Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben - Andreas Malycha - E-Book

Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben E-Book

Andreas Malycha

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Beschreibung

Eine Vermessung der Treuhandanstalt

Welche Erwartungen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen verknüpften sich mit der Gründung der Treuhandanstalt? Wie gestalteten sich Personalaufbau, Organisationsstruktur und Arbeitsweise? Andreas Malycha analysiert Aufbau und Entwicklung der viel diskutierten Institution.
Er lotet ihre Rolle im politischen Kräftefeld sowie ihre Handlungsspielräume und Zwänge aus. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Verhältnis der Treuhandzentrale zu den Bundesbehörden in Bonn. Die Untersuchung reicht vom Herbst 1989 über die Phase der Umstrukturierung nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unter Detlev Karsten Rohwedder bis zum Ende der Amtszeit Birgit Breuels im Dezember 1994. Nie zuvor wurde die umstrittene Anstalt so umfangreich in den Blick genommen.

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Seitenzahl: 1021

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Andreas Malycha

Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben

Studien zur Geschichteder Treuhandanstalt

Herausgegeben von Dierk Hoffmann,Hermann Wentker und Andreas Wirschingim Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin

Andreas Malycha

Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben

Die Treuhandanstalt zwischen wirtschaftlichen Erwartungen und politischen Zwängen 1989–1994

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Ch. Links Verlag ist eine Marke der

Aufbau Verlage GmbH & Co. KG

© Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin 2022

entspricht der 1. Druckauflage von 2022

Prinzenstraße 85, 10969 Berlin

www.christoph-links-verlag.de

Lektorat: Dr. Daniel Bussenius, Berlin

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, unter Verwendung eines Fotos von der Pressekonferenz des Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder (2. von links), in Berlin, links Birgit Breuel, © ullstein bild – Zentralbild, Bildnummer: 00150697

ISBN 978-3-96289-153-4

eISBN 978-3-86284-520-0

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Einleitung

Zum Forschungsstand

Zum Inhalt und zu den Fragestellungen des Buches

Die Quellenlage

I. Wirtschaftsverwaltung im Übergang

1. Von der Zentralen Plankommission zum Wirtschaftskomitee

2. Das Ministerium für Wirtschaft

3. Die Zukunft der staatlichen Betriebe – Entwürfe von Opposition und Rundem Tisch

4. Debatten um eine Wirtschaftsreform: Marktwirtschaft versus Planwirtschaft

II. Die Treuhandanstalt zwischen Gründungsbeschluss und Währungsunion

1. Die Gründung der Treuhandanstalt in der Amtszeit Hans Modrows

2. Reformdebatten während der Koalitionsregierung unter Lothar de Maizière

3. Im Schlepptau der Bonner Behörden? Der Einfluss der Bundesregierung im Frühjahr/Sommer 1990

4. Der widersprüchliche Organisationsaufbau

5. Liquiditätskrise und erste Privatisierungen

III. Die Neuausrichtung der Treuhandanstalt unter Detlev Rohwedder

1. Die personelle Neuausrichtung der Treuhandzentrale

2. Die Suche nach einer effektiven Organisationsstruktur

3. Ineffiziente Arbeitsabläufe, Abstimmungsprobleme und interne Ressortkonflikte

4. Die Umbildung der Außenstellen

5. Der personelle Ausbau der Behörde

6. Der Leitungsausschuss

7. Die Haftungsfreistellung

8. Im Zwiespalt von Interessenkonflikten

IV. Die Geschäftspolitik der Treuhandanstalt im Umfeld von Politik und Wirtschaft

1. Wirtschaftspolitische Leitbilder und Privatisierungsstrategien

2. Die Treuhandanstalt im Netzwerk politischer Akteure

3. Politische Kontrolle? Treuhandanstalt und Bundesregierung

4. Finanzierung und Haushalt der Treuhandanstalt

5. Das Anwachsen des Haushaltsdefizits

6. Umstrittene Leitlinien der Geschäftspolitik

V. Die Treuhandanstalt zwischen personeller Konsolidierung und Wandlungen im Organisationsaufbau unter Birgit Breuel

1. Personalwechsel an der Führungsspitze

2. Elitenwechsel? Der Umgang mit dem politischen Erbe der DDR in der Treuhandanstalt

3. »Alte Seilschaften« als Problem der Personalpolitik

4. Ambivalenzen in der Personalentwicklung

5. Die Neuordnung der Unternehmensbereiche und der schwierige Weg zum Vertragsmanagement

6. Die Eröffnung von Auslandsbüros

7. Funktionale Tochtergesellschaften der Treuhandanstalt

8. Der Umbau der Niederlassungen

9. Ein neues Sanierungsmodell? Die Management-Kommanditgesellschaften

VI. Die Treuhandanstalt im Kreuzfeuer politischer Auseinandersetzungen

1. Neue Herausforderungen in einem gewandelten politischen Umfeld

2. Im Spannungsfeld zwischen Bonn und Berlin

3. Der Streit über die parlamentarische Kontrolle der Treuhandanstalt

4. Die Kritik des Bundesrechnungshofes und die Reaktion des Treuhandvorstandes

5. Der Streit über die Nachfolgeorganisationen

Resümee

Anhang

Abkürzungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Personenregister

Dank

Der Autor

Vorwort der Herausgeber

Noch in der Spätphase der DDR gegründet, entwickelte sich die Treuhandanstalt zur zentralen Behörde der ökonomischen Transformation in Ostdeutschland. Ihre ursprüngliche Aufgabe war die rasche Privatisierung der ostdeutschen volkseigenen Betriebe (VEB). Sehr bald aber wies ihr die Politik zahlreiche weitere Aufgaben zu. Sukzessive sah sich die Treuhandanstalt mit der Lösung der Altschuldenproblematik, der Sanierung der ökologischen Altlasten, der Mitwirkung an der Arbeitsmarktpolitik und schließlich ganz allgemein mit der Durchführung eines Strukturwandels konfrontiert. In ihrer Tätigkeit allein ein behördliches Versagen zu erkennen wäre daher ahistorisch und einseitig, auch wenn die Bilanz der Treuhandanstalt niederschmetternd zu sein scheint. Denn von den etwa vier Millionen Industriearbeitsplätzen blieb nur ein Drittel übrig. Das öffentliche Urteil ist daher ganz überwiegend negativ. Die Kritik setzte schon ein, als die Behörde mit der Privatisierung der ersten VEBs der DDR begann. Bis heute verbinden sich mit der Treuhandanstalt enttäuschte Hoffnungen, überzogene Erwartungen, aber auch Selbsttäuschungen und Mythen. Außerdem ist sie eine Projektionsfläche für politische Interessen und Konflikte, wie die Landtagswahlkämpfe 2019 in Ostdeutschland deutlich gemacht haben. Umso dringender ist es erforderlich, die Tätigkeit der Treuhandanstalt und mit ihr die gesamte (ost-)deutsche Transformationsgeschichte der frühen 1990er-Jahre wissenschaftlich zu betrachten. Dies ist das Ziel der Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt, deren Bände die Umbrüche der 1990er-Jahre erstmals auf breiter archivalischer Quellengrundlage beleuchten und analysieren.

Die Privatisierung der ostdeutschen Betriebe brachte für viele Menschen nicht nur Erwerbslosigkeit, sondern auch den Verlust einer sicher geglaubten, betriebszentrierten Arbeits- und Lebenswelt. Insofern ist die Erfahrungsperspektive der Betroffenen weiterhin ernst zu nehmen und in die wissenschaftliche Untersuchung ebenso zu integrieren wie in die gesellschaftspolitischen Konzepte. Der mit der Transformation einhergehende Strukturwandel hatte Folgen für Mentalitäten und politische Einstellungen, die bis in die Gegenwart hineinreichen. Dabei wurden die individuellen und gemeinschaftlichen Erfahrungen und Erinnerungen stets von medial geführten Debatten über die Transformationszeit sowie von politischen Interpretationsversuchen geprägt und überlagert. Diese teilweise miteinander verwobenen Ebenen gilt es bei der wissenschaftlichen Analyse zu berücksichtigen und analytisch zu trennen. Der erfahrungsgeschichtliche Zugang allein kann die Entstehung und Arbeitsweise der Treuhandanstalt sowie die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft nicht hinreichend erklären. Vielmehr kommt es darauf an, die unterschiedlichen Perspektiven miteinander in Relation zu setzen und analytisch zu verknüpfen, um so ein differenziertes und vielschichtiges Bild der Umbrüche der 1990er-Jahre zu erhalten.

Diese große Aufgabe stellt sich der Zeitgeschichte erst seit Kurzem, denn mit dem Ablauf der 30-Jahre-Sperrfrist, die für staatliches Archivgut in Deutschland grundsätzlich gilt, ergibt sich für die Forschung eine ganz neue Arbeitsgrundlage. Das öffentliche Interesse konzentriert sich auf die sogenannten Treuhandakten, die im Bundesarchiv Berlin allgemein zugänglich sind (Bestand B 412). Sie werden mittlerweile auch von Publizistinnen und Publizisten sowie Journalistinnen und Journalisten intensiv genutzt. An dieser Stelle sei aber daran erinnert, dass schon sehr viel früher Akten anderer Provenienz allgemein und öffentlich zugänglich waren – die schriftliche Überlieferung der ostdeutschen Landesregierungen oder der Gewerkschaften, um nur einige Akteure zu nennen. Darüber hinaus können seit einiger Zeit auch die Akten der Bundesregierung und der westdeutschen Landesverwaltungen eingesehen werden. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Bei aller Euphorie über die quantitativ wie qualitativ immer breiter werdende Quellengrundlage (allein zwölf laufende Aktenkilometer Treuhandüberlieferung im Bundesarchiv Berlin) sollte allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass Historikerinnen und Historiker die Archivalien einer Quellenkritik unterziehen müssen. Dies gehört grundsätzlich zu ihrem Arbeitsauftrag. Da die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Aussagekraft vor allem der Treuhandakten hoch sind, sei dieser Einwand an dieser Stelle ausdrücklich gemacht. So gilt es, einzelne Privatisierungsentscheidungen der Treuhandspitze zu kontextualisieren und mit anderen Überlieferungen abzugleichen. Zur Illustration der Problematik mag ein Beispiel dienen: Treuhandakten der sogenannten Vertrauensbevollmächtigten und der Stabsstelle Recht enthalten Vorwürfe über »SED-Seilschaften« und »Korruption«, die sich auch in der Retrospektive nicht mehr vollständig klären lassen. Die in Teilen der Öffentlichkeit verbreitete Annahme, die Wahrheit komme nun endlich ans Licht, führt daher in die Irre und würde ansonsten nur weitere Enttäuschungen produzieren. Es gibt eben nicht die historische Wahrheit. Stattdessen ist es notwendig, Strukturzusammenhänge zu analysieren, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, Widersprüche zu benennen und auch auszuhalten. Dazu kann die Zeitgeschichtsforschung einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie mit quellengesättigten und methodisch innovativen Studien den historischen Ort der Treuhandanstalt in der Geschichte des vereinigten Deutschlands bestimmt, gängige Geschichtsbilder hinterfragt und Legenden dekonstruiert.

