 3h30 Entfernung: 17,0 km
Nicht weit von der Ortschaft Divača entfernt befindet sich das sechs Kilometer lange Höhlensystem von Škocjan mit seinem 100 Meter tiefen Canyon. Die Höhle wurde im Jahre 1884 von Gregor Žiberna, auch Tentava genannt, entdeckt und drei Jahre später zur Schauhöhle erschlossen. Diese Sehenswürdigkeit will ich mir nicht entgehen lassen. Auf einem beleuchteten Rundgang tauche ich in eine einzigartige unterirdische Welt ein. Im Labyrinth mit den riesigen Grotten, den bizarren Tropfsteinen und rauschenden Wasserfällen haben zahlreiche seltene Pflanzen und Tiere ihren Lebensraum. 1986 wurde die Höhle zum UNESCO Weltkultur- und Naturerbe der Menschheit erklärt.
Wieder oberirdisch finde ich den Weiterweg nicht mehr. Ich mache mir den Vorwurf, den auf meiner Wanderkarte fehlenden Wegabschnitt nicht beschafft zu haben. Erst nach einiger Sucharbeit treffe ich wieder auf die Via Alpina Route. Erleichtert über die Wegfindung ziehe ich weiter. Weites, eher trockenes Wiesen- und Weideland nimmt mich auf. Die Sonne ist inzwischen in den Zenit geschritten. Ich umgehe den Sportflugplatz Gabrk und trete in einen alten Kiefernwald ein, der gnädigerweise Schatten spendet. Ich bin dankbar. Gedankenverloren erwische ich prompt den falschen Wanderabzweiger, weil ich auf eine der spärlichen Markierungen am Mast einer Fernleitung nicht geachtet habe. Das kommt davon, wenn man den Boden fixiert. Fast stolpere ich über eine Schlange, die ihren Mittagsschlaf auf den Weg verlegt hat und sich hastig in Deckung ringelt. Der Jogger, der vor einer Stunde schon einmal an mir vorbeigelaufen ist, kommt mir wieder entgegen. Ich marschiere zurück und sage mir: besser aufpassen.
Ohne Erfolg halte ich Ausschau nach einer Via Alpina-Tafel. Entlang der asphaltierten Autostrasse erreiche ich endlich mit dem schwer drückenden Rucksack kurz vor 20 Uhr mein heutiges Etappenziel, das kleine Dorf Razdrto (575 m) am Fusse der Nanos-Gebirgskette. Ein langer Wandertag liegt hinter mir. Ich habe das Tagespensum nicht in der von der Via Alpina-Organisation vorgegebenen Gehzeit geschafft. In der angenehmen Pension Sobe Mirjam bekomme ich ein Bett mit Frühstück und an der Bar vernichte ich wohlig ein grosses Feierabendbier. Durst ist bekanntlich schlimmer als Heimweh.
Der erste Berg
R4 Razdrto – Predjama
Gehzeit: 4h10 Entfernung: 15,0 km
Der erste ernsthaftere Aufstieg führt mich auf den gutmütigen Berg Nanos. Er sieht aus wie ein wuchtiger Felsbuckel und überragt mit 1262 Meter Höhe die hügelige Karstlandschaft. Wegen seiner fantastischen Aussicht über das Tal ist er ein beliebtes Ausflugsziel bei den Einheimischen. Auf dem Gipfelplateau steht ein Fernsehsender, der während des 10-Tage-Krieges am 28. Juni 1991 von der jugoslawischen Luftwaffe bombardiert wurde. In der Nähe befindet sich die Vojkova-Berghütte. Ich halte eine beschauliche Rast, bevor ich über den waldbedeckten Nordhang wieder ins Tal hinabsteige. Eine Ringelnatter kreuzt meinen Weg. Es ist eine völlig ungefährliche Kreatur. Knoblauchartiger Bärlauchduft kommt mir entgegen und kitzelt mich in der Nase. Eine Wohltat für Herz und Nieren. Die grüne Planze mit den weissen Blüten hat sich grossflächig über den Boden des Laubwaldes ausgebreitet. Die Bären essen den Bärlauch gerne nach dem Winterschlaf, um ihren Magen zu aktivieren. Daher stammt auch der Name. Gemütlich führt mich der Weg weiter durch die Dörfer Strane und Smihel pok Nanosom.
