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Hertha Feiner

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Beschreibung

Die erschütternden und bewegenden Briefe, die die deutsche Jüdin Hertha Feiner zwischen 1939 und 1942 an ihre halbwüchsigen Töchter in ein Schweizer Internat schrieb: »Es steht sehr ernst, und es gibt nur eine Rettung für mich, und das seid Ihr, eine oder beide. (...) Wenn es uns jetzt nicht gelingt, uns wiederzusehen, so ist keinerlei Hoffnung für später.« (19.6.1942) Am 12.3.1943 wurde Hertha Feiner mit dem 36. Osttransport nach Auschwitz deportiert und nahm sich während der Fahrt das Leben. Sie hat ihre beiden Töchter nicht wiedergesehen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 161

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Hertha Feiner

Vor der Deportation

Briefe an die Töchter. Januar 1939–Dezember 1942

Herausgegeben von Karl Heinz Jahnke

FISCHER Digital

Einleitung von Karl Heinz Jahnke

Inhalt

ReihenhinweisLebensbilderVorbemerkung zur AutorinKarl Heinz Jahnke: EinleitungHertha Feiner: Briefe an die Töchter1939 (29. Januar–27. Dezember)1940 (19. Januar–16. November)1941 (19. Januar–29. Dezember)1942 (11. Januar–17. Dezember)NachwortAbbildungsnachweis

Die Zeit des Nationalsozialismus

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Lebensbilder

Jüdische Erinnerungen und Zeugnisse

 

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Die deutsche Jüdin Hertha Feiner brachte ihre beiden »halbjüdischen« Töchter unter dem Eindruck des Novemberpogroms von 1938 vor der ständig stärker werdenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten in Sicherheit, indem sie sie – durch die Vermittlung ihres geschiedenen Mannes – in ein Internat am Genfer See schickte. Die ältere Tochter Inge war zu diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt, Marion war elf.

124 Briefe, die Hertha Feiner von 1939 bis 1942 aus Berlin an die Töchter schrieb, sind erhalten geblieben und dank der behutsamen und sensiblen Arbeit des Rostocker Historikers Karl Heinz Jahnke für die Nachwelt zugänglich geworden. Die in dieser Auswahl abgedruckten 57 Briefe sind ein bewegendes und zugleich historisch wertvolles Dokument. Sie legen nicht nur Zeugnis ab von der mütterlichen Liebe und Sorge, mit denen diese gebildete und feinsinnige Frau die Entwicklung ihrer heranwachsenden Töchter aus der Ferne begleitete, sondern sie dokumentieren auch in erschütternder Weise den Alltag einer Jüdin im nationalsozialistischen Berlin.

Von der immer weiter getriebenen Behinderung der jüdischen Bildungseinrichtungen und den erzwungenen Auswanderungen über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Juden sowie ihrer Kommunikationsmöglichkeiten (1940 wurden beispielsweise allen jüdischen Haushalten die Telefonanschlüsse genommen) und ihrer Vertreibung aus bestimmten Wohnvierteln führte der Leidensweg bis zur systematischen Deportation und Ausrottung aller Juden. Hertha Feiner wurde als eine der letzten abgeholt und nahm sich im März 1943 auf dem Transport nach Auschwitz das Leben. Zuvor war sie perfiderweise gezwungen worden, bei den administrativen Vorbereitungen der Deportation mitzuwirken.

Ihre bis zum Ende gehegte Hoffnung, die Töchter möchten nach Berlin zurückkommen und sie dadurch vor der Deportation bewahren, erfüllte sich nicht.

Karl Heinz Jahnke

Einleitung

Dieses Buch enthält Briefe, die Hertha Feiner zwischen dem 29. Januar 1939 und dem 17. Dezember 1942 aus Berlin an ihre Töchter Marion und Inge geschrieben hat.

Nach den Schrecken des Judenpogroms vom November 1938 hatte die Mutter dem Umzug ihrer Kinder in die Schweiz zugestimmt; in ein Internat in Gland am Genfer See. Die Mädchen waren Ende Januar 1939, als sie aus Berlin abreisten, 11 und 14 Jahre alt. Hertha Feiner konnte bis zum November 1941 als Lehrerin an der jüdischen Schule in der Fasanenstraße 79/80 in Charlottenburg bzw. später in der Auguststraße 11–17 tätig sein. Nach ihrer Entlassung arbeitete sie in der jüdischen Gemeinde; sie mußte die Deportation Zehntausender Juden aus Berlin vorbereiten helfen. Im März 1943 wurde sie selbst zum Transport in das Vernichtungslager Auschwitz bestimmt. Ihre Briefe sind einmalige Zeitzeugnisse. Neben sehr viel Persönlichem enthalten sie detaillierte Angaben über die Entwicklung des jüdischen Schulwesens in Berlin und den Alltag einer Berliner Jüdin unter nationalsozialistischer Herrschaft.

