Von Oswalt Kolle bis Schulmädchen-Report - Erwin In het Panhuis - E-Book

Von Oswalt Kolle bis Schulmädchen-Report E-Book

Erwin In het Panhuis

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Beschreibung

Vor 50 Jahren begann in Deutschland die sexuelle Revolution, welche die Gesellschaft nachhaltig veränderte. Über Sexualität wurde neu nachgedacht. Der § 175 StGB wurde 1969 entschärft und damit schwuler Sex legalisiert. Seit Anfang der 1970er Jahre schwappte eine regelrechte Sex-Welle durch die Kinos der Nation. Anfangs vor allem Aufklärungsfilme und so genannte Report-Filme - später unzählige Sex-Komödien. Erwin In het Panhuis hat rund 300 Aufklärungsfilme und Sex-Komödien untersucht, die zwischen 1968 und 1982 erschienen sind. In jedem Zweiten spielen auch Schwule eine Rolle. Zusammengenommen ergeben die Filme ein spannendes Spiegelbild der damaligen Gesellschaft.

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Das Buch-Cover

Auf dem Cover ist eine Szene aus der Sex-Komödie Hurra – die Schwedinnen sind da (1978) zu sehen, die sehr typisch für die Rolle von Schwulen in den 70er Jahren ist. Das fängt beim Produktionsstab des Films an, der aus dem Produzenten Karl Spiehs, dem Drehbuchautor Erich Tomek und dem Regisseur Franz Josef Gottlieb besteht. Sie alle prägten das Bild der Sex-Komödien in den 70er Jahren. Typisch an dieser Produktion ist auch der Schauspieler Werner Röglin (rechts im Bild), der privat ein offen schwules Leben führte und in den 70er Jahren als bekanntester Darsteller schwuler Rollen bekannt war. Die Szene gibt gut den für Sex-Komödien typisch-einfachen Humor wieder. Nach dem Lexikon des internationalen Films ist dieser Streifen voll von schwachsinnigem Klamauk, derben Sexszenen und ordinären Dialogen. In meinem Buch gehe ich auf rund 150 solcher Filme ein.

Der Autor

Erwin In het Panhuis, Jg. 1965, hat als Diplom-Bibliothekar u. a. für den Schwulenverband in Deutschland (SVD, heute LSVD), das NS-Dokumentationszentrum in Köln, I & U TV Produktion (Stern TV) und für das Referat für Lebensformenpolitik und gleichgeschlechtliche Lebensweisen beim Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW gearbeitet. Nach seinem Buch Anders als die Andern. Schwule und Lesben in Köln und Umgebung von 1895-1918 folgten zwei Publikationen im Verlag des Archivs der Jugendkulturen: Aufklärung und Aufregung. 50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO (2010) und Hinter den schwulen Lachern. Schwule und Lesben bei den Simpsons (2013).

Inhaltsverzeichnis

Vor-Film

Was bisher geschah: Die verwandten Genre-Vorläufer

Aufklärungsfilme, wie von Oswalt Kolle

Report-Filme, wie

Schulmädchen-Report

Die Entwicklung der Sex-Komödien und ihrer Akteure

Franz Marischka, Gunter Otto –

Lass jucken, Kumpel

und

Liebesgrüße aus der Lederhose

Rolf Thiele, Walter Boos und andere – Subgenres der Sex-Komödien

Alois Brummer, Hans Billian – Bayerische Sex-Komödien und Hardcore-Pornos

Karl Spiehs, Siggi Götz und andere – Das Ende der Ära von Sex-Komödien

Eine neue Ära: Die Komödien der 80er Jahre

Die Darstellung der Heterosexuellen

Travestie heterosexueller Männer

Heterosexuelle werden für schwul gehalten

Heterosexuelle über die Legalisierung von Homosexualität

Sex zwischen Frauen in Gegenüberstellung zu Sex zwischen Männern

Die Darstellung der Homosexuellen

Schwule Männer

Sozialverhalten schwuler Männer

Sexualverhalten schwuler Männer

Travestie schwuler Männer

Schwule werden

verführt, umgepolt, geheilt

Exkurs: Der Lederhosenfilm und die Pornos

Exkurs: Die Schwulen in Filmen anderer Genres und Länder

Making-of: Rezeption und Blicke hinter die Kulissen

Die Dokumentierbarkeit von Sexfilmen und Pornos

Die Indizierungen der

Bundesprüfstelle

Hintergründe zu Schauspielern und Regisseuren

Rinaldo Talamonti

Happy End: Das Fazit

Positionen

Schwule im Vergleich

Gesamtbewertung

Abspann

Filmographie und Register

Bibliographie

Danke

I. Vor-Film

Der Anfang vom Interesse

Vor rund 50 Jahren hat in Deutschland vieles seinen Anfang genommen: 1969 wurde Homosexualität legalisiert; das war ein deutlicher Ausdruck dafür, dass über Sexualität neu nachgedacht wurde. Die sexuelle Revolution wurde auch durch Filme verkörpert und vorangetrieben. Das anstehende Jubiläum 50 Jahre Sexuelle Revolution gab letztendlich den Ausschlag für dieses Buch. Vor 50 Jahren gab es eine unglaubliche Aufbruchstimmung, die die Gesellschaft nachhaltig veränderte. Für Schwule war es noch viel mehr: Es war eine Zeit der Befreiung, in der sie erstmals in der Geschichte nicht mehr kriminalisiert wurden. Der Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt (1971) hat wie kein anderer die Schwulen wachgerüttelt und zum Handeln ermutigt. Wie andere Filme dieser Zeit hat er uns auch heute noch etwas zu sagen – und nicht nur die Erkenntnis, dass Filme die Kraft für politischgesellschaftliche Veränderungen haben.

