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Es gibt Tage, an denen ist einem zumute, als stünde man in einer saftig-grünen Blumenwiese: so voller Tatendrang, Sprungkraft, Lebensfreude ist man, dass die Welt umarmt werden möchte; dann gibt es Zeiten, so klar ist es einem da, als stünde man auf einer Bergkuppe und schaut hinab über sein Leben, das ausgebreitet vor einem liegt wie das Tal unterhalb, so voller Ruhe, Geschlossenheit und Mut ist man da, dass einen nichts zu erschüttern vermag; aber es gibt auch Zeiten, in denen stürmt es, als befände man sich auf einem Schiff, das von den Wellen hin und her geworfen wird, so hilflos, so voller Angst und Ohnmacht fühlt man sich da, dass es einen aufzulösen droht –, von jenen Zeiten, in denen schwärzeste Nacht herrscht, sei ganz abgesehen, denn Worte können nicht beschreiben, wie unsäglich allein, wie fürchterlich verloren man sich dann vorkommt, als wäre man der einzige Mensch auf dieser Welt, in diesem Universum, so leer und öd ist da alles, so ganz ohne Licht! Und doch leben all diese Gefühle im Menschen. Warum ist das so? Warum sind die Menschen ungerecht, gemein, aber auch mitleidig und gütig und wahr?
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Seitenzahl: 115
Veröffentlichungsjahr: 2015
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DIE WANDERER
MÄRCHEN VOM HÜTER DER SCHWELLE
REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE
SUCHER NACH SICH SELBST
KLEINE MYTHE
KRÄFTEMESSEN
AUFERSTEHUNG
DIE GUNST DES AUGENBLICKS
JUDAS ISCHARIOT
DIE GOLDENE MITTE
ANHANG
D
AS
S
TERNHAUS
Ich widme dieses Buch:
Maro (dessen Urteil mir bei der Wahl des Buchtitels unendlich wichtig war und dessen Freundschaft ich sehr zu schätzen weiß)
Silkchen, Daniela, Schnuffi
Dr. Marietta F., Dr. Willi A., Olga T.
Michaela S. (die einzig wahre Fachleiterin Deutsch), Guenther, Tom („Ja, ich weiß!“), Gorg, Dagmar
DR Enusha, Aysegül, Jule R., Lejla und allen Schülern, die mir auf meinem Lebensweg begegnet sind und die ich nicht vergessen habe
Hannah (vorne
und
hinten mit H)
R. A. Salvodelli, Jutta K.-W.
Peter & Mona R.
RS, AS, PB, HW
Gretchen
Es gibt Tage, an denen ist einem zumute, als stünde man in einer saftig-grünen Blumenwiese: so voller Tatendrang, Sprungkraft, Lebensfreude ist man, dass die Welt umarmt werden möchte; dann gibt es Zeiten, so klar ist es einem da, als stünde man auf einer Bergkuppe und schaut hinab über sein Leben, das ausgebreitet vor einem liegt wie das Tal unterhalb, so voller Ruhe, Geschlossenheit und Mut ist man da, dass einen nichts zu erschüttern vermag; aber es gibt auch Zeiten, in denen stürmt es, als befände man sich auf einem Schiff, das von den Wellen hin und her geworfen wird, so hilflos, so voller Angst und Ohnmacht fühlt man sich da, dass es einen aufzulösen droht –, von jenen Zeiten, in denen schwärzeste Nacht herrscht, sei ganz abgesehen, denn Worte können nicht beschreiben, wie unsäglich allein, wie fürchterlich verloren man sich dann vorkommt, als wäre man der einzige Mensch auf dieser Welt, in diesem Universum, so leer und öd ist da alles, so ganz ohne Licht!
Und doch leben all diese Gefühle im Menschen. Warum ist das so? Warum sind die Menschen ungerecht, gemein, aber auch mitleidig und gütig und wahr?
Die Welt ist voller Rätsel
Es löset diese Rätsel
Allein der Mensch in seinem ganzen Leben
Drum schaue des Menschen Wesen
Du blickst in die Antwort der Welt.
(R. S.)
