Vom Konflikt zur Versöhnung - John Paul Lederach - E-Book

Vom Konflikt zur Versöhnung E-Book

John Paul Lederach

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Beschreibung

Täglich werden wir mit Konflikten und ihren Folgen konfrontiert. Auf persönlicher wie auf politischer Ebene. Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Kirche und Gemeinde - es gibt keine Umgebung, die gegen Konflikte immun wäre. Und Kriege und Auseinandersetzungen, die eigentlich weit weg scheinen, kommen uns durch Flüchtlinge ganz nahe. Was bedeutet es, Jesus praktisch nachzufolgen, der Menschen mit Gott und untereinander versöhnt, der uns als Botschafter seines Friedens in die Welt sendet? Wie können Christen in dieser turbulenten Welt ihrem Auftrag gerecht werden? John Paul Lederach hilft uns, Konflikte besser zu verstehen. Und er ermutigt mit spannenden Erlebnisberichten und einem umfangreichen Praxisteil zu konkreten Schritten auf dem Weg zur Versöhnung - dem Weg zur Freiheit.

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Seitenzahl: 262

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John Paul Lederach

Vom Konflikt zur Versöhnung

Kühn träumen – pragmatisch handeln

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Eva Weyandt

Zu diesem Buch

Täglich werden wir mit Konflikten und ihren Folgen konfrontiert. Auf persönlicher wie auf politischer Ebene. Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz, Kirche und Gemeinde – es gibt keine Umgebung, die gegen Konflikte immun wäre. Und Kriege und Auseinandersetzungen, die eigentlich weit weg scheinen, kommen uns durch Flüchtlinge ganz nahe. Was bedeutet es, Jesus praktisch nachzufolgen, der Menschen mit Gott und untereinander versöhnt, der uns als Botschafter seines Friedens in die Welt sendet? Wie können Christen in dieser turbulenten Welt ihrem Auftrag gerecht werden?

John Paul Lederach hilft uns, Konflikte besser zu verstehen. Und er ermutigt mit spannenden Erlebnisberichten und einem umfangreichen Praxisteil zu konkreten Schritten auf dem Weg zur Versöhnung – dem Weg zur Freiheit.

Stimmen zu diesem Buch

„Dieses Buch könnte die Welt verändern. Zerrüttete Ehe? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Familienstreitigkeiten? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Gemeindespaltung? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Kriegführende Länder? Ganz ehrlich: Wenn es möglich wäre, die Führer der Welt so lange einzusperren, bis sie Vom Konflikt zur Versöhnung gelesen haben, wäre die Welt von Grund auf verändert.“

Bill und Lynne Hybels im Vorwort

„Ein hochgradig bewegendes und inspirierendes Buch! John Paul Lederachs Ruf an alle, die sich mit Versöhnung beschäftigen, ‚kühn zu träumen und mit enthusiastischem Pragmatismus‘ zu handeln, in dem er uns mit biblischen Werkzeugen und praktischen Empfehlungen ausrüstet, sollte von Pastoren, Studierenden und vor allem von Praktikern beherzigt werden.“

Piet Meiring, emer. Theologie-Professor der University of Pretoria, Mitarbeiter der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission

„So ein gutes Buch, leicht lesbar! Während ich mir zwar Sorgen mache über die Kriege und Konflikte, von denen ich in den Nachrichten lese, bin ich doch, wie die meisten Menschen, noch stärker mit meinen eigenen Beziehungen und den daraus sich ergebenden Konflikten beschäftigt. Dieses Buch ist für beides gut.

Leserrezension

„Selten hat mich ein Buch so hoffnungsvoll gestimmt, dass Versöhnung wirklich möglich ist - egal ob im Großen oder Kleinen. Egal ob zwischen Ländern, Nachbarn oder Familienmitgliedern. Lederach verbindet anschaulich Erfahrungen aus seiner langjährigen Arbeit mit theologischer Reflexion. Ein Buch, das jeder lesen sollte, der sich nach mehr Frieden sehnt.“

Karsten Hüttmann, 1. Vorsitzender Christival (Leiter des Referats für missionarisch-programmatische Arbeit im CVJM-Gesamtver-band in Deutschland e. V.)

Über den Autor

John Paul Lederach, Jahrgang 1955, engagiert sich seit mehr als 30 Jahren in der internationalen Versöhnungsarbeit. Der promovierte Soziologe entwickelte ein Trainingsprogramm zur Konflikttransformation und bietet auf fünf Kontinenten direkte Mediation und Unterstützung bei Versöhnungsbemühungen in Konfliktregionen mit besonders gewalttätigen Auseinandersetzungen an. Lederach war als Berater höchster Regierungsvertreter und nationaler Oppositionsbewegungen in vom Krieg erschütterten Ländern wie Nicaragua, Somalia, Nordirland, Kolumbien, Nepal und auf den Philippinen tätig.

