Von der Familie zur Gruppe zum Team - Dr. Hans Rosenkranz - E-Book

Von der Familie zur Gruppe zum Team E-Book

Dr. Hans Rosenkranz

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Beschreibung

Dieses Buch entwickelt anhand von Erklärungsmodellen aus der Gruppendynamik, der Transaktionsanalyse, der Hypnotherapie Milton Ericksons und der systemischen Familientherapie Strategien zum Verständnis der verborgenen Strukturen im Chaos menschlicher Beziehungen. Ausgehend von den frühen Lernprozessen in der Familie werden Funktionen und Ausprägungen der Symbiose Eltern-Kind für das Werden der Person und besonders ihre blockierende Wirkung auf die spätere soziale Entwicklung von Personen und Teams dargestellt. An vielen Beispielen aus seiner Erfahrung als Unternehmensberater, Managementtrainer und Familientherapeut schildert der Autor die praktische Trainings- und Beratungs-konzeption, wie sie in den letzten 40 Jahren von ihm bei der Arbeit mit Führungskräften, Trainern und Beratern in gruppen-dynamischen Selbsterfahrungsseminaren, in familienähnlichen Gruppen und bei Team- und Organisationsentwicklung mit Betrie-ben entwickelt wurde. In den Trainings und durch Beratung fördert der Autor bei seinen Klienten den Prozess, Energie blockierende Abwertungszirkel und Misstrauensspiralen zu durchbrechen und Gefühle, gleich welcher Art, bewusst zu machen und nicht verletzend auszudrücken. Im kathartischen Effekt des Loslassens werden sie mit konkreten Verhaltensbeobachtungen verbunden und Familien- und Team-partnern angeboten. Dieses Feedback hat eine doppelt heilsame Wirkung: Selbstheilung für den Sender und Möglichkeit zu sozia-lem Lernen für den Empfänger. Vergleichbar ist dies mit einem "sozialen Quantensprung". Aus Chaos wird Lernen – dies eröff-net die Hoffnung auf eine angenehme wie auch effiziente Kultur des miteinander Umgehens sowohl in Familien als auch in Arbeitsgruppen. Die Fähigkeit, gekonnt Feedback zu geben und zu nehmen, kann das weit verbreitete Defizit an sozialer Kompe-tenz verkleinern und die Qualität unseres Lebens in Familien, Arbeitsgruppen und Organisationen entscheidend verbessern.

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Seitenzahl: 402

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Hans Rosenkranz

Von der Familie zur Gruppe zum Team

Familien- und gruppendynamische 

Vorwort

Dieses Buch entwickelt anhand von Erklärungsmodellen aus der Gruppendynamik, der Transaktionsanalyse, der Hypnotherapie Milton Ericksons und der systemischen Familientherapie Strategien zum Verständnis der verborgenen Strukturen im Chaos menschlicher Beziehungen. Ausgehend von den frühen Lernprozessen in der Familie werden Funktionen und Ausprägungen der Symbiose Eltern-Kind für das Werden der Person und besonders ihre blockierende Wirkung auf die spätere soziale Entwicklung von Personen und Teams dargestellt. 

An vielen Beispielen aus seiner Erfahrung als Unternehmensberater, Managementtrainer und Familientherapeut schildert der Autor die praktische Trainings- und Beratungskonzeption, wie sie in den letzten 40 Jahren von ihm bei der Arbeit mit Führungskräften, Trainern und Beratern in gruppendynamischen Selbsterfahrungsseminaren, in familienähnlichen Gruppen und bei Team- und Organisationsentwicklung mit Betrieben entwickelt wurde.

In den Trainings und durch Beratung fördert der Autor bei seinen Klienten den Prozess, Energie blockierende Abwertungszirkel und Misstrauensspiralen zu durchbrechen und Gefühle, gleich welcher Art, bewusst zu machen und nicht verletzend auszudrücken. Im kathartischen Effekt des Loslassens werden sie mit konkreten Verhaltensbeobachtungen verbunden und Familien- und Teampartnern angeboten. Dieses Feedback hat eine doppelt heilsame Wirkung: Selbstheilung für den Sender und Möglichkeit zu sozialem Lernen für den Empfänger. Vergleichbar ist dies mit einem »SOZIALEN QUANTENSPRUNG«. Aus Chaos wird Lernen - dies eröffnet die Hoffnung auf eine angenehme wie auch effiziente Kultur des Miteinanderumgehens sowohl in Familien als auch in Arbeitsgruppen. Die Fähigkeit, gekonnt Feedback zu geben und zu nehmen, kann das weit verbreitete Defizit an sozialer Kompetenz verkleinern und die Qualität unseres Lebens in Familien, Arbeitsgruppen und Organisationen entscheidend verbessern.

Modelle, Thesen und Theorien werden durch Erfahrungsberichte von Teilnehmern und praktischen Beispielen aus der Sicht des Trainers illustriert.

Hans Rosenkranz: Studium der Wirtschaftswissenschaften, der Organisationspsychologie, der Gruppendynamik und der Organisationsentwicklung, der Transaktionsanalyse sowie der Hypno- und Familientherapie.

Hans Rosenkranz arbeitet zusammen mit einem hoch qualifizierten Team von Managementtrainern und Unternehmensberatern für namhafte internationale Unternehmen. Sein Institut »TEAM DR. ROSENKRANZ GMBH« befindet sich in Gräfelfing vor München.

Chaos - Wende - Entwicklung

Phasen der Entwicklung

Vom Chaos zur Ganzheit

Teilnehmer gruppendynamischer Seminare erfahren häufig die Anfangsphase als Chaos, bar jeder Ordnung und Zielsetzung. Für sie wiederholt sich dort mit der Geburt einer Gruppe menschliches Urgeschehen. Sie erleben Situationen, die sie an ihre eigene Kindheit erinnern. Vielleicht sind hiermit auch Ahnungen an das Trauma der eigenen Geburt verbunden. Eine Teilnehmerin schreibt zu den ersten Stunden in einem gruppendynamischen Seminar:1

...Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, dass die Teilnehmer sich in diesem Stadium einander vorgestellt hätten. Da niemand auf diese Idee zu kommen scheint, und das Schweigen, in das wir uns eingekrampft haben, unerträglich wird, mache ich den entsprechenden Vorschlag. Alle nennen Vor- und Zunamen, beruflichen Titel und Firma, womöglich noch Familienstand und Alter, danach ihre Vorstellungen von diesem Seminar, ihre Wünsche und Ziele. Da ist er wieder, dieser Kloß im Hals. Jetzt bin ich dran und merke, wie die ganze schöne Kampfhaltung meiner drei Vorrunden zusammenbricht. Ich höre mich in schneller, hastiger Darstellung meine Position, meinen Zustand, meine Absichten genau mit den Worten belegen, die ich um jeden Preis vermeiden wollte und kann nicht verhindern, dass die Tränen rollen. Betretenes Schweigen folgt meinem Einbruch, irgendjemand erzählt überbrückend irgendetwas, bis ich, an meinem festen Vorsatz, hier alles oder nichts zu wagen, mit verkrampfter Stimme zu Ende erzähle. Danach habe ich vollauf mit mir zu tun, meinen Tränenstrom halbwegs im Zaum zu halten. Aber da nun schon einmal nicht zu übersehen ist, dass ich mich, zumindest bis zu diesem Moment, von den anderen unterscheide, verzichte ich auch darauf, hinauszulaufen oder die Maske mühsam wieder aufzusetzen. Ich sage mir, dass ich authentisch mit mir geblieben bin, auch wenn die anderen damit so nichts anfangen können, und dass es von dort aus nur noch besser mit mir werden könne. Wir sollen an einer Punkteskala von -3 bis +3 unsere Stimmung heute und an allen folgenden Tagen mit einem Klebepunkt markieren. Ich setze je einen Punkt in jeweils beide Extrem felder. Für mich ist und bleibt dieser Einstieg vollkommen schlüssig, auch wenn er nicht den Wertungsregeln entspricht.

Trotzdem kann ich später nicht einschlafen. Mir kommt der Gedanke, dass ich vielleicht wie ein Kind meinen Kummer herausgeschrien habe, verbunden mit dem Appell an die anderen, mir zu helfen?! Sollte ich mich also völlig unerwachsen benommen haben? Unfähig, meine Probleme selbst zu lösen? Oder vielmehr unwillig, meine Probleme selbst zu lösen? Was ist, wenn ich herausfinde, dass ich in meiner häuslichen Umgebung für mich gar keine Lösungsbearbeitung will, damit ich keine Eigenverantwortung übernehmen muss? Weiß ich schon zu viel über mich oder erst recht viel zu wenig? Mit heißen Augen und schweren Gedanken gehe ich in den zweiten Tag.