Herbst 2015
Dr. Stephan Seidel
Der Träger des menschlichen Bewusstseins ist das Ich. Das Ich erkennt sich als solches nicht in der Außenwelt, niemand kann „ich“ zu einem Gegenstand sagen, nur der Mensch selbst bezeichnet sich mit diesem Wort (auch kann niemand einen anderen als sich selbst als „Ich“ benennen –, das „Ich“ dringt nur in Bezug auf die eigene Person aus dem eigenen Munde und meint also stets sich selbst). Die Außenwelt ist Nicht-Ich für das Ich. Wer dies erkennt, wird sogleich von einem merkwürdigen Gefühl ergriffen, und zwar einem totalen Verlassenheits- und Einsamkeitsgefühl. Wenn man sich nicht darüber hinwegtäuscht, dann trifft es einen mit voller Wucht und ein Schmerz entsteht, der kaum auszuhalten ist. Wer jenes nicht selbst erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen. Aber man braucht nur seiner Beobachtung etwas Schärfe zu geben, dann nimmt man die größte Furcht wahr und wendet sich sofort (mehr oder weniger unbewusst) ab. Doch was will man nicht sehen? Was würde man sehen? Was ist es, das in der Dunkelheit haust? Es ist das Bild seiner selbst, das mit aller Konsequenz ganz ohne Mitleid zeigt: So war ich, so könnte ich sein –, und: so bin ich!
Das ist das Schreckerlebnis der Selbsterkenntnis, vor dem der moderne Mensch flieht.
Und zugleich liegt darin der unendlich kostbarste Schatz, denn man entdeckt dadurch, wenn man sich in den Schmerz nicht völlig hineinfallen lässt, den wahren Wert der Welt: Vom Gefängnis, von der Öde wird sie zum Altar und das Leben selbst zum Gottesdienst. In der Welt nur findet sich der Mensch selbst!
Und trotz des Schmerzes, trotz des Leids, trotz der Ungerechtigkeit muss er sich sagen: Ich will mich in dieser Welt!
Schön gesagt. Doch sogleich erfolgt die Attacke: Was weißt du schon, wer bist du bloß? Und diese Frage ist wichtig, denn sie erzeugt ein peinlich-peinigendes Gefühl: Der Mensch ist voll von Hass, Neid, Eifersucht, Gier usw., dies alles hat er in Überfülle! Aber Liebe, Freude, Mitleid, Erstaunen, Güte –, diese sind nicht einfach hervorzubringen, das kostet Anstrengung, die hat man nicht wie von selbst zur Verfügung. Um ein guter Mensch zu sein, bedarf es einer Entscheidung und man muss es jeden Tag aufs Neue versuchen. Was Zerstörung bringt, ist mit Leichtigkeit vorhanden; das Gute muss erstrebt und errungen werden. Die Frage lautet somit nicht: Warum ist es in der Welt schlecht? Warum sind manche Menschen böse? Wieso lässt ein Gott dies alles zu? Was soll ich tun?
Sondern zweifelsohne gibt es nur eine wichtige Frage, die jeder Mensch in einem stillen Augenblick der Besinnung für sich selbst beantworten muss: Will ich gut oder schlecht sein? Diese Wahl habe ich.
Jeden Tag.
Jeden Augenblick.
Jetzt.
Ich weiß nicht, wie lange wir schon wanderten, als wir uns endlich trafen. Jene Zusammenkunft, ein Wink des Schicksals, aber nicht schicksalsergeben, sondern Gelegenheit ergreifend, ja wollend, so beschlossen wir, den Weg gemeinsam fortzuführen. Jeder von uns hatte schon viel überstanden, so manches Hindernis erklommen und hinter sich gelassen. Jetzt, wo wir gemeinsam gingen, lag das schon alles weit zurück. Es war nicht vergessen, aber doch überschattet vom Glück und von der Zuversicht der Zukunft. Pläne hatten wir, große Pläne, weite Pläne, bescheidene Pläne – die Zukunft: wir liefen ihr in frohen Schritten und mit offenen Herzen entgegen!
Eines Tages erstreckte sich vor uns eine Wüste. Sie war plötzlich da, wenngleich nicht unerwartet, denn wer die zurückgelegten Wege verfolgt, der sieht, wie sie sich kunstvoll verwoben in dieses eine Etappenziel ergießen, ein Muster wird sichtbar, und es könnte zu einem großen Bilde ausgeweitet werden, viele Wege da und dort, doch jetzt ging es nur um uns, und deshalb diese Wüste und die Frage: Gehen wir weiter? Gemeinsam?
