Vom Regen in die Traufe - Magde Conrad-Schneider - E-Book

Vom Regen in die Traufe E-Book

Magde Conrad-Schneider

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Beschreibung

Im Jahr 2012 erhält Magde Conrad-Schneider die Diagnose Brustkrebs. Ein Schock! Die lebensfrohe, stets gut gelaunte Magde soll krank sein? Das kann nicht sein!Doch aufgeben kommt für die gestandene Krankenschwester nicht in Frage. Mit der Unterstützung ihrer Familie und guter Freunde nimmt sie den Kampf gegen den Krebs auf und stellt sich jeder neuen Herausforderung mit Kraft und Entschlossenheit. Eine spannende, fast unglaubliche Lebensgeschichte, die Mut macht und Hoffnung gibt und den Leser bis zum Schluss in ihren Bann zieht.

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Magde Conrad-Schneider

Vom Regen in die Traufe

Krebs haben Patienten, ich doch nicht

1. Auflage 2014

ISBN 978-3-958491-29-8
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzungen, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen.

©  Magde Conrad-Schneider

Alle Text- und Bildrechte liegen eigenverantwortlich beim Autor.
Titelfoto: Paulo Sergio Schneider
Lektorat: Carolin Ehrfeld, Nürtingen
Satz: Julia Karl

Cover Gestaltung: Magde Conrad Schneider

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Januar 2012
Der schwarze Mittwoch
Donnerstag, 16. Februar
Montag früh, 20. Februar 2012
Dienstag früh, 21. Februar 2012
Mittwoch, 22. Februar 2012
Freitag, 24. Februar, das Wochenende beginnt
Glückspilz
Die Rehabilitations-Maßnahme
Es fängt an
Freizeit und Freiheit
Romreise im sonnigen Mai
Zurück in der Praxis
Erneut Glück im Unglück
Die heißumstrittene Reha
Rollentausch
Abwechslung
Ein neuer Tag beginnt
Im Herbst
Unerwarteter Besuch
Das Ende des Jahres
Wagen wir den Ausblick?
Danke

Vorwort

Im Jahr 2012 erlebte ich eine ganz andere Realität vom Leben, ich machte eine völlig neue Erfahrung.

Um alles besser zu verstehen und zu bewältigen, habe ich angefangen, einfach alles aufzuschreiben. Genau so, wie ich es erlebte, was ich gedacht und empfunden habe, wie es Tag für Tag passierte.

Diese Phase meines Lebens möchte ich nicht nur für mich festhalten, sondern den Menschen mitteilen, die Ähnliches erleben, vielleicht selbst betroffen sind, welche plötzlich auch Erfahrungen machen, die sie lähmen, die sie zwingen, ganz anders zu denken und zu handeln.

Haben Sie Lust sich darauf einzulassen?

Kommen Sie mit, tauchen Sie ein in ein ganz normales Leben einer Frau, die ihre Gedanken mitteilen möchte.

Januar 2012

Ende Januar 2012 erhielt ich einen schönen weißen Brief mit dem mir bekannten Emblem als Einladung zum Mammografie-Screening am 13. Februar. Ich arbeite räumlich direkt nebenan, kenne alle Mädels vom dortigen Team und hatte außerdem vor zwei Jahren schon einmal mein erstes Screening mit Mammografie gemacht. Jetzt fand ich das nicht sonderlich spannend und auch nicht unangenehm, wieder einmal hinzugehen. »So ist man wenigstens sicher, dass man keine Erkrankung der Brust hat«, so sind doch die Gedanken, die man dabei so beiläufig hegt. Damit ich nicht vergaß mir einen zeitlich besser passenden Termin geben zu lassen, er war dummerweise für Freitagabend als letzten Spättermin geplant, hatte ich den Brief an unser »schwarzes Brett« in der Praxis gehängt. Meine Kollegin fragte mich gleich ganz belustigt: »Magde, warum hängst du denn deine Mammografie-Einladung an unser Brett?«

Meine Antwort: »Damit ich nicht vergesse, meinen Termin wahrzunehmen.«

So bekamen alle in unserem Praxisteam irgendwie mit, dass ich dorthin ging. Da es noch zwei weitere Kolleginnen in meinem Alter gibt, die auch zur Mammografie gehen wollten oder schon dort waren, war die Vorsorgeuntersuchung ohnehin ein aktuelles Thema bei uns im Team.

Die Dame am Empfang der Mammo, so die Kurzform, war gleich ganz beflissen und bot mir sofort eine Terminänderung an: »Weißt du was, ich sag dir einfach mal spontan Bescheid, wenn gerade etwas frei wird zwischendurch, dann nehmen wir dich kurz rein, du bist ja gleich nebendran.«

So kam es, dass ich noch im Januar in der Mittagspause schnell einmal nach nebenan ging. Ruckzuck wurde ich durchgeschleust und es wurden die nötigen Aufnahmen gemacht. In Windeseile zog ich mich wieder an und die Arbeit in unserer Praxis konnte nach einigen Minuten wie gewohnt weitergehen.

Ein paar Tage später, am 9. Februar, es war ein Donnerstagabend, kam ich mit Paulo zusammen von einem anstrengenden, langen Arbeitstag nach Hause und da lag in unserem Briefkasten ein Brief vom Screening. »Ach ja, das wird der Bescheid von der Mammografie sein.«, dachte ich und war mir ganz sicher, dass alles okay ist. Ich öffnete den Brief und las, dass »zur abschließenden Beurteilung die Durchführung ergänzender Untersuchungen notwendig seien.« Mir wurde ein Termin genannt, ein Fahrplan nach Ludwigsburg mit genauen Fahrtzeiten war beigelegt und ich wurde um aktuelle Befunde gebeten. »Puh, was soll denn das jetzt???«, fragte ich mich im Stillen.

Da ich richtigen Hunger hatte, mein Mann übrigens auch, schlug ich ihm vor, erst einmal zu essen und meinte überzeugend: »Krebs habe ich sowieso nicht, wenn ich solch einen Appetit habe«. Es schmeckte mir außerordentlich gut, denn ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt fit und gesund, trainiert und glücklich. Paulo begann die Einladung zu lesen, während ich überlegte, wie ich alles organisieren könnte. Wirklich, es ist nicht so einfach, gleich am Montag einfach bei der Arbeit zu fehlen. »Das kann ich nicht machen«, war mein erster Gedanke und ich sprach mit meinem Mann darüber.

»Doch, du gehst da hin«, sagte Paulo, »und zwar gleich am Montag«.

»Nein, du solltest nichts verschieben, es passt sowieso nie optimal mit der Arbeit. Ich finde, du gehst und damit basta!«

In der Nacht schlief ich wunderbar und auch der nächste Morgen war wie immer. Zuerst sprach ich mit Jule in der Praxis darüber. Ich wusste, dass sie vor Kurzem auch einen solchen Bescheid erhalten hatte, sich zusätzlich durchchecken lassen musste, aber alles im grünen Bereich gewesen war. Sie meinte ganz direkt zu mir: »Mensch, Magde, dass du da so ruhig sein kannst. Und jetzt musst du das ganze Wochenende damit zurechtkommen.«

»Ach, das ist nicht das Problem für mich, ich habe nur so ein blödes Gefühl, wenn ich da den Montag schwänze und Euch hier allein sitzen lasse. Was meinst du, soll ich erst eine Woche später gehen? Da sind doch die Faschingsferien und die Praxis hat geschlossen.«

»Nein, du gehst gleich am Montag. Lange genug, das Warten bis dahin«, meinte sie und las sich den Brief ebenfalls genau durch.

