Vom Verlust der Freiheit - Raymond Unger - E-Book

Vom Verlust der Freiheit E-Book

Raymond Unger

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Beschreibung

Bankenkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Coronakrise – seit 2008 kommt die Welt nicht mehr zur Ruhe. Gefragt sind kluge und besonnene Krisenmanager, welche die globalen Probleme verantwortungsvoll angehen. Dabei fällt Deutschland mit seiner Programmatik auf. Nach 16 Jahren Angela Merkel gilt deutsche Politik als femininer, gerechter, humaner und ökologischer im Vergleich zu anderen westlichen Ländern. Doch warum eigentlich ist Deutschland so "total gut"? Und wie kompetent und weitsichtig sind die deutschen Krisenmanager wirklich, die für eine gerechtere, buntere Welt streiten? In seinem Buch "Vom Verlust der Freiheit" führt Raymond Unger seine These eines Wirkzusammenhangs von transgenerationalen Kriegstraumata und einer Übersteuerung in den großen politischen Agenden Deutschlands fort. Die heutigen Entscheider in Politik, Medien und Kultur sind Kinder und Enkel von traumatisierten Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs; sie fühlen sich aufgrund der emotionalen Distanz ihrer Eltern und Großeltern ungeliebt und entwickelten Schuldgefühle, mangelnde emotionale Ausreifung und narzisstische Persönlichkeitsmuster. In der Folge wird alles als Missstand wahrgenommen, es wird stetig nach Verbesserung gesucht. Dabei gilt die Universalisierung humaner Werte als alternativlos. Partikuläre Interessen und Bedürfnisse nach soziokultureller Identität, Wohlstand und Sicherheit werden ausnahmslos tabuisiert. Wie unter einem Brennglas verdichtet sich dieses Transtrauma-Psychogramm im Zuge der Coronakrise. Freiheitsbedrohende und ethisch wie juristisch fragliche Konzepte wie Lockdown, Maskenpflicht und Social Distancing wurden selbst im Sommer 2020 kaum hinterfragt, obwohl neue Erkenntnisse zur tatsächlichen Gefährlichkeit der Krankheit vorlagen. Notwendige politische Debatten finden kaum noch statt. Mahner und Kritiker von hohem wissenschaftlichem Rang werden aufgrund der Verengung des Meinungskorridors stummgeschaltet und stigmatisiert.

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Raymond Unger

VOMVERLUSTDERFREIHEIT

Klimakrise, Migrationskrise,Coronakrise

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

1. eBook-Ausgabe 2021

© 2021 Europa Verlag in der Europa Verlage GmbH München

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Redaktion: Franz Leipold

Layout & Satz: Danai Afrati, München

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95890-344-9

Alle Rechte vorbehalten.

www.europa-verlag.com

Inhalt

VORWORT

KAPITEL 1 – PSYCHOLOGISCHER HINTERGRUND

Top-down Journalismus

Corona und Medienkompetenz

Konformität

Transgenerationales Kriegstrauma

Toxische Scham

Schuldstolz und Identität

KAPITEL 2 – GROSSE TRANSFORMATION

Demokratie neu denken

Neuer Gesellschaftsvertrag

Kalifornische Ideologie

Archetyp Sozialismus

Kulturmarxismus

KAPITEL 3 – CORONAKRISE

Kognitive Verzerrung

Profiteure der Angst

UN und WHO

Event 201

Der Wolf von Bergamo

Zu viel des Guten

PCR-Test

Zweite Welle

Informationskrieg

Corona-Winter

Medienversagen

Corona-RAF

Maskenball

Schutzlos ausgeliefert

Gentechnische Impfstoffe

BNT162b2 für Jesus

Motivationsspritzen

Zahlenschlacht

KAPITEL 4 – GENDER, RASSISMUS, MEDIEN

Vaterhass

Doing Gender

Critical Whiteness

Rassisten sind weiß

Politische Korrektheit

Cancel Culture

Nudging, Framing, Spaltung

Torben und der ADAC

Wirklichkeitsverlust

KAPITEL 5 – KLIMAKRISE

Weltuntergang

Panik Jugend

Greta

97 Prozent

400 ppm

Klimaleugner

Mogelpackung

Blackout

KAPITEL 6 – MIGRATIONSKRISE

Im Schatten von Corona

Zuwanderung

Euphemismus Multikultur

Vormund und Mündel

Säkulare Muslime

Gott schuf die Angst

Scharia und Grundgesetz

Demografie

Youth Bulge

KAPITEL 7 – AUSBLICK

Angst

Homo hygienicus

Lockdown oder Kontrolle?

Freiheitsverlust

Great Reset

Finanzcrash

Krisenkult

Apokalyptische Reiter

SCHLUSSWORT

NACHTRAG

BIBLIOGRAFIE

ANMERKUNGEN

Vorwort

In meinen bisherigen Büchern geht es um die Frage, welche Mechanismen die authentische Selbstwerdung begünstigen oder verhindern. Obgleich ich mittlerweile als politischer Autor wahrgenommen werde, gilt mein Hauptaugenmerk nach wie vor den Bereichen Psychologie, Kreativität, Spiritualität und Philosophie. In den letzten Jahren habe ich allerdings erkannt, dass alle individualpsychologischen Prozesse auch eine kollektive und damit politische Bedeutung haben. Menschen sind soziale Wesen, sie beeinflussen ihr soziales Umfeld und vice versa. Therapeuten wie Hans-Joachim Maaz weisen zu Recht darauf hin, dass es zwei Arten von Freiheit gibt: eine formal politische, die in einer offenen Gesellschaft wie der unseren eigentlich garantiert sein sollte, und eine innerpsychische. Das Problem ist: Die eine Freiheit bedingt die andere. Verunsicherte, unreife Individuen können nichts zur Sicherung und Ausgestaltung freier Gesellschaften beitragen.

Ausgehend von meiner Arbeit an kreativen und psychologischen Prozessen, war es nur ein kleiner und folgerichtiger Schritt, die Gesellschaft als Ganzes in den Blick zu nehmen. Als Künstler und Therapeut interessieren mich gesellschaftliche Bedingungen, die ein authentisches und freies Leben ermöglichen. Wie kann man den diversen Fremdbestimmungen, einem Leben aus dem sogenannten »Über-Ich«, entgehen? Um die vielen Fremdbestimmungen und Zugzwänge erkennen und ablegen zu können, muss man zunächst einmal lernen, wirklich erwachsen zu werden, was bekanntlich nichts mit Älterwerden zu tun hat. C. G. Jung würde zudem davon sprechen, dass man lernen müsse, auf die Stimme des »Selbst« zu hören. Andere Therapeuten würden ergänzen, man müsse das »wahre Selbst« erst einmal kennenlernen, es gleichsam freilegen. Ein Leben im »falschen Selbst« bedeutet, dass man als Kind nie die Chance hatte zu lernen, was man wirklich fühlt, braucht oder ablehnt. Was ist echt, eigen und authentisch? Und was wird vorgegeben, befohlen und verordnet? Wer sein wahres Selbst nicht kennenlernen konnte, ist sich seiner nicht bewusst. Einfacher gesagt, er ist nicht selbstbewusst. Menschen ohne Selbstbewusstsein sind zum Konformismus verdammt. Und Menschen ohne Selbstbewusstsein haben Probleme mit dem Eigenen, das nicht erkannt, geschweige denn geliebt und geschützt werden kann. Da Menschen mit diesem Psychogramm keine echte, innerpsychische Freiheit kennengelernt haben, sind sie auch kaum in der Lage, gesellschaftlichen Freiheitsverlust wahrzunehmen. Mehr noch: Normierende, autoritäre Strukturen werden sogar als entlastend erlebt. Viele Menschen, die mit diesem Psychogramm in der Kindheit beschämt wurden, fühlen sich auf eigentümliche Weise einsam und schuldig, ohne ergründen zu können, woran dies liegt. Allerdings finden viele Betroffene schnell heraus, dass sich Scham-, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle erfolgreich ableiten lassen, indem man Macht über andere erlangt. Wer eine gesellschaftliche Position erringen kann, in der er andere beschämen, maßregeln und belehren kann, vorzugsweise mithilfe zeitgenössischer Moralen, kann seinen innerpsychischen Schmerz erfolgreich lindern. Derartige Machtpositionen finden sich naturgemäß in den Bereichen Ausbildung und Lehre, Politik, Medien und Kultur.

In Wirklichkeit können narzisstische Persönlichkeiten jedoch weder in der eigenen Familie noch in einer Liebesbeziehung noch im gesellschaftspolitischen Raum frei, innovativ und wahrhaftig interagieren. Im Gegenteil: Zu echter Bindung unfähig, sind diese Charaktere auf ständigen Zuspruch von außen angewiesen; dies bringt Mitläufertum und Opportunismus mit sich. Die Ursachen, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu entwickeln, sind vielfältig. Immer mehr Fachautoren stellen jedoch erschrocken fest, dass sich das Phänomen des kollektiven Narzissmus häuft. Gerade Deutschlands Besonderheit im »gut sein« legt die Vermutung nahe, dass hier sehr wirkmächtige, kollektive Faktoren greifen. In meinen vorangegangenen Büchern habe ich als Erklärungsansatz den Mechanismus des »transgenerationalen Kriegstraumas« beschrieben, in Die Heimat der Wölfe als erzählende, literarische Familienchronik, in Die Wiedergutmacher als politisches Sachbuch.

Für die erschreckende Polarisierung der Gesellschaft machen die Medien allgemein einen »Rechtsruck« verantwortlich – ohne dabei den eigenen »Linksruck« wahrzunehmen. Bei genauerer Betrachtung findet die Polarisierung der Gesellschaft jedoch weniger zwischen den Antipoden »rechts« und »links« statt. Die tatsächlichen Grenzlinien verlaufen zwischen narzisstisch und gesund, zwischen totalitär und freiheitlich, zwischen infantil und erwachsen, zwischen Gesinnung und Verantwortung und zwischen Mitläufern und Freidenkern. Narzissmus und Infantilität gehören zusammen. Das vielleicht wichtigste Merkmal des Erwachsenwerdens ist es, sich die inhärente Unverfügbarkeit des Lebens bewusst zu machen und sie anzuerkennen. Ein erwachsenes Bewusstsein erkennt, dass der Mensch ein Stück weit in sein Schicksal gestellt ist und dass der Mensch nicht Gott ist. Erwachsene Menschen halten Zielkonflikte und Widersprüche aus; sie wissen, dass alles seinen Preis hat und vor allem – dass das Leben endlich ist. Kinder wissen dies nicht. Kinder halten sich oder ihre Eltern für allmächtig. Kontakt zur Realität und damit zu Begrenztheit, Ungerechtigkeit und Endlichkeit macht Kinder unendlich wütend. Diese Wut agieren sie aus, indem sie Schuldige suchen, die sie für das natürliche Ungleichgewicht des Lebens verantwortlich machen können. Wehe einer Gesellschaft, in der Herbert Grönemeyers Vision Wirklichkeit geworden ist. »Kinder an der Macht« bedeutet infantile Hybris der Allmächtigkeit, umgesetzt in einer totalen, technokratischen, alternativlosen Politik. In den globalen Narrativen der Neuzeit und in den Credos der Regierung finden wir genau dies: Lockdown, Maskenzwang und Massenimpfungen sind alternativlos. WHO-, UN- und EU-Vorgaben sind alternativlos. Nullzinspolitik und Bargeldabschaffung sind alternativlos. Kampf gegen CO2 und Energiewende sind alternativlos. Migrationspolitik und Multikulturalismus sind alternativlos. Globalisierung und humanistischer Universalismus sind alternativlos. Feminisierung und Gender-Mainstreaming sind alternativlos. Doch eine Gesellschaft ohne Alternativen wird ihre Freiheit, ihren sozialen Frieden, ihren Wohlstand und schließlich auch ihre Demokratie verlieren.