Am Nachmittag stehe ich staunend unter der trutzigen Höhlenburg Lueg in Predjama (509 m). Es ist die grösste Höhlenburg der Welt, die im Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet ist. Schon mehr als 700 Jahre thront sie angeschmiegt an einer über 100 m hohen Felswand, mächtig und herausfordernd, uneinnehmbar. Die Architektur und Lage des Gebäudes sind einzigartig. Fledermäuse, die Geschöpfe der Finsternis, erwarten mich beim Höhleneingang. Die kleinen flatterhaften Flugsäuger waren den Menschen seit jeher suspekt und haben einen zweifelhaften Ruf. Unzählige gruselige Mythen und Legenden ranken sich um die nachtaktiven Tierchen. Zu Unrecht: Die Flugkünstler sind harmlos, niemand braucht vor ihnen Angst zu haben. Im ungewohnten Licht der Stablampe werden sie höchstens etwas unruhig.
Nanos, der schönste Berg des slowenischen Karsts
Höhlenburg Predjama in einzigartiger Lage
Slowenien ist die Heimat ausgezeichneter Bienenzüchter
In der Nähe der spektakulären und sehenswerten Burg befindet sich das Gasthaus Gostilna Pozar. Es bietet ein paar Zimmer an. Während des Abendessens auf der Terrasse des Restaurants treffe ich auf drei Gleichgesinnte. Ich lerne Ginette, Jacky und Michel aus Frankreich kennen. Sie sind auf dem gleichen Weg unterwegs und möchten bis Innsbruck vorankommen. Morgen wollen wir zusammen weiterziehen.
Waldbedeckte Karstlandschaft
R5 Predjama – Črni vrh
Gehzeit: 4h45 Entfernung: 20,2 km
Fast Schritt auf Tritt bin ich bisher besonders interessanten Sehenswürdigkeiten begegnet. Die heutige Etappe hält kein Highlight bereit. Sie beginnt wenig attraktiv auf Hartbelag und führt zum grössten Teil durch Wald. Wälder könnten ein Symbol Sloweniens sein. Sie bedecken mit rund 60 Prozent mehr als die Hälfte der Landoberfläche. Es gibt etwa gleich viele Nadel- und Laubbäume.
Mein Aufbruch beim Gasthaus Gostilna verspätet sich. Und zwar deshalb, weil das frische Brot zum Frühstück nicht rechtzeitig geliefert wurde. Vorbei an der gotischen Kirche und der völlig hohlen Linde, wo der berühmt-berüchtigte Raubritter Erasmus Lueger begraben sein soll, verlasse ich das Dorf Predjama. Meine «amis français» lassen sich am Frühstückstisch noch etwas Zeit. Ich folge der Fahrstrasse nach Bukovje. Der Wegweiser leitet weiter nach Hrušica. Auf einer Waldstrasse geht es stetig aufwärts zum 1156 Meter hohen Berg Javornik. Wegkreuzungen ohne Markierungen machen mich unsicher. Bären fallen mir ein, doch es begegnet mir keiner der braunen Gesellen. Schätzungsweise fünfzig der Rasse Ursus arctos sollen in Slowenien noch heimisch sein. Ich komme an einem Bauernhaus vorbei. Eine alte Frau, die vor der Türe steht, nimmt mir den Gruss ab. Leider bin ich der slowenischen Sprache nicht mächtig und kann kein Gespräch mit ihr führen. Bei einem Mountainbiker erkundige mich nach der Berghütte Pirnatova koča na Javorniku. Es ist das Haus auf dem Sattel etwas unterhalb des Gipfels, das bereits in mein Blickfeld gerückt ist. Auf der anderen Seite leitet mich ein schmaler und steiler Waldweg hinab nach Črni Vrh. Es würde mich nicht überraschen, wenn ich jetzt einen braunen Bären antreffen würde. Und siehe da! Vor mir raschelt es im Buchenlaub. Es sind aber nicht Tatzen mit langen Krallen, sondern die Fusssohlen des wackeren Franzosentrios. Die flotten Senioren haben eine kürzere Wegstrecke eingeschlagen und müssen mich wohl bereits am Morgen überholt haben. Gemeinsam wandern wir abwärts auf die weitläufige Hochebene von Črni Vrh. Auf dem touristischen Bauernhof Pr Mark finden wir wohltuend freundliche Gastgeber. Die Familie verwöhnt uns mit köstlicher Hausmannskost. Auch in Slowenien kennt man das Sprichwort, dass die Liebe durch den Magen geht. Und wie es sich gehört, wünscht man uns «Dober tek!», einen guten Appetit, und nicht zu vergessen «Na zdravje!», zum Wohl.