Mittags sprach ich meinen Chef darauf an und holte mir sozusagen grünes Licht für den besagten Montag. Trotzdem fragte ich ihn, ob es wirklich okay wäre. »Ja, Magde, mach das, dann hast du es aus dem Kopf.« Genau das waren seine Worte.

Damit sollten meine Bedenken eigentlich ausgeräumt sein. Ich hatte jedoch trotzdem Gewissensbisse wegen der Arbeitszeit, die ich fehlen würde und das Gefühl, die anderen für mich arbeiten zu lassen. Die Gedanken an ein schlechtes Resultat oder irgendetwas Negatives hatte ich tatsächlich nicht und musste mich deshalb auch nicht bemühen, sie zu verdrängen. Ich war schon immer ein positiver Mensch und in diesem Moment absolut sicher, dass ich nach dem Montag alles vergessen könnte. »Ich bin ja auch bis 14.00 Uhr zur Nachmittagssprechstunde längst wieder da«, betonte ich nochmals dem Team gegenüber und war ganz zufrieden, dass ich nur den Vormittag ausfallen würde.

Ich telefonierte mit Ludwigsburg und sie bestellten mich sogar eine Stunde früher, dass ich auch sicher wieder pünktlich um 14.00 Uhr zurück sein konnte. Die Zugfahrt, die etwas mehr als eine Stunde dauern sollte, war mit eingerechnet. »Wir haben den Vormittag für Sie eingeplant, seien Sie unbesorgt. Die Klinik liegt nur drei Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Also gute Fahrt und bis Montag 9.00 Uhr.«

Super, nun war alles geregelt und wir vom Praxisteam verabschiedeten uns alle fröhlich in das Wochenende. Ich verstand mich sehr gut mit meinen Kolleginnen, wir waren ein super Team. Jeder wünschte jedem per Handschlag oder mit einer Umarmung einen erholsamen freien Samstag und Sonntag.

Es war ein eiskaltes Winterwochenende, wir hatten zwei Männer aus Brasilien zu Besuch bei uns. Über Weihnachten waren wir erst in Brasilien gewesen und hatten dort zusammen geschwitzt, da um diese Zeit in Brasilien Hochsommer herrscht. Nun war unser Freund mit seinem Bekannten hier und es war eiskalt. Aber machen solche Gegensätze unser Leben nicht erst so richtig interessant?

Die Stadt Hall bot am Samstag ein wunderbares Bild. »Hallia Venezia«, eine venezianische Maskenparade, fand bei strahlend blauem Himmel, Sonnenschein und weißem Schnee statt. Es war fast wie in Venedig. Mit schönen bunten Masken und beinahe schon künstlerisch verkleidet, drückten sich die Teilnehmer in den schmalen Gassen an den Hauswänden entlang. Es war ein farbenfrohes Spektakel. Stumm und ganz leise streiften sie unentwegt um die historischen Häuser der engen Gassen in der Altstadt. Wir stiefelten leise und doch fröhlich mit ihnen durch die Straßen, während alle Touristen nahezu pausenlos die würdigen Maskenträger fotografierten.

Wir wärmten uns kurz in einem Restaurant bei einer wohltuend heißen Tasse Kaffee auf und kamen pünktlich um 15.00 Uhr nach Hause. Schon um 17.00 Uhr sollte der Zug gehen, mit dem unser Besuch zurück fahren wollte. Vorher brauchten die beiden Brasilianer natürlich noch etwas zum Mittagessen. In Südamerika nimmt man es nicht so genau mit pünktlichen Mahlzeiten, dort wird oft erst am Nachmittag serviert. »Das wird nun knapp, Magde, lege den fünften Gang ein und lass es laufen!«, redete ich mir selbst anfeuernd zu. Es hieß für mich: In weniger als zwanzig Minuten ein Essen auf den Tisch zu zaubern, danach mit Sack und Pack ab ins Auto und nichts wie los, um noch rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen. Keine Sorge, alles klappte wunderbar.

Vorher schrieb ich auch noch einen persönlichen Brief an meine Freundin in Brasilien. Diesen Brief würde Rubens, der brasilianische Freund, für seine Frau mitnehmen. Ich schrieb ihr unter anderem von der Botschaft, dass ich am nächsten Morgen eine spezielle Mammografie machen müsste. Dabei beschlich mich zum ersten Mal die Frage: Und was denn, wenn der Befund nicht in Ordnung ist? Ein seltsames Gefühl nahm plötzlich Besitz von mir. Es war aber keine Angst, es war lediglich ein fremdes Denken für mich. Denn eigentlich habe ich keine Angst vor dem Tod oder dem plötzlichen Sterben. Wenn es denn so sein soll, plötzlich tot umzufallen oder bei einem Verkehrsunfall bewusstlos zu werden und nicht mehr aufzuwachen, wäre das für mich persönlich in Ordnung. Ich habe schon viel Schönes erlebt und genossen, war lebenssatt und zufrieden. So sah ich es zumindest bis jetzt.

Aber das hier war plötzlich etwas ganz anderes. Es ging hier nicht nur um mich, um Schwarz oder Weiß, um tot oder lebendig. Hier ging es darum, Verantwortung zu spüren. Nein, nicht für mich, sondern für die anderen Menschen, die mir wichtig sind. Für die, denen ich nahe stehe, an erster Stelle für meine Kinder und für meinen Mann! Leichthin hatte ich bisher immer gedacht, ich lebe jetzt und irgendwann gibt es einen Knall, dann bin ich weg. Nie habe ich daran gedacht, dass ich ernsthaft krank werden könnte und vielleicht mit Defiziten leben müsste.

Das hier war vielleicht ein Hinweis auf:

Krebs

Leiden

Chemotherapie

Hautschäden nach Bestrahlung

Metastasen

Hirnmetastasen, nicht mehr wissen, wer man ist, was man tut, warum man lebt ….

Plötzlich kamen mir derartige Gedanken, die ich aber verdrängen konnte, da wir nach der Fahrt zum Bahnhof direkt zu einem Geburtstagsfest bei Nachbarn eingeladen waren.

Es war nett dort, wir tranken Kaffee und unterhielten uns. Es herrschte eine fröhliche Stimmung, aber in mir kroch langsam ein unbestimmtes Gefühl nach oben, das mich melancholisch und nachdenklich stimmte. Es holte mich leise und hinterlistig weg von meiner fröhlichen, positiven und unbeschwerten Grundstimmung.

Am Abend saßen Paulo und ich noch kurz vor dem Fernseher. Wir waren hundemüde aber glücklich, auch deshalb, weil der Besuch der beiden Brasilianer so gut gelungen war. Diese riefen uns noch einmal an und sagten uns, wie zufrieden sie über die »Schnäppcheneinkäufe« und die gemeinsamen Stunden waren.

