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+++ Erstauflage mit wunderschönem Farbschnitt – nur, solange der Vorrat reicht +++ Wie stellst du dich der Wahrheit, wenn sie dich alles kosten könnte? »Vows and Ruins« ist der zweitespicy Romantasy Roman der epischen Fantasy-Reihe »Die Legenden von Thezmarr«, die dich in eine Welt voller Magie und Monster entführt. Altheas Welt wird auf den Kopf gestellt, als sie herausfindet, dass sie magische Kräfte hat. Jetzt muss sie nicht nur noch härter trainieren, um eine wahre Kriegerin von Thezmarr zu werden, sie muss sich auch der Wahrheit stellen – über ihre Familie, ihre Magie und das Böse, das die Königreiche zu verschlingen droht. Als Wilder Hawthorne offiziell Altheas Mentor wird, ändert sich alles. Denn er schreckt vor nichts zurück, um sie auf das vorzubereiten, was ihnen bevorsteht. Selbst wenn das bedeutet, sie zu brechen. Während ihr gemeinsamer Weg sie in immer größere Gefahren führt, wächst auch die unleugbare Anziehung zwischen ihnen. Krieg droht, und Althea und Wilder ringen darum, die Welt zu retten – und einander. Können sie siegreich aus dieser Schlacht hervorgehen, oder wird die Dunkelheit sie beide verschlingen? Actionreiche Fantasy Romance mit unerwarteten Plot-Twists Mehr Action, mehr Spannung und mehr Spice: In »Vows and Ruins« hält Helen Scheuerer ein paar echte Überraschungen für dich bereit. Freu dich auf diese pulsbeschleunigenden Tropes: - Enemies to Lovers - Found Family - Forced Proximity - Tortured Hero - Touch her and die Die epische vierbändige Romantasy erscheint auf Deutsch in folgender Reihenfolge: - Blood and Steel - Vows and Ruins
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Seitenzahl: 667
Veröffentlichungsjahr: 2025
Helen Scheuerer
Die Legenden von Thezmarr 2
Aus dem Englischen von Jasmine Hofmann und Marion Herbert
Knaur eBooks
Wie stellst du dich der Wahrheit, wenn sie dich alles kosten könnte?
»Vows and Ruins« ist der zweite spicy Romantasy Roman der epischen Fantasy-Reihe »Die Legenden von Thezmarr«, die dich in eine Welt voller Magie und Monster entführt.
Altheas bedrohte Welt wird auf den Kopf gestellt, als sie herausfindet, dass sie magische Kräfte hat. Jetzt muss sie nicht nur noch härter trainieren, um eine wahre Kriegerin von Thezmarr zu werden: Sie muss sich auch der Wahrheit stellen – über ihre Familie, ihre Magie und das Böse, das das Königreich zu verschlingen droht.
Als Wilder Hawthorne offiziell Altheas Mentor wird, ändert sich alles. Denn er schreckt vor nichts zurück, um sie auf das vorzubereiten, was ihnen bevorsteht. Selbst wenn das bedeutet, Althea zu brechen. Während ihr gemeinsamer Weg sie in immer größere Gefahren führt, wächst auch die unleugbare Anziehung zwischen ihnen. Krieg droht, und Althea und Wilder ringen darum, die Welt zu retten – und einander. Können sie siegreich aus dieser Schlacht hervorgehen, oder wird die Dunkelheit sie beide verschlingen?
Actionreiche Fantasy Romance mit unerwarteten Plot-Twists
Die epische vierbändige Romantasy erscheint auf Deutsch in folgender Reihenfolge:
Blood and Steel
Vows and Ruins
Weitere Informationen finden Sie unter: www.bramblebooks.de
Widmung
Prophezeiung der Mittelreiche
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Danksagung
Für die wahren Siegerinnen und Sieger von Thezmarr –
meine Leserinnen und Leser.
Im Schatten eines gefallenen Königreichs, im Auge des Sturms
Wird eine Tochter der Finsternis mit der einen Hand die Klinge führen
Und mit der anderen über den Tod gebieten.
Wenn der Himmel sich verdüstert, am Ende der Tage,
Wird der Schleier fallen.
Wenn ihre Klinge gezogen ist, werden die Gezeiten wechseln.
Ein Morgen von Feuer und Blut.
Thea
In den vergangenen drei Wochen war der blutbespritzte Übungsplatz zu Theas Zuhause geworden, ebenso wie die Wut, die sie durchströmte, zu ihrer Hymne geworden war.
Mädchen. Alchemistin. Schildträgerin. Frau. Wächterin. Lehrling. Dämonentöterin. Erbin.
Jede Bezeichnung hatte heiß und hell gebrannt und zerstob hinter ihr wie Asche, während sie nach dem einzigen Titel strebte, der ihr etwas bedeutete: Schwertmeisterin.
Der Schicksalsstein über ihrem Herzen war eine schonungslose Erinnerung daran, wie wenig Zeit ihr nur noch blieb, um diesen Traum zu verwirklichen. Zweieinhalb Jahre. Ein Augenblick in einem Menschenleben. Ein Tropfen in einem Ozean. Sie musste ihre Zeit nutzen.
Thea bewegte die Klinge in ihrer narbengezeichneten Hand, genoss das Gewicht echten Stahls und das Gefühl, wie das Schwert nach ihrem Willen durch die Luft schnitt. Wie ein Raubtier umkreiste sie ihren Gegner und ignorierte dabei den pochenden Schmerz in ihren Rippen und das seltsame Brennen zweier blutunterlaufener, geschwollener Fingerknöchel.
»Du kannst nicht den ganzen Tag lang um mich herumtanzen, Thea«, forderte Torj Elderbrock, der Bärentöter, sie mit ebenfalls erhobener Klinge heraus.
Um die Rastlosigkeit in ihrem Inneren loszuwerden, schlug Thea zu, indem sie sich leichtfüßig drehte und mit einem präzisen Hieb auf Torjs ungeschützte Seite zielte, sodass der silberne Stahl im frühen Morgenlicht glänzte.
Torj blockte mühelos ab. Ihre Schwerter stießen klirrend gegeneinander, sodass Theas ganzer Arm vibrierte, eine Erinnerung an die von den Furien verliehene Kraft, die der Schwertmeister bei ihren Übungsduellen im Zaum hielt.
Er konnte ja nicht ahnen, dass er nicht der Einzige war, der versuchte, seine Fähigkeiten zu kontrollieren.
Fast niemand wusste von der Magie, die unter Theas Haut schlummerte, von dem Chaos, das sie auslösen konnte. Wenn sie kämpfte, war der ungezähmte Blitz ein Lied. Wie der Gesang einer Cyrene aus uralter Tiefe lockte er sie zu der größeren Macht, die sie an ihren Fingerspitzen heraufbeschwören konnte. Weder der Trost des Stahls in ihrer Hand noch der anhaltende Schmerz ihrer Muskeln konnte die knisternde Magie besänftigen, die sie jetzt durchströmte.
»Komm schon, Thea!«, rief Kipp begeistert vom Rand und strich sich grinsend das rotbraune Haar aus den Augen.
Auch Cal pfiff ihr von seinem Platz aus ermutigend zu, selbst verschrammt und blutbeschmiert von seinem Übungsduell. »Du hast schon einen beschissenen Schattendämon erlegt. Dann schaffst du den da auch.«
»Einen Todesdämon, um genau zu sein«, rief Thea zurück.
Bei Cals und Kipps Ermutigungen regten sich Schuldgefühle inmitten Theas Wut. Die beiden hatten in den vergangenen Wochen immer wieder versucht, mit ihr zu sprechen, aber da gab es so vieles, was sie ihnen nicht sagen konnte, so vieles, was sie selbst nicht verstand.
Thea wirbelte ihre Klinge herum und korrigierte ihre Haltung, machte sich bereit für den nächsten Angriff. Das Wächterabzeichen an ihrem rechten Arm, das Symbol der gekreuzten Schwerter, glänzte in der Sonne, als sie ihrem vorläufigen Mentor einen schwungvollen Aufwärtshieb erteilte.
Vorläufig, weil ihr eingeschworener Mentor Wilder Hawthorne, die Hand des Todes und der berüchtigtste Krieger der gesamten Mittelreiche, sie im Stich gelassen hatte.
Ihre gemeinsame Zeit war ein hitziges Auf und Ab. Sie hatte herausgefunden, wer sie wirklich war …
Eine verlorene Erbin von Delmira. Eine Sturmbeschwörerin.
Und dann hatte er zwischen ihnen einen Trennungsstrich gezogen.
Nachdem Thea ihre Sturmmagie auf den Klippen entfesselt und das Bewusstsein verloren hatte, war sie in Hawthornes Bett erwacht, wo er sie mit undurchdringlicher Miene angestarrt hatte. Einen winzigen Moment lang hatte die Zeit zwischen ihnen stillgestanden, während ein Teil eines lebenslangen Puzzles an seinen Platz rutschte.
Und dann, wenige Minuten später, war er ohne auch nur ein Wort verschwunden.
Seitdem hatte sie den Dreckskerl nicht mehr gesehen.
Ganz gleich, wie viel sie trainierte, wie sehr sie sich anstrengte, nichts konnte ihre Wut beschwichtigen. Sie brodelte in ihr, mischte sich mit ihrer ungeschliffenen Magie und drohte, sich wie eine flammende Flut in ihr Leben zu ergießen. Schwertmeisterin zu werden, war Theas größter Wunsch. Und Hawthorne war verpflichtet, sie anzuleiten. Ihr zu helfen, sich auf den großen Ritus vorzubereiten.
Er hatte sie verlassen, als sie ihn am meisten brauchte.