KAPITEL 1

Psychologischer Hintergrund

Top-down Journalismus

Ursprünglich war die Konzeption für dieses Buch bereits im März 2020 abgeschlossen. Aufgrund der regen Resonanz auf Die Wiedergutmacher erschien mir ein Anschlussbuch wünschenswert. Im vorangegangenen Werk skizzierte ich den psychologischen Mechanismus von Transtrauma, den Fokus der politischen Folgen legte ich auf eine unverantwortliche Migrationspolitik. Tatsächlich zeigen sich die gesinnungsethischen und realitätsfernen Politikansätze Deutschlands insbesondere auf zwei weiteren Politikfeldern: Gender-Studies und Klimapolitik. Mein Folgebuch sollte daher alle Politikfelder umfassen, auf denen sich die Übersteuerung einer transtraumageschädigten Politiker- und Journalisten-Generation am verheerendsten auswirkt: Klima-, Gender- und Migrationspolitik. Dann kam Corona.

In ungeahnter Weise und wie unter einem Brennglas verdichtete sich das Transtrauma-Psychogramm vieler Babyboomer im Zuge der Coronakrise. Freiheitsbedrohende und ethisch wie juristisch äußerst fragwürdige Konzepte wie Lockdown, Maskenpflicht, Social Distancing, Tracking-Apps und Massenimpfungen wurden selbst im Sommer 2020 kaum hinterfragt, obwohl die Pandemie auf dem Tiefpunkt war und neue Erkenntnisse zur tatsächlichen Gefährlichkeit von Corona vorlagen.

Noch kontrastreicher als auf den von mir anvisierten Politikfeldern deckte die Coronakrise Konformitätsdruck, Servilität und strukturelle Infantilität vieler Babyboomer auf: Je rigider und paternalistischer die politische Ansprache bei den sogenannten »Corona-Schutzmaßnahmen« war, desto höher stieg das Ranking der Politiker. Eine auf dem Weg zur Zwergenpartei befindliche CDU konnte ihre Prozentzahl in nur wenigen Wochen verdoppeln – zum Leidwesen der Grünen und der AfD. Der Sprachduktus der Bundeskanzlerin, ähnlich einer fürsorglichen, aber strengen Mutter, wurde im Angstraum Corona noch stärker goutiert als zuvor. Überfällige und längst notwendige Corona-Debatten verbat sich die Kanzlerin und bezeichnete sie als »Öffnungsdiskussionsorgien«. Schwarzpädagogische Sprachfloskeln, wie »Zügel anziehen« und »brachial durchgreifen«, kamen bei den deutschen Bürgern bestens an. Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, die eigentlich souverän für ihre Länder verantwortlich sind, wurden in wöchentlichen Telefonkonferenzen mit dem Kanzleramt zum Rapport bestellt. Eigentlich hatten die Alliierten 1949 einer derartigen Machtkonzentration vorbeugen wollen, indem sie souveräne Bundesländer etablierten. Nie wieder sollte Berlin (oder damals Bonn) allein die Geschicke Westdeutschlands bestimmen können. Aus gutem Grund ist eine Runde der Ministerpräsidenten, unter dem Vorsitz der Kanzlerin, kein vom Grundgesetz vorgesehenes Entscheidungsinstrument. Im Zuge der Coronakrise hat es einen enormen Machtzuwachs für die Kanzlerin gegeben, denn letztendlich nehmen gestandene Landespräsidenten Weisungen aus Berlin entgegen. Dieser bemerkenswerte Vorgang wird seitens der Presse jedoch keineswegs moniert. Schließlich hatte es wenige Wochen vor Corona weitaus drastischere Übergriffe der Kanzlerin gegeben. Noch aus dem fernen Afrika verfügte sie, die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten sei unverzeihlich und müsse umgehend korrigiert werden.

Nach meiner Einschätzung ist die Freiheit seit 1945 nicht mehr so konkret bedroht gewesen wie im Zuge der Coronakrise. Ein kleines Virus, das real existiert und unter besonderen Umständen auch real krank macht, trifft im Internetzeitalter auf eine entwurzelte, wertelose, globale Gesellschaft, in der kollektive Angst-Meme in ungeahnter Heftigkeit zünden. Politische Konzepte, um diese teils realen, teils halluzinierten Ängste zu befrieden, bergen ungeheure Versuchungen zum Machtmissbrauch. Gemäßigte und alle Folgen abwägende Politikansätze setzen sich kaum gegen freiheitsbedrohende, totalitäre Maßnahmen durch, da viele Bürger glauben, dass nur letztere Schutz versprechen. Wenn ich dem Corona-Kapitel in diesem Buch einen besonderen Raum im Reigen der globalen freiheitsbedrohenden Politikansätze zugestehe, so hat dies gute Gründe. Hinzu kommt, dass mir ein Beitrag zur Erweiterung der Perspektive aufgrund meiner ganzheitlich-medizinischen Vorbildung eine Herzensangelegenheit ist (siehe auch Nachtrag).

Eine Beschäftigung mit Corona lohnt sich jedoch nicht nur, um anhand der Krise spezifisch deutsche Muster der Willfährigkeit abzubilden, die im Zusammenhang mit dem Transtrauma stehen. Die weltweite Gleichschaltung von Narrativen, insbesondere in der Klima- und Coronakrise, sowie die kritiklose Bereitschaft, den Agenden supranationaler Organisationen zu folgen, gehen weit über deutsche Befindlichkeiten hinaus. Die Politik der Regierung folgt letztlich globalen Agenden, die seitens WEF, UN, WHO, IPCC und IWF vorgegeben werden. Dass diese Organisationen weder demokratisch legitimiert sind noch altruistische Ideale zum Wohle der Menschheit verfolgen, wird am Ende dieses Buches deutlich werden. Merkels national-skeptische und global-freundliche Politik wird seit 2015 von einer regierungsfreundlichen Presse flankiert. Auch die Corona-Politik macht da keine Ausnahme. Dank der besonnenen Führung einer umsichtigen und wohl informierten Kanzlerin habe Deutschland die Coronakrise einigermaßen glimpflich überstehen können. Selbst der nachhaltige Freiheitsverlust über die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes, mit der potenziellen Möglichkeit dauerhafter Beschneidungen der Grundrechte, stieß auf breite mediale Zustimmung. Wie bereits bei den supranational geforderten Agenden zur Migrations-, Klima- und Gender-Politik tat eine regierungsfreundliche Presse alles, um kognitive Dissonanzen und offenkundige Ungereimtheiten zu leugnen. Mahner und Kritiker der Corona-Regierungspolitik, selbst wenn diese einen hohen wissenschaftlichen Rang vorweisen konnten, wurden als Querulanten, Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten verortet.

Mit seinem Buch Wie wirklich ist die Wirklichkeit – Wahn, Täuschung, Verstehen legt der renommierte Psychotherapeut Paul Watzlawick einen Klassiker der Kommunikationsforschung vor. Watzlawick führt auf unterhaltsame Weise aus, dass die Erfassung der sogenannten »Wirklichkeit« von diversen Konditionierungen, Ängsten und persönlichen Befindlichkeiten abhängig ist. Doch abgesehen von der innerpsychischen Lage, ist die Entwicklung einer ausgewogenen Medienkompetenz heutzutage wichtiger denn je. Du bist, was du isst – dies gilt auch für die geistige Nahrung. Um sich ein Bild von der Wirklichkeit machen zu können, sind wir auf seriöse, realitätsnahe Informationen angewiesen. Wir müssen dem System vertrauen können, das uns mit diesen Informationen versorgt. Westdeutschland hatte über viele Jahrzehnte eine relativ ausgewogene Medienlandschaft. Es war durchaus möglich, sich über die öffentlich-rechtlichen Sender und die großen Blätter, allen voran der Spiegel, ein einigermaßen realistisches Bild von der politischen und sozialen Wirklichkeit Deutschlands zu machen. Diese Ära ist spätestens seit 2015 vorbei. Dass sich im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise seriöse Medien wie Tagesschau und heute-journal für einen vermeintlich nötigen Erziehungsauftrag der Bürger entschieden haben, habe ich als persönlichen Schock empfunden. Letztlich war das Geschehen der Anlass für mein vorangegangenes Buch. Viele Menschen haben den Wandel der meisten deutschen Leitmedien – gegen Neutralität und für eine regierungsnahe Gesinnung – noch immer nicht mitbekommen. Ausgewogen informiert zu werden ist heutzutage ungleich aufwendiger als früher. Man könnte auch sagen, es ist ein zweiter Job. Trifft man Menschen auf der Straße oder im Alltag, lässt sich schon beim Smalltalk erkennen, ob das Gegenüber bereit war, diesen Job zu machen. Wenn Trumps Amtszeit keinen einzigen guten Aspekt hatte, wir unbedingt unseren CO2-Fußabdruck verringern müssen, der Islam friedliebend genannt werden muss und unsere Regierung die Deutschen vorausschauend und weise durch eine gefährliche Gesundheitskrise geführt hat, können wir getrost davon ausgehen, dass dieser Job nicht gemacht wurde. Medienkompetente Menschen merken Mainstream-informierten Menschen recht schnell an, ob sie das Framing der Leitmedien lediglich zurückspielen. Alle in diesem Buch beschriebenen Agenden dienen globalen oligarchischen Interessen, höhlen nationale demokratische Grundprinzipien aus und führen über kurz oder lang in die technokratische Totalität. Das einzige Antidot gegen diesen Prozess ist wahrhaftiger, neutraler Journalismus. Demokratie ohne freie, objektive, investigative Presse ist keine Demokratie. Selbst wenn es noch so gut gemeint ist – Journalisten, die das Neutralitätsgebot verletzen, indem sie den Bürger über »Nudging«, »Wording« und »Framing« in die richtige Richtung lenken wollen, ebnen damit den Weg in die Totalität.