Am nächsten Morgen war Montag, der 13. Februar. Mein Ticket hatte ich am Samstag zuvor schon am Schalter gekauft und mir bei Paulo deswegen einen Rüffel eingehandelt, weil ich dort beim Bahnbeamten fünf Euro mehr bezahlt hatte als am Automaten. Ich kannte solche finanztechnischen Details nicht, weil ich so selten mit der Bahn fuhr. Aber ich wollte einfach alles gut vorbereitet haben, falls ich zeitlich knapp dran wäre oder vielleicht der Automat nicht funktionierte. Man wird vorsichtiger und plant eventuelle Pannen ein, wenn man nicht oft mit dem Zug fährt. Aber okay, dies war nun doch eher eine Kleinigkeit und ich hatte im Grunde ganz andere Sorgen. Der Zug kam endlich, nach längerem, trostlosen Warten in der Kälte. Glücklicherweise traf ich eine nette Begleitung, eine Frau aus Rot am See. Wir hatten unzählige Gesprächsthemen und ebenso viele gemeinsame Bekannte. Die Fahrt verging wie im Flug und die Frau hätte doch wirklich beinahe ihren Ausstieg verpasst. Über den Hauptbahnhof in Stuttgart landete ich schließlich gut mit der SBahn in Ludwigsburg und fand auch die Radiologische Praxis ohne Mühe. Ich stand vor einem großen Gebäudekomplex, verschiedene Praxen mit zentraler Verwaltung in einem Riesenärztehaus, in der Solitudestraße 24. Ich war guten Mutes und fühlte mich wohl. Ich war ordentlich gekleidet und sah recht schwungvoll und wie ich mir erhoffte, auch ein wenig intellektuell aus. Jedenfalls grüßten mich alle sehr aufmerksam. Ich hatte mir einen flotten Wintermantel von meiner Tochter Tonia ausgeliehen und mich extra ein bisschen zurecht gemacht.

An der Anmeldung wurde ich freundlich empfangen, es war wohlig warm dort. Auf dem Tisch boten sie den Patientinnen sogar eine kleine Mammografie-Schokolade an, auch ein Glas Wasser konnte man trinken. Ich fühlte mich willkommen und wurde erwartet. Keine fünf Minuten hatte ich mich gesetzt und gerade angefangen in einer Zeitschrift zu blättern, da wurde ich schon aufgerufen und sollte den Oberkörper frei machen. Alles verlief routiniert und sehr schnell. Ich stellte keine Fragen, da ich genau wusste, was auf mich zukam. Die speziellen Aufnahmen waren nicht sonderlich unangenehm. Natürlich drückte es, aber ich hatte mich darauf eingestellt. Es wurden drei Spezialaufnahmen von der rechten Brust gemacht, bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ja noch gar nicht gewusst, um welche Seite es ging. Aber im Stillen hatte ich das Gefühl gehabt, wenn etwas zu finden sein würde, dann wohl rechts oben. Es war einfach nur so ein Gefühl gewesen. Schmerzen hatte ich gar keine, auch nichts getastet. Die Dame war sehr nett und kommunikativ. Ich lobte ihre kompetente und besonders ihre feinfühlige Art. Auch war mir positiv aufgefallen, wie sicher sie ihr Gerät bediente und das gesamte technische Know-How beherrschte. Das ausführliche Lob tat ihr sichtlich wohl.

»So, dann besprechen Sie jetzt gleich alles mit Dr. Blum«, meinte die Dame und schob mich weiter ins nächste dunkle Zimmer. Dort saß ein Arzt, der mich sofort freundlich begrüßte. Dr. Blum zeigte mir die Aufnahmen, sagte, dass er eigentlich nichts Weiteres erkennen könne, vermutlich am ehesten ältere Kalkablagerungen. »Siehste, ist alles okay«, dachte ich. »Da kann ich demnächst gehen und pünktlich wieder um 14.00 Uhr in der Praxis starten.«

Er war jedoch noch nicht ganz fertig und ergänzte, dass die Kalkablagerungen älter und aus den Voraufnahmen bekannt seien. Es gäbe da aber noch so eine Stelle, die nun, nach den Spezialaufnahmen, besser zu beurteilen sei. Die Strukturen würden sternförmig zusammen laufen, was doch noch genauer abgeklärt werden müsste. »Ich mache mal einen Ultraschall«, meinte er daraufhin. »Dann sind wir auf der sicheren Seite und Sie haben es aus dem Kopf.« Hatte nicht genau die gleichen Worte mein Chef in Schwäbisch Hall am Freitag zu mir gesagt?

Der Ultraschall dauerte länger, über 30 Minuten. Er überprüfte alles gründlich, auch die Brust auf der linken Seite und sämtliche Lymphknoten, aber immer und immer wieder schallte er an der rechten Brust die Stelle oberhalb der Brustwarze.

»Also, ich kann es einfach nicht hundertprozentig beurteilen, zur Sicherheit machen wir noch ein MRT, damit wir es abhaken …«

»… und es aus dem Kopf haben«, echote ich und fiel ihm dabei ins Wort.

»Können Sie nochmals kommen?«

Ich fragte, ob ich es auch in Schwäbisch Hall machen lassen könne.

»Ach, Sie kommen aus Schwäbisch Hall? Da schaue ich mal nach, ob ich Sie vielleicht sofort dazwischen schieben kann.«

Gesagt, getan. Schon war er aus dem Zimmer. Ich war erst einmal damit beschäftigt mir das Gel aus den Achselhöhlen zu wischen und mir dafür ein paar Tücher zu organisieren. Ich war gerade noch beim Ankleiden, da stürmte er wieder herein und meinte, es hätte geklappt, wir könnten gleich hochkommen. Ruckzuck war ich vollends angezogen und er begleitete mich in die Radiologische Abteilung zum MRT nach oben. Dort wurde ich nach dem Einlesen der Versichertenkarte sofort aufgerufen. Oberkörper frei, Schmuck abgelegt, so saß ich nun in der engen Kabine wie ein kleiner Sünder auf der Bank. Frierend und zitternd wartete ich einige Minuten auf das, was kommen sollte. Alles ging relativ schnell und plötzlich, ich kam kaum dazu, mir weitere Gedanken zu machen. Gerade als ich bewusst über die neue Situation nachdenken wollte, ging die Kabinentüre auf und eine nette Dame forderte mich höflich, aber doch routinemäßig, zum Mitkommen auf. Mir war klar, ich war nur eingeschoben und das Programm musste weiterlaufen, da gab es keine Zeit für individuelle Gespräche oder Nachfragen. »Ach, ist Ihnen kalt?«, bemerkte sie dann aber doch als ich heftig zitterte.

»Nein, nein. Alles okay, ich finde es super, dass Sie mich gleich drannehmen und einfach so dazwischenschieben. Das finde ich sehr nett, danke«, meinte ich fröhlich.

»Schon okay, jetzt brauchen Sie einen Venenzugang, und zwar links.«

»Ah, da habe ich nicht die allerbesten Venen«, meinte ich vorlaut.