Und dann war da noch das andere Feuer, das er in ihr entfacht hatte. Die Sehnsucht, das Verlangen nach ihm wütete ebenso heiß, auch jetzt noch. Ganz gleich, was sie tat, um es auszutreten.
Sie hasste ihn dafür.
Thea atmete aus, parierte und griff erneut an, wobei sie diesmal rechts antäuschte und eine Reihe brutaler Hiebe folgen ließ.
»Gut«, lobte Torj und schlug ihr Schwert beiseite.
Aber damit hatte sie gerechnet. Sie zog einen Stahlstern aus ihrem Stiefel, holte rasch mit dem Handgelenk aus und ließ ihn fliegen.
Er durchschnitt die Luft und heftete Torjs Ärmel an den nächsten Baum.
»Diesmal nur Schwerter, habe ich gesagt«, knurrte er, und seine eisblauen Augen verdüsterten sich vor Ärger.
»Ich muss jeden Vorteil nutzen, den ich habe«, konterte Thea. In den Jahren, in denen sie heimlich trainiert hatte, konnte sie einige ungewöhnliche Fertigkeiten perfektionieren, und die würde sie ausnahmslos alle einsetzen, um zu kriegen, was sie wollte.
Torjs Muskeln zuckten, als er den Wurfstern so leicht von seinem nun zerrissenen Ärmel entfernte, als wäre es ein Fussel. »Wenn du willst, dass ich dich weiter mit den anderen trainiere, musst du auf mich hören.«
Thea wusste, dass sie ungerecht und der Bärentöter mehr als großzügig war, einzuspringen und sie unter seine Fittiche zu nehmen, zusammen mit seinem eigenen Lehrling Cal und ihrem gemeinsamen besten Freund Kipp. Aber Torj wusste nicht, was sie verbarg. Er wusste nicht, welche Verwüstung sie im Reich anrichten konnte. Er wusste nicht, dass es gefährlich war, sie zu trainieren.
Wo zum Henker steckt Hawthorne?
Torj schien den Grund für ihre Unruhe zu erahnen und seufzte schwer. Bestimmt hatte er genug von ihrer miesen Laune und ihren endlosen Fragen. »Er hat sein Wort gegeben. Er wird zurückkommen, sobald er kann. Er weiß, dass er dafür verantwortlich ist, dich zu trainieren.«
»Tatsächlich?«, murmelte Thea.
»Ja.«
»Dann hat er aber eine seltsame Art, das zu zeigen.«
»Genug gejammert, Zoltaire«, erwiderte Torj. »Wenn du Zeit hast, dich zu beschweren, hast du auch Zeit, gegen mehr als einen Gegner zu kämpfen.« Er deutete auf Cal. »Du bist dran. Kipp, du auch.«
Thea ließ ihre wunden Schultern kreisen und hob trotzig das Kinn. Na gut. Sie wollte die Herausforderung; sie brauchte sie. Es war das Einzige, was den Sturm in Schach hielt.
Ihre Freunde machten lange Gesichter, als sie bewaffnet auf sie zukamen. Sie litten nun schon seit Wochen unter Theas erneuertem Trainingseifer, und das sah man allen dreien an ihren Verletzungen deutlich an. Denn Thea war diejenige, die nie lockerließ. Die darauf bestand, dass sie weitermachten, auch wenn sie blutend und erschöpft auf dem Boden lagen.
Wenn sie nicht mit Hawthorne trainieren und nicht mit Wren reden konnte, würde sie ihre Wut zu einer Waffe schmieden.
Der Name ihrer Schwester klingelte in ihr wie eine Warnglocke. Thea hatte den Verrat nicht kommen sehen, und seither war ihre Brust ganz zugeschnürt und wurde immer enger, was dem Gewitter, das sich in ihrem Inneren zusammenbraute, zusätzliche Kraft verlieh.
Thea holte tief Luft und musterte ihre Gegner. Sie war entschlossen, die neuen Techniken zu üben, die Torj ihr gezeigt hatte. Der goldhaarige Schwertmeister nickte ihnen zu, und Thea startete einen Angriff. Ihre Beinarbeit war präzise, die Verteilung ihres Gewichts makellos. Seit der Eignungsprüfung hatte sie ihr Schwert kaum abgelegt, kaum eine Sekunde verbracht, ohne sich auf die eine oder andere Weise auf den Kampf vorzubereiten.
Das war nicht zu übersehen.
Schweißnass und unter Schmerzen schwang sie ihr Schwert wieder über ihrem Kopf und traf zuerst Cal. Ihr Kamerad hob seinen Schild gerade noch rechtzeitig, während Kipp sich ihr von hinten näherte. Sie ignorierte seinen angespannten Gesichtsausdruck, der ihr sagte, dass er die zähnefletschende Kriegerin vor ihm nicht wiedererkannte, während sie weiter vorrückte, mit all ihrer Kraft zuschlug, stach, hieb und auswich, als Cal Kipp zur Seite sprang.
Sie sagte sich, dass das hier gut wäre, dass die beiden die härteste, grimmigste Gegnerin brauchten, die Thea nur sein konnte, wenn sie sich ebenfalls verbessern wollten. Die Mittelreiche brauchten mehr Elitekrieger, und zwar dringender denn je.
Kipp waren seine eigenen langen, sehnigen Glieder im Weg, und Cal war zwar wohlproportioniert und muskulös, besaß aber nicht die von den Furien verliehene Kraft oder Beweglichkeit eines Schwertmeisters. Noch nicht.
Also zögerte sie nicht. Sie ließ keine Gnade walten. Sie drängte beide zurück, zwang sie, ihr mehr und mehr Raum zu überlassen.
Thea vergaß ihren Schmerz und ihre Erschöpfung. Ihre Wut, ihre Magie und ihr Ehrgeiz verbanden sich zu einer einzigen mächtigen Antriebskraft, als sie sich mit den beiden duellierte. Sie verlor sich im Rhythmus des Kampfs, bis der Rest der Welt verschwamm, bis Torjs warnende Worte fern klangen, wie an jemand anderen gerichtet.
Sie klangen wie: Stopp, Thea – ich habe Stopp gesagt!
Aber der eiserne Griff der Herausforderung ließ sie nicht los.
Es reicht, Thea …
Sie bemerkte kaum, dass sich Gewitterwolken über ihr zusammenzogen.
Zoltaire, das ist ein Befehl!
Sie achtete nicht auf den Schweiß, der ihr übers Gesicht rann, oder die erschrockenen Gesichter ihrer Freunde. Sie ließ einen Hieb nach dem anderen niederprasseln, während feuchte Erde auf ihre Stiefel spritzte und der Wind ihr ins Gesicht peitschte, und sie kämpfte.
Sie lebte für das Klirren des Stahls. Sein Lied drang bis in ihre Seele. Balsam für die Blitze, die durch ihre Adern strömten …
Ihr Schwert schlug gegen ein anderes.
Der Aufprall erschütterte sie bis ins Mark und warf sie um. Irgendetwas war anders.
Geblendet von dem Drang zu gewinnen, von dem verzweifelten Wunsch, sich als des großen Ritus würdig zu erweisen, rappelte sie sich auf und schlug erneut zu, sah nur noch rot.
Wieder wurde ihr Angriff kraftvoll abgewehrt.
Aber diesmal verstand sie, warum. Ihre Hand rutschte, und ihre Waffe verbog sich, als sie die andere traf.
Naarvischer Stahl.
Die Klinge eines Schwertmeisters.
Sie wehrte Theas Hieb mühelos ab, blockierte ihr Schwert und drückte es zu Boden.
Eine zweite Klinge landete an ihrem Hals. Ein kalter Kuss. Das Versprechen von vergossenem Blut.
Irgendwo in der Ferne blitzte es.
»Du hast einen Befehl erhalten, Alchemistin«, erklang eine tiefe, gebieterische Stimme.
Diese Stimme hätte Thea überall wiedererkannt. Sie hatte sie von der Schwelle des Todes zurückgeholt, hatte an ihren Lippen ihren Namen geflüstert, hatte ihr nicht nur einmal das Herz gebrochen …
Silberne Augen sahen sie an, und Thea stockte der Atem.
Die Hand des Todes hatte sich vor ihr aufgebaut, der kräftige Körper in schwarzer Rüstung, von der es rot heruntertropfte.
Gegen alle Vernunft, ihrer ganzen Wut zum Trotz, drang ihr der Klang dieser Stimme bis in die Knochen, als Wilder Hawthorne sich dicht zu ihr beugte und ihr zuraunte: »Oder soll ich dich jetzt ›Prinzessin‹ nennen?«
Wilder
Ihr Anblick erschütterte Wilder zutiefst. Nicht nur der wütende Sturm in ihren jadegrünen Augen, sondern auch ihr verändertes Aussehen. Sie hatte ihr bronze- und goldfarbenes Haar wie üblich zu einem seitlichen Zopf geflochten, aber ihr entschlossenes, schönes Gesicht war hager, verbissen, blutverkrustet und zerschrammt. Er erkannte, dass zwei ihrer narbenbedeckten Fingerknöchel ausgekugelt waren, und obwohl sie sich flüssig bewegte, zuckte sie bei den Drehungen leicht zusammen. Ganz sicher hatte sie sich die Rippen verletzt.
Thea hatte nicht auf sich aufgepasst.
Ihr Zustand erinnerte ihn an den Schock, als er sie dem Todesdämon gegenüberstehend im Blutwald entdeckt hatte, daran, wie sie an der Schwelle des Todes ausgesehen hatte, als er ihr befahl, bei ihm zu bleiben.
»Wage es ja nicht, jetzt aufzugeben«, hatte er zu ihr gesagt.