Der Journalist Milosz Matuschek beschreibt, was guter Journalismus eigentlich sein sollte:

»Der italienische Publizist Paolo Flores d’Arcais schreibt in seinem Buch »Die Demokratie beim Wort nehmen«, dass in der echten Demokratie jeder Bürger ein Fürst ist. Jeder hat deshalb gleichen Zugang zur Wahrheit zu bekommen, um Entscheidungen treffen zu können. Das ist die Aufgabenverteilung in der Demokratie: Der Souverän entscheidet, der Journalist versorgt ihn mit den relevanten Informationen, und zwar so rein und ungefiltert wie möglich. […] Es geht nicht darum, etwas zu framen, zu erzählen oder jemanden zu überzeugen, sondern darum, den Beweis in Bild, Schrift und Ton für ein Ereignis zu liefern. Denken kann der Bürger selbst. Diese radikale Transparenz kann Verschwörung und Korruption zerschlagen: Niemand wäre mehr sicher vor Entdeckung. […] Es gibt zwei Arten, Journalismus zu betreiben, so wie es offenbar auch zwei Arten gibt, Demokratie zu organisieren: von oben nach unten oder von unten nach oben. In der Konstellation des Top-down ist der Journalist ein Wächter, ein Aufseher; letztlich Teil der ›Priesterkaste‹ (Schelsky). […] 40 Prozent des Inhalts einer Tageszeitung stammen inzwischen aus PR-Agenturen, schrieb mal der Spiegel. Propagandafiguren wie Rainald Becker (ARD), Olaf Sundermeyer (RBB), Sascha Lobo (Spiegel), Mai Thi Nguyen-Kim (maiLab) sorgen dafür, dass für die Regierung nichts anbrennt. Wenn unten rauskommt, was man oben reingibt, braucht es Journalismus allerdings nicht. Das kann auch der Pressesprecher der Regierung. Mit der zweiten Form des Journalismus, von unten nach oben, produziert man hingegen am ehesten das, was man, wenn schon nicht ›Wahrheit‹, dann zumindest einen ›unverstellten Zugang zur Wirklichkeit‹ nennen kann. Denn hier arbeitet der Journalist direkt für den Bürger und nicht für eine Institution mit eigenen Interessen. […] Der echte Journalist ist wie ein Minenarbeiter im Stollen, der sich durch Geröllhaufen an unwesentlichen Informationen arbeitet, um ein paar Goldkörner an Wahrheit zu Tage zu fördern. Nur dafür hat er Lohn vom Leser verdient. Niemand bezahlt nämlich freiwillig Geld für Propaganda, also Werbung.«1

Vor gar nicht so langer Zeit bestand in Westdeutschland noch ein recht ausgewogenes Verhältnis zwischen »Top-down«- und »Bottom-up«-Journalismus. Leitfiguren des deutschen Journalismus, wie Anja Reschke oder Georg Restle, behaupten inzwischen aber freiheraus, dass die neue globale Wirklichkeit zu »komplex« sei, um den Bürger mit einer neutralen Berichterstattung »allein zu lassen«. Man bekennt sich offen zu einem lenkenden Journalismus, bei der Sachinformation und Meinung bis zur Unkenntlichkeit vermischt werden. Trotzdem nennt man das Ganze nicht Propaganda, weil man glaubt, zu den Guten zu gehören. Ein Urvater der »Meinungspriester«, der Stimmungen nach Belieben modellieren konnte, war Edward Bernays (1891–1995), ein Neffe Sigmund Freuds. Bereits 1917 sorgte Bernays mit der Kampagne »Make the world safe for democracy« für die Zustimmung der Amerikaner, in den Ersten Weltkrieg einzutreten. Später steigerte er den Absatz von Zigaretten, indem er Frauen zum Rauchen brachte. Das Framing damals: Zigaretten als Emanzipations-Symbol, »torches of freedom« (Fackeln der Freiheit). Auf Bernays eigentliches Geheimnis zur Massenmanipulation, auf das er sozusagen das Copyright hat, komme ich im Klimakapitel zurück. Sofern man einen Nobelpreis für Massenmanipulation ausgelobt hätte – Bernays hätte ihn wohl gewonnen. So behauptete Bernays, der Propaganda-Erfolg von Joseph Goebbels sei auf sein Buch Crystallizing Public Opinion zurückzuführen, was durchaus denkbar wäre. Erschreckenderweise beschreibt Bernays exakt jene Prinzipien, die heute tatsächlich umgesetzt werden und die nicht allzu weit von den zeitgenössischen Journalismus-Vorstellungen entfernt sind:

»Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesellschaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Geist wird geformt, unser Geschmack geformt, unsere Ideen vorgeschlagen, größtenteils von Männern, von denen wir noch nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art und Weise, wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Sehr viele Menschen müssen auf diese Weise zusammenarbeiten, um als reibungslos funktionierende Gesellschaft zusammenleben zu können. Unsere unsichtbaren Gouverneure sind sich in vielen Fällen der Identität ihrer Kollegen im Innenkabinett nicht bewusst. Sie regieren uns durch ihre natürlichen Führungsqualitäten, ihre Fähigkeit, die benötigten Ideen zu liefern, und durch ihre Schlüsselposition in der sozialen Struktur. Unabhängig von der Haltung, die man gegenüber diesem Zustand einnimmt, bleibt es eine Tatsache, dass wir in fast jedem Akt unseres täglichen Lebens, sei es im Bereich der Politik oder der Wirtschaft, in unserem sozialen Verhalten oder in unserem ethischen Denken, von der relativ kleinen Zahl dominiert werden von Personen – ein kleiner Teil unserer hundertzwanzig Millionen –, die die mentalen Prozesse und sozialen Muster der Massen verstehen. Sie ziehen an den Drähten, die das öffentliche Bewusstsein kontrollieren, nutzen alte soziale Kräfte und erfinden neue Wege, um die Welt zu binden und zu führen.«2

Demokratien, die auf diese Weise »geführt« werden, haben gegenüber totalitären Staaten einen großen Nachteil. In totalitären Regimen mit offenkundig gelenktem Meinungsmanagement wissen die meisten Bürger zumindest, dass sie einen zweiten Job zur Wirklichkeitserfassung leisten müssen. In der DDR las man heimlich den Spiegel und schaute Westfernsehen; Karl-Eduard von Schnitzler verkam zu seiner eigenen Karikatur, und viele Bürger haben über ihn gelacht. Über Claus Kleber, Anja Reschke, Georg Restle und Marietta Slomka wird heutzutage weitaus weniger gelacht. Viele Menschen halten den Journalismus der Leitmedien immer noch für objektiv und neutral.

Corona und Medienkompetenz

In der Neuzeit hat es nur wenige Ereignisse gegeben, die sich besser als Lackmustest für Medienkompetenz eignen als die Coronakrise. Zudem wird anhand von Corona überdeutlich, dass selbst mit der Entwicklung einer soliden Medienkompetenz erst der halbe Job getan ist, denn unter den Bedingungen einer innerpsychischen Angstrepräsentanz wird diese Aufgabe ungleich schwerer. Medienkompetenz hin oder her – wer konkrete Angst um sein Leben und das seiner Liebsten hat, ist nahezu chancenlos, sich ein ausgewogenes Bild von der Wirklichkeit machen zu können. Zu allen Zeiten und an allen Orten der Welt nutzten Demagogen jedweder Couleur diesen Mechanismus: Wer Angst hat, kann nicht mehr klar denken. Angsterzeugung ist deshalb der Schlüssel zu Willfährigkeit und Gehorsam, und jeder noch so groteske Freiheitsverlust wird akzeptiert, solange er der Gefahrenabwehr dient. Aus diesem Grund werde ich dem Thema Angst in meinem Abschlusskapitel besondere Aufmerksamkeit widmen.

Die Wucht und Dramatik von Corona, genauer die Bilder aus Wuhan und Italien, haben zu Beginn der Krise nahezu alle Menschen – selbst die wohlinformierten – ins Bockshorn gejagt. Eine Millionenstadt wie Wuhan komplett abzuriegeln und in einer gewaltigen Kraftanstrengung in wenigen Tagen ein komplettes Seuchenkrankenhaus aus dem Boden zu stampfen, das erzeugte weltweites Entsetzen. Als sich wenige Wochen später in Norditalien die Särge in den Kirchen aufreihten und nachts Militärtransporter eingesetzt wurden, um die Toten abzutransportieren, brach in ganz Europa Panik aus. Konnte ein vernunftbegabter Mensch angesichts dieser dramatischen Bilder überhaupt daran zweifeln, dass es sich bei Corona um ein brandgefährliches Killervirus handelt? Bis die einzigartige Melange aus realer und medial halluzinierter Gefahr entwirrt werden konnte, vergingen Wochen. Die Evolution der Erkenntnisse, vom Killervirus zum Scheinriesen, konnte jedoch nur nachvollziehen, wer bereits vor Corona über eine gewisse Medienkompetenz verfügte. Wer sich allein über die öffentlich-rechtlichen Medien informierte, blieb mehr oder weniger auf dem Wissensstand vom März 2020 stehen. Hier wurde überwiegend der Eindruck vermittelt, allein die Maßnahmen der Bundesregierung, insbesondere der Lockdown, hätten Schlimmstes verhindert. Tatsächlich veränderte sich die wissenschaftliche Einschätzung bezüglich der Gefahr von Corona vom März bis zum Jahresende 2020 auf dramatische Weise. Sterblichkeitsraten schrumpften von Studie zu Studie, tragische Missverständnisse über Nocebo-Effekte und Fehlbehandlungen klärten sich auf. Dramatisch anmutende Bilder wie diejenigen aus Wuhan, Bergamo oder New York hatten lokale, multiple Ursachen und ließen sich nicht pauschal auf den Rest der Welt übertragen. Die Frage jedoch, ob diese im Prinzip guten Nachrichten adäquat eingeordnet und verarbeitet werden konnten, lag nicht allein an einer gesunden und früh entwickelten Medienkompetenz. Selbst alternative Medien, wie Tichys Einblick oder die Achse des Guten, mussten sich über Wochen den Weg zu einer realistischen Einschätzung der Lage erkämpfen.