»Ja, ja, das sagen sie alle«, meinte die zweite Kollegin, die sich dann entschloss, mir links die Nadel zu legen. Sie machte es toll und punktierte ganz sicher.

Jetzt bekam ich die ganzen Instruktionen: Bauchlage, nicht bewegen, Arme nach unten, hier haben Sie eine Glocke, die nehmen Sie in die Hand. Aber bitte nur im Notfall benützen … Ihre Rede hörte noch nicht auf. Etwa zwanzig Minuten würde es dauern, es sei sehr laut, deshalb stecke sie mir einen Ohrstöpsel in das linke Ohr. Mein rechtes Ohr lag auf dem schönen weichen Kissen, der Kopf musste streng seitlich liegen. Letztendlich war es ganz in Ordnung, ich entspannte mich, genoss das flache Liegen und schloss die Augen. Dabei dachte ich über die Wärme in Brasilien nach, wie ich da so am Strand gelegen hatte, in derselben Position. Bei solch angenehmen Erinnerungen war ich ganz entspannt und gelöst und ich genoss, dass niemand etwas von mir brauchte oder wollte. Ich fand es toll, Zeit zu haben, einfach den eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich spürte so manche Bewegung am Gerät, laute Geräusche und zwischendurch bemerkte ich auch die Kontrastmittelgabe. Es wurde kalt am Arm, doch ich wusste ja, dass ich nicht reden durfte, mich nicht bewegen, einfach zwanzig Minuten wegtauchen sollte und konnte dies auch sehr gut einhalten.

Unglaublich schnell waren die 23 Minuten vorbei und ich konnte mich wieder anziehen. Ganz nebenbei wurde noch die Infusionsnadel entfernt und ich sollte mich draußen im Wartezimmer hinsetzen. Dort führte ich ein bisschen Small Talk mit zwei Patienten, hörte mir so manche Klagen über Hüftprobleme, Arthrose und Kreuzschmerzen an, vor allem aber die gesamten Altersbeschwerden. Darüber kam ich dann ins Grübeln. Lohnt es sich denn überhaupt älter zu werden? Es ist doch gar kein erstrebenswertes Ziel, nur noch jammern zu müssen und Schmerzen hier und da zu fühlen. Solche Gedanken kamen mir plötzlich. Durch meinen Beruf sehe ich viel Leid und Gebrechlichkeit im Alter, viele Probleme mit dem schwächer werden. Immer dieses Abhängigkeitsproblem, das Gefühl Hilfe zu brauchen, die eigenen Kinder zu stören, weil es alleine nicht mehr geht. Diese Realität stand plötzlich übermächtig vor mir. Vielleicht habe ich einen Tumor, vielleicht lebe ich gar nicht so lange, vielleicht ist das ja auch gut so, da bleibt einem vieles erspart …

Mitten in meinen Gedanken rief mich eine freundliche Stimme und riss mich aus der negativen Stimmung zurück. Sie stellte sich als Frau Dr. Nagel vor und erklärte mir, dass in der linken Brust ein Fokus wäre, der engmaschig und regelmäßig überwacht werden sollte. Das sei soweit in Ordnung. Rechts jedoch zeigte sie mir zwei erbsengroße Rundherde, vor allem der eine sei nicht ganz unauffällig, erläuterte sie. Hätte sie bei sich selbst oder ihrer Freundin solch einen Befund, würde sie eine Biopsie durchführen lassen. »Okay«, meinte ich spontan und ohne zu zögern. »Die Biopsie lasse ich machen, gerne auch gleich, denn jetzt bin ich schon einmal da.«

Sie wusste nicht, ob es zu organisieren sei, fand es aber ganz toll, dass ich so unkompliziert und spontan darauf einging. Nach einem Telefonat mit Dr. Blum schickte sie mich wieder ein Stockwerk tiefer. Es wurde demnach alles für eine Biopsie vorbereitet. Tatsächlich war es so, dass ich sofort biopsiert werden konnte. Es würde nur wenige Minuten dauern, hieß es, bis alles vorbereitet war. Nun saß ich unten vor dem Eingriffsraum und nützte die Zeit, um nachzudenken. Ich dachte, es wäre gut, wenn ich kurz meinen Ehemann Paulo anrufen könnte. Ich hatte plötzlich das Gefühl, es wäre besser, wenn er Bescheid wüsste. Aber im Operationssaal, seinem Arbeitsplatz in Schwäbisch Hall, war dauerbelegt. So rief ich kurz meinen Chef in der Praxis an und warnte ihn schon einmal vor, dass es bei mir etwas später werden könnte, vielleicht sogar erst 16.00 Uhr. Ich sagte ihm, dass der Befund weiterhin unklar sei und nun eine Biopsie gemacht würde. Er war erschrocken und wünschte mir noch schnell alles Gute, als auch schon Dr. Blum vor mir stand und mich persönlich für die Stanze abholen wollte. Ich legte schnellsten auf und kam wieder in eine Kabine. Erneut machte ich den Oberkörper frei und musste diesmal gar nicht auf das »Bänkle« sitzen, sondern wurde gleich ganz liebevoll empfangen. »Aha«, dachte ich. »Dieser Eingriff ist etwas risikoreicher«, denn ich wurde nochmals offiziell aufgeklärt. Ich musste schriftlich bestätigen, dass ich keine Blutverdünnung hatte, weder Marcumar noch ASS schluckte. Ich machte meine Kreuzchen auf dem Aufklärungsbogen wie damals in der Schule bei den Klassenarbeiten, setzte meine Unterschrift darunter und dann ging es los.

Ich sollte mich bequem auf die Liege legen. Der Arzt wirkte sehr vertrauenswürdig und sicher, alles lief in Ruhe, routiniert und mit fachlicher Kompetenz ab. Und doch bemerkte und spürte ich die ganz persönliche Zuwendung in kleinen Gesten. Die Assistentin streichelte mich an der linken Schulter, die zweite Assistenz bediente das Ultraschallgerät und war dafür zuständig, das gewonnene Material zu versorgen. Es ist ja enorm wichtig, dass in diesem Zusammenhang keine Verwechslungen passieren. Man stelle sich nur vor, mein Präparat wandert in ein Glas mit einem anderen Namen. Und plötzlich habe ich Krebs, obwohl ich gar keinen habe und würde fälschlicherweise operiert werden. Irren ist menschlich und Verwechslungen und Fehler passieren doch laufend. Solche Gedankenblitze schossen mir in dem Moment durch den Kopf. Aber ich konnte beruhigt sein, das Team arbeitete sicher und kompetent. Es war interessant für mich als Krankenschwester die Stanzbiopsie direkt bei mir selbst mitzuerleben. Ich konnte sogar am Ultraschallgerät mit zuschauen. Die lokale Anästhesie, wir sagen auch lokale Betäubung dazu, saß gut, ich spürte überhaupt nichts und sah nur, wie ein kleiner Schussapparat mit einer spitzen Nadel an meine Brust angelegt wurde. Im Ultraschallbild war genau zu sehen, wie die Nadel heraus flitzte und blitzschnell zurückschnappte. Man konnte den Schuss richtig hören, aber es war nichts Gefährliches dabei. So haben wir fünf »Schüsse« gemacht, vier Proben waren verwertbare Gewebezylinder, die ins Formalin-Gläschen gegeben wurden. Alle waren zufrieden, weil es sehr gut geklappt hatte. Die Punktionsnadel wurde entfernt und der Arzt musste nun von Hand, auf die Einstichstelle drücken, um eine Nachblutung zu verhindern. Mir war es zwar nicht unangenehm, dass er selbst nun eine Viertelstunde drücken musste, aber es tat mir leid, dass er meinetwegen so lange festgehalten wurde.