Blitze hatten den Himmel gespalten und den Todesdämon getroffen, aber das hatte nicht gereicht. Das verfluchte Ungeheuer hatte sie trotzdem mit seinen Krallen erwischt, hatte trotzdem das Fleisch über ihrem Herzen mit seiner Finsternis infiziert – die Ankündigung eines Schicksals, das schlimmer war als der Tod.
Ohne zu zögern, hatte Wilder ihr seine Phiole mit dem Quellwasser aus Aveum gegeben. Es war nie dringender gebraucht worden als in jenem Moment, und er bereute nichts.
Wilder hatte gehofft, dass die drei Wochen fern von ihr das Inferno in seinem Inneren löschen würden, aber das war ihm nicht vergönnt. Es flammte erneut auf, stärker denn je, wie Zunder in seiner Brust, sobald er den Blick auf sie richtete.
Und jetzt war er wütend auf sie.
»Was zum Henker hast du dir angetan?«, fragte er, ohne sich darum zu scheren, dass Torj und die beiden Wächter in Hörweite standen. Er konnte sich nur mit Mühe beherrschen, Thea nicht zu packen und an sich zu ziehen.
Thea kniff die Augen zusammen, und ihre Fingerknöchel wurden weiß, so fest umklammerte sie ihr Schwert. »Ich habe trainiert.«
»Trainiert?« Wilder lachte so düster, dass Torj, Cal und Kipp sich daraufhin vom Übungsplatz fortstahlen und Mentor und Lehrling dem heraufziehenden Sturm allein trotzen ließen.
Wilder musterte Thea noch einmal, und der Zorn breitete sich in seinem Bauch aus. »Es gibt eine richtige Art zu trainieren. Dich in einen solchen Zustand zu versetzen, gehört nicht dazu.«
»Und wer ist schuld daran?«, gab Thea zurück.
»Du bist schuld daran. Nach allem, was du getan hast, um so weit zu kommen, dachte ich, du würdest die Sache ernster nehmen. Ich dachte, du würdest verstehen, dass du stark sein musst, nicht kaputt.«
Thea hob trotzig das Kinn. »Ich bin überhaupt nicht kaputt.«
»Deine ausgekugelten Fingerknöchel und angeknacksten Rippen sagen da etwas anderes«, erwiderte Wilder kalt. »Ich dachte, du hättest diese Lektion schon als Schildträgerin gelernt: Es gibt Tage zum Ruhen und Tage zum Kämpfen.«
Mit feurigem Blick trat Thea einen Schritt auf ihn zu. »Jeder Tag ist ein Tag zum Kämpfen, wenn der Tod immer näher rückt.«
»Der Tod holt uns alle, Prinzessin. Auf die eine oder andere Weise. Du kannst niemandem etwas nützen, wenn du abkratzt, weil eine gebrochene Rippe deine Lunge durchstochen hat. Und deine Fingerknöchel? Wenn die nicht wieder eingerenkt werden, kann deine Hand dauerhaften Schaden leiden.«
Er sah, wie Thea scharf einatmete, wie sie zwischen ihrer Wut und der Wahrheit seiner Worte schwankte.
Aber er war noch lange nicht fertig mit ihr. »Wann hast du zum letzten Mal etwas Anständiges gegessen? Eine ganze Portion?«
»Ich esse.«
»Nicht genug. Und von deiner Technik will ich gar nicht erst reden. Was war denn das eben für eine Vorstellung?«, fuhr er fort und deutete auf den Platz. »Ist das deine Art zu kämpfen?«
»Ich war dabei, zu gewinnen.«
»Du warst unkontrolliert. Undiszipliniert. Und noch schlimmer: Du bist nicht annähernd so weit, wie du sein solltest. Ich war dir in meiner Entwicklung um Längen voraus …«
»Wahrscheinlich, weil dein Mentor sich tatsächlich dazu herabgelassen hat, dir etwas beizubringen, statt einfach abzuhauen.«
Plötzlich war sie Wilder so nah, dass er die Wärme ihres Körpers spüren konnte. Er roch den Sturm an ihr, ein tosendes Meer mit Bergamottenoten, und konnte den Blick nicht von ihren Kurven abwenden, diesen Kurven, denen er in ihrer kurzen gemeinsamen Zeit nicht annähernd genug gehuldigt hatte.
Götter, er war nicht bereit für diesen Kampf.
»Wo warst du?«, fragte sie. »Was war so wichtig, dass du ohne ein Wort verschwinden musstest, nach allem, was wir durchgemacht, was wir herausgefunden hatten?«
Wilder biss die Zähne zusammen. Er hatte sie nicht verlassen wollen, niemals. Aber er hatte sich vergewissern müssen, dass sich nicht noch mehr Todesdämonen zusammenrotteten, die nach ihrer Macht dürsteten, und dass sich die Kunde von der Frau mit Blitzen im Blut noch nicht verbreitet hatte. Also hatte er Thea in seiner Hütte zurückgelassen und war zum nächsten Riss im Schleier geritten – auf der Suche nach Ungeheuern und Geheimnissen.
Er hatte jede Menge davon gefunden.
»Wo ich mich aufhalte, geht dich nichts an«, sagte er schließlich.
Theas Nasenflügel bebten leicht. Zähneknirschend schüttelte sie den Kopf und lächelte bitter, so als hätte sie recht behalten. »Also soll es jetzt wirklich so zwischen uns laufen? Meister und Lehrling und sonst nichts. Als wäre nie etwas passiert?«
Bei den Furien, er musste sofort wieder an die Nacht denken, als er sie an dem Baum im Blutwald genommen, seinen Schwanz in ihr vergraben hatte, während sie seinen Namen schrie, jeder Stoß noch berauschender als der vorige.
Wieder biss er die Zähne zusammen. »Ja.«
»Dann hör auf, mich so anzusehen«, fauchte sie.
»Wie denn?«
»Als wäre ich nackt.«
Unwillkürlich stieg ihm die Hitze in die Wangen, aber er riss sich zusammen und zog sein Schwert aus der Scheide. »Wenn du so verdammt hart trainiert hast, wenn deine Verletzungen so unbedeutend sind«, sagte er mit gefährlich leiser Stimme, »dann zeig mal, was du kannst.«
Theas funkelnder Blick hätte einen geringeren Mann das Fürchten gelehrt, und das konnte er ihr nicht verübeln. Es war sogar gut, dass sie wütend war. Vielleicht würde sie ihm das Gesicht zerkratzen, statt mit den Nägeln über seinen Rücken zu streichen …
Breitbeinig und mit gebeugten Knien stellte sie sich in ihre Startposition.
Wilder wartete nicht. Er griff an. Zwar hielt er die brutale Kraft seiner von den Furien verliehenen Stärke zurück, aber er ließ einen Hieb auf den nächsten folgen, um Thea zu zeigen, wie weit sie noch kommen, wie viel sie als Wächterin noch lernen musste, und dass sie in so kurzer Zeit nicht unendlich viel erreichen konnte. Er achtete auf ihre geschwollenen Fingerknöchel, den offensichtlichen Schmerz in ihrer Seite. Wenn sie nicht mehr so stur wäre, würde er ihr beibringen, wie wichtig Selbstfürsorge war, aber er wusste, dass er jetzt nicht mit Worten durch ihre harte Schale dringen konnte.
Thea wehrte jeden Schlag ab. Er spürte, wie ihre Muskeln vor Anstrengung zitterten, um ihn abzublocken, aber sie war schnell und wendig, auch während er vorrückte und sie quer über den Platz trieb.
Dabei bemerkte er, dass ihr Schicksalsstein aus ihrem Hemd rutschte.
»Ich habe gesehen, wie du den über die Klippe geworfen hast«, murmelte er mit gerunzelter Stirn.
Sie stieß mit ihrem Schwert nach Wilder. »Er hat zu mir zurückgefunden.«
»Wie das?« Er wehrte ihre Klinge ab und startete einen raschen Gegenangriff.
»Er lag auf dem Tisch, nachdem du gegangen bist«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
Er wich einem weiteren Hieb aus. »Wie ist das möglich?«
»Schicksal.«
»Und du hast ihn einfach wieder angelegt? Ohne zu wissen …«
»Meine Entscheidungen gehen dich nichts an.«
Er spürte, wie die Wut in Wellen von ihr abstrahlte und seinen eigenen Ärger entfachte – und sein Verlangen. Die widerstreitenden Gefühle verbanden sich zu einer unwiderstehlichen Droge, während Thea und Wilder sich auf dem Platz duellierten, sodass die Funken flogen.
Über ihnen brachen die schweren Wolken auf, die sich vor die Morgensonne geschoben hatten.
Der Himmel öffnete sich, und ein Schauer prasselte auf sie herab.
Keiner von beiden gab nach.
Wilder bewegte sich ganz automatisch. Seine Gedanken waren von Thea gefangen genommen, während jeder Hieb, jeder Stoß der Klingen die pulsierende Spannung zwischen ihnen weiter anheizte. Wasser floss an ihren Waffen und ihren Körpern hinunter, während sie im Regen weiterkämpften.
Wilder parierte und wehrte einen heftigen Schlag ab, indem er seine Klinge an ihre legte und Thea zurückdrängte, sodass sich die Absätze ihrer Stiefel in den frischen Schlamm gruben.
»Sag mir, Mentor.« Thea spuckte das letzte Wort aus, als wäre es schmutzig. »Was macht dich denn so wütend?«
Der Stahl sang zwischen ihnen, hallte bis in die umgebenden Berge.
Wilder drehte sich um die eigene Achse. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, als er sein Schwert wendete und einen horizontalen Schnitt von seiner starken Seite zu ihrer schwächeren ausführte, sodass Thea ins Straucheln geriet.