Eine andere Teilnehmerin schreibt über den Beginn eines Transaktionsanalyse-Seminars:2

...Noch am Sonntagabend trafen sich alle Teilnehmer einschließlich Trainer Hans in dem Tagungsraum des Hotels. Mir war ganz schön mulmig im Magen, als ich mich vierzehn anderen Leuten gegenübersah, deren beruflicher Erfolg mir förmlich ins Gesicht schrie. Ich hatte Angst - Angst, vor diesen Leuten, die mir so übermächtig erschienen, nicht bestehen zu können. Das Gefühl war kein neues, ich kannte es schon an mir - oft tauchte es Personen gegenüber auf, hinter denen ich Autoritäten vermutete. Doch nach meinem Motto »Wo die Angst ist, geht’s lang« wollte ich mich der Situation stellen. Ich wollte diese Angst überwinden, diese Hemmungen entlarven.

Es ging los. Zunächst stellte jeder seine Person vor. Wir sollten etwas über unsere Namensgeschichte, unsere Spitznamen erzählen, sagen, wie wir angesprochen werden wollten, ein Symbol für uns wählen, uns in die Rolle eines Zauberers versetzen, in dieser Rolle uns selbst und die anderen nach unseren Fantasien verändern. Schließlich sollten wir unsere Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen und das Seminar, die anderen, an uns selbst und an den Trainer aussprechen. Ich sollte mich vorstellen. Damit war die Situation, der ich mich stellen wollte, bereits da. Es gab für mich kein Zurück; ich musste etwas sagen, noch dazu zu meiner eigenen Person. Ich konnte kaum zuhören, was die anderen Gruppenmitglieder erzählten, konnte mich auch nicht auf meinen ‘Auftritt’ vorbereiten. Ich war blockiert von meiner eigenen Unsicherheit. Heute taucht in meiner Erinnerung eine Führungskraft als Zuckerrübe auf, ein Kolibri, ein Häschen! Schließlich, als ich mich überzeugt hatte, dass wirklich niemand mehr das Wort ergreifen wollte, begann ich zu sprechen. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber ich weiß, dass der unsichere Teil meiner Person bereits spürbar war, obwohl ich ihn eigentlich verbergen wollte.

Auch für mich als Trainer ist immer wieder faszinierend, wie aus einer Versammlung von Einzelnen, die chaotischen Kräften ausgeliefert zu sein scheinen, eine Gruppe wird, die ihr Geschehen reflektiert und ordnet. Ähnliche, eher noch chaotischere Situationen erlebe ich in neu zusammengestellten oder auch schon bestehenden Abteilungen von Betrieben, die mich als Berater zu ihren Konfliktworkshops oder zu Teamentwicklungsprojekten einladen.

Über die Vorphase eines Teamtrainings in einem großen Betrieb schreibt einer der Teilnehmer:3

Drei, vier Tage vor dem ‘Trainingsbeginn’ setzen wir uns zusammen. Wir, das sind die ‘Indianer’ (Sachbearbeiter auf der hierarchisch niedrigsten Ebene) unserer Hauptabteilung ohne unseren Vorturner; M. (der Co-Trainer) ist dabei, er will informieren sowie Anregungen und Kritik aufnehmen. Wir stellen unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen fest. Was sollen wir überhaupt auf dieser Veranstaltung? Unsere (auf Indianerebene) persönlichen Beziehungen sind ja problemlos, die brauchen wir nicht zu klären oder ganz zu bereinigen, Schwierigkeiten haben wir mit ganz anderen Personen: Warum nimmt C. nicht teil? Der ist in Urlaub. Hat sich den Zeitpunkt ja ganz gut ausgesucht! Der allgemeine Unmut über die Arbeitsbedingungen bei/für uns ist noch weit größer als ich das bisher gedacht habe: Es werden Kündigungsdrohungen ausgestoßen, Ultimaten gestellt (»... wenn nicht dies oder jenes bis dann passiert, dann werde ich meine Konsequenzen ziehen...«). Wir bejammern übereinstimmend, dass G. (unser Chef, den wir bewusst heute nicht dabei haben wollen) viel zu wenig Zeit für uns hat; dass wir uns alle nicht hinreichend informiert (von ihm informiert) fühlen, wir erfahren alles häppchenweise, wann es ihm passt. Wir reden auch aneinander vorbei, missverstehen uns (unser Chef und wir), der mangelnde Kommunikationsfluss führt zu Störungen bei der täglichen Arbeit (»Heute will er das, morgen das; heute will er es so, morgen so. Was soll ich denn tun?«). Aber ist nicht der C. unser und auch sein Problem? Und der drückt sich ja! Hat das Ganze dann überhaupt noch Sinn? Dabei reden wir z. T. recht wild durcheinander, kaum einer hört zu (von aktivem Zuhören ganz zu schweigen); wir geilen uns an Nebenkriegsschauplätzen auf, z. B. an unserer räumlichen Situation: Wir sind durch einige Meter zuviel jeweils voneinander entfernt, das sei ein Hindernis für unsere interne Kommunikation. Wirklich? Oder ist das nur eine gute Ausrede? Z. B. die Zeiten, an denen wir im Team-Training ‘arbeiten’ sollen/wollen. Lange Mittagspause und dafür abends länger was tun? Nein, ich will abends ins Bett. Wenn ich euch Kasperlsköpfe schon den ganzen Tag über sehe, will ich wenigstens abends meine Ruhe vor euch haben. Aber wir haben ja keinerlei Schwierigkeiten auf der Beziehungsebene untereinander, wie ich eben so schön erläutern konnte.

Ich ziehe mich im Verlauf dieser ‘Diskussion’ etwas zurück, was auch auffällt, den anderen und mir natürlich auch. ‘Rückzug’ ist mir eine beliebte Fluchtreaktion, weil’s halt schön einfach ist. Anscheinend fang ich schon an, was zu merken!?

M. redet noch davon, dass doch bitte alle kommen sollen, um den ‘Erfolg’ (was immer das ist) nicht a priori in Frage zu stellen. Er bietet jedem, der Probleme/Ängste/Schwierigkeiten damit hat, ein vertrauliches Einzelgespräch an. Ich hab die Phantasie, dass nicht alle kommen, mehr kann M. aber auch nicht tun.

Weniger als je zuvor weiß ich in diesem Moment, was eigentlich Sinn und Zweck des Trainings ist. Sollen wir uns untereinander besser kennen und verstehen lernen? Sollen wir uns nach außen hin klarer, einheitlicher, besser verkaufen? Sollen wir eingelullt werden, unsere täglichen Probleme bei der Arbeit zwar weiterhin haben, sie aber akzeptieren, tolerieren lernen? (»Ich mach zwar immer noch jede Nacht ins Bett«, sagt der Klient nach einer vierwöchigen therapeutischen Behandlung, »aber im Gegensatz zu früher macht es mir jetzt Spaß.«)

Ich weiß aber auch, was ich will: Ich sehe meine Schwierigkeiten im Umgang mit G. (erst recht auch mit C. - aber dagegen kann ich in diesem Zusammenhang nichts tun); ich hab zuviel eingesteckt in den letzten Wochen und Monaten, mich zu wenig gewehrt. Den Mund gehalten, auch wenn ich verärgert, getroffen, sauer war; wenn ich mich missverstanden fühlte. Ich habe damit ein Problem, nicht er. Wie kann G. was dagegen tun, wenn er gar nicht weiß (jedenfalls nicht von mir weiß und von wem sollte er es sonst wissen), wie ich mich fühle. Also: Ich muss mit ihm reden, ihm gegenüber (und natürlich auch anderen gegenüber) offen und ehrlich sein, meinen ‘Zustand’ ausdrücken, nicht schwindeln und schauspielern, nichts mehr reinfressen und verdrängen, meine Schwierigkeiten im Einstecken von Kritik und Austeilen von Kritik überwinden.

Verwirrung, Unordnung und Konkurrenz sind in relativ unstrukturierter Situation häufiger anzutreffen als Klarheit, Ordnung und Kooperation. Es scheint, als ob Chaos ein Urzustand sei. In diesem Buch beschäftige ich mich mit der Frage, ob dieses Chaos eine uns verborgene Struktur enthält, und wie wir diese durch Bewusstwerden, Einsicht, Deutung und Aktivität so ändern können, dass ihre Energie nutzbar wird.