In besagter Zeit habe ich selbst vier Artikel zur Corona-Lage geschrieben, und obgleich ich über eine solide medizinische Vorbildung verfüge, habe auch ich einige Zeit gebraucht, um mich aus meiner persönlichen Angststarre zu lösen. Erst danach konnte ich eine sachlichere Einschätzung zur COVID-19-Pandemie entwickeln. In meinem ersten Artikel, Corona: Horror oder Hoax?3, nahm ich noch die Rolle eines Mahners ein. Deutsche Experten, wie Dr. Wolfgang Wodarg, Prof. Dr. Karin Mölling, Prof. Dr. Sucharit Bhakdi oder Prof. Dr. Stefan Hockertz, erschienen mir zu Beginn der Krise als unverantwortliche Verharmloser. An der Genese meiner Artikel lässt sich ablesen, wie es vielen freien Autoren erging. Zu Beginn der Krise war es schlichtweg schwer bis unmöglich, sich ein ausgewogenes Bild der Lage zu machen. Dann kamen jedoch immer mehr internationale Studien ans Tageslicht, die den deutschen Kritikern recht gaben. Zur Heinsberg-Studie des Bonner Virologen Prof. Dr. Hendrik Streeck gesellten sich die repräsentativen Ergebnisse einer Quarantäne-Studie der japanischen Behörden, die mit den Passagieren des festgesetzten Kreuzfahrtschiffs »Diamond Princess« durchgeführt wurde. Wenige Zeit später folgten die Studien der Stanford University unter der Leitung des renommierten Professors John Ioannidis. Ergänzt wurden diese Ergebnisse durch die Studien des israelischen Mathematikers Isaac Ben-Israel, der festgestellt hatte, dass Corona in allen Ländern der Welt eine ähnliche Verlaufskurve zeigt – unabhängig von den lokalen Maßnahmen. Schließlich folgten die statistischen Erhebungen von Dr. Dan Erickson aus den USA, der sich darüber gewundert hatte, warum in Kalifornien und anderen Bundesstaaten die Krankenhäuser und Intensivstationen so leer geblieben waren. Das Beeindruckende der unterschiedlichen Studien aus aller Welt war jedoch: Die Ergebnisse lagen eng beieinander und bestätigten sich gegenseitig. Ergebnis: Corona ist eine reale virale Erkrankung, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Dennoch liegt die Sterblichkeitsrate zwischen 0,14 und 0,37 Prozent – was so ziemlich einer typischen, mittelschweren Influenza-Sterblichkeitsrate entspricht. Corona erwies sich damit glücklicherweise als weitaus harmloser als befürchtet. (Die Aufbereitung der Fakten erfolgt in Kapitel 3.)

Sofern es Kräfte gibt, die vorsätzlich an der Atomisierung der Gesellschaft bis ins letzte Glied arbeiten – mit Corona hätten sie ganze Arbeit geleistet. Den großen Spaltungsthemen Migration und Klima setzte Corona – Nomen est omen – die Krone auf. Gab es bezüglich der übrigen Politikfelder Gender, Klima und Zuwanderung noch so etwas wie eine homogene Opposition unter den intellektuellen Freidenkern, so war dies spätestens mit Corona vorbei. Auch hier griff jetzt der fatale Angstmechanismus einer vermeintlichen Fremdgefährdung durch Ignoranz. Wer vor Corona reale Angst hat, empfindet Nicht-Maskenträger selbstverständlich als unverantwortliche Hasardeure, denen unbedingt Einhalt geboten werden muss. Diesen panischen Effekt kannte man bislang nur aus der Klimabewegung. Hier will man Fleischesser und SUV-Fahrer ebenfalls aufgrund einer angeblichen Gefährdung für die Allgemeinheit am liebsten zwangstherapieren oder ins Gefängnis stecken. Wer glaubt, eine reale Gefahr werde von den Kontrahenten aus dem vermeintlich feindlichen Lager verursacht oder verharmlost, führt einen unerbittlichen Abwehrkampf.

In diesem Kampf zeigt sich exemplarisch das Psychogramm vieler Babyboomer, das ich in meinem vorangegangenen Buch beschrieben habe. Die Hybris, mit der sich uninformierte, konformistische Bürger als aufgeklärt empfinden und gleichzeitig wohlinformierte Menschen als Idioten diffamieren, geht letztendlich auf eine narzisstische Störung zurück. Dabei beeindruckt mich immer wieder, mit welcher Leichtigkeit Konformisten ein offenkundig gelenktes Framing übernehmen. Ein eindrückliches Beispiel der Installation eines politischen Kampfbegriffes gegen Meinungspluralität ist das Wort »Verschwörungstheoretiker«. Dies will nun wahrlich keiner sein. In Wirklichkeit zieht der Begriff eine Brandmauer gegen jedwede Kritik am Regierungskurs. Der Ökonom Prof. Max Otte bringt es auf den Punkt:

»Wenn Sie Macht heute kritisch hinterfragen, dann sind Sie Verschwörungstheoretiker. Wenn Sie vor 30 Jahren die Macht kritisch hinterfragt hätten, dann wären Sie kritischer Sozialwissenschaftler gewesen.«4

Das Framing suggeriert: Wer Verschwörungen für möglich hält, sei per se wahnhaft, dumm und uninformiert. Derart leichtgläubige Paranoiker und Aluhutträger würden jeden gefährlichen Blödsinn glauben und weiterverbreiten. Dass ein Framing, das Andersdenkende kleinmacht und abqualifiziert, von schamgeprägten Kriegsenkeln goutiert wird, ist kein Zufall. Denn im Umkehrschluss liegt eine enorme Aufwertung der eigenen Position, man fühlt sich psychisch gesünder und klüger. Vermeintliche Realisten glauben, nur sie hätten die Kraft, einer echten Gefahr ins Auge zu sehen, während »Covidioten« das Problem leugnen. Der Mechanismus, mit dem sich Menschen mit wenig Wissen überschätzen und die Leistungen kompetenter Menschen verkennen, nennt sich Dunning-Kruger-Effekt.

»Wir richten den Fokus vor allem auf uns selbst, beobachten uns viel genauer als unsere Mitmenschen – allein, weil wir tiefer in uns hineinschauen können als in unser Gegenüber. […] Weil Halbwissende dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, und zugleich die Kompetenz anderer verkennen, sehen sie auch nicht die Notwendigkeit, sich weiterzubilden und damit ihre Kompetenz zu steigern.«5

Man selbst weiß natürlich alles Wichtige über Corona, schließlich hat man sich über seriöse Quellen wie Tagesschau und Prof. Christian Drosten informiert. Als ich einen Artikel auf Facebook teile, der sich zustimmend zur Corona-Demo in Berlin positioniert, kommentiert eine Facebook-Freundin: »Warum bist du für diese mehrheitlich dummen Leute? Ich bin enttäuscht.«

Vermutlich ist die Facebook-Freundin eine eifrige Leserin des Spiegel, dort erklärt Stefan Kuzmany in seinem Artikel »Sollen sie nur pöbeln«:

»Mögen sie noch so laut krakeelen – die Demokratie lässt sich nicht einschüchtern. […] Und ja, es ist einmal mehr beschämend, dass mitten in der deutschen Hauptstadt Feinde der Demokratie marschieren und mit ihnen viele Menschen, die man wohlwollend frustriert und fehlgeleitet nennen kann, mit weniger Nachsicht aber einfach: leider sehr, sehr dumm.«6

Der Dunning-Kruger-Effekt sorgt auch bei Redakteuren des Spiegel für die Gewissheit, Andersdenkende seien per se dumm. Niemandem fällt auf, was der Begriff »Verschwörungstheoretiker« im eigentlichen Wortsinn bedeutet. Denn dass es Verschwörungen tatsächlich gibt, wird kein Mensch abstreiten, schließlich sind die Geschichtsbücher voll davon. Die Krux an Verschwörungen ist lediglich, dass sie oftmals erst Jahre später ans Licht kommen. Sofern eine Verschwörung funktioniert, bleibt sie unentdeckt. Theorien zu entwickeln und einer Indizienkette nachzugehen, um Verschwörungen vorzeitig aufzudecken, ist das Tagesgeschäft von Kriminalisten, (guten) Journalisten und Historikern. Im Kontext der Polizeiarbeit heißt dieser Vorgang schlichtweg Ermittlungshypothese, ohne diese Hypothese könnte man konspirativer Kriminalität gar nicht begegnen. Verständlicherweise liegt es im Interesse von Verschwörern, all jene zu diskreditieren, die derartige Überlegungen anstellen. Dass es Verschwörungen per se gar nicht geben könne und man folglich auch keine Theorien ersinnen müsse, um dahinterzukommen, ist offenkundig lächerlich. Komischerweise geht diesem Gedanken niemand nach, der sich gerade in den Kampfbegriff verliebt hat. Der Autor Paul Schreyer nennt als Gegenstück zum Verschwörungstheoretiker den »Zufallstheoretiker«. Dies wäre dann ein Mensch, der kein Geschehnis für geplant hält, erst recht nicht für konspirativ geplant. Indizienketten, die auf starke Interessengemeinschaften hinweisen, werden als »Zufall« betrachtet, und man muss ihnen nicht weiter nachgehen. In Bezug auf Corona wimmelt es von Zufallstheoretikern. Der »aufgeklärte« Bürger ist sich sicher: Niemand plant hier irgendetwas und niemand hat einen persönlichen Nutzen. Altruistische Wissenschaftler, Politiker und Pharmafirmen arbeiten fieberhaft daran, eine schicksalhafte Geißel der Menschheit zu bezähmen – das ist die ganze Geschichte. Und damit der Schaden so effektiv und zentral wie möglich gemanagt werden kann, helfen die Weltgesundheitsorganisation und der Internationale Währungsfonds fleißig mit. Die WHO gibt weltweit verbindliche medizinische Leitlinien heraus, und jene Staaten, die sich streng an die Vorgaben halten, bekommen über den IWF Milliarden Hilfsgelder und den Erlass alter Schulden. Was soll daran verschwörerisch sein?

»Die hier skizzierte Haltung ist weit verbreitet, besonders unter Intellektuellen und Meinungsführern. Sie fußt auf einigen Grundannahmen, die selten offen benannt werden:

»Die herrschende Ordnung ist im Grunde eine gute Ordnung.

»Andersdenkende sind oft dümmer.

»Menschen bedürfen der Lenkung, besonders bei ihrer Meinungsbildung.

An diesen Annahmen, die tief in die Verschwörungstheorie-Debatte eingewoben sind – so tief, dass sie vielen Menschen nicht mehr bewusst zu sein scheinen –, fällt vor allem eines auf: ihre autoritäre und obrigkeitsstaatliche Prägung. Liberal, pluralistisch und demokratisch wäre eigentlich die genau entgegengesetzte Haltung:

»Die herrschende Ordnung ist in Zweifel zu ziehen.

»Andersdenkende könnten klüger sein. Sie sind zu respektieren und auf Augenhöhe zu behandeln.

»Menschen sollten sich ihres Verstandes ohne fremde Anleitung bedienen.

