Wächter der Tiefe - Lincoln Child - E-Book
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Wächter der Tiefe E-Book

Lincoln Child

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Beschreibung

Ein atemberaubender Unterwasser-Thriller! 12.000 Fuß unter der Meeresoberfläche Als Marinearzt Peter Crane auf die Bohrinsel «Deep Storm» beordert wird, erwartet ihn eine Überraschung: Die Plattform dient als Tarnung für ein geheimes Forschungslabor. Man vermutet, am Meeresgrund auf Überreste von Atlantis gestoßen zu sein. Plötzlich erkranken Tag für Tag Besatzungsmitglieder. Angst breitet sich aus. Haben die Krankheitsfälle etwas mit dem Fund zu tun? Die Wissenschaftler warnen, die Gier des Militärs wächst. Und keiner weiß, welche Gefahr in der Tiefe lauert … «Ein überraschendes Setting, bester Thriller-Stil und obendrein noch ein Grundkurs in Geologie.» (Brigitte extra)

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Lincoln Child

Wächter der Tiefe

Thriller

 

 

Aus dem Englischen von Axel Merz

 

Über dieses Buch

Ein atemberaubender Unterwasser-Thriller!

 

12.000 Fuß unter der Meeresoberfläche

 

Als Marinearzt Peter Crane auf die Bohrinsel «Deep Storm» beordert wird, erwartet ihn eine Überraschung: Die Plattform dient als Tarnung für ein geheimes Forschungslabor. Man vermutet, am Meeresgrund auf Überreste von Atlantis gestoßen zu sein.

 

Plötzlich erkranken Tag für Tag Besatzungsmitglieder. Angst breitet sich aus. Haben die Krankheitsfälle etwas mit dem Fund zu tun? Die Wissenschaftler warnen, die Gier des Militärs wächst. Und keiner weiß, welche Gefahr in der Tiefe lauert …

 

«Ein überraschendes Setting, bester Thriller-Stil und obendrein noch ein Grundkurs in Geologie.» (Brigitte extra)

Vita

Lincoln Child studierte Literatur und arbeitete viele Jahre als Lektor bei St. Martin’s Press. Gemeinsam mit seinem Freund Douglas Preston schrieb er mehrere Romane, die ein Millionenpublikum begeisterten. Auch mit seinen Soloprojekten «Wächter der Tiefe», «Nullpunkt», «Hüter des Todes» und «Frequenz» feierte Child große Erfolge. Er lebt mit Frau und Tochter in New Jersey.

Für Luchie

Prolog

Ölplattform Storm King Vor der Küste Grönlands

Man muss schon eine ganz bestimmte Art Mann sein, um auf einer Bohrinsel zu arbeiten, dachte Kevin Lindengood. Eine ganz bestimmte, neurotische Art Mann.

Kevin saß finster vor seiner Konsole im Bohrkontrollzentrum. Draußen, hinter den Sicherheitsfenstern, toste der Nordatlantik, ein Blizzard aus Schwarz und Weiß. Gischt jagte schäumend über das aufgewühlte Wasser, wütend.

Doch der Nordatlantik schien immer wütend zu sein. Die riesige Ölplattform Storm King ragte mehr als dreihundert Meter über die Oberfläche – aber die schiere Weite des Ozeans ließ sie winzig erscheinen, wie ein Kinderspielzeug, das jeden Moment vom Wind davongeweht werden konnte.

«Status des Molchs?», fragte John Wherry, der technische Manager der Bohrinsel.

Lindengood warf einen flüchtigen Blick auf seine Konsole. «Einundsiebzig negativ und steigend.»

«Status der Rohre?»

«Sämtliche Parameter im normalen Bereich. Sieht alles gut aus.»

Sein Blick glitt einmal mehr zu den schwarzen, tropfnassen Fenstern. Storm King war die nördlichste Bohrinsel im Maury Oil Field. Irgendwo da draußen, sechzig Kilometer nördlich vielleicht, war Land – oder das, was man in dieser Gegend noch als Land bezeichnen konnte: Angmagssalik – Grönland. Auch wenn es an einem Tag wie diesem schwer fiel zu glauben, dass es auf der Oberfläche des Planeten irgendetwas anderes gab außer Wasser.