Dieser Zustand in Gruppen scheint die gegenwärtige Situation in Wirtschaft, Gesellschaft und auch der Kunst widerzuspiegeln. Hans Sedlmayr hat schon Anfang der sechziger Jahre in seiner Analyse der Bildenden Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts von einem »Verlust der Mitte« geschrieben.4 Kunst spiegelt immer auch die Situation des Menschen und den Zustand des Ganzen wider. Diesen Zustand kann man auch beim Individuum, bei kleinen Gruppen wie der Familie, Arbeits- und Lerngruppen, in Schule und Betrieb, bei Institutionen und Organisationen bemerken. Nach Capra werden Aspekte entweder von Körper oder Geist, Verstand oder Gefühl, Yin oder Yang, Bedürfnis oder Leistung, Inhalt oder Prozess, Bürokratie oder Laissez Faire, Mann oder Frau, Zusammen- oder Alleinsein überbewertet oder vernachlässigt.5 Er beschreibt beeindruckend, wie sich das tiefgreifende kulturelle Ungleichgewicht auf alle Lebensbereiche auswirkt und damit die Gesundheit des Einzelnen, der Gesellschaft und der Ökosysteme bedroht. »Die natürliche Ordnung besteht in einem dynamischen Gleichgewicht zwischen Yin und Yang.«

»Yin und Yang« ist ein altchinesisches Begriffspaar und bezeichnet zwei gegensätzliche, sich ergänzende Kräfte. Es ist Symbol der Dualität schlechthin, aber - im Zusammenwirken der beiden Pole - auch der Einheit.

Die beiden sich umkreisenden Pole bedingen einander, der eine kann ohne den anderen nicht sein, aber ein jeder trägt den Keim des anderen bereits in sich. Beide zusammen ergeben eine Einheit. Die Yin-Yang-Symbolik liefert den Schlüssel zum Verständnis der Ganzheit als dynamisches Zusammenwirken unterschiedlicher, aber sich ergänzender Kräfte in einem Ganzen.

Jeder Mensch zum Beispiel stellt eine Ganzheit dar, ebenso wie jedes seiner Glieder und Organe, die alleine jedoch nicht lebensfähig wären. Und der Einzelmensch wiederum ist Teil einer Familie, eines Volkes, er braucht andere Menschen und eine Umwelt, um sich zu entfalten, um seine eigene Ganzheit, sein eigenes Mensch-Sein zu verwirklichen.

Für Sabetti ist Ganzheit der »natürliche Zustand des Lebens«6, den viele von uns nicht erfahren haben. Wir empfinden »deshalb auf einer tieferen Ebene Furcht vor der Ganzheit«. Einheit und Ganzheit sind verloren gegangen in der Polarisierung. Der belebende Energiefluss, der die Ganzheit und Mitte des Lebens ausmacht, scheint gestört. Einseitige Entwicklungen verstärken und verfestigen sich. Sie vergrößern das bestehende Ungleichgewicht. Blockierte Energien führen zu Verlusten, die sich als Mangel an Wohlbefinden und ungenügender Ausnützung des Potentials an Fähigkeiten, in Umweltzerstörung, Lernunwilligkeit und anderem zeigen.

Mit »Energie« ist jene belebende Kraft gemeint, die geistige und emotionelle Grundlagen hat und körperlich als beobachtbares Verhalten zum Ausdruck kommt. Sabetti definiert: »Alle übrigen anerkannten Arten von Energien (sind) Ausdrucksformen der Lebensenergie, einer vitalistischen Naturkraft, die die Grundlage dessen ist, was wir Ganzheit nennen.«7 Menschen sind bewusst und unbewusst, aktiv und passiv an dem Management ihrer eigenen und fremden Energien beteiligt. Erfolg oder Misserfolg dieses Managements zeigen sich auf allen Lebensgebieten. Der missbräuchliche oder falsche Umgang mit solchen Energien bedroht sowohl die Gesundheit des Einzelnen, als auch die der Gesellschaft. So kann durch Passivität entstandenes Energiedefizit zur Kumulierung von Energie am anderen Pol und zur Katastrophe führen. Ein Atomkrieg wäre die schrecklichste Folge. Individuen, Gruppen und Organisationen können Wege und Fähigkeiten entwickeln, den Energiefluss zu beleben, ganzheitlich zu gestalten und ihre eigene Mitte zu finden. Dürckheim8 zum Beispiel beschreibt, wie des Menschen körperliche Mitte, das »Hara«, mit seiner geistigen Mitte korrespondiert und wie jeder Mensch seine Mitte durch Übung erreichen kann.

Von den Praxislehren Gruppendynamik und Organisationsentwicklung her wissen wir, dass auch Gruppen und Organisationen ihre Mitte durch Lernen finden können, wenn sie sich ihrer selbst als System bewusst werden und ihren Regelkreis geplant durch Feedback verändern. Wie das praktisch geschehen kann, beschreibt ein Teilnehmer:9

...Die darauf folgende Übung machte uns deutlich, wie schwer es sein kann, alles Vertrauen auf einen anderen Menschen zu konzentrieren, denjenigen mit dieser Vertrauensbürde zu belasten und damit meist zu überfordern. In einer Entspannungsübung versuchten wir daraufhin, ganz bewusst uns selbst zu vertrauen, uns selbst anzunehmen, auf uns selbst und unsere eigene Stärke zu setzen. Total gelöst, stark, entspannt und in Hochstimmung, schwer beeindruckt von dem eben Erlebten gingen wir gemeinsam und stumm zum Abendessen.

Ich will sowohl aus der Perspektive eines Trainers und Beraters von Teams und Organisationen als auch der eines Familientherapeuten berichten, wie ich meinen Klienten helfe, ihre Mitte zu finden und ihre Energien und Ressourcen zu nützen. Ich berichte von meinen eigenen Erfahrungen und ziehe Modelle aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Therapieformen zur Erklärung hinzu. Darüber hinaus schildere ich die praktische Trainings- und Beratungskonzeption, wie ich sie, zusammen mit Kollegen und Klienten, in den letzten 40 Jahren angewendet und entwickelt habe. Im ersten Teil konzentriere ich mich mehr auf das soziale Geschehen und seine anthropologischen Grundlagen, im zweiten Teil auf Möglichkeiten, den Prozess durch Intervention zu gestalten.

Das Problem mit dem Überleben

Nach der pessimistischen Analyse Arthur Koestlers ist der Mensch ein »Irrläufer der Evolution«. Er ist im Grunde geisteskrank, dem Gesetz des Dschungels in einem Kampf jeder gegen jeden verfallen und leidet an einer »fast schizophrenen Spaltung zwischen Vernunft und Emotion«.10 Arnold Gehlen11 hat den Menschen als »organisches Mängelwesen« beschrieben, Adolf Portmann12 nannte den Homo sapiens im Vergleich mit den höchstentwickelten Säugetieren eine »extrauterine Frühgeburt«. Ungünstige Startbedingungen für den neugeborenen Menschen kommen auch aus Untersuchungen in Wien und Stockholm über die Einstellungen schwangerer Mütter zum Ausdruck. Zwei Drittel aller Mütter wiesen eine mehr oder minder intensive offene oder verdrängte Feindseligkeit gegenüber dem werdenden Kind auf. Lediglich bei einem Drittel der Mütter könne man sagen, sie seien »guter Hoffnung«.13

Es mutet geradezu erstaunlich an, dass der Mensch trotz allem überlebt. Alles scheint überlagert zu sein von der Angst, auf dieser Welt nicht genügend Platz und Möglichkeiten zum Überleben zu finden. Neben Kräften zur Selbstzerstörung haben wir auch Fähigkeiten, diesen negativen Prozess zu wenden, indem wir unseren Mangel an Instinkten durch Denken und Lernen überwinden. Wir haben die Chance, unsere Konfliktträchtigkeit und soziale Abhängigkeit durch Kommunikation und Kooperation zu kultivieren. Energien, die unkontrolliert unsere Entwicklung hemmen, können wir umkehren zum Ausgleich von Defiziten und zur Lösung von Überlebensproblemen. Die Voraussetzung dazu ist allerdings, dass wir mit dieser Überlebens-Urangst umgehen lernen.

Die Angst, nicht zu überleben oder nicht in dem Stil zu überleben, wie wir uns das vorstellen, reduziert in vielerlei Weise unsere Entwicklungsmöglichkeiten. Dies zeigt sich in gruppendynamischen Situationen, wenn wir Gelegenheit haben, uns durch andere mit unserem Selbstbild konfrontieren zu lassen.