Die Auseinandersetzung mit Homosexualität wurde in den 70er Jahren erstmals in der Filmgeschichte zu einem Massenphänomen und Schwule mussten Filmszenen mit Schwulen nicht mehr mit der Lupe suchen. Die meisten der hier zitierten Filme sind in der schwulen Filmforschung bisher unbekannt und in schwul-lesbischen Filmlexika nicht besprochen. Das ist nicht verwunderlich, schließlich handelt es sich meistens nur um kurze Szenen. Sie sollen hier als Mosaiksteine eines deutschen Sittengemäldes neu zusammengesetzt werden.

Zum Inhalt des Buches

Die Hauptrollen in diesem Buch spielen rund 150 Filme, die meistens nur kurze Filmszenen über Homosexualität enthalten. Zunächst werden im 2. Kapitel die Aufklärungsfilme und die pseudodokumentarischen Report-Filme als wichtige Vorläufer der Sex-Komödien behandelt. Im 3. Kapitel werden im Rahmen einer Außensicht die Sex-Komödien der 70er Jahre im Kontext der Genres, der filmischen Entwicklungen und der wichtigen Akteure dieser Zeit vorgestellt. Welche Regisseure, Schauspieler und Produzenten prägten die deutsche Filmlandschaft? Dabei stehen die Filme mit längeren schwulen Filmszenen (über 5 Min.) im Fokus. Im 4. und 5. Kapitel wird mit einem Blick für inhaltliche Details und Szenen in eher unbekannten Filmen gezeigt, wie Homosexualität als Thema aufgegriffen wird. Angefangen von den harmlosen Travestieszenen und Verwechslungsgeschichten bis hin zu den offen schwulen Charakteren. Auch im 6. Kapitel werde ich noch einmal auf einzelne Filme, Schauspieler und Regisseur zurückkommen – allerdings hier mit all jenen Infos, die zeitgenössisch noch nicht bekannt waren. Von Bayern und der Stadt München wird oft die Rede sein, weil das Land und die Stadt in den 70er Jahren für die deutschen Sex-Komödien nicht nur für die Lederhosenfilme eine besondere filmische Bedeutung hatten.

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Die meisten dieser Sex-Komödien sind keine anspruchsvolle Abendunterhaltung und setzen sich auch nicht intellektuell mit der Rolle von Homosexualität auseinander. Aber wer sich lange genug in billigen Komödien, zotigen B-Movies und lieblos heruntergekurbelten Pornos suhlt, stößt beim Sichten von mehreren hundert Filmen eben nicht nur auf nervige Klischee-Tunten. Davon gibt es viele, vielleicht zu viele. Es gibt auch andere erstaunliche Bilder. Es gibt nicht nur die warmen Brüder, denen man ihr Schwulsein mit Gewalt auszutreiben versucht, sondern auch schon die selbstbewussten Schwulen, die sich leidenschaftlich lieben und für deren Emanzipation sich auch Heteros einsetzen. Diese Bandbreite gehört dokumentiert, weil sie nicht nur Ausdruck der öffentlichen Meinung ist, sondern weil sie auch selbst das Bild von Schwulen in der Öffentlichkeit und das Bild von Schwulen über sich selbst prägte. Trotz komödiantisch verzerrter Form spiegelt sich hier der heterosexuelle Blick eines ganzen Jahrzehnts auf Schwule wider.

Gesellschaftlicher Hintergrund

Die dokumentierten Filme stehen im Zusammenhang mit der sexuellen Revolution. Begriff und Kernbedeutung geht auf Wilhelm Reichs Werk The Sexual Revolution (1945) zurück, wo Reich die aus seiner Sicht verlogene Sexualmoral kritisiert. Einen wichtigen Einfluss im Vorfeld der sexuellen Revolution hatten die Bücher des US-Sexualforschers Alfred Kinsey: Das sexuelle Verhalten des Mannes (1948) und Das sexuelle Verhalten der Frau (1953), dessen Forschungsergebnisse nicht nur in den USA für großes Aufsehen sorgten.

Mit der sexuellen Revolution, die Ende der 60er Jahre in Deutschland ihren Anfang nahm, wollte man in Abgrenzung zur Prüderie der 50er Jahre einen Wandel der öffentlichen Sexualmoral und eine Enttabuisierung von Sexualität erreichen. Aus den Vertretern der 68er-Bewegung stammen auch die ersten Homosexuellen-Aktivisten, die für ähnliche Ziele kämpften. Aber neben der Legalisierung von homosexuellen Handlungen 1969 hatten die Schwulen von der deutschen Politik der 70er Jahre kaum mehr zu erwarten. Vom bayerischen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß bleibt der Satz Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder hängen und sollte nicht vergessen werden. In einem solchen Klima brauchten Schwule schon viel Mut, um z.B. auf der ersten Schwulen-Demo in Münster im April 1972 für ihre Rechte auf die Straße zu gehen. Die frühe Schwulenbewegung der 70er Jahre hatte viele Ideale. Was sie jedoch weder in der Realität noch im Fernsehen hatte, waren positive Identifikationsmöglichkeiten. Gut gemachte Dokumentationen wie die ZDF-Reportage Und wenn Ihr Sohn so wäre (1971) verdeutlichten, wie schlecht es um die gesellschaftliche Situation bestellt war. Wie wichtig war in einer solchen Situation die Studie von Martin Dannecker und Reimut Reiche Der gewöhnliche Homosexuelle (1973), die im Spiegel breit besprochen wurde. Nach der Titelgeschichte § 175. Das Gesetz fällt. Bleibt die Ächtung? (Heft 20, 1969) war Homosexuelle. Befreit – aber geächtet (Heft 11, 1973) die zweite schwule Titelgeschichte im Spiegel, was hinsichtlich der Tabuisierung schon beachtenswert ist.

