Völlig fertig und irre glücklich - Okka Rohd - E-Book

Völlig fertig und irre glücklich E-Book

Okka Rohd

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Beschreibung

«Ich bin schwanger. Ich stehe im Badezimmer und bin schwanger. Verdammt, ich bin echt schwanger. Der Test zeigt eindeutig zwei Streifen.» Hinter der Tür, nur ein paar Schritte entfernt, sitzt er am Küchentisch und liest die Nachrichten. Es ist ein Morgen wie viele Morgen, ein Tag wie viele Tage. Bis ich hinübergehen und es ihm sagen werde. Ich habe mir diesen Moment so oft vorgestellt. Wie auf dem Test zwei unmissverständliche Streifen erscheinen. Wie ich ihm in die Arme falle. Wie ich «Liebling, ich bin schwanger!» sage. Wie er meinen Bauch streichelt. Jetzt stehe ich hier und habe kalte Füße, weil ich vergessen habe, die Heizung im Bad aufzudrehen, und fühle nichts und alles zugleich. Ich freue mich, natürlich freue ich mich, aber so leise, dass nicht mal ich selbst es mir ansehen würde. Ich bin erleichtert. Ich bin nervös. Ich habe Schiss. Nach dem positiven Schwangerschaftstest bestellt Okka Rohd einen Stapel Bücher über Schwangerschaft und die ersten Baby-Monate, fängt an zu lesen und findet doch keine Antwort. Es gibt viele Bücher, in allen von ihnen steht sehr viel und meistens doch dasselbe: Es ist anstrengend, Mutter zu sein. Wovon in den Büchern kaum je die Rede ist: wie schön es ist, ein Kind zu haben. Und wie stark einen dieses Glück macht. Okka Rohds Mann hat all das schon einmal erlebt – seine beiden Kinder sind längst erwachsen, und nun begibt er sich erneut in das Abenteuer Vaterschaft. Doch wie fühlt sich das für ihn, den über 50-Jährigen, an? Was fürchtet er, wo bleibt er gelassen? In ihrem Buch erzählt Okka Rohd ehrlich und warmherzig aus dem Leben mit ihrer Tochter Fanny und wie das Muttersein ihr Leben verändert hat. Und es gelingt ihr, schwangeren Frauen und jungen Müttern das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein mit ihrem Glück, mit ihrer Erschöpfung, mit ihrem Staunen. «Okka Rohds Texte schaffen es, ganz leicht am Herzen zu kratzen. So, dass man gar nicht genau weiß, ob man glücklich oder traurig sein soll.» (Die Welt)

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Seitenzahl: 283

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Okka Rohd

Völlig fertig und irre glücklich

Meine ersten Jahre als Mutter

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

WidmungTeil 119. März19. März20. März24. März2. April15. April19. April23. April5. Mai12. Mai13. Mai21. Mai23. Mai25. Mai27. Mai1. Juni8. Juni11. Juni21. Juni22. Juni26. Juni19. Juli6. August12. August20. August26. August8. September13. September15. September23. September2. Oktober19. Oktober23. Oktober28. Oktober1. November3. November8. November10. NovemberTeil 222. November1. Dezember3. Dezember4. Dezember6. Dezember9. Dezember17. Dezember21. Dezember24. Dezember31. Dezember7. Januar8. Januar14. Januar17. Januar10. Februar13. Februar16. Februar20. Februar23. Februar4. März5. März6. März10. März15. März26. März2. April6. April17. April22. April26. April3. Mai10. Mai11. Mai17. Mai24. Mai25. Mai8. Juni10. Juni17. Juni22. Juni26. Juni5. Juli6. Juli8. Juli26. Juli5. August9. August10. August15. August6. September14. September17. September29. September3. Oktober5. Oktober12. Oktober19. Oktober24. Oktober10. NovemberTeil 317. November28. November27. Dezember10. Januar17. Januar9. Februar12. Februar3. März27. März4. April26. April3. Mai18. Mai20. Mai25. Mai15. Juni20. Juni10. Juli16. Juli17. Juli8. August12. August17. August22. August28. September5. Oktober17. Oktober10. November23. November23. November4. Dezember7. Dezember11. Dezember14. DezemberJetztDankQuellenverzeichnisEin Mutterfragebogen

Für euch beide.

Teil 1

19. März

Ich bin schwanger.

Ich stehe im Badezimmer und bin schwanger.

Verdammt, ich bin wirklich schwanger.

Der Test zeigt eindeutig zwei Streifen.

 

Hinter der Tür, nur ein paar Schritte entfernt, sitzt er am Küchentisch und liest die Nachrichten. Wenn er tut, was er immer tut, gießt er sich gerade einen Kaffee ein, den er dann vor der Kaffeemaschine stehen lässt, bis er schon fast kalt ist. Jedes Mal, wenn ich ihn frage, was er denn an lauwarmem Kaffee findet, fragt er zurück, warum ich immer bloß die Hälfte von meinem Kaffee trinke und keinen Becher je zu Ende, dann könne ich mir doch gleich nur einen halben Kaffee einschenken. Da hat er recht, also frage ich nicht mehr. Vielleicht steht er auch gerade am Küchenfenster und raucht eine Zigarette und flucht über den Berliner Winter, der gemeine Berliner Winter, als wäre die Stadt zu lange in der Waschmaschine gewesen, die ganzen Farben rausgewaschen. Es ist ein Morgen wie viele Morgen, ein Tag wie viele Tage. Bis ich hinübergehen und es ihm sagen werde.