»Was mich so wütend macht?«, wiederholte er und rückte weiter vor.
Sie machte einen unkontrollierten Ausfallschritt. Er wich dem Hieb aus und drang weiter in ihren Raum vor, wobei er ihren nächsten Schlag abblockte und ihre Klinge mit seiner gefangen nahm.
»Du meinst, außer dieser Situation? In die ich nie kommen wollte?«, sprudelte es aus ihm heraus. »Du meinst, außer, dass Osiris mir keine andere Wahl gelassen und die Tatsache, dass ich dich verteidigt habe, gegen mich verwendet hat?«
Thea keuchte. Aber er hörte nicht auf. Sein Zorn hielt ihn mit eiserner Faust umklammert.
»Oder meinst du außer, dass du mir allen Ernstes zugetraut hast, ich würde dich sitzen lassen, wenn ich die Wahrheit über deinen Schicksalsstein erfahre? Über deine Herkunft? Und jetzt komme ich zurück und finde dich …«
Thea überraschte ihn mit einem Angriff und drängte ihn zurück. »Aber genau das hast du doch getan, du Bastard. Du bist abgehauen. Du hast mich einfach sitzen lassen.«
Ihre Worte stachen ihm ins Herz, und er schmeckte die Bitterkeit des Bedauerns. Aber er würde sich nicht entschuldigen, denn damit riskierte er, den Abstand zu verringern, den er zwischen Thea und sich gebracht hatte. Abstand war gut. Abstand war sicher.
Mit blitzenden Klingen starteten sie in eine weitere Runde ihres hitzigen Zweikampfs, sodass der Schlamm unter ihren Stiefeln nur so spritzte.
Wilder parierte einen brutalen Hieb und kickte Thea mit einem Bein schwungvoll die Füße weg.
Sie landete mit dem Rücken in einer Pfütze.
Sein Triumph war von kurzer Dauer, denn Thea war flink, schneller, als er in Erinnerung hatte. Sie reagierte sofort und traf ihn mit einem überraschend kräftigen Tritt in die Kniekehlen. Er knickte ein.
Ehe er sichs versah, hatte Thea sich schon auf ihn gestürzt und hielt ihn unter sich gefangen. Sie setzte sich rittlings auf seine Hüften, legte die scharfe Schneide ihres Schwerts an seine Kehle und beugte sich dicht über ihn, sodass ihre Brüste seinen Oberkörper berührten.
»Du bist ein Dreckskerl.«
»Das wusstest du doch von Anfang an«, knurrte er. Das mühsam unterdrückte Verlangen in seinem Inneren wallte auf, als er jeden Kontaktpunkt zwischen ihnen, die Reibung zwischen ihren Körpern, Theas Hitze, die ihn niederdrückte, deutlich wahrnahm.
Er spürte den kalten Stahl auf seiner Haut und schluckte, während er ihren Anblick gierig in sich aufnahm, ihre Berührung genoss, wie gewaltsam sie auch war. Sein Schwanz wurde steinhart zwischen ihnen, das ließ sich nicht leugnen.
Sie sah ihm tief in die Augen. Sie war ihm so nah, nah genug, dass er Gefahr lief, sich an ihrer Klinge die Kehle aufzuschlitzen, wenn er sich vorbeugte und …
Ihr Blick wanderte zu seinem Mund, und sie biss sich auf die Unterlippe, wobei ihr vor Wut und Erregung hörbar der Atem stockte.
In jenem Augenblick scherte sich Wilder nicht mehr darum, was er sich geschworen hatte. Er scherte sich nicht mehr darum, dass er ihr Mentor und sie nicht nur sein Lehrling, sondern auch eine verlorene Prinzessin der Mittelreiche war. Er wollte ihren Mund spüren, er wollte …
Sie warf das Schwert beiseite und küsste ihn.
Mochten die Furien ihn retten. Das hier. Das war der Grund, warum er seit Wochen nicht schlafen konnte. Das war, woran er jeden Tag dachte, seit er sie nicht mehr gesehen hatte.
Mit einem leisen, rauen Stöhnen öffnete er den Mund, und sie strich mit der Zunge über seine und kratzte mit den Zähnen über seine Unterlippe. Wilder küsste sie leidenschaftlich, fordernd, hemmungslos, kämpfte gegen den heftigen Drang an, sie auszuziehen und sie direkt hier im Schlamm zu nehmen.
Er rieb sich von unten an ihr, verfluchte all die Schichten Kleidung zwischen ihnen, suchte ihre nasse Hitze, dann packte er ihren Po und drückte sie gegen seine Erektion. Aus ihrer Kehle drang ein Wimmern, während sie die Brüste an seinen Oberkörper presste. Sie waren beide ausgehungert, sehnten sich nacheinander. Diese drei Wochen waren die längsten seines Lebens gewesen.
Er setzte sich auf, zog sie auf seinen Schoß und unterbrach den Kuss nur, um mit den Zähnen an ihrem Hals hinunterzustreichen, wobei er Schweiß und Regen schmeckte und ihr einen leisen Lustschrei entlockte. Verlangen durchströmte ihn, und das Bedürfnis, es an Ort und Stelle mit ihr zu tun, wurde stärker, überwältigend. Durch ihr Hemd hindurch umfing er ihre Brust, spürte die harte Brustwarze in seiner Hand, und Thea schnappte nach Luft.
»Wilder …«
Götter, wie er es liebte, wenn sie seinen Namen sagte. Damit sorgte sie für ein Vibrieren in seiner Brust, seinen ganz eigenen Sturm …
Thea sprang auf. Kälte umgab ihn, als sie ihre Klinge aufhob und in die Scheide steckte und dabei zurückwich, als hätte sie sich verbrannt. »Das können wir nicht machen«, keuchte sie. »In der Besenkammer hast du dich klar ausgedrückt. Erinnerst du dich? Erinnerst du dich, was du zu mir gesagt hast?«
»Wenn du auf dieser dummen Ernennung bestehst, dann soll es so sein. Wir werden Mentor und Lehrling sein, sonst nichts … Was im Blutwald passiert ist, war ein Fehler. Es wird nie wieder vorkommen, Alchemistin.«
Wilder war rasch auf den Beinen, strich sich die Kleider glatt und schob seinen Ständer in der Hose zurecht. »Ich erinnere mich«, murmelte er. Er stand blinzelnd im Regen und verfluchte sich für seine mangelnde Selbstkontrolle. Er war ein Schwertmeister von Thezmarr, verdammt noch mal, und er hatte der Versuchung nachgegeben. Nur wenige Augenblicke nach seiner Rückkehr, trotz all seiner Gelübde und guten Vorsätze, hatte er der Versuchung nachgegeben. Und dann auch noch mitten auf dem durchweichten Übungsplatz. Jeder hätte es sehen können.
Aber er konnte sich nicht beherrschen – nicht, was sie anging.
»Du hast recht. Das hier hätte nicht passieren dürfen«, zwang er sich zu sagen und wandte den Blick ab von ihren geröteten Wangen, ihren noch bebenden Brüsten. »Es war ein Fehler.«
»Dann kannst du ihn wohl deiner Liste hinzufügen«, sagte Thea bitter. »Sie wird täglich länger.«
Wilder fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Er würde sie niemals auf eine solche Liste setzen, aber vielleicht sollte er das besser nicht erwähnen. Nachdem er tief eingeatmet und sich gesammelt hatte, kramte er in seiner Tasche und streckte ihr dann ein blutbeflecktes Stück Pergament entgegen.
»Was ist das?«
»Übungen, Gewichte, Ausdauertraining und Meditationen für dich.«
»Unglaublich«, murmelte sie.
Und Wilder konnte es sich nicht verkneifen, eine Antwort zu wiederholen, die er ihr schon einmal gegeben hatte: »Wenn du wüsstest.«
Immer noch außer Atem studierte sie stirnrunzelnd seine Anweisungen. »Manches davon sieht eher nach Tanzschritten aus als nach Fechtübungen.«
»Ich tanze nicht. Ich töte. Und das wirst du auch.« Er sah ihr entschlossen in die Augen. »Du wirst hart trainieren. Richtig trainieren.«
»Ich habe hart trainiert.«
»Nicht mit mir.« Womit er ihr klarmachen wollte: Was auch immer sie bisher erfahren hatte, war nichts. Das Training mit den Meistern der Gilde war erst der Anfang gewesen. Erneut flammte Ärger in ihm auf, als er daran dachte, wie sie sich zugrunde gerichtet hatte, wie sie es versäumt hatte, sich um ihre ausgekugelten Fingerknöchel zu kümmern. Er würde sie ihr selbst wieder einrenken, wenn er die Vorstellung ertragen könnte, ihr wehzutun. »Du musst sofort zu einer Heilerin gehen. Wenn wir zusammenwohnen …«
Thea erbleichte. »Was?«
»Heute Abend nach dem Essen ziehst du in die Hütte.«
»Kommt nicht infrage.«
»Lehrlinge schlafen bei ihren Meistern.«
»Cal wohnt immer noch in der Festung«, entgegnete Thea.
»Weil Torj auch dort wohnt«, donnerte Hawthorne. »Ich wohne nicht in der Festung und habe das auch nicht vor. Also ziehst du in die Hütte. Und wenn wir zusammen in meinem Haus wohnen, hältst du dich an meine Regeln.«
Wilder spürte, wie Blitze in ihr aufflackerten. Sie starrte ihn fassungslos an, was er mit einem herausfordernden Blick erwiderte.