Im Rahmen seines Forschungsschwerpunktes »Transformationen in der neuesten Zeitgeschichte« zu den rasanten Wandlungsprozessen und soziokulturellen Brüchen der Industriegesellschaften seit den 1970er-Jahren hat das Institut für Zeitgeschichte München – Berlin (IfZ) im Frühjahr 2013 damit begonnen, ein großes, mehrteiliges Projekt zur Geschichte der Treuhandanstalt inhaltlich zu konzipieren und vorzubereiten. Auf der Grundlage der neu zugänglichen Quellen, die erstmals systematisch ausgewertet werden konnten, ging das Projektteam insbesondere folgenden Leitfragen nach: Welche politischen Ziele sollten mit der Treuhandanstalt erreicht werden? Welche Konzepte wurden in einzelnen Branchen und Regionen verfolgt, und was waren die Ergebnisse? Welche gesellschaftlichen Auswirkungen haben sich ergeben? Wie ist die Treuhandanstalt in internationaler Hinsicht zu sehen?

Bei der Projektvorbereitung und -durchführung waren Prof. Dr. Richard Schröder und Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué unterstützend tätig, denen unser ausdrücklicher Dank gilt. Über Eigenmittel hinaus ist das IfZ-Projekt, das ein international besetzter wissenschaftlicher Beirat kritisch begleitet hat, vom Bundesministerium der Finanzen von 2017 bis 2021 großzügig gefördert worden. Auch dafür möchten wir unseren Dank aussprechen. In enger Verbindung hierzu standen zwei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Einzelprojekte von Andreas Malycha und Florian Peters.

Dierk Hoffmann, Hermann Wentker, Andreas Wirsching

Einleitung

Zum Forschungsstand

Nachdem die Jahre des gesellschaftlichen Umbruchs im Osten Deutschlands nach 1990 geradezu in Vergessenheit zu geraten schienen, rückt seit einiger Zeit wieder die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt (THA) in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Dabei liegt der Schwerpunkt wie schon in den 1990er-Jahren auf den ökonomischen, kulturellen und sozialen Folgen der Politik der THA für die Gegenwart. So umschreibt die in Leipzig geborene und im schweizerischen St. Gallen lehrende Kultursoziologin Yana Milev die Spätfolgen der Treuhandpolitik als eine »vereinigungsbedingte Kulturkatastrophe«,1 die auch Rückschlüsse auf Entwicklungen in den neoliberalen Gesellschaften ermögliche. Mit Begriffen wie »Kolonialismus«, »Okkupanten«, »rückwirkende Kriegserklärung« und »neoliberale Landnahme«, mit denen sie den deutsch-deutschen Einigungsprozess bewertet, bietet sie wie auch schon Autoren in den 1990er-Jahren einfache Erklärungen für alle derzeitigen Problemlagen an: »Die Löschung des Landes, des Staates und der Gesellschaft DDR hat für Millionen Menschen ein Vakuum erzeugt, zumal ihre Identifikationen mit Erinnerungskultur, Habitus und Biographie im vereinigten Deutschland fortan unerwünscht waren.«2 Von den im Beitrittsgebiet verbliebenen Ex-DDR-Bürgern werde das »Wendeunrecht« bis heute als kollektives Trauma erlebt.3

Mit dem vermeintlichen Totalversagen der THA werden aktuelle soziale, politische und ökonomische Phänomene in Ostdeutschland erklärt. Nach den Ergebnissen der Landtagswahlen in den Jahren von 2019 bis 2021 wurde nach den Ursachen für das Wahlverhalten der Ostdeutschen gefragt. In diesem Zusammenhang wurde die THA zum Sündenbock für eine verfehlte Wirtschaftspolitik der 1990er-Jahre und die Privatisierungsbehörde »für uns Ostdeutsche Sinnbild des knallharten, über Nacht hereingebrochenen Turbokapitalismus«.4 Da bereits die Nennung des Namens der früheren Privatisierungsbehörde noch immer beträchtliche emotionale Reaktionen auszulösen vermag, fordert die sächsische Politikerin Petra Köpping eine gesamtdeutsche Aufarbeitung der Geschichte der Treuhand.5 Sie könnte sich dabei die Einrichtung von Aufarbeitungs- und Wahrheitskommissionen vorstellen, die dann vor allem auf lokaler Ebene arbeiten. Aufgabe dieser Wahrheitskommissionen wäre es, die Wirklichkeit des Umbruchs und des Agierens der Treuhand vor Ort aufzuzeigen.

Der frühere Spiegel-Redakteur Norbert Pötzl plädiert hingegen im Kontrast zu Köpping dafür, »die Geschichte der Treuhand neu zu erzählen: ehrlich und wahrhaftig, differenziert und sachlich, ohne Übertreibungen und Pauschalisierungen«.6 Die Aufarbeitung des komplexen Zeitraums der Transformation der ostdeutschen Gesellschaft nach 1990 könne seiner Ansicht nach nur gelingen, »wenn sich Ost- und Westdeutsche ohne Klischees und Vorwurfshaltungen begegnen – und mit der Bereitschaft, Fakten und sachliche Argumente zu akzeptieren«.7 Auch Marcus Böick erneuert sein Plädoyer für eine differenzierte, pluralisierte und zugleich offene Diskussion über die Treuhandanstalt, die Transformationszeit und deren langfristige Folgen.8 Nicht nur die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in Ostdeutschland, sondern auch die noch immer spürbaren Spätfolgen der Wirtschaftsreformen und der Privatisierungspolitik der THA haben eine erneute Debatte über damalige wirtschaftspolitische Alternativen ausgelöst.9

Übersehen wird bei dem wieder auflebenden Pauschalurteil über die THA und den wirtschaftlichen Transformationsprozess oft, dass die seit dem Anfang der 1950er-Jahre in der DDR eingeführte Planwirtschaft sowjetischer Prägung im Herbst 1989 endgültig gescheitert war und die defizitäre Zentralverwaltungswirtschaft langfristige Folgen für die Innovationsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft hatte.10 Die zunehmende technologische Rückständigkeit der DDR-Wirtschaft im Vergleich zu den westlichen Industriestaaten war im Verlauf der 1980er-Jahre immer stärker zum Vorschein gekommen.11 Das von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) seit Anfang der 1970er-Jahre verfolgte Konzept der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik war mit einer innovativen Eigendynamik in Wissenschaft, Technik und Wirtschaft grundsätzlich nicht zu vereinbaren.12 Das ökonomische Erbe der Wirtschaftspolitik der SED spielt in dem noch immer gern gepflegten Schwarz-Weiß-Raster jedoch nur eine marginale Rolle. Im Gegenteil, nach Yana Milevs Ansicht »ist die Rede von der Erblast aus vierzig Jahren Plan- und Misswirtschaft zurückzuweisen, die eine Übernahme legitimieren sollte«.13 Folglich werden auch alle seriösen Untersuchungen sowie auch autobiografische Erinnerungen von Zeitzeugen,14 die den wirtschaftlichen Niedergang aufgrund von gravierenden wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen der politischen Führung dokumentieren, als unbedeutend beiseitegeschoben. Insofern überrascht es nicht, mit welcher Geringschätzung über jene Zeithistoriker geurteilt wird, die ihre Thesen mit empirischem Material belegen können.

Zweifellos resultierten die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Ostdeutschland auch aus wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Jahres 1990, die überwiegend in Bonn und nicht in Berlin fielen. Aus Mangel an greifbaren ökonomischen Alternativszenarien und unter dem Druck öffentlicher Forderungen aus Ostdeutschland favorisierten leitende Beamte der Bonner Regierung und schließlich auch die Bundesregierung eine schnelle Wiedervereinigung unter den Bedingungen des freien Marktes und des Wettbewerbs privater Akteure. Sie griffen damit auf Überlegungen Ludwig Erhards über den Umbau der Plan- zur Marktwirtschaft vom September 1953 zurück, die sich zugleich in den für die 1980er-Jahre im Westen charakteristischen wirtschaftspolitischen Trend zum Rückzug des Staates aus der Wirtschaft einfügten.15 Daher können Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland nicht allein einer verfehlten Wirtschaftspolitik der SED angelastet werden. Philipp Ther schlägt deshalb für die komplexen Probleme während der politischen, ökonomischen und sozialen Transformation den Begriff Einheitskrise vor, mit dem er auf die Zeit nach dem 3. Oktober 1990 verweist.16 Diese Einheitskrise sei aber bereits durch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vom Juli 1990 eingeläutet worden.

Aufgrund des fehlenden Quellenzugangs, aber auch angesichts konträrer politischer Deutungen und medienwirksamer Zuschreibungen hat die zeithistorische Forschung die Geschichte der THA lange Zeit kaum thematisiert. Vor dem Hintergrund erneuter öffentlicher Debatten über die Rolle der Treuhand im wirtschaftlichen Transformationsprozess legten Constantin Goschler und Marcus Böick 2017 ihre Studie zur Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt vor.17Die Studie resümiert die medienöffentlichen Diskurse über die THA, die zu einer erinnerungskulturellen »Bad Bank« wurde, und plädiert dafür, die Debattenlandschaft durch neue Versachlichungs- und Diskussionsangebote aus der geschichtswissenschaftlichen Sphäre zu öffnen. Ihr Fazit lässt sich als Anregung lesen, bei der Analyse des von der THA verantworteten wirtschaftlichen Umbaus auch Wertvorstellungen und Handlungsdispositionen ihrer Akteure zu berücksichtigen.

Schon in den medialen Debatten der 1990er-Jahre spielten Erwartungen, Hoffnungen und Absichten des Führungspersonals der Privatisierungsbehörde eine bedeutende Rolle. Eine ganze Reihe von Aufsätzen vermittelt einen authentischen Eindruck von den Motiven und Interessen einiger ausgewählter Führungskräfte für den Eintritt in die THA sowie von den Erfahrungen, die diese während ihrer Tätigkeit dort gemacht hatten.18 Ein wichtiger Aspekt war dabei der Mentalitätswandel innerhalb der THA und die notwendige Anpassung der wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Führungskräfte an die wirtschaftliche Praxis in einem ständigen Lernprozess. Christiana Weber hat gezeigt, dass sowohl das hohe Lernpotenzial bzw. die Lernfähigkeit der Organisation und von deren Leitung als auch der enorme Außen- und Erwartungsdruck für die schnelle Herausbildung einer ausgeprägten Organisationskultur ausschlaggebend waren.19

Auch Marcus Böick stellt in seinen Arbeiten über die THA und ihr Personal die individuelle Perspektive des Managementpersonals in den Mittelpunkt.20 Seine Untersuchung wirft einen stark von Zeitzeugeninterviews geprägten Blick auf die Alltagspraxis dieser Institution. So kann er Wege zur Erforschung der historischen Umbruchphase zwischen Diktatur und Demokratie aufzeigen, die jenseits polarisierter Zuschreibungen beschritten werden können.