Wir nützten die Zeit zu einem netten Dialog, unter anderem über fachliche Themen, hatte ich doch einen verwandten Arbeitsplatz im Herzkatheterlabor. Auch er habe früher Stents gelegt und in der Kardiologie gearbeitet, erzählte er. Er berichtete mir einiges über seinen medizinischen Werdegang und ich spürte, dass es nicht nur das übliche pflichterfüllende Geplänkel war, sondern er sich gerne mit mir unterhielt. Er selbst stellte auch gezielte Fragen an mich und interessierte sich für vieles. Offensichtlich war er nicht über die außerordentlich gesprächige Patientin genervt, sondern eher froh, sich über manche frühere Erfahrung seines Berufslebens auszutauschen. Schlussendlich bekam ich einen wunderschönen Druckverband mit blühend weißen Binden und fühlte mich richtig gut eingepackt. Bei diesem kräftigen Druck war ich mir sicher, dass es nicht nachbluten würde. Inzwischen war es schon 13.30 Uhr und ich sollte mir noch eine Krankmeldung organisieren. Im ersten Moment widersprach ich, denn es war so gedacht, dass ich heute um 14.00 Uhr wieder in der Praxis stehen sollte. Ja, nun war die Situation plötzlich anders geworden.

»Nein, Frau Conrad-Schneider, Sie arbeiten heute gewiss nicht mehr. Wegen der Nachblutungsgefahr sollten Sie sich auch nicht mehr groß bewegen. Vor allem nicht pressen und keine Anstrengungen haben«

»Oh, oh«, dachte ich nur. »Das ist ja schlecht für die Praxis.«

Aber ich konnte jetzt auch nichts an meiner Situation ändern, vielleicht bin ich auch viel zu pflichtbewusst. Natürlich ging es auch ohne die Magde, die anderen schafften das auch alleine, jeder Mensch ist ersetzbar. Das musste ich nun eben auch einmal für mich in Anspruch nehmen.

Ich machte mich in Richtung Bahnhof auf und war erstaunt, was dort los war. Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen inmitten einer großen Menschenmenge vor und um die Bahnhofshalle. Überall blinkende Blaulichter und betretene Gesichter. An den großen Anzeigetafeln stand bei allen Zügen und allen S-Bahnverbindungen »cancelled«. Zuerst verstand ich gar nicht, was passiert war. Der Zugang zu den Gleisen war durch ein Sperrband abgetrennt und zwei Polizisten standen dort, um niemanden durchzulassen. Ich fragte, ob es denn keine Zugverbindungen gäbe, aber der Polizist deutete nur auf die Anzeigetafeln und wandte sich wortlos ab. Von anderen Passanten erfuhr ich, dass ein junger Mensch vor einen Zug gefallen und totgefahren worden war. Es war noch nicht klar, ob es ein Unfall, Selbstmord oder sogar Mord war. »So ein trauriger 13. Februar«, dachte ich, »und ein junger Mensch.« Was wollte ich denn da sagen, wenn ich jetzt Krebs hätte? Schließlich war ich ja schon 53 Jahre alt, hatte mein Leben gelebt und schon viele schöne Dinge gesehen. Aber nun stand ich hier im Chaos und ich musste auf irgendeine Weise reagieren und Vorort erst einmal meine Situation einschätzen. Irgendwie sollte ich wieder nach Schwäbisch Hall zurückfinden.

Nun galt es, meine Phantasie spielen zu lassen und so kam ich auf die Idee, einen Teil der Strecke mit dem Bus zurückzulegen. Und so machte ich es auch. Es dauerte jedoch über eine Stunde bis der reguläre Bus nach Waiblingen fuhr. Es war kalt und ich musste dringend auf die Toilette. Also lief ich nochmals zur Solitudestraße 24 zurück, dort hatte ich mich geborgen und warm gefühlt. Da wartete ich noch eine gute halbe Stunde, wärmte mich auf und lief dann zurück zur Bushaltestelle. Es war zum Glück alles gut zu Fuß erreichbar. Nach längerer Diskussion handelte ich mit dem Busfahrer aus, dass er mich ausnahmsweise ohne zu zahlen in seinem Bus mitnahm, denn mein Zugticket war gültig, nur fuhr eben kein Zug.

Es war mittlerweile ein mittleres Chaos ausgebrochen, sehr viele Menschen wollten die Busse benützen, andere ließen sich mit den Autos abholen und so herrschte ein reger Verkehr vor der Bahnhofshalle in Ludwigsburg. Inzwischen war auch Feierabend für viele, da wollte bei der Kälte jeder schnell nach Hause. Im Bus unterhielt ich mich und lenkte mich ab. Ich wollte und konnte noch gar nicht über die Situation nachdenken, alles war so unwirklich. Der ganze Trubel und das Durcheinander forderten meine Aufmerksamkeit, ich musste in diesem Moment nur irgendwie organisieren, dass ich wieder bis nach Schwäbisch Hall zurückkam.

In Waiblingen stieg ich auf den Zug um. Nach einigen Gehminuten hatte ich auch von der Bushaltestelle aus den Weg zum Bahnhof gefunden. Ich war sogar ein bisschen stolz auf mich, dass ich dieses Problem so souverän gemeistert bekam und saß endlich im Zug. Wieder versuchte ich Paulo im Operationssaal zu erreichen und wollte ihm mitteilen, was alles passiert war. Vor allem war ja auch geplant, dass er mit unserem Auto nach Hause fährt, weil ich normalerweise planmäßig bis zum Abend weitergearbeitet hätte …. Jetzt hatte sich die Situation verändert und ich war zumindest für heute krankgeschrieben. Ich erwischte einen Kollegen von Paulo und bat ihn, meinem Mann etwas auszurichten. »Sage ihm bitte, bevor er nach Hause fährt, sollte er sich bitte in der Praxis bei mir melden. Geht das in Ordnung? Es wäre mir sehr wichtig«

Er versprach: »Okay, Magde. Kannst dich auf mich verlassen.«

Leider konnte man sich nicht immer darauf verlassen, dass etwas ausgerichtet wurde, auch dort herrschte eben Dauerstress. Aber diesmal war es mir einfach wichtig.

Ich kam in Hessental, einem Vorort von Schwäbisch Hall, am Bahnhof an und es hatte kräftig geschneit. Also musste ich erst einmal das Auto freischaufeln. Wie war das noch, keine größeren, anstrengenden Bewegungen wegen der Nachblutung? So war das doch? Ja, ich machte betont langsam, um die Frontscheibe vom Schnee zu befreien und ein Autofenster nach dem andern freizukratzen. Jedenfalls war ich schon einmal froh, dass ich trotz des Unfalltodes am Bahnhof nun hier gut angekommen war. Das Auto war extrem kalt und ich schlotterte, da tat das bisschen Bewegung wegen des Schnee Schaufelns gerade gut.

