Vom ersten Tag an und für immer - Lucy Hepburn - E-Book

Vom ersten Tag an und für immer E-Book

Lucy Hepburn

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Beschreibung

Eine bittersüße Geschichte über Liebe, Loslassen und die Kunst sich selbst zu vertrauen

Nell mag ihr Leben. Wie könnte es auch anders sein, wo sie seit zehn Jahren nichts daran verändert hat. Sie führt den Blumenladen, der schon ihrer Mutter gehörte, und hat seit dem ersten Tag ihrer Studienzeit dieselben Freunde - Alex, Maria und Jason. Ihre Angestellte Olive sagt, sie ist in der Vergangenheit hängen geblieben, doch Nell meint, sie ist glücklich. So lange, bis Alex verkündet, Maria heiraten zu wollen – und Nells Herz zerbricht. Sie war doch schon so lange in ihn verliebt ...

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Seitenzahl: 510

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LUCY HEPBURN

Vom ersten Tag an und für immer

Roman

Aus dem Englischen von Angelika Naujokat

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

 

Das Buch

Nell fühlt sich wohl in ihrem Leben. Wie könnte es auch anders sein, wo sie seit zehn Jahren nichts daran verändert hat. Sie führt den Blumenladen, der schon ihrer verstorbenen Mutter gehörte, und seit dem ersten Tag ihrer Studienzeit ist sie eng mit Alex, Maria und Jason befreundet. Ihre Angestellte Olive sagt oft, sie wäre in der Vergangenheit hängen geblieben und würde sich fürchten, Neues zu wagen. Doch Nell behauptet glücklich zu sein. So lange, bis Alex verkündet, Maria heiraten zu wollen – und Nells Welt stürzt über ihr zusammen. Seit sie denken kann, war sie in Alex verliebt. Nell versucht mit der Situation umzu­gehen, indem sie sich in neue Vorhaben stürzt – sie belegt Fotokurse, rennt von Date zu Date –, doch nichts kann sie von ihrem Kummer ablenken. Wenn es doch nur einen Weg gäbe, Alex endlich ihre Liebe gestehen zu können …

Die Autorin

Lucy Hepburn kann nie an einem Schuhladen vorbeigehen, ohne wenigstens einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Sie schrieb unterhaltsame Kurzgeschichten, um ihre Freunde bei der Arbeit zu amüsieren, bevor sie sich entschied, dass es an der Zeit war, sie stattdessen abendfüllend zu unterhalten. Ihre Inspiration sind die Begegnungen mit Menschen und Alltagssituationen – kurz: einfach das Leben selbst. Vom ersten Tag an und für immer ist Lucy Hepburns fünfter Roman.

Lieferbare Titel

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Kleider machen Bräute

 

 

Titel der Originalausgabe He loves me, he loves me not

Vollständige deutsche Erstausgabe10/2015

Copyright © 2014 by Lucy Hepburn

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Eva Philippon

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München

unter Verwendung eines Fotos von Bigstock/

Conrado Oksanaok, Microvector

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN 978-3-641-16151-4

www.heyne.de

 

Kapitel 1

Für Nell Marnie hatte der Valentinstag wenig mit Romantik zu tun. Wenn man einen Blumenladen besaß, dann war der 14. Februar der arbeitsreichste Tag des Jahres, und sie war seit über zwölf Stunden auf den Beinen.

Kurz nach Tagesanbruch war sie zum New Covent Garden Market gefahren, hatte sich anschließend um die zusätzlichen Lieferungen gekümmert, Bestellungen von quengelnden Kunden entgegengenommen, die auf den letzten Drücker dran waren, und zwischendurch Sträuße gebunden und Rosenstiele entdornt, bis sie vor Erschöpfung beinahe aus den Latschen gekippt wäre. Nicht etwa, dass sie sich beschweren würde! Keineswegs! Es war toll, dass es in ihrem Laden Every Blooming Thing so ge­schäftig zuging. Wenn dies doch nur jeden Tag so wäre! Dann müsste sie sich keine Sorgen um ihre Finanzen machen. Während sie sich die wunden Finger unter dem kaltem Wasserstrahl abspülte, versuchte sich Nell auf die Schnelle im Kopfrechnen – was nicht gerade ihre Stärke war –, denn sie wollte herausfinden, wie viel sie heute eingenommen hatte, bevor die Einnahmen wie immer in einem großen schwarzen Loch verschwanden.

Obwohl die Zeiger der Ladenuhr langsam Richtung sechs krochen, ließ der Strom der Kunden immer noch nicht nach. Olive, Nells Mitarbeiterin, kam in ihrem Bemühen, sämtliche Kunden zu bedienen, gar nicht mehr zum Luftholen. Nell legte ihre Blumen auf die kühle Marmorplatte des Tresens, ignorierte ihre von den Dornen zerstochenen Finger, strich sich das lockige, kasta­nienbraune Haar aus den Augen und eilte ihr zu Hilfe.

Sie erkannte sogleich den älteren Mann, der sie anlächelte. Es war Jacob Rubenstein, ein talentierter Musiker, der schon seit über vierzig Jahren mit Esmé verheiratet war und spannende Geschichten zu erzählen wusste. Manche waren herzzerreißend tragisch und hatten mit der Flucht aus Polen Ende der Dreißigerjahre zu tun, während andere unglaublich bezaubernd waren. Nell wusste, dass die Rubinsteins knapp bei Kasse waren, denn sie lebten von einer kleinen Rente, und Esmé war schon lange krank. Aber trotzdem kaufte Jacob seiner Frau jede Woche Blumen. Und das schon, seit sie sich in den Fünfzigerjahren zum ersten Mal in einem verrauchten Jazzclub in Soho begegnet waren, wie er Nell voller Stolz erzählt hatte, und er dachte nicht daran aufzuhören, nur weil er jetzt alt und arm war.

Nell wusste, dass Jacob nur eine einzige rote Rose für seine große Liebe kaufen würde. Dass er Esmé damit eine Riesenfreude bereiten würde, machte sie zu einem bedeutsameren Geschenk als jeder teure und protzige Strauß, egal wie umwerfend Nells Kreationen auch sein mochten.

Sie begrüßte den alten Mann mit einem Lächeln. »Eine rote Rose für Esmé, Mr. Rubinstein?«

Er nickte. »Ja bitte, Miss Marnie. Mit einer Schleife, wenn’s nicht zu viel Mühe macht.«

»Aber natürlich nicht.« Nell suchte das schönste Exem­plar aus, band es mit Schleierkraut, etwas Grün und einer an einem Draht befestigten Fertigschleife zusammen, wickelte das Ganze in gepunktetes Papier und band eine hübsche Schnur darum. »Ist das gut so?«

»O ja, das wird ihr gefallen, vielen Dank.« Jacob kramte in seiner Einkaufstasche herum, bis er sein Portemonnaie fand. Ein besorgter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Wie viel bin ich Ihnen schuldig?«

Normalerweise kosteten Rosen am Valentinstag fünfmal so viel wie sonst, aber da es sich um Mr. Rubinstein handelte … »Zwei Pfund für Sie«, flüsterte sie ihm zu, damit es die anderen Kunden in der Schlange nicht hören konnten.

O Gott. Kein Wunder, dass sie Mühe hatte, die Kosten für den Laden zu decken. Zu viel Großzügigkeit war nicht gerade gut fürs Geschäft, aber das Lächeln des alten Mannes machte es mehr als wieder wett, dass sie ein bisschen draufzahlte. Außerdem kaufte Jacob seine Blumen aus echter Liebe. Ging es nicht am Valentinstag genau darum?

»Also ehrlich, Nell«, sagte Olive, nachdem er gegangen war. »Du hast ein viel zu weiches Herz.«

Nell zuckte mit den Schultern. »Wie sonst hätte er sich heute die Rose leisten können?«

»Und wieso ist das unser Problem?« Olive warf ihr einen strengen Blick zu. »Du kannst keine hoffnungslose Romantikerin sein und gleichzeitig ein Geschäft führen. Kein Wunder, dass du so gestresst bist wegen deiner Finanzen!«

Nell bewunderte Olive des Öfteren. Sie war jung, aber pragmatisch und zielstrebig.

All das, was ich nicht bin.

Olive wäre in vielerlei Hinsicht besser geeignet, den Blumenladen zu führen, als sie selbst, dachte Nell. Sie würde bestimmt nicht ihre wichtigen Belege in einer Plastiktüte aufbewahren und sie in einen Pflanztopf stopfen, aber Nell war der Ansicht, dass ihre Stärken eben mehr im künstlerischen Bereich lagen.

Seit sie das Geschäft von ihrer Mutter geerbt hatte, war es ihr zumindest gelungen, alles am Laufen zu halten.

Wenn auch nur knapp.

Kaum dass die letzten Rosen verkauft waren, stolperte ein junger Mann zur Ladentür herein. Es war Mikal, ein weiterer Stammkunde, der als Taxifahrer viel arbeitete, um seine große Familie zu ernähren. Nell nutzte regelmäßig seine Dienste, wenn sie ein Taxi benötigte. Daher gab es nur wenig, was sie nicht über seine vier Kinder, seine Frau Sacha und die betagte Mutter wusste.

»Bin ich zu spät dran?«, fragte er keuchend und warf einen Blick über seine Schulter nach draußen. »Ich stehe im absoluten Halteverbot.«

Die Politessen waren in der letzten Zeit in Hackney sehr fleißig gewesen. Nells Auslieferungsfahrer hatte genügend Strafzettel bekommen.