Unbestritten ist, dass die Geschichte der THA vor dem Hintergrund der politischen Entscheidung zugunsten marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien seit der Wahl Lothar de Maizières zum Ministerpräsidenten der DDR am 12. April 1990 gesehen werden muss. Die neue Regierung setzte zwar andere ordnungspolitische Prioritäten als ihre Vorgängerin und schwenkte auf einen Kurs des Übergangs zur sozialen Marktwirtschaft ein. Doch auf welche Weise dieser Übergang organisiert und mit welcher Organisationsform die Privatisierung staatlicher Industriebetriebe vonstattengehen sollte, blieb so unklar wie umstritten.

Die noch in der Amtszeit von Ministerpräsident Hans Modrow am 1. März 1990 gegründete THA bekam jetzt einen neuen Auftrag: Nicht mehr die Bewahrung des staatlichen Eigentums, sondern dessen Privatisierung hatte nunmehr Priorität. Die von der Regierung de Maizière begonnene Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft veränderte die Eigentums- und Produktionsstrukturen auf dem Gebiet der früheren DDR radikal. Die dabei erfolgte Veräußerung von öffentlichem bzw. staatlichem Eigentum war Bestandteil eines politisch gesteuerten Transformationsprozesses von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft und diente auch der Vorbereitung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.21 Bis zum Vollzug der Währungsunion am 1. Juli 1990 gaben sich zunächst einige Tausend Betriebe die neue Rechtsform einer Aktiengesellschaft bzw. GmbH. Das von der THA und ihren Niederlassungen seitdem betriebene Tempo der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft ist nahezu beispiellos in der Geschichte moderner Industriegesellschaften.22

Die Wirtschaftspolitik der Regierung de Maizière und deren Privatisierungskurs wurden in der Öffentlichkeit schon damals kontrovers diskutiert. Während der frühen und oft auch unkoordiniert und spontan ablaufenden Privatisierungen stand die THA bald nach ihrer Gründung im Kreuzfeuer der Kritik.23 In der veröffentlichten Meinung entstand recht schnell der Eindruck, die THA sei an ihrer Aufgabe, die volkseigenen Betriebe in die Marktwirtschaft zu überführen, gescheitert. Die infolge von Stilllegung und Liquidation unrentabler Industriebetriebe entstandene Massenarbeitslosigkeit führte die zeitgenössische Debatte im Wesentlichen auf die Tätigkeit der THA zurück.24 Die THA stand sinnbildlich für den krisenhaften Wirtschaftsumbau und die damit verbundenen gesellschaftlichen Verwerfungen in den fünf neuen Bundesländern, die bis heute nachwirken.

Die Geschichte der THA wurde zum Gegenstand zahlreicher Bücher, die allerdings fast durchgehend aus der Feder von Journalisten und Publizisten stammen.25 In der Literatur überwiegen Publikationen, die die negativen Begleitumstände der Privatisierung und ein angebliches Versagen der THA thematisieren.26 Zumeist lenkten die Autoren ihre Aufmerksamkeit auf tatsächliche oder vermeintliche Treuhandskandale, die mit Bestechung, Korruption oder Seilschaften im Zusammenhang stehen.27 In einer nicht sehr originellen Neuauflage früherer Negativurteile wird die THA als »Vollstreckungs- und Übernahmeamt« des Bundesfinanzministeriums betitelt, dessen Aufgabe die Liquidation des gesamten Produktiveigentums der DDR gewesen wäre.28 Auf der anderen Seite betonen sowohl damalige politische Entscheidungsträger als auch ehemalige Führungskräfte der Behörde die Alternativlosigkeit ihres damaligen Wirkens.29

Zwar gibt es seriöse wissenschaftliche Studien über den Strukturwandel in Ostdeutschland, die auch die Tätigkeit der THA aus ökonomischer Sicht mit einschließen.30 Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen, die sich auf Primärquellen stützen, waren jedoch lange ein empfindliches Desiderat der Forschung. Ein im Auftrag des damaligen Treuhandvorstandes erarbeiteter Sammelband stellte 1993 einen ersten Zwischenbericht über die Organisationsentwicklung und das von Politik und Interessengruppen geprägte Umfeld der THA dar,31 der 2003 durch den Abschlussbericht der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) mit aussagefähigen Statistiken ergänzt wurde.32 Die Untersuchungen des Konstanzer Verwaltungswissenschaftlers Wolfgang Seibel markierten den Beginn einer fundierten wissenschaftlichen Treuhandgeschichte, die sich allerdings auch im Wesentlichen auf die Auswertung publizierter Quellen und von Literatur sowie durchgeführter Zeitzeugeninterviews beschränken musste, da der Zugang zu Akten der THA und des Bundesfinanzministeriums als zuständiger Fachaufsicht verschlossen blieb.33

Für die Analyse der Organisationsentwicklung sind die von der THA herausgegebenen Dokumentationen von Bedeutung.34 Insbesondere im zweiten Band sind wichtige Dokumente über Grundsätze und Leitlinien der Geschäftspolitik in der Zeit zwischen Herbst 1990 und Frühjahr 1991 sowie zahlreiche Organigramme und Dokumente zur Struktur und Funktionsweise der THA abgedruckt.35 Darüber hinaus enthält dieser Band die Tagesordnungen der Vorstands- und Verwaltungsratssitzungen für die Zeit von Juli 1990 bis März 1993, die wichtige Orientierungshilfen für die Sichtung der überlieferten Sitzungsprotokolle der Entscheidungsgremien der THA liefern.

Das Wirken der THA im Bereich der Land- und Forstwirtschaft stand lange Zeit im Schatten der Privatisierungspolitik in der Industrie. Die THA war jedoch nicht nur für die Privatisierung der volkseigenen Industrie zuständig, sondern führte auch die Veräußerung von landwirtschaftlichen Gütern sowie forstwirtschaftlichen Nutzflächen durch.36 So fielen ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche und zwei Drittel der Waldflächen der DDR in den Zuständigkeitsbereich der THA.37 Zumeist stand der Umgang mit dem Bodenreformland bzw. die Umwandlung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) nach 1990 im Zentrum des Interesses.38 Die Untersuchung von Hanns C. Löhr über die Privatisierung in der Landwirtschaft lenkt die Aufmerksamkeit auch auf das Schicksal jener Bodenfondsflächen, die aus dem ehemaligen staatlichen Besitz an landwirtschaftlichen Flächen gebildet wurden.39 Neuere Untersuchungen widmen sich nun stärker der Transformation im landwirtschaftlichen Sektor, wobei dabei zunehmend kulturwissenschaftliche Ansätze an Bedeutung gewinnen.40

Aus der Perspektive eines ehemaligen Insiders, der mehrere Monate in der THA gearbeitet hat, beschreibt Marc Kemmler die Entstehungsgeschichte der THA während der Regierungszeit von Ministerpräsident Hans Modrow und während der Amtszeit von dessen Nachfolger Lothar de Maizière.41 Aufschlussreich sind besonders die beschriebenen Alternativen zum späteren Privatisierungsmodell wie etwa die denkbare Ausgabe von Anteilscheinen an die Bevölkerung. Die informative Studie gibt wichtige Hinweise auf das Agieren der handelnden Personen an der Spitze der Behörde und stützt sich auf Dokumente, die Kemmler während seiner Tätigkeit in der THA einsehen konnte. Da die Dokumente von Kemmler ohne Quellenangabe publiziert wurden, sind deren Authentizität sowie die Auswahlkriterien nur schwer zu beurteilen. Kemmlers komprimierte Darstellung der Entstehungsgeschichte der THA ist zudem lückenhaft. So wird etwa deren Zusammenspiel mit dem Bundeswirtschaftsministerium bzw. dem Bundesministerium der Finanzen nicht näher untersucht. Absichten, Motive und Zwangslagen der politischen Entscheidungsträger werden – hauptsächlich wegen des beschränkten Quellenzugangs – zumeist ausgeklammert.

Mit der Idee zur Gründung einer unabhängigen Institution zur Verwaltung des staatlichen Vermögens waren sehr unterschiedliche politische Vorstellungen und wirtschaftliche Hoffnungen verbunden, die in der Forschungsliteratur bisher nur partiell untersucht wurden.42 Während die Nachfolgeorganisation der SED, die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), an die Reformierbarkeit des staatssozialistischen Systems durch Inkorporation marktwirtschaftlicher Elemente glaubte, gaben die politischen Vorstellungen der Bürgerrechtsbewegung über die Demokratisierung der Wirtschaft und die Schaffung einer vielfältigen Wirtschaftsstruktur entscheidende Anstöße zur Gründung einer Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums. In dieser Hinsicht gibt es zwar wertvolle Hinweise auf einige wirtschaftspolitische Vorstellungen der DDR-Opposition 1989.43 Jedoch blieb die Idee zur Schaffung einer Institution, die das staatliche Eigentum zu »treuen Händen« verwalten sowie über Anteilscheine an die ostdeutsche Bevölkerung verteilen sollte, weitgehend eine Domäne von Zeitzeugenerinnerungen.44 Eine wissenschaftliche Analyse der wirtschaftspolitischen Auffassungen, die während der Phase der »Runden Tische« (Dezember 1989–März 1990) diskutiert wurden, steht demnach noch aus.45

Auch das parlamentarische Wirken der ersten aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Volkskammer der DDR von April bis Oktober 1990 blieb lange Zeit weitgehend der Deutungshoheit der damaligen Akteure überlassen.46 Die Debatten in der Volkskammer, die am 17. Juni 1990 zur Verabschiedung eines neuen Treuhandgesetzes sowie wirtschaftspolitischer Grundsatzentscheidungen führten, können in den edierten Sitzungsprotokollen nachvollzogen werden.47 Bettina Tüffers hat sich der parlamentarischen Praxis und der politischen Kultur dieses Parlaments gewidmet und entkräftet einige der Mythen, die in der historischen Rückschau von damaligen Abgeordneten erzeugt wurden.48 Die erste frei gewählte Volkskammer wird von ihr als politischer Kommunikationsraum analysiert, in dem die Abgeordneten die parlamentarischen Regeln diskursiv aushandelten und ausprobierten, dabei aber auf Organisationsstrukturen, Arbeitsweisen und Verfahrensregeln des Bonner Parlaments zurückgriffen.

