Von Hunden und Menschen und der Suche nach dem Glück - Tom Diesbrock - E-Book

Von Hunden und Menschen und der Suche nach dem Glück E-Book

Tom Diesbrock

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Beschreibung

"Eure Spezies hat echt nicht sonderlich viel Talent zum Glücklichsein!", stellt Jacob fest, der als Praxishund des Psychologen Tom täglich den Menschen und ihren Sorgen zuhört. Er wundert sich, was wir alles anstellen, um ein glückliches und sinnerfülltes Leben zu führen - und wie effektiv wir uns dabei selbst im Weg stehen. Verstehen kann Jacob das nicht. Denn für Hunde ist es schließlich ein Leichtes, sich in jeder Situation sauwohl zu fühlen und sich über jeden neuen Tag zu freuen - selbst bei Nieselregen. Vor allem, findet Jacob, müssten die Menschen doch schon deshalb sehr zufrieden sein, weil sie Kühlschränke öffnen und jeden Tag Pizza essen können. Was braucht man denn mehr zum Glücklichsein? Tom erklärt Jacob, der als Strandhund in Indien geboren wurde, wie Menschen denken und fühlen. Und Jacob macht Tom klar, wo er Optimierungsbedarf sieht. So lernen beide voneinander. Der Vierbeiner lernt die Menschen, die er »schräg aber doch irgendwie liebenswert« findet, besser zu verstehen. Und Tom lernt, glücklicher zu leben.

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Für Jacobfür sein Vertrauen und seine Geduld mit mir und seine Bereitschaft, mich zu adoptieren

"Gewiß", sagte der Fuchs. "Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht.

Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt ..."

(Der Kleine Prinz - Antoine De Saint-Exupéry)

INHALT

Was machst’n du da?

1. Kapitel

Kann Tun uns glücklicher machen?

2. Kapitel

Warum stehen wir unserem Glück selbst im Weg?

3. Kapitel

Muss ich alles glauben, was ich denke?

4. Kapitel

Was habe ich davon, wenn ich nett bin?

5. Kapitel

Glücklich mit anderen - oder trotz der anderen?

6. Kapitel

Was ist der Sinn? Und was ist Unsinn?

Und schliesslich…

Was machst'n du da?

Ich schreibe, siehst du doch.

Ach, ja? Siehst nur gar nicht so aus. Eher wie jemand, der schon ziemlich lange auf sein Schreibdings starrt und nichts tut. Außer sich mit bunten Bildern und Filmen abzulenken.

Tatsächlich saß ich schon seit einigen Stunden auf meiner Gartenbank, das Notebook vor mir auf dem Tisch und darin eine schöne, weiße Seite. Ab und zu tippte ich lustlos ein paar Wörter und Sätze, verwarf sie aber sofort wieder. Zu banal und uninspiriert, zu langweilig – nichts gefiel mir. Jacob ging es dagegen offensichtlich recht gut. Er lag ein Stück vor mir entfernt auf dem Rasen, genoss die Maisonne, schaute ab und zu einem Vogel hinterher oder knurrte ein Eichhörnchen an. Jetzt galt sein Interesse mir.

Weil ich einfach keinen Anfang finde. Schreibblockade nennt man das wohl.

Wieso bist du denn schreibblockiert?

Weiß ich auch nicht. Mir gehen so viele Sachen durch den Kopf, von denen ich in meinem neuen Buch erzählen möchte.

Und wovon willst du erzählen?

Darüber, wie wir miteinander leben. Und wie du zu mir nach Deutschland gekommen bist.

Wow, du schreibst über mich! Find ich super! Das wird ganz sicher dein interessantestes Buch!

Mal sehen.

Und wieso ist das so schwer? Du musst doch einfach nur alles aufschreiben.

Unsere Geschichte habe ich schon mal aufgeschrieben. Jetzt möchte ich den Menschen erklären, wie sich mein Blick auf das Leben verändert hat, seitdem du bei mir bist. Was ich so alles von und mit dir gelernt habe.

Das ist wohl ne ganze Menge, schätze ich.

Und wie viel glücklicher ich heute bin, seitdem wir uns damals in Indien getroffen haben.

Oh, ich auch!

Ich musste lächeln und spürte, wie sich meine verwurschtelte, blockierte Psyche etwas lockerte.