Der Liberalisierung diverser Gesetze folgte zwar auch die Veränderung der Gesellschaft. Es wurde aber vor allem eine mediale Sexwelle losgetreten, die die sexuelle Revolution kommerzialisierte. Die hier dokumentierten Sex-Filme sind in diesem Sinne ein kommerzielles Nebenprodukt der sexuellen Revolution. Wer als Homo- oder Hetero-sexueller in den 70er Jahren die Gesellschaft verändern wollte und für eine freiere Sexualität kämpfte, wird zu den meisten der hier aufgeführten Sex-Filme vermutlich eine einfache Position vertreten haben: Dafür haben wir nicht gekämpft.

Schwules Kopfkino

Es gibt Filmszenen, die zwar von heterosexuellen Männern handeln, aber männliche Nacktheit zeigen und dabei eine körperliche Nähe unter Männern betonen, sodass sie auch homoerotisch wirken können. Es ist aber eine Wirkung, die vor allem im Kopfkino stattfindet und von der angenommen werden kann, dass sie bewusst auf ihre subtile homoerotische Wirkung hin inszeniert wurde.1

Schwule waren in den 70er Jahren Befreit – aber geächtet: Der Spiegel (Heft 11, 1973)

Ordensbrüder wirken gegenüber Frauen desinteressiert: Die Sex-Abenteuer der Musketiere (1971)

Zu diesen Filmen gehören Die Sex-Abenteuer der Musketiere (1971, s. Bild), bei denen die Musketiere auch auf Klosterbrüder treffen, die unter sich eine geschlossene Gemeinschaft bilden und nackt – wie Gott sie nun mal schuf – Rituale zelebrieren, die ihre Verbundenheit betonen und körperliche Nähe zeigen. Eine reine Männerwelt, in der Frauen wie Fremdkörper wirken und deren ästhetisch schöne Bilder eine starke erotische Ausstrahlung haben. Ihr heterosexuelles Begehren wird zwar betont, aber über die Bilder nicht vermittelt. Es sind Bilder eines Musketier-Films, die liebevoller inszeniert sind und visuell mehr fesseln können als der plumpe schwule Porno Die drei schwulen Musketiere (1995).

Körperliche Nähe unter Männern in Lehrmädchen-Report (1972)

Ähnliches gilt für das Aushang-Foto von Lehrmädchen-Report (1972), wo fünf nackte Jungs an einem FKK-Strand einen Mann hochwerfen. FKK-Strände in Filmen sind nur vordergründig entsexualisiert, denn schließlich sind sie wie Duschräume nicht nur Orte von Nacktheit, sondern auch von erotisch-sexueller Begegnung bzw. Wirkung und bedienen Voyeurismus. Ohne diese Wirkung wäre dieses Aushangfoto – das ganz ohne Frauen auskommt und dabei nicht nur die körperliche Nähe, sondern auch den Körperkontakt unter Männern betont – nicht zu Werbezwecken eingesetzt worden.

Trotzdem bleibt auch hier die Wirkung auf den Betrachter unterschiedlich und subjektiv, was mit dem Begriff Kopfkino zum Ausdruck gebracht wird. Auch im Weiteren werde ich anhand von Rezensionen zu anderen Filmen aufzeigen, dass es in erster Linie keine objektive, sondern vor allem eine subjektive Filmbetrachtung gibt. Um es mit den Worten des Literaturwissenschaftlers Ernst Bertram auszudrücken: Wenn wir uns etwas verdeutlichen, deuten wir.

Bis heute: Sexfilme unter dem Deckmantel der Aufklärung

In den nächsten Kapiteln wird es u.a. darum gehen, in welcher Form Sexfilme in Deutschland unter dem Deckmantel des Aufklärungsfilms erscheinen konnten. Einigen mag dies bekannt vorkommen.

Eine Brücke von der heutigen Zeit in die Vergangenheit stellt Oswalt Kolles letztes Filmprojekt dar: Die fünfteilige TV-Doku Sexreport 2008 – So lieben die Deutschen (2008). Auch noch im Jahre 2008 treffen wir auf Oswalt Kolle und auf eine Doku, die unter dem Zauberwort Report vermarktet wurde. In diesem Fall hat die Deutsche Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung im Auftrag von Pro7 eine Studie durchgeführt und den Sexreport 2008 auf diese Weise wissenschaftlich legitimiert. Selbst der wissenschaftliche Leiter betont in einem Interview, dass bestimmte Fragen zum Sexualverhalten nicht zulässig waren, weil sie nicht zur Zielorientierung von Pro7 passten, und dass er dem Sender Müllzahlen gab, die nichts aussagen. Er findet es äußerst merkwürdig, dass Studien mal 1,8 Prozent und mal 10 Prozent Homosexuelle ergeben.2 Die angeblich wissenschaftliche Forschung im Verständnis von Pro7 besteht im 3. Teil dieser Dokumentation darin, dass ein weiblicher Lockvogel versucht einen Schwulen zu verführen. Das ist keine filmische Umsetzung einer wissenschaftlichen Studie, sondern eine kleine unbedeutende Sexgeschichte.

Angesichts dieses Sexreport 2008 darf sich niemand ernsthaft darüber wundern, dass die Zuschauer vor einem halben Jahrhundert in ähnlicher Form eine wissenschaftliche Legitimation für ihre Sexfilmchen brauchten. Einige Filme der 70er Jahre waren anspruchsvoller als das, was dem Zuschauer heute im Fernsehen geboten wird.