Ja, verdammt. Man musste schon eine neurotische Ader haben, um auf einer Bohrplattform zu arbeiten (und es waren ausnahmslos Männer, leider – die einzigen Frauen, die sich je blicken ließen, waren PR-Tussis der Firma oder Psychotanten, die mit dem Helikopter hergebracht wurden, um sicherzustellen, dass sich jeder gut eingelebt hatte, und so schnell wie möglich wieder verschwanden). Jeder Mann an Bord hatte seine eigene unverarbeitete Geschichte, seinen persönlichen Spleen oder seine liebevoll gehegte Neurose. Was sonst trieb einen Menschen dazu, in einer Metallschachtel zu arbeiten, die auf stählernen Zahnstochern über einem schäumenden, eisigen Meer balancierte? Ohne die geringste Chance, rechtzeitig zu erfahren, wann ein Monstersturm aufkommen und alles ins Nichts schleudern würde? Alle behaupteten, es wäre die gute Bezahlung, doch es gab reichlich Jobs an Land, die fast genauso gut bezahlt wurden. Nein. In Wahrheit kam hierher, wer vor etwas flüchten oder – beängstigender noch – sich in etwas flüchten wollte.

Die Konsole vor ihm gab einen leisen Summton von sich. «Der Molch ist fertig mit Nummer zwei.»

«Verstanden», sagte Wherry.

An der Konsole neben Lindengood knackte Fred Hicks mit den Fingerknöcheln, dann umfasste er den Joystick vor sich. «Positioniere Molch über Bohrloch Nummer drei.»

Lindengood sah ihn an. Hicks, der diensttuende Prozesstechniker, war ein perfektes Beispiel. Hicks hatte einen I-Pod der ersten Generation, auf dem nichts außer Beethovens zweiunddreißig Klaviersonaten gespeichert war. Er spielte sie ununterbrochen, Tag und Nacht, im Dienst und auf Freiwache, wieder und wieder und wieder. Und er summte dazu, unablässig. Lindengood hatte jede einzelne gehört, kannte sie alle auswendig, genau wie jeder andere an Bord von Storm King – einzig und allein durch Hicks’ leises Gesumme.

Es war nichts, das in einem Zuhörer Interesse an Musik hätte wecken können. Ganz und gar nicht.

«Molch in Position über Nummer drei», meldete Hicks. Er justierte seine Ohrstöpsel und summte weiter. Die Waldstein-Sonate.

«Dann runter damit», ordnete Wherry an.

«Roger.» Lindengood wandte sich seiner Konsole zu.

Sie waren nur zu dritt hier im Bohrkontrollzentrum. Tatsächlich wirkte die gesamte gigantische Bohrinsel an diesem Morgen wie eine Geisterstadt. Die Pumpen schwiegen, die Mechaniker, die Bohrer, die Männer der Turmbesatzung und die Arbeiter lümmelten sich in ihren Quartieren, sahen in der Messe Satellitenfernsehen oder spielten Flipper oder Tischtennis. Es war der letzte Tag des Monats, und das bedeutete, dass der gesamte Betrieb angehalten werden musste, um elektromagnetische Molche nach unten zu schicken und die Bohrlöcher zu reinigen.

Alle zehn Bohrlöcher.

Zehn Minuten vergingen, dann zwanzig. Hicks’ Summen änderte sein Tempo, erlangte eine nasale Dringlichkeit – unüberhörbar war Waldstein zu Ende, und das Hammerklavier hatte angefangen.

Während Lindengood seinen Schirm im Auge behielt, überschlug er im Kopf: Bis zum Meeresgrund waren es mehr als dreitausend Meter. Weitere dreihundert, mindestens, bis zum Ölfeld. Dreiunddreißig Kilometer Rohrleitungen zu reinigen. Als Produktionstechniker war es seine Aufgabe, den Molch unter den aufmerksamen Blicken des Chefs durch die Leitungen auf und ab zu schicken.

Das Leben war wunderbar.

Wie auf ein Stichwort hin meldete sich Wherry. «Status des Molchs?»

«Zweitausendsechshundert Meter und tiefer.» Sobald der Molch am Grund von Rohr Nummer drei angekommen war – der tiefsten ihrer Bohrungen –, würde er innehalten, bevor er wieder nach oben kroch und der langsame, langwierige Prozess des Reinigens und Inspizierens begann.

