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Von ihrem ersten Lebensjahr können wir unseren Kindern helfen, eine starke Persönlichkeit aufzubauen. Dazu brauchen wir ein tieftes Verständnis dafür, wie ein positives Selbstbild, ein starker Wille und die Säulen des Selbstwertgefühls entstehen. Von größter Wichtigkeit sind die ersten Lebensjahre, die Erziehung und Beziehung zu den Eltern! Die Selbstverwirklichung und die Selbsttranszendenz sind die bedeutenden Motivationen für das Wachstum der Persönlichkeit und das Erfahren von Glück und Sinn im Leben. - Trotz aller Förderung geraten Heranwachsende in Schwierigkeiten. Ängste, unsichere Identitäten und Zweifel am Sinn des Lebens sind weitverbreitet. Verursacht durch zerbrechende Familien, Bindungslosigkeit und Wegschmelzen der Werte in einer chaotischen Welt. Wenn das Motiv der Selbstverwirklichung in einen narzisstischen Individualismus umschlägt, der Körper, die Sexualität und die Selbstoptimierung überbetont werden, verschärfen sich diese Probleme. Gesellschaftliche Influencer beeinflussen die Heranwachsenden häufig mit schädigenden Leit- und Weltbildern. - Aber wie finden Jugendliche und Erwachsene Orientierung, vor allem in Krisen und existentiellen Wertekonflikten? Das wertvolle, sinnerfüllte Leben wird durch den Persönlichkeitsstil der Selbsttranszendenz erreicht - und durch die Sensibilität für die leise Stimme unseres eigenen Gewissens. Denn sie könnte die leitende Stimme eines liebevollen Gottes sein. - Wissenschaftsbezogen, interdisziplinär, mit verständlicher Sprache und lebensnah mit Fall- und Erlebnisbeispielen aus der Psychologie!
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Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Titel
Impressum
Inhalt
Geleitwort von Psychotherapeutin M.-L. Abraham
1. Grundannahmen und Sinnorientierte Psychologie
2. Visionen vom Glück und Enttäuschungen
2.1. Visionen vom guten Leben
2.2. Von Ängsten und zerbrochenen Träumen
3. Selbstwertgefühl als Schlüssel zum Glück
3.1. Das Selbstwertgefühl im Spiel des Lebens
3.2. Säulen des Selbstwertgefühls
3.3. Das Selbst als Steuerungsfunktion
4. Kindheit und Selbstwert
4.1. Urvertrauen
4.2. Geburt des Selbst
4.3. Leistungsmotiv und Selbstwert
4.4. Den Willen stärken
4.5. Was Kinder schwächt
5. Identität und Identitätskrisen
5.1. Identitätskrisen als Phänomen unserer Zeit
5.2. Das soziale Vorstellungsschema
5.3. J. Rousseau, der neue Mensch und Sinn der Gefühle
5.4. S. Freud und die Sexualisierung der Gesellschaft
5.5. Sexualität im Kleinkindalter
5.6. Identität, Körper, Sexualität bei Heranwachsenden
5.7. Fallbeispiel: Misslungene Transitionsbehandlung
6. Von der Ich-Bezogenheit zur Selbsttranszendenz
6.1. Ich-Bezogenheit und Bedürfnisorientierung
6.2. Selbsttranszendenz: Konzept in der Suchttherapie
6.3. Die verschiedenen Phänomene von Selbsttranszendenz
6.4. Selbstverwirklichung ein Glückskonzept?
6.5. Grenzen, Schwächen der humanistischen Psychologie
6.6. Zweifel am Sinn des Lebens bewältigen
7. Wert-Konflikte: Wie orientieren wir uns?
7.1. Orientierungslosigkeit
7.2. Das Gewissen als Orientierungsfunktion
7.3. Entwicklung des Gewissens
7.4. Wenn das Gewissen zu uns spricht
7.5. Ungewollte Schwangerschaft und das Gewissen
7.6. Wie Forschende, Therapeuten die Abtreibung bewerten
7.7. Können wir unserem Gewissen vertrauen?
8. Glaube an Sinn und Gott: eine Illusion?
8.1. Sinn und Hoffnung ohne Gott?
8.2. Wie ist seelisch-geistiges Leben zu erklären?
8.3. Der unerklärliche Reichtum innerer Erfahrung
8.4. Die Liebe und die transzendente Dimension
9. Das Gewissen: Quelle der Werte und Stimme Gottes
9.1. Die emotionale Macht des Gewissens
9.2. Das Gewissen im christichen Menschenbild
Literatur und Quellen
Der Autor
Von Selbstwert, Krisen
- und dem wertvollen Leben.