Weißt du, ich habe so viele Dinge und Geschichten von uns beiden im Kopf, von denen ich erzählen möchte. Ich habe nur noch keinen Schimmer, wie ich es aufbauen will. Was erzähle ich am besten an welcher Stelle? Womit fange ich an, und was soll am Ende stehen? Das ist echt stressig.

Jacob sah mir mit einem mitleidigen Blick tief in die Augen. So schaut er gern, wenn er meint, dass ich mal wieder den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe, und dringend seine Hilfe und überlegene Intelligenz benötige.

Willst du’n Rat von ´nem einfachen Straßenhund?

Hatte ich eine Wahl?

Klar.

Mach dich doch mal locker. Denk nicht so viel rum, sondern fang einfach an. Vielleicht von vorne?

Mir fiel nichts Schlaueres ein.

Okay, das versuche ich mal. Also ...

Kurz vor Weihnachten reiste ich spontan nach Indien,

weil ich unzufrieden mit meinem Leben war. Nicht um dort zu meditieren oder Yoga oder irgendwelche spirituellen Sachen zu machen. Nein, mir fiel schlicht nichts Besseres ein. Und weil meine Freundin Anna dort Urlaub machte und meinte, ein bisschen Sonne, Meer und Palmen im Dezember könnten mir nicht schaden. Angenehmer als der Winter in Hamburg sei es schließlich allemal.

Warum genau ich unzufrieden war, wusste ich gar nicht so genau. Und damit ging es mir – das einzugestehen, fiel mir nicht ganz leicht – wie den meisten der Menschen, die ich seit vielen Jahren berate und coache. Vielleicht meinen Sie, dass jemand, der anderen dabei hilft, glücklicher zu leben, selbst ein richtig glücklicher Mensch sein muss? Nein, so funktioniert das leider nicht.

Zweifel an mir und meinem Leben hatten schon seit einiger Zeit beharrlich an mir genagt und mir eingeflüstert, etwas Wichtiges würde meinem Leben fehlen. Dabei ging es mir nicht wie einigen meiner Klienten, die darüber klagen, nicht erreicht zu haben, was sie sich erträumt hatten. Eher im Gegenteil. Kennen Sie den Satz von Oscar Wilde „Wenn Gott die Menschen bestrafen will, erhört er ihre Gebete?“ Beten war noch nie mein Ding, und gestraft fühlte ich mich auch nicht. Vielmehr musste ich feststellen, dass fast alles, was ich mir – vor allem beruflich – einmal gewünscht und erträumt hatte, seit Mitte vierzig erreicht war. Meine Coachingpraxis lief prima. Ich hatte mehrere Bücher veröffentlicht – mein großer Traum! – die sich gut verkauften und ihren Lesern tatsächlich ein bisschen helfen konnten. Auch über mangelnde Medienpräsenz konnte ich nicht klagen. Vor allem hatte ich mir etwas geschaffen, das mir schon immer am Herzen lag: Freiheit. Ich konnte mein Leben und meine Arbeit im Großen und Ganzen einteilen und gestalten, wie ich wollte. Hätte man mir mit Ende zwanzig gesagt, mein Berufsleben würde eines Tages so aussehen – ich wäre wahrscheinlich ausgerastet vor Begeisterung!

Aber jetzt fühlte sich mein Leben an, als sei Sand im Getriebe. Dass auch noch mein fünfzigster Geburtstag drohte, machte die Sache auch nicht unbedingt besser. Hatte mich tatsächlich eine (relativ späte) Midlife-Crisis ereilt? Oder war es das, was die Psychologie eine Zielerreichungsdepression nennt? Beides möglich. Nur, was half’s? Da hatte ich Psychotherapien und psychologische Ausbildungen absolviert – und stand jetzt da wie der berühmte Ochs vorm Berge.

Warum also nicht für drei Wochen in die Tropen fliegen? Grübeln konnte ich schließlich auch dort, nur eben bei stimmungsaufhellendem Wetter. Außerdem wollte ich an einem neuen Buch arbeiten, unter Palmen lässt sich das ganz gut erledigen. Und so landete ich im paradiesischen, südindischen Varkala. Um mich herum tobte das laute, bunte indische Leben, und ich fühlte mich einfach nur fehl am Platze.