Selbstbild und Fremdbild

Während in wissenschaftlichen Feldstudien Aussagen über häufig auftretendes menschliches Verhalten gemacht werden, setzt das gruppendynamische Laboratorium sich selbst zum Forschungsgegenstand. So werden in einer für die Teilnehmer relativ sicheren Umgebung Lernsituationen bereitet, die einen Vergleich des Selbstbildes mit den Fremdbildern der Gruppenkollegen ermöglichen. Die Teilnehmer übernehmen dabei sowohl die Rolle des Forschenden als auch die Rolle des Forschungsgegenstandes.

Beschreiben wir uns selbst, so drückt sich in dieser Beschreibung unser Selbstbild aus, d. h. wir beschreiben uns so, wie wir uns selbst sehen, z. B. »Ich bin Angestellter bei der Firma Y und habe dort die Aufgabe, Verkäufer zu trainieren. Ich bin eine Führungskraft, da ich andere anzuleiten und zu motivieren habe. Ich glaube, dass ich einen guten Job tue, da ich sieben Jahre Erfahrungen gesammelt habe. Ich bin 43 Jahre alt, schaue einigermaßen gut aus, habe Erfolg bei den Frauen, bin ein guter Tischtennisspieler und ein mittelmäßiger Fußballspieler, glücklich verheiratet, habe zwei Kinder, bin ein relativ partizipativer Vater, ein etwas direktiver Vorgesetzter, usw.«

Die Beschreibung ist subjektiv, d.h. sie ist vom Standpunkt des betroffenen Individuums/Subjekts aus gemacht. Sie ist eine psychologische Realität und von daher richtig - subjektiv richtig. Wollen wir uns aber mit dieser subjektiven Richtigkeit nicht begnügen, sondern unser Selbstbild in den sozialen Kontext einer stärker objektiven, d. h. auch von anderer Sicht aus gesehenen Perspektive überprüfen, so haben wir uns die Frage zu stellen: Wie sehen mich die anderen? Speziell diejenigen, mit denen ich am meisten zu tun habe - also die Familie, die Frau, die Kinder, die Freunde, die Mitarbeiter und Kollegen, Vorgesetzte und Kunden.

Solche Informationen über sich selbst sind von anderen in der rauen Wirklichkeit des Betriebes, der Behörde, der Schule etc. nur schwer, wenn überhaupt erhältlich. Es besteht ferner die Gefahr, dass Fragen wie »Wie siehst du mich?« oder »Welche Meinung hast du von meinen Führungsfähigkeiten?« usw. Erstaunen und Verwunderung bei den Befragten auslösen. Das Image selbstsucherischer Nabelschau entsteht (»Der Alte hat heute wieder seinen sentimentalen Tag«). So ist der Einzelne auf sich selbst und seine Beobachtungen zurückgeworfen, wenn ihm nicht in einer lerngeeigneten Umgebung die Gelegenheit zu sozialem Lernen geboten wird. Da Familien und Schulen diese Funktion heute nur mehr sehr eingeschränkt erfüllen, übernehmen gleichsam kompensatorisch andere soziale Einrichtungen, wie zum Beispiel auch Betriebe als Lernstatt oder Lernlaboratorien diese Aufgabe. In komprimierter Form erleben die Teilnehmer den Feedback-Prozess bei dem Soziogramm während eines Gruppendynamik-Kurses:14

...Später, beim Soziogramm, gibt es noch mehr Anlass, über Selbstbild und Fremdbild nachzudenken. Ich komme auch in Bedrängnis, meine Selbsteinschätzung, wo sie positiv ist, zu vertreten, und wo sie negativ ist, nicht zu tief zu stapeln, um bescheidener zu wirken oder gar indirekt »um Schläge zu bitten«. Die negative Quittung für meine Gefühlsäußerungen bekomme ich dadurch, dass zwei Absender mich für zu weich, nicht belastbar und überempfindlich halten und deshalb nicht mit mir als Untergebenem arbeiten wollen. Von allen anderen, und das sind mehr, als ich nach meiner eigenen Einschätzung erwartet habe, wird mir Vertrauen entgegengebracht, Verstand und Gefühl in Ausgewogenheit, Offenheit, und auch Engagement, Kreativität, Kooperationsfähigkeit und Loyalität bescheinigt. Was wünsche ich mir mehr? Mein derzeitiges Problem scheint darin zu bestehen, dieses positive Feedback und die Erfahrung von Anerkennung in meine heimatliche Umgebung mit zurückzunehmen und dort mit weniger Angst die Schwierigkeiten anzupacken. Beim Lesen der Beurteilungskarten habe ich zum ersten Mal in diesen Tagen richtig feuchte Hände. Dieses Soziogramm-Spiel ist wahrlich kein Spiel mehr. Jeder in der T-Gruppe ist längst selbst zum Forschungsgegenstand geworden, anstatt als Außenstehender am »Experiment Führungsstil« herumzulaborieren. Auch unser Typenforscher erfährt am eigenen Leib, wie weh das tun kann. Er spricht von einem dumpfen Gefühl im Bauch und Verkrampfungen im Schultergürtel. Trotzdem überleben wir alle diese erste Konfrontation mit direktem Feedback und es scheint so, als ob wir auch nach dieser bisher einschneidendsten Hürde beieinander bleiben werden. Es sieht im Gegenteil so aus, als ob wir uns in dieser relativ geschützten Gruppensituation mehr und mehr um Feedback-Geben und - Annehmen bemühen. Obwohl beides gleich schwer ist, führt der Umgang damit offensichtlich dazu, soziales Verhalten störungsfreier zu machen und Spannungen merkbar abzubauen.

Faktisch sind wir alle, besonders aber als Führungskräfte, Eltern und Trainer, auf Informationen darüber angewiesen, welche Wirkung, welche Autorität, welches Vertrauen, welche sozialen Reaktionen wir bei Mitarbeitern, Schülern, Studenten, Seminarbesuchern auslösen. Verzichten wir auf solche Informationen und wählen wir eine »Peer-Gynt-Haltung«, eine Haltung des »Sich-Selbst-Genug-Seins«, so entziehen wir uns der Chance des sozialen Lernens und verleugnen durch »Vogel-Strauß-Politik« die Realität. Solche Personen, Führungskräfte verdienen diesen Namen nicht. Sie werden früher oder später zum sozialen Außenseiter, zum Hagestolz, zum weltfremden »Spinner«, zum lernunfähigen Fremdkörper in einer sich ständig verändernden Welt. Sie werden zu oftmals missverstandenen Ursachen von Generationskonflikten, von heimlichen und auch offenen Revolutionen gegen nicht verstandene Entscheidungen, zu Aggressionsobjekten. Am Ende verstehen sie die Welt nicht mehr, da sie nicht gelernt haben, ihren eigenen sozialen Standpunkt in dieser Welt, in einer Gruppe oder einer Organisation zu erkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Das andere Extrem stellen die »Chamäleon-Typen« dar, die schon auf das leiseste Anzeichen einer Nichtübereinstimmung des Fremdbildes anderer mit dem eigenen Selbstbild ihr Gesicht verändern und es ständig der Meinung anderer anpassen. Hierzu gehören die Sozialanpasser, die Opportunisten, die ständig ihr Fähnchen nach dem Wind hängen.

Abwehrmechanismen

Wie der Einzelne, so haben auch Gruppen und Organisationen eine Vorstellung von sich selbst, der ein Fremdbild gegenübersteht. Ebenso wie Personen ist Gruppen und Organisationen das eigene Image lieb und verteidigenswert. Ängste um das Selbstbild werden beruhigt, indem eigene Stärken und die Schwächen der anderen hervorgehoben, die eigenen Schwächen und die Stärken der anderen aber übersehen werden. Schließlich führt dieser Umgang mit der Angst zu dem oben beschriebenen sozialen Chaos, da die anfangs eher gering erscheinenden Selbst- und Fremdabwertungen lawinenartig die Qualität der Beziehungen in und zwischen den jeweiligen sozialen Systemen vergiften.

Wie Personen und Gruppen ihre Energien durch Abwehrmechanismen15 binden, wird im Folgenden durch einige Beispiele gezeigt.

Rationalisierung

Für ein bestimmtes Verhalten werden Gründe angeführt, die zwar möglich, aber nicht zutreffend sind. Je mehr der Einzelne gelernt hat, rational zu argumentieren, desto häufiger wird die Rationalisierung verwendet.