Ein Report unter dem Deckmantel des Aufklärungsfilms: Sex-Report. Der Mann (2008)

Sexfilme unter dem Deckmantel des Aufklärungsfilms gab es aber nicht nur 2008 und vor 50 Jahren, sondern auch schon vor 100 Jahren. In der Weimarer Republik konnten Filme über Sexualität nur gezeigt werden, wenn sie als Aufklärungsfilme legitimiert erschienen. Nur auf diesem Weg konnte in Deutschland der weltweit erste Film über Homosexualität Anders als die Andern (1919) entstehen, der als politischer Aufklärungs- und Agitationsfilm ein halbes Jahrhundert ohne filmische Konkurrenz blieb.3 Wie auch einige der Aufklärungsfilme 50 Jahre später, war auch dieser Film umstritten und wurde später zensiert.

Durch diese Wiederholung von Reaktionsmustern auf Sex- und Aufklärungsfilme wirkt der öffentliche Umgang schon fast wie eine Art Kreislauf, welcher offenbart, wie schwierig der offene Umgang mit Sexualität immer noch ist und wohl auch immer bleiben wird.

Was ist mit queer?

Ein Teil der Leserschaft erwartet vermutlich eine ähnlich intensive Auseinandersetzung wie mit Schwulen auch mit Lesben und mit Menschen unterschiedlichster sexueller Identität, denn schließlich ist es oft sinnvoll, wenn Schwule und Lesben zusammen politisch kämpfen oder sich eine gemeinsame queere Bewegung gesellschaftlich und politisch engagiert. Dieser Ansatz hätte bei dem Thema dieses Buches jedoch nur bedeutet, unsere heutige Vorstellung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt der historischen Filmforschung überzustülpen und der heutigen politischen Korrektheit und den Vorstellungen einer legitimen gleichberechtigten Darstellung einen wichtigeren Stellenwert einzuräumen als dem filmischen Ausgangsmaterial, das es zu bewerten gilt. Selbst bei oberflächlicher Betrachtung merkt man schnell, dass bei den Sexszenen zwischen Frauen und zwischen Männern mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten bestehen und sich daher eine gemeinsame Erarbeitung nicht anbietet. Einzelne Szenen mit intergeschlechtlichen Menschen4 sind leider nicht mehr als provokant anmutende Inszenierungen ihrer Körper im Rahmen sexueller Exotik. Allenfalls bei Travestie-Szenen mit Männern hat sich mit Bezug auf Geschlechterrollen ein ausführlicher Blick gelohnt. Es ist immer sinnvoll, darauf zu achten, mit welchen anderen gesellschaftlichen Gruppen – wie mit Lesben, Ausländern etc. – sich der filmische Umgang mit Schwulen vergleichen lässt. Es sind Überlegungen, die an diversen Stellen des Buches und vor allem im Fazit ergänzend einfließen.

Auf geht’s!

Dieses Buch versteht sich nicht nur als ein Geschichtsbuch über eine vergangene Epoche, denn es dokumentiert schließlich Filme von oft bizarrer Komik und eigener Ästhetik nicht wie Schnee von gestern, sondern eher wie Kult von vorgestern. In einer Zeit von Retro-Trend können die Filme genauso neu entdeckt werden wie die Musik, die Mode und das Design der 70er Jahre. Für eine solche Neuentdeckung ist die Filmographie im Anhang mit den jeweiligen Minutenangaben eine gute Grundlage. Die meisten der dokumentierten Filme werden mittlerweile im Handel als DVD angeboten oder sind online abrufbar.

Lassen Sie nun mit einer Distanz von einem halben Jahrhundert rund 150 dieser Filme Revue passieren. Vielleicht werden auch Sie während des Lesens aus unterschiedlichen Gründen heraus den Kopf schütteln: Vor Verwunderung, weil Schwule so ungewöhnlich präsent sind, anfangen zu reimen oder sich sogar um Babys kümmern; aus Wut vor so viel geballter Homophobie und dummen Sprüchen, aber auch aus dem Erstaunen heraus, was an freizügigen und oft auch sehr unterhaltsamen schwulen Sexszenen damals schon möglich war.

1 Zu nennen wären hier auch die heterosexuellen Männer, die in Hot Dogs auf Ibiza (1979) die Größe ihrer Geschlechtsteile miteinander vergleichen.

2https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/-sexreport-2008--sex--quoten-und-wissenschaft-3754424.html Abrufdatum 31.03.2018.

3 Die Äußerungen von Miersch über die sexuellen Aufklärungsfilme der Weimarer Republik lassen sich allerdings auch auf Anders als die Andern (1919) übertragen: Man knüpfte an die Traditionen aus Melodram und Kriminalfilm an und schilderte Lust als düstere, mystische Kraft, die auf den Mensch einen unheimlichen Zwang ausübt und diesen meist ins Unglück stürzt. Miersch, 2003. S. 68-69, Zitat S. 68.

4 In den Komödien Abflug Bermudas (1976), Hot Dogs auf Ibiza (1979), Die Rache der Ostfriesen (1974) und diversen Pornos.