Ich habe mir diesen Moment so oft vorgestellt. Wie auf den beiden Feldern zwei dicke Streifen erscheinen, erst einer, dann zwei – zwei unmissverständliche Streifen. Wie ich ihm in die Arme falle. Wie ich «Liebling, ich bin schwanger» sage. Wie er meinen Bauch streichelt, auch wenn da noch überhaupt kein Babybauch ist. Die Vorstellung war wie ein Lieblingssong, ich spielte sie in meinem Kopf wieder und wieder. Jetzt stehe ich hier und habe kalte Füße, weil ich vergessen habe, die Heizung im Bad aufzudrehen, und fühle nichts und alles zugleich. Ich freue mich, natürlich freue ich mich, aber so leise, dass nicht mal ich selbst es mir anmerken würde. Ich bin erleichtert. Ich bin nervös. Ich habe Schiss.

 

Weil ich nicht weiß, was ich tun soll, dusche ich erstmal. Ich wasche mir die Haare. Ich ziehe mir den Bademantel an, der irrsinnig weich ist und viel schwerer, als er aussieht. Dann lege ich meine Hände auf meinen Bauch und spüre, ob ich etwas spüre. Ich spüre nichts, binde den Bademantel aber trotzdem nicht ganz so fest zu. Ich bürste meine nassen Haare und creme mir das Gesicht ein und gucke, ob ich anders aussehe, aber ich sehe aus wie immer.

 

Und wenn er sich nicht freut?

Wieso sollte er sich denn bitte nicht freuen?

Müsste ich mich nicht ein bisschen mehr freuen?

Viel mehr?

Müsste ich nicht Muttergefühle haben?

 

Der Test in meiner Hand sagt mir, dass ich schwanger bin, aber glauben kann ich es trotzdem nicht. Auch nicht nach dem zweiten Test. Ich habe schon gestern und vorgestern einen machen wollen und mich dann doch nicht getraut. Was, wenn er negativ ist? Was, wenn ich nicht schwanger bin? Und was, wenn ich tatsächlich schwanger bin? Zwei Streifen, die alles verändern. Zwei Streifen, die aus einem Wunsch eine Realität machen. In meinem Bauch wächst ein kleiner Mensch. Ein kleiner Mensch, der irgendwann ein großer Mensch sein wird, der «Mama» sagt und «Papa» und «Was gibt’s zum Abendbrot?». Ein Mensch, der lachen und tanzen und reden und weinen und lieben wird. Und ich werde die Mutter dieses kleinen Menschen sein. Ab jetzt und für immer.

 

«Ist etwas?», fragt er.

«Liebling, ich bin schwanger», sage ich.

Er sagt nichts. Er guckt nur. Dann steht er ganz langsam auf und umarmt mich. Dann setzt er sich wieder hin. Dann steht er wieder auf und umarmt mich noch mal.

Er sagt: «Zeig mal den Test.»

Er sagt: «Da sind echt zwei Linien.»

Er sagt: «Zeig mal den anderen Test.»

Er sagt: «Da sind auch zwei Linien.»

Ich sage «Jupp» und bereue es sofort.

Wie unglaublich romantisch. Er geht auf den Balkon, eine rauchen. Für eine Sekunde will ich auch aufstehen und eine rauchen, bisher haben wir immer alles gemeinsam beraucht. Aber ich bleibe sitzen und gucke auf die Streifen, die nicht verschwinden, egal, wie lange ich sie anstarre. Als er wieder hereinkommt, singt er. Er singt nie, er findet seine Stimme schrecklich, aber jetzt singt er, schief und laut und wunderschön. «Wir kriegen ein Kind, wir kriegen ein Ki-hind.» Dann legt er seine Hand auf meinen Bauch und sagt «Hallo», nur das.

19. März

Ich hatte Angst. Ich ließ sie mir nicht anmerken, wie ich mir meine Gefühle oft nicht anmerken lasse. Aber sie war da.

 

Diese Angst, die sich im Körper ausbreitet, wenn man weiß: Jetzt gleich wird sich dein Leben ändern, nicht nur ein bisschen, sondern radikal. Man versucht, sich zu beruhigen, wird schon gut gehen, warum auch nicht, bisher ist doch immer alles gut gegangen. Aber die Selbstbeschwörungen lassen es einen nicht vergessen. Gleich wird sich dein Leben ändern. Gleich wird es anders weitergehen, sogar sehr anders.

 

Wir hatten uns ein Kind gewünscht. Aber es war keiner von diesen Wünschen, die man auf Wunschzettel schreiben kann: zwei Wochen Paris, dieses Buch, diese DVD, ein Schal für den Winter. Was wir uns wünschten, war viel ungefährer. Lange hatten wir diesen Wunsch nicht einmal ausgesprochen, fast so, als hätten wir Scheu vor ihm gehabt. Er hatte sich bei uns eingeschlichen. Immer öfter war da die Vorstellung gewesen, dass wir nicht mehr nur zwei, sondern drei sein sollten. Wir lagen auf dem Bett, wir saßen auf dem Sofa, wir sahen uns eine DVD an, und einer von uns beiden sagte: Wie es wohl wäre, wenn wir ein Kind hätten. Oder: Stell dir vor, da läge jetzt ein Baby, ein klitzekleines Bündel. Es war eine schöne Vorstellung, und je öfter sie sich einschlich, desto schöner wurde sie. Irgendwann wehrten wir uns nicht mehr gegen sie. «Bist du sicher?», fragte sie, ich nickte. «Wirklich?», wollte sie wissen, «ja wirklich», sagte ich. Ein paar Monate später legte sie mir einen positiven Schwangerschaftstest hin, und gleich daneben einen zweiten.