Perspektiven
der
Sinnorientierten Psychologie.
© Copyright 2025 Hans-Jürgen Bendszus
Covergestaltung: H.-J. Bendszus.
Bildquelle Cover: pixabuy
Alle Rechte vorbehalten.
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Impressum:
Hans-Jürgen Bendszus
Egon-von-Romberg-Weg 80,
49082 Osnabrück, Deutschland
Email: rat.und.hilfe[at]gelingendesleben.de
0. Geleitwort
1. Einführung: Grundannahmen und Perspektiven der Sinnorientierten Psychologie
2. Von erträumtem Glück, Enttäuschungen, ungewissen Visionen
- Werte und Visionen vom guten Leben
- Von Ängsten und zerbrochenen Lebensträumen
3. Das Selbstwertgefühl als Schlüssel zum Glück
- Das Selbstwertgefühl als aktiver Player im Spiel des Lebens
- Vier Säulen des guten Selbstwertgefühls
- Das Selbst als Steuerungsfunktion der Persönlichkeit
4. Kindheit und die Anfänge des Selbstwertgefühls
- Urvertrauen
- Die Geburt des Selbst und Selbstwertgefühls
- Das Leistungsmotiv: Selbstwert gewinnen
- den Willen stärken durch Kompetenz
- Was Kinder schwächt und entmutigt
5. Identitätskrisen und die Dominanz von Gefühl, Sexualität und Körper bei der Identitätsbildung
- Identitätskrisen als Phänomen unserer Zeit
- Das soziale Vorstellungsschema: die geistige Tiefenstruktur der Gesellschaft
- Der Schrittmacher für den psychologischen Menschen: Jean J. Rousseau
- Sigmund Freud und die Sexualisierung der Gesellschaft
- Sexualität im Kleinkindalter
- Identität, Sexualität und Körper bei Heranwachsenden
- Fallbeispiel: Das Mädchen Chloe Cole und ihre leidvolle Transitionsbehandlung
6. Von der Ich-Bezogenheit zur Selbsttranszendenz
- Ichbezogenheit und Bedürfnisorientierung
- Selbsttranszendenz: Konzept in der Suchttherapie
- Episodische Selbsttranszendenz – horizontale vs. vertikale Selbsttranszendenz
- Selbsttranszendenz als Persönlichkeitsstil
- Selbstverwirklichung als Glückskonzept auf dem Prüfstand
- Wo die humanistische Psychologie keine Antworten findet
- Zweifel am Sinn des Lebens bewältigen
7. Werte im Konflikt und wie wir uns orientieren
- Orientierungslosigkeit: Welches ist die beste Richtung für unser Leben?
- Das Gewissen: Orientierungsfunktion und Sinn-Organ
- Entwicklung des Gewissens aus psychologischer Sicht
- Wenn das Gewissen zu uns spricht
- Ein extremer Konflikt: Ungewollte Schwangerschaft und das Gewissen
- Wie Forschende und Beraterinnen die Abtreibung bewerten
- Können wir unserem Gewissen vertrauen?
8. Der Glaube an Sinn und Gott eine Illusion? Philosophischer Exkurs
- Kann es Sinn und Hoffnung ohne Gott geben?
- Kann die Naturwissenschaft seelisch-geistiges Leben erklären?
- Der unerklärliche Reichtum unserer inneren Erfahrung
- Die Liebe und die Ahnung von der transzendenten Dimension des Lebens
9. Das Gewissen: Quelle der Werte und Stimme Gottes
- Die emotionale Macht und transzendente Natur des Gewissens
- Das Gewissen im christlichen Menschenbild
10. Literatur und Quellen
Der Autor
Für den lebenslangen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, das antike „Erkenne dich selbst“, bietet dieses Buch ein vertieftes Verständnis der wichtigsten Lebenskrisen und Identitätsprobleme. Es zeigt u. a. Hilfen und Bewältigungsmöglichkeiten auf für die Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls und den Umgang mit Krisen im Leben.