»Mikal, das könnte teuer werden!«

Er zuckte unter seiner Lederjacke mit den Schultern. »Tss! Besser, als ohne Blumen bei meiner Frau aufzutauchen. Mein Leben wäre nicht mehr lebenswert.«

Nell lachte. Sie hatte Sacha zwar noch nicht persönlich kennengelernt, aber schon genug über sie gehört, um daraus zu folgern, dass sie mit eiserner Faust regierte. Meist begannen die Unterhaltungen, die sie während ihrer Taxifahrten führten, mit den Worten: »Meine Frau sagt …«, und ständig nahm er ihre Anrufe über die Freisprechanlage entgegen. Nell konnte sich sehr gut vorstellen, dass er am Valentinstag besser nicht ohne Blumenstrauß zu Hause erschien.

»Wir wollten gerade schließen«, sagte Olive mit Nachdruck. Nell sah ihr an, dass sie es kaum erwarten konnte, Feierabend zu machen. Olive, der es nicht an Verehrern mangelte, hatte am Valentinstag gewiss irgendetwas Aufregendes vor. Anders als Nell, die Single war und nichts weiter plante, als mit einer Flasche Wein nach Hause zu gehen, ein Curry in die Mikrowelle zu schieben und sich an den rosafarbenen Rosen zu erfreuen, die sie extra für sich zurückbehalten hatte. Vielleicht würde sie auch ein heißes Bad nehmen.

»Bitte erbarmen Sie sich meiner!«, rief Mikal mit charmantem Grinsen, das andeutete, wie er seine Frau besänftigte, wenn diese wieder einmal in Rage geraten war.

Doch Olive blieb ungerührt. »Die roten Rosen sind aus.«

Der Taxifahrer machte ein langes Gesicht. »Ich bin ein toter Mann!«

Nell tat er leid. »Wie wäre es mit cremeweißen und rosaroten Rosen?«, schlug sie vor. Sie nahm den letzten Strauß aus dem Eimer und hielt ihn ihm hin. »Ich weiß, dass es keine roten sind, aber diese sind viel eleganter, und Sie haben mir doch erzählt, dass Ihre Frau Rosa mag. Wollte sie nicht sogar, dass Sie das Taxi rosa lackieren lassen?«

»Erinnern Sie mich bloß nicht daran!«, erwiderte Mikal und grinste. »Das wäre ja ein Barbie-Taxi gewesen … Und was die Blumen betrifft, haben Sie recht, die werden ihr gefallen. Vielen Dank, Nell.«

»Ich dachte, die hättest du für dich zurückbehalten?«, sagte Olive schroff, sobald Mikal davongefahren war – nur Sekunden bevor eine Politesse auftauchte. »Ich hab’s dir ja gesagt: Du hast ein zu weiches Herz.«

Nell seufzte. »Ich weiß, aber er braucht sie nötiger als ich. Und welche Frau ist schon so blöd und schenkt sich selbst Blumen am Valentinstag?«

»Eine, die mehr ausgehen und sich amüsieren sollte«, sagte Olive und klappte das GESCHLOSSEN-Schild an der Tür zur Straßenseite um.

Nell verdrehte ihre Augen so sehr, dass es ein Wunder war, dass sie ihr nicht aus dem Kopf fielen und über den Ladenboden kullerten. Wenn sie jedes Mal ein Pfund da­­für kriegen würde, wenn Olive versuchte, ihr Privat­leben für sie zu organisieren, müsste sie sich keine Sorgen über ihre Bilanzen machen. Sie wollte ihr gerade antworten, dass sie sich auf einen Fernsehabend mit Game of Thrones freute, als sie der Summton ihres Handys ablenkte.

Wie läuft’s im Laden? Bist du heute im Pub dabei? M xxx

Als Nell die SMS ihrer besten Freundin Maria las, musste sie schmunzeln. Ja, klar! Heute war ja nicht nur Valentinstag, sondern auch Freitag! Sie traf sich seit Studienende praktisch jeden Freitagabend mit ihren Freunden im Bell and Whistle, daher konnte sie mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass sie auch heute dabei sein würde. Was bedeutete, dass sie vom Mikrowellen-­Hähnchen Tikka Masala verschont bliebe. Es sei denn, Ryan Gosling und Johnny Depp schauten zufällig vorbei und lieferten sich ein Duell darüber, wer sie zum Essen ausführen durfte.

»Hey, du lächelst! Wer schreibt dir da?« Olive, die damit beschäftigt war, den Haufen Stiele aus der Spüle zu fischen und in den Abfall zu befördern, warf Nell einen gespannten Blick zu. »Ich sag’s ja immer: Stille Wasser sind tief! Also, wer ist er?«

Nell ignorierte sie und gab sich einen Moment lang ihrem Tagtraum hin. Hackney war ein interessantes Viertel und absolut im Kommen – zumindest behaupteten das die Lokalzeitungen –, warum also sollte nicht der ­eine oder andere Promi hier auftauchen? Und da böte sich ein Besuch in einem hübschen kleinen Blumen­laden doch an. Ryan und Johnny sahen beide so aus, als wären sie Männer, die Blumen kauften. Ryan würde sich wohl für langstielige rosafarbene entscheiden, zusammengebunden mit einem hübschen weißen Schleifenband, Johnny hingegen würde eher auf etwas Ausge­falleneres stehen, violette Dahlien vielleicht oder auch orangefarbene und scharlachrote Gerbera. Ja, definitiv Gerbera, entschied Nell. Nach sieben Jahren Einkaufs­erfahrung für Every Blooming Thing war sie eine Expertin darin, wer was kaufte.

»O mein Gott, du hast ein Date!«, quietschte Olive. »Ein Valentins-Date. Komm schon, erzähl!«

Nell lachte. Olive war besessen von Liebe und Beziehungen. Nell vermutete, dass das Lesen von Schundromanen dafür verantwortlich war. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr Hochzeitssträuße band. Olive war eindeutig dem Untergang geweiht, was ihre romantischen Erwartungen betraf.

»Das heißeste Date, das ich heute haben werde, ist das mit meiner Umsatzsteuererklärung – dabei werde ich näm­­­­l­­ich ganz gehörig ins Schwitzen kommen«, sagte Nell. »Um ehrlich zu sein, es ist Maria, du Schnüfflerin. Sie fragt, ob ich mich später mit der Clique treffen will.«

Olive blickte enttäuscht drein. »Schade. Für einen Augenblick dachte ich, du würdest mal was Aufregendes machen und nicht schon wieder in den Pub gehen.«

Nell seufzte. »Ich gehe gern in den Pub.«

»Aber du machst das andauernd«, gab Olive zu bedenken. »Außerdem wollen Alex und Maria den Valentinstag vielleicht allein verbringen. Ist ja nicht gerade toll, wenn ihr immer an ihnen klebt.«

»Keine Sorge, ich habe sie gefragt. Maria sagte jedoch, dass sie nun schon so lange zusammen sind, dass ihnen nichts mehr am Valentinstag liege.«

Olive runzelte die Stirn. »Das ist nicht gut. Der Valentinstag sollte immer zählen. O Mann, ich würde sofort jeden Kerl in die Wüste schicken, der mir was anderes einzureden versucht!«

Daran hegte Nell nicht den geringsten Zweifel. Olive war Anfang zwanzig und sah umwerfend aus. Die Männer standen bei ihr Schlange, aber sie war ausgesprochen anspruchsvoll. So schaute manch ein Abgewiesener im Laden vorbei, um Nell um Rat zu fragen. Sie redeten ihr oft die Ohren so voll, dass sie sich weniger wie eine Floristin und mehr wie eine Seelenklempnerin vorkam.

Olive ließ nicht locker. »Aber du bist doch jeden Freitag mit Maria, Alex und Jason im Pub!«

Nell strich sich die Locken aus dem Gesicht. »Na und?«

»Selbst die Getränke und das Essen sind immer gleich«, sagte Olive. »Chardonnay für dich und Maria, Stella-Bier für die Jungs und eine große Platte Nachos. Mach doch mal was anderes. Iss wenigstens mal Chilli Poppers!«

»Aber die Nachos sind einfach fantastisch!«, witzelte Nell, doch Olive fand das gar nicht zum Lachen. Sie sah eher besorgt aus.

»Willst du denn nie mal neue Leute kennenlernen? Ich weiß was …« Sie klatschte aufgeregt in die Hände. »Wie wär’s, wenn wir zwei heute Abend zusammen ausgehen? Es gibt einen neuen R&B-Club in Balham. Der soll ganz toll sein. Meine Cousine kennt den DJ. Wir könnten sogar in den VIP-Bereich kommen! Was hältst du davon?«

Tja, was hielt sie davon? Dass es anstrengend klang und laut und dass sie, ehrlich gesagt, doch lieber ihre Steuererklärung machen würde. Wenn die eine 23 war und die andere 28, lag eine riesige Kluft zwischen ihnen, die den Grand Canyon wie einen kleinen Riss in der Erde aussehen ließ. Olive fand es toll, ein Date nach dem anderen zu haben und sich die Trommelfelle mal­trätieren zu lassen, aber Nell konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen. Erstens waren solche Dates harte Arbeit, und da das frühe Aufstehen mit zu den Freuden einer Blumen­ladenbesitzerin gehörte, fand sie schon den bloßen Gedanken, sich aufbrezeln und Small Talk mit einem Fremden machen zu müssen, ermüdend. Zweitens mochte sie die zwanglose Kameradschaft in ihrem Freundeskreis. Sie hatten an der Uni zusammengefunden und kannten einander in- und auswendig. Wenn sie mit Maria, Alex und Jason zusammen war, musste sie sich keine Mühe geben, einen guten Eindruck zu machen oder Konversation zu betreiben. Ein Abend mit ihren Freunden war so erholsam wie ein heißes Bad. Aber viel amüsanter, da sie eben nicht allein sein würde.