II. Was bisher geschah: Die verwandten Genre-Vorläufer

Aufklärungsfilme, Report-Filme und Sex-Komödien haben bestimmte Charakteristika, flankieren und bedingen sich. Aufklärungsfilme möchten objektiv und wissenschaftlich wirken (und sind es manchmal sogar), Reportfilme sind meistens (pseudo-)dokumentarisch angelegt, während die späteren Sex-Komödien meistens ohne erzählerisches Alibi auskommen und unverblümt nur der Unterhaltung dienen. Die jeweiligen Filme lassen sich aber nicht immer klar einer dieser Gruppen zuordnen und unterscheiden sich auch innerhalb eines Genres.

a. Aufklärungsfilme, wie von Oswalt Kolle

Helga und die Männer

Mit Helga und ihren Männern hat wohl alles angefangen. Auf Veranlassung der Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel (1907-1996) wird der Aufklärungsfilm Helga – vom Werden des menschlichen Lebens (1967) gedreht und ein großer kommerzieller Erfolg. Auch die Nachfolger Helga und Michael (1968) und Helga und die Männer (1969)5 bekommen politische Unterstützung und machen die Protagonistin Ruth Gassmann quasi zur Sissi des Aufklärungsfilms.6 Auf diese Weise vollzog sich die Entwicklung der Sexfilme in Deutschland kurioserweise unter der Patenschaft der Bundesregierung.7 Dadurch ändert auch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ihren Kurs: Die informelle Einigung mit der FSK bestand nun darin, dass mit dem Anschein von Wissenschaftlichkeit und dokumentarischer Qualität die Kriterien in Bezug auf Sex und Nacktheit nicht mehr so streng auszulegen seien.8

Helga hat eine Sexwelle ausgelöst: Helga und die Männer (1969)

So wird eine Entwicklung in Gang gesetzt, von der die nachfolgenden Spielfilme erkennbar profitierten. Im Kino hat die sexuelle Revolution begonnen.

Oswalt Kolle

Seit Ende der 60er Jahre ist der Autor und Filmproduzent Oswalt Kolle (1928-2010) maßgeblich an der Popularisierung der sexuellen Aufklärung beteiligt. Heute wissen wir, dass Oswalt Kolle seit den 1990er Jahren offen bisexuell und in einer offenen Beziehung lebte (s. Kap. 6).

Kolle trug mit Filmen wie Das Wunder der Liebe (1968) maßgeblich zur Popularisierung der sexuellen Aufklärung bei

In seinen acht Filmen redet Kolle – der auch als Orpheus des Unterleibs9 bzw. als Che Guevara der sexuellen Freiheit bezeichnet wurde – Klartext über Sexualität, manchmal auch über Homosexualität. In seinem ersten Film Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe (1968) interviewt Oswalt Kolle auch Dr. Hans Giese (1920-1970), der darauf verweist, dass Sexualität mehr ist als ein Mittel zur Erfüllung der Arterhaltung und dass es für ihn auch wichtig ist zu zeigen, welche Möglichkeiten ein Mensch […] zur Verfügung hat, um mit einem bestimmten Menschen sein ganzes Leben zusammen zu bleiben. Wenn man Gieses Biografie kennt – und einem dadurch auch seine geschlechtsneutralen Formulierungen auffallen – bekommt man bei diesen Äußerungen schnell das unangenehme Gefühl des Unausgesprochenen. Hans Giese promovierte nämlich über Die Formen männlicher Homosexualität; seinen Antrag auf Habilitation hatte die Universität Frankfurt jedoch mit Hinweis auf seine offen vertretene Homosexualität abgelehnt. Auch bei dem Homosexuellenfilm Anders als Du und Ich (1957) war er übrigens schon als wissenschaftlicher Berater tätig gewesen.

Zwei Jahre später lässt sich Kolle in Oswalt Kolle: Dein Kind, das unbekannte Wesen (1970) in ähnlicher Form vom (offen schwulen) Diplom-Psychologen Helmut Kentler wissenschaftlich beraten.

Im selben Jahr erscheint auch Oswalt Kolle: Dein Mann, das unbekannte Wesen (1970). Hier wird ein Mann erwähnt, der sich fürchtet, dass ihn seine Freundin wegen seiner Erektionsprobleme für schwul halten könnte. Besonders brisant – nicht nur für 1970 – ist das Zeigen einer Erektion in Nahaufnahme, wobei Kolle dem Zuschauer mitteilt, dass auch Berührungen an der Gesäßpartie und am After [...] von vielen Männern als sexuell reizvoll empfunden werden.10

Diese Erektion wurde medizinisch eingebunden nicht als Pornographie gewertet

Ein erkennbar verärgerter Kolle ist in Oswalt Kolle: Was ist eigentlich Pornographie (1971) zu sehen, der sich hier über die Einschränkungen aufregt, denen er als Regisseur bei diesem Thema unterliegt. Wegen des Verbots von Pornographie (bis 1975) zeigt er das, was an homoerotischen Zeichnungen heute als Kunst angesehen wird, aber auch einige Fotos aus Pornoheften für Homosexuelle, die er mit einem Zensurbalken versehen musste. Sein Hinweis, dass Menschen nach dem Betrachten von Pornographie weder ihre Triebrichtung noch ihr Verhalten ändern, ist vermutlich auch noch heute nicht jedem bewusst.

Weil Pornographie (noch) verboten war, verwendete Kolle Klebestreifen zur Abdekkung der Genitalien

In Oswalt Kolle: Liebe als Gesellschaftsspiel (1972) erzählt ein Mann von einem homosexuellen Erlebnis, und es wird auch die Frage behandelt, ob es denn einen Unterschied ausmacht, ob bei einem Dreier zwei Frauen oder zwei Männer mit agieren (s. Kap. 3.d.).