Über das Bergland von Idrija
R6 Črni vrh – Idrija
Gehzeit: 2h10 Entfernung: 11,9 km
Gut gestärkt nach einem typischen slowenischen Frühstück (Butter, Honig, Äpfel und frisch gebackenes Brot), machen wir uns wieder auf die Socken. Wir lenken unsere Schritte über Wiesen und Weiden, durch eine flache, idyllische Landschaft. Bereits zur Mittagsstunde sind wir in der Kleinstadt Idrija, die lang gestreckt in einer grünen Talenge liegt. An diesem Ort trifft das Voralpengebirge mit dem Karst zusammen. Idrija wurde 2011 zur Alpenstadt gekürt. Über mehrere Jahrhunderte stand hier das zweitgrösste Quecksilberbergwerk der Welt. Es bescherte dem Städtchen Ruhm und Reichtum. Ein alter Teil des im Jahre 1990 stillgelegten Bergwerkes ist für Besucher zugänglich. Aber auch die jahrhundertalte Tradition der Klöppelkunst (Verflechten von Garn zu feinen Spitzen) hat Idrija berühmt gemacht. Die eigentliche Tagesetappe der Via Alpina endet bereits hier. Es ist für uns allerdings zu früh, um zu bleiben. Stattdessen versorgen wir uns im Mercator (Supermarkt) mit neuer Marschverpflegung. Nach dem Besuch des lohnenswerten Stadtkerns ziehen wir weiter. Ein steiler Waldweg bringt uns auf den Hügelzug Marutnik. Vom sonnigen Plateau und in der intakten Natur geniessen wir eine herrliche Aussicht auf die Umgebung von Idrija und verbringen eine ruhige Nacht in der gastfreundlichen Pension Kmecki Hram Fortuna. Das Gewicht meines Rucksackes ist erträglicher geworden, dafür verspüre ich ein leichtes Brennen im Fusssohlenbereich.
Ins voralpine Hügelland Cerkljansko
R7 Idrija – Planinska koča na Ermanovcu
Gehzeit: 7h00 Entfernung: 25,0 km
Am Vortag sind wir bereits von der Stadt Idrija (335 m) nach Marutnik (892 m) aufgestiegen. Unser Weg schlängelt sich nun über die hügelige Landschaft, durch Wälder und Wiesen, vorbei an Siedlungen und verstreuten Bauernhöfen. Es ist Heuwetter und die fleissigen Bauern nutzen es. Der erste Schnitt wird gemacht. Immer wieder treffen wir hohe, überdachte Holzgestelle mit Querstreben an, über die das Heu zum Trocknen geschichtet wird. Diese Gestelle nennen sich Kozolec und sind typisch für die slowenische ländliche Gegend. Besonderheiten sind auch die bunten Bienenhäuser mit den bemalten Bienenstockbrettchen am Weg. Eine Spezialität der slowenischen Volkskunst. Beim Abfüllen der Wasserflaschen an einem Brunnen überrascht uns ein netter Slowene mit einer Flasche Slivovitz. Wir können ihm ein Gläschen Pflaumenschnaps nicht abschlagen. Zum Glück zeigt das hochprozentige Getränk auf unserem Weitermarsch keine Wirkung. Im Laufe des Nachmittag finden wir uns bei der Berghütte Planainska koča na Ermanovcu ein. Sie steht aussichtsreich unterhalb des Ermanovcu-Gipfels. Aus der Küche zieht der Duft einer frisch gekochten Suppe. Die freundliche Hüttenwirtin kredenzt uns eine typische Bohnensuppe mit Krainer Würstchen, die unseren Bauch glücklich macht. In Slowenien werden über hundert verschiedene Suppen aufgetischt. Häufig gibt es Kartoffel- oder Bohnensuppe. Nur schade, dass die kleine Tanzbühne neben der Hütte leer bleibt. Die Post ging am Vorabend ab. Allzu gerne hätte ich zu Oberkrainer Musik ein Tänzchen gewagt.