Das Buch geht auf die Entwicklung des Gewissens ein als eine besondere Instanz im menschlichen Bewusstsein, die als emotionaler und moralischer Kompass für die Lebensgestaltung dient. Es beschreibt die für die seelische Gesundheit bedeutende „Selbsttranszendenz“, d. h. die Fähigkeit des Menschen, über eigene Bedürfnisse hinauszugehen und sich mit etwas Größerem (Gott) zu verbinden.
Besonders angesprochen hat mich, dass es letztlich nicht um die eigene Selbstverwirklichung geht, sondern um die Möglichkeit des Menschen, sich in einem größeren Zusammenhang zu erleben, als Teil der Natur, verbunden mit dem ganzen Kosmos.
Dieses wissenschaftsbezogene aber lebensnah geschriebene Werk wird nicht nur meinen Kolleginnen und Kollegen, die professionell in helfenden und sozialen Berufen arbeiten, wertvolle Impulse geben. Es kann allen anspruchsvollen Leserinnen und Lesern eine neue persönliche Orientierung vermitteln.
Marie-Luise Abraham, Dipl.-Sozialpädagogin,
Psychotherapeutin (KiJu)
Kap.1
Einführung: Grundannahmen
und
Perspektiven
der Sinnorientierten Psychologie
Alle Erkenntnis, die Menschen auf der Suche nach Orientierung gewinnen, hängt von ihrem persönlichen Standort ab.
Wenn wir in den Sternenhimmel sehen, hängt es von unserer Position auf der Erde ab, was wir erkennen. Aber welche Deutung und welchen Sinn wir dem Sternenhimmel überhaupt geben, ist durch den Ort bestimmt, an dem wir auf der geschichtlichen Zeitachse stehen, abhängig von unseren kulturellen Lernerfahrungen und unserem Glauben. Vielleicht bestaunen Naturforscher einfach nur die Schönheit und Unendlichkeit des Kosmos. Vielleicht sehen sie in einem Glaubenssprung darin noch mehr, nämlich die unfassbare Macht und Kreativität eines Gottes, der aus Liebe alles geschaffen hat.
So ist es auch, wenn wir den Mikrokosmos eines individuellen Menschen verstehen wollen. Was Menschen von sich selbst wissen, ob sie ihr Leben wertschätzen und lieben, welche Hoffnungen und Visionen sie haben - es ist in besonderer Weise von ihrem Standort, das heißt von ihrer persönlichen Lebensgeschichte, ihrer zumeist unbewussten Lebensphilosophie und ihrem Glauben abhängig.
In diesem Buch ist es das Leitthema, wie diese Hoffnungen und Sehnsüchte, wie also ein gutes, wertvolles und sinnerfülltes Leben verwirklicht werden könnte. Welche Ressourcen der Persönlichkeit und welche Wegweiser könnte es dafür geben in einer Zeit und Gesellschaft, in der sich viele orientierungslos und verloren wie in einem Labyrinth erleben? Denn ich kenne niemand, in dessen Biografie es nicht irgendwann eine existentielle Lebenskrise, einen persönlichen Tiefpunkt gegeben hätte und nach neuer Orientierung für das zukünftige Leben gesucht wurde. Mit exemplarischen Beispielen auch aus der klinischen Psychologie gehe ich in den folgenden Kapiteln auf solche Krisen, ihre Ursachen und ihre Hintergründe ein.
Die Erwartungen an die Qualität des Lebens sind hoch. Wer wünschte sich nicht liebevolle und vertrauensvolle Beziehungen in Partnerschaft und Beruf? Für wen wäre eine stabile körperliche wie seelische Gesundheit kein hoher Lebenswert? Für die Jugendlichen und Heranwachsenden sind ein starker Selbstwert, also ein hohes Selbstwertgefühl und eine klare, aber einzigartig besondere Identität ein zentrales Motiv ihrer Persönlichkeit und ihres Lebensstils. Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung, Selbstoptimierung und das gute authentische Gefühl – das sind neben den Konsumbedürfnissen die Spitzenwerte unserer Gesellschaft. Dabei ist es ein wichtiges Bedürfnis, die eigene, besondere Individualität nach außen durch Kleidung oder Tattoos auch zum Ausdruck zu bringen. Niemand will in seiner Freiheit durch – scheinbar! - überholte Werte und Normen, wie sie im christlichen Menschenbild vermittelt werden, eingeschränkt werden.