Unter den bislang spärlich vorliegenden wissenschaftlichen Analysen der Privatisierungspraxis der THA dominieren juristische Arbeiten, die sich auf veröffentlichte Dokumente stützen.49 Einen knappen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Einflussnahme seitens der politischen Akteure auf die THA bietet Matthias J. Marissal, der die Zeit nach der Vereinigung am 3. Oktober 1990 ins Zentrum rückt und am Beispiel der Privatisierung der ostdeutschen Schiffbauindustrie den politischen Einfluss an einem Einzelfall aufzeigt.50 Er weist zu Recht darauf hin, dass die vehemente Kritik an der THA zumeist deshalb ins Leere greift, weil die THA in keiner Weise von ihrem politischen Umfeld unabhängig gewesen sei. In vergleichbarer Weise argumentiert Jobst-Friedrich von Unger in seiner rechts- und verwaltungswissenschaftlichen Studie über die Einbettung der THA in das jeweilige staatliche Umfeld. Für ihn stellt die Tätigkeit der THA eine Ausübung von Staatsgewalt im Sinne von Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes dar und hätte somit auch parlamentarischer Kontrolle unterworfen werden müssen.51 Das im Juni 1990 von der Volkskammer verabschiedete Treuhandgesetz habe jedoch dazu geführt, dass die THA relativ unabhängig vom Deutschen Bundestag agierte.52

In den vergangenen Jahren sind Fallstudien über strafrechtliche Aspekte des Verkaufs ehemaliger DDR-Staatsbetriebe entstanden. Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes präsentieren Kriminologen, Juristen sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler ihre Befunde.53 Im Zentrum stehen sechs spektakuläre Fälle von Wirtschaftskriminalität, die mit der Arbeit der THA in Verbindung gebracht wurden und die für Schlagzeilen in den Medien sorgten. Interviews bilden hierbei die empirische Basis für eine Analyse der strukturellen Bedingungen von Wirtschaftskriminalität sowie ihrer strafrechtlichen und unternehmensinternen Kontrolle. In vergleichbarer Weise hat sich Ingo Techmeier anhand von Fallanalysen mit strafrechtlichen Aspekten der Privatisierung durch die THA beschäftigt.54 Auch er hat Interviews mit damals beteiligten Unternehmern, Treuhandmitarbeitern, Polizisten, Staatsanwälten, Strafverteidigern und Gewerkschaftern geführt und sieht in der ungeheuren Eile, mit der die Treuhänder das Volkseigentum zu privatisieren hatten, einen wesentlichen »kriminogenen Faktor«. So stand die THA mit dem Auftrag, das gesamte Anlagevermögen der DDR, immerhin ungefähr rund 10 000 gewerbliche Institutionen unterschiedlicher Bereiche, innerhalb von nur vier Jahren zu verkaufen und abzuwickeln, unter starkem Druck. Der Umstand, dass sich die THA in extrem kurzer Zeit einen Überblick über alle Betriebe verschaffen musste, während potenzielle Investoren nur einen einzigen Betrieb im Blick hatten, habe zu »Informationsasymmetrien« geführt, die die THA in Verkaufsverhandlungen von vornherein benachteiligten.

Seit einigen Jahren nimmt die zeithistorische Forschung die Transformation von Staat, Politik, Kultur und Wirtschaft in Deutschland nach 1990 vermehrt in den Blick. Verwiesen sei hier auf einen von Thomas Großbölting und Christoph Lorke herausgegebenen Sammelband zur »Vereinigungsgesellschaft«, der wichtige Forschungsfragen über eine im Zusammenwachsen begriffene Gesellschaft aufgreift und zahlreiche Forschungsprojekte vorstellt.55 Thomas Großbölting beschreibt in einer neueren Publikation die THA als »Arena der Umbruchs- und Übergangsgesellschaft« und zeigt längerfristige Veränderungsprozesse auf, die bereits vor 1989 einsetzten und den Strukturwandel in den 1990er-Jahren beeinflussten.56 Ilko-Sascha Kowalczuk verweist zu Recht auf einen bislang zu wenig beachteten Aspekt, nämlich darauf, dass die Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten in Ostdeutschland sehr eng mit globalen Prozessen verknüpft waren. Für ihn erscheint Ostdeutschland bei allen Besonderheiten und Spezifika als »Laboratorium der Globalisierung«.57

Es stellt sich aber auch die Frage nach den Interdependenzen zwischen Umbrüchen in Politik und Gesellschaft und Umbrüchen im Sozialverhalten, in kulturellen Orientierungen und in Wahrnehmungsmustern.58 So entstand die THA ja auch unter dem Einfluss wirtschaftspolitischer Kontroversen in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre, die sich zwischen den Polen »Marktfreiheit« und »Staatsintervention« bewegten.59 Diese beeinflussten zweifellos die politischen Diskussionen und wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Jahr 1990 und darüber hinaus. Den Einfluss neoliberaler Theorien auf die gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Transformation in Ost- und Mitteleuropa schildert beispielsweise Philipp Ther.60 Er zeigt, wie die sich wandelnden Ökonomien und politischen Strukturen der mittel- und osteuropäischen Staaten auch auf die Länder im Westen zurückwirkten und Folgen für gegenwärtige Krisen und Konflikte in Europa haben. Letztlich, so seine zentrale These der »Kotransformation«, habe die postkommunistische Transformation im östlichen Europa bzw. das ihr zugrunde liegende ökonomische Denken auch die Wirtschaftspolitik in Westeuropa maßgeblich beeinflusst.61 Ther sieht in der Praxis der Wirtschaftransformation eine deutliche Nähe zum Neoliberalismus – insbesondere bei der Privatisierung, die nirgendwo im postsozialistischen Europa so schnell und radikal verlaufen sei wie in Deutschland.62

Der seit einiger Zeit möglich gewordene Zugang zu den Akten der THA sowie zu den Unterlagen der damals zuständigen Bundesministerien im Bundesarchiv eröffnet neue Perspektiven und Möglichkeiten für die historische Analyse der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft sowie des Aktionsfelds der THA im Prozess der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft.63 In den aktuellen Forschungsarbeiten rücken verschiedene Ebenen des Transformationsprozesses in den Blick, deren Analysen zum besseren Verständnis der sozioökonomischen Entwicklung in den 1990er-Jahren beitragen.64 Dabei wird deutlich, dass die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft nicht nur unter dem Blickwinkel der Deindustrialisierung und des ökonomischen Niedergangs, sondern auch unter dem Aspekt der Sanierung und Modernisierung regionaler Wirtschaftsstrukturen gesehen werden kann.

Auf der Grundlage nunmehr zugänglicher Akten geht ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin der Frage nach dem historischen Ort der THA im vereinigten Deutschland nach, indem der Aktionsradius der Behörde vor Ort unter verschiedenen Gesichtspunkten und Fragestellungen näher bestimmt wird.65 Die THA wird insbesondere als Instrument zur Lösung ökonomischer Probleme untersucht; Folgen und Wirkungen der Privatisierungspolitik werden in mehreren Einzelstudien anhand ausgewählter Themenfelder analysiert. Die Beschäftigung mit der Transformationszeit der 1990er-Jahre führt zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass die Tätigkeit der THA in einem viel breiteren Rahmen auf transnationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene untersucht werden muss, um auch Fragen nach den langfristigen Wirkungen des Übergangs von einer Plan- zur Marktwirtschaft für unsere Gegenwart beantworten zu können.

Zum Inhalt und zu den Fragestellungen des Buches

Die vorliegende Studie ist nicht als ein enzyklopädisches Werk konzipiert, das handbuchartig alle Arbeitsfelder der THA gleichermaßen abdeckt. Sie konzentriert sich auf drei zentrale Themenfelder. Im Zentrum steht erstens die Frage nach unterschiedlichen Erwartungshaltungen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die sich mit der Gründung der THA verknüpften. Zweitens der Personalaufbau, die Organisationsstruktur und Arbeitsweise dieser Institution, die sich vor dem Hintergrund neuer Aufgaben beständig wandelten. Drittens werden die Bedeutung und Rolle der THA im politischen Kräftefeld ausgelotet und dabei auch die wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume und Zwangslagen der THA vermessen. Eine besondere Rolle spielt dabei das Verhältnis der Treuhandzentrale zu den zuständigen Bundesbehörden in Bonn, also zu den Bundesministerien der Finanzen und für Wirtschaft sowie dem Bundeskanzleramt.

Den Ausgangspunkt dieses Buches bildet die Idee zur Gründung der THA im November/Dezember 1989, die von oppositionellen Gruppen der DDR entwickelt und am 12. Dezember 1989 dem Zentralen Runden Tisch unterbreitet wurde. Damit lieferte die politische Opposition der DDR den Anstoß für den späteren Beschluss zur Gründung der THA durch die Regierung Modrow am 1. März 1990. Das Ende der SED-Herrschaft löste auch in der ersten frei gewählten Volkskammer politische Debatten über sehr verschiedene wirtschaftspolitische Ordnungsmodelle aus. Daher geht es um die dort diskutierten Erwartungshaltungen und Vorstellungen über den künftigen Umgang mit dem Volkseigentum der DDR. Darüber hinaus sind Erwartungen, Hoffnungen und Ziele der Führungskräfte der THA und deren Wandel unter dem Eindruck medienwirksamer Auseinandersetzungen von Interesse. Schließlich haben auch die praktischen Erfahrungen im Verlauf der Privatisierungs- und Sanierungsarbeit einen Mentalitätswandel und einen Lernprozess innerhalb der THA bewirkt.

Zugleich rückte mit der Aussicht auf eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion die grundsätzliche Frage der künftigen Gestaltung der Wirtschaft in den Mittelpunkt der öffentlich geführten Diskussion. Die THA war in ein politisches Umfeld sowie in öffentliche Diskussionen eingebettet, die sich rasant wandelten. Daher wird die THA in den gesellschaftspolitischen Kontext und die unterschiedlichen Leitlinien der Wirtschaftspolitik eingeordnet. Bei der Beurteilung der Privatisierungspolitik der THA werden auch die wirtschaftspolitischen Leitbilder der Akteure angemessen berücksichtigt.

In dem sich daran anschließenden Fragenkomplex zum Organisationsprofil geht es um die Arbeitsweise und den Personalaufbau der THA. Im Zentrum steht der strukturelle Wandel der THA nach ihrer Gründung am 1. März 1990. Dabei wird vorrangig nach dem strukturellen und personellen Aufbau der Behörde seit dem Sommer 1990 und den organisationspolitischen Veränderungen in den Jahren danach gefragt. Daraus abgeleitet werden insbesondere Fragen nach der Organisationspolitik unter der Präsidentschaft Detlev Karsten Rohwedders beantwortet: Wie sah die Struktur der THA aus und wie veränderte sie sich im Zeitraum von März 1990 bis April 1991? Wie gestaltete sich die Arbeitsweise der THA und wie veränderte sie sich? Inwiefern wurde die THA nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion umstrukturiert und welche Folgen hatte dies für das Profil und die Arbeitsweise der THA?