So sahst du auch aus, wenn ich das mal einwerfen darf. Während ich mit meinen Kumpels spielte, die einheimischen Menschen flanierten und schwatzten und die Besuchermenschen im Meer plantschten – während jeder also an meinem Strand das Leben genoss, hocktest du nur traurig im Sand.

Als wärst du gerade vom Himmel geplumpst und hättest noch gar nicht kapiert, wo du gelandet warst. Blass und müde hast du ausgesehen, nicht gerade attraktiv.

Herzlichen Dank.

Gern geschehen. Und weil du mir irgendwie leid tatest, hab ich mich dann zu dir gesetzt.

Ich war total überrascht, als einer der Strandhunde plötzlich in meine Richtung kam, sich einfach so vor mir in den Sand legte und mich neugierig anschaute! Der will ja sowieso nur etwas zu fressen von mir, dachte ich.

Natürlich! Ich war damals schließlich noch ein Streuner. Mit einem gesegneten Appetit. Aber darum ging es mir nicht. Nicht nur. Denn ich habe sofort erkannt, dass du ein netter Kerl bist. Und ein bisschen Hilfe brauchen konntest.

Was hatte ich für ein Glück, dass du so ein aufmerksames Kerlchen bist! Dabei war ich ja immer eher ein Katzenmensch, der Hunde zwar recht nett fand, aber nie einen Draht zu ihnen hatte.

Bis ich kam.

Bis du kamst!

Dieser kleine Hund – man sagte mir, er sei erst vier Monate alt – brauchte nur ein paar Tage, um mein Leben und mich total umzukrempeln. Meine düsteren, zweifelnden Gedanken lösten sich auf wie Wolken unter der Tropensonne. Ich verbrachte die meiste Zeit meines Urlaubs mit meinem Kleinen Freund. So nannte ich ihn. Wir frühstückten gemeinsam in meinem Lieblingsrestaurant, faulenzten stundenlang unter einem Sonnenschirm und er passte auf meine Sachen auf, während ich zur Abkühlung im Meer war. Kam ich nach ein paar Minuten zurück, freute er sich riesig.

Anstatt zu grübeln, wie mein Leben aussehen sollte, lebte und genoss ich es in vollen Zügen! So leicht und gut hatte ich mich schon sehr lange nicht mehr gefühlt. Bis zu unserem Abschied.

Weil ich nach kurzer Recherche zu dem Schluss gekommen war, es sei viel zu kompliziert, einen Hund von Indien nach Hamburg zu holen, ging für mich eine Urlaubsliebe – sehr schmerzlich – zu Ende. Für meinen kleinen Freund brach aber eine Welt zusammen, als sein Mensch plötzlich verschwunden war. Er vertraute darauf, dass die Freundschaft zwischen Hund und Mensch ein Leben lang hält. Und damit hatte er natürlich Recht.

Nur brauchte ich zu Hause einige Zeit und etwas Nachhilfe von meinen Menschen, bis ich endlich einsah: Ich würde es ewig bereuen, wenn ich nicht zumindest versuchte, meinen kleinen Freund zu mir zu holen. Dort, wo er war, würde ihm ganz sicher kein langes Leben beschieden sein. Und ich fand tatsächlich einen Weg, Jacob – so nannte ich ihn jetzt – in Indien unterzubringen, ihn medizinisch betreuen zu lassen, viele Formalitäten zu regeln und ihn schließlich wohlbehalten zu mir nach Deutschland zu bringen. Für mich war dies keine leichte Zeit, aber immerhin vergaß ich darüber meine Midlife-Crisis.

Als die Hundebox schließlich im Frankfurter Flughafen auf einem Rollband erschien, hatten wir es geschafft und durften endlich unser gemeinsames Leben beginnen. Aber zu Hause warteten ganz neue Herausforderungen auf uns beide. Jacob hatte ja bisher nur das Leben eines Streuners gekannt, der sich selbst um seine Existenz kümmern musste. Was seine kulinarische und medizinische Versorgung anging, begann für ihn jetzt natürlich ein sehr privilegiertes Leben.