Aber zwischen unseren aktuellen Werten, Lebensträumen und Visionen des Glücks, wie sie etwa in den bekannten soziologischen Sinus-Studien erkundet werden, und der harten Wirklichkeit gibt es eine schmerzende Kluft! Unsere Gesellschaft lebt im Krisenmodus. Wir leben in einer chaotischen Welt, wo im privaten Leben der persönlichen Beziehungen und der Familie wie auch im sozialen und politischen Makrokosmos alte Sicherheiten, soziale Strukturen und unsere Werte bedroht sind oder zerstört werden. Es sind die Jugendlichen und Heranwachsenden, die ein feines Gespür dafür haben, was unsere Gesellschaft bewegt. In den Berichten der Krankenkassen und bei meinen psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen sind Einsamkeit, latente Ängste und Depressionen bei Jugendlichen ein großes Thema. Viele Heranwachsende haben Schwierigkeiten, Selbstwert und eine kohärente, sichere Identität aufzubauen. Eine latente Unruhe und unterschwellige ängstliche Stimmung bestimmen heute das Lebensgefühl vieler Menschen.
Lebenspläne, Identitäten und Lebenssinn können zerbrechen. Das Glück können wir nicht festhalten. Das wissen heute die meisten Menschen. Aber wie gehen sie damit um? Viele flüchten sich in Scheinparadiese des Genusses und Konsums, oft auch in die rauschhaften Welten des Sex- und Drogenkonsums. Doch die latenten Ängste und Zweifel am Sinn des Lebens lassen sich nicht dauerhaft verdrängen.
Spätestens wenn Menschen an einen Wende- und Krisenpunkt ihres Lebens gelangen, wenn sie einen Schicksalsschlag erfahren, wenn existentielle Entscheidungen getroffen werden müssen, werden sie mit dieser Frage konfrontiert: Wie finde ich Halt, Orientierung und Sinn für den besten Weg in meinem Leben? Am Beispiel der unerwünschten Schwangerschaft zeige ich exemplarisch, wie hilflos und richtungslos Paare sich erleben können, wie seelisch zerrissen sich vor allem die Frauen fühlen, wenn sie sich nicht entscheiden können, ob ihr ungeborenes Kind leben oder sterben soll. Es ist ein existentieller Wertekonflikt, mit intensiven Schuld- und Reuegefühlen verbunden. Warum ist die Bewältigung dieses Konfliktes so schwer? Weil es viele gesellschaftliche Stimmen gibt, welche die Entscheidung des Paares manipulieren und beeinflussen, wie zum Beispiel die Stimmen der Influencer und identitären Lobbygruppen in den Social Media.
Dabei kann es in einem Wertekonflikt wie bei ungewollter Schwangerschaft und vielen anderen existentiellen Konflikten nur eine Instanz sein, die uns sichere Orientierung geben kann: die Stimme des eigenen Gewissens. Aber können wir dieser leisen Gewissensstimme vertrauen? Es ist für mich schwer, vor allem meine Kolleginnen, die in der Psychotherapie und Lebensberatung arbeiten, zu überzeugen, dass dieses Gewissen viel mehr ist, als allein die Stimme der sozialisierten und verinnerlichen Werte unserer Gesellschaft. Wenn die Stimme des Gewissens zwar leise, aber beharrlich und mit emotionaler Macht selbst in den Träumen immer wieder zu uns spricht - könnte sie nicht die liebevolle Stimme Gottes sein, der uns in die richtige Richtung leiten und Orientierung für die Zukunft geben will?
Wie komme ich aber zu einem solchen Glauben an einen Gott, der uns in den schwierigen Stunden des Lebens liebevoll begleiten will? Dieser Glaube ist für viele gar nicht mehr zeitgemäß und eine naive, kindliche Vorstellung. Damit bin ich an dem Punkt gelangt, an dem ich meine Grundannahmen und meinen Glauben verstehbar machen möchte. Wenn mir dann anschließend die skeptischen Leserinnen und Leser bis zu den letzten Kapiteln durch die anspruchsvollen Wege der Philosophie und Erkenntniskritik folgen, werden sie – das ist meine Hoffnung - eine größere Offenheit haben, die Vorstellung von einem liebenden, durch Ängste und Konflikte tragenden Gott der Liebe anzunehmen.