Bislang wurde von der Auffassung ausgegangen, dass die wesentlichen Strukturveränderungen und die Professionalisierung der Behörde unter der Präsidentschaft Rohwedders abgeschlossen wurden. Im Lauf der Archivstudien musste diese Annahme jedoch korrigiert werden. Zwar wurde in dieser Zeit die THA neu organisiert und für die Umsetzung der Aufgaben qualifiziertes Personal angeworben. In der im April 1991 beginnenden Amtszeit Birgit Breuels ging der Umstrukturierungsprozess jedoch weiter. Insofern werden der Wandel der Organisationsstruktur sowie die Veränderungen im Aufgabenprofil in den Jahren bis zur Auflösung der THA im Dezember 1994 untersucht.

Die Konstituierung von Direktorium, Verwaltungsrat und Vorstand sind ebenfalls von besonderem Interesse. Insbesondere wird die Rolle bestimmter Personen thematisiert, die Leitungspositionen in der zentralen DDR-Wirtschaftsverwaltung ausübten und anschließend in den Führungsgremien der THA an maßgeblichen Entscheidungen beteiligt waren. Überdies geht es um die Initiativen Rohwedders zur Anwerbung qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie um die Bemühungen Birgit Breuels, in ihrer Amtszeit die einsetzende Abwanderung von Führungskräften durch Angebote für verlässliche Berufsperspektiven innerhalb einer zu gründenden Treuhand-Nachfolgeorganisation zu stoppen. Da sich der Personalstand insgesamt nicht geradlinig entwickelte, wird u. a. nach den Ursachen für die seit 1992 einsetzende Fluktuation in der Berliner Treuhandzentrale gefragt. Besondere Beachtung finden die aufgrund einer persönlichen Initiative des Bundeskanzlers Helmut Kohl eingesetzten Vertrauensbevollmächtigten beim Treuhandvorstand und den Niederlassungen der THA. Diese hatten vorrangig die Aufgabe, das Problem der medienwirksamen Klagen über »alte Seilschaften« in den Treuhandunternehmen und in der Treuhandzentrale zu bearbeiten, eingegangene Klagen zu überprüfen und ggf. dem Vorstand der THA einen Bericht mit Empfehlungen über den weiteren Verbleib dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu geben. In der Regel handelte es sich dabei um Geschäftsführer von Treuhandunternehmen und Führungskräfte der THA mit ostdeutscher Berufsbiografie, bei denen eine politische Vorbelastung durch ihre Tätigkeit in der DDR vor 1989 unterstellt wurde.

Einen dritten Schwerpunkt des Buches bildet das Verhältnis zwischen der Treuhandzentrale und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) bzw. dem Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) sowie dem Bundeskanzleramt. Es wird davon ausgegangen, dass die THA zwar als eine formell unabhängige Behörde gegründet wurde, sie jedoch nicht losgelöst von staatlichen und politischen Instanzen agierte. Da die THA trotz ihres Status als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts weder als Unternehmen noch als staatliche Behörde fungierte, sorgte die Frage nach ihrer Handlungsautonomie gegenüber der Bundesregierung für potenzielle Konflikte. Die Motive und Ursachen dieser Konflikte wurden bislang kaum untersucht und können nunmehr auf der Grundlage empirischen Materials analysiert werden. Somit kann die Frage beantwortet werden, warum sich seit Anfang 1992 der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der THA insbesondere im Hinblick auf die Fachaufsicht des BMF deutlich verengt hat. Diese Entwicklung überrascht umso mehr, als die Treuhandspitze in den Jahren 1990 und 1991 weitgehend unabhängig von den wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen der Bonner Ministerien, insbesondere beim Aufbau ihrer Organisationsstruktur und der Privatisierungspraxis, handeln konnte. Dabei stehen Fragen nach der Rolle des BMF als Fach- und Rechtsaufsichtsgremium gegenüber der THA im Zentrum. Darüber hinaus geht es auch um die Frage, welche Reichweite die Kontrolle der THA durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und dessen Unterausschuss Treuhandanstalt sowie den Bundesrechnungshof (BRH) hatte.

Mit der Analyse der Handlungsspielräume der THA soll ein differenziertes Bild dieser Institution in ihrem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext gezeichnet werden. Durch den Blick auf das ökonomische, politische, öffentliche und gesellschaftliche Umfeld kann auch die Dynamik der Organisationsentwicklung erklärt und veranschaulicht werden. Letztlich geht es um Fragen, welche Wirkungen ministerielle Vorgaben hatten und welche Umsetzungsprobleme oder Modifikationen an dem ursprünglichen Modell der THA sich in der Praxis ergaben.

Ziel der Studie ist eine Analyse der Entstehung, der Arbeitsweise und des Organisationswandels der THA sowie ihres politischen Handlungsrahmens, um eine Historisierung dieser bis in die Gegenwart hinein umstrittenen Institution zu ermöglichen. Sie leistet damit einen Beitrag zur Erforschung der historischen Umbruchphase zwischen Diktatur und Demokratie, die stark vom Übergang von einer zentralistisch organisierten Wirtschaft sowjetischen Typs in die soziale Marktwirtschaft geprägt war.

Die Quellenlage

Eine wissenschaftliche und empirisch gestützte Untersuchung der Geschichte der THA wurde bislang durch den fehlenden Zugang zu den Primärquellen behindert. Das Bundesarchiv in Berlin hat jedoch in den letzten Jahren das Behördenschriftgut der THA, das zuvor unter der Obhut der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) stand, schrittweise übernommen. Dies betrifft u. a. Unterlagen zentraler Entscheidungsgremien der THA in Berlin sowie der regionalen Geschäftsstellen bzw. Niederlassungen. Auf der Ebene zentraler Entscheidungsgremien sind Unterlagen des Verwaltungsrates, des Vorstandes sowie der Unternehmensbereiche der Treuhandzentrale archivalisch erschlossen.

Bei den Beständen der Treuhandanstalt/BvS handelt es sich hauptsächlich um Organisationsunterlagen (Organigramme, Strukturanalysen, Personalanalysen, Arbeitsanweisungen, Richtlinien), Handbücher (u. a. Organisationshandbuch, Privatisierungshandbuch), Monatsberichte des Vorstandes, Finanz- und Personalberichte sowie Protokolle der Verwaltungsrats- bzw. Vorstandssitzungen für den Zeitraum von 1990 bis 1994. Die Verwaltungsratsprotokolle sowie die Protokolle der wöchentlich stattfindenden Vorstandssitzungen enthalten nicht nur Beschlüsse über Privatisierungs- und Sanierungsvorgänge, sondern auch Vorlagen für Organisationsrichtlinien, Struktur- und Personalveränderungen, Geschäftsordnungen, Grundsätze der Geschäftspolitik, Finanzierungsrichtlinien, Genehmigungserfordernisse sowie Vorlagen zum Haushalts- und Finanzplan der THA.

Für die Entstehung der »Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums« (Treuhandanstalt) in der Amtszeit von Ministerpräsident Hans Modrow und der von Ministerpräsident Lothar de Maizière im Zeitraum von November 1989 bis Oktober 1990 kann die Quellenbasis als außerordentlich gut bezeichnet werden. Dies betrifft die seit Längerem frei zugänglichen Unterlagen des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde aus den Beständen des Ministerrates der DDR, des Büros des Ministerpräsidenten sowie des Ministeriums für Wirtschaft. Darüber hinaus wurden Unterlagen zu wirtschaftspolitischen Diskussionen am Runden Tisch sowie in den Ausschüssen der ersten frei gewählten Volkskammer eingesehen. Für die alternativen Konzepte zum Privatisierungsmodell waren die Bestände im Archiv Grünes Gedächtnis in der Heinrich-Böll-Stiftung sowie im Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft von Bedeutung. In diese Zeit fielen die parlamentarische und außerparlamentarische Diskussion zum Verbleib und zur Behandlung der Staatsbetriebe der DDR sowie auch die Gründung der THA am 1. März 1990. Die Unterlagen aus den Beständen der ersten frei gewählten Volkskammer sowie ihrer Ausschüsse, des Büros des Ministerpräsidenten sowie des Ministers für Wirtschaft in dem genannten Zeitraum dokumentieren den Versuch vom Frühjahr/Sommer 1990, durch den Aufbau einer Organisationsstruktur, die Rekrutierung von Personal sowie die Bestellung von Aufsichtsrat und Vorstand die THA arbeitsfähig zu organisieren, was nur bedingt gelang.

Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Treuhandspitze und den zuständigen Bundesministerien in Bonn erwiesen sich die Unterlagen aus den Handakten Rohwedder und Breuel als sehr aussagekräftig. Anhand des Schriftverkehrs zwischen Berlin und Bonn können zentrale Fragen zum Verhältnis zu den Bundesressorts im Rahmen der Rechts- und Fachaufsicht beantwortet werden. Ferner enthalten die Handakten Auskünfte über Gesetzgebungsverfahren mit Auswirkungen auf die Tätigkeit der THA, die Personal- und Finanzentwicklung sowie den Einfluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages auf die Arbeit der THA. Die Unterlagen des dem Präsidialbereich zugeordneten Direktorats Unternehmensentwicklung sowie des Generalbevollmächtigten der THA Norman van Scherpenberg im Bestand B 412 enthalten wertvolle interne Analysen über die personelle und strukturelle Entwicklung der THA.

Die Studie basiert darüber hinaus ganz wesentlich auf Unterlagen des Bundesarchivs in Koblenz. Dabei standen Überlieferungen der damals zuständigen Bundesbehörden im Zentrum des Interesses. Dies betrifft Unterlagen des Bundesministeriums für Wirtschaft, des Bundesministeriums der Finanzen sowie des Bundeskanzleramtes. Auf dieser Grundlage konnte der Einfluss der Bundesregierung sowie von westdeutschen Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern auf die Tätigkeit der THA analysiert werden. Dank der Freigabe von bislang nicht zugänglichen Unterlagen aus dem Bundeskanzleramt konnten Erkenntnisse über die Arbeitsbeziehungen der Treuhandzentrale zum Bundeskanzleramt, insbesondere zum dortigen Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik, gewonnen werden. Diese Unterlagen ermöglichen ebenso Aussagen über die Zusammenarbeit zwischen Bundesbehörden und parlamentarischen bzw. haushaltsrechtlichen Kontrollinstanzen wie dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und dem Bundesrechnungshof.

Aufgrund der Einbindung der THA in das politische Kräftefeld der Bundesrepublik wurden auch Akten aus dem Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages in Berlin ausgewertet. Dies betraf die Sitzungsprotokolle des Haushaltsausschusses sowie des Unterausschusses Treuhandanstalt des Haushaltsausschusses. Dieser beschäftigte sich nicht nur mit der Bewilligung von Haushaltsmitteln für die THA, sondern im Laufe seiner Tätigkeit auch mit Schwerpunkten der Geschäfts- und Privatisierungspolitik der Treuhand. Gleiches gilt für den im Februar 1993 gebildeten (Voll-)Ausschuss Treuhandanstalt des Deutschen Bundestages. So liefern die Protokolle der Ausschusssitzungen weiterführende Erkenntnisse über die zentralen Arbeitsschwerpunkte der Behörde.