Allerdings verlor fast alles, was er bisher an seinem Strand gelernt hatte, in der Großstadt über Nacht seine Gültigkeit. Deshalb war ich überrascht, als er nicht so verschüchtert wie erwartet war und nur an meinem Rockzipfel hing. Im Gegenteil, vom ersten Tag zeigte sich Jacob äußerst selbstbewusst, um nicht zu sagen: dickköpfig.

Mein Job war es nun, ihm beizubringen, was er für sein neues Leben brauchte. Und er hatte eine Menge zu lernen!

Können Sie sich vorstellen, wie das ist, sich plötzlich in einer völlig fremden Welt wiederzufinden? In der es immer genug zu essen gibt? (Auch wenn so feine Dinge wie Pizza oder Pakoras aus unerfindlichen Gründen nicht mehr auf meinem Speiseplan standen.) Ich verstand schnell, dass ich hier sicher war, und ich fühlte mich bald viel kräftiger und gesünder. Die Kälte und der Regen nervten allerdings etwas.

Aber natürlich konnte ich mich jetzt nicht nur mit meiner neuen Umgebung beschäftigen. Denn ich hatte ja eine wichtige Aufgabe: Da war schließlich mein neuer Mensch, um den ich mich zu kümmern hatte. Zwar wirkte er nicht mehr so unzufrieden wie damals am Strand, aber ich stellte schnell fest, dass er nicht allzu viel Talent zum Glücklichsein hatte. Er machte sich das Leben oft so richtig schwer und merkte das nicht einmal! Und ziemlich dickköpfig war er auch.

Er hatte noch viel zu lernen über das Leben und das Glück. Aber dafür war ich ja jetzt da.

1. Kapitel

Kann Tun uns glücklicher machen?

Glück ist wie Pizza

Sag mal, ist es für euch echt so eine dolle Sache, glücklich zu sein?

Jacobs Kopf erschien hinter dem kleinen Mauervorsprung, wo sein Dienst-Körbchen lag. Dort verbrachte er seine Zeit in meiner Coachingpraxis, während ich mit Klienten sprach. Unser Deal war: Er durfte Besucher begrüßen, musste sich dann aber zurückziehen und mir das Feld überlassen.

Jetzt hatte ich mich gerade von jemandem verabschiedet, und Jacob nutzte die Gelegenheit zu einem Schwatz. Er setzte sich vor mich, und sein Stirnfell legte sich in kleine Falten. Ein Zeichen dafür, dass er sich mit einer Frage intensiv beschäftigte und Redebedarf hatte.

Wie kommst du denn darauf?

Na ja, die Leute erzählen dir, wie unzufrieden sie sind mit ihrem Leben. Mit ihren Jobs und ihren Menschen und wie öde alles ist. Oder sie sich selbst nicht so gern mögen … du weißt schon.

Deshalb kommen Menschen schließlich zu mir.

Und wenn ich das richtig kapiere, möchtet ihr doch eigentlich alle glücklich sein und zufrieden leben, oder? Wie jedes halbwegs entwickelte Lebewesen?

Ich denke schon. So ungefähr hat es schon Buddha formuliert, und der war in Glücksfragen ja ziemlich kompetent.

Butter?

Jacob sah mich mit schräg gestelltem Kopf und leicht gehobenen Schlappohren an, wie er es immer macht, wenn er etwas nicht versteht. (Oder so tut, als würde er etwas nicht verstehen, weil es ihm gerade in den Kram passt. Zum Beispiel, wenn ich ihn dabei erwische, wie seine Nase dem vollen Fressnapf von Camino, meinem Kater, verdächtig nah kommt.)

Buddha war ein weiser Mensch, der vor langer Zeit lebte und lehrte, dass es in der Natur aller Wesen liegt, glücklich sein und Leid vermeiden zu wollen.

Sehr klug!

Und wenn man Menschen befragt, was ihnen im Leben wichtig ist, nennen sie meistens zuerst Gesundheit und Glück.

Vernünftig. Nur … warum handelt ihr so selten danach? Zum Beispiel der Mensch, der eben bei dir war. Der findet doch seine Arbeit ganz schrecklich, trotzdem tut er nichts, um daran etwas zu ändern. Obwohl du ihn immer wieder ermutigst, sich eine feinere Arbeit zu suchen.

Stimmt.