Nell überging Olives mitleidigen Blick, wandte sich wieder ihrem Handy zu und schickte eine kurze Nachricht zurück.

Nach dem Valentinstag-Massaker brauche ich wirklich einen Drink. Bis gleich x x

Na also. Schon war ihr Feierabend geregelt. ­Allerdings sollte sie in der Zwischenzeit die Zähne zusammenbeißen und mit der Steuer anfangen. Doch dann fiel ihr plötzlich ein, dass sie die Schaufensterdekoration erneuern sollten. Die Valentinsrosen hatten sich ja jetzt er­ledigt. Ihr schwebte etwas frühlingshaft Frisches vor – vielleicht etwas, mit dem sie schon mal an den Muttertag anknüpfen konnten. Eventuell ein riesiger Strauß aus Ringelblumen und Sonnenblumen, die Stiele umwickelt mit grünem Schleifenband. Vielleicht konnten die Steuern ja doch noch warten?

Nell schüttelte sich, um die Gedanken wieder loszuwerden. Sie sollte sich nicht schon wieder ablenken lassen.

»Nell, du bist wirklich furchtbar!« Alex hatte deprimiert die Augen zum Himmel verdreht, als er Nells »Ablagesystem« in der Plastiktüte entdeckte, das sie immer schon mal besser organisieren wollte. »Während einer Wirtschaftskrise sind Blumen und private Raketenschiffe ganz oben auf der Liste der Dinge, die der Mensch eigentlich nicht braucht. Du musst das hier unbedingt in Ordnung bringen!«

Bei dem Gedanken daran entfuhr Nell ein Seufzer.

Wochen vor der Steuererklärung mühsam die Papiere zusammenzusuchen war sicherlich nicht die beste Methode, aber sie versuchte sich einzureden, dass sie kreativ an die Sache heranging.

Ich bin nun mal ein kreativer Mensch, versuchte sie sich die Dinge schönzureden.

Aber Alex hatte recht, sie musste versuchen, prak­tischer zu denken. Sie konnte sich nicht einfach so treiben lassen, damit ihre Freunde etwas zu lachen hatten. Sie musste versuchen, Geschäftsgeist zu entwickeln. Die beiden letzten Jahre waren ein echter Kampf für Every Blooming Thing gewesen. Es gab zwar nach wie vor Hochzeiten und Begräbnisse, aber die Budgets waren merklich kleiner. Der Kaufpreis, nicht das Aussehen der Blumen gab den Ausschlag. Sie seufzte. Die Politiker mochten ja erwartungsvoll von der aufkeimenden Hoffnung auf einen Aufschwung sprechen, aber das Einzige, was Nells Ansicht nach keimte, waren ihre Pflanzen­sprösslinge.

Alex und Maria zogen sie deshalb immer auf. »Du läufst immer noch wie eine Studentin rum, Süße!«, sagte Maria. »Du bist jetzt Geschäftsfrau. Lass uns zusammen shoppen gehen, dann suchen wir dir ein paar tolle Kostüme aus.«

Nell entsetzte der Gedanke, jeden Tag ein Kostüm tragen zu müssen. Glücklicherweise hatte sie eine gute Ausrede: Floristen konnten sich nicht in Schale werfen. Jeans, Gummistiefel und Wollfingerhandschuhe waren die praktischste Arbeitskleidung für einen Job, der viel mit Wasser und Erde zu tun hatte und bei dem man in aller Herrgottsfrühe auf dem Blumengroßmarkt herumlatschen musste. An ihren freien Tagen trug sie klobige Boots mit dicker Sohle, schwingende Vintage-Röcke und fließende Schals.

Nells Mum hatte sich auf ähnliche Weise gekleidet, aber sie war ja auch Floristin gewesen. Mit Elsie Marnie am Ruder von Every Blooming Thing war aus einem Hob­by, das in der heimischen Küche begonnen hatte, ein florierendes Geschäft geworden. Ihre Mutter hatte an diesem Laden gehangen, war mit Herz und Seele dabei gewesen. In Nells glücklichsten Erinnerungen saß sie auf dem Tresen neben der Spüle – derselben Spüle, an der Olive jetzt stand und ihr mitleidige Blicke zuwarf. In den Händen ihrer Mutter waren aus einem Wirrwarr von Stengeln und Blüten die wundervollsten Gestecke und Sträuße geworden. Nell hatte zugesehen und von ihr gelernt, aber sie war nicht annähernd so gut wie sie.

Solche Gedanken an die Vergangenheit passten wohl kaum zum Valentinstag, sagte sie sich. Es war an der Zeit, den Spieß umzudrehen und herauszufinden, wie es in Olives Liebesleben aussah.

»Was hast du denn heute Abend vor?«, fragte sie. »Wer ist denn das nächste Opfer … äh … heiße Date?«

Olive seufzte. »Eigentlich wollte ich zu Hause bleiben, Nell.«

»Ernsthaft?« Nell wäre wohl kaum verblüffter gewesen, wenn Olive ihr erzählt hätte, dass sie zum Mond fliegen würde. »Was ist denn mit diesem R&B-Club?«

»Ach nee, im Grunde bin ich es leid, diese Schwachköpfe zu treffen, deren Vorstellung von einem netten Abend darin besteht, in irgendeinem Schnellrestaurant zu essen und hinterher Fußball zu schauen, anstatt mit mir ins Theater zu gehen.«

»Ins Theater?« Seit wann ging Olive ins Theater?

»Ja, warum nicht? Ich habe Gary gebeten, dass wir uns Benedict Cumberbatch in Hamlet ansehen. Da hat er nur gelacht, weil er den Namen Cumberbatch so komisch fand.«

Nell lachte auch. Jetzt verstand sie Olives plötzliches Interesse am Theater. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Gary, der letzte in einer langen Reihe an Verehrern, auf den Barden versessen war. Oder gar auf Benedict!

»Lach nicht! Ich möchte neue Erfahrungen machen«, sagte Olive und blickte gekränkt drein. »Ich habe beschlos­sen, dass es an der Zeit ist, mir höhere Ziele zu setzen, als in Schnellrestaurants und Kinos zu gehen. Von jetzt an werde ich sehr viel wählerischer sein.«

»So weit zur Theorie, aber wie willst du das praktisch anstellen?«, fragte Nell neugierig.

Olive zog eine Zeitschrift aus ihrer Louis-Vuitton-Tasche, die natürlich ein Fake war. Sie blätterte mit ernster Miene durch die Hochglanzseiten von Her, bis sie den Artikel fand, den sie suchte.

»›Die Jagd nach der wahren Liebe‹«, las Nell über ihre Schulter hinweg. »›Wie Sie Ihren Traummann finden.‹ Ach komm schon, Olive! Es gibt doch noch mehr im Leben, als einen Mann aufzutreiben. Wenn Germaine Greer tot wäre, würde sie sich jetzt im Grabe umdrehen!«

»Wer?«, fragte Olive.

Nell gab auf. Sie warf in einer Geste der Verzweiflung die Arme in die Luft, schrieb vierzig Jahre Feminismus in den Wind, griff sich das Heft und las weiter.

»Würden Sie shoppen gehen, um sich ein Paar Louboutins zu kaufen, aber stattdessen mit Dubarry-Stiefeln zurückkehren, nur weil es im Laden nichts anderes gab? Natürlich nicht! Also warum versuchen Sie auf so plan­lose Art und Weise einen Lebenspartner zu finden? Wenn es darum geht, sich den Mann Ihrer Träume zu angeln, sollten Sie unvoreingenommen an die Sache herangehen, sich aber auch bewusst sein, dass er gewisse Eigenschaften besitzen sollte, bei denen Sie zu keinen Kompromissen bereit sind.«

Nell verzog das Gesicht und klappte die Zeitschrift zu. Der Artikel wählte den pragmatischen Ansatz und verglich die Suche nach dem Mann fürs Leben mit einer Shoppingtour. Frau machte eine Liste, auf der sie notierte, was sie genau wollte, und dann zog sie los, um es zu finden. Und erst wenn alle Punkte abgehakt waren, ging sie mit ihrem Einkauf zur Kasse.

Soll noch mal einer behaupten, die Romantik sei tot!

»Grins du nur«, sagte Olive beleidigt. »Ich werde dir beweisen, dass es funktioniert. Meine Liste ist fertig, und ich bin bereit, mich auf die Suche zu begeben. Ich werde nichts mehr dem Schicksal überlassen. Außerdem dachte ich, dass es beim Feminismus darum geht, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Genau das habe ich nämlich vor!«

Nell war trotz allem neugierig. »Und was steht so auf deiner Liste?«

»Groß, dunkelhaarig, gut aussehend, reich, mit moralisch vertretbarem Job und guten Manieren. Ein Ritter ohne Furcht und Tadel, der für mich sorgt, einen Sportwagen fährt, sich gut kleidet, Vegetarier ist und eine Wohnung in den Docklands hat.« Olive zählte die Kri­terien an ihren Fingern ab. »Natürlich bin ich bereit, bei dem einen oder anderen Punkt gewisse Kompromisse einzugehen, solange ich mir im Klaren darüber bin, was am wichtigsten für mich ist.«

»Und was ist dir am wichtigsten?«, erkundigte sich Nell.