Als Professor für International Peacebuilding und Direktor des Kroc Institute for International Peace Studies an der Universität von Notre Dame ist der Friedensforscher Mitbegründer des Center for Justice and Peacebuilding an der Eastern Mennonite University in Harrisonburg in Virginia. Er ist Autor von 22 Büchern und Handbüchern und zahlreicher akademischer Artikel und Monografien zu Friedenserziehung, Konflikttransformation und Mediationstraining. Lederachs Bücher wurden in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt, und er ist als Redner, Berater und Mediationstrainer international gefragt: an den Universitäten Oxford und Harvard ebenso wie in Barcelona, Uppsala, Lillehammer oder Kopenhagen. John Paul Lederach wurde bereits vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit zwei Ehrendoktortiteln.

Lederach teilt seine Zeit zwischen Indiana und Colorado auf. Er ist verheiratet mit Wendy S. Liechty. Das Ehepaar hat zwei Kinder, Angie und Josh.

Impressum

Dieses Buch als E-Book: ISBN 978-3-86256-772-0

Dieses Buch in gedruckter Form:

ISBN 978-3-86256-068-4, Bestell-Nummer 590 068

Die englische Originalausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel Reconcile: Conflict Transformation for Ordinary Christians. Copyright © 2014 Herald Press, Harrisonburg, Virginia 22802, USA. All rights reserved.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar

Bibelzitate, sofern nicht anders angegeben, wurden der Lutherbibel in der revidierten

Fassung von 1984 entnommen © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Lektorat: Lukas Baumann

Korrektorat: Dr. Marcus Weiand

Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson

Umschlagbild:AndrewMayovskyy/Shutterstock.com

Satz: Neufeld Verlag

© 2016 Neufeld Verlag Schwarzenfeld

Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

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Der Verlag dankt dem ComPax Institut für Konfliktttransformation für die Unterstützung bei der Herausgabe dieses Buches

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Inhalt

Zu diesem Buch

Stimmen zu diesem Buch

Über den Autor

Impressum

Vorwort von Bill und Lynne Hybels

Einleitung

Geschichten am Wegrand der Straße zur Versöhnung

Versöhnung in den Vordergrund rücken

Kapitel 1: Gefahr für mein einziges Kind

Opfer für einen Feind

Frieden: Eine utopische Fantasie oder ein biblischer Traum?

Träumen

Auf ein biblisches Verständnis hin

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 2: Sich dem Angesicht Gottes zuwenden: Jakob und Esau

In den Konflikt hineingeboren

Den Segen weitergeben

Die Abwendung

Die Zuwendung

Die Begegnung

Die Umarmung

Versöhnung als Reise

Versöhnung als Begegnung

Versöhnung als Ort

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 3: Die Kunst der Versöhnung: Jesus

Jesus und die Kunst des Präsentseins

Liebe deinen Nächsten: Menschlichkeit wahrnehmen

Liebe dich selbst: Selbstreflexion und Selbstfürsorge

Liebe Gott: Begleitung

Jesus missbrauchen

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 4: Im Anfang war der Konflikt: Schöpfung

Schöpfungsversprechen

Die Menschen: Eine dynamische Mischung

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 5: Wenn der Konflikt tobt und wir um Hilfe schreien: Die Psalmen

Da ist der Gringo – schnappt ihn euch!

Der Colonel

Passen Sie auf, gegen wen oder was sich Ihr Hass richtet

Der Schrei des Psalmisten

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 6: Wahrheit, Gnade, Gerechtigkeit und Friede: Psalm 85

Schwester Wahrheit, Bruder Gnade

Die Versammlung

Raum für alle, Gehör zu finden

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 7: Wo zwei oder drei zusammenkommen: Matthäus 18

Praktische Richtlinien

Schritt 1: Direkter Ansatz

Fragen an uns selbst

Schritt 2: Beteiligung von einem oder zwei Zeugen

Schritt 3: Der Gemeinde mitteilen

Schritt 4: Beziehung pflegen wie mit einem Zöllner

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 8: Schweigen und Zuhören: Apostelgeschichte 15

Prinzipien und Schritte für den Umgang mit einem Konflikt

Zuhören: Die geistliche Dimension des Konflikts

Auswirkungen für Gemeinden

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Kapitel 9: Versöhnung ist das Evangelium: Die Briefe des Paulus

Der Zweck des Auftrags Gottes

Alle Dinge kommen zusammen

Eine neue Menschheit

Versöhnung statt Reinheit

Echte Sühne

Pedritos Traum

Sam Does Traum

Der Traum von Versöhnung

Impulse zur Vertiefung und Reflexion

Praxisteil

I. Hilfen zum Verständnis eines Konflikts

Zwischenmenschliche Konflikte

Gemeindekonflikte

Globale Konflikte

II. Materialien für Gottesdienste

Gebete

Theaterstück zu Psalm 85

Literatur

Christliche Organisationen und Gemeinschaften

Mehr aus dem Neufeld Verlag: Dem anderen als Mensch begegnen

Mehr aus dem Neufeld Verlag: Mit fremden Freunden leben

Mehr aus dem Neufeld Verlag: Eine Kultur des Friedens

Mehr aus dem Neufeld Verlag: Von Liebe und Widerstand

Wendy und ich widmen dieses Buch unseren Eltern

John M. und Naomi K. Lederach und Omer und Mary Liechty,

denen wir Unterstützung, Orientierung und Liebe

für die lebenslange Glaubensreise verdanken.