Ich hatte Angst.

Ich hatte Angst, ob uns beiden die Liebe abhandenkommen würde, ob wir uns als zu blöd, unfähig, unreif, unentspannt herausstellen würden.

Ich hatte Angst, nicht der Vater sein zu können, der ich sein wollte.

Ich hatte Angst, ob ich es schaffen würde, den beiden ein Freund, Tröster, Ernährer sein zu können.

Es lag nicht daran, dass ich plötzlich Zweifel bekam. Aber sobald man erfährt, dass man jetzt besser keine Zweifel haben sollte, fangen die Selbstzweifel an.

 

Dazu kam etwas, was mich von ihr unterschied: Ich wusste schon, wie es ist, Kinder zu haben. Ich habe schon zwei. Sie sind längst erwachsene Menschen, großartige, meistens glückliche, liebenswerte Menschen, gut gelungen, wie man so sagt. Ich habe nicht sehr viel falsch gemacht mit ihnen. Und doch hunderttausende Male alles, befürchte ich.

Nichts wird mehr sein, wie es bisher gewesen ist, das wusste ich. Und es war doch so gut bisher, fragezeichenlos, wie sie immer sagt.

 

Sobald man ein Kind bekommt, kann man ziemlich oft nicht mehr, wie man gerade will – weil da immer jemand ist, den man füttern, anziehen, bespaßen, trösten, behüten muss, auch an den Tagen, an denen man krank ist, etwas Wichtiges zu erledigen hat, sich verkriechen möchte oder den Kopf mit Sorgen zergrübelt.

Ein Kind, hatte ich längst gelernt, ist so etwas wie der ultimative Charaktertest. Unter Normalbedingungen ist es recht einfach, einen erträglichen Charakter zu bewahren. Man ist ausgeschlafen, man schafft routiniert weg, was anliegt, das meiste läuft wie von selbst. Wenn man einander zu viel wird, geht man sich aus dem Weg, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, zieht man eine Nacht lang um die Häuser, betrinkt sich ein wenig oder stellt sich in einem Konzert vor den Lautsprecher, danach geht es wieder. Der Alltag hat viele Knautschzonen. Manchmal fühlt man sich trotzdem geschlaucht, manchmal kommt einem das eigene Leben langweilig vor, aber man weiß, was man dagegen tun kann.

Das wird jetzt anders werden. Nicht nur ein paar Wochen oder einige Monate lang, sondern ungefähr für die nächsten 20 Jahre. Oder länger.

Ohgottohgottohgott.

So eine Angst war das. Eine Riesenbammelschiss-Feigheitlähmungsangst.

Sie hat ungefähr fünf Minuten lang gedauert, die Zeit, die es braucht, eine Zigarette zu rauchen und der Angst hallo zu sagen. Da bist du ja wieder, Angst, alter Freund, wir kennen uns schon. Aber du wirst mich auch dieses Mal nicht kleinkriegen. Und in Wahrheit bin ich dir dankbar. Weil du mich daran erinnerst, wie kostbar es ist, was wir gerade vorhaben.

Dann bin ich glücklich gewesen, mit jeder Faser meines Bewusstseins, in jeder Zelle meines Körpers. Wir kriegen ein Kind. Wir kriegen ein Ki-hind! Es wird unser Leben durcheinanderbringen, alles über den Haufen werfen, was wir kennen oder zu kennen geglaubt haben. Ich kann es kaum erwarten.

20. März

Ich kann nicht schlafen. Ich denke daran, dass das Baby in meinem Bauch jetzt so groß ist wie ein Apfelkern. Wie kann aus etwas so Kleinem je etwas so Großes werden, ein Mensch? Ich denke daran, dass jetzt alles anders wird. Ich denke, dass wir Weihnachten zu dritt sein werden. Ich denke, dass ich dem Baby sein allererstes Weihnachtsgeschenk kaufen werde und es in das allerschönste Geschenkpapier einpacken werde, bloß um es dann selbst wieder auszupacken. Dann denke ich an das letzte Weihnachtsfest, an meine Schwester und an die Nacht vor Heiligabend, als wir so lange geredet haben, über uns, das Leben, das Glücklichsein.

Wenn ich mir einen Menschen vorstelle, der glücklich ist, dann denke ich an meine große Schwester. Meine große Schwester hat einen Mann, der sie liebt, seit er sie zum ersten Mal gesehen hat. Sie hat zwei hinreißende Kinder. Sie hat eine Doppelhaushälfte mit wunderschönem Garten, mit Gartenmöbeln und einem Sonnenschirm und Kräuterbeet. Sie schafft es vor der Arbeit ins Fitnessstudio, sie kann Kekse backen, die man besser nicht probiert, weil man sonst sofort alle aufessen muss. Sie ist irrsinnig schön, ohne das wirklich mitzubekommen, und wahnsinnig liebenswert. Meine große Schwester ist toll, und sie ist glücklich. Auf eine so schattenlose Weise, dass es mir manchmal weh tut.