»Der Ritter«, erwiderte Olive wie aus der Pistole geschossen. Sie hatte offenbar viel darüber nachgedacht.

»Verstehe«, erwiderte Nell gedehnt. »Dann viel Glück dabei.«

»Werde ich nicht brauchen«, erklärte Olive voller Überzeugung. »Ich muss nur sicherstellen, dass ich an dem festhalte, was mir wichtig ist. Wirst schon sehen.«

Das dröhnende Röhren eines Transporters, der draußen vorfuhr, verkündete die Ankunft von Craig, dem Liefer­jungen. Craig schaute andauernd unter irgend­einem Vorwand im Laden vorbei, und es war nicht schwer zu erraten, warum er dies tat. Heute hatte er sogar schon eine Valentinskarte für Olive dagelassen, die aber in einen Eimer gefallen und so durchweicht worden war, dass man kein Wort mehr entziffern konnte.

»Da ist Craig schon wieder«, bemerkte Nell.

Olive hob nicht einmal den Kopf.

Es war kein Wunder, dass sich Craig in sie verknallt hatte, denn Olive war wirklich ausgesprochen hübsch. Sie war halb Jamaikanerin und halb Britin, ihre makel­lose Haut hatte die Farbe von Milchkaffee, sie besaß umwerfend grüne Augen und glänzendes pechschwarzes Haar, das sich über ihren Rücken ergoss. Nell war längst daran gewöhnt, dass ihrer männlichen Kundschaft der Mund offen stehenblieb, wenn sie sie erblickten. Unglücklicherweise hatte Craig das Pech, dass seine Gefühle definitiv nicht erwidert wurden. Olive mochte romantisch veranlagt sein, aber sie war nun einmal wählerisch, und wenn der Richtige vorbeikam, dann würde der ihrer Meinung nach mit Sicherheit keinen Kleintransporter fahren und Turnschuhe von Converse tragen.

»Wenn du wirklich kein Interesse hast, solltest du den armen Kerl nicht länger auf die Folter spannen«, flüsterte Nell, bevor Craig zur Tür hereinkam. »Aber wieso gibst du ihm nicht eine Chance und gehst mit ihm aus?«, schlug sie ihr vor. »Vielleicht erlebst du sogar eine Überraschung?«

Olives perfekt gezupfte Augenbrauen schossen bis in ihren Pony hinauf. »Das müsste schon eine verdammt große Überraschung sein, denn Craig erfüllt nicht einen einzigen Punkt auf meiner Checkliste.«

Nell seufzte.

Craig kam mit sehnsüchtigem Blick in den Laden gestürmt. »Hallo Nell, ich kam gerade zufällig hier vorbei und wollte dich fragen, ob ich noch was für dich mitnehmen soll?«

Da er bereits sämtliche Bestellungen ausgeliefert hatte, wusste er ganz genau, wie ihre Antwort lauten würde.

»Tut mir leid, Craig«, sagte Nell sanft. »Für heute ist alles erledigt. Ich habe erst morgen früh wieder was für dich.«

»Oh … okay«, sagte er mit langem Gesicht. »Dann sehen wir uns morgen wieder.«

Nell nickte.

Craig zog sich wie ein begossener Pudel zurück, blieb jedoch noch für einen Moment in der Türe stehen. »Na dann, auf Wiedersehen, Nell. Wiedersehen, Olive.«

»Bis dann, Knuffi«, sagte Olive und schenkte ihm ein Lächeln.

Nell sah, wie Craigs Gesicht aufleuchtete, er förmlich aus dem Laden hüpfte und wie auf Wolken zu seinem Wagen ging. »Du musst ihm sagen, dass du kein Inter­esse an ihm hast«, schimpfte sie.

Olives Gesicht nahm einen leidenden Ausdruck an. »Ich will aber nicht gemein sein.«

»Aber es ist gemein, ihm etwas vorzumachen. Ihn Knuffi zu nennen!« Nell kam sich ihrer Kollegin gegenüber mitunter wie eine alte Frau vor. »Manchmal ist es besser, wenn man hart ist, okay?«

Olive seufzte. »Okay.«

Nell wollte sie gerade darauf festnageln, bei der Wahrheit zu bleiben, als erneut die Glocke über der Tür erklang. Im ersten Moment dachte sie, Craig sei noch einmal unter einem anderen Vorwand zurückgekehrt, doch als sie aufblickte, stellte sie erfreut fest, dass es Jason war.

»Hallo, Fremder! Was treibt dich denn in die Wildnis von Hackney?«, zog sie ihn auf. »Eigentlich haben wir schon geschlossen.«

Jason beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er roch wie immer wunderbar nach Amber and Lavender von Jo Malone und trug einen schicken Anzug von Paul Smith. Jason, groß, dunkelhaarig und außerordentlich attraktiv, hatte einen gut bezahlten Anwaltsjob, und sein roter BMW X5 parkte draußen vor dem Laden – er erfüllte mehr als nur einen Punkt auf Olives Checkliste! Allerdings wusste er das auch, und obwohl Nell ihn zum Fressen gernhatte, gab sie sich, was ihn betraf, keinen Illusionen hin. Jason hatte einen ex­trem hohen Frauenverschleiß. An der Uni hatte Nell die Mädels schon gar nicht mehr zählen können, die sich bei ihr ausgeweint hatten. Sie war die ganzen drei Jahre eigentlich permanent an der Schulter klatschnass gewesen.

»Habe heute früher Schluss gemacht. Ich habe den Fall gewonnen und entschieden, den Rest des Tages zu schwänzen«, sagte er mit seinem Grübchen-Grinsen. Es war ein Grinsen, bei dem die meisten Frauen schwach wurden. Aber nicht Nell. Sie hatte ihn einmal dabei erwischt, wie er versucht hatte, diese Grübchen mit einem Buttermesser zu vertiefen, und zog ihn seither immer damit auf. »Ich wollte nur hören, ob du nachher auch im Bell dabei bist?«

Nell lachte und ging über Olives Grimasse hinweg.

»Klar. Freitagabend im Pub mit euch – das ist doch quasi ein Naturgesetz! Du musstest nicht extra vorbeikommen, um mich das zu fragen. Außerdem, wie könnte ich den Valentinsabend besser verbringen als mit meinen Freunden?«

Jason blickte verlegen drein. »Wo wir gerade beim Thema sind: Ich bräuchte noch Blumen.«

»Schon wieder eine neue Eroberung?«, stichelte Nell.

Jason legte die Hand auf sein Herz und machte eine gekränkte Miene.

»Autsch, Nell. Das hat gesessen.«

»Ich kenne dich doch. Also, was hättest du denn gern? Mit roten Rosen kann ich leider nicht mehr dienen, die sind ausverkauft. Rosarote übrigens auch. Wenn du richtig Eindruck machen willst, rate ich dir zu Orchideen.«

Er hatte den Anstand, beschämt dreinzublicken. Bei vergangenen Gelegenheiten hatte Jason in der Tat prot­zige Sträuße bestellt, um Eindruck zu schinden. Heute allerdings begnügte er sich mit den schlichten weißen Avalanche-Rosen, die Nell noch übrig hatte, und blauen Edeldisteln. Mit einer braunen Schnur gebunden war dieser Strauß von einer schlichten Eleganz und doch unbestreitbar romantisch.

»Wer ist denn die Glückliche?« Olive war auf wundersame Weise hinter der Theke erschienen und blickte durch ihre dunklen Wimpern zu Jason auf.

Der zog eine Blüte hervor, griff über die Theke hinweg und steckte sie Olive hinters Ohr.

»Sie sind für eine ganz besondere, wunderschöne Frau«, sagte er.

Tolles Ablenkungsmanöver, dachte Nell, als ihre Mitarbeiterin errötete und die Frage für den Moment vergessen war. Aber es war dennoch eine sehr romantische Geste für Jason. Da er für gewöhnlich Harry Styles von One Direction wie einen Mönch aussehen ließ, war sie überrascht und erfreut zugleich. Hinter all diesem charmanten, aalglatten Gehabe steckte ein wirklich netter Kerl. Vielleicht hatte Jason endlich eine Frau getroffen, die er wirklich gernhatte. Sie gönnte es ihm von Herzen.

»Kennst du irgendjemanden, der für ein Date mit Nell taugen würde?«, fragte Olive. »Wir sprachen gerade darüber, dass sie dringend auch mal neue Leute kennen­lernen sollte.«

»Das hast du gesagt, nicht ich!«, warf Nell ein.

»Aber du bist hinreißend, Nell! Es ist so schade. Du solltest losziehen und Spaß haben. Nicht wie ein Grufti in einem Pub verfaulen. Komm schon, Jason! Du musst doch jemanden kennen!«

»Tue ich tatsächlich«, erwiderte er. »Mein Kollege ­David Jaffe ist ein wirklich netter Kerl. Ich glaube, Nell und er würden sich gut verstehen. Wie wäre es, wenn ich …«

Nell entschied sich, die Sache von vornherein abzuwürgen. »Hallo? Ich bin immer noch hier! Kuppelei ist streng verboten. Das ist ein Befehl! Das Schicksal wird schon dafür sorgen, dass mir der Richtige über den Weg läuft.«

»Aber wann?«, fragte Olive. »Wenn du in der Schlange stehst, um dir deinen Rentenscheck abzuholen?«

Jason lachte. »Du musst zugeben, Nell, dass sie nicht ganz unrecht hat«, sagte er.