1935 war Hertha Feiner von Hamburg, wo sie am 8. Mai 1896 geboren worden war, mit ihren Töchtern nach Berlin gezogen. Ihr Vater, Joseph Feiner, hatte seit 1892 als Lehrer in Hamburg gewirkt. Im Auftrag der israelitischen Gemeinden war er dieser Tätigkeit schon seit 1884 in Sonsbeck am Niederrhein und ab 1889 in Finsterwalde nachgegangen. In Hamburg war er an der Anton-Ree-Schule tätig, der er auch längere Zeit als Direktor vorstand. Zudem arbeitete er viele Jahre lang im Repräsentanten-Kollegium der jüdischen Gemeinde Hamburg. Herthas Mutter, Fanny Feiner geb. Fröhlich, kam aus einer wohlhabenden rheinischen Kaufmannsfamilie. Als sie 1917 starb, war die Geborgenheit der Kindheit und Jugend für Hertha, den zwei Jahre älteren Bruder Hermann und den drei Jahre jüngeren Bruder Erich abrupt beendet.

Hertha Feiner mit ihren Töchtern in Hamburg

Unter dem Einfluß des Vaters entschied sich die Tochter nach Abschluß der Schulausbildung zum Studium der Pädagogik an der Hamburger Universität, um anschließend Lehrerin zu werden. Ihre erste Anstellung erhielt sie 1923 in Bad Harzburg als Lehrerin und Erzieherin in einem Internat. Später hat sie diese Zeit zu den glücklichsten Abschnitten ihres Lebens gezählt. 1924 kam sie in ihre Heimatstadt Hamburg zurück; Arbeit als Lehrerin fand sie u.a. an der Schule Meerweinstraße in Barmbek. Im selben Jahr heiratete sie den Buchhändler und Verleger Johannes Asmus. Diese Verbindung mit einem Nichtjuden fand in der Familie wenig Verständnis.

Die Töchter Inge und Marion wurden am 24. Januar 1925 und am 26. Oktober 1927 geboren. Die Ehe war nicht glücklich. Offensichtlich waren hier zwei Menschen zusammengetroffen, deren Charaktere und Interessen zu verschieden waren, um ein erfülltes Leben miteinander gestalten zu können. Hinzu kam die schwierige soziale Lage. Johannes Asmus konnte als Verleger nur knapp die erforderlichen materiellen Mittel für seine Familie erwirtschaften. Das Lehrerinnengehalt der Mutter war zu dieser Zeit ebenfalls gering. Besonders prekär wurde es, als Johannes Asmus infolge der Wirtschaftskrise Konkurs anmelden mußte.

Trotz fast ständiger Sorgen versuchte die Mutter, ihre Kinder unbeschwert aufwachsen zu lassen. Ihnen widmete sie sehr viel Zeit und Kraft. Ihr lebensfrohes und optimistisches Wesen prägte die Entwicklung der Töchter maßgeblich.

Anfang 1933 wurde die Ehe zwischen Johannes und Hertha Asmus geschieden. Die Mutter erhielt das Sorgerecht für die Kinder und nahm ihren Mädchennamen wieder an.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Hertha Feiner als Jüdin im April 1933 aus dem Schuldienst entlassen. Mit Unterstützung ihres Vaters und der jüdischen Gemeinde in Hamburg erhielt sie nach einigen Monaten Arbeitslosigkeit eine Hilfslehrerinnenstelle an der jüdischen Schule in der Johnsallee. Mit dem kargen Gehalt gelang es ihr, den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern.

Aufgrund der schwierigen Verhältnisse in Hamburg suchte sie jedoch nach einer Möglichkeit, an einem anderen Ort noch einmal von vorne zu beginnen. Diese Gelegenheit bot sich mit Beginn des Schuljahrs im April 1935 in Gestalt einer Anstellung an einer privaten jüdischen Schule in Berlin, der Waldschule in Grunewald (Hagenstraße 56). Nach den zwei Schwestern, die der Schule vorstanden und sie auch begründet hatten, hieß diese Bildungseinrichtung auch Leßler-Schule. Hier war Hertha Feiner mit hohem Einsatz und viel Freude bis Mitte 1938 tätig. Auch ihre Tochter Inge besuchte diese Schule, deren Betrieb 1938 jedoch immer schwieriger wurde, so daß Frau Feiner an die Volksschule in der Fasanenstraße 79/80 wechselte, dorthin also, wo sich auch das Zentrum der jüdischen Gemeinde befand.