Von dort aus fuhr ich direkt in die Praxis und wurde gleich von meinen Kolleginnen anteilnehmend und neugierig empfangen. »Komm, erzähl doch, wie war alles?«

Sie hatten schon mitbekommen, dass ich gestanzt wurde und es war für alle klar, dass ich heute nicht mehr arbeiten sollte. Der Chef kam in unsere Küche, wo wir immer Kaffee trinken und Pause machen. Er war ganz besorgt und wollte genau hören, was Dr. Blum meinte und vermutete, wie alles war. Mitten im Satz, ich war am Erzählen, kam plötzlich ein mir fremder Mann in die Küche, zusammen mit meiner Kollegin. Im ersten Moment wusste ich wirklich nicht, wer das sein sollte und mir war es eher unangenehm, weiter zu erzählen. Aber mein Chef war so heiß darauf die Details zu erfahren, dass ich nicht wagte, meinen Bericht zu unterbrechen. Dunkel erinnerte ich mich, dass heute ein Hospitant bei uns beginnen sollte. Und genau dieser Student musste der fremde Mann wohl sein. So berichtete ich also, was meinen Tag ausgefüllt hatte. Aber wir hatten noch kein Ergebnis, keine endgültige Klarheit, ob alles im grünen Bereich sein würde und ich gesund war.

Wieder ging die Tür auf, und Paulo kam dazu. Wie war ich froh, dass er nun auch als einer der ersten davon erfahren würde. Er hatte bis jetzt ja noch gar nichts von alledem mitbekommen. Er hatte noch keine Ahnung, dass tatsächlich ein Tumor da war. Auch wusste er bis jetzt noch nicht, dass ich eine Biopsie machen lassen musste. So erzählte ich alles nochmal von vorne, die anderen gingen wieder an die Arbeit und ich fuhr mit Paulo nach Hause.

Wir machten uns ein leichtes Abendessen. Paulo war ganz gefasst und ich selbst war auch wie immer fröhlich und zuversichtlich, zumindest nach außen hin. Aber so schnell kann das Blatt sich wenden. Fit, gesund und munter und nach ein paar Stunden bist du plötzlich Patientin. Für mich war bisher der Krebs nur für Patienten, aber doch nicht für mich. Aber Moment, ich hatte ja das Ergebnis noch nicht, sicher war doch alles gutartig. Es war ja alles nur vorsorglich.

Der Abend zu Hause war wie immer. Ich selbst war gut und dick eingepackt in meinen Druckverband, hatte überhaupt keine Schmerzen. In Ruhe erzählte ich Paulo noch einmal alles ausführlich und wir redeten lange darüber. Sprachen auch ganz offen über alle möglichen Verläufe. Da wir beide in der Medizin arbeiten, fiel uns das viel leichter. Man spricht unter medizinischem Personal ganz offen über Tod und Leben, über Krankheit und Krebs, aber eben nicht von einem selbst. Das war nun plötzlich etwas ganz anderes. Insgesamt hatte ich aber eine gute Vorahnung und war mir sicher, dass alles gut ausgehen würde. Ich konnte nach unserem Gespräch wunderbar schlafen in dieser Nacht.

Am nächsten Morgen fuhren wir zusammen zur Arbeit. Alles war wie immer, die gewohnte morgendliche Hektik, sodass ich gar keine Zeit hatte über irgendetwas nachzudenken. Die Arbeit in der Praxis lief wie jeden Tag, nichts erinnerte an den Spuk von gestern. Lediglich mit unserem zweiten Arzt, der an diesem Morgen als Vertretung in der Praxis war, sprach ich kurz. Ich teilte ihm mit, dass ich einen Tumor hätte der biopsiert worden war, sonst war es für niemanden ein Gesprächsthema in unserer Praxis. Den Druckverband hatte ich weggemacht, ein kleiner blauer Fleck und ein Einstich, mehr war nicht zu sehen. Ich funktionierte in meiner Rolle wie jeden Tag, alles war wie gewohnt. »Bin ja doch gesund«, sagte ich mir im Stillen.

Der schwarze Mittwoch

Dann kam der Mittwoch, der Wochentag, an dem ich im Herzkatheterlabor arbeite. Auch dort lief alles wie immer. Ich hatte nette Kolleginnen, die Chefin unserer Truppe war etwas genervt, weil sie sich Kritik vom Professor eingehandelt hatte. Sie selbst fand dies alles ungerecht und erzählte mir einiges darüber. Aufmerksam hörte ich ihr zu und sagte ihr meine Meinung. Ansonsten lief das Arbeiten super wie immer, ich war gut in Form. Aber ab ungefähr 12.00 Uhr wurde ich etwas unruhig, denn gegen Mittag sollte ich Dr. Blum in Ludwigsburg anrufen. Puh, plötzlich hatte ich so eine blöde Vorahnung, dass ich doch was Pathologisches habe könnte und irgendwas nicht in Ordnung sein würde. Zum ersten Mal beschlich mich ein ganz komisches Gefühl. »Also, durchhalten, Magde. Bis 13.00 Uhr!«

Meine Kollegin sagte irgendetwas zu mir, aber ich hatte ihr gar nicht zugehört und da merkte ich, dass ich plötzlich auch unaufmerksam wurde. Ich spürte, dass jetzt der Moment gekommen war, da ich in Ludwigsburg anrufen sollte. Ich bat die Chefin, Schwester Karin, ob ich kurz telefonieren könnte. »Ja klar, hinten im Arztzimmer.«

Ich sagte dem Team Bescheid, dass ich in der Mittagspause wäre und verzog mich ins Arztzimmer. Ein Oberarzt und Schwester Karin wollten aber gerade in dem Moment auch das Arztzimmer benutzen, um einen Dialog wegen interner Probleme zu führen. Im ersten Moment dachte ich: »Komm, Magde, dann schieb es eben noch etwas raus«, aber dann rang ich mich durch und sagte: »Nein, das Arztzimmer brauche ich jetzt für mich, ich muss einen wichtigen Anruf erledigen.«

Es gab zwar fragende Blicke, aber es wurde akzeptiert. Ich wählte die Telefonnummer von Ludwigsburg und Dr. Blum war gleich selbst am Apparat. Ich fragte ganz fröhlich an, ob er sich noch an mich erinnere, die Frau, die er vorgestern gestanzt hatte und die so gesprächig war. Gerade wollte ich noch einige markante Sätze von unserem Gespräch wiederholen, um mich ihm sozusagen ins Gedächtnis zu rufen, da meinte er: »Frau Conrad-Schneider, ich erinnere mich ganz genau an Sie und warte auch schon längst auf Ihren Anruf. Also, ich muss Ihnen jetzt leider mitteilen, dass es ein Karzinom ist, Sie sollten sich bald operieren lassen.« Jetzt machte er erst einmal eine Pause und wollte mir Gelegenheit zu einer Reaktion geben. Ich war im ersten Moment ganz gefasst und wollte gleich die Art des Karzinoms wissen. Er beschrieb mir einen invasiv duktalen Tumor, Typ G1. »Das bedeutet eine langsam wachsende Geschwulst, da haben Sie noch Glück.« So waren seine Worte.