Die Debatte über Verschwörungstheorien ist aus diesem Grund immer auch eine Debatte über das eigene Menschenbild und Politikverständnis.«7

In Bezug auf Corona gibt es tatsächlich lächerliche und abstruse Verschwörungstheorien. Dies bedeutet aber nicht, dass alle Geschehnisse, insbesondere im global gesteuerten Management der Krise, zufällig sind oder einzig dem Wohle der Menschheit dienen. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen »Verschwörungstheoretikern« und »Zufallstheoretikern«. Für mich war es jedenfalls bitter, mit anzusehen, wie sich im Prinzip kluge und ansonsten wohl informierte Autoren der freien Medien in puncto Corona nun auch untereinander zerstritten. Eine befreundete Schriftstellerin schrieb mir in einer privaten E-Mail dazu:

»Es ist zum Heulen. Als noch trostloser empfinde ich es, wenn mir gute Freunde, die sich noch gestern zu den kritischen Geistern gegenüber Mainstream-Vermeldungen rechneten, heute etwas von der ›real existierenden Pandemie‹ erzählen und dabei all die grotesken Regierungsmaßnahmen, die wir erleben müssen, für absolut gerechtfertigt halten – dann wird mir regelrecht flau im Magen … Ich kann auch dem Gerede von der ›Krise als Chance‹ nichts abgewinnen. Was soll dabei Gutes herauskommen? Die Krise wird von jenen ausgebeutet, die gnadenlos ihre Interessen durchdrücken, seien es Regierungschefs, Pharmakonzerne, Online-Konzerne, Parteiencliquen jeglicher Couleur oder Einzelakteure wie Bill Gates, und nicht zuletzt von jenen, die jetzt freie Fahrt haben, ihre Agenda von der progressistischen Weltangleichung im ganz großen Stil umzusetzen. Widerstand ist aufgrund der drastischen Maßnahmen gar nicht möglich und regt sich aufgrund des eingesetzten Psycho-Terrors in Form von Gruppendruck und totaler Propaganda nur rudimentär. Manchmal überfällt mich eine grenzenlose Resignation. Was ist nur geschehen? Es ist, als seien plötzlich Raumschiffe mit Aliens gelandet und hätten die ganze Welt in ihre Gewalt genommen. Dass es sich dabei um eine Simulation handelt, wird von den meisten ausgeschlossen, da die Auswirkungen haargenau mit denen eines echten Szenarios übereinstimmen, bis hin zu realen Krankheitssymptomen … Wir haben es hier mit einem gravierenden erkenntnistheoretischen Problem zu tun. Ein Jammer, dass sich ausgerechnet die, die es besser wissen müssten, dieser Erkenntnis verschließen.«

Viele schreibende Kollegen gingen in eine Art inneres Exil. Vor allem, weil ihnen unter Corona endgültig klar wurde, dass Fakten und Aufklärung kaum etwas bedeuten, solange sich Menschen in einem Angstraum bewegen. Man kann sich die Spucke sparen, oder im übertragenen Sinne die Tinte. Warum sollte man überhaupt noch etwas schreiben, wenn überdeutlich wird, dass Abwehr und Angst zu einer völlig selektiven Wahrnehmung führen? Unter diesen Bedingungen werden ohnehin nur noch Informationen durch den Wahrnehmungsfilter gelassen, welche die eigene Weltsicht bestätigen. Hat das Corona-Angst-Mem gezündet, sind einzig Artikel und Informationen relevant, die Warnung sind und Schutz versprechen – alles andere wirkt wie gefährlicher Nonsens. Freie Autoren sind klug genug, die Erfahrungen mit Corona auf ihre sonstigen Themen zu übertagen. Auch hier gilt: Je größer die Angst, desto selektiver die Wahrnehmung und desto hermetischer die Echokammer. Persönlich hat mich diese Erkenntnis nach Corona ebenfalls belastet, denn für alles Nachfolgende gilt dieser Mechanismus natürlich auch. Wer an die anthropogene, CO2-bedingte Klimakrise glaubt und deshalb große Angst vor der Zukunft hat, wird sich kaum auf entlastende Fakten einlassen können.

Konformität

Zum Psychogramm der Kriegsenkel, das ich in meinem vorangegangenen Werk Die Wiedergutmacher skizziert habe, gehören ein erhöhtes Anpassungsbedürfnis an den Mainstream sowie auch ein paranoider Aspekt, der dafür sorgt, sich in ständiger Defensive zu wähnen, obwohl man eigentlich längst zur den Diskurs bestimmenden Mehrheit gehört.

»Eine erstarrte und ins Pädagogische abgedriftete Linke, die sich durch ihre Weigerung bestimmt, ›ihr eigenes Machtstreben zu reflektieren, ihren Aufstieg in den akademischen und kulturellen Institutionen‹ (Michael Hampe), ein dergestalt zur Karikatur verkommener Linksliberalismus, der vergessen hat, dass er nicht mehr unter allen Umständen subversiver Underdog ist, sondern sich an Universitäten oder in Social-Media-Kontexten explizite Machtzentren geschaffen hat, bringt einen epochalen Menschenschlag hervor: den digitalen linken Spießer. […] Der neue linke Spießer betrachtet Gegenwart und Vergangenheit mit puritanischem und polizeilichem Blick und genießt es, unablässig den Wuchs der Diskurshecken zu prüfen, mit der Gartenschere in der Hand. […] Das Schlimmste an den gegenwärtigen Spießern ist nun aber nicht, dass sie ahistorisch denken, jedes (vermeintlich) verunglückte Wort zur Würde des Skandals erheben, ständig Situationen des Verdachts organisieren (Wer hat was zu wem gesagt?) oder aus den Menschen wieder reumütige Geständnistiere zu machen versuchen. Das alles ist bloß schlimm. Schlimmer als schlimm ist, dass sie sich immer noch widerständig und ›alternativ‹ fühlen, obwohl sie längst einem kulturell tonangebenden Milieu angehören. Eine unerlässliche Voraussetzung von Toleranz – und dieser Satz steht fest – liegt im ehrlichen Selbsteingeständnis von eigener Macht, auch diskursiver Macht (zum Beispiel an den Universitäten). Nur die, die wissen, dass sie über Macht verfügen, können sich überhaupt die Frage stellen, ob sie andere tolerieren, das heißt: aushalten, erdulden möchten – oder eben nicht. Hieraus folgt: Die neopuritanische Linke muss sich darüber ehrlich machen, dass ihre Adepten in vielen politisch-kulturellen Konstellationen mittlerweile zu nichts anderem als Figuren der Macht geworden sind. Bislang versuchen sie, es wortreich zu vermeiden, doch gerade sie hätten es nötig, sich einen Satz von Adorno, einem maßgeblichen Vertreter der lesenden Linken, in Erinnerung zu rufen: ›Wer innerhalb der Demokratie Erziehungsideale verficht, die gegen Mündigkeit, also gegen die selbständige bewußte Entscheidung jedes einzelnen Menschen, gerichtet sind‹ – mahnte dieser nämlich streng – ›ist antidemokratisch, auch wenn er seine Wunschvorstellungen im formalen Rahmen der Demokratie propagiert.‹ […] Dass heute die AfD bei manchen Wahlen mehr Arbeiter-Stimmen erhält als jede andere Partei, ist in jedem Fall auch ein trauriges Zeugnis für die naserümpfende, spießig gewordene Linke, die in ihren schlechtesten Momenten zugleich den Eindruck erweckt, einen Klassenkampf ›von oben‹ zu betreiben: eine Rebellion der tadellosen Vier-Zimmer-Altbau-Bourgeoisie gegen das schrecklich vulgäre, unaufgeklärte und politisch unkorrekte Proletariat.«8

Die Verwirrung über die gelernten Kategorien »gut«, »böse«, »rechts«, »links« ist auch deshalb so vollständig, weil sich ohne den psychologischen Mechanismus der Abspaltung kaum verstehen lässt, warum die Vertreter einer »Vier-Zimmer-Altbau-Bourgeoisie« heutzutage als Verfechter einer neuen Weltordnung auftreten, die ebenso kulturmarxistische wie globalkapitalistische Züge trägt. Im Schlusskapitel wird noch deutlich, dass sich das politische Koordinatensystem des 20. Jahrhunderts komplett ad absurdum führt. Auf globaler Ebene gibt das WEF, die Vertretung der mächtigsten kapitalistischen Konsortien der Welt, sozialistische Leitideale heraus. Höchste supranationale Organisationen wie WHO, IWF und UN werden von ehemaligen Kommunisten geleitet. Werbe- oder Hedgefonds-Manager aus Hamburg Eppendorf oder dem Prenzlauer Berg beklagen sich allabendlich bei einer guten Flasche Primitivo über den globalen Kapitalismus. Auf jeden Fall will man heute zweierlei: gut und solidarisch sein und Kohle machen. Die moralische Vertretung für möglichst exotische Minderheiten kollidiert dabei kaum mit dem eigenen Lebensstil. Fair Trade, Mülltrennung, Windstromanbieter, Hybridauto und Bioprodukte als mannigfaltiger Ablasshandel tun ihr Übriges, um kognitive Dissonanzen zu befrieden. Um das ehemalige marxistische Mündel, den einfachen Arbeiter, kümmert man sich hingegen kaum; diese Gruppe wird inzwischen eher von rechts bedient. Der linke Rotweinschwadroneur verweigert die Anerkennung seiner realen politischen Macht allein schon deshalb, weil er damit Zielkonflikten und Verantwortung ausweicht. Anstatt sich den Niederungen einer Realpolitik zu stellen, genießt er den Schutz aller staatlichen und medialen Macht, wenn er sich als Freiheitskämpfer für eine schöne neue Welt geriert.

Um das Bild des »linken Spießers« von Jan Freyn aufzugreifen: Wikipedia bescheinigt Spießbürgern »geistige Unbeweglichkeit und ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen«. Dies bedeutet, dass aus einem linken Spießer jederzeit ein rechter Spießer werden kann. Den politischen Spin erhält der Spießbürger über die jeweils herrschende Medienhegemonie. Spießer und Spindoctoren bilden in jedem totalitären System eine Einheit: Eine kleine Gruppe ideologischer Vordenker erlangt mediale und politische Macht – die wesentlich größere Gruppe der Konformisten folgt.

»Ich glaube, bei der Betrachtung des Nationalsozialismus und der DDR kommt die individuelle Beteiligung zu kurz. Solche Systeme sind nicht nur denkbar durch eine auffällige, pathologische Elite, sondern nur durch ein stützendes Mitläufersystem. Ich verwende dafür den Begriff der Normopathie und meine, dass etwas Gestörtes für normal gehalten wird, wenn eine Mehrheit diese Meinung vertritt. Das hat etwas mit dem menschlichen Grundbedürfnis zu tun, zu einer Gruppe dazuzugehören. So entsteht die Gefahr, dass man auch einer kollektiv falschen Meinung anhängt. Das kennen wir aus dem Nationalsozialismus und aus dem DDR-Sozialismus. Ich erkenne das auch in dieser aus meiner Sicht narzisstischen Gesellschaft.«9

Sofern das System, aus welchem Grund auch immer, seinen Spin ändert, folgen die Spießbürger nach; in diesem Fall nennt man sie Wendehälse. Ein Spießer fällt immer auf die Füße und ist immer auf der Höhe seiner Zeit. Ohne Mühe weiß er, was gerade gut und was böse ist. Sein Bezugspunkt ist die veröffentlichte Meinung; sein Wunsch, dazuzugehören, schließt eine kritische Haltung, die mit einer tieferen Medienkompetenz einhergehen würde, automatisch aus. Dem guten Bürger reichen die Tagesschau und das heute-journal, um zu wissen, was der »Anstand« gebietet. Dem medialen Aufruf, »Haltung« und »Gesicht« zu zeigen, folgt der Spießer gern, was unter Corona natürlich bedeutet, das Selbige zu verhüllen.