Zu Beginn der Berliner Zeit lebte die Mutter mit ihren beiden Töchtern in sehr ärmlichen Verhältnissen: in einem Zimmer zur Untermiete bei dem Gemüsehändler Engelhardt in der Rheinbabenallee. 1936 war es dann möglich, eine Dreizimmerwohnung in der Rudolstädter Straße 104 in Berlin-Wilmersdorf zu mieten.

Aus mehreren erhalten gebliebenen Aufzeichnungen Hertha Feiners geht hervor, daß sie auch die Jahre von 1935 bis zum Herbst 1938 als glückliche Zeit betrachtete. In großer Harmonie und mit vielen kleinen Freuden lebten Mutter und Töchter zusammen. Beharrlich versuchte Frau Feiner, die Kälte und wachsende Brutalität der Nationalsozialisten gegenüber Juden und Andersdenkenden von ihren Kindern fernzuhalten. Offensichtlich hegte sie selbst Illusionen über die Zukunft Deutschlands. Vieles, was um sie herum geschah, wollte sie nicht wahrnehmen, und sie versuchte, Unangenehmes zu verdrängen.

Die materielle Lage der Familie war günstiger als zuvor in Hamburg. Die Feiners konnten sich eine geräumige Wohnung und eine Haushaltshilfe leisten. In den Ferien und an den Wochenenden unternahm die Familie Ausflüge in die nähere Umgebung und auch darüber hinaus, wie z.B. 1937 ins Riesengebirge. Sie versuchten, sich eine kleine heile Welt zu erhalten, obwohl die Intoleranz und Unmenschlichkeit des NS-Regimes gegenüber den Juden immer direkter in ihr Leben hineinwirkten.

Verstärkt seit Anfang 1938 verließen viele Bekannte, Verwandte und Familien von Schülern Deutschland. Unter denen, die auswanderten, war Hertha Feiners jüngerer Bruder Erich. 1936 schieden ihr Vater und 1938 ihr älterer Bruder Hermann aus dem Leben. Sie wählten den Freitod, weil sie der Ausgrenzung und den dauernden Schikanen nicht mehr gewachsen waren. 1934 bereits war der Name des verdienstvollen Pädagogen Joseph Feiner aus den Hamburger Adreßbüchern getilgt worden. Sein ältester Sohn, der Richter Dr. Hermann Feiner, war schon frühzeitig von seiner Wirkungsstätte, dem Hamburger Landgericht, vertrieben worden. Das Erlebnis des Pogroms am 9. und 10. November 1938 in Berlin führte Hertha Feiner vor Augen, daß ihre Kinder Deutschland so schnell wie möglich verlassen mußten.

Der Vater Johannes Asmus schuf – über seine Geschäftsbeziehungen als Verleger in die Schweiz – die notwendigen Voraussetzungen. Ende Januar 1939 verließen Inge und Marion Berlin. Ihr Ziel war die von Dr. Max Bondy begründete Schulgemeinde »Les Rayons« in Gland am Genfer See (Kanton Waadt). Hier lebten zwischen 30 und 40 Mädchen und Jungen in einem Internat. Ihre Erzieher erteilten auch den Unterricht. Die meisten Schüler kamen aus jüdischen Familien oder waren »Halbjuden«. In Gland erhielten die beiden Mädchen eine fundierte humanistische Ausbildung und konnten weitgehend ungestört aufwachsen.

Zur wichtigsten Verbindung der Mutter mit ihren Töchtern wurden die regelmäßig geschriebenen Briefe. 1939 und zu Beginn des Jahres 1940 war auch noch ein telefonischer Kontakt möglich.

Der erste erhalten gebliebene Brief von Hertha Feiner in die Schweiz datiert vom 29. Januar 1939. Aus diesem wie aus vielen anderen Schreiben geht die Sorge der Mutter um ihre Kinder hervor. Wie würden sie, erstmals auf sich allein gestellt, in dem fremden Land sich einleben und wohl fühlen? Würden sie die notwendige Kraft und das Verständnis aufbringen, die Chance zu nutzen, um an der Schule gründliche Kenntnisse zu erwerben? Und würden sich die Mädchen mit ihren sehr verschiedenen Charakteren verstehen?