Lindengood warf Wherry einen Seitenblick zu. Der Manager der Offshore-Anlage war ein weiterer Beweis für seine Theorie: Der Kerl musste in der Schule ein paar Mal zu oft Prügel bezogen haben, denn er hatte ein ernstes Problem mit Autorität. Normalerweise waren die Chiefs unauffällig und zurückhaltend. Sie wussten, dass das Leben auf der Plattform kein Zuckerschlecken war, und taten, was in ihrer Macht stand, um es ihren Männern leichter zu machen. Wherry hingegen war ein echter Captain Bligh. Nie war er zufrieden mit ihrer Arbeit, ständig bellte er den Arbeitern und Juniortechnikern Befehle zu, und bei jedem noch so nichtigen Anlass machte er einen Vermerk. Fehlten nur noch ein Offiziersstöckchen und ein …

Unvermittelt fing Hicks’ Konsole an zu piepen. Lindengood sah gleichgültig hinüber, doch Hicks beugte sich vor und las die Messwerte von seinen Instrumenten ab.

«Es gibt ein Problem mit dem Molch», sagte er, nahm die Kopfhörer ab und runzelte die Stirn. «Er hat sich abgeschaltet.»

«Was?» Wherry kam zu ihm und starrte auf den Bildschirm. «Eine Hochdruckentladung?»

«Nein. Das Feedback ist völlig verstümmelt. So was hab ich noch nie gesehen.»

«Reset», befahl Wherry.

«Verstanden.» Hicks betätigte ein paar Tasten auf seiner Konsole. «Da haben wir’s. Wieder abgeschaltet.»

«Wieder? So schnell? Scheiße.» Abrupt drehte sich Wherry zu Lindengood um. «Unterbrechen Sie die Stromzufuhr zu den Elektromagneten und führen Sie einen Systemcheck durch.»

Lindengood gehorchte seufzend. Sie hatten noch sieben Bohrleitungen vor sich, und wenn der Molch jetzt schon Schwierigkeiten machte, würde Wherry wahrscheinlich einen Anfall kriegen …

Lindengood erstarrte. Das konnte nicht sein. Das war unmöglich!

Ohne den Blick vom Schirm zu nehmen, streckte er die Hand aus und zupfte Wherry am Ärmel. «John.»

«Was denn?»

«Sehen Sie sich das an. Die Sensoren.»

Der Manager trat hinter Lindengood und betrachtete die Sensordaten. «Was, zur Hölle …? Habe ich nicht gesagt, dass Sie die Elektromagneten abschalten sollen?»

«Das habe ich. Sie sind abgeschaltet.»

«Was?»

«Sehen Sie doch», sagte Lindengood. Sein Mund war ganz trocken geworden, und in seiner Magengrube breitete sich ein eigenartiges Gefühl aus.

Der Manager starrte auf die Kontrollen. «Was ist dann verantwortlich für diese …»

Unvermittelt verstummte er. Dann richtete er sich auf, ganz langsam, während sein Gesicht im Licht des Bildschirms blass wurde. «O mein Gott …»

Zwanzig Monate später

1

Sieht aus wie ein Storch, dachte Peter Crane. Ein riesiger weißer Storch, der auf lächerlich dünnen Beinen im Meer steht. Doch als der Hubschrauber näher herankam und die Silhouette vor dem Horizont deutlicher wurde, verflog die Ähnlichkeit. Die Beine wurden stämmiger, wurden zu röhrenförmigen Pylonen aus Stahl und Spannbeton. Der Rumpf verwandelte sich in eine Plattform aus zahlreichen Ebenen, überragt von Schornsteinen zum Abfackeln und von Turbinen zur Stromerzeugung, übersät mit Trägern und Gerüsten. Das dünne, halsähnliche Objekt darüber verwandelte sich in einen komplizierten Bohrturm, der mehrere Dutzend Meter über die Plattform aufragte.

Der Pilot deutete auf die näher kommende Bohrinsel und hob zwei Finger. Crane nickte wortlos.