Beispiele:

»Wenn die Übung klarer erklärt worden wäre, hätten wir bestimmt gewonnen.«

»Wir sind moralische Sieger, weil wir fairer als der Gegner spielten.«

»Mir war es nicht so wichtig, den Auftrag zu bekommen, da ich große Schwierigkeiten mit dem Kunden befürchtete.«

»Hätte uns der Trainer anfangs besser informiert, hätten wir ganz anders gehandelt.«

Verdrängung

Bedürfnisse oder Bewusstseinsinhalte werden vergessen, da sie eine persönliche Gefährdung oder eine Nichterfüllung eigener Wünsche bedeuten können. Durch das Ignorieren (Vergessen, Ungeschehenmachen) wird das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben. Das unbewusste Vorhandensein der Problematik äußert sich dann manchmal in Fehlleistungen wie Versprechen, Gestik u. a.

Beispiele:

Man vergisst, dass man den Lottoschein abgegeben hat, da man doch nicht an einen Gewinn glaubt.

Die verdrängte Verärgerung über das Arbeiten der eigenen Gruppe kommt zum Vorschein, wenn man sie versehentlich als »Truppe« bezeichnet.

Ein Termin wird vergessen oder man erscheint zu spät zu einer Besprechung, von der man nichts Gutes erwartet.

Man vergisst den erbetenen Spinat mit nach Hause zu bringen, da man ihn nicht gerne isst.

Verkehrung ins Gegenteil

Aus Angst vor den Folgen bestimmten Verhaltens wird die gerade entgegengesetzte Verhaltensweise gezeigt.

Beispiele:

Betont freundliches Verhalten dem Vorgesetzten gegenüber, obwohl man gerade eine fantastische Wut auf ihn hat.

Obwohl er das Mädchen liebt, ist der junge Mann grob und unhöflich, da er einen Korb fürchtet.

Ein Seminarreferent lobt seine Hörer, obwohl er sie für träge und uneinsichtig hält, um nicht am Ende des Seminars von ihnen schlecht beurteilt zu werden.

Sich zurückziehen

Aus Angst, nochmals enttäuscht zu werden, werden aus einem Misserfolgserlebnis oder der Erwartung eines Misserfolges unverhältnismäßig starke Konsequenzen gezogen.

Beispiele:

Der abgewiesene Bewerber für die Leitung des Rechnungswesens in einem Großbetrieb kündigt, um die Buchhaltung im Kolonialwarengeschäft seiner Frau zu übernehmen.

Ein Mädchen geht wegen seiner ersten unglücklichen Liebe in ein Kloster.

Da die Gruppe seinen ersten Vorschlag nicht annahm, beteiligt sich das Gruppenmitglied kaum mehr an der Diskussion.

Verleugnung der Realität

Zum Schutz und zur Pflege des eigenen Selbstbildes wird die Realität nicht wahrgenommen.

Beispiele:

Ein 65 Jahre alter Mann, der mit 23 Jahren sein Rechtsstudium abbrechen musste, führt auf seiner Visitenkarte den Titel cand. jr.

Kinder leben bei ihren Spielen häufig in einer Fantasiewelt. Diese Erscheinung finden wir auch oft bei Jugendlichen in der Pubertät. Flucht in die Fantasie hilft ihnen, ihre Entwicklungsprobleme zu bewältigen.

Auch Erwachsene, die eine angestrebte Position nicht erreichen konnten, handeln und denken häufig so, als ob sie die Funktion innehätten.

Identifikation

Frustrierte Bedürfnisse werden kompensiert, indem man sich mit einer Person gleichsetzt, die Erfolg hat. Eigenschaften und Eigenheiten dieser Person werden dann nachgeahmt.

Beispiele:

Der Kollege X ist erfolgreich, er wird im Betrieb als der »kommende Mann« angesehen. Er wird dann, oftmals unbewusst, von anderen Kollegen nachgeahmt, um so mit der Identifikation auch seine Erfolgserlebnisse zu übernehmen.

Kinder spielen »Maradona und Steffi Graf« oder »Räuber und Prinzessin«.

In der T-Gruppe (= Trainingsgruppe) identifizieren sich Gruppenmitglieder ab und zu mit dem Trainer, indem sie alle seine Vorschläge kritiklos übernehmen und ihn gegen alle Angriffe verteidigen.

Projektion

Abgelehnte eigene Bedürfnisse und Eigenschaften werden anderen Personen unterstellt.

Beispiele:

Bei der betrieblichen Beurteilung nehmen Vorgesetzte häufig besonders die negativen Eigenschaften bei anderen wahr, über die sie sich schon oft bei sich selbst geärgert haben.

Vielredner in einer Gruppe kritisieren vornehmlich die langen Monologe anderer Gruppenmitglieder, da sie selbst einige Zeit nicht zu Wort gekommen sind.

»Herr Meier, ich muss ganz besonders Sie auffordern, nicht persönlich zu werden.«

Fixierung

Das starre Festhalten an einer Idee oder Verhaltensweise lässt vermuten, dass man noch nicht mit einem damit verbundenen Problem emotional oder rational fertig geworden ist.

Beispiele:

»Ihr Verbesserungsvorschlag verstößt gegen die nun schon 5 Jahre bewährte Handhabung in unserer Firma. Ich denke nicht daran, auch nur einen Deut davon abzuweichen.«

Manche Gruppenmitglieder lehnen es ab, ihren angestammten Sitzplatz in der Gruppe zu wechseln.

Regression

Regression bedeutet einen Rückfall in abgelegte, kindliche Verhaltensweisen, um bestimmte Reaktionen beim Partner zu erreichen.

Beispiele:

Man ist nicht sicher, ob ein bestimmtes, vielleicht zweifelhaftes Ziel zu erreichen ist. Durch Blödeln und Verniedlichung wird versucht, die davonschwimmenden Felle noch zu retten.

Kinder versuchen durch Weinen und Trotzreaktionen zu verhindern, dass die Eltern ausgehen.

Eine Sekretärin beginnt zu weinen, um ihre Versetzung in eine andere Abteilung zu verhindern.

Verschiebung

Auf eine bestimmte Person gerichtete Emotionen werden auf andere Personen verschoben, da sie nicht ohne Risiko geäußert werden können.

Beispiele:

Der Abteilungsleiter reagiert seine Wut gegen den Chef an seiner Sekretärin oder seiner Frau ab.

Der gegen den Trainer gerichtete Ärger wird an der von ihm eingeführten Übung indirekt abreagiert (»Die Übung ist für uns absolut ungeeignet und blöd«).

Menschen sprechen oftmals zu Tieren wie zu Geliebten, da ihre Liebe von Menschen nicht angenommen wurde.

Konversion

Psychischer Stress zeigt sich in körperlichen Reaktionen. Stottern, Erröten, Magenbeschwerden, Zittern, Schwitzen u. a. und sind manchmal Zeichen unbewältigter Angst.

Warum reagieren wir Menschen aufeinander mit Abwehr? Wir haben Angst, nicht genügend Wärme und Zuwendung zu erhalten, ohne die wir nicht überleben können. Gruppendynamik und Familiendynamik können immer auch erklärt werden als ein »Kampf um Liebe und Anerkennung«16.

Wenn die Offenheit als Strategie nicht wirkt, finden wir Zuflucht in Abwehr. Kampf oder Flucht scheinen häufig die einzigen Alternativen. Und so haben wir alle Strategien entwickelt, um zu überleben. Häufig basieren sie auf Kurzschlüssen und kindlichen Ängsten, die in der Kindheit sicher angebracht waren und denen wir jetzt als Erwachsene noch nachhängen. Damals haben sie unser Leben erhalten, jetzt erschweren sie es.

Transaktionen

Einen Erklärungsansatz für menschliche Überlebensstrategien bietet die Transaktionsanalyse (TA). Ein Teilnehmer17 eines meiner TA-Seminare fasst in einem Bericht TA-Theorie und eigene Erfahrungen anschaulich zusammen. Hier einige Ausschnitte:

...Die TA geht davon aus, dass jeder Mensch sehr unterschiedliche Persönlichkeitsanteile besitzt - Ich-Zustände genannt -, die sich in bestimmtem Verhalten, Denken und Tun ausdrücken: Wir alle haben ein Eltern-Ich (EI), ein Erwachsenen-Ich (Er) und ein Kindheits-Ich (K), wobei im EI zusätzlich zwischen fürsorglichem, nährendem (nEI) und kritischem (kEI) und im K unterschieden wird. In diesen Ich-Zuständen können wir sehr schnell hin- und herwechseln, z. B. im Fußballstadion, wo wir in einem Moment himmelhoch jauchzen und im nächsten zu Tode betrübt sind (K), Spieler oder Trainer beschimpfen bzw. gute Ratschläge zur Hand haben (EI) oder auf den Fahrplan sehen, mit welchem Bus wir nach Hause fahren (Er).