Oder die nette traurige Frau, die dich neulich besuchte und dir erklärte, wie wichtig ihr ihre Freizeit und Freunde und Hobbysachen seien. Aber trotzdem arbeitet sie so viel, dass ihr gar keine Zeit für all das bleibt. Und sie ihre Freunde eigentlich nie sieht. Warum lügen die dich an?

Nein, diese Menschen lügen mich bestimmt nicht an. Wenn mir jemand erzählt, was ihm am Herzen liegt, dann glaube ich ihm das. Und die Frau ist ganz sicher verzweifelt darüber, dass ihr Leben sich nur noch um die Arbeit dreht.

Hm, ergibt das für dich etwa Sinn?

Ich versuch’s, dir zu erklären. Weißt du, was ein Experiment ist?

Kann man das essen?

Leider nicht, das ist eine Art Spiel, das man mit Tieren oder Menschen spielt, um herauszubekommen, wie sie denken und funktionieren.

Toll, und?

Ich habe mal von einem interessanten Experiment gelesen: Man hat Leute gefragt, was ihnen besser gefällt: viel Arbeit und dafür viel Geld oder nicht so viel Arbeit für weniger Geld. Nach einer Weile hat man denjenigen, denen ihre Zeit wichtiger war, zwei Jobs angeboten: einen in der Nähe ihres Zuhauses und einen besser bezahlten, für den sie aber länger mit dem Auto unterwegs sein müssten.

Und?

Stell dir vor, die Mehrheit entschied sich jetzt für den Job mit mehr Geld. Dass sie dafür jeden Tag im Stau stehen müssen, wahrscheinlich gestresster sind und ihre Familien weniger sehen, hatten sie anscheinend gar nicht mehr im Sinn.

Und was findest du daran so interessant?

Dass sich Menschen oft nicht für das entscheiden, was sie zufrieden macht. Obwohl sie es eigentlich besser wissen.

Für meinen gesunden Hundeverstand klingt das wirklich ganz schön merkwürdig. Als würdest du mich wählen lassen zwischen Pizza und Trockenfutter. Und ich würde mich – logisch! – für die Pizza entscheiden. Dann aber lieber das öde Futter futtern und mich hinterher beschweren, was für einen Fraß man mir zumutet.

Stimmt, das wäre wohl merkwürdig.

Er leckte sich die Schnauze und schaute verträumt, was wohl an der Erwähnung seiner Lieblingsspeise lag. Damals in Indien, hatte ich Jacob ja immer von meinem Essen abgegeben, und das war nicht selten Pizza. Aber seitdem er bei mir in Hamburg wohnte, bekam er selbstverständlich (fast) nur noch artgerechtes Futter. Was er absolut nicht okay fand.

Du willst mir also weismachen, dass Menschen ihr Glück am Herzen liegt. Dass sie aber kaum etwas dafür tun, ist für dich ganz normal?

Es ist menschlich. Wenn wir unser Glück nicht verfolgen, kann es daran liegen, dass wir zu bequem sind oder kalte Füße haben. Manchmal denken wir wohl auch sehr kurzsichtig – zum Beispiel wenn wir nur das Geld im Auge haben. Oder wenn wir uns ausschließlich daran orientieren, was wohl unsere Mitmenschen von uns halten mögen.

Ich darf mal zusammenfassen: Ja, ihr wollt glücklich leben. Und ihr habt auch eine Ahnung, was euch glücklich machen könnte. Aber es ist ganz selbstverständlich für euch, trotzdem das Gegenteil davon zu tun?

Also: "Ja, ich will Pizza und weiß, dass es rechts zur Pizzabude geht. Tschüss, ich geh dann mal links."

Es mag dich wundern, aber tatsächlich ist vielen Menschen dieser Widerspruch gar nicht bewusst. Sie spüren zwar irgendwie, dass ihr Leben nicht so läuft, wie sie es gern hätten. Oder in deinen Worten: Ihnen ist bewusst, dass sie Pizza lieben und für ihr Glück brauchen. Nur fragen sie mal beim Schuster und mal im Buchladen nach Pizza und sind dann schrecklich enttäuscht, wenn sie leer ausgehen.

Und ihr wollt die Krone der Schöpfung sein?