Wenn ich bei meinen Lesungen auf den Zusammenhang des deutschen transgenerationalen Kriegstraumas und den Übersteuerungen auf den Politikfeldern Corona, Gender, Klimaschutz und Migration hinweise, werde ich regelmäßig mit folgender Frage konfrontiert:

»Glauben Sie wirklich, dass ausgerechnet die Weitergabe des Kriegstraumas ursächlich für die aktuellen Verwerfungen ist? Schließlich gibt es viele westliche Nationen, auch jene, die selbst kaum Kriegsschäden erlitten haben, die von politischer Korrektheit und Schuldnarrativen beherrscht werden.«

Manchmal ist es dann etwas mühsam, darauf hinzuweisen, dass mir die Thesen, die den Niedergang westlicher Gesellschaften erklären wollen, durchaus vertraut sind. Tatsächlich halte ich sie sogar für überaus relevant. Natürlich ist das Problem der Selbstablehnung westlicher Gesellschaften universeller und komplexer. Autoren wie Douglas Murray, Matthias Matussek, Alexander Grau, Roger Scruton und andere äußern zu Recht den Verdacht, dass die größten zeitgenössischen Verwerfungen im direkten Zusammenhang mit der Säkularisierung stehen. Der Aufbau einer Ersatzmoral jenseits von Religion, die Dekonstruktion fester Institutionen, Rollen- und Leitbilder und vor allem der Verlust transpersonaler Sinngewissheiten sind wesentliche Faktoren für das Entstehen eines spirituellen Surrogates: die Hypermoral. Und damit auch für die unverhohlene Renaissance neomarxistischer Politikansätze, getarnt als Gender-, Migrations- und Klimaprogramme. Für Deutschlands Besonderheit werden außerdem der Dreißigjährige Krieg, die späte Nationalstaatlichkeit, die europäische Mittellage und die Epoche der deutschen Romantik diskutiert. All dem stimme ich ausdrücklich zu. Die Selbstzerstörung der westlichen Gesellschaften im Allgemeinen und der deutschen Gesellschaft im Besonderen ist multifaktoriell bedingt, und mein Ansatz, das Transtrauma, stellt lediglich einen weiteren Debattenbeitrag dar. Dennoch halte ich den Mechanismus für wichtig, weil er die spezifisch deutsche Übersteuerung aus einem weiteren Blickwinkel beleuchtet.

Linke Spießer, Konformisten, Wiedergutmacher, Normopathen, Mitläufer, Puritaner, Narzissten, Jakobiner, Pharisäer, autoritäre Charaktere … Wie auch immer man die total guten Menschen der Neuzeit nennen möchte – in der politisch-medialen Klasse Deutschlands sind sie tonangebend.

»Mit einer simplen Fünf-vor-zwölf-Rhetorik will die politisch-mediale Elite in allen Lebensbereichen einen radikalen Wandel herbeiführen – mit dem Versprechen, dass man Deutschland bald nicht wiedererkennen wird. Man denke nur an die Energiepolitik ohne Atom und Kohle, die Auflösung der nationalstaatlichen Souveränität in Europa, die grenzenlose Massenmigration und die Kulturrevolution durch ›Gendern‹ und ›Politische Korrektheit‹. Wer hier nicht mitkommt, den nimmt der Staat gerne bei der Hand – von der Wiege bis zur Bahre. Und wer sich weigert, sieht sich von den Gesinnungspolizisten in die rechte Ecke der ewig Gestrigen gestellt. Das Syndrom des politischen Moralismus kann man auf die Formel bringen: je schwächer der gesunde Menschenverstand, desto stärker die Gesinnung. Und wo Gefühle statt Argumente die Debatten bestimmen, kommt es ganz unvermeidlich zur Verteufelung der Andersdenkenden. Der politische Moralist sieht im politischen Gegner einen Unmenschen.«10

Der viel beschriebe »autoritäre Charakter« nach Erich Fromm, der sich durch Konformität, Willfährigkeit und Gehorsam auszeichnet, gedeiht immer dann, wenn große Gesellschaftsteile nur mangelhaft zum Erwachsenen ausreifen konnten. Kollektive Traumata, wie der Erste Weltkrieg, führten daher geradewegs in den Faschismus. Transtraumata, die Folgen des Zweiten Weltkrieges, sind jedoch nicht minder geeignet, zeitgenössische, autoritäre Charaktere auszubilden:

»Auch Theodor W. Adorno verengte unter dem Eindruck des Nationalsozialismus das Profil der autoritären Persönlichkeit weiter auf den konservativen, prüden, menschenverachtenden und faschistoiden Kleinbürger. Allerdings zeigen die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, dass auch unter freizügigen Weltbürgern der autoritäre Charakter prächtig gedeiht. Denn gerade der progressive und engagierte Kosmopolit unserer Tage versucht, seine Ängste mittels Dogmatismus, Unterwürfigkeit und moralischer Orthodoxie zu kompensieren. Dafür klammert er sich panisch an die in seinem Milieu angebeteten Götzen, an Diversität, Offenheit und Multikulturalität. Sein zeitgeistiger Habitus kaschiert dabei nur unzulänglich, dass er sich damit ebenso einer autoritären Ideologie unterwirft wie sein biederer Vorgänger – nur dass diese eben nicht prüde und verklemmt daherkommt, sondern spaßorientiert und scheinbar weltoffen.«11

In diesem Buch möchte ich aufzeigen, dass es in Deutschland aufgrund dieses neoautoritären Zwangscharakters kaum resiliente Kräfte gibt, den Bestrebungen supranationaler Organisationen zu widersprechen. Zugunsten einer »großen Transformation«, die das Weltwirtschaftsform »The Great Reset« nennt, nimmt Deutschland eine Vorreiter- und Schlüsselposition ein, da viele deutsche Babyboomer aufgrund ihres Transtraumas noch immer von Schuldkomplexen beherrscht werden und gleichzeitig unter enormem Konformitätsdruck stehen. Die zentralen Narrative und Problemfeder, die im Zusammenhang mit dem globalen Strukturwandel stehen, sind:

»Abbau vieler Grund- und Bürgerrechte im Zuge der »Corona-Schutzmaßnahmen«, Tracking-Apps, Schaffung einer weltweiten digitalen Identität, Lockdown und Reisebeschränkungen, Massenimpfung, Maskenzwang, Social Distancing.

»Instrumentalisierung und Überdehnung des Rassismus-Begriffs, Idealisierung von Fremdkulturen und Multikulturalismus bei gleichzeitiger Verteufelung der eigenen Identität, positive Diskriminierung gegen »alte weiße Männer«.

»Gender-Mainstreaming und Diversity-Management, Feminisierung der Gesellschaft, Dekonstruktion von Geschlecht und Familie, Betonung von Intersektionalität sowie Minderheitenkulte.

»Dekonstruktion religiöser Sinngewissheiten und Postulat einer menschengemachten, CO2-bedingten Klimakrise als spirituelle Schuld-Sublimierung und neue Welt(untergangs-)Religion.

»Idealisierung eines naiven humanistischen Universalismus sowie von One-World-Ideologien.

»Bargeldabschaffung und zentralistische Finanzpolitik, sozialistische Grundkonzeptionen in der staatlichen Geldwirtschaft, selbstzerstörerische »Euro-Rettung« sowie Geldmengenvermehrung und Nullzinspolitik.

»Negierung der Folgen einer unkontrollierten Migration mit Überlastung der Sozialsysteme, Kriminalitätsanstieg und Islamisierung, Verleugnung der demografischen Fakten und der Realität von Parallelgesellschaften.

»»Kampf gegen rechts« statt Kampf gegen Radikalismus, Abschaffung von Meinungspluralität, Stigmatisierung und Ausgrenzung regierungskritischer Meinungen, Diffamierung klassisch liberal-konservativer Positionen als »rechtsradikal«, Inkaufnahme und Förderung einer polarisierten Gesellschaft, mediale Manipulation durch Framing-, Nudging- und Gas- lighting-Techniken.

Transgenerationales Kriegstrauma

Heutige Entscheider in Politik, Medien und Kultur sind Kinder von traumatisierten Kriegskindern des Zweiten Weltkrieges. Kriegstraumatisierte Eltern von Babyboomern schützten sich vor Retraumatisierung, indem sie die Erziehung ihrer eigenen Kinder versachlichten. Viele Kinder der 1960er- und 1970er-Jahre fühlten sich aufgrund der emotionalen Distanz ihrer Eltern und Großeltern ungeliebt, verunsichert und abgelehnt. Insbesondere durch emotional abwesende Väter entwickelten sich Selbst-Infragestellungen, Schuldgefühle und mangelnde emotionale Ausreifung. Narzisstische Persönlichkeitsmuster, die sich in der Folge herausbildeten, räsonieren in besonderer Weise mit globalen zeitgenössischen Schuldnarrativen: Kolonialismus, Industrialisierung und Rassismus eignen sich dazu, den verdrängten Vaterhass einer emotional vernachlässigten Babyboomer-Generation zu sublimieren. Die Selbstwahrnehmung eines prinzipiellen Nicht-okay-Seins würde spirituelle und psychologische Befriedung erfordern. Fehlt beides, kommt es zu Generalisierung und Projektion auf die Welt: Hier wird alles als Missstand wahrgenommen; mannigfaltige Kämpfe um »Verbesserungen«, in der Regel nach feministisch-sozialistischem Muster, sind die Folge. Die Totalität in der Umsetzung der Agenden, zunächst in der »Flüchtlingskrise«, dann in der »Klimakrise« und schließlich in der »Coronakrise«, zeigt die affektive Ladung, mit der innerpsychische Schuldgefühle und Lebensängste projiziert werden. In der Wirklichkeitsblase narzisstischer Persönlichkeiten müssen Fakten und Realität überschrieben werden. Personen, die unangenehme kognitive Dissonanzen auslösen, werden früher oder später aus dem sozialen Umfeld entfernt. So entstehen Echokammern, und schließlich kommt es zur Polarisierung der Gesellschaft. Die Universalisierung humaner Werte gilt als alternativlos. Partikuläre Interessen und Bedürfnisse nach soziokultureller Identität, Wohlstand und Sicherheit werden tabuisiert und mit einem Höchstmaß an Entrüstung eingehegt.

Deutschlands offensichtliche Bemühung, »total gut« zu sein, erfordert besondere Beachtung. Jenseits der Tatsache, dass alle westlichen Gesellschaften von Hypermoral und Schuldnarrativen geleitet werden, gilt bei den Deutschen immer noch das Motto: mehr davon!