Es war ein strahlender, wolkenloser Tag, und Peter Crane blinzelte gegen den hellen Ozean, der sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte. Die Reise hierher war umständlich und ermüdend gewesen: ein Linienflug von Miami nach New York, eine privat gecharterte Gulfstream G150 von New York nach Reykjavik und von dort aus mit dem Hubschrauber hierher. Doch die Müdigkeit hatte seine große – und wachsende – Neugier nicht dämpfen können.

Ihn überraschte nicht sosehr die Tatsache, dass sich Amalgamated Shale für seine besonderen Kenntnisse interessierte, das verstand er. Ihn überraschte vielmehr die überstürzte Eile, zu der sie ihn angetrieben hatten. Er hatte buchstäblich alles stehen und liegen lassen und war hier heraus nach Storm King gekommen. Obendrein war noch recht merkwürdig gewesen, dass es auf Island im örtlichen Hauptquartier von AmShale anstatt der üblichen Ölarbeiter und Raubeine vor Technikern und Ingenieuren gewimmelt hatte.

Und noch etwas: Der Hubschrauberpilot war kein Angestellter von AmShale. Er trug eine Navy-Uniform – und eine Schusswaffe.

Als der Helikopter in einer scharfen Kurve die Plattform umrundete und Kurs auf die Landezone nahm, wurde Crane zum ersten Mal bewusst, wie gigantisch die Bohrinsel war. Die Plattformkonstruktion allein hatte sicherlich acht Stockwerke. Das Oberdeck war übersät mit einem wilden Gewirr modularer Aufbauten. Überall waren Männer in gelben Sicherheitsmonturen, die Verbindungen überprüften und die Pumpausrüstung bedienten. Neben den Maschinen, die sie umgaben, sahen sie aus wie Zwerge. Tief unten brandete das Meer schäumend gegen die Säulen der Tragekonstruktion, die Tausende von Metern in die Tiefe reichten.

Der Hubschrauber wurde langsamer, drehte sich und landete mitten in dem auf der Landeplattform aufgemalten grünen Sechseck. Crane griff nach hinten, wo sein Gepäck verstaut war, als er jemanden bemerkte, der ihn offensichtlich erwartete. Am Rand der Landeplattform stand eine große, dünne Frau in einer Regenmontur. Crane dankte dem Piloten, öffnete die Passagiertür, duckte sich instinktiv unter den wirbelnden Rotorblättern und trat hinaus in die belebende Luft.

Die Frau streckte ihm die Hand entgegen. «Dr. Crane?»

Crane ergriff ihre Hand und schüttelte sie. «Hallo.»

«Hier entlang, bitte.» Sie führte Crane eine kurze Treppe hinunter und über einen langen Steg zu einer geschlossenen Luke, die an die Luke eines U-Boots erinnerte. Sie stellte sich ihm nicht vor.

Ein uniformierter und bewaffneter Matrose bewachte den Durchgang. Er nickte der Frau zu, öffnete die Luke und ließ sie passieren, dann schloss er sie sogleich wieder.

Vor ihnen lag ein hellerleuchteter Korridor, zu beiden Seiten von offenen Türen gesäumt. Es gab kein hektisches Summen von Turbinen, kein dumpfes Pochen von Bohrmaschinen. Der Geruch nach Öl hing zwar in der Luft, doch er war schwach, beinahe so, als hätte man sich bemüht, ihn zu entfernen.

Crane folgte der Frau weiter, die Taschen über der Schulter, während er neugierige Blicke in die Räume warf, an denen sie vorüberkamen. Es waren Labors, ausgestattet mit Abzugshauben, Arbeitsflächen, Tafeln sowie Computerterminals und Funkanlagen. Oben war es vergleichsweise ruhig gewesen; hier jedoch herrschte rege Aktivität.

Crane beschloss, dass es an der Zeit war, ein paar Fragen zu stellen: «Sind die Taucher in einer Druckkammer? Kann ich sie jetzt sehen?»

«Hier entlang, bitte», wiederholte die Frau, ohne auf Cranes Fragen zu reagieren.

Sie bogen um eine Ecke, stiegen eine Treppe hinunter und erreichten einen weiteren Korridor, breiter und länger als der erste. Auch die Räume, die sie nun passierten, waren größer : Werkstätten und Lagerhallen für Cranes unbekannte Hightech-Ausrüstung. Er runzelte die Stirn. Storm King mochte äußerlich aussehen wie eine Ölplattform, doch es war offensichtlich, dass hier schon längst kein Rohöl mehr gefördert wurde.