Ich bin bisher nie wirklich irgendwo angekommen. Solange ich mich erinnern kann, war ich immer unterwegs – aber nie da. All die Beziehungen, die in die Brüche gingen, immer dann, wenn es schon richtig schmerzte. Dieser Mann, dem ich beharrlich hinterherliebte, obwohl er mir beharrlich weh tat. Die Jobs, die ich mir erarbeitete und dann wieder verlor, weil die Magazine, bei denen ich schrieb, eingestellt oder umgetopft wurden, in andere Städte. Man hätte es vielleicht Pech nennen können. Oder einfach bloß: Leben. Für mich fühlte es sich an wie ein ewiges Fast. Fast glücklich, fast liiert, fast da.

 

Bei meinem Weihnachtsbesuch hatte ich mich über meine Schwester lustig gemacht und mich hinterher schrecklich geschämt. Sie hatte mir stolz ihren neuen Kühlschrank gezeigt, so ein Riesenteil mit Gemüse- und Fleischfach, und ich hatte bloß gegrinst, über die Butter in der Butterdose im Butterfach, über den in eine Glaskaraffe umgefüllten Orangensaft, über die Wurst und den Käse in den Wurst- und Käse-Tupperdosen. Ich hatte gegrinst, weil ich sonst vermutlich geheult hätte. Es war nur ein verdammter Kühlschrank, aber genau das, wonach ich mich sehnte. Mama, Papa, Kind. Brückentage, Weihnachtsgeld, Jahresurlaub. Sicherheit, Ordnung, Systematik. Ein Leben mit Frischeverschluss.

Abends nach dem Zähneputzen hatte sie sich noch zu mir aufs Gästebett gelegt. Wir redeten, die Köpfe erst in die Hände gestützt, dann einfach so daliegend, mit geschlossenen Augen. Irgendwann sagte sie leise, wie sehr sie mich manchmal um mein Glück beneide und um mein Leben: und ich fiel ihr ins Wort: «Das ist doch nicht dein Ernst.» «Doch», sagte sie, «ich beneide dich um die große Stadt, in der du lebst, um die Zeit, die du dir so frei einteilen kannst, um die Zeit, die ihr für euch beide habt, um deine Arbeit, um die Menschen, die du triffst, und die Reisen, die du machst, um deine Unabhängigkeit, deine Freiheit.» Ich sagte lange nichts, sie auch nicht, so lange, dass ich schon dachte, sie sei eingeschlafen, aber als ich ihr antwortete, setzte sie sich auf.

«Ich erzähl dir mal, wie glücklich ich bin: Ich weiß nicht, ob ich von meinem Beruf in zehn Jahren noch leben kann. Oder in einem Jahr. Ich weiß nicht, ob ich nächstes Jahr noch in Berlin lebe oder schon wieder in einer anderen Stadt. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ein Baby zu bekommen, weil ich Angst habe, dass ich ihm nicht genug Sicherheit bieten kann, obwohl ich endlich den einen Mann gefunden habe, mit dem ich eine Familie sein will. Ich habe eine Riesenangst, dass auch mit diesem Mann wieder alles kaputtgeht, weil bisher alles immer wieder kaputtgegangen ist. Ich weiß nicht, warum ich ständig von der Sehnsucht nach einem anderen, einem richtigeren Leben befallen bin. Ich weiß nicht, warum ich so untalentiert darin bin, zu sehen, was da alles ist. Ich wäre so gerne aus dem Gröbsten raus, aber ich bin im Gröbsten gerade erst drin. Ich bin 32 Jahre alt und neidisch auf deinen Kühlschrank. Weil dein Kühlschrank ist wie dein Leben, weil alles seinen Platz hat. Und weil mein verdammter Kühlschrank wie mein Leben ist, weil alles wild durcheinanderfliegt und das, was immer da sein sollte, meistens fehlt. Falls du das Glück nennst, ist es ganz schön chaotisch und von Melancholie angefressen.»

«Ist es das denn nicht immer», sagte meine Schwester, und ich liebte sie noch ein bisschen mehr.

24. März

Manchmal lege ich mich aufs Sofa und schließe die Augen und rede in Gedanken mit dem Baby. Das ist merkwürdig, weil kein Wort gesprochen wird und keine Antwort kommt, trotzdem bin ich mir sicher, dass das Baby versteht, was ich ihm sage.

«Hallo», denke ich. «Alles gut bei dir?»

«Ich bin deine Mama und heiße Okka. Ich dachte, du magst vielleicht wissen, in wessen Bauch du dich befindest.»

Es ist so albern. Es ist so schön.

 

«Okka ist ein ostfriesischer Name. In einem Namensbuch habe ich mal gelesen, dass Okka der Name einer Tee-Königin ist, ich habe allerdings nicht die geringste Ahnung, was eine Tee-Königin ist und mag sowieso viel lieber Kaffee. Ich habe dunkelblonde Haare, die bis zur Schulter gehen, blaue Augen und eine Nase, die ein bisschen zu groß für mein Gesicht ist. Dafür sind meine Ohren ein bisschen zu klein für meinen Kopf, meine Ohren sehen aus wie Kinderohren. Himmel, ich bin schon so gespannt, wie du aussiehst.»