Vorwort von Bill und Lynne Hybels

In meiner Predigt am 8. Dezember 2013 habe ich (Bill) behauptet, eines Tages würden B1-Bomber ausschließlich dazu eingesetzt werden, um nach einem Tsunami oder Erdbeben Nahrungsmittel und Notfallversorgungsgüter in die Katastrophengebiete zu bringen. Flugzeugträger würden in schwimmende Lazarette umgewandelt, in denen Flüchtlinge und andere bedürftige Menschen Hilfe fänden, und die gebündelten Militärausgaben aller Länder der Welt würden dazu verwandt, das Leben zu verbessern, und nicht den Tod zu vermehren.

Meine auf die heutige Zeit übertragene Auslegung von Jesajas großer Vision, in der Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet werden, fand die Zustimmung meiner Gemeinde. In unseren Herzen feierten wir gemeinsam einen Tag in der Zukunft, wenn Realität wird, was in der Bibel zu lesen ist: »Keine Nation wird mehr gegen eine andere ziehen und sie werden nicht mehr lernen Krieg zu führen« (Jesaja 2,4). Der Tag, an dem Kriegskameraden zu Friedenskameraden werden. Der Tag, an dem die größten und kreativsten Denker mit Menschen, die reinen Herzens sind, zusammenarbeiten werden – strategisch, mutig und auf Dauer, um Frieden zu schaffen. In der bedeutendsten Predigt aller Zeiten sagt Jesus: »Selig sind die Friedfertigen« (Matthäus 5,9). Und wir sind der Meinung, das hat er ernst gemeint!

Doch die Welt scheint noch nicht gleichgezogen zu haben. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind, wie Lederach ausführt, 236 aktive Kriege in 150 Ländern zu verzeichnen. Millionen Menschen haben dadurch ihr Leben verloren. Ich (Lynne) bin vor Kurzem aus Jordanien zurückgekehrt. Dort erzählten mir syrische Flüchtlinge von Tod und unvorstellbarer Gewalt. »In Syrien gibt es keine Kinder mehr«, sagte eine Frau. »Sogar ein Vierjähriger kann Krieg und Brutalität beschreiben. Das ist keine Kindheit.« Dieser Krieg und viele andere sind immer noch im Gange.

Leider sind die meisten amerikanischen Evangelikalen schneller geneigt, für den Krieg zu stimmen, als sich für den Frieden einzusetzen. Das soll nicht als Anklage verstanden werden, sondern als ein Eingeständnis. Seit vier Jahrzehnten hat Gott uns nun schon Leitungsverantwortung in christlichen Gemeinden anvertraut. Aber erst in den vergangenen Jahren haben wir unsere Augen, unseren Geist und unsere Herzen geöffnet für die Aufforderung in der Bibel, Frieden zu stiften und sich für Versöhnung einzusetzen. Gott, vergib uns.

Abgesehen von dem klaren biblischen Auftrag, »den Weg des Friedens zu finden« (Lukas 19,42), gibt es noch andere, sehr pragmatische Gründe, die uns veranlassen, uns für den Frieden einzusetzen. Die zerstörerischen Auswirkungen von Krieg sind uns nicht unbekannt. Zusammen mit vielen amerikanischen Gemeinden engagieren wir uns zunehmend für betroffene Menschen auf der ganzen Welt. Wir sind zur Barmherzigkeit und gerechtem Handeln aufgerufen, und darum unterstützen wir einheimische Christen vor Ort, die sich in ihrer Gemeinschaft als Hände und Füße Christi gebrauchen lassen – und wir freuen uns über das, was sie erreicht haben! Leider mussten wir viel zu häufig auch miterleben, wie das, was sie erreicht hatten, durch gewaltsame Auseinandersetzungen wieder zunichte gemacht wurde. Der Krieg macht vor nichts halt. Er zerstört die Infrastruktur eines ganzen Landes, und selbst kleine Kinder fallen ihm zum Opfer. Wenn uns die betroffenen Menschen in der Welt am Herzen liegen, dann müssen wir uns für den Frieden einsetzen.

Als wir beschlossen, uns näher mit der Kunst des Friedenstiftens zu beschäftigen, stießen wir immer und immer wieder auf einen Namen: John Paul Lederach. Wir begannen also, Lederach zu lesen. Und lasen weiter Lederach. Und lesen ihn noch immer. Und wir raten Ihnen: Lesen Sie Lederach!

Aber Vorsicht! Obwohl sich dieses Buch an der Bibel orientiert und viele praktische Hinweise gibt, ist es gefährlich. Es wird Ihr Leben durcheinander bringen. Nicht weil darin von Ihnen gefordert wird, durch die Welt zu reisen und sich mit Feinden zusammenzusetzen, wie John Paul Lederach es tut. Vielleicht ist das Ihr Auftrag, aber das ist nicht, was Ihnen zu schaffen machen wird. Durcheinanderbringen wird Sie, dass Sie sich den Kriegen in Ihrem eigenen Herzen werden stellen müssen, Ihren eigenen zwiespältigen Einstellungen und Verhaltensweisen, Ihren eigenen unversöhnten Beziehungen. Wenn Sie Lederachs Eingeständnis lesen, dass er fähig ist, »sich schnell und mühelos Feinde zu schaffen«, werden Sie sich eingestehen müssen: »Ich auch, ich auch, ich auch«. Und glauben Sie uns: Es tut weh, sich einer solchen Erkenntnis stellen zu müssen.