Im viel beachteten Lied »Deutschland« der Rockband Rammstein heißt es dazu:

»Man kann dich lieben

Und will dich hassen

Überheblich, überlegen

Übernehmen, übergeben

Überraschen, überfallen

Deutschland, Deutschland über allen«

Zumindest moralisch steht Deutschland erneut über allen. Mit dem besten politischen Führungspersonal, das die Babyboomer-Generation hervorbringen konnte, Heiko Maas, Peter Altmaier, Robert Habeck, Anton Hofreiter, Annegret Kramp-Karrenbauer, Annalena Baerbock, Katrin Göring-Eckardt und Claudia Roth, geriert sich Deutschland als der große Oberlehrer Europas. Deutschland ist der Weltmeister der offenen Außengrenzen, unter Corona aber gleichzeitig Weltmeister der geschlossenen Binnengrenzen, Weltmeister der Windräder und Weltmeister im Diversity-Management. Das wirklich Verrückte ist jedoch: Im Gegensatz zu anderen Nationen, die in obigen Disziplinen vor Kurzem ebenfalls noch Weltmeister sein wollten wie Schweden oder Dänemark, ist Deutschlands Lernresistenz legendär. Wo andere Länder längst aus ihren Fehlern gelernt haben und politische 180-Grad-Wenden vollziehen, fährt Deutschland unbeirrt unter moralischem Volldampf weiter. Ungeachtet der unübersehbaren Fluchtbewegungen aufgrund deutscher Zwangsbeglückungen, man denke nur an den Brexit, die Sperrigkeit der Visegrád-Gruppe und den rasanten Aufstieg rechtskonservativer Protestparteien in ganz Europa, legt das deutsche Führungspersonal sogar noch Kohlen nach und heizt den hypermoralischen Kessel weiter ein. Deutsche linksgrüne Kompromisslosigkeit wird schlussendlich zum Zerfall der Europäischen Union führen, die Schuld dafür werden selbstverständlich konservative Kräfte bekommen.

Wie also kommt es zum deutschen Starrsinn, der ungeachtet von Erfahrungen und Fakten um jeden Preis einen Wiedergutmacherkurs halten will? Welche psychologischen Mechanismen tragen diese narzisstische Grandiosität, gepaart mit infantilem Selbsthass und abgründigem Selbstzerstörungswillen? Bezüglich der Betroffenheit von kriegstraumatisierten Kindern und damit auch der Betroffenheit über die Weitergabe dieses Traumas an die Folgegeneration, hat Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Nationen durchaus Sonderstatus. In Die Wiedergutmacher schrieb ich dazu:

»Schaut man sich die Entscheider und Protagonisten der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland näher an, stößt man unweigerlich auf die Generation der Babyboomer. An den Schaltstellen der Macht, politisch, medial und kulturell, sitzen die Geburtenjahrgänge von 1955 bis 1970. Ich gehöre selbst dazu und bin als Autor und bildender Künstler ein Vertreter des kulturellen Flügels. Im ersten Teil dieses Buches möchte ich die Besonderheiten meiner Generation skizzieren, die sich gegenüber Amerikanern, Briten, Franzosen und vielen anderen westlichen Demokratien doch erheblich unterscheidet. Denn nicht nur die viel beschriebene Schuld und Täterschaft der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges ist einzigartig, sondern gemessen am Rückbranden des Kriegsgeschehens auf deutschen Boden hat auch die deutsche Bevölkerung im Vergleich zu anderen westlichen Staaten eine ungleich höhere Zahl persönlicher und struktureller Schäden zu beklagen. Während die zivilen Toten der Staaten aus Übersee naturgemäß gegen null gehen, beklagt Deutschland allein 1,2 Millionen tote Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. Doch zunächst ein Vergleich der absoluten Kriegstoten einiger westlicher Nationen, Zahlen, die betroffen machen: USA: 400 000, Frankreich: 360 000, Großbritannien: 330 000, Kanada: 40 000, Australien: 30 000, Deutschland jedoch: 6,4 Mio. Tote. Hinzu kommt das kollektive Trauma durch den Heimatverlust von 12–14 Mio. Deutschen, die gewaltsam aus den ostdeutschen Gebieten vertrieben wurden. Vor allem Frauen, Kinder und Greise erlebten auf ihrer überstürzten Flucht im Winter 1945 die Hölle. Zu den über 6 Mio. Kriegstoten und den 12 Mio. Vertriebenen kommen noch einmal 2 Mio. deutsche Frauen und junge Mädchen hinzu, die von der systematischen Massenvergewaltigung durch russische Soldaten betroffen waren. […] In den USA, England oder Frankreich gibt es diese nahezu flächendeckende persönliche Betroffenheit durch Täter- oder Opferschaft de facto nicht. Denn rechnet man obige Zahlen der persönlich betroffenen Deutschen hoch, so gibt es in nahezu jeder deutschen Familie wenigstens ein Familienmitglied, das getötet, verwundet oder vergewaltigt wurde. Zudem ist ja völlig klar, dass es innerhalb der betroffenen Generation eine kaum zu bemessende Anzahl geleugneter Täterschaft gibt, das heißt, eine saubere Trennlinie zwischen ›Opfern‹ und ›Tätern‹ lässt sich in einem Gewaltraum so gut wie niemals ziehen. Deutschland bis 1945 als ebendiesen Gewaltraum zu erkennen, in dem sowohl durch Opferschaft als auch durch Täterschaft eine nahezu flächendeckende Betroffenheit der Bevölkerung gegeben war, ist für das weitere Verständnis dieses Buches unerlässlich. Deutsche Babyboomer sind nicht einfach nette, unbelastete, lebensfrohe Fünfzigjährige wie in anderen westlichen Demokratien auch. Sie sind die Kinder von Eltern, die als Kinder um ihr Leben rannten, auf der Flucht aus dem Osten. Sie sind die Kinder von Eltern, die in Bunkern der Großstädte zitterten oder mit ansehen mussten, wie Eltern, Geschwister oder Freunde verbrannten oder vergewaltigt wurden. Deutsche Babyboomer sind die Kinder von Vätern, die bei den Pimpfen oder der Hitlerjugend lernten, dass deutsche Männer zäh, flink und hart sein müssen. Sie sind die Kinder von Müttern, die beim Jungmädelbund oder Bund Deutscher Mädel (BDM) lernten, dass das Schlachtfeld einer tapferen deutschen Mutter das Kindbett ist. Deutsche Babyboomer sind die Kinder von Eltern, die ohne Väter aufwuchsen oder deren Väter körperlich oder seelisch so verwundet waren, dass sie ihren Kindern niemals nahekommen konnten. Babyboomer sind die Kinder von Kindern, die von kalten, verbitterten Müttern erzogen wurden, die alles verloren hatten, oftmals auch die Liebe zu ihrem eigenen Körper. Und – deutsche Babyboomer sind die Enkel von Großeltern, die einem verbrecherischen Regime zujubelten, die von Stalingrad bis El-Alamein Krieg führten und die Menschen wegen ihrer Abstammung oder persönlicher Merkmale ausgrenzten und töteten.«11A

Da nicht jeder Leser mein vorangegangenes Buch kennt, möchte ich zunächst kurz drei psychologische Pathomechanismen auffrischen. Diese Mechanismen sind für das Nicht-erwachsen-Werden vieler Babyboomer, den heutigen Entscheidern in Medien, Politik und Kultur, mitverantwortlich:

Misslungene Triangulierung

»Viele Psychologen, die sich mit der Reife meiner Generation beschäftigen, halten 80 Prozent der deutschen Babyboomer-Männer für ›mangelhaft trianguliert‹. Was nichts anderes bedeutet als ›Kind geblieben‹. […] Vorab und verkürzt gesagt: Misslungene Triangulierung führt zu einem Mutterkomplex. […] Die Konflikte in der Ich-Werdung gestalten sich bei Jungen komplexer als bei Mädchen, denn ein Hineinwachsen in die eigene Geschlechterrolle wird als größerer Verrat an der Mutter erlebt. Aufgespannt zwischen Selbstentdeckung und Loyalität zur Mutter entsteht ein großes Aggressionspotenzial, denn die Loslösung von der weiblichen Identifikation zugunsten einer noch fremden Identität wird als große Bedrohung erlebt. Irgendwann versuchen kleine Jungen, diesen Konflikt ödipal zu lösen, indem sie ihre Mutter begehren. Nach Meinung vieler Analytiker lässt sich dieser Konflikt für Jungen jedoch nur dann befriedend lösen, wenn eine ›triangulierende dritte Person‹ hinzutritt – der Vater. Erst das Entdecken des Vaters als neue, männliche Identifikationsfläche, aber auch als Schutz gegen den vermeintlichen Verlust der Mutter erlaubt es kleinen Jungs, ihren symbiotischen Konflikt auf gesunde Weise zu lösen. […] Wenn kein Vater als Identifikationsfigur verfügbar ist, besteht die Gefahr, dass ein sogenannter ›Puer-aeturnus-Komplex‹ (nach C. G. Jung) ausgebildet wird. Der Komplex beschreibt Männer, die auch in der Lebensmitte die innerpsychische Reife von Teenagern behalten. Der ewige Jüngling ›führt typischerweise ein provisorisches Leben wegen seiner Angst, in einer Situation gefangen zu werden, aus der er nicht mehr entkommen kann. Er begehrt Unabhängigkeit und Freiheit, reibt sich an Grenzen und neigt dazu, jede Einschränkung unerträglich zu finden.‹ Nicht zufällig entspricht die psychologische Beschreibung des Puer-aeturnus-Komplexes ziemlich genau den Beschreibungen des typischen Babyboomer-Mannes in der klassischen Kriegsenkel-Literatur. […] In den meisten Fällen unreifer Babyboomer-Männer lässt sich tatsächlich ein abwesender oder persönlich schwacher Vater nachweisen, der allenfalls physisch anwesend war, aber dennoch emotional unerreichbar blieb. Viele Väter meiner Generation waren als Kriegskinder traumatisiert worden. Emotionale Nähe zu ihren leiblichen Kindern löste bei vielen Vätern der Kriegskind-Generation eine Abwehrreaktion aus, denn Emotionalität war ein Trigger zur Rückerinnerung an die eigene Kindheit. […]

Parentifizierung

Insbesondere in Bezug auf die Rolle kleiner Jungen in Familiensystemen ergibt sich aufgrund der häufig abwesenden Väter ein besonderer Pathomechanismus der Parentifizierung, den ich ›Kronprinzeffekt‹ nenne. Wegen der Infantilität ihrer Männer waren viele Frauen der Kriegskind-Generation in ihrer Mutter- und Elternrolle überfordert. Was eine angemessene Verantwortung für das Familiensystem angeht, so entwickelte sich der emotional abwesende, kindische Mann nicht selten zum Totalausfall. Durch Arbeitssucht, Alkoholismus oder übertriebene Hobbys ihrer Männer fühlten sich viele Frauen enttäuscht und im Stich gelassen. Die Zuwendungen und Bestätigungen holten sich daher viele Kriegskinder-Mütter von ihren Babyboomer-Söhnen, die als ›Ersatzmänner‹ fungierten. Realer sexueller Missbrauch war hierbei sicherlich eher eine Ausnahmeerscheinung, dennoch entwickelten viele Kronprinzen ungesunde Solidarisierungen mit der Mutter gegen den Vater, was die enge Mutterbindung noch weiter zementierte. Töchter solidarisierten sich natürlich ebenso mit ihren Müttern, was jedoch nicht ganz so unnatürlich erschien. Nicht selten entstand eine typische Frontlinie: Mutter und Kinder auf der einen Seite – der einsame Vater auf der anderen Seite, was den Rückzug der Väter natürlich noch weiter vergrößerte. […] Von Parentifizierung im Familiensystem sind natürlich auch Mädchen betroffen, denn der Prozess beschreibt allgemein eine ungesunde Umkehr in der Eltern-Kind-Rolle. Alle Prozesse, in denen emotional bedürftige, regressive Eltern ihre eigenen Kinder dazu missbrauchen, sich Zuwendung und Support zu holen, führen zur ›Parentifizierung‹. Der Begriff bedeutet ›sich Eltern machen‹, und zwar aus den eigenen Kindern. Dabei fühlen Kinder ganz instinktiv die Schwäche ihrer Eltern und wissen ganz genau, dass sie auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig sind. Deshalb tun Kinder nahezu alles, um ihre Eltern zu stützen. Man muss Kinder kaum aktiv in nicht-kindgerechte Rollen drängen, sie übernehmen wie von selbst eine ›Eltern-Funktion‹ gegenüber einem oder beiden Elternteilen, wenn sie die Familie bedroht sehen. Sie opfern ihr eigenes, kindgerechtes Leben zugunsten des Systems – zu einem schrecklichen Preis. Denn hiermit wird ein unseliger Kreislauf geschlossen, Parentifizierung vererbt sich weiter – in diesem Fall von den Kriegskindern auf die Babyboomer. […]