«Ich komme aus Norddeutschland, das liegt ziemlich weit oben, fast am Meer. Ich liebe das Meer, am meisten, wenn es sehr windig ist. Das Meer hilft so ziemlich gegen alles.»

«Bevor ich dir mehr vom Meer erzähle, sollte ich dir von deinem Papa erzählen. Er ist groß, sehr groß sogar, fast zwei Meter. Er hat eine schwarze Brille. Es sieht lustig aus, wenn er neben mir steht, er ist zwei Köpfe größer, ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen, wenn ich ihm einen Kuss geben will. Dein Papa ist ein Österreicher. Wenn er will, kann er wienerisch reden, dann klingen seine Worte, als wären sie mit Marzipan überzogen, meistens zieht er es allerdings vor, auf Österreichisch zu fluchen. Er ist unheimlich stark, nicht bloß, weil er so riesig ist, dein Papa lässt sich von so ziemlich gar nichts umwerfen. Dein Papa macht nicht viele Worte. Aber er hat viel zu sagen. Dein Papa hat riesige Füße. Er ist ein schrecklicher Morgenmuffel, und er ist schrecklich dickköpfig und chaotisch (Dinge, die übrigens auch auf mich zutreffen, jedenfalls, wenn du deinen Papa fragst). Dein Papa liebt Laugenbrötchen, starken Espresso, einen Sänger namens Bob Dylan und einen Schriftsteller namens Robert Musil. Dein Papa liebt deine Mama, und deine Mama liebt deinen Papa. Ich nenne deinen Papa immer «meinen Mann», obwohl wir nicht verheiratet sind. Wir sind nicht einmal verlobt, obwohl dein Papa endlich mal fragen könnte, ob ich ihn heiraten möchte, finde ich. Das würde mich freuen, auch wenn es nicht wichtig ist, ich habe mich nie verbundener mit einem Menschen gefühlt als mit deinem Papa. Ich habe mich einem Menschen nie näher gefühlt. Außer jetzt vielleicht dir.

Was kann ich dir noch erzählen? Dein Papa kann keine Witze erzählen, aber er hat einen guten Humor. Er liebt Bücher, aber er behandelt seine Bücher rabiat, er knickt sie, trägt sie mit sich herum und lässt sie aufgeschlagen herumliegen. Überall in der Wohnung stapeln sich Bücher, im Schlafzimmer, im Wohnzimmer, sogar in der Küche, wenn du da bist, können wir zusammen Büchertürme bauen. Er hat die schönsten und seltsamsten Augen, die ich je gesehen habe, sie wechseln die Farbe – und wenn man genau hinsieht, weiß man, welche Laune er gerade hat: mildgrün, gramgrau, sommernachmittagsbadeseeblau. Seit er weiß, dass es dich gibt, sind seine Augen sehr blau.»

Dann höre ich, wie er ins Schlafzimmer kommt. Ich weiß, er würde jetzt auch sofort mit dem Baby reden und mich kein bisschen auslachen, wenn er wüsste, dass ich mich mit ihm unterhalte. Aber ich möchte noch ein bisschen zu zweit sein, alleine mit meinem Bauch, der noch kein Bauch ist.

«Ich freu mich so auf dich», flüstere ich. «Hast du etwas gesagt?», fragt mein Mann. Statt zu antworten, schiebe ich meine eiskalten Füße zwischen seine Beine, und er protestiert, und ich sage: «Du weißt schon, dass ich schwanger bin, oder?» Und er lacht und macht das Licht aus und sagt: «Gute Nacht, ihr zwei.»

2. April

Der unspektakulärste und schönste Geburtstag, den ich je hatte. Er hatte nach der Arbeit Karottenkuchen mitgebracht, weil er weiß, wie sehr ich Karottenkuchen mag, und er hat es wie immer mit den Geschenken übertrieben, mir nicht das eine Buch geschenkt, das ich mir gewünscht hatte, sondern auch einen Film und einen Lippenstift, den ich verloren hatte, keine Ahnung, woher er wusste, welche Farbe es war.

Eigentlich wollten wir essen gehen, vielleicht noch in eine Spätvorstellung, ich hatte mich sogar schon umgezogen, aber dann bestellten wir uns einfach bloß Pizza. Er machte leise das Mixtape an, das ich ihm geschenkt hatte, nachdem mir klargeworden war, dass ich gerne mit ihm leben würde. Wir aßen den Kuchen und sprachen davon, was für Eltern wir sein wollen. Irgendwann sagte er diesen einen Satz, nebenbei, schon halb im Aufstehen. «Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mich darauf freue, eine Herde mit euch zu sein.» Ich stand auf, um die Teller in die Küche zu stellen, aber auch, um einen Moment alleine zu sein. Ich blieb am Küchenfenster stehen und guckte hinaus und dachte an das neue Jahr, an das Baby und an seine Stimme, wenn er «Herde» sagt.

15. April

«Irgendetwas Besonderes heute?», fragt die Ärztin. Ich sage: «Ich bin schwanger, glaube ich jedenfalls.» Sie sagt: «Dann lassen Sie uns mal nachsehen», und ich lege mich im Nebenzimmer auf die Liege und ziehe meinen Pullover hoch und weiß nicht, wohin mit meinen Händen und meinen Gefühlen. Ich habe mir diesen Moment so herbeigewünscht und bin doch kein bisschen auf das vorbereitet, was ich sehe. Da ist mein Baby. Da ist wirklich mein Baby. Da ist sein Herz. Es schlägt und schlägt und schlägt, irrsinnig schnell und energisch. Tränen laufen über meine Backe, ich gebe mir Mühe, ganz leise zu weinen, aber die Ärztin merkt es natürlich und lächelt und sagt: «Das ist doch auch ein wunderschöner Anblick», und wo sie recht hat, hat sie recht.