»Du wolltest doch unbedingt in die Lehre gehen. So läuft es nun, Prinzessin.«
Thea
Den Furien sei Dank war er gegangen. Hätte Thea noch länger dort draußen mit ihm im Regen gestanden, hätte sie wohl entweder erneut gegen ihn gekämpft oder ihn gevögelt – oder beides. Ihr Herz pochte wild im Rhythmus der pulsierenden Hitze zwischen ihren Beinen.
Wilder Hawthorne hatte so grimmig ausgesehen wie eh und je, sein markanter Kiefer von einem dunklen Bart umrahmt, die sonnengebräunte Haut noch schmutzig von der Reise. Genau so war er gewesen, als sie gemeinsam gegen den Todesdämon gekämpft hatten: Furcht einflößend, tödlich … Und er hatte ihr gehört.
Sie schob den Gedanken beiseite. Hawthorne hatte nie wirklich ihr gehört. Doch als sie ihn unter sich festgehalten hatte, mit ihrer Klinge an seinem Hals und all den harten Muskeln so dicht an ihrem Körper, hatten sich sämtliche vernünftige Gedanken aus ihrem Kopf verflüchtigt.
Plötzlich hatte sie wieder an die Stunden vor der Eignungsprüfung denken müssen, als sie sich an dem Pfeil festhielt, während Hawthorne sie gegen den Baum drückte und in sie eindrang, sein schöner, tätowierter Körper nackt im Halbschatten des Mondlichts. Lust und etwas noch Tieferes hatte sie ergriffen, als er sich in ihr bewegte, an ihren Lippen ihren Namen stöhnte.
»Einmal war nicht genug, Thea …«, hatte er geflüstert, nachdem er sie zu einem überwältigenden Höhepunkt gebracht hatte, der sie bis ins Innerste erschütterte. »Noch lange nicht genug.«
Während sie nun ihre Sachen einsammelte, kochte sie vor Wut. Wie konnte er es wagen? Wie konnte er es wagen, sie einfach so im Stich zu lassen und dann drei Wochen später mit solchen Befehlen wieder anzutanzen? Und zusammenwohnen? Was um alles in den Mittelreichen spielte er da?
Als sie ihre Klinge mit mehr Kraft als beabsichtigt in die Scheide steckte, zuckte sie zusammen und schaute auf ihre geschwollenen Fingerknöchel. Ausgekugelt, hatte Hawthorne erklärt.
Ehrlich gesagt wusste sie nicht einmal mehr, bei welchem Duell das passiert war. Die vergangenen Wochen waren zu einer einzigen langen Reihe von Schwertkämpfen, Bogenschießübungen, Strategiesitzungen und Ausdauereinheiten verschwommen, während denen sie versucht hatte, alles andere zu vergessen. Ihr Leben als offizielle Wächterin von Thezmarr hatte sie so geführt, wie es von ihr verlangt wurde: mit Training, Drill und dem Erlernen der Kriegskunst. Seit über zwei Jahrzehnten war sie die erste kämpfende Frau der Gilde, und diese Chance würde sie nicht verschwenden. Thezmarr anzugehören war nicht nur ein Lebensstil, sondern eine Kultur, eine Religion.
Als sie auf dem Rückweg zur Festung probeweise die Finger streckte, zischte sie vor Schmerz und bemerkte den eingeschränkten Bewegungsradius und die blau-grünen Flecken. Der Regen ließ nach, und die Mittagssonne erreichte ihren höchsten Punkt. Theas erster Instinkt war es, Cal und Kipp zu suchen und sich ihnen anzuschließen bei was immer sie gerade übten, aber … Götter, wie sie es hasste, wenn Hawthorne recht hatte. Falls die Schwellung an ihren Fingerknöcheln zunahm oder das Stechen in ihren Rippen schlimmer wurde, würde sie niemandem etwas nützen, erst recht nicht sich selbst.
Normalerweise würde sie mit so etwas zu Wren gehen. Farissa, die Meisteralchemistin, hatte ihrer Schwester alle nur denkbaren Heilungstricks beigebracht, und nur die Furien wussten, um wie viele von Theas Kratzern sie sich im Laufe der Jahre schon gekümmert hatte. Doch diese Zeiten waren vorbei. Als Thea die Festung erreichte, ging sie stattdessen in die Bibliothek.
Malik, der ehemalige Schwertmeister und Hawthornes Bruder, saß dort wie üblich in seinem Lehnstuhl am Feuer.
»Hallo, Schildbrecher«, sagte Thea, als der riesige Mann von dem Ledergürtel aufsah, den er gerade flocht, und sie anstrahlte.
Maliks Hund Dax wedelte auf seinem Platz zu Füßen seines Herrchens mit dem Schwanz.
Thea ließ sich auf den Stuhl daneben fallen und hielt ihre verletzte Hand hoch. »Hierbei kannst du mir wohl nicht helfen, oder?«
Malik sah sie an. Einen Moment lang schweifte sein Blick in die Ferne, dann nahm er ihre kleine Hand in seine viel größere und schüttelte langsam den Kopf.
»Na ja, einen Versuch war’s wert.« Thea seufzte. »Dann muss ich wohl zur Krankensta…«
Es folgte ein lautes Knack. Dann ein durchdringender Schmerz.
»Verdammt!«, schrie Thea und wich zurück. »Bei den Furien, was …«
Wieder ertönte ein Knack. Thea stöhnte laut auf, als ein noch heftigerer Schmerz ihre Hand durchzuckte.
Doch dann kam die Erleichterung.
Theas Finger kribbelten, aber ihr ursprüngliches Leiden war verschwunden.
Vorsichtig streckte sie die Finger. Sie waren noch immer steif und wund, aber ihr Bewegungsradius war nicht mehr annähernd so eingeschränkt.
Malik griff sanft nach ihrer Hand und hielt sie fest.
»Jetzt soll ich sie wohl eine Weile nicht bewegen, was?«, fragte sie.
Malik schüttelte wieder den Kopf, stand auf und wühlte durch den Korb mit Anzündholz neben dem Kamin.
Thea spürte, wie ihr eine Schweißperle zwischen den Schulterblättern hinunterrann, als sie sich nach hinten an die Stuhllehne sinken ließ. »Du hättest mich auch warnen können«, murmelte sie.
Malik reagierte nicht darauf, sondern kehrte zu seinem Stuhl zurück und streckte ihr eine Handfläche entgegen.
Thea legte widerwillig ihre Hand hinein und sah zu, wie er ein gerades Stück Holz an einen ihrer verletzten Finger hielt und es mit dem Leder festband, das er zum Flechten verwendet hatte. Dann tat er das Gleiche mit dem zweiten verletzten Finger.
Als er fertig war, hob Thea die Hand und betrachtete den seltsamen Verband. »Was um alles in den Reichen soll ich denn damit anfangen?«
Malik grinste.
»An deinem Sinn für Humor musst du aber noch arbeiten, mein Freund«, schnaubte Thea, drückte ihn aber dennoch dankbar am Arm. »Und ich bin jetzt wohl gezwungen, an meiner schwächeren Schwerthand zu arbeiten.«
Nachdem Hawthorne versprochen hatte, für sie da zu sein, und sie dann aber verlassen hatte, als sie ihn am meisten brauchte, hatte Thea bei Malik Trost gesucht. Er war ihr Fels in der Brandung gewesen, seit sie sich ihr Wächterabzeichen verdient hatte, auch nachdem sie erkannte, dass er längst gewusst hatte, wer sie war.
»Du hast mir einmal gesagt: Der Zorn Delmiras ist geduldig, aber nicht zu unterschätzen. Ich weiß jetzt, dass ich aus Delmira stamme … Aber den Rest verstehe ich nicht, Mal. Ich bin ganz sicher nicht geduldig, oder?«, hatte sie ihn gefragt.
Malik hatte eine Hand nach dem Dolch – seinem Dolch – an ihrer Hüfte ausgestreckt und zweimal auf den Griff getippt.
Aus irgendeinem Grund hatte ihr das in dem Meer der Wut, in dem sie umhertrieb, Halt gegeben. Genau wie die fremdsprachigen Worte, die in die Klinge der Waffe eingraviert waren: Ruhmreicher Tod, unsterbliche Legende. In jenem Moment hatte sie sich geschworen, genau danach zu streben in den wenigen Jahren, die ihr noch blieben.
Nun betrachtete Malik, der Schildbrecher, sie von seinem Lehnstuhl aus mit liebevollem Blick. Sein Ausdruck war so anders, so offen im Vergleich zu dem seines Schwertmeisterbruders.
Thea zog eine Augenbraue hoch. Ihre Finger pochten dumpf. »Falls ich das in letzter Zeit nicht erwähnt habe … Dein Bruder ist übrigens ein richtiges Arschloch.«
Malik schmunzelte.
Hawthornes Rückkehr hatte in Thea einen schier unbändigen Eifer geweckt, zu gewinnen, es ihm zu beweisen, ihn zu besiegen. Was auch der Grund dafür war, dass Thea sich nun in dem Teil der Festung wiederfand, in dem Wren verkehrte. Ihre Schwester versuchte seit Wochen, sich mit ihr zu treffen, weil sie darauf bestand, dass sie beide lernen mussten, ihre Magie zu kontrollieren, aber Thea war zu wütend gewesen, um mit ihr zu sprechen. Wren war zwar die Letzte, vor der sie es zugeben würde, aber insgeheim konnte auch Thea es gar nicht erwarten, ihre Macht zu nutzen. Nachts, wenn sie mit ihrem Schicksalsstein allein war, schloss sie die Augen und stellte sich vor, welchen gewaltigen Vorteil ihr die Sturmmagie gegen ihre Gegner, gegen welche Hindernisse auch immer verschaffen würde, die sie im großen Ritus erwarteten. Mithilfe der Magie hatte sie bereits einen Rheguld, einen Todesdämon, besiegt, was konnte sie also, wenn sie sie wirklich beherrschte, noch alles erreichen?