Meine eigenen wissenschaftlichen Grundannahmen sind von der sinnorientierten Psychotherapie und Psychologie beeinflusst. Es ist der weltberühmte Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, der Arzt und Philosoph Viktor E. Frankl, den man als Vater der sinn- und wertorientierten Richtung in der Psychotherapie ansehen kann. Der Begriff Logotherapie kann auch als sinnorientierte Psychotherapie übersetzt werden. Es ist eine zentrale Idee der Logotherapie, dass viele seelische Schwierigkeiten und krisenhafte Lebenssituationen in Beratung und Therapie bewältigt werden könnten, wenn das Bewusstsein dafür sensibilisiert würde, dass in jeder krisenhaften Lebenssituation ein individueller Sinn und Lebensauftrag entdeckt werden kann. Die Logotherapie ist als eine Schule der Lebenskunst nicht nur für die klinische Psychotherapie von Relevanz. Sie hat daher weltweit in der sozialen Arbeit, der Pädagogik, der Psychologie der Arbeitswelt oder der kirchlichen Seelsorge eine große Bedeutung erlangt.
Die aktuelle sinnorientierte Psychologie oder „Psychologie des Lebenssinns“, wie sie zum Beispiel von der Sinnforscherin Tatjana Schnell oder dem weltweit bedeutenden Psychologieprofessor und Pastor Paul P. T. Wong vertreten wird, hat das Forschungsziel, die ursprünglichen Ideen und Konzepte Viktor Frankls immer mehr zu erweitern und mit empirischen Forschungsmethoden zu überprüfen. Die sinnorientierte Psychologie und Logotherapie ist eine integrative Wissenschaft. Die Ergebnisse der empirischen Forschung aus der Psychologie und den Sozialwissenschaften werden aufgenommen, aber auch philosophisch interpretiert. Eine Offenheit besteht auch für theologische Fragen, den religiösen Glauben und die Annahme einer transzendenten Dimension der Welt. Denn für Antworten auf die Fragen, wodurch unsere geistigen Werte begründet sind, aus welcher Quelle sie entstehen, was unseren Wert als individueller Mensch begründet, was die tiefere Natur von Phänomenen wie Liebe, Kreativität, ästhetisches Erleben, Gewissen, Hoffnung und Sehnsucht nach Sinn und Gott ist, brauchen wir auch die theologische Perspektive.
Damit komme ich zu ganz persönlichen für meinen Glauben bedeutsamen Erfahrungen. Auch wenn es nicht dem Mainstream entspricht, dass der Autor eines wissenschaftlichen Buches etwas Persönliches von sich preisgibt, möchte ich den Leserinnen und Lesern ein paar Fragmente aus meinem Leben mitteilen, um meine Grundannahmen transparent zu machen. Natürlich empfinde auch ich eine gewisse Scheu, ganz persönliche Erfahrungen zu veröffentlichen. Aber nur so wird verstehbar, warum ich manchmal und vor allem in den letzten beiden Kapiteln die psychologische Perspektive verlasse, das Gebiet der Philosophie betrete und Aspekte des christlichen Menschenbildes einbringe. Ich glaube, nur dieser ganzheitliche psychologisch-philosophisch-theologische Ansatz wird dem Thema und den anspruchsvollen Problemen dieses Buches gerecht.
Vielleicht löse ich dadurch auch mehr Impulse bei denjenigen Leserinnen und Lesern aus, die für sich persönlich nach Orientierung suchen und mit einer abstrakten Schrift in einem akademischen Sprachstil, in der die Person des Autors verborgen bleibt, unzufrieden wären. Um erlebnisnah zu schreiben und zur Veranschaulichung der Probleme habe ich deshalb auch dort, wo es möglich war, Erlebnisvignetten von Menschen in der Krise und exemplarische Fallbeispiele auch aus der klinischen Psychologie eingebracht.