19. April

Wir liegen im Bett und haben das Licht nicht angemacht, obwohl es draußen schon fast dunkel ist. Er spricht mit dem Baby, als wäre ich gar nicht da.

«Deine Mama will die ganze Zeit nichts anderes essen als immer nur mexikanisch, der Mann beim Imbiss lacht schon, wenn ich komme, und fragt: ‹Wie immer?›»

«Gar nicht wahr», sage ich. «Gestern habe ich Nudeln gegessen.»

«Danach hast du mir erzählt, dass du jetzt gerne eine Badewanne voller Guacamole hättest, nein, ich glaube, es war ein Schwimmbad.»

Ich stelle mir vor, wie die kleine Kaulquappe jetzt mit uns lacht, aber ich glaube, sie hat noch keinen Mund.

«Ich freue mich so sehr», sage ich.

«Ich mich auch», sagt er.

«Ich habe manchmal ganz schön Angst.»

«Ich auch.»

Irgendwo muss ein Fenster offen sein, die Jalousie schlägt gegen die Fensterrahmen, klack, klack, klack.

 

«Ich habe Angst, zu müde für ein Kind zu sein», sagt er.

Klack, klack, klack.

«Das Geldverdienen ist so viel schwieriger als früher geworden. Jeden Tag wird ein anderes Magazin eingestellt oder die Hälfte der Redaktion eingespart. Hast du mal gezählt, wie oft wir beide in den letzten fünf Jahren unseren Job verloren haben, fünf Mal, nein, sechs Mal, oder? Ich weiß, dass wir immer irgendwie über die Runden kommen werden, aber Angst macht es mir trotzdem.»

Ich bin froh, dass wir im Dunkeln liegen.

«Ich habe Angst, dass ich keine gute Mutter werde. Ich habe Angst, dass ich nicht gelassen genug für ein Kind bin, nicht unumstößlich genug. Eigentlich kenne ich meine Ängste ziemlich gut, ich weiß, wie ich mit ihnen umgehen muss, und wenn ich nicht mit ihnen umgehen kann, dann weiß ich, wie ich damit umgehe, dass ich nicht mit ihnen umgehen kann, aber das hier ist so riesengroß. Wir kriegen ein Kind. Ich werde eine Mama. Und ich möchte dieses Kind so schrecklich gerne glücklich machen. Ich hab auch riesige Angst, dass diesem Würmchen etwas passiert. Oder dass ich das kleine Würmchen wieder verliere.»

Ich bin froh, dass er nichts sagt. Dass er weiß, dass man manche Dinge nur aussprechen muss.

«Weißt du was?», fragt er in die Stille hinein.

«Was denn?», sage ich.

«Ich glaube, wir werden auch schrecklich glücklich sein. Da wird ein kleiner Mensch auf die Welt kommen, unser Kind. Stell dir das mal vor.»

Ich stelle es mir vor.

Klack, klack, klack.

23. April

Ich würde jetzt gerne eine rauchen. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich meine letzte Zigarette geraucht habe, ich kann mich nicht einmal mehr an sie erinnern. Ich habe einfach aufgehört, ohne feierlichen Abschied und ohne Vorsatz, von einem Tag auf den nächsten, mein Körper wusste schon früher als ich, dass ich schwanger bin, ich hatte einfach keine Lust mehr auf Zigaretten. Aber jetzt gerade, irgendwo auf der Zugstrecke zwischen Berlin und Hannover, auf dem Weg nach Hause zu meinen Eltern, würde ich sehr gerne eine rauchen.

In meiner Tasche habe ich ein Geschenk für meine Mutter, ein weißes Baby-T-Shirt in Größe 56, eingepackt in dunkelblaues Seidenpapier. Ich freue mich, es endlich meinen Eltern zu sagen, ich kann Geheimnisse nicht gut für mich behalten. Ich freue mich auf ihr Gesicht. Ich freue mich darauf, meine Freude endlich zu teilen. Meine Eltern haben das Talent, sich richtig mitfreuen zu können (ein seltenes Talent, wenn man einmal darauf achtet). Gleichzeitig ist es ein merkwürdiges Gefühl, nach Hause zu fahren. Zu Hause bei meinen Eltern bin ich anders als sonst. Ich bin wieder Kind, ein 33 Jahre altes Mädchen – ein Gefühl, das ich genieße und mir gleichzeitig vorwerfe.

 

Als ich in Hannover in den Zug nach Bremen umsteige, setzt sich eine Frau mit einem kleinen Mädchen neben mich. Das kleine Mädchen liegt im Arm der Frau, es hat noch seine rote Jacke an, die Mutter hat sie ihr nicht ausgezogen, weil das Mädchen eingeschlafen ist. Die Frau sitzt einfach da, mit dem kleinen Mädchen im Arm, und schaut aus dem Fenster. Sie bewegt sich nicht einen Zentimeter, vielleicht will sie ihr kleines Mädchen nicht wecken, vielleicht ist sie auch einfach nur versunken. Sie sind so still, dass ich Angst habe, mein Blick könne sie stören, also schaue ich lieber aus dem Fenster.