Mit leiser Hoffnung in der Brust kam Thea beim Gemach ihrer Schwester an und klopfte.
Die Tür ging fast augenblicklich auf, und Thea sah in ein vertrautes Paar jadegrüner Augen.
»Thea!« Wren stürzte sich auf sie, packte sie an den Armen und zog sie hinein.
Instinktiv schüttelte Thea die Hände ihrer Schwester ab, woraufhin Wren sie traurig ansah.
»Ich dachte …«, begann Wren langsam. »Ich dachte, das könnte bedeuten, dass du mir verziehen hast …«
Immer noch angespannt räusperte sich Thea. »Eins nach dem anderen.«
»In Ordnung«, sagte Wren und zwang sich dann zu einem fröhlicheren Ton. »Was kann ich für dich tun?«
Thea leckte sich über die Lippen. »Ich … Ich will mehr über meine – unsere – Magie erfahren. Ich will lernen, wie ich sie kontrollieren, wie ich sie einsetzen kann.«
Wren strahlte. »Wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet!« Sie griff nach ihrem Umhang am Haken neben der Tür.
Thea biss sich auf die Zunge und verkniff sich die Bemerkung, dass der Tag schneller gekommen wäre, wenn Wren sie nicht so gründlich getäuscht hätte. »Wo gehen wir hin?«
»Zu Audra.«
»Jetzt?«
»Selbstverständlich.«
Aus Wrens Überzeugung schloss Thea, dass ihre Schwester und die Bibliothekarin sich schon oft über das Thema unterhalten hatten, aber sie unterdrückte ihren Ärger. Es spielte keine Rolle, solange Audra wusste, wie sie ihr helfen konnte. Mit ihrer Anleitung würde Thea die erste sturmbeschwörende Schwertmeisterin der Mittelreiche werden.
Wren zerrte sie bereits ungeduldig durch den Flur. Dann blieb sie abrupt vor einer Tür stehen und klopfte mit den Fingerknöcheln an das Holz.
»Was ist?«, fragte Audra gereizt und riss die Tür auf, bevor ihr Blick auf die beiden Schwestern fiel. »Oh. Ihr seid es.«
»Wir sind bereit, Audra«, platzte Wren heraus. »Thea will lernen …«
»Na, dann steht doch nicht da draußen herum, sondern kommt rein. Schnell.« Audra trat so eilig beiseite, dass ihr graues Kleid um ihre Knöchel raschelte. An der Taille trug sie wie immer ihre zeremoniellen Dolche. »Wurde auch Zeit«, fuhr sie Thea an.
Thea verschränkte defensiv die Arme vor der Brust. »Also habt Ihr es schon die ganze Zeit gewusst.«
Audra schien sich von ihrem vorwurfsvollen Ton nicht beirren zu lassen. »Ich habe es nur vermutet«, antwortete sie ruhig.
»Und Ihr habt es nicht für nötig gehalten, uns diese Vermutung mitzuteilen?«
»Je länger ihr es nicht wusstet, desto länger wart ihr geschützt. Delmira war in seinen letzten Tagen nicht gut angesehen. Und als Wren die Wahrheit herausgefunden hat, habe ich es als ihre Aufgabe betrachtet, dich einzuweihen, nicht meine.«
Wren trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und berührte Thea wieder am Arm. »Thealein, du musst mir verzeihen. Ich habe das für dich getan.«
»Was auch immer dich ruhig schlafen lässt«, spottete Thea.
Audra räusperte sich. »Es wäre einfacher, wenn ihr zusammenarbeiten würdet.«
»Das hättet Ihr ihr sagen sollen, bevor sie mich angelogen hat, bevor sie mich jahrelang mit Alchemie betäubt hat. Und die ganze Zeit über, Wren, hast du mir immer gesagt, ich soll nicht über unsere Eltern nachdenken. Dass es schrecklich von ihnen war, uns hier auszusetzen, obwohl du wusstest, wer sie waren.«
»Na ja, anscheinend waren sie wirklich schrecklich. Und jetzt, da du es weißt, was hast du mit dem Wissen angefangen?«, erwiderte Wren bissig. »Hast du wenigstens etwas über sie gelesen? Fühlst du dich jetzt besser, als Waisenkind von Thezmarr?«
»Ich bin ja jetzt hier, oder nicht? Ich bin bereit zu lernen, bin bereit, meine Magie zu nutzen.«
»Jetzt, da es deinen Zwecken dient«, fauchte Wren.
Thea machte mit geballten Fäusten einen Schritt auf sie zu. Ihre Wut war ein Biest in ihrem Inneren, es tobte in ihr, verlangte, von seinen Ketten befreit zu werden. Und das Schlimmste war: Es war nicht nur auf Wren wütend, sondern auch auf sie selbst. Denn was hatte sie mit dem Wissen angefangen? Sie hatte sich nicht getraut, ihre Familiengeschichte nachzuschlagen, war zu feige gewesen, ihren echten Namen zu suchen, um bloß nicht die Identität zu verlieren, die sie sich so hart erkämpft hatte.
In Hawthornes Hütte hatte ein Buch gelegen: Eine Untersuchung des königlichen Stammbaums in den Mittelreichen … Er hatte es aufgeschlagen gelassen, sie sozusagen mit der Nase darauf gestoßen. Aber Thea hatte es zugeklappt und weggeschoben, hatte sich nicht überwinden können, es zu lesen. Seither hatte sie in seinem Schatten gelebt.
»Schluss jetzt«, sagte Audra so nachdrücklich, dass beide jungen Frauen ihre Aufmerksamkeit sofort auf sie richteten. »Ich bin nicht hier, um schwesterliche Zänkereien zu schlichten. Ich bin hier, weil ihr beide Hilfe braucht. Oder wollt ihr das etwa leugnen?«
Wie als Antwort darauf regte sich Theas Magie unter der Oberfläche, und Schmerz machte sich hinter ihren Augen bemerkbar. Sie schlief schlecht, wurde im Traum von dem Todesdämon im Blutwald verfolgt und von der Vision, die ihre Nahtoderfahrung ihr gezeigt hatte. Diese Vision fiel ihr auch jetzt wieder ein …
Im versengten Hof roch es nach Blut und Heidekraut.
Leichen lagen auf dem Kopfsteinpflaster, Blut sickerte in den Boden, während sich die Räder eines umgekippten Karrens noch drehten und Met aus zerbrochenen Fässern floss …
Finsternis hatte sich über Thezmarr gesenkt, und in ihrem Herzen war ein kleines Mädchen mit kupferfarbenem Haar, nicht älter als sechs, das eine getrocknete Blumenkette und eine kleine Sichel aus naarvischem Stahl an seine hämmernde Brust drückte. Der letzte Rest der onyxfarbenen Macht verließ die Klinge in wirbelnden Schwaden, Bändern von Magie, die von grollendem Donner geschluckt wurden, der ihren Namen zu rufen schien.
Anya.
Das kleine Mädchen, dessen Name in Theas Hinterkopf klingelte wie eine vertraute, schaurige Glocke. So seltsam, was das Ungeheuer ihr gezeigt hatte. Thea erschauderte bei der Erinnerung und zwang sich, an etwas anderes zu denken: sich selbst, wie sie im großen Ritus mit Blitzen um sich schoss, stärker denn je.
Schließlich begegnete sie Audras erwartungsvollem Blick. »Ich will es nicht leugnen.«
Die Bibliothekarin schob sich die Brille auf der Nase hoch und nickte steif. »Gut. Und du, Elwren?«
Wren nickte ebenfalls. »Ich brauche Hilfe«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
Thea musste gegen den Drang ankämpfen, zu ihr zu gehen. Sie hatten immer zusammengesteckt, sie beide gegen den Rest der Welt. Thea konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihre Schwester litt, dass sie Schmerzen aushalten musste, ohne Thea an ihrer Seite zu haben. Aber Wren hatte etwas zwischen ihnen zerbrochen, hatte Thea betrogen, darum rührte sie sich nicht, selbst als Wren eine Träne über die Wange lief.
»Also gut«, begann Audra. »Heute lernen wir etwas über die Geschichte der Sturmbeschwörer, eurer Familie. Beim nächsten Mal gehen wir dann an einen sicheren Ort, wo wir uns eine praktischere Lektion vornehmen können …«
»Können wir nicht heute mit der Praxis anfangen?«, warf Thea ein und überlegte bereits, wie sie die Fähigkeiten bei ihren privaten Kampfübungen einsetzen konnte.
»Nein.«
Zorn flammte in ihr auf. »Was wisst Ihr denn von Sturmmagie?«, fragte Thea.
»Ich bin Bibliothekarin«, konterte Audra. »Ich weiß alles.«
»Da steckt aber noch mehr dahinter«, bemerkte Thea.
Audra schnaubte amüsiert. »Ich nehme an, du weißt nicht, was mein Name bedeutet?«
Thea runzelte die Stirn. »Woher sollte ich das wissen?«
»Der Name Audra wurde an alle Frauen in meiner Familie weitergegeben. Er bedeutet ›Sturm‹.«
Thea bekam Gänsehaut. »Warum? Warum tragt Ihr einen Namen mit dieser Bedeutung?«
Wren starrte Audra nun mit offenem Mund an, worüber Thea eine gewisse Genugtuung empfand. Endlich einmal etwas, was ihre Schwester nicht gewusst hatte.
Audra hob die Nase. »Ich bin eine Nachfahrin der Lehrer, die die delmirische Linie unterrichtet haben.« Die ältere Frau musterte Thea und Wren kritisch, wie um abzuwägen, ob sie würdig waren. »Ich bin die Enkelin der Lehrerin, die euren Eltern die Sturmmagie beigebracht hat.«
Thea stutzte. »Was? Aber Ihr seid …«
»Eine Bibliothekarin?«, ergänzte Audra trocken.