Doppelbindung

Der Prozess der Parentifizierung ist eng mit der Doppelbindungstheorie verknüpft. Ebenso wie Kinder instinktiv fühlen, dass sie in eine nicht gemäße Erwachsenenrolle schlüpfen, in der sie missbraucht werden, fühlen auch Eltern, dass es nicht okay ist, sich über Gebühr von ihren Kindern stützen zu lassen. Im Familiensystem bauen sich daher kommunikative Tabus auf, damit derartige Rollenumkehrungen nicht offengelegt werden. Hierbei kristallisieren sich typische, äußerst negative Kommunikationsmuster heraus, die man früher als Ursache für Schizophrenie in Betracht gezogen hatte. Obgleich sich diese These nicht bestätigen konnte, üben derartige Kommunikationsformen dennoch eine sehr lähmende Wirkung auf Schutzbefohlene aus. Zentrales Merkmal ist ein Machtgefälle und eine Abhängigkeit zwischen Erziehungsberechtigten und Kindern oder im Äquivalent zwischen Chefs und Angestellten. Kern des Problems sind paradoxe Signale oder Handlungsaufträge, die sich widersprechen, die aber dennoch eine Handlung einfordern, bei der sich der Schutzbefohlene in jedem Fall schuldig macht, ihn also in ein Dilemma stürzt. Perfiderweise sind die doppelten Botschaften oder Signale nicht sofort erkennbar, da sie sich mitunter auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen abspielen. Möglicherweise gibt es einen verbalen Handlungsauftrag, der zugleich jedoch von einem nonverbalen Verbot (über Mimik und Gestik) begleitet wird. Der Sender (Elternteil) leitet damit einen eigenen ungelösten, ambivalenten Konflikt an den Empfänger (Kinder) weiter, zugleich ist der Vorgang natürlich in hohem Maße aggressiv. Für den Empfänger ist die Doppelbindung unauflösbar, weil er keine Wahl hat, den restriktiven Maßnahmen zu entgehen – er macht sich in jedem Fall schuldig. Zudem gibt es ein unausgesprochenes Verbot zur Metakommunikation, das heißt, es ist dem Empfänger strengstens untersagt, den Widersinn der Situation anzusprechen, denn damit würde er alles noch schlimmer machen. Da sich der Empfänger aufgrund seines Abhängigkeitsverhältnisses gezwungen sieht, der Aufforderung nachzukommen, und er die Situation nicht verlassen kann, erlebt er jede Double-Bind-Kommunikation als ohnmächtige Qual.«12

Zur Vertiefung dieser Pathomechanismen muss ich auf mein vorangegangenes Buch verweisen. In diesem Folgewerk ist mir eine Ergänzung wichtig, die ich für die Entstehung der großen politischen Narrative der Neuzeit für wesentlich halte: die internalisierte, toxische Scham nach John Bradshaw.

Toxische Scham

Der Psychotherapeut und Bestsellerautor John Bradshaw stellt in seinen Standardwerken heraus, dass sich sämtliche der von mir beschriebenen Kriegsenkel-Pathomechanismen auf ein Grundfaktum reduzieren lassen: das Verlassenwerden. Alle missbräuchlichen Rollenmuster, in die Kinder von traumatisierten Kriegskinder-Eltern gedrängt werden, laufen schlussendlich auf dasselbe hinaus. Die für eine gesunde Entwicklung unbedingt erforderlichen Ingredienzien, nämlich Schutz, unverbrüchliche Liebe und Spiegelung des Okay-Seins der eigenen Gefühle und Bedürfnisse, aber auch eine notwendige, klare und liebevolle Limitierung eines mitunter ausufernden Kinderwillens bleiben aus. Das auf Gedeih und Verderb abhängige Kind wird von seinen Eltern emotional verlassen, was je nach Ausprägung als eine Art innerer Tod erlebt wird:

»Scham wird internalisiert, wenn man verlassen wird. Verlassenheit ist der Begriff, der beschreibt, wie man sein echtes Selbst verliert und seelisch aufhört zu existieren. Kinder können nicht wissen, wer sie sind, wenn sie kein ›Feedback‹ bekommen. Dieses Feedback kommt von den Bezugspersonen und ist in den ersten fünf Lebensjahren von entscheidender Bedeutung. Verlassenwerden bedeutet gleichzeitig den Verlust des Feedbacks. Eltern, die sich seelisch abkapseln [und das tun alle schamgeprägten bzw. traumatisierten Eltern] können ihren Kindern weder Feedback geben noch deren Gefühle bestätigen. Da wir uns in der frühen Kindheit im präverbalen Bereich bewegt haben, hing alles von gefühlsmäßigen Interaktionen ab. Ohne jemanden zu haben, der unsere Gefühle widerspiegelte, konnten wir nicht wissen, wer wir waren. Dieses Widerspiegeln hat auch für unser späteres Leben eine große Bedeutung. Denken Sie einmal an das frustrierende Erlebnis, das jeder von uns schon einmal gehabt hat, wenn wir mit jemandem sprechen, der uns nicht ansieht. Während Sie reden, beschäftigt er sich mit irgendetwas anderem oder liest. Für unsere Identität ist der andere wichtig, der uns mit seinen Augen ziemlich genau so sieht, wie wir uns selbst sehen. […] Die Art, wie Gefühle, Bedürfnisse und natürliche, instinkthafte Triebe durch Scham gebunden werden, ist der entscheidende Faktor bei der Umwandlung der gesunden Scham in toxische Scham. Durch Scham gebunden zu sein bedeutet, dass man sich schämt, sobald man ein Gefühl, ein Bedürfnis oder einen Trieb empfindet. Die Dynamik des menschlichen Lebens setzt sich aus unseren Gefühlen, Bedürfnissen und Trieben zusammen. Wenn diese Komponenten durch Scham gebunden sind, empfindet man die Scham bis ins tiefste Innere.«13

Bradshaw beschreibt ein Phänomen, das andere Autoren im Kontext der transgenerationalen Weitergabe kriegsbelasteter Kindheiten als Syndrom der »Kühlschrankmutter« bezeichnet haben. Kriegskinder, die Eltern der Babyboomer, waren häufig nicht in der Lage, ihren eigenen Kindern emotionale und körperliche Nähe zu geben. Kindern wahrhaftig und emotional zu begegnen und dabei kindliche Gefühle wie Wut, Angst und Trauer zu spiegeln bedeutet zwangsläufig, Gefühle der eigenen Kindheit zu evozieren. Wenn sich Eltern, deren eigene Kindheit traumatisch war, auf diese wünschenswerte und notwenigen Weise ihren Kindern nähern, erleben sie eine Retraumatisierung. Unbewusst und ohne böse Absicht wird die Erziehung der eigenen Kinder daher versachlicht. Die enorm wichtige Spiegelung authentischer Gefühle bleibt aus. Kinder, die auf diese Weise emotional vernachlässigt wurden, sehen die Gründe für die mangelnde Zuwendung jedoch niemals bei ihren Eltern, sondern einzig bei sich selbst. Sie halten sich für schuldig, wenig liebenswert und irgendwie nicht richtig.

»Egozentrisches Denken bedeutet, dass ein Kind alles auf sich bezieht. Selbst wenn ein Elternteil stirbt, kann es sein, dass ein Kind das auf sich bezieht. Es sagt dann möglicherweise: ›Wenn Mami mich wirklich liebgehabt hätte, wäre sie nicht zum lieben Gott gegangen, sondern bei mir geblieben.‹ Denjenigen, die wir lieben, schenken wir Zeit. Der Schock, der dadurch entsteht, dass unsere Eltern uns nichts von ihrer Zeit schenken, erzeugt in uns ein Gefühl der Wertlosigkeit. Das Kind bedeutet den Eltern so wenig, dass sie ihm weder ihre Zeit noch ihre Aufmerksamkeit schenken oder sich seiner Erziehung widmen. Das egozentrische kleine Kind interpretiert Ereignisse egozentrisch. Wenn Mami und Papi nicht da sind, dann ist das meine Schuld. Mit mir stimmt irgendetwas nicht, sonst wären sie gern bei mir. Kinder sind egozentrisch, weil sie noch keine Gelegenheit hatten, ihr Ich abzugrenzen.«14

Tragischerweise vererben sich die aus diesem Mechanismus hervorgehenden Folgen, Selbstwertmangel und Selbstzweifel, von Generation zu Generation weiter. Man kann seinen eigenen Kindern keinen Selbstwert vermitteln, wenn man sich insgeheim selbst ablehnt. Obgleich Kinder in diesem systemischen Reigen immer die Opfer sind, sehen sie sich als Täter, wofür sie sich schämen; deshalb suchen sie nach Wegen der Wiedergutmachung, sie werden zu »Wiedergutmachern«. Hauptproblem der internalisierten toxischen Scham ist jedoch, dass jeglicher Versuch der Wiedergutmachung in einem Teufelskreis endet, denn hier zeigt sich auch der Unterschied zwischen Schuld und Scham: Schuldgefühle entstehen im Abgleich eines etwaigen (Fehl-)Verhaltens, im Widerspruch zu inneren Wertvorstellungen. Ein erkanntes falsches Verhalten und nachfolgende Reue sind prinzipiell gesunde Mechanismen zur Reifung und führen idealerweise tatsächlich zur Wiedergutmachung. Sofern aber Scham internalisiert wurde, wird sie zu einem Wesenszug und ist mit der Identität des Individuums verbunden. Man hat dann nichts Falsches getan, man ist falsch. Für diesen Menschen gibt es keine Möglichkeit der Wiedergutmachung. Um psychisch überleben zu können, bleiben nur klassische Abwehrmechanismen, wie Verdrängung, Projektion, Leugnung usw.