In meinem Kopf rasen die Gedanken vorbei wie die Bäume und Häuser und Wiesen vorm Fenster. Mein Herz will das eine, mein Kopf (oder ist es mein Stolz?) das andere. Das 33-jährige Kind möchte sich gleich in die Arme seiner Mutter verkriechen und einfach dort bleiben, sich einrollen, bloß für ein paar Tage. Die Mutter, die ich gerade werde, möchte selbst herausfinden, was sie fühlt, was sie für eine Mutter sein wird, sein möchte, sie will keine Ratschläge bekommen, nicht einmal gute.

 

Als ich in die Küche komme, brennen die Kerzen. Mein Vater hat Mozart angestellt, weil er weiß, wie sehr ich Mozart mag, meine Mutter hat für mich ein Glas Schokoladencreme gekauft, weil sie weiß, wie sehr ich Schokoladencreme mag. Auf dem Tisch stehen die guten Teller. Neben dem Waschbecken zieht der schwarze Tee meines Vaters, der so stark ist, dass nur er ihn trinken kann. Der Geruch erinnert mich an meine Kindheit. Für eine Sekunde bin ich wieder acht, und Oskar, unser selten zu Zärtlichkeiten aufgelegter Rottweiler, ist unter dem Esstisch auf meinen Füßen eingeschlafen. Ich sitze rechts neben meiner Mutter, neben mir meine älteste große Schwester, mir gegenüber mein kleiner Bruder, neben ihm mein Vater, neben ihm meine jüngere große Schwester. Ich kann mich nicht erinnern, wer diese Sitzordnung aufgestellt hat, aber sie wurde nie gebrochen, nicht ein einziges Mal, nicht mal, wenn irgendwer nicht mit am Tisch saß und zwischen uns Lücken klafften. Mein Vater fragt, ob jemand weiß, wer dieses Stück komponiert hat, wie jeden Sonntagmorgen läuft Klassik im Radio, und wir spielen Komponisten-Raten, und mein kleiner Bruder möchte Schokoladencreme, obwohl er weiß, dass es die immer nur zum Geburtstag gibt, und ich sage «Beethoven», und mein Vater sagt: «Falsch, aber du hast noch einen Versuch», und nimmt einen Schluck Tee.

Ich sage: «Ich habe euch etwas Kleines mitgebracht», und muss grinsen über diesen Satz. Ich gebe meiner Mutter das Geschenk, sie packt es aus und streicht das Seidenpapier glatt. Sie würde Geschenkpapier niemals zerreißen.

«Das ist ein schönes T-Shirt, aber es ist ganz schön klein», sagt sie.

«Ich glaube, es hat genau die richtige Größe», sage ich.

Meine Mutter schiebt ihre rote Lesebrille hoch. Ich sehe die Verwirrung in ihrem Blick, sie weiß, dass sie etwas übersehen hat, nur nicht was. Dann guckt sie auf das Schildchen im T-Shirt, liest die Größe und begreift.

«NEIN! Neinneinneinneinnein.»

«Dochdochdochdochdoch.»

Mein Vater legt seine Stirn in Falten. Dann hält meine Mutter das winzige T-Shirt in die Luft und springt auf und umarmt mich, erst stürmisch, dann ganz vorsichtig, als ihr auffällt, wie stürmisch sie ist. Dann begreift es auch mein Vater. Ich zeige ihm das Ultraschallbild, und er weint, ohne dass man es hört.

5. Mai

Dinge, die nicht in meinem Schwangerschaftsratgeber stehen:

Wie merkwürdig es sich anfühlt, schwanger zu sein, ohne sich schwanger zu fühlen. Man sieht, dass der Bauch langsam größer wird und die Hosen enger, aber man spürt diesen kleinen Menschen noch nicht, man fühlt und liebt ihm hinterher und hofft mit aller Kraft, dass es ihm gut geht.

Wie müde man ist. Die meisten Abende schlafe ich noch während der «Tagesschau» ein. Manchmal sogar schon davor. Und obwohl ich so viel schlafe wie noch nie in meinem Leben, bin ich ständig müde und ständig schlapp, als hätte mir jemand den Stecker gezogen. Ich könnte im Stehen einschlafen. Und mitten im … Mein Gehirn arbeitet nur noch in Zeitlupe, ich brauche für die einfachsten Dinge manchmal doppelt so lange wie früher. Gestern stand ich am offenen Kühlschrank und wusste plötzlich nicht mehr, warum. Dass ich Milch in mein Müsli gießen wollte, fiel mir erst wieder ein, als ich die Müslischüssel sah und die Milchtüte in meiner Hand.

Wie oft man weinen muss. Ich weine, wenn ich ein schönes Lied höre. Ich weine, wenn ich ein trauriges Lied höre. Ich weine, wenn meine Schwester am Telefon irgendwie komisch klingt. Ich weine, wenn meine Schwester am Telefon ganz normal klingt und mir erzählt, dass ihr Sohn beim Fußball zwei Tore geschossen und sich schrecklich gefreut hat. Ich weine, wenn es draußen regnet. Wenn das so weitergeht, liegt Berlin bald an einem Ozean.