Aber es ist ein Schmerz, der zu Heilung und Veränderung führt. Lederach lädt uns ein, »uns Gott und einander« zuzuwenden, und er zeigt uns, wie das möglich wird.

Dieses Buch könnte die Welt verändern. Zerrüttete Ehe? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Familienstreitigkeiten? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Gemeindespaltung? Lesen Sie Vom Konflikt zur Versöhnung. Kriegführende Länder? Ganz ehrlich, wenn es möglich wäre, die Führer der Welt so lange einzusperren, bis sie Vom Konflikt zur Versöhnung gelesen haben, wäre die Welt von Grund auf verändert. Sie hätte ein bisschen mehr Ähnlichkeit mit dem Reich Gottes.

Lederach hat das Auge und die Stimme eines Propheten. Er erkennt sogar unsichtbare Realitäten und macht uns Mut, einen heiligen Traum zu leben. Wir laden Sie ein, sich uns anzuschließen und sich – wie wir – sein Bemühen zu eigen zu machen, sich für Gottes Werk der Versöhnung zu engagieren.

Bill und Lynne Hybels,

Mitgründer der Willow Creek Community Church

Einleitung

In den vergangenen 30 Jahren hatte ich Gelegenheit, an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Welt tätig zu sein, oft in Ländern, die von Kriegen und Konflikten zerrissen waren. Meine Bemühungen um Frieden haben mich nach Kolumbien und Zentralamerika, Somalia, Kenia, Äthiopien und in Teile Westafrikas geführt, ins Baskenland, nach Nordirland, auf die Philippinen, nach Burma und Nepal. Ich werde häufig an den Klassiker von Chinua Achebe erinnert. Unter dem Titel Alles zerfällt beschrieb Achebe die gewaltigen Veränderungen, die sein Heimatland Nigeria in den frühen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts zu verkraften hatte. Es scheint, als lebten wir in einer Zeit, in der vieles zerbricht. Nicht nur Völkerstaaten brechen auseinander, wir erleben auch verstärkt das Aufflackern von ethnischen und religiösen Konflikten.

Morgens habe ich beinahe Angst, die Zeitung aufzuschlagen und zu lesen, was sich am Vortag zugetragen hat. Angesichts dieser Realitäten in unserer Welt muss man schon blind sein oder Nerven wie Drahtseile haben, um über Versöhnung zu schreiben. Vielleicht braucht man aber auch nur Glauben und Hoffnung.

Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, bei der es um Versöhnung und Frieden geht, weiß ich nicht so genau, wie ich die Herausforderungen beschreiben soll, die diese Arbeit an uns stellt, oder die tiefe Zufriedenheit, die ich dabei empfinde. Ich möchte auch die theologischen Grundlagen aufzeigen, die einem Engagement in diesem Bereich zu Grunde liegen. Bevor ich bei einer Zusammenkunft ans Rednerpult trat, gab mir meine Tochter Angie den besten Rat, den ich seit Langem erhalten hatte: »Daddy, erzähle einfach nur Geschichten und vergiss alles andere!«

In diesem Buch soll es um die Herausforderungen des realen Lebens gehen und um das Verständnis von Versöhnung in unserer heutigen Welt. Das werde ich anhand von Erlebnissen und Geschichten herausarbeiten. Geschichten sind etwas anderes als Definitionen, Exegesen und theoretische Erklärungen. Sie können an die Stelle einer Person treten, eines Menschen, mit dem wir interagieren und von dem wir lernen, einer Person, mit der wir uns auseinandersetzen und der wir widersprechen oder die uns bestätigt und herausfordert. Geschichten erreichen unsere Herzen und unseren Verstand. In der Mediation und der Konflikttransformation nehmen wir häufig Geschichten zur Hilfe. Geschichten zu erzählen und anzuhören, ist notwendig. Davon sind wir überzeugt. Wir bemühen uns, einen Raum zu schaffen, in dem die Erlebnisse, die durch die Geschichten der Menschen zum Ausdruck kommen, wertgeschätzt werden.

Geschichten am Wegrand der Straße zur Versöhnung

Als Mediator, der sich mit extrem schwierigen, schmerzlichen und häufig von Gewalt geprägten Situationen konfrontiert sieht, habe ich festgestellt, dass Geschichten wie Seelengefährten sind, mit denen wir umherziehen. Gelegentlich geraten wir aneinander, doch meistens sind wir Seite an Seite unterwegs. Manchmal eröffnen sich mir in einer Geschichte, auch wenn ich sie in- und auswendig kenne, neue Erkenntnisse, Gefühle, Herausforderungen und Trost. In Geschichten finde ich mich selbst. Und eine Verbundenheit mit anderen.