Hübscher Weiler im slowenischen Bergland
Touristenherberge Planinska koča na Ermanovcu
Deftige slowenische Bohnensuppe
Auf den Spuren der Partisanen
R8 Planinska koča na Ermanovcu – Porezen
Gehzeit: 5h30 Entfernung: 16,9 km
Die Morgensonne kitzelt mit einem Büschel Strahlen unser Gesicht. Über schöne Berghänge wandern wir frohgemut in den neuen Tag hinein. Kuhglocken bimmeln. Die Wiesen sind von Blüten bunt gesprenkelt, als hätte sie der französische Maler Claude Monet (1840-1926) höchstpersönlich mit feinem Pinselstrich hingetupft.
Talwärts gelangen wir in das von Wald umrahmte Dorf Dolenji Novaki (491 m). Unweit davon liegt in der engen Schlucht das geheime Partisanenkrankenhaus Franja. Es diente im Zweiten Weltkrieg zur Behandlung der Verwundeten und Kranken. Der Feind entdeckte das Krankenhaus nicht. Wir erreichen die eindrucksvolle Anlage auf neu gestalteten Holzstegen. Zwölf nachgebaute Baracken wurden in ein Museum umgewandelt. In den Gebäuden sind rekonstruierte Feldbetten und Bänke sowie Überreste des Originalmobiliars zu sehen, vor allem ein Operationsraum.
Nach der Besichtigung der Gedächtnisstätte führt uns der Weg zur Siedlung Polane (510 m). Ziemlich steil geht es nun durch den Wald aufwärts zum Sedlo Velbnik-Sattel (1331 m). Der Anstieg hat es in sich. Zuletzt zieht sich der Pfad über einen grasigen Rücken zum geschichtsträchtigen Porezen hinauf. Er ist mit 1590 Meter über Meer der höchste und auch der malerischste Berg des Cerkljansko-Hügellandes. Der Ausblick ist wunderschön und fast unendlich. Er reicht bis zu den Julischen Alpen mit dem nahezu 3000 Meter hohen Triglav. Nach altem Brauch sollte jeder Slowene mindestens einmal im Leben diesen Berg besteigen. Der Name «Julische Alpen» bezieht sich auf Gaius Julius Caesar, der im Gebiet von Friaul und Westkrain das Municipium Form Iulii errichtete. (Wikipedia)
Auf dem Gipfel des Porezen erinnert ein grosses Partisanendenkmal an die Tragödie von 1945, als bei einer Offensive viele jugoslwische Partisanen getötet wurden. Wenig unterhalb des höchsten Punktes befindet sich die einfache Berghütte Dom Andreja Žvana-Borisa na Poreznu. Sie gehört der Sektion Cerkno des slowenischen Alpenvereins. Benannt wurde das Haus nach Andrey Evan-Boris (1915-1945). Er war ein slowenischer Kommunist, Partisan und Nationalheld, der im Kampf mit den Deutschen gefallen ist. Hier endet die heutige anspruchsvolle Etappe. Wir werden von einem Hüttenwirt-Ehepaar mit typisch slowenischer Gastfreundlichkeit (offen und von fröhlicher Natur) empfangen. Als einzige Gäste freuen wir uns über die kräftige Gulaschsuppe mit Zlikrofi (slowenische Teigtaschen) und über die Berglandschaft, die im Abendlicht zerfliesst.