»Jetzt reicht’s! Ich höre mir das nicht mehr länger an! Noch bin ich keine alte Jungfer. Jason, du verschwindest jetzt, denn manche von uns müssen schließlich noch arbeiten. Wir sehen uns dann nachher …«

Sie schob ihn buchstäblich zur Tür hinaus und scheuchte Olive zurück an die Arbeit, damit diese den Laden aufräumte, während sie selbst die Kasse abrech­nete. Die Einnahmen waren gut, aber würden sie wirklich gut genug sein?

»Wie sieht’s aus?«, erkundigte sich Olive.

»Nicht so toll, wie ich gehofft hatte. Selbst mit der Hochzeit letzte Woche haben wir nur gerade noch etwas Gewinn gemacht.«

»Wieso nimmst du nicht das Angebot von Stanley Stalks an?«, fragte Olive.

Nell verzog das Gesicht. Stanley »Stengel« Stalks besaß einen lukrativen Online-Blumenlieferservice und versuchte gerade, in die reale Welt zu expandieren und ei­nige Läden an strategischen Stellen zu eröffnen. Er hatte ihr bereits mehrmals ein Angebot gemacht, um ihr Every Blooming Thing abzukaufen.

»Ich werde Mums Laden auf gar keinen Fall verkaufen!«, sagte sie mit Nachdruck.

Nell hatte es nicht über sich gebracht, sich nach dem Tod ihrer Mutter von dem Geschäft zu trennen. Das wäre so gewesen, als hätte sie sie ein zweites Mal verloren. Nur ihre Freunde und die Alltagsroutine im Laden hatten Nell über die schwere Zeit hinweggeholfen. Selbst wenn ihr dieser furchtbare Verlust schrecklich wehtat und sie ihre Trauer wieder einmal zu überwältigen drohte, mussten Blumen bestellt, Rechnungen bezahlt, Sträuße und Gestecke zusammengestellt und Auslieferungen erledigt werden. Elsie hätte es so gewollt. Nichts hätte ihr größeren Kummer bereitet, als wenn ihr geliebter Laden hätte schließen müssen. Und dies zu verhindern hatte Nell in gewisser Weise auch dabei geholfen, nicht irgendwann zusammenzubrechen.

Und sogar Olive, ihre zuverlässige Aushilfe, die ihren Berufsschulabschluss noch nicht in der Tasche hatte und deren praktische Ausbildung sie überwachen musste, war ein weiterer Grund gewesen. Elsie hätte gewollt, dass sich Nell um ihren Schützling kümmerte, und das hatte sie natürlich getan. Sie mochte Olive – sie war wie eine kleine Schwester für sie, gehörte mit zu ihrer »Blumenfamilie«, wie ihre Mutter immer so gern gesagt hatte. Und so stand Nell, obwohl sie einen – inzwischen Staub ansetzenden – Abschluss in Fotografie hatte und eigentlich nie Floristin werden wollte, nach sieben Jahren immer noch im Laden, der gerade so mit Hängen und Würgen über die Runden kam.

Und den sie nie und nimmer verkaufen würde.

»Ich weiß gar nicht, was du gegen Stanley hast«, sagte Olive. »Ich finde ihn eigentlich ganz süß.«

Ganz süß? Nell warf Olive einen irritierten Blick zu. Dieser Lackaffe war beim besten Willen nicht süß! »Ich werde den Laden auf gar keinen Fall verkaufen«, wie­derholte sie. »Und schon gar nicht an jemanden mit so einem bescheuerten Namen!«

»Den hat er sich doch nur für Marketingzwecke zugelegt«, erwiderte Olive. »Es ist ja nicht so, als würdest du dir wirklich etwas aus Floristik machen. Du tust das doch nur wegen deiner Mutter«, fuhr sie fort, gleich einem Elefanten im Porzellanladen. »Wenn du an Stanley verkaufen würdest, könntest du machen, was du wolltest. Hingehen, wohin du wolltest!«

Dieser Gedanke jagte Nell, ehrlich gesagt, eine Heidenangst ein. Ja, es stimmte schon, dass sie genug von alldem hier hatte, und obwohl sie ihrer Mutter immer gern stundenweise ausgeholfen hatte, war es doch etwas ganz anderes, das Geschäft zu führen. Ihre Begeisterung war so rasch dahingewelkt wie eine überwäs­serte Pflanze.

Aber was um Himmels willen sollte sie ohne den Laden anfangen? Er war doch ihre Welt! Hier kannte sie sich aus.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde weitermachen. Ich bin sicher, dass es besser werden wird. Außerdem gefällt es mir hier.«

»Das muss es wohl, denn du wirst nie woanders hingehen«, sagte Olive unverblümt. »Also, ich werde jetzt mal Klartext reden. Aber vergiss nicht, dass ich es nur gut mit dir meine!«

Nell stieß ein Stöhnen aus.

»Begreif doch, dass dieser Laden genauso wie das Bell in der Vergangenheit erstarrt ist. Und du bist es auch! Hör endlich auf, im Gestern zu leben! Du wirst niemals über deine Schwärmerei für Alex hinwegkommen, wenn du nicht einige größere Veränderungen vornimmst. Hak ihn endlich ab. Es bringt doch nichts, dauernd mit ihm herumzuhängen und …«

»Äh … ich stehe nicht auf Alex!«, rief Nell entgeistert. Olive war zwar unberechenbar, aber Nell war völlig geschockt, dass sie auf etwas so Verrücktes kam. »Er ist ein Freund. Und er ist mit Maria zusammen – meiner besten Freundin.«

Olive zuckte mit den Schultern. »Na und?«

»Die beiden sind seit der Uni ein Paar! Mein Gott, ­Olive, du hast eine blühendere Fantasie als J. K. Rowling!«

»Oder es ist an der Zeit, dass du endlich der Wahrheit ins Gesicht siehst.«

Nell schüttelte den Kopf. »Männer und Frauen können durchaus nur befreundet sein, weißt du.«

Aber das schien Olive nicht zu überzeugen. Was wohl daran lag, dass sie erst noch einem Mann begegnen musste, der sie nicht ins Bett kriegen wollte. »Und warum bittest du Jason dann nicht, dich einmal mit diesem Kollegen von ihm zusammenzubringen, diesem David? Der wäre doch vielleicht was für dich.«

So, jetzt reichte es ihr aber. Es war an der Zeit, die Chefin herauszukehren, sonst würde sich Olive, ehe sich Nell versah, ans Telefon hängen und zusammen mit ­Jason ihr Liebesleben organisieren. Nell durchbohrte ihre Mitarbeiterin mit einem unnachgiebigen Blick. »Sollte ich irgendwann einmal total unglücklich sein mit meinem offenbar so furchtbar langweiligen, ewig gestrigen Leben, dann werde ich es dich wissen lassen. Aber bis es so weit ist, wäre ich dir sehr dankbar, wenn du aufhören würdest, dich wie meine Großtante zu benehmen, anstatt wie meine fünf Jahre jüngere Angestellte.«

Olive hob die Hände, als würde sie sich ergeben. »Schon gut, schon gut! Ich wollte ja nur helfen. Du kennst mich ja. Von jetzt an werde ich nichts mehr sagen.«

Wenn dem nur so wäre, dachte Nell und wandte sich wieder den Geschäftsbüchern zu, während Olive mit den Blumen weitermachte. Der entschlossene Ausdruck auf deren hübschem Gesicht sagte ihr, dass diese Unterhaltung noch längst nicht beendet war.

 

 

Kapitel 2

Die Freitagabende im Bell verliefen meist nach dem gleichen Muster. Derjenige, der zuerst eintraf, nahm die beiden Sofas vorm Kamin mit dem niedrigen Couchtisch in der Mitte in Beschlag und bestellte schon einmal die erste Getränkerunde. Heute Abend war diese Aufgabe Alex und Maria zugefallen, und als Nell eintraf, da wartete bereits ein Glas Chardonnay nebst mehreren großen, herzförmigen Luftballons auf sie – die Standarddeko im Pub am Valentinstag.

Jason war spät dran, was vermutlich mit der geheimnisvollen neuen Frau in seinem Leben zu tun hatte, und da sie ihn so gut kannten, bestellten sie schon einmal die Nachos. Nun, mit vollem Bauch und dem Wein, der die verspannten Muskeln in Nells Schultern lockerte, die sie den schier endlosen Sträußen verdankte, die sie heute gebunden hatte, spürte sie, wie sie langsam ­herunterkam. Der Laden, das Finanzamt und Olives Kuppelei waren Probleme, um die sie sich zu einem anderen Zeitpunkt wieder kümmern würde.

»Und, wie war dein Tag? Voller Liebe und Romantik?«, fragte Alex, lehnte sich auf dem Sofa zurück und schenkte Nell über sein Bierglas hinweg ein warmes Lächeln.