Hertha Feiner war stets bestrebt, ihre Kinder als mütterliche Freundin zu beraten, ihnen Bücher zu schicken und sich mit ihnen darüber auszutauschen. Auf ihre Weise versuchte sie alles dafür zu tun, das Band zwischen sich und den Kindern nicht reißen zu lassen. Ausführlich berichteten sie sich über ihre Erlebnisse in Berlin und Gland.

Mit hohem Einsatz ging Frau Feiner in Berlin ihrem Beruf als Lehrerin nach. So schrieb sie am 4. Juni 1939 an ihre Töchter: »Die Kinder an der Schule werden mir immer lieber, da ich sie immer besser kennenlerne.« Gleichzeitig litt sie darunter, daß in der ersten Hälfte dieses Jahres viele Bekannte Deutschland verließen. Am 8. August waren von den 35 Kindern, mit denen sie im April das neue Schuljahr begonnen hatte, nur noch 14 übriggeblieben. Unter denen, die ins Exil gingen, waren auch viele jüngere Lehrerinnen, mit denen sie befreundet war. Bedrückend war, daß all ihre eigenen Bemühungen erfolglos blieben, ebenfalls einen Weg zum Verlassen Deutschlands zu finden.

Die finanziellen Mittel der jüdischen Gemeinde, die seit Ende 1938 die volle Verantwortung für das jüdische Schulwesen trug, waren außerordentlich gering. Eine Folge waren knappe Gehälter für die Lehrer. Frau Feiner berichtet mehrfach darüber, daß sie ihr Gehalt nicht zum vorgesehenen Termin ausgezahlt bekam. Um ihr Budget etwas aufzubessern, erteilte sie privat Englischunterricht für Erwachsene, die sich auf die Emigration vorbereiteten. Nach der Abreise der Kinder verkaufte Frau Feiner einen Teil der Möbel und vermietete zwei Zimmer an einen jüdischen Lehrer und seine nichtjüdische Frau, an Max und Anna Marcus, sowie an Fräulein Dr. Meyer, die ebenfalls als Lehrerin an einer jüdischen Schule tätig war. Als im Frühjahr 1939 viele Juden ihre Wohnungen räumen mußten, konnte Hertha Feiner in der Rudolstädter Straße wohnen bleiben. Für sie galt die Festlegung des NS-Regimes vom 28. Dezember 1938: »Ist der Vater Deutscher, die Mutter Jüdin, so darf diese Familie in ihrer bisherigen Wohnung verbleiben. Für diese Familie ist also hinsichtlich der Unterbringung kein Judenbann ausgesprochen.«

Frau Feiner ging es somit etwas besser als vielen anderen jüdischen Mitbürgern. Sie konnte in ihrer vertrauten Wohnung bleiben und ihren Beruf ausüben. Sie hatte auch noch die Möglichkeit, in jüdischen Pensionen Urlaub zu machen: In den Osterferien 1939 fuhr sie für einige Tage nach Semmering bei Wien. Anfang August verbrachte sie eine Woche in Friedrichroda.

Das Schönste in diesen ersten schweren Monaten der Trennung war sicherlich, daß Inge und Marion ihre Mutter im Juli 1939 in Berlin besuchen konnten. Gemeinsam verbrachten sie drei glückliche Wochen. Die Mutter nahm sich soviel Zeit für die Kinder wie nie zuvor. Der Abschied Ende Juli sollte dann die Trennung für immer bedeuten.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 hatte auch für Hertha Feiner und ihre Töchter einschneidende Folgen. Die Briefe spiegeln dies jedoch zunächst nur sehr begrenzt wider. Bereits am 30. August hatte Frau Feiner geschrieben: »Ich habe mir am Sonnabend ein Schulkleid und einen Kittel gekauft; jetzt braucht man dazu einen Bezugsschein.« Sonst schien jedoch fast alles wie bisher zu sein. Aus dem Brief vom 4. September geht immerhin hervor, daß die jüdischen Schulen in Berlin in den ersten Kriegstagen geschlossen blieben. Groß ist die Sorge, daß die Korrespondenz mit den Töchtern in der bisher üblichen Weise nicht mehr möglich sein werde.

Die Briefe vom Oktober deuten dann die eingetretenen Veränderungen auf vielsagende Weise an: »Überhaupt hat sich viel verändert, seit ihr fort seid. Seit dem 1. September war ich keinen Abend aus, um 800