Geheimes Partisanenkrankenhaus Franja
Ankunft auf dem Gipfel des Porezen in den slowenischen Voralpen
Berghütte Dom Andreja Žvana-Borisa na Poreznu
Črna Prst – «Schwarze Erde»
R9 Porezen – Črna prst/Dom Zorka Jelincica
Gehzeit: 6h30 Entfernung: 14,9 km
Beherzt setzen wir unsere Trekkingstöcke wieder ein. Das heutige Tagesunternehmen beginnt mit einem stellenweise steilen und waldreichen Abstieg zum Bergpass Petrovo Brdo (803 m). Unten beim gleichnamigen Gasthaus an der Strassenkreuzung nutzen wir gerne die Gelegenheit, unserem Körper vor dem anstrengenden Gegenanstieg noch die nötige Flüssigkeit zuzuführen. Meine französischen Weinliebhaber lassen sich vom gutgelaunten Wirt Rudi Zgaga einen Liter roten Rebensaft in die robuste Metall-Trinkflasche abfüllen. Mit einem aufmunternden «Forza Via Alpina!» werden wir von ihm über den Lautsprecher verabschiedet.
Neben dem Gasthaus gibt der rote Wegweiser geschlagene 4 Stunden bis zur Črna prst an, was übersetzt so viel wie schwarze Erde heisst. Die dunklen Schiefereinlagerungen im hellen Kalkstein haben dem stolzen Gipfel (1844 m) den Namen gegeben. Uns blühen happige 1000 Höhenmeter. Stetig geht es nun steil aufwärts. Der Berg ist im Sommer sehr beliebt und gut besucht sowie für seine prächtige Aussichtsloge und seine extrem reiche alpine Flora bekannt. Viele seltene Blumen wachsen nur hier und locken Botaniker an. Jetzt, Mitte Juni, ist alles noch ruhig, still. Ein Waldweg nimmt uns auf. Schritt für Schritt schnaufen wir höher ins Gebirge des Nationalparks Triglav, der sich auf einen Grossteil der Julischen Alpen erstreckt. Wir streifen ein offenes Stück Wiese mit zwei Jagdhäusern und einem Hochsitz für Wildbeobachtungen. Der Waldweg wird zu einem Bergweg und schliesslich bringt uns ein Pfad zufrieden ans Ziel.
Knapp unterhalb des Gipfels schmiegt sich die weisse Schutzhütte Dom Zorka Jelinčiča na Crni prsti (1835 m) an die Felsen. Wir überraschen den Hüttenwirt, ein wortkarger Geselle, der in seinen winzig kleinen, flackernden Schwarzweissfernseher blinzelt. Er verfolgt ein Spiel der Fussballweltmeisterschaft. Überraschungsgäste sind nicht vorgesehen, also auch nicht erwünscht. Er verkündet uns, dass die Hütte erst in einer Woche offiziell geöffnet werde. Wir sind erleichtert, dass der kauzige Mann endlich doch noch auftaut, uns abgekämpften Wanderern einen einfachen Schlafplatz zuweist und eine deftige Sauerkrautsuppe zubereitet. Nach dem Abendessen halte ich vor der Berghütte die Nase in den Wind. Der Himmel hat ein bedenkliches tiefes Grau angenommen. Mit dem Wetter ist es nicht gut bestellt.