Jeder Ich-Zustand hat charakteristische Eigenschaften und einen entsprechenden Wortschatz, wodurch wir sie mit einiger Übung schnell erkennen können. Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht. Die Kommunikation, die wir aus unseren drei Ich-Zuständen heraus führen, kann auf diese Weise sehr wirksam aufgegliedert und untersucht werden. Nun teilen wir uns erstmals in zwei Gruppen, um das Gehörte und Gesehene gleich mit Rollenspielen in die Praxis umzusetzen. »Herr Maier kommt zu spät« heißt die erste Übung, und wir können »live« erleben, wie wir aus verschiedenen Ich-Zuständen (re)agieren und - mindestens genauso interessant - wie wir unser Gegenüber gezielt in einem bestimmten Ich-Zustand ansprechen können.

Diese Erfahrungen vertiefen wir nach dem Abendessen vor der Videokamera. Fünf Stühle, die geschilderten Ich-Zustände repräsentierend, standen bereit, und wer wollte, konnte von jedem Stuhl zu sich selbst in die Kamera sprechen. An den Reaktionen einiger Teilnehmer konnte ich ablesen, dass es ihnen vermutlich ähnlich erging wie mir. Ich hatte zunächst Hemmungen, mich zu repräsentieren und zeigte erst mal vornehme Zurückhaltung. Doch ich wollte es auch wissen. Und die Auswertung danach brachte tatsächlich Erstaunliches für mich.

Dass mir kEI und aK gut vertraut sind, wusste ich bereits, aber dass mein Er, auf das ich so stolz bin, manchmal von meinem EI überlagert (getrübt) wird - natürlich ohne dass ich es selbst bemerke -, das gab mir doch zu denken, ganz zu schweigen von meinem verkümmerten fK.

Dienstag:

Durch die gestrigen Erkenntnisse waren wir in der Lage, unser individuelles Egogramm zu zeichnen. Dies brachte uns gleich Aufschluss über das nächste Thema: Symbiosen. Viele von uns (ich nicht ausgeschlossen) neigen dazu, sich mit Hilfe ihrer inneren Antenne Partner zu suchen, deren stark und schwach ausgeprägte Ich-Zustände sich komplementär ergänzen. Ein stark technisch orientierter Ehemann mit unterdrücktem K »leiht« sich etwa das K oder/und das nEI seiner Frau (und natürlich umgekehrt die Frau sein stark ausgeprägtes Er), um eine »ganze Person« zu sein.

Ich bemerke recht schnell, wie ich bei einigen Teilnehmern des Seminars dazu tendiere, Symbiosen aufzubauen. Ist auch recht praktisch und angenehm, die Probleme anderer zu lösen und dafür Anerkennung zu bekommen (und sich dabei als der »Klügere« zu fühlen) oder sich hilflos zu stellen, um einen »Retter« zu aktivieren. Dass dies jedoch nur durch Passivität (ja nichts verändern, immer schön beim Vertrauten bleiben) und Abwertung (meiner Person und Fähigkeiten oder der anderen), d. h. letztlich auf Kosten aller Beteiligten, auf Kosten der eigenen Weiterentwicklung und Autonomie geht, das ist die Seite, die wir dabei allzu gerne beiseite schieben wollen. In der TA-Sprache ausgedrückt: mindestens einer der Beteiligten ist »nicht o.k.«. Ein Gewinner dagegen ist der, welcher alle Ich-Zustände besetzen und aktivieren kann, der sich und andere als o.k. betrachtet. Damit ist auch schon eine wichtige Voraussetzung genannt, Symbiosen zu vermeiden.

Wie und wie oft wir uns selbst und andere abwerten, das erkannten wir bei einer gespielten Diskussionsrunde am Nachmittag, wobei eine Gruppe als Beobachter fungierte, die andere als Diskussionsteilnehmer und umgekehrt. Das Ergebnis war, mit meinen Worten, fatal. Es wurde unterbrochen, gestört, Probleme wurden heruntergespielt, Gefühle abgewertet, Vermutungen unterstellt, es wurde über jemanden geredet, obwohl dieser daneben saß oder auch minutenlang zaghaft die Hand gehoben, um sich zu Wort zu melden. Kurz: Verhaltensweisen, die wir alltäglich praktizieren, die jedoch erst bei gezielter Beobachtung schockierend waren, was nicht ohne Wirkung für mich blieb: Ich beschloss, zukünftig bewusster auf mein Verhalten zu achten.«

Als Kinder sind wir auf die Symbiose mit den Eltern angewiesen, aber es ist gleichzeitig die Aufgabe der Eltern, das Kind Schritt für Schritt aus dieser Symbiose zu entlassen, damit es schließlich mit dem Erwachsenwerden die volle Verantwortung für das eigene Tun und Handeln übernehmen kann. Ähnlich ist es die Aufgabe eines Teamleiters oder Trainers, die Verantwortung an die Betroffenen zu delegieren.

Tatsächlich aber sind die meisten Menschen von dem Ziel der Autonomie mehr oder weniger weit entfernt. Viele von uns verstricken sich in zahlreiche symbiotische Beziehungen und gegenseitige Abhängigkeiten, wodurch eine volle Entfaltung all unserer Fähigkeiten verhindert wird.

Spiele zum Überleben

Symbiose bedeutet für das ungeborene Kind, das Baby und das Kleinkind vorerst Passivität, Schutz, Wärme und Möglichkeit zum Wachsen. Instinktmäßig stehen dem neugeborenen Kind eine Reihe von Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung, die zunächst ganz unmittelbar dem eigenen Überleben, der eigenen Sicherheit dienen. Verhalten und Gefühle werden durch Ver- und Gebote der Eltern geprägt. Verhaltens- und Gefühlsmuster verfestigen sich und werden als Thema mit Variationen immer wieder reproduziert.

Das Kind wächst in das Jugend- und Erwachsenenalter hinein. Hat es nicht genügend Möglichkeiten, auch emotional zu lernen, d.h. immer wieder zu überprüfen, ob all die als Kind aktivierten Gefühle und die daraus entwickelten Entscheidungen und Strategien noch angebracht sind, agiert es auch als körperlich längst Erwachsener emotional noch als Kind. Aus ursprünglich lebensnotwendigem Verhalten entstehen so genannte psychologische Spiele, die auf dem im Kleinkindalter erlernten Rollenverhalten beruhen.

In der transaktionsanalytischen Spielanalyse werden drei Rollenstrategien differenziert, die dazu dienen, die Symbiose zu erhalten. So weigern sich so genannte »Opfer« durch Selbstabwertung, ihre Aufgaben zu erfüllen, um die Bequemlichkeit der Symbiose zu genießen. »Retter« agieren nach dem Motto: »Wenn ich tue, was du erwartest, tust du, was ich will.«18 Der »Verfolger« manipuliert durch: »Wenn ich dich genügend bedrohe, tust du, was ich will.«

Psychologische Spiele sind an dem überraschenden Wechsel von einer Rolle in die andere zu erkennen. Sie werden gespielt, um Streicheleinheiten zu bekommen. Meist sind negative Streicheleinheiten das Ergebnis. Spiele können aber auch von »Ich bin o.k., du bist o.k.« ausgehen. Sobald von einer Nicht-o.k.-Position aus agiert wird oder der andere in eine Nicht-o.k.-Position manipuliert wird, ist ein negativer emotionaler Gewinn zu erwarten, der letztlich alle daran Beteiligten unzufrieden lässt. Überwiegend gehen Spiele negativ aus. Trotzdem werden sie gespielt, da es immer noch besser ist, negative Streicheleinheiten zu erhalten als ignoriert zu werden. 

Psychologische Spiele lassen sich nach den in ihnen dominierenden Rollen beschreiben:

Opfer-Spiele

Die Spieler sammeln Nicht-o.k.-Gefühle wie z. B. Minderwertigkeitsgefühle, depressive Gefühle, Gefühle des Ängstlichseins. Durch ihr Verhalten, ihren Gesichtsausdruck und ihre Worte laden sie andere dazu ein, sie in dieser Nicht-o.k.-Position zu bestärken. Nach einiger Zeit wird es ihnen zu dumm, getreten zu werden und sie wechseln in die Verfolger-Rolle.

»Tu mir etwas an« oder »schlag mich« oder »mach mich fertig« (»kick me«).