Wir besprachen noch weitere Details und ich merkte, dass er erstaunt war, wie automatisch ich jetzt Schritt um Schritt die Vorgehensweise besprach und nicht erst einmal sprachlos war. »Wissen Sie was, Sie kommen morgen oder am Freitag zusammen mit Ihrem Mann hier in Ludwigsburg bei mir vorbei, dann besprechen wir alles anhand der Aufnahmen und der genauen Dokumente. Dann entscheiden wir auch, wo Sie sich operieren lassen.«

So beendeten wir bald darauf das Gespräch, ich fand es sehr nett, dass er den Freitagnachmittag anbot, das ließ sich auch von der Praxis aus für mich gut organisieren. Ich hatte im Eifer des Gefechts ganz vergessen, dass genau für diesen Freitag eine Patientenschulung für mich in der Praxis anstand. Das hatten wir speziell für den freien Nachmittag so geplant, aber in dem Moment hatte ich es nicht im Blick und total vergessen. Der Arzt hatte doch eher einen dringenden Gesprächstermin haben wollen, so hatte ich spontan zugesagt. Nun musste ich sehen, wie ich das Problem lösen konnte. »Aber bei einer Karzinomdiagnose gehe ich jetzt einfach vor, das ist für mich persönlich wirklich wichtiger, als die geplante Patientenschulung. In solch einer Situation muss das eben meine Kollegin Elfi alleine machen, das wird schon gehen. Magde, jetzt musst du erst einmal tief durchatmen«, sagte ich zu mir selbst. Urplötzlich ging so eine Art Automatismus bei mir los. Ich bemerkte, wie ich ganz rational und planmäßig handelte, ich griff automatisiert nach dem Hörer und rief erst einmal Paulo im Operationssaal an. Zum Glück bekam ich ihn sofort selbst an die Strippe. Paulo war erschrocken und konnte erst gar nicht glauben, was er hörte. Seine aktive Magde hatte Krebs, das war ja ein Ding. Ich gab ihm zur Ablenkung gleich die Aufgabe zu organisieren, dass er am Freitagnachmittag frei bekam. Und dass er mich nach Ludwigsburg begleiten sollte, sagte ihm auch schon die genaue Uhrzeit und das war gut so. Nun hatte er schon einmal aktiv etwas zu tun und es gab ihm das Gefühl, mir zu helfen. Er brauchte natürlich auch erst einmal Zeit zum Nachdenken, aber er würde alles tun, um mir in dieser Schrecksituation beizustehen.

Dann rief ich anschließend noch meinen Chef in der Praxis an, meine zweite Arbeitsstelle. Vier Tage Praxis und nur mittwochs im Herzkatheterlabor, so war bisher mein Arbeitsplatz in zwei Bereiche aufgespalten. Mein Chef war sehr erschrocken und wollte gleich verschiedene Details wissen: Welches Karzinom denn, welche Stufe denn? Ich hatte Glück, denn ich hatte Dr. Blum vorsorglich schon alles gefragt und konnte dann ganz schlagfertig antworten: »Invasiv duktal nennt sich das Karzinom und zählt als G1.« Für mich war das in dem Moment gar nicht relevant, ich wusste nur, ich hatte ein Mammakarzinom, ich hatte Krebs. Nach dem Telefonat brauchte ich ein bisschen Zeit zum Durchatmen. Ja, das brauchte ich jetzt wirklich! Fünf Minuten hatte ich noch von meiner halben Stunde Mittagspause. Gerade lange genug, um ein paarmal tief Luft zu holen und ruhig zu werden. Diese fünf Minuten waren kurz, aber sie reichten, um mich zu sammeln und konzentriert weiterzuarbeiten. Eine Zeit lang ging das ganz gut. Da kam Moni, eine ganz vertraute und liebe Kollegin von mir, guckte mich nur an und fragte: »Magde, was ist denn?«

Ich schaute ihr fest in die Augen und konnte in dem Moment nicht sprechen. Das war mir bisher noch nie passiert. Sie zog mich an meinem Arm, ohne Worte und ganz sanft, aber doch bestimmt, in ein Nebenzimmer, in dem Archivmappen und CD-Filme lagerten und machte die Tür hinter uns zu. »Magde, was hast du?«

Ganz direkt antwortete ich ihr: »Moni, ich habe ein Mammakarzinom.«

Als ich das Wort aussprach, kämpfte ich mit den Tränen.

»Ach nein!« rief Moni, nahm mich in den Arm und sagte gar nichts. Dann versuchte sie mir klar zu machen, dass es gar nicht so sein musste. Bei ihr sei auch behauptet worden, sie hätte einen Tumor und nach mehreren speziellen Ultraschalluntersuchungen sei alles wieder dementiert worden.

»Aber Moni, bei mir war schon eine Biopsie, es wurde Gewebe entnommen und die Histologie ist eindeutig, an der Tatsache ist nicht mehr zu rütteln.«

Aber ich fand es sehr lieb von ihr, dass sie mich zuerst einmal damit trösten wollte, dass es vielleicht gar nicht stimmte. Sie selbst stellte es in Frage, weil sie es doch für mich auch nicht wahrhaben wollte. Aber für mich war es definitiv, denn die Stanze lügt nicht und die Proben waren nicht vertauscht worden. Das hatte ich ja mit eigenen Augen gesehen. Außer vielleicht im Labor dort, kam mir jetzt in den Sinn. Aber für mich war das nicht die Frage, für mich war es gesichert, und es galt als harte Wahrheit.

Kurz darauf kam auch Paulo dazu, er arbeitet nicht weit entfernt von unserem Sektor und kann ganz schnell herüberschauen ins HKL (das ist die Abkürzung von Herzkatheterlabor). Mit feuchten Augen sah er mich an und legte seinen Arm um meine Schulter. So standen wir mitten im Gang zwischen zwei Operationssälen, vorne weiteres Personal, hinten die Patientenbetten. Ich dachte nur: »Das Thema müssen wir vertagen, hier muss jetzt die Arbeit weiterlaufen.«

Moni nahm jetzt organisatorisch einiges in die Hand, gab mir den Rat, zuerst mit Schwester Karin zu reden, denn die wollte heute um 14.00 Uhr weg sein. Als Leiterin vom Team musste sie Bescheid wissen. »Ja,« gab ich kleinlaut zu. »Ich muss heute Nacht ja Notfallrufdienst machen, ich glaube, das lasse ich lieber, denn ich weiß nicht, was mich da alles für Gedanken blockieren. Wäre fatal, wenn mir in dieser Verfassung ein Fehler unterläuft, das könnte ich mir nicht verzeihen«, fügte ich abschießend hinzu.