»Eine Kriegerin«, korrigierte Thea. »Wie …«
»Die Einzelheiten sind irrelevant. Was zählt, ist, dass niemand außer mir auch nur den Hauch einer Ahnung davon hat, wie ihr eure Macht heraufbeschwören und kontrollieren könnt.« Sie deutete in eine Zimmerecke, in der Dutzende Bücher in gewagten Stapeln auf einem breiten Tisch lagen. »Unsere Theorie- und Geschichtsstunden können wir hier abhalten.«
Nun sah Thea sich zum ersten Mal richtig um und stellte fest, dass sie gar nicht wusste, wo sie sich befanden. »Und wo sind wir hier?«
Audra seufzte entnervt. »In meinen Privatgemächern. Ich muss euch wohl nicht sagen, dass diese Treffen vertraulich sind. Wollen wir anfangen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, schob sie den Schwestern ein vertraut aussehendes Buch zu. Es war der Wälzer aus Hawthornes Hütte, in den neben eine Liste von Königen ein unordentlicher Stern gekritzelt war. Aber die Liste endete, ohne sich zu den Nachkommen des Herrscherpaars zu verzweigen. Die Linie war ausgestorben, so war es zumindest überliefert.
»Ihr stammt aus einer langen Linie mächtiger Sturmbeschwörer. Eure Eltern, König Soren und Königin Brigh aus der Familie Embervale …«
Theas Magen wurde zu Blei. Sie war keine Zoltaire. Sie wusste nicht einmal, woher der Name gekommen war, hatte nie danach gefragt.
Sie war eine Embervale.
Genau wie Wren.
Elwren Embervale. Althea Embervale … Das klang nicht richtig. Das klang nicht nach ihr.
Audra fuhr fort. »… gehörten zu den mächtigsten Magiern, die es in den Mittelreichen je gab. Man sagt, dass ihre Magie in allen Reichen zu spüren war und auch in fernen Gebieten für schreckliche Stürme gesorgt hat.«
Thea dachte an das Knistern der Blitze an ihren Fingerspitzen, wie sie es heraufbeschworen hatte, um den Todesdämon im Blutwald niederzustrecken, und wie sie damit später auf den Klippen vor den Schwarzen Bergen fast den Himmel gespalten hatte.
War auch ihre Magie an anderen Orten zu spüren gewesen?
»Als Delmira vor dreißig Jahren zu Ruinen zerfiel, wurden König Soren und Königin Brigh dafür verantwortlich gemacht. Sie waren Tyrannen, die die anderen Königreiche unter ihre Herrschaft bringen wollten. Daraufhin wurde ihr eigenes Königreich einige Jahre vor eurer Geburt durch die finsteren Mächte von hinter dem Schleier zerstört. Zuvor hatten die Embervales jedoch den König und die Königin von Naarva mit ihrer Machtgier infiziert, die ihnen dann auch in den Untergang folgten.«
Ein bitterer Geschmack erfüllte Theas Mund. Wie oft hatte sie über ihre Herkunft nachgedacht und sich gefragt, ob sie aus einer Kriegerfamilie stammte. Sie hatte sich vorgestellt, wie ihr Vater kämpfte, wie ihre Mutter ein Schwert schwang … Aber niemals hatte sie etwas so Entsetzliches in Betracht gezogen. Sie war die Tochter von Tyrannen – eine Wahrheit, die zu ihrem lebenslangen Traum, eine Verteidigerin der Mittelreiche zu werden, in so krassem Widerspruch stand.
Audra machte eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen, bevor sie weitersprach: »Es gibt Dinge, die ihr wissen müsst – Gesetze, Protokolle und dergleichen –, bevor ihr irgendwelche Entscheidungen über eure Zukunft trefft.«
»Ich habe recherchiert«, sagte Wren eifrig und strich mit den Händen über den Stammbaum der Embervales in dem Buch vor ihr. »Wenn sich ein Erbe eines gefallenen Königreichs zu erkennen gibt, sind die übrigen Königreiche verpflichtet, ihn beim Wiederaufbau zu unterstützen und ihm zurück auf den Thron zu verhelfen, um das Gleichgewicht in den Mittelreichen wieder herzustellen.«
Thea lief es kalt über den Rücken. »Was?«
Wren fuhr fort und glitt dabei weiter mit den Fingern über die Linie ihrer Herkunft. »Aber vor dem Fall von Delmira gab es keine königliche Verkündigung der Geburt irgendwelcher Erben, keine offiziellen Thronfolger.«
»Zerstörtes Königreich hin oder her, ihr seid Sturmbeschwörerinnen«, erwiderte Audra. »Dass ihr die gebürtigen Erben der Familie Embervale seid, lässt sich nicht leugnen.«
Wren blickte von ihrem Vormund nervös zu Thea. »Dann können wir das Königreich zurückfordern? Thea kann den delmirischen Thron beanspruchen?«
Thea war überzeugt, dass es sich um ein Missverständnis handeln musste. Es war doch ausgeschlossen, dass ihre alchemiebegeisterte Schwester einen so abwegigen Gedanken in Betracht zog? Dafür war Wren zu schlau.
Zu Theas Überraschung reagierte Audra geduldiger als gewöhnlich. »Das Gesetz verlangt zwar, dass die Königreiche den Erben beim Wiederaufbau helfen, aber so einfach ist das nicht. Delmira gilt als der Schandfleck in der Geschichte der Mittelreiche … Und die Kinder von Widersachern werden nicht mit offenen Armen empfangen.«
Nun klingelten Thea die Ohren.
Aber Audra war noch nicht fertig. »Überlegt euch das einmal. Welche jetzigen Herrscher würden ihr Vermögen und ihre begrenzten Ressourcen dafür aufwenden wollen, ein Königreich wieder aufzubauen, das erneut versuchen könnte, sie zu unterwerfen?«
Wren schnaubte frustriert. »Das klingt, als wolltet Ihr uns davon überzeugen, unsere Herkunft geheim zu halten … uns zu verstecken.«
»Das müssen allein die Erben von Delmira entscheiden und niemand sonst. Ich will euch nur davon überzeugen, klug zu handeln«, mahnte Audra.
Wren wandte sich mit glänzenden Augen an Thea, als hätte sie Audras Warnung nicht gehört. »Überleg doch mal, was das bedeuten könnte, Thealein. Stell dir vor, was du alles bewirken könntest … Du könntest die Kriegerinnen nach Thezmarr zurückholen. Oder deine eigene Kriegerinnen-Gilde gründen. Deinen Thron beanspruchen, unser Königreich, und …«
»Welchen Thron? Welches Königreich?« Thea schüttelte ungläubig den Kopf. Ihre Brust war wie zugeschnürt. »Ich habe kein Interesse daran, Erbin eines gefallenen Königreichs zu sein. Ich habe nicht den Wunsch, über ein Gebiet zu regieren, in dem Schwärme von Schattendämonen ihr Unwesen treiben. Ich bin nur hier, weil ich lernen will, meine Magie zu beherrschen, damit ich eine stärkere Schwertmeisterin, eine bessere Beschützerin der Mittelreiche werden kann.«
Ein Schweigen schob sich zwischen sie wie der Riegel einer Tür.
Ein langer Moment verstrich, in dem sich die unnatürliche Stille weiter ausbreitete.
Furcht regte sich in Theas Magengrube. »Was ist?«
»Althea …«, sagte Audra sanft.
Sanft passte nicht zu Audra. Das allein genügte, um Thea so sehr zu erschrecken, dass sie sich von innen auf die Wange biss.
Audra griff auf dem Tisch nach ihrer Hand. »Du kannst nicht Sturmbeschwörerin und Schwertmeisterin zugleich sein.«
Thea wich vor ihrer Berührung zurück und starrte die Bibliothekarin an. »Was?«
»Die Gesetze der Mittelreiche sind in Stein gemeißelt. Eine gebürtige Magierin kann sich nicht dem großen Ritus stellen. So ist es seit Jahrhunderten. Eine Schwertmeisterin darf keine Verbindung zu einem Königreich haben.«
Thea blinzelte langsam. Ihr wurde schlecht. »Das ist …« Aber sie konnte den Satz nicht beenden.
»Du musst dich entscheiden, Thea«, sagte Audra. Jeglicher Anflug von Mitleid war verschwunden. Ihre Stimme klang nun autoritär, gebieterisch.
Thea schüttelte immer noch den Kopf. Ihre Hände zitterten, als sie mit wackeligen Beinen aufstand. »Das kann ich nicht.«
»Du musst.«
Wren strich ihr über den Arm. »Thea, die Magie ist ein Teil von dir. Du kannst nicht verleugnen, wer du bist. Du bist eine Erbin …«
Der vertraute Sturm der Wut wallte in ihr auf, und Thea stieß ihren Stuhl zurück an den Tisch und lief zur Tür. »Ich habe es dir doch gesagt. Ich habe kein Interesse daran, über ein Königreich zu regieren, das aus Ruinen besteht.«
Und damit ging sie. Mehr ertrug sie nicht.
Wilder
Wilder beugte sich mit Malik über einen Tisch in der Bibliothek, zwischen ihnen ein Meer offener Bücher. Sein älterer Bruder blickte aufmerksam auf eine Seite mit Darstellungen von Schrittfolgen und flocht dabei geistesabwesend Lederriemen. Sein Hund Dax lag zusammengerollt zu seinen Füßen.