Welche persönlichen Erfahrungen haben also meinen wissenschaftlichen Standort beeinflusst? Als Kind bin ich in einer der typischen westdeutschen Hochhaussiedlungen aufgewachsen, in der die aus dem Osten Deutschlands und Europas strömenden Flüchtlingsfamilien des Zweiten Weltkriegs nach dem Krieg Zuflucht und eine neue Heimat suchten. Meine Mutter war gegen Kriegsende 1945 als junge Frau aus Danzig vor der nahenden russischen Armee geflohen. Sie machte auf der Flucht traumatische Erfahrungen, die sie lebenslang nicht überwinden konnte. Ich kann nur vermuten, dass dieses Kriegstrauma eine bedeutende Rolle für die schwere psychische Erkrankung spielte, unter der sie ihr ganzes Leben litt.
Mein Vater war vor dem Zweiten Weltkrieg in einer großen Bauernfamilie in Ostpreußen aufgewachsen. Nachdem er acht Jahre lang Soldat gewesen war, arbeitete er nach dem Krieg als Maurer. Oft erzählte er mir vor dem Schlafengehen von seinen Kriegserlebnissen, die mich fesselten. An der Ostfront war er als Soldat an den vordersten Linien eingesetzt und auch schwer verwundet worden. Trotz der schweren Ausrüstung und langen Fußmärschen hatte er immer eine Bibel dabei. Wenn die anderen Kameraden im Hagel der russischen Granaten nach ihrer Mutter schrien, las er in dieser Bibel, betete er und erfuhr die Kraft, dem Grauen um ihn herum standzuhalten. Auch nach dem Krieg war mein Vater der ruhende Pol in unserer Familie, vor allem in den Zeiten, in denen es durch die seelische Erkrankung meiner Mutter selbst in der Nacht große Turbulenzen gab. Sein christlicher Glaube gab ihm die Gelassenheit und Stärke, trotz der vielen schlaflosen Nächte den nächsten harten Arbeitstag auf der Baustelle zu überstehen. An den Wochenenden war er dann auch noch in einem christlichen Verein als ehrenamtlicher Helfer für suchtkranke Menschen aktiv.
Von meinem Vater lernte ich, wie man große Not durch die Hinwendung zu Gott bewältigen und mehr seelische Ruhe gewinnen kann. Es ist wohl kein Zufall, dass ich nach dem Studium selbst ein paar Jahre lang Seminargruppen für suchtkranke Menschen leitete, die sich in der Nachsorgephase nach der stationären Therapie befanden.
Eigentlich bin ich ein Skeptiker. Ich bin misstrauisch gegenüber Ideologien, gegenüber Leuten, die ihre politische und weltanschauliche Position mit großer Emotionalität und ohne Selbstkritik verteidigen, mir machen extreme Standpunkte und vor allem Verschwörungstheorien Sorgen. Im Studium musste ich empirische Forschungsmethoden erlernen und die Basics der Wissenschaftstheorie und philosophischen Erkenntniskritik kennen. Ich bin froh, dass ich dieses Wissen erwerben durfte. Aber wie oft habe ich gelesen, dass alle Werte, auch unsere individuelle Identität und unser Sinn, nur kulturell und sozial konstruiert und relativ sein sollen. Ich habe gelesen, dass der Glaube, es gebe einen tragfähigen Wert und Sinn des Lebens, es gebe Gott, eigentlich nur eine Illusion ist. Ich konnte mich mit diesen depressiv machenden Auffassungen nicht zufriedengeben und habe in philosophischen und theologischen Quellen weitergeforscht. Dabei bin ich zu hoffnungsvolleren Einsichten gelangt, die in dieses Buch eingeflossen sind.
Wenn ich mich in meiner Arbeit mit den suchtkranken Seminarteilnehmern nur auf rein psychologische Themen beschränkt hätte und nicht mit meiner ganzen Person und meinem Glauben an Gott eine persönliche Beziehung zu ihnen, die sich nach neuem Lebenssinn sehnten, aufgebaut hätte, wäre kein Vertrauen gewonnen worden. Vielleicht wäre ich mit diesen Klienten gescheitert. So aber war diese Arbeit eine der am meisten erfüllenden in meinem Berufsleben. In Kapitel 6 berichte ich mehr darüber.