Im Herzen des Triglav-Nationalparkes
R10 Črna prst – Dom na Komni
Gehzeit: 5h00 Entfernung: 13,0 km
Wir verkürzen diese lange Etappe mit einer Übernachtung im Skigebiet Vogel. Ginette ist gestern aufs Knie gefallen. Sie kann heute aber weiterlaufen. Der Nebel ist so dicht wie Hafersuppe und raubt uns jede Sicht. Ein langer Gebirgskamm gibt die Richtung vor. Er zieht sich über die Gipfel Rodica (1966 m) und Silja (1880 m) westwärts dahin. Bei schönem Wetter ein Gratgenuss, nun eher ein zweifelhaftes Vergnügen. Nicht zu wissen, wie sich das Wetter entscheidet, ist nicht gerade der Zustand, in dem der Bergfreund gerne lebt. Der steinige Pfad auf fast 2000 Meter über Meer hat alpinen Charakter und ist schmal. Stetig geht es auf und ab. Zwischendurch sind einige ausgesetzte Stellen zu meistern. Konzentration ist angesagt. Den Berg Vogel (1922 m) nehmen wir nicht mit. Wir steigen zum Sattel Orlova Glava (1682 m) ab. Der Nebel zerreisst - Es wird sonnig. Das Skizentrum auf dem weiten Hochplateau Komna ist nicht mehr fern. Die Landschaft ist durch die Pistenanlagen unverkennbar in Mitleidenschaft gezogen. Von weitem ist bereits das riesige Ski-Hotel Vogel sichtbar. Es steht auf einem Aussichtspunkt am Ostrand der Hochebene, steil über dem Talschluss des Bohinj-Tales. Auf der Terrasse zeigt sich uns eine herrliche Aussicht, die zu einer schönsten des Landes zählt. Direkt unter uns glitzert die dunkelblaue Fläche des Bohinj Sees (Wocheiner See), das grösste Binnengewässer Sloweniens. Wir befinden uns im Herzen des prächtigen Triglav-Nationalparkes, im karstigen Bollwerk der Julischen Alpen, ganz im Südosten des Alpenbogens. Es ist der einzige Nationalpark in Slowenien.
Neben dem Hotel Vogel und der Bergstation der Luftseilbahn bietet sich uns die urchige Berghütte Merjasec (1535 m) an. Die Hütte ist nach dem Wildschwein benannt und für das köstliche Gulasch vom borstigen Paarhufer berühmt. Für die Jäger ist Slowenien ein Paradies auf Erden. Uns gefällt das Chalet Wildschwein wegen seines angenehmen Ambientes. Wir sind die einzigen Gäste. Welch ein Luxus! Uns stört es überhaupt nicht, dass es schon wieder Sauerkraut gibt. Wir freuen uns über die freundliche Bedienung des jungen Wirtspersonals und nach zwei anstrengenden Wandertagen wieder eine Dusche zu geniessen. Ein herrliches Gefühl!
(Zur Berghütte Dom na Komni führen die Etappen R10a (Črna prst- Rjava skala, 5h00, 12,2 km) und R10b (Rjava skala - Dom na Komni, 5h00, 13 km). Über die Beschreibung des Wegverlaufes gibt die Webseite der Via Alpina Auskunft. Ich kenne diese Routen nicht. Bei meiner Alpendurchquerung im Jahre 2010 wurden sie noch nicht angeboten.)
Durch die Komarca-Wand
R11 Dom na Komni – Koča pri Triglavskih jezerih
Gehzeit: 2h30 Entfernung: 7,1 km
Der von der Via Alpina-Organisation festgelegte Weiterweg führt von der Bergstation Vogel zur grossen Schutzhütte Dom na Komni (1520 m). Sie befindet sich auf einem Aussichtshügel westlich des Bohinj Sees. Wir wählen eine andere Variante.
Die 1000 kniemordenden Höhenmeter bis hinunter nach Ukanc an den Wocheiner See (Bohinjsko Jezero) schenken wir uns. Die moderne Luftseilbahn übernimmt uns. In einem neu eröffneten Mercator decken wir uns mit frischen Lebensmitteln ein und machen einen Abstecher an den Ursprung des Sees. Durch eine Schlucht und über 527 Stufen gelangen wir zum höchsten Wasserfall des Landes. Mit lautem Getöse stürzt der viel besuchte Savica-Wasserfall (Slap Savica) in 78 Meter Höhe aus dem Gestein in die Tiefe. Die Gischt spritzt meterweit. Es ist ein imposantes Naturschauspiel.