Ein Konflikt lässt sich ebenfalls mit einer Reise vergleichen. Wir reden davon, dass wir uns in einen Schlamassel, ein Problem oder eine »dumme Situation« hinein- und auch wieder herausmanövrieren. Wir versuchen herauszufinden, »wo wir stehen« in Bezug auf ein Thema, oder wo jemand mit einer verrückten Idee »hin will«. In unserem Sprachgebrauch reden wir von einer Reise. In einem Konflikt erkennen wir uns selbst und andere mehr als bei jeder anderen Erfahrung unseres Lebens auf eine ganz neue und tief gehende Weise, und wir trachten danach, Wahrheit und Liebe in uns wieder herzustellen. Wenn wir uns die Mühe machen, über die Worte und Konfliktthemen hinauszuschauen, sehen wir Gott.

Tief greifende Konflikte sind sehr schmerzlich und aufreibend. Schlimmstenfalls sind sie mit Gewalt behaftet und zerstörerisch. Doch gleichzeitig ermöglichen sie überaus intensive geistliche Begegnungen, wie wir sie selten erleben können. Ein Konflikt eröffnet einen Weg, einen heiligen Weg, zu Offenbarung und Versöhnung.

In diesem Buch geht es um Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich auf diesem heiligen Weg sammeln konnte. Es sind Erlebnisse von meiner Reise zur Versöhnung. Ich werde Geschichten erzählen, die ich gehört oder selbst erlebt habe und aus denen ich immer noch neue Erkenntnisse gewinne, wann immer ich sie weitergebe. Diese Erzählungen sind wie ein Fenster auf Konflikt und Versöhnung.

Meine persönliche Geschichte ist die eines Gläubigen, eines Friedenstifters und Mediators, eines Soziologen, Lehrers und eines stets Lernenden. In diesem Buch tue ich nicht so, als würde ich eine ausgefeilte soziologische Theorie der Versöhnung entwickeln oder ein Handbuch für den Umgang mit Konflikten schreiben. Mir geht es um etwas ganz anderes. Ich möchte die geistlichen Grundlagen für meine Arbeit als einer, der sich beruflich und wissenschaftlich mit dem Friedenstiften beschäftigt, erforschen. Mit Ihnen zusammen möchte ich meine Einstellung zu den Herausforderungen meiner Arbeit und den geistlichen Dimensionen überprüfen, die mich motivieren und mir Kraft zum Durchhalten geben.

Versöhnung in den Vordergrund rücken

Die erste Ausgabe dieses Buches verfasste ich vor mehr als fünfzehn Jahren, und meine Leser kamen in erster Linie aus den täuferischen Gemeinden, zu denen auch ich gehöre. Die Täuferbewegung, zu der sich die Mennoniten, die Amischen, die Brethren in Christ und Gemeinschaften zählen, die zu den Glaubenstraditionen der Brethren in Christ gehören, entstand während der Reformation und existiert in einer Vielzahl von Formen bis auf den heutigen Tag. Die Mitglieder der täuferischen Glaubenstraditionen praktizieren die Erwachsenentaufe, befürworten einen einfachen Lebensstil, den Dienst am Mitmenschen und eine pazifistische Orientierung in Bezug auf die Heiligkeit des Lebens als zentralen Inhalt des Evangeliums. Natürlich werden diese Werte nicht nur bei den Täufern hoch gehalten, und ich entdecke bei mir auch den Einfluss von Lehrern und Mentoren aus der Quäker-Tradition. In täuferischen Glaubensgemeinschaften nehmen sie jedoch einen hohen Stellenwert ein. Diese Menschen des Glaubens haben in mir den Wunsch geweckt, mich um den Frieden zu bemühen, und mir einen Kompass für meine Reise mitgegeben. Ich bin ihnen verpflichtet.

Seit jener ersten Fassung dieses Buches hat sich jedoch das Interesse an Frieden und Versöhnung als Kernelemente des Evangeliums Christi über die täuferische Bewegung hinaus verbreitet. Auch wenn für viele evangelikale, protestantische und katholische Großkirchen das Bemühen um Frieden lange Zeit ein zentrales Element ihres Glaubens war, so hat sich in den vergangenen Jahren dieses Bemühen in den protestantischen und katholischen Kirchen noch verstärkt. Und wir können feststellen, dass die Friedensbemühungen auch in anderen religiösen Traditionen, die nicht zum christlichen Glauben gehören, intensiver erforscht werden. Doch ich hoffe, dass die Gedanken, Geschichten und Überlegungen in dieser überarbeiteten Fassung eine Vielzahl von Menschen ansprechen werden, die eine tiefe Sehnsucht empfinden und eine Berufung, die aus der vom Glauben inspirierten Reise entspringt.

Einige Worte des Dankes sind angebracht. Ich bin dankbar für die Beiträge anderer, die diese Ausgabe des Buches abrunden. Mein Dank gilt den Mitarbeitenden des Lektorats und der Marketingabteilung von Herald Press, die sich für eine Neuauflage dieses Buches eingesetzt und es während des Entstehungsprozesses bis zur Veröffentlichung begleitet haben.

Ich wünsche mir, dass die Leser durch die hier erzählten Geschichten Heilung finden und Eingang in die Beloved Community, wie Martin Luther King sie nannte, indem sie sich der unschönen Herausforderung der Konflikttransformation stellen und sich um den Frieden bemühen. Durch dieses Buch hoffe ich, meine Überzeugungen transparent zu machen und in einen Dialog einzutreten, in erster Linie mit den Angehörigen des christlichen Glaubens.