»So wie unserer?«, mischte sich Maria ein, bevor Nell überhaupt die Chance hatte zu antworten. »Ernsthaft, Nell, lass dir eins von mir gesagt sein: Langzeitbeziehungen sind ein Killer jeglicher Romantik. Ich habe noch nicht mal eine Karte bekommen.« Sie blickte Alex mit großen, traurigen Augen an, und ihr Gesichtsausdruck war dabei so ernst, dass Nell sich Sorgen zu machen begann. »Komm schon, Alex, du musst dich nicht länger verstellen. Ich weiß, dass du mir heimlich einen Riesenblumenstrauß bestellt hast. Natürlich hast du das. Schließlich hat unsere beste Freundin einen Blumenladen. Du würdest doch keine von uns beiden enttäuschen und gar nichts in der Richtung unternehmen. Oder hast du vielleicht ein Hotel­zimmer gebucht und Nell Blütenblätter auf dem Bett verstreuen lassen? Ist das der Grund, warum sie so ver­legen ist?«

Doch Nell war vielmehr verlegen, weil sie sich immer noch darüber ärgerte, was Olive über ihre Freundschaft mit Alex gesagt hatte. Es war ein bisschen so, als ob man einen erotischen Traum über einen Kollegen gehabt hatte und nicht in der Lage war, ihm am nächsten Tag in die Augen zu sehen.

Es war nur eine dumme Bemerkung von ihr gewesen, aber Nell hätte gern darauf verzichtet. Sie würde nie auf die Idee kommen, ihrer besten Freundin den Mann auszuspannen.

Alex blickte beschämt drein. Offensichtlich plagte ihn die Sorge, gleich zweimal versagt und sowohl seine Lebensgefährtin als auch seine älteste Freundin aus Kindertagen enttäuscht zu haben. Er öffnete gerade den Mund, um sich vermutlich noch tiefer in die Sache hineinzu­reiten, als Maria zu kichern begann.

»Mist!«, rief sie lachend. »Meine Schauspielkünste sind auch nicht mehr das, was sie mal waren! Ich konnte es einfach nicht durchhalten. Du solltest mal dein Gesicht sehen, Al!« Sie lehnte sich vor und legte eine Hand auf sein Bein. »Das war nur Spaß, Schatz. Wir haben doch auf diesen ganzen Blödsinn nie Wert gelegt.«

»Puuh. Für einen Moment hab ich dir das abgenommen. Da hast du mich ja ganz schön verscheißert!« Alex sah erleichtert aus.

Maria war temperamentvoll und impulsiv und dafür bekannt, öfter mal ihre Meinung zu ändern, und für einen Augenblick hatte sich auch Nell von ihr täuschen lassen. Aber Maria war auch der loyalste und lustigste Mensch, den Nell kannte, und während ihrer gemeinsamen Studienzeit der Star der Schauspielgruppe gewesen.

»Wie wäre es, wenn ich einen dieser Ballons für dich stehle?«, bot Alex an. »Oder dir welche von meinen Nachos abgebe?«

»Du bist so großzügig, Liebling«, sagte Maria zärtlich und küsste ihn auf die Wange. »Aber ich glaube, ich verzichte auf den Ballon. Was hältst du davon, wenn wir morgen bei Selfridges vorbeischauen und du mir in der Handtaschenabteilung zeigst, wie sehr du mich liebst?«

Nell lachte. »Du hättest Blumen bestellen sollen, Al. Ich hätte dir Rabatt gegeben.« Da fiel ihr etwas ein, das sie Maria fragen wollte. »Ach, apropos … Jetzt, wo der Valentinstag vorbei ist, brauche ich ein neues Thema für mein Schaufenster. Ich dachte da an eine Deko im Stil der Zwanzigerjahre.« Sie sah ihre Freundin an und klimperte dabei mit den Wimpern. »Dürfte ich mir dafür deine Armani-Clutch ausleihen? Die ist ein echter Hin­gucker.«

»Ich würde sie dir ja gern geben«, erwiderte Maria und strich sich ihr langes blondes Haar hinter die Ohren. »Aber seltsamerweise kann ich sie nirgends finden. Ich wollte dich schon fragen, ob ich sie dir geliehen habe, aber das ist ja offensichtlich nicht der Fall.«

»Himmel hilf! Frauen und ihre Handtaschen. Ich hoffe, ihr wollt dieses Thema jetzt nicht vertiefen, denn dann muss ich mir definitiv was Stärkeres zu trinken besorgen.«

Nell und Maria lachten, und Maria gab ihm einen ­Kuss. »Entschuldige, Schatz. Das liegt nur daran, dass wir manchmal vergessen, dass du ein Mann bist.«

»Meine Freundin vergisst, dass ich ein Mann bin? Also das sind keine guten Neuigkeiten.«

Nell lachte wieder. »Wir hatten nicht vor, deine Männlichkeit zu beleidigen. Aber da wir alle so gut miteinander auskommen, vergessen Maria und ich eben manchmal, dass Frauengespräche nicht gerade deine Stärke sind.« Aber natürlich vergaßen sie nie, dass er ein Mann war. Wie sollten sie? Alex war umwerfend, Typ junger Owen Wilson mit ebensolchen funkelnden blauen Augen. Er brachte einen zum Lachen und war fast immer gut drauf. Er besaß vielleicht nicht diese offenkundige Attraktivität wie Jason, aber mit seinen lockigen blonden Haaren, den ausgeprägten Wangenknochen und dem Lächeln um den Mund gehörte er zu der Sorte Mann, bei dem ein Mädel gern zweimal hinsah.

»Aber keine Sorge, wir haben dich trotzdem lieb«, versicherte ihm Maria.

»Auch wenn Jason damit keine Probleme zu haben scheint«, schob Nell hinterher. »Er ist ein Mann, der uns Frauen versteht.«

»Was wahrscheinlich daran liegt, dass er länger vor dem Spiegel steht als jede Frau«, sagte Maria. »Aber machen wir uns doch nichts vor, der Kerl sieht nun mal gut aus.«

»So gut wie ich?«, fragte Alex, und die Mädels lachten. »Ich werte das mal als ein ›Nein‹. Schon gut, ich kenne meine Grenzen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwiderte Maria. »Aber die werden wir morgen ausloten. Bei Mulberry, würde ich vorschlagen.«

Alex gab ein theatralisches Stöhnen von sich, und Maria umarmte ihn überschwänglich und zauste ihm durchs Haar.

»War doch nur Spaß. Fiorelli genügt auch.«

Sie lachten alle drei, und Nell spürte die Wärme, die sich immer in ihr ausbreitete, wenn sie Zeit mit ihren besten Freunden verbrachte. Die Gruppendynamik funktionierte einfach so mühelos. Maria und sie verstanden sich wunderbar, und Alex und Jason bildeten ihren perfekten Gegenpart, auch wenn sie so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Allerdings gab es Dinge, die ein Mädel nur ihrer besten Freundin anvertrauen konnte, und Nell fand, dass es längst an der Zeit war, dass Maria und sie etwas allein unternahmen, um sich mal ernsthaft zu unterhalten.

»Wir brauchen dringend mal wieder einen Frauenabend«, sagte sie zu Maria. »Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht. Ich hab echt Nachholbedarf.«

»Du hast recht«, stimmte ihre Freundin zu. »Wir werden die Jungs für ein paar Stunden in den Pub schicken, während wir uns Wie ein einziger Tag ansehen und dabei einen Riesenbecher Häagen Dazs vertilgen. Es ist wirklich schon viel zu lange her.«

Nell überlegte, wie lange es tatsächlich her war, seit sie Zeit mit Maria allein verbracht oder auch nur eine längere Unterhaltung mit ihr am Telefon geführt hatte, als Jason auftauchte.

»Tut mir echt leid«, rief er, ließ sich neben Nell auf das Sofa fallen und schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln. »Ist was dazwischengekommen.«

»Informations-Overkill!«, stichelte Alex. »Wer ist sie denn dieses Mal?«

Jason blickte zu Boden. »Kann ich nicht sagen.«

»Ach komm schon, das ist nicht fair. Durch dich werde ich doch an die guten alten Zeiten erinnert, als ich noch Single war«, sagte Alex und setzte dabei ein trau­riges Gesicht auf, zog aber gleichzeitig Maria an sich, drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel ihres goldblonden Haars und relativierte damit seine Worte. Sie wussten alle, dass Alex Maria anbetete. Von der Sekunde an, als sie sich am ersten Tag an der Uni begegnet waren, waren sie unzertrennlich gewesen.

Aber Jason schien ausnahmsweise einmal nicht darauf erpicht, mit seiner neuesten Eroberung anzugeben. Egal, wie sehr ihn die anderen auch piesackten, er gab nichts preis. Das überraschte Nell. Ausnahmsweise ließ er sich nicht in die Karten schauen. Wer auch immer diese neue Frau sein mochte, dieses Mal schien es anders zu sein als sonst. Ob Jason vielleicht endlich die Richtige gefunden hatte?

Alex dachte offenbar in die gleiche Richtung. »Hast du dich etwa verliebt?«, witzelte er. »Hat sie es geschafft, den einsamen Wolf zu zähmen?«

Jason errötete. Nell konnte es gar nicht glauben, und Alex erging es ebenso, weshalb er es sich nicht verkneifen konnte, sich über ihn lustig zu machen.

»Jase, du wirst ja knallrot!« Er beugte sich vor und streckte seine Hände zum Gesicht seines Freundes aus, als wolle er sich daran wie an einem Feuer wärmen. »Das muss Liebe sein! O ja, Jason ist verliebt!«

»Halt die Klappe!«, fuhr Jason ihn an. Seine grauen Augen waren schwarz vor Wut.

Die Gruppe verstummte. Jason war eigentlich eher der lockere, coole Typ, der seine Freunde gern mit seinen amourösen Eskapaden unterhielt.