Die heutige Bewertung von Kolles Filmen fällt gemischt aus. Das aufrichtige Bemühen um Lebenshilfe11 und eine gewisse Ernsthaftigkeit seiner aufklärerischen Absichten12 ist klar erkennbar und wird gewürdigt. Die Kritik an Kolle als lahmer, schulmeisternder Tugendbold und seine altbacken[e] Umsetzung13 finde ich etwas zu scharf formuliert. Die Bewertung, dass die Grundwerte bürgerlicher Normvorstellungen von ihm nie in Frage gestellt wurden,14 kann ich schon aufgrund seiner Pornographie-Dokumentation nicht mittragen. Aus schwuler Perspektive kann man kritisieren, dass er nicht auf die Liebe zwischen zwei Männern zu sprechen kommt, bevor er auf Pornographie und Gruppensex eingeht. Seine Filme bleiben aber – wie auch Helga – wichtige Wegbereiter. Ihnen gebührt – darauf verweist Morgan zu Recht – Lob und Respekt, weil sie sich auf dünnes Eis wagten und Vorreiter für viele weitere Filme waren.15

Gut gemeinte Aufklärung

Der Film Liebestechnik für Fortgeschrittene (1970)16 weist zwar leider keine richtige Dramaturgie und ungemein schlechte Schauspieler auf, ist aber wenigstens in seinen Botschaften stimmig. Legale bildende Kunst und die (zu diesem Zeitpunkt in Deutschland) illegale Pornographie werden dabei verglichen. Die bildende Kunst darf sogar Erektionen zeigen, wie Aubrey Beardsleys Lysistrata-Illustrationen, die in diesem Film (wie auch bei Oswalt Kolle: Was ist eigentlich Pornographie) zu sehen sind.

Karikatur von Aubrey Beardsleys als Illustration zu Lysistrata

Ein schwules Pornoheftchen aus Dänemark Wie Männer lieben

Warum sind aber schwule Pornoheftchen wie Wie Männer lieben in Dänemark erlaubt, aber in Deutschland verboten? Die Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität (1969) verdeutlicht doch, dass sich Gesetze (und mit ihnen die gesellschaftlichen Einstellungen) verändern können und müssen. Zu den richtigen, aber leider ungeschickt formulierten Botschaften des Films gehört der Wunsch nach guter Sexualaufklärung für Jugendliche. Negativ fällt die unkommentierte Anfangsszene des Films auf, in der einem Jugendlichen die männliche Prostitution schmackhaft gemacht wird. Geh doch auf den Strich. Such dir doch ’n Süßen, so’n fetten Alten. Einfach nur den Arsch hinhalten.

Der Film Die sexuellen Wünsche der Deutschen (1971) funktioniert als Denkmal für den mittlerweile verstorbenen Sexualwissenschaftler Prof. Giese gut, der bei seiner Arbeit gezeigt und für seine Enttabuisierung von gleichgeschlechtlicher Liebe gelobt wird. Es ist aber ärgerlich, dass dieser Aufklärungsfilm vor dem Hintergrund von zwei tanzenden Männerpaaren mehr Fragen stellt, als er eigentlich deutlich beantwortet: Die Grenzen zwischen normal und anormal vermischen [sich]. Was ist überhaupt normal? Was ist anormal? Die Liebe des Mannes zum Mann? Die Liebe der Frau zur Frau? Ein ähnlich schiefes Bild ergibt sich bei den so genannten Straßeninterviews. Sie sollen nicht nur unterhalten, sondern erkennbar auch aufklären und sind von den (ausgesuchten) Antworten her aufgeschlossen, was aber die unsägliche Frage Was halten sie für schlimmer: Homosexualität oder Lesbierinnen? nicht relativieren kann. Das Lexikon des Internationalen Films sieht hier einen verlogen gegen die Kommerzialisierung des Sexus wetternde[n] Film. Diese verlogene Wirkung kommt vermutlich daher, dass die politischen Aussagen nicht zu der unverhohlenen Werbung für die im Film behandelte Geschäftsfrau Beate Uhse passen, die gerade in dem Spannungsverhältnis von Kommerz und Sexualreform in Deutschland facettenreicher hätte dargestellt werden können.

Ein schwules Paar beim Tanzen in Die sexuellen Wünsche der Deutschen (1971)

Gute Aufklärung

Es gibt mehrere Filme, die mit bemerkenswertem emanzipatorischem Verständnis, Offenheit und Mut auf Homosexualität eingehen und dabei eine Selbstverständlichkeit zeigen, die man sich bis heute wünscht und leider so selten geboten bekommt.

Dazu gehört der Film Du – Zwischenzeichen der Sexualität (1968), der das Thema Homosexualität aufgreift. Offen und authentisch. In dieser Zeit ein mutiger Schritt.17 Gezeigt wird ein schwules Paar am Kaffeetisch. Aus dem Off erzählt einer von beiden von seinem Coming out in der Familie. Auch der zeitgenössische Kommentar unterstreicht das emanzipatorische Bestreben: Die Beziehung dieser beiden Männer steht unter Strafe. Praktisch jedoch wird ihre Veranlagung bestraft. […] Haben wir Recht, wenn wir Menschen anderer Veranlagungen mit Abscheu, Haß oder gar Angriff begegnen? Als unterschiede sich nicht fast jeder Mensch in seinem sexuellen Verhalten von anderen. Das schwule Paar am Kaffeetisch wird ohne Klischees gezeigt. Es irritiert mich, dass auch eine solche Darstellung bieder-bürgerlicher Lebensweise Anlass zu Kritik geben kann. Die Besprechung in der Süddeutschen Zeitung von 1969 ist für mich zwar engagiert in Bezug auf schwule Emanzipation, aber dennoch falsch in der Analyse: Ein männliches […] Homosexuellenpaar wird vorgeführt und verhohlend kichernd auf deren ängstliche Imitierung heterosexuellen Ehelebens hingewiesen.18

Normal, bürgerlich oder spießig? Ein schwules Paar in Du – Zwischenzeichen der Sexualität (1968)