Alle genannten Quellen erlauben einen analytischen Blick auf die Arbeitsweise und das Innenleben einer Institution, die den Prozess der Privatisierung der staatlich gelenkten Kombinate und Betriebe der DDR in den Jahren von 1990 bis 1994 zu organisieren hatte. Sie bieten zugleich die archivalische Grundlage für weitere Forschungsarbeiten.

1 Milev: Das Treuhand Trauma, S. 249.

2 Ebd., S. 243.

3 Ebd., S. 246. Vgl. auch Milev: Entkoppelte Gesellschaft.

4 Köpping: Integriert doch erst mal uns!, S. 9.

5 Vgl. ebd., S. 43.

6 Pötzl: Der Treuhand-Komplex, S. 219.

7 Ebd., S. 218.

8 Vgl. Böick: Vom Blitzableiter zur Bad-Bank.

9 Vgl. Roesler: War das Vorgehen der Treuhand alternativlos?; Ther: Der Preis der Einheit, in: Kowalczuk/Ebert/Kulick (Hg.): (Ost)Deutschlands Weg, S. 402–404.

10 Vgl. Buchheim: Die Defizite der Sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft, in: Henke (Hg.): Revolution und Vereinigung 1989/90, S. 81–91; Steiner: Von Plan zu Plan; ders.: Zwischen Konsumversprechen und Innovationszwang, in: Jarausch/Sabrow (Hg.): Weg in den Untergang, S. 153–192.

11 Vgl. Steiner: Die DDR als ökonomische Konkurrenz, in: Plumpe/Scholtyseck (Hg.): Der Staat und die Ordnung der Wirtschaft, S. 151–178.

12 Vgl. Bähr/Petzina (Hg.): Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen.

13 Milev: Das Treuhand Trauma, S. 138.

14 Vgl. Janson: Wie Günter Mittag den SED-Staat ruinierte; Pirker/Lepsius/Weinert/Hertle (Hg.): Der Plan als Befehl und Fiktion; Schürer: Gewagt und verloren.

15 Vgl. Böick: »Das ist nunmal der freie Markt«.

16 Vgl. Ther: Der Preis der Einheit. Die deutsche Schocktherapie im ostmitteleuropäischen Vergleich.

17 Vgl. Goschler/Böick: Studie zur Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt.

18 Vgl. Fischer: »Herzlich Willkommen in diesem ergötzlichen Chaos«. Vgl. auch Münzberg: Zu treuen Händen; Breuel: Treuhand intern.

19 Vgl. Weber: Treuhandanstalt.

20 Vgl. Böick: Die Treuhand; ders.: Präsidentin, Managerin, Sekretärin, in: Böick/Kuschel/Hertel (Hg.): Aus einem Land vor unserer Zeit, S. 207–218; ders.: Grenzgänger des Kapitalismus.

21 Vgl. Ritter: Rahmenbedingungen der innerdeutschen Einigung, in: ders. (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 11, S. 1–106.

22 Vgl. Breuel/Burda (Hg.): Ohne historisches Vorbild. .

23 Vgl. Böick: Im »Säurebad der Einheit«.

24 Vgl. Luft: Treuhandreport; dies.: Die Lust am Eigentum.

25 Vgl. exemplarisch Laabs: Der deutsche Goldrausch.

26 Vgl. Christ/Neubauer: Kolonie im eigenen Land; Huhn: Raubzug Ost.

27 Vgl. Suhr: Der Treuhandskandal; Liedtke (Hg.): Die Treuhand und die zweite Enteignung der Ostdeutschen; Jürgs: Die Treuhändler; Fritsch: Verraten und Verramscht.

28 Milev: Das Treuhand Trauma, S. 136.

29 Vgl. Depenheuer/Paqué (Hg.): Einheit – Eigentum – Effizienz; Ludewig: Unternehmen Wiedervereinigung; Koch: Der Manager.

30 So u. a. Paqué: Die Bilanz.

31 Vgl. Fischer/Hax/Schneider (Hg.): Treuhandanstalt.

32 Vgl. Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (Hg.): »Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stillegen«.

33 Vgl. Seibel: Strategische Fehler oder erfolgreiches Scheitern?; ders.: Verwaltete Illusionen.

34 Vgl. Treuhandanstalt (Hg.): Dokumentation Treuhandanstalt 1990–1994, 15 Bde.

35 Vgl. ebd., Bd. 2, S. 287–392.

36 Vgl. Lehmbruch/Mayer: Kollektivwirtschaften im Anpassungsprozeß, in: Czada/Lehmbruch (Hg.): Transformationspfade in Ostdeutschland, S. 331–366.

37 Vgl. Kurzdarstellung der Unternehmensgruppe Land- und Forstwirtschaft, o. D., in: Dokumentation Treuhandanstalt, Bd. 8, S. 248.

38 Vgl. Bauerkämper: Der Kampf um den Boden in den neuen Bundesländern; Laschewski: Von der LPG zur Agrargenossenschaft.

39 Vgl. Löhr: Der Kampf um das Volkseigentum.

40 Vgl. Bretschneider: Gescheiterte Erfolgsgeschichten?, in: Hoffmann/Brunnenbauer (Hg.): Transformation als soziale Praxis, S. 154–165.

41 Vgl. Kemmler: Die Entstehung der Treuhandanstalt.

42 Vgl. Fischer/Schröter: Die Entstehung der Treuhandanstalt, in: Fischer/Hax/Schneider (Hg.): Treuhandanstalt, S. 17–40.

43 Vgl. Stark: Wirtschaftliche Vorstellungen der DDR-Opposition 1989.

44 Vgl. Luft: Treuhandreport; Interview mit Matthias Artzt und Gerd Gebhardt: »Selbstorganisation und staatliche Planbarkeit gesellschaftlichen Wandels«, in: Vec/Hütt/Freund (Hg.): Selbstorganisation, S. 382–385.

45 Vgl. Thaysen (Hg.): Der Zentrale Runde Tisch der DDR.

46 Vgl. de Maizière: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen; Birthler: Halbes Land. Ganzes Land; Keller: »Wir lernten Demut, Diskussionsfähigkeit, Toleranz und Demokratie«, in: Jesse/Schubert (Hg.): Friedliche Revolution und Demokratie; S. 73–87; Bergmann-Pohl: Die frei gewählte Volkskammer, in: Schröder/Misselwitz (Hg.): Mandat für deutsche Einheit, S. 49–65; dies.: Ein emotional aufgeladenes Parlament.

47 Vgl. Deutscher Bundestag (Hg.): Protokolle der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik.

48 Vgl. Tüffers: Die 10. Volkskammer der DDR.

49 Vgl. Ipsen/Nickel (Hg.): Ökonomische und rechtliche Konsequenzen der deutschen Vereinigung; Bleckmann: Zur verfassungsrechtlichen Sanierungspflicht der Treuhandanstalt.

50 Vgl. Marissal: Der politische Handlungsrahmen der Treuhandanstalt.

51 Vgl. von Unger: Staatliche Kontrolle über die Treuhandanstalt.

52 Vgl. zum Aspekt der politischen Kontrolle: Cadel: Die Kontrolle der Treuhand-Anstalt und ihrer Unternehmen.

53 Vgl. Boers/Nelles/Theile (Hg.): Wirtschaftskriminalität und Privatisierung der DDR-Betriebe.

54 Vgl. Techmeier: Das Verhältnis von Kriminalität und Ökonomie.

55 Vgl. Großbölting/Lorke (Hg.): Deutschland seit 1990.

56 Großbölting: Wiedervereinigungsgesellschaft, S. 390.

57 Kowalczuk: Die Übernahme, S. 23.

58 Hierzu methodisch anregend: vom Brocke: Kulturministerien und Wissenschaftsverwaltungen in Deutschland und Österreich, in: vom Bruch/Kaderas (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik, S. 193–214.

59 Vgl. Wirsching: »Neoliberalismus« als wirtschaftspolitisches Ordnungsmodell?, in: Plumpe/Scholtyseck (Hg.): Der Staat und die Ordnung der Wirtschaft, S. 139–150.

60 Vgl. Ther: Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent, S. 284 f.

61 Vgl. ders.: Das andere Ende der Geschichte.

62 Vgl. ders.: Der Preis der Einheit.

63 Vgl. Hoffmann: Von der Plan- zur Marktwirtschaft.

64 Vgl. Hoffmann (Hg.): Transformation einer Volkswirtschaft; ders./Brunnenbauer (Hg.): Transformation als soziale Praxis.

65 Vgl. hierzu ausführlich Hoffmann: Im Laboratorium der Marktwirtschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 66 (2018) 1, S. 167–185.

I. Wirtschaftsverwaltung im Übergang

Am Ende der 1980er-Jahre war die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED endgültig gescheitert. Der wirtschaftliche Verfall konnte nun nicht mehr übersehen und auch nicht mehr durch politische Propaganda schön geredet werden. Es hatte sich gezeigt, dass das Konzept, die kostspielige Sozialpolitik aus einem starken Wirtschaftswachstum heraus zu finanzieren, wegen der leistungsschwachen Wirtschaft nicht funktionierte. Letztlich führten neben wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen die Strukturfehler der zentralstaatlichen Planwirtschaft zu deren finaler Krise.1

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR reichte zudem nicht aus, um sich dauerhaft als staatlich eigenständiges Gebilde an der Grenze zur Bundesrepublik behaupten zu können. Der von SED-Chef Erich Honecker und dem Sekretär für Wirtschaft des Zentralkomitees (ZK) der SED, Günter Mittag, in den 1980er-Jahren unternommene Versuch, mit intensivierten deutsch-deutschen Handelsbeziehungen der DDR ein wirtschaftliches Überleben zu sichern, scheiterte nicht nur am ökonomischen Ungleichgewicht der Handelspartner, sondern insbesondere an der mangelnden politischen Legitimität der SED-Herrschaft.2

Eine wesentliche Rolle spielten auch die Entwicklungen auf dem Weltmarkt, in die die DDR-Wirtschaft trotz ihrer engen Handelsbeziehungen zur UdSSR stark eingebunden war. Die von der SED propagierte Strategie der Weltmarktintegration gelang nicht, obwohl die DDR versuchte, Anschluss an die internationale Technologieentwicklung zu finden. Diese Bemühungen liefen weitgehend ins Leere, weil die SED-Führung nicht bereit war, die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse den Erfordernissen moderner Technologien anzupassen.3 Partei- und Planbürokratie schufen eben keine günstigen strukturellen Voraussetzungen, um die importieren Technologien erfolgreich zu nutzen. So blieben die erhofften Effekte trotz immenser Förderung der Mikroelektronik aus.4 Innerhalb der Apparate von Partei und Staat kam man nicht auf den Gedanken, dass in modernen Gesellschaften wirtschaftliches Wachstum und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit überwiegend auf nicht planbarer und voraussehbarer Innovation beruht. Das planwirtschaftliche System, so wie es bis zum Ende der DDR existierte, war darum eher ein Hemmnis als ein Vehikel wirtschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Innovation.5

Im Herbst 1989 hatte ein Großteil der Wirtschaftsfunktionäre in Partei und Staat den Glauben an die Reformfähigkeit des bestehenden Planungs- und Wirtschaftssystems verloren.6 Damit war eine zentrale Säule der SED-Herrschaft aufgeweicht. Die Resignation und der Unmut der Funktionäre über die starrsinnige Reformverweigerung der Parteispitze zählten letztlich zu den zentralen Faktoren der innerparteilichen Erosion, die dem Ende der SED-Herrschaft vorausging.7 Deren Ausmaß im Herrschaftsapparat der Partei bildete eine entscheidende Bedingung für den rasanten Zusammenbruch der SED-Herrschaft im Herbst 1989.