Durch sein Verhalten, z. B. durch »dumme Fragen«, durch ein wehleidiges Gesicht (»Ohrfeigengesicht«) sendet das Opfer die Botschaft an andere: »Schlag mich, tu mir etwas Schlechtes an, lach über mich!« Leute, die z. B. »Jetzt habe ich dich endlich, du Schweinehund!« (Jehides) spielen, lassen sich in so einem Fall nicht lange lumpen und kommen seiner Aufforderung nach. Diese Aufforderung erfolgt häufig über Körpersprache und ist dem Opfer meist nicht bewusst. Wenn es dem Opfer-Spieler zu dumm wird, dauernd Schläge einzustecken, geht er zuweilen in die Verfolger-Rolle. Wenn ihm die Rolle nicht liegt, wird er wieder in das Opfer zurückgedrängt. Seine Reaktion ist: »Siehst du, so geht’s mir immer!« oder »Warum muss das immer mir passieren?«

Durch negative Phantasien wird der Misserfolg vorprogrammiert. Letztlich wundert sich das Opfer auch gar nicht mehr, dass der erwartete Effekt eintritt. Das Spiel hat zusammen mit dem Ersatzgefühl Depression oder Minderwertigkeit die kumulativen Effekte eines Teufelskreises.

»Holzbein«

»Holzbein«-Spieler suchen eine Entschuldigung dafür, dass sie eine Arbeit nicht tun können. Sie sagen: »Für jemanden, der ein Holzbein hat, ist es unmöglich, diese Arbeit zu tun.« Auf diese Weise werden Kollegen ausgebeutet. Häufig wird das Holzbein auch benützt, um etwaigem Misserfolg vorzubeugen. »Man konnte doch nicht erwarten, dass ich diese Stelle bekomme, da ich ja dieses Holzbein, diesen Dialekt, diese Verletzung, diese Nationalität, dieses Alter oder anderes habe.«

»Überlastet«

Unter Managern ist das Spiel »Überlastet« beliebt. Der Spieler übernimmt freiwillig zu viel Arbeit. Meist arbeitet er auch noch zu Hause. Nach einiger Zeit bricht er zusammen, da er überlastet ist, und bekommt ein Magengeschwür oder einen Herzinfarkt.

Der »Überlastet«-Spieler hat nicht gelernt, »nein« zu sagen. Er kann nicht delegieren und hat wenig Vertrauen in andere, die ihm dann auch kein Vertrauen geben.

»Blöd«

Wird oft von Leuten gespielt, die sich Dinge vier-, fünfmal erklären lassen, obwohl sie sie schon verstanden haben. Manchmal haben sie nicht die Erlaubnis, den Kopf und ihre eigene Intelligenz zu gebrauchen. Sie suchen negative Streicheleinheiten von anderen, besonders von Rettern, die sich gerne ausbeuten lassen.

Manchmal gehen sie nach einiger Zeit in die Verfolgerrolle, um anderen zu beweisen, dass auch sie blöd sind. »Blöd« ist ein Spiel, das mit »Kick me« Ähnlichkeit hat. »Blöd«-Spieler erhalten oft krummes Streicheln wie z. B.: »Du bist nicht blöd, du blöder Kerl!«

»Schlemihl«

Der »Schlemihl«-Spieler macht viele Dinge falsch. Er möchte, im Gegensatz zu dem »Blöd«- oder dem »Kick me«-Spieler, nicht geschlagen werden. Sein Gewinn ist der Versuch, Verzeihung zu bekommen. Er erreicht sie, indem er in die Rolle des Opfers geht, sich selbst bemitleidet und herabsetzt. Nicht die erwartete Verzeihung zu geben, hilft diese Spiele zu stoppen.

Opfer-Verfolger-Spiele (Beschuldigungsspiele)

Der Spieler beschuldigt jemand anderen für eine Sache, die er zu vertreten hat. Das Spiel dient tatsächlich aber zur Bestätigung der »Ich bin nicht o.k.«-Position. Anzeichen der Selbstgerechtigkeit und Tugend werden vordergründig gezeigt, dahinter steht letztlich die Angst um das eigene Image.

»Schau, wozu du mich gebracht hast«

Der Spieler macht einen Fehler und beschuldigt dann eine andere Person dafür. Beispiel: Jemand fällt dauernd beim Skifahren (oder er lässt sich fallen) und beschuldigt dann den Begleiter, eine so schwere Abfahrt ausgesucht zu haben. Deshalb wäre der Begleiter auch für die Folgen verantwortlich. Das ist ein Spiel ersten Grades. Ist der Spieler mit dem emotionalen Gewinn nicht zufrieden, bricht er sich eventuell noch ein Bein, nur um dem anderen zu zeigen, was er Böses angestellt hat (Spiel zweiten Grades). Bei einem Spiel dritten Grades kommt es z. B. zur Scheidung eines Paares, zu Totschlag o. ä. Der Spieler sammelt ärgerliche Gefühle über andere und Gefühle der Minderwertigkeit über sich selbst.

»Wenn du nicht wärst«

Der Spieler ist unzufrieden mit sich selbst. Seine Phrase ist: »Ich habe verzichtet, damit du studieren, essen, usw. kannst.« Ein Beispiel ist die Hausfrau, die ihr Studium abgebrochen hat, um Kinder aufzuziehen, aber die Kinder und andere ihre Unzufriedenheit spüren lässt. Ein anderes Beispiel: Jemand verzichtet auf ein Vergnügen, um zu Hause auf jemanden zu warten, der ärgerlicherweise nicht kommt. Durch die dargestellte Leidensmiene wird dem Anderen Schuld aufgebürdet. Verfolger getarnt als Retter und Opfer.

Verfolger-Spiele

Sie verstärken die Grundposition »du bist nicht o.k.«. Sie bestätigen Gefühle von Zorn, Ärger und Aggression.

»Makel«

Ein Chef oder ein Lehrer findet nur Fehler in der Arbeit des Angestellten oder des Schülers. Oft sind es nur Kleinigkeiten. Die Kritik dient dazu, anderen zu beweisen, wie minderwertig sie sind.

»Zwickmühle«

Der »Zwickmühle«-Spieler versteht es, die andere Person so in die Enge zu treiben, dass ihr keine Chance bleibt, was immer sie auch tut.

»Jetzt habe ich dich endlich, du Schweinehund« (Jehides)

Der Spieler arrangiert eine Situation, in der der andere Fehler machen kann, ja muss. Um den anderen zu ködern, nimmt er eine Opfer- oder Retterrolle an. Wenn der andere in die Falle tappt, schlägt er als Verfolger zu. Berechtigungsscheine für Aggression und Ärger werden gesammelt. Am Ende wird befriedigt festgestellt: »Ich habe ja gleich gewusst, dass du ein ... bist.«

Eine andere Funktion dieses Spieles ist die Aufrechterhaltung von Vorurteilen. Das komplementäre Spiel zu »Jehides« ist »Kick me«, was soviel bedeutet wie »Tritt mich«. Jeder erhält den emotionalen, negativen Gewinn, den er bevorzugt. Wenn komplementäre Spieler aufeinander treffen, entsteht eine Form der Hassliebe. In manchen Ehen wird dies zur Symbiose. Der Grund für die Fortsetzung solch qualvoller Beziehungen ist die Angst, kein, auch kein negatives Streicheln mehr zu erhalten. Entweder wird die Beziehung aufgegeben oder härter gespielt, bis es zur Katastrophe kommt.

»Tumult«

In diesem Spiel sind die Ansätze mehrerer anderer Spiele erkennbar. Es wird Kritik geäußert, der Kritisierte verteidigt sich, vielleicht mit »Ja, aber« und geht nach einiger Zeit zur Gegenattacke über. Je nachdem, wie der andere Spieler veranlagt ist, kommt es zu »Haust du meine Tante, hau ich deine Tante«, sofern er mehr zu einer Verfolger-Position neigt.

Bevorzugt er die Opfer-Position, so gibt er nach viel Lärm mit Weinen auf oder resigniert mit: »Ich kann ja doch nichts recht machen.«

»Hilfe! Vergewaltigung!«

Der Spieler oder die Spielerin geben Botschaften über Körpersprache, Kleidung oder durch Andeutungen, dass sie bereit sind, sexuell oder anders auf andere einzugehen. Greift der andere nun zu und möchte die evidente Einladung annehmen, wird überraschend gegenreagiert:

»So hab ich das gar nicht gemeint!«, »April, April!« oder, wenn es härter wird, »Hilfe, Vergewaltigung!«. Ein bekannter schrulliger Künstler trifft in der Straßenbahn einen Schulkollegen, den er Jahre nicht mehr gesehen hat und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Als dieser nun tatsächlich nach einigen Tagen auftaucht, will der andere nichts mehr von der Einladung wissen. In manchen Ländern ist dieses Spiel ritualisiert. Nicht ernst gemeinte Einladungen werden gegeben. Als Zumutung wird empfunden, wenn sie angenommen werden.