Ich möchte diese Einführung mit drei Leitideen und Hypothesen beenden, die im Hintergrund des ganzen Buches stehen:
1. Das Streben nach Selbstverwirklichung und authentischer Identität sind eine bedeutsame Motivation. Es ist wichtig, dass Eltern, Erzieher und Erzieherinnen Kinder liebevoll fördern und unterstützen, damit sich jedes Kind „wie eine einzigartige Blume“ entfalten kann, um einen starken Selbstwert und eine klare Identität aufzubauen.
2. Eine ebenso bedeutsame Motivation ist die Selbsttranszendenz, das heißt die selbstvergessene, verantwortungsbewusste, sinnorientierte Ausrichtung auf andere Menschen und die Aufgaben des Lebens im Sinne der Logotherapie und des christlichen Menschenbildes. Selbsttranszendenz fördert das persönliche Wachstum und die Bewältigung von Identitäts- und Lebenskrisen eher als die ich-bezogene Einstellung der Selbstverwirklichung.
3. Menschen haben eine Ahnung von einer unsichtbaren Tiefendimension des Lebens. Für Christen ist diese Dimension das Reich eines liebenden Gottes, der sich durch Jesus offenbart hat. Wenn Menschen Lebenskrisen und ihre Zweifel an einem tieferen Sinn des Lebens heilsam bewältigen wollen, brauchen sie die Bereitschaft, sich in einem Glaubenssprung auf diesen Gott auszurichten. Eine der Möglichkeiten, wie Gott den Menschen in schwierigen Situationen leiten kann ist es, wenn er durch die Stimme des Gewissens zu uns spricht.
Für wen habe ich nun dieses Buch geschrieben? Es würde mich freuen, wenn es interessierte Menschen entdecken würden, die Orientierung für ihre persönlichen und beruflichen Herausforderungen suchen. Rezepte und Ratschläge für ein wertvolles Leben, verschrieben wie ein Medikament, wollte und konnte ich aber nicht geben. Eher wollte ich wissenschaftsorientiert, aber auch lebensnah ein mögliches Bild von der psychosozialen und geistigen Welt beschreiben, so wie ich sie aus meiner Perspektive sehe. Dabei weiß ich, dass jeder Mensch ein anderes Bild von der Welt hat, und wir lernen voneinander. Profitieren von diesem gegen den Mainstream geschriebenen Buch werden, wie ich hoffe, auch meine Kolleginnen und Kollegen in den sozialen, beratenden, therapeutischen, gesundheitsbezogenen und kirchlichen Arbeitsfeldern und die Studierenden, die sich darauf vorbereiten.
Inhalt:
- Werte und Visionen vom guten Leben
- Von Ängsten und zerbrochenen Lebensträumen
Werte und Visionen vom guten Leben
In dem berühmten Musical “Anatevka”, das von einer armen jüdischen Familie im Russland um 1905 handelt, singt der Milchmann Tevje von seinem Lebenstraum:
„Wenn ich einmal reich wär’, ... dei-del, di-del, dum, alle Tage wäre ich ein reicher Mann! Ja! Brauchte nicht zur Arbeit, wäre ich ein reicher Mann.
Ich bau’ den Leuten dann ein Haus vor die Nase, hier in die Mitte unsrer Stadt, mit festem Dach und Türn ausgeschnitztem Holz.
Ja, so ein Haus, das wär’ mein ganzer Stolz.
Mein Weib stolziert herum beladen mit Geschmeide und aufgedonnert wie ein Pfau. Sie zu sehen ist eine wahre Pracht!
Die feinsten Delikatessen lässt sie sich servieren, spielt sich auf als ´gnädige Frau´, scheucht das Personal bei Tag und Nacht.“ (1.)
Am Ende des Songs fragt Tevje Gott, warum er auf der Erde den Platz der “Lämmer”, der Schwachen, und nicht der Löwen erhalten hat. Liegt der Erfolg des Musicals nicht auch daran, dass der Zuschauer nicht allein von einer idyllischen Szene und dem Broadway-Musical Stil angezogen wird, sondern sich mit den Sehnsüchten Tevjes und der anderen Rollen identifizieren kann? Wer sehnt sich nicht nach dem Glück von Reichtum und Ansehen und möchte nicht zu den Starken und Einflussreichen der Gesellschaft gehören?