Was zur Hölle ging hier vor?

«Sind bereits Gefäßspezialisten oder Lungenfachleute von Island eingeflogen worden?», fragte er.

Die Frau antwortete immer noch nicht. Crane zuckte die Schultern. Er hatte so eine weite Reise hinter sich – da konnte er auch noch ein paar Minuten länger warten.

Vor einer geschlossenen grauen Metalltür blieb die Frau stehen. «Mr Lassiter erwartet Sie.»

Lassiter? Diesen Namen kannte er nicht. Die Person, mit der er am Telefon gesprochen und die ihn über die Probleme auf der Plattform informiert hatte, hieß Simon. Er warf einen Blick zur Tür. Dort hing ein Namensschild mit weißen Buchstaben auf schwarzem Plastik. E. LASSITER stand dort, VERBINDUNGSOFFIZIER.

Crane wandte sich zu der Frau in der Ölmontur um, doch sie war bereits auf dem Rückweg. Er schüttelte den Kopf und klopfte an.

«Herein!», forderte ihn eine scharfe Stimme von drinnen auf.

Lassiter war ein großer, dünner Mann mit militärisch kurzgeschnittenem blondem Haar. Bei Cranes Eintreten erhob er sich, kam um den Schreibtisch herum und schüttelte ihm die Hand. Er trug zwar Zivilkleidung, doch seinen Manieren und seinem Aussehen nach zu urteilen, hätte er auch ein Militär sein können. Das Büro war klein und schien genauso effizient zu sein wie sein Besitzer. Der Schreibtisch war leer; ein einzelner brauner Umschlag aus Manilapapier lag verschlossen darauf, daneben ein kleines digitales Diktiergerät.

«Sie können Ihre Sachen dort abstellen», sagte Lassiter und deutete auf eine Ecke des Raums. «Bitte nehmen Sie doch Platz.»

«Danke sehr.» Crane nahm den angebotenen Stuhl. «Ich brenne darauf zu erfahren, um was für einen Notfall genau es sich handelt. Meine Eskorte hierher hatte zu diesem Thema nicht viel zu sagen.»

«Genauso wenig wie ich», sagte Lassiter. Sein Grinsen verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. «Meine Aufgabe besteht darin, Ihnen einige Fragen zu stellen, weiter nichts.»

Crane schluckte. Diese Neuigkeit musste er erst mal verdauen. «Schön, dann schießen Sie los», sagte er nach kurzem Zögern.

Lassiter drückte einen Knopf auf dem Diktiergerät. «Dieses Gespräch wird am zweiten Juni aufgezeichnet. Anwesend sind ich selbst, Edward Lassiter, sowie Dr. Peter Crane. Das Gespräch findet statt in der Station für Wartung und Reparaturen.» Lassiter warf einen Blick über den Schreibtisch hinweg auf Crane. «Dr. Crane, sind Sie sich darüber im Klaren, dass die Dauer Ihrer Abordnung hierher nicht von vornherein auf einen bestimmten Zeitraum befristet werden kann?»

«Ja.»

«Sie wissen, dass Sie nichts von dem, was Sie hier hören oder sehen, nach außen tragen dürfen? Und dass Sie zum Schweigen verpflichtet sind, was Ihre Tätigkeiten hier in der Einrichtung angeht?»

«Ja.»

«Sie sind bereit, eine diesbezügliche schriftliche Erklärung zu unterzeichnen?»

«Ja.»

«Wurden Sie je verhaftet?»

«Nein.»

«Sind Sie in den Vereinigten Staaten geboren, oder wurden Sie eingebürgert?»

«Ich wurde in New York City geboren.»

«Nehmen Sie Medikamente gegen irgendein chronisches Leiden?»

«Nein.»

«Betreiben Sie regelmäßig Alkohol- oder Drogenmissbrauch?»

Crane hatte die Fragen mit wachsender Überraschung beantwortet. «Solange ein gelegentlicher Sechserpack Bier am Wochenende nicht als Missbrauch gilt – nein.»

Lassiter lächelte nicht. «Leiden Sie unter Klaustrophobie, Dr. Crane?»

«Nein.»