Hab ich nie behauptet. Viele glauben übrigens sogar, dass es für sie gar keine Pizza gibt! Für ihre Mitmenschen schon, aber auf keinen Fall für sie selbst. Und andere Menschen kommen zu dem Schluss, dass der Schuster ihnen bewusst die Pizza vorenthält. Womöglich weil sie nicht liebenswert genug sind.

Das mag für dich ja alles völlig normal sein. Ich find’s ganz schön schräg. Und auch ein bisschen traurig,

sprach mein Hund und verschwand in seinem Körbchen, weil es klingelte und der nächste Klient sich ankündigte. Später während des folgenden Coachinggesprächs vernahm ich aus seiner Ecke leises Schmatzen. Jacob träumte wohl von Pizza.

Manchmal muss man springen

Darf ich dich mal was fragen?

Na klar, schieß los.

Versteh mich bitte nicht falsch. Ich bin echt richtig doll zufrieden und glücklich darüber, wie es mit uns beiden gelaufen ist und dass ich jetzt hier bei dir bin.

So vorsichtig kannte ich meinen Hund gar nicht. Eher neigte er dazu, mit der Tür ins Haus zu fallen. Um dann eventuell zu fragen, ob er reinkommen darf. Von überflüssigen Höflichkeiten wie Anklopfen ganz zu schweigen.

Das weiß ich, und ich bin auch richtig froh darüber. Und weiter?

Was ich nicht verstehe: Wir hatten doch damals an meinem Strand eine supertolle Zeit, oder?

Es war großartig!

Und wir mochten und verstanden uns auf Anhieb?

Und wie!

Aber dann hast du dich von mir verabschiedet und bist nach Hause gefahren. Und erst nach Wochen wiedergekommen, um dich um mich zu kümmern.

Ja…

Hast du denn auch ein bisschen daran gedacht, vielleicht gar nicht zurückzukommen? Und mich einfach dort zu lassen?

Darüber hatten wir tatsächlich noch nie gesprochen – obwohl Jacob diese Frage offensichtlich bis heute beschäftigte.

Weißt du, als ich damals bei dir war, habe ich mich schon erkundigt, wie man einen Hund von Indien nach Hamburg bringen kann. Und mir erschien es zuerst völlig unmöglich. Und außerdem war ich mir nicht sicher, ob es richtig wäre, dich einfach von dort mitzunehmen.

Wirklich?

Jacobs braune Augen schauten mich traurig fragend an.

Aber nachdem ich zu Hause angekommen war, habe ich sofort wieder nach Möglichkeiten gesucht und auch mit Menschen gesprochen, die sich auskannten mit solchen Dingen. Du weißt ja, dass ich von Hunden gar nichts wusste, weil ich mein Leben lang nur mit Katzen zu tun hatte.

Du kanntest doch aber mich! Reichte dir das nicht?

Mir erschien es als eine sehr große Verantwortung. Schließlich hattest du bisher immer an deinem Strand gelebt. Und ich wusste, dass dein Leben hier in der Stadt ein ganz anderes sein würde.

Das verstehe ich. Nur ist doch das Allerallerwichtigste, dass ich bei dir sein kann, oder?

Mir war es ja auch sehr wichtig, dich zu mir zu holen. Nur musste ich eben eine Menge bedenken.

Was hast du denn alles bedacht?

Ich fand heraus, dass es nach der Impfung mindestens vier Monate dauern würde, bis ich dich holen dürfte. Also brauchte ich einen Arzt, der dich impfen konnte, und einen Ort, wo du anschließend sicher sein würdest und wo man auf dich aufpasste. Außerdem suchte ich nach einem Weg, eine Blutprobe nach Deutschland zu transportieren. Das war nämlich notwendig. Und schließlich hatte ich auch noch nie eine Flugreise für einen Hund organisiert. Dabei gab es eine ganze Menge zu beachten.

Ich verstehe, dafür brauchtest du sicher sehr viel Zeit.

Jacob nickte, und seine Stimmung schien sich aufzuhellen. Ich hätte es dabei belassen können, aber das wäre nicht die ganze Wahrheit gewesen, und ich wollte ehrlich sein.

Es war nicht nur das. Ich brauchte auch Zeit, bis ich selbst so weit war.

Er blickte mich verständnislos an.