»Psycho«

Wird von Amateuren wie auch von Profis bei der Erforschung und Interpretation psychischer Schwierigkeiten von anderen gespielt. Der Psycho-Spieler geht davon aus, dass er über das Seelenleben des anderen mehr weiß als dieser selbst und dass dieser sich doch gefälligst nach seinen weisen Ratschlägen verhalten solle. Ansonsten wäre er ganz einfach selber daran schuld, wenn sich sein Seelenleben in falscher Richtung entwickelt. Möglichkeiten, »Psycho-Spiele« abzubrechen, sind die Verantwortung für die eigenen Probleme und das eigene Verhalten zu übernehmen und das auch zu zeigen.

»Ja, aber«

Dieses Spiel kann täglich im Klassenzimmer, im Seminarraum, am Beratungsschalter usw. beobachtet werden. Ratschläge werden erbeten und gegeben. Sie werden jedoch von der Rat suchenden Person mit einem »Ja, aber« so lange abgelehnt, bis beide sich verärgert trennen. »Ja, aber« ist das komplementäre Spiel zu »Psycho«.

»Fallensteller«

Eine Falle wird durch eine falsche Versprechung aufgestellt. Manche Organisationen schildern bei Stellenausschreibungen und in Interviews die Position zu gut, was sich danach als halbrichtig herausstellt. Nach einiger Zeit fühlt sich der Eingestellte wie in einer Falle. Je nach Mentalität wird er in der Falle bleiben oder sich befreien, in dem er das Unternehmen verlässt. In Organisationen wurde bemerkt, dass dieses Spiel für eine hohe Fluktuationsrate verantwortlich war.

»Gib’s dem aber«

Gerüchte und Halbwahrheiten werden weitergegeben in der Hoffnung, dass die Betroffenen in einen schönen Konflikt geraten, den man selbst als scheinheiliger Zuschauer, natürlich unbeteiligt, genießen kann. Ab und zu läuft das Spiel falsch. Dann schließen sich die vorgesehenen Konfliktpartner zusammen und fallen über den »Brandstifter« her.

Retter-Spiele

Sie verstärken die Grundposition »du bist nicht o.k.«. Retter erwarten oftmals Dankbarkeit, die sie aber meistens nicht bekommen, da sie die Nicht-o.k.-Gefühle des anderen bestärken.

»Ich versuche dir nur zu helfen«

Wenn der Retter durch seine Aktionen dem Opfer genügend klar gemacht hat, wie minderwertig es ist, beginnt das Opfer aufzubegehren. Die Schlussreaktion des Retters ist: »Ich versuche dir ja nur zu helfen. Wie kannst du es wagen, so undankbar zu sein und von mir nicht gerettet werden zu wollen?«

»Das mache ich schon für dich«

Der Retter ist immer zur Stelle, sofern er nur eine Situation ahnt, in der er seine Hilfe anbieten kann. Das komplementäre Spiel ist »Holzbein« oder »armer Teufel«:

Jemand stellt sich manchmal absichtlich äußerst ungeschickt oder hilflos an. Das ist für den Retter das Signal, in die Bresche zu springen. Nach der erledigten Arbeit wechselt er in die Verfolger-Rolle und sagt dem »armen Teufel« einmal ganz deutlich, dass er wirklich ein armer Teufel ist.

Läuft die Rettungsaktion schief und gerät er unversehens in die Opfer-Rolle, so kann die Reaktion sein: »Undank ist der Welten Lohn!«

Ablauf psychologischer Spiele

Sie laufen in fünf Phasen ab:

Das Ködern mit der Suche nach einem Spielpartner.

Das »Anbeißen« der Spielpartner oder das Eingehen auf den Köder.

Die kennzeichnende Phase eines Spiels ist der »Trick«, nämlich der plötzliche Wechsel der Ich-Zustände und der dramatischen Rollen: Retter, Opfer und Verfolger; diese Phase ist auch mit einem Wechsel der O.k-Positionen verbunden.

Die Überraschung auf diesen Wechsel wird in einem Moment der Verwirrung deutlich.

Einstreichen des emotionalen Gewinns.

Mit allen drei Spielstrategien werden alte, einmal gelernte Gefühle und Verhalten auf neue, nicht mehr passende Situationen übertragen, Relikte einer in den Kindheitsjahren überlebenswichtigen Symbiose.

Rollenzirkel - Abwertungszirkel - Misstrauensspirale

Haben wir durch die Symbiose früher Schutz und Sicherheit erfahren, so schränken wir uns jetzt selbst ein, aus einer nicht mehr zutreffenden Angst, dass uns Schlechtes passieren könnte. In einem inneren Dialog werden diese Ängste reproduziert; wir halten uns auf diese Weise selbst in einem sich weiter verstärkenden Teufelskreis: »Ich bleibe lieber passiv und zurückhaltend, weil ich Angst habe, dass etwas schief gehen kann. Es geht schief, weil ich mich zurückhalte und passiv bleibe.«

Aus mangelndem Selbstvertrauen entstehen Misstrauensfantasien. Ein solcher innerer Dialog könnte lauten:

»Ich denke, dass es unmöglich ist, dass du mir vertraust, da ich mir selbst nicht traue.«

»Ich traue mir selbst nicht, weil du mir misstraust.«

Gedanken und Gefühle verändern Physiologie und Körpersprache. Andere beobachten diese Veränderungen, interpretieren sie und reagieren darauf. Der selbstabwertende innere Dialog geht in soziale Interaktion über und wird zum Rollenzirkel. Wiederum wird die Symbiose reproduziert:

A: »Ich misstraue dir, weil ich fürchte, dass du mich nicht magst.«

Sich selbst und den anderen abwertende Signale werden durch Körpersprache oder die Melodie der Aussage kommuniziert. Als Gegenreaktion ist dann wahrscheinlich:

B: »Ich misstraue dir, weil ich von dir abwertende Signale bekomme und schütze mich davor.«

A wiederum sieht diese Misstrauenskundgebung als Bestätigung seiner ersten These und verstärkt sein restriktiv abwertendes Verhalten. In vornehmlich konkurrenzorientierten Arbeitsgruppen und Organisationen findet sich dann häufig folgende Auswirkung des symbiotischen Rollenzirkels:

A: »Ich bin nicht bereit, voll mit dir zusammenzuarbeiten, weil ich Angst habe, dass du mir vorgezogen wirst und meine Leistung dir zugeschrieben wird.«

Als Gegenreaktion ist zu erwarten:

B: »Da ich deine Signale empfange, dass du nicht bereit bist, mit mir vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, öffne ich mich nur so weit es unbedingt nötig ist und verwende meine Energie dazu, Punkte zu machen, um dir gegenüber Vorteile herauszuarbeiten und vorgezogen zu werden.«

Auf ähnliche Weise zeigt auch das folgende Beispiel von Watzlawick19, wie ein negativer Verhaltenszirkel entstehen kann:

Er: »Ich gehe ins Wirtshaus, weil du nörgelst!«

Sie: »Ich nörgele, weil du ins Wirtshaus gehst!«

und so weiter ...

Schematisch könnte eine Misstrauensspirale etwa folgendermaßen aussehen:

Beispiele, wie sich Misstrauensspiralen in der Gruppe entwickeln, finden sich in Erfahrungsberichten:20

Jetzt kann ich Rolf fragen, warum ich ihm fremd bin. Er kann mit mir nichts anfangen, findet mich weder positiv noch negativ. »Du bist neutral« sagt er. »Neutral?!« Fassungslos blicke ich ihn an und denke: »Wie kann ein Mensch neutral sein? Ich sitze hier gut sichtbar, rede und bewege mich, zeige Gefühle und du tust so, als ob ich nicht leben würde. Geh in deine Wüste! Dort ist Neutralität, da gibt es keine Menschen.« Ich habe den Eindruck, dass Klaus mir gern sagen würde, warum er mir eine grüne Fremdkarte und eine gelbe Störkarte gegeben hat, aber ich habe keine Lust, ihn zu fragen. Soll er es sagen, wenn er will - oder weiterschmoren! Manfred versteht nicht, warum ich ihm die Störkarte gegeben habe. »Zwischen uns ist doch nichts gewesen«, sagt er, »bis auf das kleine Wortgefecht, gestern oder wann das war.« »Mich hat das sehr gestört«, erwidere ich, »ich hatte das Gefühl, dass du mich