Automatisch dachte ich jetzt an meine Kinder. Ich musste heute Abend auch unsere Kinder anrufen, das war eine schwere Aufgabe. Bis jetzt hatte ich sie davor ganz verschont, denn ich dachte natürlich, dass alles blinder Alarm sei und hoffte, dass sie nie davon erfahren mussten. Raphael lebt in Amerika und ist dort verheiratet mit Teresa. Sie leben in Minnesota und da sind die Zeiten anders, es sind sieben oder acht Stunden Zeitverschiebung. Da kann ich nicht zu jeder Zeit anrufen. Und Tonia studiert im Moment in Vallendar bei Koblenz, sie hat ihre Bachelorarbeit vor sich und viele Tests und Prüfungen, da kann man nicht so einfach mitten hineinplatzen und den Kindern Angst machen, oder?

Aber jetzt war die Diagnose gesichert, da konnte und wollte ich auch nichts verheimlichen, das würde eher Misstrauen schüren, statt vor Sorgen zu schützen und zu bewahren. Wäre ich einmal nicht ehrlich, dann würden sie nie mehr glauben, wenn ich versicherte, dass alles gut sei. Ich kam nicht drum herum, es musste jetzt alles offen kommuniziert werden. Ja, ich merkte, ich musste diese Gedanken jetzt in diesem Moment verdrängen, und erst einmal hier den Arbeitstag abschließen. Normalerweise geht die Arbeitszeit bis 16.00 Uhr, das würde ich durchhalten. Aber ich musste mich demnächst darum kümmern, dass ich die Nachtbereitschaft tauschen konnte. Also sagte ich mir: »Drei Stunden noch konzentriert durchhalten«, danach würde ich weitersehen.

Paulo schlüpfte wieder zur Tür hinaus, er musste im Operationssaal weiterarbeiten, aber er wirkte wirklich geschockt auf mich. Ich weiß nicht, ob er noch viel geleistet hat in diesen Stunden. Jedenfalls konnte er mir schon ein paar Minuten später erfolgreich mitteilen, dass es am Freitagnachmittag mit Ludwigsburg klappen würde. Das war nun schon gut organisiert. Also dann weiter und den nächsten Schritt machen. Dies bedeutete, zuerst Schwester Karin zu informieren. Sie war noch mit wichtigen Dingen beschäftigt gewesen und wollte mir darüber einiges erklären . Aber in diesem Moment war ich einfach nicht in der Lage, ihr länger zu folgen.

»Sorry, Karin«, unterbrach ich sie in ihrem Redefluss. »Ich habe dir eine wichtige Mitteilung zu machen.«

Ich spürte deutlich, dass Schwester Karin in einem großen Konflikt steckte und mir nicht zuhören konnte. Ich selbst war aber auch in einem Konflikt, zum ersten Mal in meinem Leben war ich plötzlich selbst betroffen. Etwas forsch unterbrach ich sie deshalb nochmals: »Du, Karin, jetzt muss ich dir etwas sagen, ich habe gerade am Telefon erfahren, dass ich ein Mammakarzinom habe.«

Es dauerte einen Moment bis sie es aufgenommen und verstanden hatte, sie hatte es zwar gehört, aber erst nach ein paar Sekunden kam die Botschaft bei ihr an. Dann reagierte sie aber sehr spontan und ganz toll. Sie nahm mich einfach in den Arm, das ist bei ihr etwas Besonderes, da sie normalerweise keine körperliche Nähe sucht, und sagte dabei: »Ach Magde, das tut mir leid für dich, aber jetzt bist du dran, um nach dir selbst zu schauen. Du musst jetzt frei machen, du bekommst so viel Zeit wie du brauchst, um gesund zu werden.« Ich schaute sie an und sie beteuerte, dass sie es ernst meinte.

»Ja, aber schau mal, es fängt ja schon damit an, dass ich heute Nacht keinen Notfallrufdienst machen möchte oder vielleicht auch nicht kann.«

»Magde« sagte sie, »das regelst du nachher mit den anderen Kolleginnen, die springen bestimmt für dich ein. Und deine Diagnose bleibt hier drin in unseren Räumen, es wird niemand erfahren, wenn du es nicht willst, warum du erkrankt bist, da kannst du sicher sein. Alles was wir hier im HKL sprechen, soll auch hier drin bleiben, das gilt für die Problematik, die ich dir vorhin schilderte und auch für dich und deine Erkrankung.«

»Danke Karin«, meinte ich und es kam aus tiefstem Herzen. »Du bist echt lieb«, sagte ich noch zu ihr, konnte ihr damit aber kein Lächeln entlocken.

Unsere jüngste Kollegin Lissa stand in der Nähe, sah mich an und spürte, dass etwas in der Luft lag. Sie sah mich fragend an und ich sagte ihr direkt und offen ins Gesicht, dass ich Brustkrebs hatte. Sie meinte leichthin: »Ach, Magde, du kommst aber dann bald wieder nach deiner Operation, denn ich arbeite so gern mit dir. Sicher wird alles gut«, setzte sie noch tröstend hinzu. Ich bat sie, zunächst nicht mit jedem darüber zu sprechen, denn ich wollte selbst bestimmen, wem ich was mitteilen würde. Ich musste erst einmal mich selbst darauf einstellen können, es waren jetzt genau 25 Minuten seit ich meine Diagnose erfahren hatte.

Wir gingen zur Tagesordnung über. Lissa registrierte außen, ich legte innen den nächsten Patienten auf und der Professor machte die nächste Intervention. Alles lief wie am Schnürchen, wie gewohnt, nirgends gab es einen Hinweis auf eine kranke Magde. Am Nachmittag sprach ich noch mit den zwei anderen Kolleginnen über meine Diagnose, beide waren betroffen und sahen mir direkt in die Augen und ihre Blicke sagten mir, dass es ihnen ehrlich leid tat. Sie waren beide erschrocken und Nicki übernahm ohne zu zögern den Nachtdienst der Bereitschaft für mich. Sie ist einfach eine tolle Frau und solche Kolleginnen zu haben, ist immer wichtig, aber in solch einer Situation noch einmal doppelt so wichtig. Ich fühlte mich nicht allein, ich fühlte mich warm und weich umgeben von Liebe und Mitgefühl.

Um 16.00 Uhr wurde ich pünktlich heimgeschickt, Moni schaute mich so herzlich an und ich war selbst erstaunt, dass mir die Blicke so wichtig waren, wichtiger als viele Worte. Ich konnte mir die Worte gar nicht exakt merken, die kamen irgendwie gar nicht alle bis zu mir durch, aber die Blicke der Frauen, die mich so in den ersten Stunden angeschaut haben, die haben meine Seele berührt.

Paulo kam so gegen 16.15 Uhr, auch er hatte Feierabend, und wir fuhren zusammen nach Hause. Wir besprachen, wie wir es den Kindern mitteilen wollten und entschlossen uns für eine E-Mail, die ich an beide mit dem Vermerk »Spezialgrüße« verschickte. Ich formulierte sachte und erklärte ihnen, dass bei der Vorsorge-Untersuchung ein ganz kleiner Tumor entdeckt worden sei, der nicht gutartig war. Ich wollte weder das Wort »Krebs«, noch »bösartig« verwenden. Am Ende der Mail schrieb ich: Brustkrebs im Frühstadium hat ja eine sehr gute Prognose und so sind wir guter Dinge, dass bald alles über die Bühne ist. Ich wollte euch damit nicht erschrecken, ich wollte es Euch einfach sagen, damit ihr Bescheid wisst.