Damals habe ich sehr viel darüber nachgedacht, wie ein Leben sein würde, mit dir und mir und Camino. Ob ich die Verantwortung für noch ein Tier übernehmen konnte und wollte. Und wie es mein Leben verändern würde – vor allem auch meine Arbeit. Ich habe viel darüber gelesen und gegrübelt, welche Probleme es geben könnte für ein Wesen aus einer anderen Kultur mit völlig anderen Lebensgewohnheiten. Und ich habe mich gefragt, ob ich mir das alles überhaupt zutraue.

Aber es ging doch nicht um irgendein Wesen, sondern um mich. Und dich. Warum war es so schwierig zu entscheiden?

Ich konnte Jacob ansehen, dass ihm viele beunruhigende Gedanken durch den Kopf gingen. Als sei meine Entscheidung für ihn nicht schon vor langer Zeit gefallen, sondern noch immer eine unsichere Sache, die er fürchten musste.

Ich hatte große Angst, etwas Falsches zu tun. Nicht zuletzt auch falsch für dich.

Wie hätte es denn falsch sein können, auf dein Herzen zu hören?

Das denke ich heute auch. Es hätte nie und nimmer falsch sein können. Aber damals war ich noch nicht so klug.

Nein?

Mir machen wichtige Entscheidungen manchmal einfach Angst. Dann drehe ich sie lieber noch mal und noch mal um und gehe immer wieder alle Fürs und Wieder durch. Um auf gar keinen Fall die falsche Entscheidung zu treffen.

Was ist denn daran so schlimm, eine falsche Entscheidung zu treffen?

Gute Frage! Wenn man darüber nachdenkt, kann wahrscheinlich kaum etwas wirklich Schlimmes geschehen. Aber Ängste vernebeln uns eben oft den Blick. So wie bei dir, als du gerade in Hamburg angekommen warst. Weißt du noch? Da hattest du doch zuerst auch Angst vor vielen Dingen. Vor dem Postboten, vor Autos oder vor Menschen mit Hüten und Rucksäcken.

Stimmt. Aber dann habe ich daran geschnuppert und es mir sehr genau angesehen, um zu entscheiden, ob ich davor Angst zu haben brauchte. Und stellte fast immer fest, dass diese Dinge ungefährlich waren. Und dass der Briefträger sogar Leckerlis für mich hatte!

So klug wie du, stelle ich es leider nicht immer an, wenn ich unsicher bin.

Du schnupperst nicht an Sachen, die dich unsicher machen?

Nö. Meistens bleibe ich lieber auf Distanz, grübele ganz viel und tue nichts.

Aber du hast es damals trotzdem geschafft und dich dafür entschieden, mich zu holen!

Dabei haben mir Menschen geholfen, die mein Problem verstanden und sich um mich kümmerten.

So, wie ich mich heute um dich kümmere?

Genau. „Es bringt nichts, wenn du nur immer weiter nach dem Für und Wider suchst. Du weißt doch schon alles, was du wissen kannst. Jetzt kannst du nur noch springen!“ Das sagte mir ein Freund.

Sehr vernünftig.

Und ein anderer: „Vielleicht geht tatsächlich etwas schief, aber dann wirst du schon eine Lösung finden, wenn es soweit ist.“ Und meine Schwester meinte, dass mein indischer Hund vielleicht wirklich schlechte Erfahrungen machen würde. Aber ich hätte dann ja ein Leben lang Zeit, um es wieder gut zu machen.

Echt kluge Leute. Gut, dass die sich eingemischt haben! Sonst würde ich wohl heute noch in Indien am Strand leben. Oder wäre wahrscheinlich gar nicht mehr da.

Und ich würde mich mein Leben lang fragen, wie es wohl meinem indischen Freund ergangen sei. Und mich schämen, dass ich nicht zumindest versucht habe, ihn zu mir zu holen.

Da ist doch viel feiner, einmal allen Mut zusammenzunehmen und zu springen. Als sich ständig zu fragen, ob man nicht hätte springen sollen. Jedenfalls bin ich echt froh, dass du damals über deinen Schatten gesprungen bist.

Oh, ich auch!

Auch wenn ich dich nicht ganz verstehe. Für Hunde gehört es zum Einmaleins des Lebens, nicht lange zu grübeln, sondern loszulegen. Würde ich etwa lange überlegen, wenn ich auf der Straße eine Wurst finde?