»Komm wieder runter«, sagte Nell zu ihm. »Alex hat dich doch nur aufgezogen.«

»Ja, tut mir echt leid, Kumpel.« Alex wirkte tatsächlich betreten. Sein sonniges Gemüt ertrug es nicht, in Ungnade zu fallen. Selbst Maria machte einen besorgten Eindruck, und Jason, der sich offensichtlich bewusst war, dass er überreagiert hatte, blickte betroffen in die Runde.

»Tut mir leid, Leute«, sagte er. »Ich hatte eine höllische Woche. Ich musste zwei zusätzliche Fälle übernehmen, weil einer der Seniorpartner krank geworden ist, und bin vermutlich gestresster, als ich gedacht hatte.« Er fuhr sich mit den Händen durch sein dunkles Haar und lächelte. »Ich wollte nicht gleich aus der Haut fahren.«

»Ist ja keine Schande, sich Hals über Kopf zu verlieben.« Alex streckte den Arm aus und nahm Marias kleine Hand in die seine. »Niemand weiß das besser als ich.«

Jason zuckte verlegen mit den Schultern, war aber offensichtlich nicht gewillt, näher darauf einzugehen. Er versenkte seinen Blick im Bierglas.

Nell versuchte, die Stimmung ein wenig aufzuhellen. »Das war ja richtig Lysander-mäßig! Hat mich an unsere alte Schauspieltruppe erinnert.«

Schlagartig herrschte Stille am Tisch. Maria stellte ihr Glas mit einem vernehmlichen Knall ab. Keiner blickte den anderen an.

Toll, Nell. Voll ins Fettnäpfchen gelatscht.

Sie hatte mit dieser Anspielung auf ihre Sommernachtstraum-Studenteninszenierung gehofft, Jason an vergnügtere Zeiten erinnern zu können, aber vor ein paar Wochen war etwas in Zusammenhang mit genau diesem Stück geschehen. Maria und Alex hatten Karten für die Inszenierung im West End gehabt, aber Alex hatte in letzter Minute abgesagt, weil er angeblich zu viel Arbeit hatte. Maria war stinksauer gewesen. Sie hatten sich natürlich wieder vertragen, aber die Erinnerung an ihren Streit war immer noch sehr gegenwärtig.

»Tut mir leid«, murmelte Nell.

Alex tat ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. »Ist schon okay«, sagte er.

Sie gaben sich große Mühe zu vergessen, was sie gesagt hatte, aber die Unterhaltung danach wirkte ein wenig bemüht. Nell versuchte ihre Freunde mit Geschichten über ihre Kunden aufzuheitern, was aber nicht ganz so einfach war, da sie nur unter den zahllosen Liebenden auswählen konnte, die heute in den Laden gekommen waren, um rote Rosen zu kaufen. Sie wollte auf keinen Fall einen weiteren Ausbruch von Jason riskieren, er hatte wirklich eine eigenartige Laune. Alex erzählte einen Witz aus der Redaktion, der aber gar nicht gut ankam, und bald schon fiel auch ihm nichts mehr ein. ­Jason, der für gewöhnlich die Stimmungskanone war, verhielt sich ungewöhnlich ruhig, und Nell fürchtete, dass er immer noch über die geheimnisvolle Neue nachgrübelte. Wer auch immer sie sein mochte, sie hatte eine tief reichende Wirkung auf ihren Freund.

Seit dem Lysander-Kommentar war Maria nicht mehr richtig munter geworden, und Nell fühlte sich schrecklich, weil sich ihre beste Freundin womöglich über ihre unbedachte Bemerkung und die damit geweckten Erinnerungen aufgeregt hatte. Maria schien vor Selbstvertrauen nur so zu strotzen, doch Nell wusste, dass sie unter ihrer äußeren harten Schale weich wie ­Zucker­watte war. Der Streit mit Alex hatte sie ganz offenbar mitgenommen.

»Alles klar, M?«, fragte Nell. Marias Weinglas war noch voll, und sie hatte die Nachos kaum angerührt. Die Handvoll, die sie sich zugeteilt hatte, lag noch immer in einer fettigen, gerinnenden Pfütze aus Käse und Bohnenmus.

Maria massierte ihre Schläfen. »Ich habe ziemliche Kopfschmerzen. Hoffentlich wird keine Migräne daraus.«

»Du Ärmste«, sagte Nell. Maria sah tatsächlich nicht gerade blendend aus.

»Du bist so blass, Schatz«, sagte Alex besorgt. »Soll ich dich nach Hause bringen?«

Maria schüttelte den Kopf. »Lasst euch nicht den Abend verderben. Ich kann mir ein Taxi nehmen.«

»Kommt gar nicht in Frage!« Alex schüttelte den Kopf. »Ich werde dich nach Hause bringen. Ich lasse dich doch am Valentinstag nicht allein.«

Seine Freundin schenkte ihm ein dünnes Lächeln. »So wie ich mich fühle, wirst du nicht viel Freude an mir haben. Ich werde zwei Kopfschmerztabletten nehmen und mich hinlegen. Bleib du nur, und amüsiere dich.«

»Ich kann dich mitnehmen«, bot Jason an. »Ich wollte mich eh gleich auf den Weg machen. Die Briefe schreiben sich nicht von selbst.«

»Aber du bist doch gerade erst gekommen.« Nell befürchtete, dass sie Jason mit ihren Sticheleien verärgert hatten. »Geh bitte nicht.«

»Ist schon okay«, erwiderte Jason. »Das mit den Briefen war geflunkert. Ich bin auf dem Weg zu meiner geheimnisvollen Schönen. Oder besser gesagt, zu einer meiner geheimnisvollen Schönen, ihr kennt mich ja! Ich habe immer mehrere Eisen im Feuer.«

Sie lachten, und die Erleichterung war zu spüren, dass Jason wieder ganz der Alte war.

»Bist du dir sicher?« Alex blickte Maria an. »Ich ­möchte dich nicht allein lassen, wenn du mich brauchst.«

Sie schaute mit einem gequälten Lächeln zu ihm auf. »Ganz sicher. Ich gehe ins Bett. Du bleibst hier bei Nell.«

Jason klimperte mit seinen Schlüsseln. »Bist du so weit?«

Maria stand langsam auf. »Bis dann, ihr zwei. Das mit unserem Frauenabend regeln wir bald.« Sie umarmte Nell, die den vertrauten Miss-Dior-Parfümduft ihrer Freundin einatmete. »Keine Sorge, mir geht’s gut. Ich rufe dich morgen an.«

Alex gab ihr einen Kuss. »Ich werde auch nicht mehr lange bleiben.« Er schien hin- und hergerissen. »Ich weiß nicht, M. Vielleicht sollte ich doch besser mit dir heimfahren.«

»Jetzt hör auf, so einen Wirbel zu machen!«, fuhr sie ihn an. »Ich habe Kopfschmerzen, das ist alles. Tut mir leid«, fügte sie seufzend hinzu. »Ich wollte dich nicht anschnauzen, Schatz. Aber je früher ich nach Hause komme, desto eher kann ich das auskurieren.«

Alex zog sie in seine Arme und küsste sie erneut.

»Ist schon in Ordnung, Liebling. Ich verstehe das. Fahr nur nach Hause, und ruhe dich aus.«

Nachdem Jason und Maria gegangen waren, besorgte Alex noch etwas zu trinken und eine Tüte Chips. Nells Lieblingssorte: Meersalz und Essig. Da sie schon seit der Schulzeit miteinander befreundet waren, hatten Alex und Nell viel Zeit in Pubs verbracht und die Stunden bei Bier und Barsnacks in die Länge gezogen. Zehn Jahre später hatte sich nicht so viel verändert.

Hm. Vielleicht hatte Olive ja doch nicht ganz unrecht! Ob Nell mit vierzig immer noch hier sitzen und mit Alex Chips futtern würde? Immer noch Single wäre? Nell spürte, wie ihr ein Lächeln entkam. Wäre das denn so schlecht?

»Und was gibt’s bei dir Neues?« Alex hatte sich zu Nell auf das Sofa gesellt und seine Beute mit diesem Lächeln, bei dem er unzählige Fältchen um die Augen bekam, auf den klebrigen Tisch gelegt. »Wie läuft der Laden?«

»Geht so.« Nell nahm sich einen Chip und ließ die Schärfe des Essigs über ihre Geschmacksknospen tanzen. »Ich habe einen Auftrag für ein großes Begräbnis im East End ergattert. Der Großvater ist verstorben, und ich habe den Eindruck, dass er das Familienoberhaupt gewesen ist. Es ist alles ziemlich Gangster-und-Aal-in-Aspik-mäßig, wie es sich fürs East End gehört. Die Mutter ist so eine auffallende Wasserstoffblondine mit riesig langen falschen Nägeln und mehr Leopardenfell als die große Katze im Londoner Zoo. Der Vater trägt einen dieser riesigen Schaffellmäntel und erzählt mir andauernd, was ich für ein Glück hätte. Und was die Kinder angeht, also die sind das Gegenteil von den Sprösslingen der Trapp-Familie! Einer von ihnen hat sogar mit seiner gerichtlichen Verfügung wegen antisozialen Verhaltens herumgewedelt, als ob es etwas wäre, auf das man stolz sein kann!«

»O Mann! Das klingt ja nach einer Bilderbuchfamilie. Wie heißen die noch gleich?«

»Kray«, erwiderte Nell und machte ein Pokerface, spielte damit auf die Londoner Unterweltkönige der Sechzigerjahre im East End an, die legendären Kray-Zwillinge Ronnie und Reggie.