Nach der Bewunderung des wunderschönen Wasserfalles erwartet uns der anstrengende Aufstieg durch die steile Komarca-Wand. In vielen Kehren zieht sich der Steig mit klettersteigähnlichen Passagen (Drahtseile und Eisenstifte) 600 Meter hinauf. Schonungslos brennt die Sonne auf uns herab. An meinem Sonnenhut frisst sich ein weisser Schweissrand nach oben, über die Wangen rinnt der Schweiss hinab. Wir gelangen zu einem Aussichtsplatz mit eindrucksvollem Tiefblick hinunter zum Wocheiner See. Im Wald eingebettet begegnen wir dem Crno jezero (Schwarzer See), der unterste der sieben Triglav-Seen. Dann taucht die Sieben-Seen-Hütte (Koča pri Triglavskih jezerih) auf. Die Hütte wurde 1880 als Erzherzog-Franz-Ferdinand-Hütte errichtet. Neu aufgebaut wurde sie 1912 und nach 1945 erweitert und modernisiert. Eigentümerin ist die Sektion Ljubljana-Matica (Laibach) des Slowenischen Bergsteigerverbandes PZS.
Es beginnt zu nieseln und zu nebeln. Wer über mehrere Tage wandert, muss damit rechnen, dass das Wetter auch mal umschlagen kann. Man kann sich nicht immer einen blauen Himmel wünschen. Die Holzläden der idyllisch in der Nähe von zwei namensgebenden Seen gelegenen Schutzhütte (1685 m) sind noch verriegelt. Egal, wir nehmen den frei zugänglichen Winterraum im eigenständigen Häuschen nebenan in Beschlag und richten uns ein. Er bietet auch ein Dach über dem Kopf. Wenn schon Winterraum, dann bitteschön mit ein wenig Komfort. Wir sind froh um unseren Proviant im Rucksack. Bald surrt der Kocher. Michel kocht leckere Spaghetti. Jacky hat nicht zu knappen Rotwein den Berg hochgetragen, da weiss man, was man trinkt. An der frischen Luft schmecken halt die einfachsten Gerichte immer gut. Es leistet uns niemand Gesellschaft. Wir haben den Winterraum für uns alleine. Nach dem Abendhock schlüpfen wir in die Penntüte und versinken im tiefen Schlaf.
Auf meiner Homepage kann ich folgende Nachricht lesen:
«Hallo Urs, eine gute Zeit in den Alpen, immer den schönen Fleck zum Zelten, dazu das eigene Süppchen und die sauberste Nachtluft wünscht dir Hans Diem aus Garmisch-Partenkirchen, der mit 522 Nächten im Zelt auf 5 Alpen-Längsüberschreitungen und 15 Alpen-Querungen und sonstigen langen Wegen unterwegs war.»
Ins Tal der Triglav-Seen
R12 Koča pri Triglavskih jezerih – Tržaška koča na Doliču
Gehzeit: 3h05 Entfernung: 7,6 km
Wir wandern in einen regengrauen Tag, ziehen hinein in das hochgelegene Sieben-Seen-Tal. Eine Landschaft von einzigartigem Reiz. Noch halten viele Altschneefelder die Karstwüste bedeckt. Im Sommer kämpfen hier Blumen ums Überleben. Stets auf und ab, über Buckel und durch Karstmulden, vorbei an weiteren Seen gelangen wir hinauf zur Schutzhütte Zasavska koča na Prehodavcih (2071 m), die auf einem Berghang oberhalb des Sattels Prehodavic steht. Die Via Alpina hat als eigentliches Etappenziel die Dolič-Hütte/Trzaska koča na Doliču (2134 m) angegeben. Diese wurde aber im Winter 2008/09 vollständig von einer Lawine zerstört.
(Die Dolič-Hütte ist inzwischen wieder aufgebaut worden.)
Ins wildromantische Trentatal
R13 Tržaška koča na Doliču – Trenta
Gehzeit 3h15 Entfernung: 9,5 km