Wilder beobachtete sie einen Augenblick lang und verspürte einen Stich des Bedauerns. Malik war der Erste gewesen, der seinen Zorn abbekam, nachdem er die Wahrheit über Thea herausgefunden hatte.
»Du wusstest es die ganze Zeit … Du wusstest es, als du ihr vor sechs Jahren den verdammten Dolch gegeben hast«, hatte er geschrien. »Götter, du hast es ihr sogar gesagt, nicht wahr? Was hast du gesagt, als Enovius dich schon fast in seinen Klauen hatte? ›Der Zorn Delmiras ist geduldig, aber nicht zu unterschätzen‹?Und dann hast du mir das verfluchte Buch gegeben. Götter noch mal, Malik.«
Die ganze Zeit über hatte Malik gelächelt, und Wilder war nichts anderes übrig geblieben, als die Sache auf sich beruhen zu lassen. Er würde nie erfahren, woher Malik das Geheimnis der Zoltaire-Schwestern kannte. Er konnte nur darauf vertrauen, dass Mal, wie er selbst, für Thea immer nur das Beste wollte.
Als sein Bruder nun Wilders Blick spürte, schaute er auf und schien sich an etwas zu erinnern. Der sanfte Riese griff in seine Tasche und holte eine zerdrückte Schriftrolle heraus.
Wilder lehnte sich zurück und seufzte. »Öffnest du jetzt auch noch meine Post?«
Malik wirkte kein bisschen schuldbewusst.
Wilder nahm das Pergament, rollte es auf und überflog den Inhalt. Nun war er froh, dass die Nachricht bei Mal und nicht bei sonst jemandem aus der Gilde angekommen war. Das Schreiben stammte von seinem Kontakt in Naarva – Dratos dem Düsteren, wie er sich nannte –, der von Ungeheuer-Sichtungen im gefallenen Königreich berichtete.
Halte sie von der Südinsel fern, stand darin.
Er winkte Malik mit dem Pergament. »Hast du das gelesen?«
Mal antwortete nicht, neigte aber leicht den Kopf, was Wilder als ein Ja deutete.
»Dratos überschätzt meinen Einfluss.«
Malik brummte zustimmend und tippte dann auf eines der Bücher vor Wilder.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte er, knüllte die Nachricht zusammen, warf sie in die Glut im Kamin und sah zu, wie sie in Flammen aufging.
Er ließ den Blick über die unzähligen Bücher auf dem Tisch schweifen. Malik und er erstellten ein Trainingsprogramm für Thea. Bisher hatten sie das Beste aus dem offiziellen Wächter-Lehrplan mit Lektionen aus ihren eigenen Lehrjahren zu einem straffen Stundenplan kombiniert, der Thea bestmöglich auf den großen Ritus vorbereiten sollte.
Inzwischen war es spät geworden. Wilder sammelte die Pergamentbögen ein, an denen sie gearbeitet hatten, und ließ seinen Bruder und Dax am Feuer zurück. Ihm graute vor der Ratssitzung, die in Kürze beginnen sollte. Er hatte solche Sitzungen immer gehasst und meist nach einem Grund gesucht, warum er nicht teilnehmen konnte. In der Mitteilung, die ihm in seiner Hütte zugestellt worden war, hatte jedoch gestanden, dass es sich diesmal um einen Pflichttermin handelte.
Er war in Gedanken so sehr mit dem Bericht beschäftigt, den er zusammenfassen musste, dass er hinter einer Ecke frontal mit jemandem zusammenstieß.
Thea.
»Was fällt dir ein?«, fragte er und steckte die Pergamentbögen in sein Wams. Doch als er Thea ansah, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Statt wie üblich das Kinn zu heben und ihn herausfordernd anzustarren, wich sie seinem Blick aus.
Dann fielen ihm die Schienen an ihren Fingern auf. War sie deswegen so durch den Wind? Hatte eine Heilerin ihr gesagt, dass sie nicht kämpfen durfte, bis alles verheilt war? »Hast du auch deine Rippen untersuchen lassen?«, fragte er.
»Ja.«
Eine Lüge. Wilder erkannte das sofort und verschränkte die Arme vor der Brust. »Versuchen wir’s noch mal. Hast du deine Rippen untersuchen lassen?«
Er konnte buchstäblich hören, wie sie mit den Zähnen knirschte. »Nein.«
Er packte sie am Arm und zog sie in den nächstbesten Raum. Eine ungenutzte Werkstatt. Dann schloss er die Tür und drehte sich zu ihr. »Zeig sie mir.«
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Habe ich je Scherze über deine Gesundheit gemacht?«
Nachdem sie sich einen Moment lang wütend angestarrt hatten, seufzte Thea frustriert, griff nach ihrem Hemd und zog es aus dem Hosenbund, um ihm ihre nackte Seite zu zeigen. »Bitte schön. Zufrieden?«
Wilder legte den Kopf schief, musterte die grün-blauen Flecken und verzog mitfühlend das Gesicht. Dann beugte er sich vor und biss sich auf die Unterlippe, während er ganz leicht über ihre Haut strich.
Bei seiner Berührung schnappte Thea zitternd nach Luft.
Vorsichtig drückte er auf ihre Rippen und beobachtete ihre Reaktion.
»Das ist schon in Ordnung«, murmelte Thea.
»Das kannst du wohl kaum beurteilen.« Er setzte seine Untersuchung fort. Es gab keine Schwellung, aber er suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen für pfeifenden Atem und Schmerz. »Und besonders ehrlich bist du auch nicht gerade.«
Thea errötete, und ihr Gesicht bekam noch mehr Farbe, als seine Hand weiter nach oben wanderte, ihr Brustband hochschob und die Rippen dicht an ihrer Brust betastete.
Das Blut rauschte ihm in den Ohren, aber er bemühte sich, sachlich zu bleiben. »Hast du Husten? Atemnot?«
»Nein«, antwortete sie, obwohl ihnen beiden deutlich bewusst war, dass sie atemlos klang.
»Du musst auf dich aufpassen. Damit du gesund bleibst und ich dich nicht zerstöre, wenn ich dich trainiere.«
Sie machte große Augen. »Mich kann nichts zerstören, Schwertmeister. Erst recht nicht du.«
»Tatsächlich?« Ihre Haut war warm unter seinen Fingern, und an ihrer Seite breitete sich eine Gänsehaut aus.
»Bist du jetzt fertig damit, mich zu begrapschen?«, fauchte sie.
Hawthorne ließ die Hände sinken und trat zurück. Er weigerte sich zu erröten und konnte nur hoffen, dass sie nicht merkte, welche Wirkung sie auf ihn hatte. »Bist du jetzt fertig damit, mich anzulügen?«
Thea antwortete nicht.
Wilder seufzte und deutete auf ihre Rippen. »Sie sind geprellt, nicht gebrochen.«
»Siehst du? Mir geht’s gut.«
Da konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und zwang sie, ihn anzusehen. »Dir geht es nicht gut, Alchemistin. Dir geht es alles andere als gut.«
»Sag du mir nicht, wie es mir geht.«
»Dann lüg du mich nicht an.«
Wieder starrten sie einander an, und keiner von beiden war bereit nachzugeben. Schließlich wandte Thea sich ab, schob ihr Brustband zurecht und steckte sich das Hemd wieder in die Hose.
Aber Wilder ließ nicht locker. »Sag mir, was los ist. Außer …«
Theas Augenbrauen schossen nach oben. »Außer der Sache mit dir?«
»Ja«, sagte er resigniert. »Da ist noch etwas anderes. Das sehe ich dir an.«
Thea schien unentschlossen, ob sie abhauen oder mit ihm diskutieren sollte, aber letztendlich hob sie ergeben die Hände. »Ich habe keine Zeit zu streiten oder so zu tun, als wäre es mir egal«, fauchte sie. »Zweieinhalb Jahre, mehr kriege ich nicht. Und jetzt muss ich mich entscheiden.«
Wilder runzelte die Stirn und ignorierte den Hinweis auf den Schicksalsstein, der, wie er wusste, zwischen ihren Brüsten hing. »Dich entscheiden?«
Thea begann, aufgeregt im Raum auf und ab zu gehen. »Audra sagt, dass ich nicht Sturmbeschwörerin und Schwertmeisterin zugleich sein kann. Dass ich mich entscheiden muss. Sie sagt, die Gesetze wären in Stein gemeißelt …«
»Seit wann scherst du dich um Gesetze?«, fragte Wilder.
»Seit ich herausgefunden habe, dass ich Erbin eines Königreichs bin, verdammt noch mal«, gab Thea zurück, wobei sie weiter hin und her lief. »Seit ich Lehrling eines Schwertmeisters geworden bin, der sich nicht darum kümmert, mich zu trainieren. Seit ich erfahren habe, dass wieder einmal die Gesetze von Männern bestimmen können, wer und was ich bin in der begrenzten Zeit, die mir in diesen Reichen noch bleibt.« Die Worte sprudelten aus ihr heraus, und erst dann sah sie ihm wieder in die Augen, und er erkannte, was in Wahrheit hinter ihrem Gefühlsausbruch steckte: Angst und Hoffnungslosigkeit.
Er ging nicht zu ihr. Er berührte sie nicht. Stattdessen griff er in sein Wams und holte das Trainingsprogramm heraus, das er zusammengestellt hatte, und reichte es ihr.
»Du hast dich noch nie von Gesetzen abschrecken lassen«, sagte er ruhig. »Wenn du neben deinem Kampftraining auch deine Sturmmagie meisterst, wer zum Henker soll dich aufhalten?«
Er drückte Thea die Bögen in die Hand, während sie ihn erstaunt ansah.
»Hol deine Sachen«, sagte er. »Und mach dich auf etwas gefasst. Morgen haben wir einiges vor.«