Wenn wir den Auftrag, uns um Versöhnung zu bemühen, annehmen wollen, müssen wir kühne Träume haben und uns gleichzeitig mit einem begeisterten Pragmatismus an die Arbeit machen, um diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Wir stehen vor der Herausforderung, uns selbst mit der zentralen Vision der versöhnenden Gegenwart Gottes und seines Wirkens in der Geschichte der Menschen in Einklang zu bringen.

John Paul Lederach

KAPITEL 1

Gefahr für mein einziges Kind

Es kann vorkommen, dass ein Ereignis das Leben eines Menschen für immer verändert. Auch Jahre später noch steht es ihm mit einer lebendigen Deutlichkeit und Unmittelbarkeit vor Augen. Bei mir war es ein Telefonanruf, den ich eines Abends bei uns zu Hause in San José in Costa Rica entgegennahm.

Als das Telefon läutete, lag ich im Bett und las meiner damals dreijährigen Tochter Angie ein Buch vor. Ein einflussreicher Miskito-Führer im bewaffneten Widerstand, der gegen die nicaraguanische Regierung kämpfte, war am anderen Ende der Leitung. Seine Stimme war mir vertraut. In den sich überstürzenden Ereignissen des Jahres 1987 war er mir ein guter Freund geworden.

»John Paul«, sagte er, »ich habe brisante Neuigkeiten. Eine seriöse Quelle hat mich darüber informiert, dass die Entführung deiner Tochter geplant wird. Du bist hier nicht erwünscht.«

Während ich diese Worte aufschreibe, spüre ich immer noch den Schauer, der mir über den Rücken lief, wie das Blut aus meinem Gesicht wich und wie mein Herz klopfte.

»Was redest du da?« Mein Mund war so trocken, dass mir kaum ein zusammenhängender Satz über die Lippen kam.

»Am Telefon kann ich dir keine Einzelheiten nennen. Wir reden morgen. Aber hör zu, die Lage ist sehr ernst. Es hat mit den Jungs mit den drei Buchstaben zu tun.« Mir war klar, dass er die CIA meinte (Central Intelligence Agency, der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst). »Deine Frau muss alle ihre Gewohnheiten ändern. Sie soll deine Tochter morgen nicht zur Schule bringen, auf keinen Fall die Tür öffnen. Und sehr gut aufpassen.«

Diese Worte klangen in meinen Ohren irreal, erschienen mir wie ein schlechter Traum. Ich brachte kein Wort über die Lippen, aber ich konnte das auch nicht einfach so stehen lassen.

»Komm schon«, hörte ich mich sagen. »Wie ernst ist es?«

Seine letzten Worte werde ich nie vergessen. »John Paul, jetzt bist du einer von uns.«

Ich legte den Hörer auf und ging zu Angie zurück, die immer noch nicht eingeschlafen war. Meine Gedanken überschlugen sich. Eine Frage quälte mich sehr nachhaltig: In was für eine Lage hatte ich uns da gebracht?

Mir ging es darum, Frieden zu stiften. Ich gehörte zu einer Gruppe Kirchenleiter, deren Anliegen es war, die Führer der nicaraguanischen Regierung, die Sandinisten und die Anführer der Miskitos, einer Widerstandsbewegung an der Ostküste des Landes, zusammenzubringen. Die Verhandlungen zielten darauf ab, einen fast acht Jahre andauernden Krieg zu beenden. Andere Mediatoren lebten im Land, aber wegen der angespannten Beziehungen zwischen Nicaragua und seinen Nachbarstaaten hatten sie mit Reiseeinschränkungen zu kämpfen.

Während der Monate, die diesem Telefonanruf vorausgingen, war ich der Kommunikationskanal zwischen den Oppositionsführern in Costa Rica und den führenden Sandinisten in Managua (Nicaragua) gewesen. Immer wieder übermittelte ich Botschaften von hier nach da.

Am Tag nach dem Anruf brachten wir meine Familie außer Landes, nachdem wir noch beängstigendere Informationen bekommen hatten. In den darauf folgenden Wochen und Monaten kehrte ich auf eigene Faust nach Costa Rica zurück, um die Arbeit fortzusetzen. Die Verhandlungen kamen zustande und am Ende konnte auch ein Waffenstillstand vereinbart werden.

Doch während dieser Zeit verstärkten diejenigen, die keine separate indigene Vereinbarung wollten, den Druck und die Anwendung von Gewalt. Seit jener schlaflosen Nacht quält mich der nagende Gedanke: Die Bemühung um Frieden ist ein edles Anliegen, aber zu welchem Preis?

Opfer für einen Feind

Viele Kinder, die die Sonntagsschule besuchen, lernen Johannes 3,16 auswendig. Dieser bekannte Vers aus der Bibel hat seit unserer Zeit in Zentralamerika und meiner Arbeit in den Krisengebieten eine ganz neue Bedeutung gewonnen. Traditionell verstehen wir Johannes 3,16 als eine Glaubensformel. Wir neigen dazu, die Betonung auf den Teil zu legen, wo es heißt: »damit alle, die an ihn glauben, … das ewige Leben haben.« Was zählt, ist der Glaube.