In Freiheit für die Liebe (1969) wird über das Münchener Theaterstück Die Gänse über Schwule und Lesben berichtet. In einer Theaterszene liegen beide Männer nackt aufeinander im Bett, machen sich Gedanken über ihre schwule Beziehung, und einer sagt kraftvoll Wir können uns lieben. Der Film zeigt mutig die Innensicht einer schwulen Beziehung und will erkennbar nicht nur die Akzeptanz von Liebe, sondern auch die von schwuler Sexualität. Reginald Puhl – der auch den Film Du – Zwischenzeichen der Sexualität (1968) produzierte – äußerte sich über diesen Film in der Münchner Abendzeitung: Es ist ein sozialkritischer bewußt revolutionärer Film, der auf eine gesellschaftliche Neuordnung hinzielt.19 Thissen hebt hier lobend hervor, dass der Film nicht jene penetrantbürgerlich-saubere Sexualmoral propagiert wie etwa die Kolle-Filme.20

In Psychologie des Orgasmus (1970)21 sagt eine Psychologin im Rahmen einer Gruppensitzung, bei der alle Teilnehmer nackt anwesend sind: Das Problem der Homosexualität ist ja nicht dadurch zu lösen, dass die Gesellschaft verlangt oder erwartet, dass sich die Homosexuellen ändern, sondern die Gesellschaft muss sich ändern. Nicht die Homosexuellen müssen von ihrer Homosexualität geheilt werden, sondern Menschen […] müssen toleranter werden. Filmszenen von zwei Männern beim Sex unterstützen visuell dieses klare Statement. Die Sätze im Film erinnern vielleicht nicht ganz zufällig an Rosa von Praunheims kurz danach entstandenen Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt (1971). Es würde mich wundern, wenn Psychologie des Orgasmus (1970) gerade für den Titel und die Schlussszene von Praunheims Film nicht Pate gestanden hätte. Zu deutlich sind hier die Parallelen: Menschen, die nackt beieinander sitzen und sich klar akzentuiert über sexuelle Befreiung, Homosexualität und den antikapitalistischen Klassenkampf äußern. Es gibt kein diplomatisches Herumfabulieren, sondern eine klare Ansage: Die Gesellschaft muss sich verändern.

Nackte Teilnehmer einer Gruppensitzung in Psychologie des Orgasmus (1970)

Schwule Sexszenen in Psychologie des Orgasmus (1970)

In Wunderland der Liebe (1970) wird sachlich und engagiert über den Homosexuellenaktivisten Udo J. Erlenhardt berichtet, der sich als Chefredakteur bei der Schwulenzeitschrift Du und Ich betätigte, nachdem er 1968 beim gleichgeschlechtlichen Sex erwischt wurde. Außergewöhnlich sind in dem Film auch die Innenaufnahmen mit ihm in der Schwulendisco Vulkan und Aufnahmen der Reaktionen auf ein sich küssendes Männerpaar, um zu verdeutlichen, was man Erlenhardt eigentlich vorwarf.22

Eher schlechte Aufklärung

Abarten der körperlichen Liebe (1970) lässt sich diesen Filmen konträr gegenüberstellen. Er handelt von einem Mann, der unglücklich in einer Ehe lebt und sich des Nachts in den Schwulenbars der Stadt herumtreibt. Als ihn seine Frau […] schließlich wegen seiner scheinbaren Impotenz verlässt, verführt er einen Jüngling.23 Dieser Film ist zwar ebenfalls deutlich und bietet in Bezug auf schwulen Sex sogar vorbehaltlos stimulierende Bilder.24 Von Münchner Universitätsprofessor Fritz Leist kommen zwar aus dem Off auch Sätze wie Hüten wir uns davor, sie [die Homosexuellen] zu diffamieren. Aber was von seinen Sätzen leider übrig bleibt, ist seine Grundeinschätzung, dass Homosexuelle zwar nicht als geisteskrank, aber diese Abartigkeiten als Irrweg zu bezeichnen sind. Später sagt er: Homosexuell zu sein, ist ein Schicksal. Sicher dürfen wir – in aller Achtung – von einer seelischen Krankheit sprechen.25 Mit einer Achtung von Homosexuellen hat diese (natürlich auch zeitbedingte) Äußerung nichts zu tun. Für seine Pseudo-Toleranz und für das Gieren nach sexueller Provokation kann man den Film deutlich kritisieren. In diesen Filmen geht es nicht mehr nur um Aufklärung oder wissenschaftliche Erläuterungen. Es geht einzig und allein um Sex. Man kann auch sagen Marktanteile.26

Eines der Filmposter zeigt einen Mann und eine Frau beim Sex. Mit einem solchen Motiv einen Film über Abartigkeiten zu bewerben, wirkt zunächst einmal unpassend. Weil es sich dabei um einen schwulen Mann (D: Hans Joachim Reinecke) handelt, der vergeblich versucht heterosexuell zu verkehren, ist der Filmtitel als Zugang zu dieser Filmszene (in unabsichtlicher Form) treffend, weil hier ein Schwuler versucht, sich sexuell abweichend von seinen homosexuellen Empfindungen zu verhalten, was als abartig bezeichnet werden kann. Dass dieser Gedankengang aber mit dem Plakatlayout tatsächlich umgesetzt wurde, ist als eine bewusste Handlung der Verantwortlichen nicht anzunehmen.