Nein, du würdest sie natürlich hinunterschlingen, bevor ich dich davon abhalten könnte.

Ja.

Und wenn es ein Giftköder ist? Dann kann ich sehen, wie ich dich in die Tierklinik kriege.

Mal ehrlich: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, auf einen Giftköder hereinzufallen? Sehr, sehr niedrig, oder? Aber Wurst ist immer lecker und macht immer sehr glücklich!

Da hast du nicht ganz unrecht.

Ihr Menschen vermutet viel zu oft und überall Giftköder. Und vergesst dabei, dass es doch vor allem um die Wurst geht.

Was habe ich für einen klugen Hund!Du Glücksmensch.

Ich pinkle, also bin ich

Wir spazierten schon eine Weile durch den schönsten Hamburger Nieselregen. Es war kalt, düster und ausgesprochen ungemütlich. Jacob lebte erst kurze Zeit bei mir, und wir kannten unsere Gewohnheiten noch nicht so gut. Ich fror und wollte zurück nach Hause. Aber obwohl mein Hund Wasser von oben eigentlich verabscheute, bummelte er gemächlich ein Stück hinter mir her und widmete sich jedem Zaunpfahl, Baum und jeder Hecke. Alles musste intensiv beschnuppert und natürlich anschließend bepinkelt werden. Ich war ungeduldig und rief ihm zu, er möge sich doch bitte ein bisschen beeilen. Als Jacob endlich zu mir aufgeschlossen hatte, fragte er mich:

Warum markierst du eigentlich nichts? Du wohnst doch auch hier und läufst diese Wege fast jeden Tag. Wie sollen denn deine Mitmenschen wissen, dass du hier warst?

Du fragst mich ernsthaft, warum ich nicht an jeden Baum und jede Hauswand pinkele? Vielleicht weil ich ein Mensch bin? Und wir so etwas nicht sonderlich schätzen?

Dass einige Zeitgenossen (vor allem angetrunkene männlichen Geschlechts) tatsächlich ihr Revier "markierten", wollte ich Jacob lieber nicht erzählen. Er trottete jetzt neben mir her.

Warum machst du das denn, welchen Sinn hat diese Pinkelei? Blöde Frage. Natürlich damit andere Hunde wissen: „Jacob war hier“. Denkst du denn, die interessiert das?

Vielleicht nicht jeden. Aber das ist auch nicht der entscheidende Punkt. Ob die Leute immer hören wollen, was du ihnen erzählst, weißt du ja schließlich auch nicht. Und trotzdem ist es dir wichtig zu sagen, was du zu sagen hast, oder?

Na ja.

Und vor allem: Es tut sehr gut! Wenn wir gleich nach Hause kommen (wo ich hoffentlich ein gutes Frühstück bekomme), fühle ich mich super, weil ich der Hunde-Welt mitgeteilt habe, dass es mich gibt.

Ich pinkle, also bin ich.

Bitte?

Kleiner Scherz. Ein berühmter Philosoph hat nämlich mal gesagt "Ich denke, also bin ich."

Na toll, das passt zu eurer introvertierten Spezies. Meinst du nicht, es würde so manchem von euch auch mal ganz gut tun?

Öffentlich zu pinkeln?

Dazu seid ihr euch ja ganz offensichtlich zu fein. Nein, ich meine, öfter mal klar zu machen: „Ey Leute, hier bin ich!“

Und wozu sollte das gut sein?

Klagen nicht viele deiner Besucher darüber, dass sie sich übersehen und übergangen fühlen? Und wie ungerecht sie das finden?

Das ist wahr.

"Ich denke, also bin ich" klingt natürlich ganz schön schlau. Aber mal ehrlich: Ihr könnt in eurem leisen Räumchen noch so viel denken und sein – aber was habt ihr davon, wenn das keiner mitbekommt?

Du meinst „stille Kämmerlein“. Viele Menschen trauen sich eben nicht zu zeigen, wer sie sind und was sie denken und fühlen. Auch wenn sie sich das noch so sehr wünschen.

Obwohl das ist nun echt nicht so schwer ist! Hier und da ein paar Markierungen setzen, ein bisschen bellen und auch mal rein ins Getümmel, dort, wo was los ist.

Als wenn das allen Hunden so leicht fiele!