Johannes 3,16

Denn also hat Gott die

Welt geliebt, dass er seinen

eingeborenen Sohn gab, damit

alle, die an ihn glauben, nicht

verloren werden, sondern das

ewige Leben haben.

Sehen wir noch einmal genau hin. In dem Vers geht es um ein Elternteil, das ein Kind aufgibt. Als Eltern, deren Kind bedroht wurde, haben Wendy und ich diese Geschichte viel zu real erlebt. Die Geburt unserer Ältesten Angie und ihres jüngeren Bruders Joshua war für mich ein kostbares Geschenk. Trotz aller Herausforderungen, des Energieaufwands, der schlaflosen Nächte und der Streitigkeiten unter den Geschwistern ist das Geschenk eines Lebens, das in unsere Hände gelegt wird, damit wir es umsorgen, lieben und aufwachsen sehen, einfach unvergleichlich.

Darum hatte mich dieser Telefonanruf wachgerüttelt und mich zu einer anderen Sichtweise veranlasst. Ich wurde mit der Realität des höchsten Opfers konfrontiert. Als ich sagte, angesichts der Nachricht hätte ich an jenem Abend gespürt, wie das Blut aus meinem Gesicht wich, meinte ich es wörtlich. Es war, als würde mein Herz auseinandergerissen.

Eine Bedrohung meines eigenen Lebens konnte ich aushalten, aber wie könnte ich hinnehmen, dass das Leben meines einzigen Kindes bedroht wird? Welche Aktivitäten wären es wert, das Leben meiner Tochter in Gefahr zu bringen? Könnte ich für die Friedensbemühungen in Nicaragua das Leben meines Kindes opfern? Denken Sie einmal darüber nach. Gibt es etwas, das Ihnen so wichtig ist, dass Sie Ihr Kind aufgeben würden, um Ihr Ziel zu erreichen?

In Johannes 3,16 erfahren wir, dass dem Bemühen Gottes um Versöhnung diese Entscheidung für das Opfer zugrunde liegt. Als Vater und Mensch kann ich nicht begreifen, dass Gott als Elternteil dieses so kostbare Geschenk hingibt, um streitlustige Feinde, die schlicht falsch liegen, mit sich zu versöhnen.

Ein Opfer für die Familie oder Freunde kann ich noch verstehen. Ich würde zum Beispiel nicht zögern, einer riskanten Bluttransfusion zuzustimmen oder mein Leben in Gefahr zu bringen, wenn ich dadurch das Leben meines Kindes retten könnte. Dies jedoch für einen Feind zu tun, ist für mich unvorstellbar.

Ich kann den Vers 16 aus Johannes, Kapitel 3, nicht mehr als eine Kurzformel für die Erlösung sehen. Ich verstehe ihn als ein grundlegendes Prinzip für Versöhnung. Es ist eine Ethik, die auf der Bereitschaft basiert, für einen Feind das höchste Opfer zu bringen. Ein Verhalten, das durch die grenzenlose Liebe und Gnade Gottes gestützt und möglich gemacht wird.

Diese Liebe habe ich auf vielerlei Weise erlebt. Sie hat nicht nur meine Familie in Zentralamerika beschützt, sondern auch eine Fülle von Unzulänglichkeiten ausgeglichen. Mein Wunsch ist es, die Welt mit dieser Liebe bekannt zu machen, aber mir wird klar, dass ich ihre wirkliche Höhe und Tiefe kaum erfasst habe. Immer wieder stelle ich fest, dass ich versage. Ich bin gar nicht in der Lage, sie zu praktizieren und aus ihr zu leben. Ich weiß nur, dass diese Liebe am Ende das Leben erhält und der Kern des Wesens Gottes ist, des Gottes, der Versöhnung sucht mit dem Feind, indem er sich selbst opfert.

Frieden: Eine utopische Fantasie oder ein biblischer Traum?

In den vergangenen Jahren habe ich viel mit lang andauernden Konflikten und Kriegen zu tun gehabt. Das ist auch heute noch so. Diese Arbeit hat mich angreifbar gemacht, wie die Geschichte mit dem Telefonanruf zeigt. Doch da gibt es nicht nur den persönlichen Aspekt. Die Ursachen für die Entstehung eines Krieges sind sehr komplex und setzen sich aus vielen verschiedenen Handlungsebenen und ihren Konsequenzen zusammen. Diese Ursachen sind zurückzuführen auf Feindseligkeiten und Streitigkeiten zwischen den Menschen, die Generationen zurückreichen. Sie betreffen auch ganze Völker und ihre sehr ausgeprägten unterschiedlichen Interessen.