Bei diesem Film haben mehrere Personen mitgewirkt, die in den nächsten Kapiteln noch näher behandelt werden. So wird der junge schwule Protagonist von Hans Joachim Reinecke verkörpert, der auch im 2. und 3. Teil der Lass jucken-Serie einen Schwulen verkörpert.27 Der (schwule) Werner Röglin aus München ist hier in seiner ersten Filmrolle zu sehen. Er spielt einen (femininen) schwulen Mann und wird in den späteren Komödien auf diesen schwulen Charaktertyp festgelegt. Seine feminine Art ist noch nicht komödiantisch-tuntig. Ein Rezensent bezeichnet seine Darstellung als realitätsgetreu, ohne dass seine campness schon in Dummheit überginge.28

Das Fazit

Eine kulturkritische Bilanz dieser Aufklärungsfilme ist durchaus angebracht: Der Informationswert der Aufklärungsfilme hielt sich in Grenzen und die Gestaltung war mehr von den Bemühungen um die eigene Legitimierung geprägt als von einem wirklichen Engagement um die erotische Kultur.29 Auch Oswalt Kolle gibt sich als sachkundigen Aufklärer, will die Zuschauer aber erkennbar nicht nur informieren, sondern auch unterhalten.30

Die Aufklärungsfilme, die engagiert, ernsthaft und liberal schwule Themen aufgriffen, blieben die Ausnahmen, und im Gegensatz zu den lesbischen sind die schwulen Szenen sehr vorsichtig inszeniert. Was allerdings ebenfalls auffällt, ist, dass Schwule – wohl eher genrebedingt – nicht tuntig übertrieben dargestellt werden. Dieses Zerrbild fällt vor allem dann auf, wenn man die Aufklärungsfilme mit den späteren Komödien vergleicht.

Die Zeit der Aufklärungsfilme war erstaunlich kurz, denn es geht nur um die letzten drei Jahre [der sechziger Jahre] und das, was in die frühen siebziger Jahre (stark kommerzialisiert) hinübervibriert.31 Schon um das Jahr 1970 verdienen viele Aufklärungsfilme die Bezeichnung kaum noch. […] Die Aufklärungswelle kippt um in die Sexfilmwelle,32 und neue Filme in neuen Genres und Subgenres entstehen.

b. Report-Filme, wie Schulmädchen-Report

Nach dem Erfolg der Helga- und Kolle-Filme wurden diese schnell von sogenannten Report-Filmen flankiert.33 Den Namen Report kannte man von sexualwissenschaftlichen Studien wie dem Kinsey-Report, die in den 1950er und 1960er Jahren auch in Deutschland für Gesprächsstoff sorgten. Mit Studien wie diesen hatten die deutschen Report-Filme34 jedoch nur den Titel gemeinsam. Der Titel sollte die Vermittlung von sexualwissenschaftlichem Wissen suggerieren und den deutschen Report-Filmen damit einen (pseudo-)dokumentarischen Anstrich verleihen.

Der Ostfriesen-Report (1973)

De facto waren sie jedoch ein Subgenre des Sexploitationfilms,35 das sich auf die modifizierte Inszenierung sexueller Praktiken sowie auf das Zeigen weiblicher Nacktheit36 beschränkte.

Ihre größten Erfolge hatten die Report-Filme zwischen 1970 und 1974. 1970 sind mehr als die Hälfte aller deutschen Filmproduktionen Sexfilme. Die meisten davon sind jene Pseudo-Reportfilme, die das zügellose Leben von gelangweilten Hausfrauen, abenteuerlustigen Stewardessen und Krankenschwestern […] schonungslos und ohne falsche Scham zeigen wollen.37

Die Welle der Report-Filme erreichte 1973 ihren Höhepunkt, als insgesamt 15 Report-Filme uraufgeführt wurden.38 Während dieser Zeit war Report zu einer Art Markenzeichen geworden – nicht für sexualwissenschaftliche Reportagen, sondern für heiße Sexfilmchen.39

Report-Filme und Homosexualität

Schwule Filmszenen sind in mindestens elf Report-Filmen zu finden.40 Dazu gehören auch Der Ostfriesen-Report (1973), Der Tanzstunden-Report (1973) und Verführerinnen-Report (1972), die als einfache Sex-Komödien noch nicht einmal ansatzweise versuchen, einem pseudo-dokumentarischen Stil zu entsprechen. Bei einzelnen Report-Filmen fallen die schwulen Filmszenen so ausführlich aus, dass sie eine nähere Betrachtung verdienen.41

Dazu gehört Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (1979) – einem Report-Film über männliche Prostitution in West-Berlin – wo sich der junge Nick wegen seiner Drogensucht an andere Männer verkaufen muss.42 Mit dem Salambo wird – was zu dieser Zeit noch selten war – auch eine Szene in einer Schwulenbar gezeigt. Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (1979) entstand nach und aufgrund der Veröffentlichung des Buches Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1978) und zwei Jahre vor dessen erfolgreicher Verfilmung unter dem Titel Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981). Bei einem Vergleich schneidet der Film von 1979 schlechter ab. Das Lexikon des Internationalen Films beschreibt ihn als eine reißerische Mischung aus Schulmädchenreport und Schmierenmelodram, der seine völlig unglaubwürdige Story mit Handlungselementen einschlägiger Sexfilme versetzt.43

Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (1979) als Vorläufer des Films Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981).

Ein schwules und lesbisches Paar in Hochzeitsnacht-Report (1972)

Im weniger reißerischen Hochzeitsnacht-Report (1972) erzählt Evelyn, wie sie nach der Hochzeit herausfand, dass ihr Ehemann Waldi schwul ist und mit seinem Chauffeur Bobby ein Verhältnis hat. Ihr Mann gibt schließlich zu, dass er sie wegen seiner Stellung und des Geredes auf seiner Arbeitsstelle geheiratet hat. Nach vielen Auseinandersetzungen – auch mit ihrer eigenen Homosexualität – bleibt sie mit ihrer mittlerweile neuen Freundin und Waldi mit seinem Freund Bobby freundschaftlich verbunden. Trotz nicht stringenter Handlung und merkwürdiger Dialoge44