Es kann nach alledem nur eine Antwort geben und die Frage verschwindet, ehe sie recht aufgetaucht ist: Jawohl!, ruft ein jeder, gehen wir voran! Und wir schreiten voran, nichts kann uns schrecken!
Und wie wir diesen Weg nun gingen, waren wir nicht sorglos oder übermütig, im Gegenteil, ein jeder von uns half und achtete auf den anderen, wenn es nötig war, und so brachten wir gute Stücke des Weges hinter uns. Immer noch aber lag die Wüste vor uns. Konnten wir ahnen, dass sie so lang war?
Es ging weiter. Doch nach einiger Zeit, nach etlichen Gefahren, nach etlichen Hindernissen bemerkte ich, dass ich fahrlässig wurde. Der Weg ging weiter, ich lief, was sollte passieren? Dass bis jetzt nichts passiert war –, hatte das etwas zu bedeuten?
Im Nachhinein ist es oftmals müßig, schematisch zu fragen, ob ein Stein des Weges lag oder nur die Beine oder die Augen müde waren? Tatsache ist, dass ich in ein Loch gefallen war, welches sich auf dem Weg befunden hatte. Listig getarnt war es, ich kann mir keinen Vorwurf machen, natürlich hatte ich aufgepasst, doch glaubte ich, von diesem Weg nicht abirren zu können, während ich in Wirklichkeit damit schon den Fuß falsch gesetzt hatte. Nun war ich in diesem Loch. Mein Begleiter war zu weit vorne, er konnte nicht zurück und mich herausziehen, immerhin war er auch erschöpft. Dennoch half er mir, denn er warf mir einen Strick zu und hielt mich. Außerdem, dies darf auch nicht übergangen werden, blieb er stehen! Er hätte sich auch nicht umdrehen brauchen, er hätte sagen können: Ich bin genauso erschöpft wie du, ich kann dir nicht helfen! Ich kann es nicht. Doch das tat er nicht. Und weil er es nicht tat, gab er mir die Kraft, meine Lage zu analysieren in allen Formen gemäß meiner Möglichkeiten, so dass ich daran arbeiten konnte, mich aus diesem Loch zu ziehen. Es dauerte lange, aber ich wusste, ich würde es schaffen.
Dann endlich, einige Zeit war verstrichen, ging es weiter, er legte ein forsches Tempo vor, denn erholt hatte er sich selbstverständlich, während ich langsam weiter schritt und sorgsam auf den Weg achtete. Er war nun schon ein gutes Stück voraus, und ich durfte ehrlich sagen, dass ich es ihm gönnte, froh war, mit ihm gewandert zu sein, jetzt war er ganz weit vorne. In der Nacht kam dann folgender Traum: Er träumte, ich ginge weit vor ihm, ganz, ganz weit vor ihm, so weit, dass er mich kaum noch sah. Er wollte nun auch so weit vorne gehen wie ich, und so schwang er sich auf in die Lüfte, breitete die Arme aus und flog. Er flog hoch, und er flog schnell, so schnell, dass ich es gar nicht bemerkte, es passierte alles ganz plötzlich. Er überrundete mich, schoss an mir vorbei, und während er sich noch umblickte –, an dieser Stelle, so sagte er mir später, hätte er in eine Schlucht geblickt und eine abgestürzte Gestalt gesehen.
Wer war es?, fragte ich, und er sagte mir, er wüsste es nicht. Aber da wusste ich es!
Ein interessanter Traum, nicht wahr?, fragte er. Und mir war sofort klar: Das war ja gar kein Traum! In diesem Moment wachte ich auf: Weit, weit schon waren wir gewandert. Vor uns lag eine wunderbare Oase, ein Quell des Lebens in der Wüste: unsere Rettung! Komm!, wollte ich rufen und sah mich um, wo er war, und dann sah ich, dass er weit zurücklag und auch in ein Loch gefallen war. Ich wartete auf ihn, so wie er es bei mir getan hatte.
Komm!, rief ich ihm zu, du schaffst es, wir schaffen es!
Du Narr!, antwortete er müde. Aus diesem Loch gibt es kein Entrinnen!
Das ist nicht wahr!, sagte ich, du hast doch selbst gesehen, wie ich es auch geschafft habe. Erinnerst du dich nicht? Erinnere dich!
Hilfst du mir?, fragte er mich, gehen wir zusammen?
Wir sind immer zusammen gegangen!, erwiderte ich, ich lasse dich nicht alleine!
Du lässt mich nicht alleine?