»Haha, sehr witzig! Sieh bloß zu, dass du deine Sache gut machst«, sagte Alex warnend. »Sonst landest du noch in Beton gegossen in einer Autobahnüberführung.«

»Keine Sorge«, entgegnete Nell. »Ich respektiere die Familie. Mir bleibt ja auch keine andere Wahl, denn es ist ein verdammt anspruchsvoller Haufen.«

Anspruchsvoll beschrieb es nicht einmal annähernd. Die McGraths bombardierten sie mit Anrufen, und ihre Wünsche waren sehr ausgefallen, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Nell hatte noch nie ein Blumenporträt eines Verstorbenen angefertigt, und schwarze Dahlien und schwarze Stiefmütterchen waren zu dieser Jahreszeit schwer zu bekommen. Molly McGrath, die offenbar nunmehr das Familienoberhaupt darstellte, war die dickste, furchteinflößendste Frau, der Nell jemals be­gegnet war. Mit Händen wie Schinkenkeulen, Beinen wie gigantische Mammutbäume und einer flachsfarbenen Beehive-Frisur schien sie einem Kriminalroman von Martina Cole entsprungen zu sein. Nell mochte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn Molly nicht mit den Blumen für die Beerdigung zufrieden wäre. Sosehr sie auch Schuhe liebte, welche aus Beton wollte sie sich nicht verpassen lassen.

»Du siehst besorgt aus.« Alex nahm ihre Hände in die seinen. »Hey, kauen wir wieder an den Nägeln, Miss Marnie? Das sind aber keine guten Neuigkeiten.«

Nell seufzte. »Es ist im Moment nicht leicht, Al. Diese Beerdigung mag total übertrieben und lächerlich sein, aber sie bezahlt meine Rechnungen für den nächsten Monat. Und so wie die Dinge liegen, schaffe ich es mit Mühe und Not, die Kosten zu decken.«

»Du wirst deine Sache toll machen. Du bist eine ausgezeichnete Floristin«, sagte Alex mit sanfter Stimme und drückte dabei ihre Hände. »Nell, ich weiß, dass es nicht deine erste Berufswahl gewesen ist, aber deine Mum wäre so stolz auf das, was du erreicht hast.«

Nell lächelte ihn an. Alex kannte sie so gut. Und er hatte natürlich auch Elsie gekannt. Als sie krank wurde, war er für Nell der Fels in der Brandung gewesen. Sie wusste, dass Alex ganz genau verstand, warum sie den Laden behalten hatte. Das war eines der Dinge, die sie an ihrem alten Kumpel so liebte: Sie musste sich ihm gegenüber nie rechtfertigen.

»Eine Rose für Ihre Freundin zum Valentinstag, Sir?«

Einer der berüchtigten Rosenverkäufer stand auf einmal neben ihnen, rüttelte einen Eimer mit Wechselgeld und sah Alex hoffnungsvoll an. Alex und Nell blickten auf ihre ineinanderverschlungenen Finger hinab und zogen sie wie auf Kommando rasch auseinander.

»Ich bin nicht seine Freundin«, sagte Nell hastig. »Wir sind nur gute Bekannte.«

Aber selbst wenn sie Alex’ Freundin gewesen wäre, hätte sie es niemals zugelassen, dass er Geld für eines dieser jämmerlichen Exemplare ausgab. Die Rosen waren welk und fünfmal so teuer wie die, die sie heute verkauft hatte.

»Oh …« Der Rosenverkäufer zog ein langes Gesicht. »Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.«

Aber das hatte er nicht, denn dies geschah nicht zum ersten Mal. Nell und Alex waren schon ewig miteinander befreundet, und manch einer hatte ein Problem damit, das zu verstehen.

»Ist schon okay«, versicherte ihm Alex.

Das Gesicht des Rosenverkäufers hellte sich auf. »Kaufen Sie doch trotzdem eine Rose, Sir. Für Ihre wunderschöne Bekannte!«

Nell lachte. »Ich bin Floristin. Sie haben wirklich Pech!«

Der Rosenverkäufer zuckte mit den Schultern und zog weiter, um die Leute am nächsten Tisch zu nerven.

»Lass mich dir doch eine kaufen«, sagte Alex. »Jemand sollte dir auch mal Blumen schenken.«

»Aus Mitleid?«, erwiderte Nell. »Nein, danke. Außerdem solltest du nicht mir Blumen kaufen«, fügte sie hinzu. »Maria scheint immer noch ziemlich angefressen zu sein, weil du ihr den Theaterabend versaut hast.«

Alex trank sein Glas aus. »Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Ich glaube, dass sie wirklich schlimme Kopf­schmerzen hatte. Sie hat mir gesagt, für sie sei die Sache erledigt.«

»Nun, du weißt ja, wie wir Frauen so sind. Wir meinen nicht immer unbedingt das, was wir sagen«, gab Nell zu bedenken.

»Auch wieder wahr. Aber in dem Fall ist es so. Maria hat wirklich Kopfschmerzen. Und das mit unserem Shake­speare-Abend haben wir geklärt.«

»Es ist also alles wieder beim Alten?«

»Ja, klar«, erwiderte Alex. »Auch wenn ich mir nicht so sicher bin, ob ich das überhaupt möchte …« Er verstummte.

Nell wusste, dass etwas im Gange war. »Al, was bedrückt dich?«

Er lehnte sich nach vorn. »Eigentlich ist es gar nichts, was Anlass zur Sorge sein sollte, aber es ist eine große Sache. Ich habe es bisher noch niemandem erzählt, aber du bist meine älteste Freundin. Ich muss es dir einfach sagen.« Er holte tief Luft. »Nell«, sagte er und blickte ihr tief in die Augen, »ich will Maria fragen, ob sie mich heiratet.«

Nell hatte mit allem Möglichen gerechnet, aber nicht damit. Im ersten Moment fehlten ihr die Worte. Maria und Alex waren schon seit Jahren ein Paar, aber das hatte sie nicht erwartet.

Aber was hatte sie denn geglaubt? Dass alles so weiterlaufen würde wie bisher? Dass Alex immer ihr bester Freund sein und sich nichts ändern würde?

Alex schaute sie erwartungsvoll an. Sie musste etwas sagen, irgendetwas, mit dem sie nicht preisgab, wie zutiefst schockiert sie war.

»Toll! Das sind ja umwerfende Neuigkeiten! Freut mich für dich!« Nell war erstaunt, wie normal ihre Stimme klang. »Das ist … klasse. Einfach nur klasse.«

»Danke. Jetzt muss ich nur noch den Mut aufbringen, sie zu fragen«, entgegnete Alex mit rosigen Wangen. »Ich habe schon alles geplant – unser Lieblingsrestaurant, die richtige Musik. Und ich habe auch schon den Ring ausgesucht. Ein Solitär im Prinzessschliff. Meinst du, das würde ihr gefallen?«

»Ganz bestimmt.« Nell war überrascht, dass sie all die richtigen Laute von sich gab, während alles in ihr Nein! Nein! Nein! schrie. Da war ein seltsames Rauschen in ihren Ohren, so als würde die Rushhour auf der North Circular Road in ihrem Kopf stattfinden.

»Der Zeitpunkt fühlt sich einfach richtig an, verstehst du?«, sagte Alex. »Außerdem …«

Er verstummte, als Nell aufstand. »Tut mir leid, Alex«, sagte sie. »Ich fühle mich plötzlich nicht gut.«

Alex erhob sich ebenfalls und nahm wieder ihre Hand.

Nell blickte verlegen zu ihm auf. »Ich muss mich wohl bei Maria angesteckt haben.«

Nell entschuldigte sich und stolperte durch den vollen Pub in die Damentoilette. Dort schloss sie sich in einer Kabine ein, lehnte den Kopf an die Tür und unterdrückte ein Schluchzen.

Es ist alles gut, mahnte sie sich. Es hat nichts zu bedeuten, dass mich das so getroffen hat.

Aber damit änderte sich schließlich alles in ihrer ­Clique, also war es ganz normal, dass sie das aus dem Gleichgewicht brachte. Ansonsten ging es ihr gut. Es war alles in Ordnung. Sie hatte nur etwas aus der Fassung gebracht, als ihr bewusst wurde, dass sie keine langen Unterhaltungen mehr mit Alex führen oder Zeit mit ihm allein verbringen könnte, wenn er erst einmal verheiratet war. Ihre Dienstagstreffen, wenn Maria an ihrem Salsakurs teilnahm, gehörten damit der Vergangenheit an. Alles würde sich verändern, und das war ganz normal.

Aber warum drehte sich dann alles in ihrem Kopf? Und da waren Tränen in ihren Augen. Und etwas schnürte ihr die Kehle zu. Sie hatte das Gefühl …

Ein lautes Klopfen an der Tür zur Damentoilette ließ sie zusammenzucken.

»Nell!« Es war Alex. »Alles okay bei dir?«

Er durfte sie auf keinen Fall so sehen.

Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und rief: »Alles bestens!«

»Meinst du das jetzt wirklich, oder sagst du es nur so?«

Obwohl sie dem Schluchzen nahe war, musste Nell lachen.

»Mach dir keine Sorgen, mir geht’s gut. Fahr nach Hause, und kümmere dich um Maria. Ich brauche noch einen Moment.« Dann kam ihr ein Geistesblitz, und sie fügte hinzu: »Mädchenkram.«

»Oh, alles klar!« Wie bei den meisten Männern reichte auch bei Alex der kleinste Hinweis auf etwas aus, das auch nur im Entferntesten mit den Mysterien der Men­struation zu tun hatte, um ihn die Flucht ergreifen zu lassen.