Zugleich machten die anschwellende Ausreisewelle, die Dynamik der Demonstrationsbewegung und der Massenproteste sowie die sich formierende Opposition im Oktober und November 1989 die fehlende Legitimation der SED-Diktatur nunmehr deutlich sichtbar.8 Die durch die Bedingungen einer Diktatur begrenzte Loyalität der Bevölkerung war endgültig aufgebraucht, als klar wurde, dass die SED ihr Versprechen einer besseren Zukunft nicht einlösen konnte. Die in der DDR aufgewachsene Generation wollte sich nicht mehr wie ihre Mütter und Väter auf eine ferne Zukunft vertrösten lassen. Bis weit in die Mitgliedschaft der SED hinein war im Laufe der 1980er-Jahre der Glaube an die Reformfähigkeit des Gesellschaftssystems in der DDR verloren gegangen.

Jetzt begann eine fieberhafte Suche nach wirtschaftspolitischen Alternativen und gesellschaftlichen Reformkonzepten. Der Ruf nach einer umfassenden Wirtschaftsreform blieb jedoch weitgehend inhaltsleer, weil auf einen Masterplan zur Reformierung der DDR-Wirtschaft nicht zurückgegriffen werden konnte. Zunächst kam es hauptsächlich darauf an, die kriselnde Wirtschaft rasch zu stabilisieren. An einen schnellen Übergang von der bisherigen Plan- zur Marktwirtschaft war vorerst nicht zu denken. Hinzu kam die Enttäuschung darüber, dass sich die SED-Führung nicht der Reformpolitik Michail Gorbatschows anschloss.9

1. Von der Zentralen Plankommission zum Wirtschaftskomitee

Im Herbst 1989 herrschte sowohl in der SED-Führung als auch in der Staatlichen Plankommission (SPK) allgemeine Ratlosigkeit. Wenngleich mit Egon Krenz als neuem SED-Generalsekretär seit Mitte Oktober 1989 die Warnungen des Vorsitzenden der Plankommission Gerhard Schürer vor dem wirtschaftlichen Niedergang ernster genommen wurden, hatten sich angesichts von Massenprotesten, Massenausreisen und dem Erstarken der politischen Opposition im Herbst 1989 die Aussichten für die Akzeptanz eines neuen Wirtschaftskurses, der mit einem rigiden Sparprogramm verbunden werden musste, stark verschlechtert.10 Auch für den Honecker-Nachfolger Krenz kam ein Umsteuern zugunsten produktiver Investitionen in der Industrie nur in Betracht, wenn dadurch die Versorgung der Bevölkerung nicht beeinträchtigt würde. Die wirtschaftspolitischen Alternativen, die Schürer im Politbüro in den Jahren zuvor immer wieder zur Diskussion gestellt hatte, taugten nun nicht mehr zur Krisenbewältigung, weil sie stärker als jede andere Variante auf eine drastische Verringerung des Lebensniveaus der Bevölkerung hinausliefen.11 Eine Politik nach der Devise »den Gürtel enger schnallen« war angesichts der Massenproteste nicht mehr durchführbar.

Das SED-Politbüro ohne Honecker sah zwar die enormen wirtschaftlichen Probleme, doch niemand im zentralen Führungsgremium der Partei konnte brauchbare Lösungen anbieten. Die Vorschläge, die Wirtschaftsexperten seit vielen Jahren diskutiert hatten und die von Schürer im Politbüro mehrfach eingebracht worden waren, wollte dessen Mehrheit aus Angst vor weiteren politischen Erschütterungen nicht akzeptieren.12 Einen realistischen Ausweg konnten die Abteilungsleiter der SPK, mit denen Schürer die Stimmung im Politbüro und die prekäre Wirtschaftslage beriet, ebenfalls nicht anbieten. Die Experten der Plankommission stellten unter anderem fest, dass seit 1971 in der Volkswirtschaft der Konsum schneller als die wirtschaftlichen Leistungen gewachsen und insgesamt mehr verbraucht als aus eigener Produktion erwirtschaftet worden sei.13 Insbesondere die unkontrollierte Devisenverschuldung hatte die wirtschaftlichen Probleme enorm verschärft.14 Auch die Staatsausgaben im Inland waren aus den Fugen geraten. Schürer sah die DDR im Herbst 1989 vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, was zu langwierigen und für die DDR-Volkswirtschaft schmerzhaften Umschuldungsverhandlungen mit den westlichen Gläubigerbanken geführt hätte. Deshalb, so lautete die abschließende Schlussfolgerung aus der internen Gesamtanalyse über die wirtschaftliche Lage vom 30. Oktober 1989, komme man um eine deutliche Reduzierung der gesellschaftlichen und individuellen Konsumtion und eine Absenkung des Lebensstandards nicht herum.15 Das hatte Schürer allerdings schon seit Mitte der 1970er-Jahre gefordert und war damit stets am Generalsekretär und der Politbüromehrheit gescheitert.16 Da ein Umsteuern nur mithilfe eines drastischen Sparprogramms möglich schien, gab es mit Krenz an der Spitze der Partei wiederum keinen wirtschaftspolitischen Kurswechsel.

Innerhalb der DDR-Planwirtschaft hatte die Staatliche Plankommission als zentrale Wirtschaftsverwaltung noch immer funktionale Bedeutung.17 Sie war auf der Grundlage des Gesetzes über die Regierung der DDR vom 8. November 1950 gebildet worden und Nachfolgerin des im Oktober 1949 gegründeten Ministeriums für Planung.18 Unter dem Dach des Ministerrates der DDR war sie verantwortlich für die Ausarbeitung und Realisierung der Perspektiv- und Jahrespläne zur Entwicklung der Volkswirtschaft, die von der SED-Führung beschlossen und von der Volkskammer der DDR bestätigt wurden. Die Plankommission und die ihr zugeordneten Branchenministerien erwiesen sich jedoch in den fast vier Jahrzehnten ihrer Existenz nicht in der Lage, die Planung in den verschiedenen Industriezweigen sinnvoll zu koordinieren und nach den Kriterien wirtschaftlicher Rationalität auszurichten. Dies lag nicht allein an den häufig wechselnden und permanent überzogenen wirtschaftspolitischen Vorgaben, sondern auch an den bestehenden behördeninternen Konkurrenzverhältnissen und dem unkontrollierten Eingreifen zentraler und regionaler politischer Instanzen in den Wirtschaftsablauf.19

Seit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Mai 1971 herrschte an der Spitze der Plankommission Skepsis über die ökonomische Umsetzbarkeit von Honeckers Sozialpolitik. Schürer und auch seine Stellvertreter bezweifelten, dass die ökonomische Basis für die Verwirklichung der ausufernden sozialpolitischen Pläne Honeckers ausreichte. Experten aus der Plankommission, aber auch Wirtschaftsfunktionäre aus dem Zentralkomitee der SED hatten bereits Anfang der 1970er-Jahre gefordert, sozialpolitische Maßnahmen stärker an die Stimulierung von Leistung und die Förderung des Wirtschaftswachstums zu koppeln.20 Die zentrale Planungsbehörde kritisierte dann in den 1970er- und 1980er-Jahren wiederholt die konkrete Ausgestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik, da die ausufernde Konsumpolitik, insbesondere die Ausweitung kreditfinanzierter Konsumgüterimporte, kaum Rücksicht auf die Belastungs- und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft nahm.21 Die Wirtschaftsexperten in der SPK hielten den im Politbüro beschlossenen Umfang des Sozialpakets aufgrund der hierfür notwendigen wirtschaftlichen Leistungssteigerungen von vornherein für nicht realistisch. Vor allem befürchtete die Plankommission ein stetiges Schrumpfen der Investitionen im produktiven Bereich der Industrie und damit einen nicht mehr auszugleichenden Leistungsabfall der gesamten Volkswirtschaft. So stand im Mittelpunkt des bis 1989 anhaltenden Konflikts, der sich in der Hauptsache auf die Personen Erich Honecker und Gerhard Schürer zuspitzte, die Frage nach den Prioritäten: Konsumtion oder produktive Investition?22

Der Regierung unter Hans Modrow, die auf der 12. Tagung der Volkskammer am 17./18. November 1989 bestätigt wurde, gehörte auch Schürer an. Er verfügte aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen in wirtschaftspolitischen Planungsstäben über interne Einblicke in die Abläufe, Planungsmechanismen und Strukturzusammenhänge, mithin aber auch in die strukturellen Schwächen und Defizite der DDR-Wirtschaft.23 Er stand jedoch in der Öffentlichkeit als einer der Verantwortlichen für die desolate Wirtschaftslage unter politischem Druck. Im permanenten Konflikt zwischen ökonomischem Sachverstand und Parteidisziplin hatte sich Schürer stets dem Generalsekretär und der Politbüromehrheit gebeugt.24 Auf die Frage, warum er auf dem Posten des SPK-Vorsitzenden trotz des ökonomischen Widersinns seit 1965 ausgeharrt habe, erklärte Schürer im historischen Rückblick durchaus plausibel: »Ich hätte manchmal alles hinschmeißen können. Dann saß ich mit meinen engsten Mitarbeitern zusammen, und die haben gesagt, Gerhard, wenn du gehst, dann wird es alles nur noch schlechter bei uns, bleib doch da.«25

Mit Verweis auf seine langjährige Tätigkeit an der Spitze der zentralen Wirtschaftsverwaltung schrieb Schürer am 5. Dezember 1989 an Ministerpräsident Modrow:

»Trotz persönlicher Versuche, die Wirtschaftspolitik zu ändern und verkrustete Strukturen aufbrechen zu helfen, lastet auf meinen Schultern Verantwortung für die schlimme Vergangenheit. In wachsendem Maße bin ich jedoch mit der Frage konfrontiert, ob ich nicht doch die von Ihnen geführte Regierung der Koalition, die gerade beginnt Vertrauen zu gewinnen, durch meine Mitgliedschaft belaste. Könnte ich nicht besser, wenn erforderlich, als Konsultationspartner wirken, anstatt an der Spitze einer solch verantwortungsvollen Institution wie der SPK zu stehen? Erlauben Sie mir deshalb bitte vorzuschlagen, eine Entscheidung über meine weitere Mitgliedschaft in der von Ihnen geführten Regierung nicht erst mit ihrer Neubildung nach freien, allgemeinen, demokratischen und geheimen Wahlen, sondern schon jetzt in der unmittelbar nächsten Zeit zu treffen.«26