Nein!, sagte ich.
Warum?, fragte er mich da. Sein Blick war seltsam, seine Stimme anders.
Warum?, erwiderte ich. Wir haben zusammen diesen Weg angetreten, und einer hilft dem anderen!
Warum?, rief er verzweifelt.
Nachdenklich blickte ich zu ihm hin und in diesem Moment glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen, denn die Entfernung zwischen ihm und mir war größer geworden, dabei war ich gar nicht weitergelaufen! Ich hatte doch gewartet! Jetzt sah ich, dass es das Loch war, welches ihn fortzog! Das kannte ich!
Kämpfe dagegen an, ziehe dich aus dem Loch!, schrie ich. Es geht, gib dich nicht auf, du musst es nur versuchen!
Warum?, rief er (du weißt nicht, wie es ist!).
Aber ich wusste es doch ganz genau! Deshalb war ich ja so besorgt, so verzweifelt.
Wo bist du?, rief er. Geh nicht fort!
Ich bin hier!, antwortete ich. Ich bin hier und hier bleibe ich! Kämpfe dagegen an! Nein!, schrie er da, du bist es nicht, du lässt mich im Stich!
Ich lasse dich nicht im Stich!, brüllte ich ruhig. Wie könnte ich auch? Das Leben ist kostbar, ganz egal, was auch passiert, es muss darum gekämpft, es muss mit allen Mitteln verteidigt werden. Durchhalten, niemals aufgeben, heißt die Losung! Wenn ich falle, stehe ich wieder auf, und sei der Gegner noch so mächtig!
Meistere deinen Willen! Vergiss alles über Gewinnen und Verlieren. Vergiss Stolz und Schmerz. Sei nicht besorgt darüber, wie du sicher davonkommen kannst. Kämpfe, als ob es dein wichtigster Kampf wäre, denn genau das ist er jetzt in diesem Augenblick!
All dies und noch viel mehr hätte ich ihm zurufen wollen, doch reichte die Zeit nicht dazu aus, schon weil er wieder Warum? rief, eine Frage, die bei klarer Betrachtung völlig unnötig gewesen wäre, und doch stellte er sie.
Weil Du mein Bruder bist!, schrie ich ihm da ins Gesicht, verstehst du das denn nicht?
Aber er hörte mir schon gar nicht mehr zu …
Und so blieb ich zurück.
Aufmerksam hörte der alte König den Ausführungen seiner Kundschafter zu, die von ihren Reisen durch die Länder zurückgekehrt waren, und schlug, nachdem alle ihre Berichte beendet hatten, mit der Faust auf die goldene Thronlehne.
„Potzblitz! Ihr alle erzählt mir von dem Tempel, der die Menschen wahrhaft glücklich machen soll, und könnt mir doch nicht sagen, wo er ist, und was es ist, das in ihm verborgen ist?“
„Nein“, sagte der erste Kundschafter.
„Unmöglich“, bestätigte der zweite.
„Nicht, dass wir nicht wollten“, fügte der dritte hinzu, „wir haben alles versucht, um den Ort und die Beschaffenheit der Geschehnisse ausfindig zu machen, haben alle List und alle Schläue eingesetzt, aber es hat nichts geholfen!“
„Das gibt es nicht!“, rief der König erzürnt, stand auf, lief mit verschränkten Armen eine Strecke des Thronsaals auf und ab, dazwischen immer wieder laut polternd: „Das glaube ich einfach nicht!“ oder „Es will mir nicht in den Kopf!“
Vom Lärm angezogen eilten seine Frau und die Söhne herbei und auch die Tochter, welche das Gezeter im Garten gehört hatte, um nachzuschauen, worüber der Vater sich derart ärgerte.
Als der König sie mit fragenden Gesichtern um sich stehen sah, hob er beide Arme, stieß einen mürrischen Laut aus, nahm wieder auf seinem Thron Platz und stützte den Kopf auf beide Hände.
„Sagt, Vater, worüber regt ihr euch so auf?“, fragte die Tochter mit ihrer lieblichen Stimme, die den Vater sogleich besänftigte.
„Ach“, seufzte er und zog sie zu sich heran, setzte sie auf seinen Schoß, strich sich mit der freien Hand über den Bart und sagte mit seiner tiefen Stimme: „Vor dir verblassen alle Sorgen. Aber dennoch, ich bin der König und trage die Verantwortung für das Land und alle