Christen reden oft vom Frieden. Manchmal meinen wir damit den persönlichen, inneren Frieden, den ein Mensch empfindet, der mit Gott ins Reine gekommen ist. Wir verwenden das Wort Frieden auch im Zusammenhang mit harmonischen Beziehungen innerhalb der Familie, im Freundeskreis und zu den Kollegen. In vielen Kirchen kommt der Ausdruck Frieden in einem anderen Kontext gar nicht vor. Die Art von Frieden, der gute Beziehungen auf nationaler oder globaler Ebene zum Thema macht, kann bedrohlich wirken oder politisiert. Vielleicht übersteigt ein solcher Friede auch einfach unsere Vorstellungskraft. Die Bemühung um internationale Versöhnung und Frieden ist eine höchst komplexe Aufgabe, und viele von uns sind nicht einmal in der Lage, auch nur informiert dafür zu beten. Wir denken vielleicht, wir hätten nichts anzubieten: Wenn es uns schon schwer fällt, mit unseren Familien oder den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde in Frieden zu leben, wie können wir da annehmen, wir hätten angesichts der andauernden internationalen Konflikte etwas einzubringen? Es gelingt uns kaum, die Gefühle und Wahrnehmungen der Menschen nachzuempfinden, die sich mit kriegerischen Auseinandersetzungen konfrontiert sehen. Wir möchten gern helfen und dazu beitragen, einen Raum für Versöhnung zu schaffen, das wild wuchernde Unkraut des Krieges ausreißen, damit Frieden gepflanzt werden kann. Doch dieses Ziel scheint in weiter Ferne zu liegen. Es erscheint uns hoffnungslos – ein utopischer Traum.

Eine ganze Weile habe ich mich für diese menschliche Aktivität interessiert, die gemeinhin als träumen bekannt ist. Zum ersten Mal wurde ich mit dem Träumen konfrontiert durch eine Frage, die mir gestellt wurde: »Was willst du werden, wenn du groß bist?« Später dann hat mich diese Frage zunehmend geärgert. Doch als Kind war sie aufregend und ließ unendlich viele Möglichkeiten offen. Ich begegnete dieser Frage mit der Unschuld großer Augen und unbegrenzter Ideen. Buchstäblich alles war möglich.

Meine erste Antwort auf diese Frage wird in meiner Familie immer noch erzählt. Einige wohlmeinende Erwachsene hatten mir und ein paar Freunden diese Frage nach einem späteren Beruf und einer späteren Identität gestellt. Ein Freund antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Feuerwehrmann.« Der zweite: »Arzt.« Und dann sagte ich im Brustton der Überzeugung: »Ich möchte ein Fußball werden.«

Der Prozess des »erwachsen« und »reif« Werdens reißt uns aus den Kindheitsträumen, aus der Unschuld in Bezug auf das Mögliche und katapultiert uns in die Realitäten des Erwachsenseins. Erwachsen werden scheint gleichbedeutend zu sein mit »realistisch werden«. Wir sollen Teil der realen Welt werden. Doch mich bekümmert, was wir während dieses Prozesses verlieren. Um es ungeschminkt auszusprechen: Ich habe Sorge, dass eine bestimmte menschliche Spezies ausstirbt: Der Träumer.

In unserer heutigen Zeit gibt kaum noch Träumer. Ich zitiere gern die Worte von Langston Hughes. In mehreren seiner Gedichte bringt er eine ähnliche Sorge zum Ausdruck. In seinem Gedicht The Dream Keeper (Der Traumwächter) fordert Hughes uns auf, alle unsere Träume vor den »viel zu groben Fingern der Welt« zu schützen. Im Gedicht Dreams rät uns der Dichter, »an Träumen festzuhalten«, denn ohne sie sei das Leben »eiskalt« und »öde«, gestrandet wie ein »Vogel mit gebrochenem Flügel«.

Träumen

Beim Träumen geht es, einfach ausgedrückt, um eine Verknüpfung der Gegenwart mit der Zukunft. Meiner Meinung nach gibt es mindestens zwei verschiedene Möglichkeiten, die Gegenwart und die Zukunft miteinander in Verbindung zu bringen. Die erste können wir den sogenannten Zukunftsforschern zuordnen. Das sind zum Beispiel Menschen, die aus der Hand lesen, Börsenmakler und Experten wie Alvin Toffler und John Naisbeth, die schon früh bestimmte Entwicklungen vorausgesehen haben, oder neuere Prognostiker wie die, die Trends in der Technologie oder Politik voraussagen. Anhand von bestimmten Zeiterscheinungen sagen sie voraus, wo wir in der Zukunft stehen werden. Einfach ausgedrückt, sie schauen auf das, was ist, und vermuten basierend auf diesen Realitäten, was sein wird. Das nennen wir Realismus. Die andere Art des Träumens hat mit prophetischem Blick und prophetischer Stimme zu tun.

Realismus. Wenn wir uns die Realitäten auf der Welt nüchtern ansehen, ist das, was wir sehen, herausfordernd und überwältigend zugleich. Die Menschheit auf dem Planet Erde, auf dem wir leben, leidet Not. Sehen wir doch nur für einen kleinen Moment durch ein paar Fenster in dieses Haus, das wir Menschen unser Zuhause nennen. Beobachten wir doch einmal, wie wir uns in der realen Welt organisieren.

Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts begann mit dem Ausbruch des Golfkriegs. Im Golfkrieg haben die Vereinigten Staaten ihre nationalen Ressourcen in einem bisher noch nie da gewesenen Maß eingesetzt, um ein Land mit ein paar Millionen Einwohnern zu befreien. Doch dieser Kampfeinsatz der Vereinigten Staaten hatte nicht zum Ziel, die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu sichern, weder zu Hause noch im Ausland. Die Milliarden Dollar, die in den ersten Monaten jenes Krieges ausgegeben wurden, hätten den Jahreshaushalt des World Food Programmes