Wie anfällig man für alles wird, was klein ist. Ich sehe überall nur noch Babys und schwangere Frauen. Letzte Woche habe ich ein winziges Babymützchen und klitzekleine Söckchen gekauft, obwohl das ja wirklich noch Zeit hat. Ich hoffe, ich fange nie an, in Babysprache mit meinem Mann zu sprechen, aber so, wie ich gerade drauf bin, kann ich für nichts garantieren. (Diese Söckchen, ich meine, mal ehrlich: DIESE WINZIGEN BABYSÖCKCHEN!)

Wie anders alles riecht. Der Geruch von Kaffee verursacht mir solche Übelkeit, dass ich aus der Küche gehen muss, wenn er sich einen Kaffee macht, ich, der größte Kaffee-Freak. Ich kann mein Lieblingsparfüm nicht mehr riechen. Mein Parfüm riecht plötzlich nach Klostein, künstlich, penetrant, ekelhaft. Als mir in der U-Bahn ein junger Mann gegenübersaß, der gleichzeitig nach Schweiß und Deo roch, musste ich mich fast übergeben. Vor ein paar Tagen wurde mir in der Straßenbahn schlecht, weil ein nasser Hund nach nassem Hund roch, ein Geruch, mit dem ich noch nie Probleme hatte.

Wie oft man sich fragt, ob alles in Ordnung ist.

Wie groß einem das Herz wird.

12. Mai

Heute sind es genau zwölf Wochen. Wie viel Angst ich hatte, dieses Kind zu verlieren, merke ich an meiner Erleichterung. Ich schaue mir wieder und wieder das neue Ultraschallbild an, schlage wieder und wieder den Mutterpass auf, den ich heute bekommen habe. Es fühlt sich an, als hätte ich einen schweren Mantel ausgezogen.

13. Mai

Wie lange kenne ich Marlene jetzt schon, sieben Jahre, oder sind es schon acht? Ich weiß, wie sie aussieht, wenn sie aufgeregt ist, aber nicht will, dass das jemand mitkriegt. Ich weiß, wie sie aussieht, wenn sie gerade an einem richtig guten Text schreibt (wir haben uns lange genug ein Büro geteilt). Ich weiß, wie sie aussieht, wenn sie verliebt ist. Diesen Ausdruck kannte ich noch nicht, da ist eine so weiche, zärtliche Freude, dass mir ganz warm wird.

Am Morgen hatte ich ihr eine E-Mail geschrieben, «Wollen wir uns nicht auf einen schnellen Kaffee sehen?», «Klar», mailte sie und fragte nicht nach. Ich hatte eine Karte in der Tasche, die ich kurz vorm Losgehen geschrieben hatte, ich wollte sie ihr eigentlich erst später geben, aber als sie mir gegenübersaß, schob ich sofort den Briefumschlag über den Tisch. Sie las, sagte nichts und suchte in ihrer Tasche nach einem Stift. Dann malte sie ein Kreuz, ein dickes, fettes Kreuz, und gab mir die Karte zurück. Als ich sie öffnete, stand da:

Liebe Lene,

willst du vielleicht meine Patentante werden?

JA

NEIN

VIELLEICHT

Dein Baby (noch im Bauch)

21. Mai

Eine seltsame Angst ist das. Eine Angst, die so gar nichts Konkretes hat. Eine Angst um dieses Kind – noch bevor es auf der Welt ist. Die Angst, es könne dem Baby etwas passieren. Oder ihm. Oder mir. Mitten hinein in dieses Angsthaben, das eine Grundsätzlichkeit hat, die ich nicht kleinfühlen kann, ist da ein Glück, das mich fast noch wehrloser macht. Die Vorstellung, dass in meinem Bauch ein Baby schläft und trinkt und herzklopft.

23. Mai

Dinge, die Menschen zu einem sagen, wenn man ihnen sagt, dass man schwanger ist:

«Waaaaaaas? Das ist ja toll, GLÜCKWUNSCH!»

«Wie alt bist du jetzt?»

«Ich gratuliere lieber erst nach der Geburt.»

«Und der Vater freut sich auch?»

«Die ersten drei Monate mit Kind sind die Hölle!»

«Wie glücklich du aussiehst!»

«Ich dachte, die Geburt überlebe ich nicht!»

«Ich hoffe, du mutierst nicht zu einer dieser Muttis.»

«Ich freu mich so für euch!»

«Man sieht ja noch gar nichts!»

«Sicher, dass du nicht schon weiter bist?»

«Genießt die Zeit zu zweit!»

«Du siehst aber schön klar aus im Gesicht!»

«Geht unbedingt noch ins Kino!»

«Wurde ja auch mal Zeit.»

«Aber es ist schon ein Wunschkind, oder?»

«Wann ist es denn so weit?»

«Dann fang schon mal an vorzuschlafen.»

25. Mai

Seit ein paar Tagen sehe ich, wenn ich ihn ansehe, nicht mehr bloß den Mann, den ich liebe, sondern auch den Mann, mit dem ich ein Baby bekommen werde. Es ist ein Blick, der ein wenig ungerecht ist, weil er der Liebe einen riesigen Rucksack voller Erwartungen aufsetzt. Trotzdem denke ich, was ich denke. Ein Kind mit einem Mann, viel ernster wird es nicht. Da sind wir also, er und ich und das Kind in meinem Bauch, das irgendwann auf die Welt kommen und aus uns beiden eine Familie machen wird.