Schürer blieb auf ausdrücklichen Wunsch Modrows bis zur Umbildung der SPK im Januar 1990 noch im Amt. Mit einem Abberufungsschreiben Modrows vom 13. Januar 1990 endete nach 24 Jahren die Amtszeit Schürers als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission.27

Nachdem das SED-Politbüro in den 1980er-Jahren vergeblich nach einem Ausweg aus der Wirtschaftskrise gesucht hatte,28 wollte die neue Regierung zumindest versuchen, den totalen Kollaps der Wirtschaft zu verhindern. Der Modrow-Regierung schwanden jedoch nicht nur die ökonomischen, sondern auch die politischen Handlungsspielräume. Die Einschätzung der Wirtschaftslage, die Ministerpräsident Modrow in seiner Regierungserklärung am 17. November 1989 vorgetragen hatte, war illusionär. Denn er sprach zwar von »Gleichgewichtsstörungen«, aber auch von einem »überdurchschnittlichen Leistungsvermögen« der volkseigenen Betriebe im internationalen Vergleich. Die volkswirtschaftliche Substanz sei kräftig und tragfähig genug, um eine Stabilisierung in absehbarer Zeit zu erreichen.29 Dieser Einschätzung, die auch das SED-Politbüro kurz vor seinem Rücktritt am 3. Dezember 1989 teilte, stand das Unvermögen der SPK entgegen, im Angesicht der finalen Wirtschaftskrise einen Volkswirtschaftsplan für das Jahr 1990 aufzustellen.

Im November 1989 reiften innerhalb der Plankommission konzeptionelle Überlegungen zum Umbau von Struktur und Arbeitsweise der zentralen Planungsbehörde heran. Im Auftrag Schürers legte Harald Rost der Leitung am 24. November 1989 einen »Vorschlag zur künftigen Arbeitsweise der Staatlichen Plankommission unter den Bedingungen einer umfassenden Wirtschaftsreform« vor.30 Rost war seit 1980 stellvertretender Vorsitzender der SPK und in dieser Funktion für das Planungssystem und die EDV zuständig. Entsprechend seinem Vorschlag sollte die SPK nun nicht mehr als eine den Industrieministerien übergeordnete Planungsbehörde fungieren, sondern »gleichberechtigter Partner der anderen Ministerien« sein. »Notwendige Entscheidungen zu Grundfragen der Strategie und der Strukturpolitik sind entweder im Konsens mit den Ministerien oder mehrheitlich durch den Ministerrat zu treffen. Eine Durchsetzung von Vorstellungen der SPK mit Hilfe von Weisungen, Direktiven oder anderen administrativen Methoden ist nicht mehr möglich.«31 Damit trug Rost den Forderungen der Minister Rechnung, die seit vielen Jahren die restriktive Einmischung der Plankommission in die Planungsabläufe der Branchenministerien und in den Produktionsprozess der ihnen untergeordneten Kombinate beklagten.

Die wichtigste Aufgabe der Plankommission sah Rost in der »Ausarbeitung der volkswirtschaftlichen Gesamtstrategie für die ökonomische und soziale Entwicklung«. Hierzu war ein Beratungsgremium beim Vorsitzenden der SPK zu bilden, dem der Minister der Finanzen, der Präsident der Staatsbank, der Präsident der Deutschen Außenhandelsbank, der Minister für Wissenschaft und Forschung, der Präsident der Akademie der Wissenschaften, der Minister für Arbeit und Löhne sowie noch zu berufende Experten aus der Wirtschaftspraxis und der Wissenschaft angehören sollten. Mit der anzustrebenden Wirtschaftsreform verband Rost das Ziel, »eine planmäßig regulierte sozialistische Warenproduktion herauszubilden, in der die positiven Elemente staatlicher Planung mit dem selbständigen Agieren der Wirtschaftseinheiten auf dem Markt bei demokratischer Kontrolle durch die Gesellschaft verbunden werden«.

Aus der SPK und ihrem hauptamtlichen Apparat wurde am 18. Januar 1990 das Wirtschaftskomitee gebildet. Das von Rost im November 1989 vorgelegte Konzept fand weitgehend Eingang in den Ministerratsbeschluss vom 18. Januar 1990, der dem Wirtschaftskomitee folgende Aufgaben übertrug:32

Erarbeitung von Strategien und Prognosen für die Herausbildung einer effektiven, sozial und ökologisch orientierten Volkswirtschaftsstruktur;

Demokratisierung der Lenkung der Volkswirtschaft durch den Ministerrat und seine Organe auf der Grundlage der Selbstständigkeit der Betriebe und Kombinate;

Gewährleistung einer koordinierten Arbeit aller Organe des Ministerrates und Ermöglichung besserer Entscheidungsgrundlagen für den Ministerrat;

Berücksichtigung der ökologischen Erfordernisse bei der Entwicklung der Wirtschaft.

33

Als Leiter des Wirtschaftskomitees und Minister setzte der Ministerrat Karl Grünheid ein. Grünheid gehörte ebenso wie Schürer bereits seit den 1960er-Jahren zum Führungspersonal der Plankommission und konnte auf langjährige Erfahrungen an der Spitze verschiedener Ministerien und staatlicher Betriebe verweisen. Der gelernte Maurer hatte 1956 an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst sein Studium als Diplomökonom abgeschlossen und 1961 zum Thema »Die Planung der Ersatzinvestitionen im Industriezweig« promoviert. Von 1963 bis 1968 war Grünheid Stellvertreter des Vorsitzenden der SPK für die Jahresplanung und anschließend Generaldirektor im VEB Metalleichtbaukombinat Leipzig. 1971 kehrte er in die SPK zurück und wurde dort als Stellvertreter des Vorsitzenden für Außenwirtschaft eingesetzt. In den Jahren von 1983 bis 1989 fungierte er als Minister für Glas- und Keramikindustrie und im Herbst 1989 kurzzeitig als Minister für Maschinenbau.34

Staatssekretär im Wirtschaftskomitee wurde Wolfgang Greß, dessen bisherige Berufskarriere in ähnlicher Weise verlaufen war wie die von Grünheid. Der studierte Diplomökonom war von 1966 bis 1971 stellvertretender Minister sowie von 1971 bis 1979 Staatssekretär im Ministerium für Schwermaschinen- und Anlagenbau. Seit 1979 verantwortete er als Staatssekretär der SPK den Bereich Investitionen, Wissenschaft und Technik. Zudem gehörte er seit 1981 als Mitglied der Wirtschaftskommission beim Politbüro zum Kreis jener Funktionäre, die an der Schnittstelle zwischen Politik und betrieblicher Praxis wirtschaftspolitische Richtlinien der SED durchsetzten.35

Dem Wirtschaftskomitee gehörten ferner »in beratender Funktion« an: der Minister für Wissenschaft und Technik, der Minister für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft, der Minister der Finanzen und Preise, der Minister für Außenwirtschaft, der Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform sowie ein Kollegium aus ca. 25 Vertretern von Wirtschaft, Wissenschaft, Parteien und Organisationen. Als Rechtsnachfolger der SPK übernahm das Wirtschaftskomitee den zentralen hauptamtlichen Apparat der SPK mit seinen 1737 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (Stand Ende Dezember 1989).

Die Struktureinheiten des neu gebildeten Wirtschaftskomitees wurden von der SPK übernommen und waren noch stark an der früheren Planungsideologie der SED orientiert.36 In den Abteilungen des Wirtschaftskomitees waren Ende Januar 1990 1488 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt (ohne nachgeordnete Institutionen).37 Damit hatte sich die Zahl der Beschäftigten in den zentralen Verwaltungsbereichen seit Ende Dezember 1989 um 249 Mitarbeiter verringert. Allerdings kamen bis Mitte April 1990 mit dem Institut für angewandte Wirtschaftsforschung (das vormalige Ökonomische Forschungsinstitut der SPK), dem neu gegründeten Institut für Unternehmensführung sowie der Zentralstelle (das vormalige Ministerium) für Materialökonomie neu zugeordnete Institutionen hinzu, sodass sich die Zahl der Beschäftigten insgesamt auf 2751 erhöhte. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Anzahl der Beschäftigten des Wirtschaftskomitees und dessen nachgeordneter Institutionen:38

Übersicht über die Anzahl der Beschäftigten im Wirtschaftskomitee und in dessen nachgeordneten Institutionen vom April 1990

Struktureinheit

Beschäftigte

Wirtschaftskomitee

1442

Forschungsstelle

   26

Institut für angewandte Wirtschaftsforschung

  128

Staatliches Büro für Investitionsberatung

  114

Software- und Rechenzentrum

  281

Bibliotheken

   13

Schulungsheim

   40

Hausverwaltung

  146

Institut für Unternehmensführung

  257

Zentralstelle für Materialökonomie

  162

Büro für Artikelkatalogisierung

   48

Ökonomische Sicherstellung

   94

Gesamt

2751

Das Wirtschaftskomitee versuchte, sich mit lückenhaften Informationen und Statistiken aus den industriellen Ballungsgebieten einen Überblick über die desaströse Wirtschaftslage zu verschaffen. Sein Bericht »über die Lage der Volkswirtschaft und Schlußfolgerungen zur Stabilisierung« vom 23. Januar 1990 distanzierte sich »von einer sich ständig verfestigenden zentral-bürokratischen Verwaltungs- und Kommandowirtschaft« und einer »verfehlten Wirtschaftspolitik«, die zu einer »krisenhaften Situation« geführt habe. Des Weiteren war von einer »Mißachtung von marktgerechten Methoden und Formen der Wirtschaftstätigkeit sowie der Ignoranz gegenüber den objektiv wirkenden Wertkategorien und der offensichtlich gewordenen Ineffizienz des zentralistischen Systems der Leitung und Planung« die Rede. Gleichwohl stand die Tätigkeit des Wirtschaftskomitees nach wie vor vielfach in der Tradition einer Wirtschaftspolitik, die zentral gesteuert wurde. Zu den erklärten Zielen der Wirtschaftspolitik hieß es in dem Bericht:

»Es geht darum, den erreichten Stand des Lebensniveaus der Bevölkerung durch die Verwirklichung einer neuen Wirtschaftspolitik, verbunden mit einer radikalen Wirtschaftsreform, zu bewahren und nach Überwindung der krisenhaften Erscheinungen entsprechend der Stärkung der Leistungskraft schrittweise weiter zu erhöhen. […] Das Ziel der radikalen Wirtschaftsreform besteht darin, mit dem bisherigen System der zentral-bürokratischen Verwaltungs- und Kommandowirtschaft zu brechen und statt dessen zu einer Marktwirtschaft mit entwickelten Ware-Geld-Beziehungen überzugehen.«39