Lassiter unterbrach die Aufnahme. Er nahm den Manilaumschlag vom Schreibtisch, riss ihn mit einem Finger auf und zog ein halbes Dutzend Blätter hervor, die er Crane über den Schreibtisch hinweg zuschob. «Wenn Sie das hier bitte lesen und unterschreiben würden», sagte er, zog einen Stift aus der Tasche und legte ihn neben die Blätter.

Crane nahm die Papiere zur Hand und begann zu lesen. Seine Überraschung verwandelte sich langsam, aber sicher in Unglauben. Es handelte sich um drei unterschiedliche Verschwiegenheitserklärungen, ein Official Secrets Act Affidavit sowie etwas, das mit «Verbindliche Kooperations-Erklärung» betitelt war – ausnahmslos regierungsamtliche Dokumente der Vereinigten Staaten, die ausnahmslos seine Unterschrift erforderten und ausnahmslos mit den schwerwiegendsten Konsequenzen drohten, sollte er eine der darin enthaltenen Vereinbarungen brechen.

Crane legte die Dokumente nieder. Er spürte Lassiters Blick auf sich ruhen, doch was zu viel war, war zu viel. Vielleicht sollte er Lassiter an diesem Punkt höflich danken, sich entschuldigen und nach Florida zurückkehren.

Doch wie genau sollte er das anstellen? AmShale hatte eine Menge Geld bezahlt, um ihn hierherzubringen. Der Helikopter war längst wieder gestartet. Zu Hause erwarteten ihn zwei verschiedene Forschungsprojekte, zwischen denen er sich nicht recht entscheiden konnte. Abgesehen davon entsprach es einfach nicht seinem Charakter, eine Herausforderung auszuschlagen, insbesondere eine, die so mysteriös war wie diese hier.

Entschlossen nahm er den Stift zur Hand und unterschrieb jedes der Dokumente, ohne einen weiteren Blick auf den Inhalt zu werfen.

«Danke sehr», sagte Lassiter. Er stellte den Recorder wieder an. «Ich gebe hiermit zu Protokoll, dass Dr. Crane die erforderlichen Dokumente unterzeichnet hat.» Er schaltete den Rekorder aus und erhob sich. «Wenn Sie mir nun bitte folgen würden, Doktor, denke ich, dass Sie all Ihre Antworten erhalten.»

Er führte Crane durch das Büro und eine labyrinthähnliche Verwaltungsebene zu einem Aufzug. Sie fuhren nach oben und kamen in einer Bibliothek heraus, die mit Büchern, Zeitschriften und Computerplätzen ausgestattet war. Lassiter deutete auf einen Tisch am anderen Ende des Raums, auf dem nichts außer einem Bildschirm stand. «Ich hole Sie wieder ab», sagte er, dann wandte er sich um und verließ die Bibliothek.

Crane ließ sich an dem zugewiesenen Platz nieder. Außer ihm war niemand in der Bibliothek, und er fragte sich, was wohl als Nächstes passieren würde, als mit einem Mal der Bildschirm vor ihm hell wurde. Das Gesicht eines grauhaarigen, tiefgebräunten Mannes Ende sechzig erschien. Irgendeine Art Einführungsvideo, dachte Crane. Doch als der Mann aufblickte und ihn direkt anlächelte, wurde ihm klar, dass er nicht einfach auf einen Computermonitor blickte, sondern an einer Bildsprechanlage saß, in deren oberen Rahmen eine winzige Kamera eingebaut war.

«Hallo, Dr. Crane», sagte der Mann. Er lächelte, und sein freundliches Gesicht legte sich in eine Vielzahl von Falten. «Mein Name ist Howard Asher.»

«Freut mich, Sie kennenzulernen», sagte Crane artig in Richtung Kamera.

«Ich bin der Wissenschaftliche Leiter der NOA, der National Oceanic Agency. Kennen Sie unsere Behörde?»

«Ist die NOA nicht der Teil der National Oceanographic Division, die für die Verwaltung der Meere zuständig ist?»

«Das ist richtig, Dr. Crane.»

«Ich bin ein wenig verwirrt, Dr. Asher – Doktor ist richtig, nehme ich an?»

«Selbstverständlich. Aber nennen Sie mich doch bitte Howard.»

«Wie Sie wünschen, Howard. Was hat die NOA mit einer Ölbohrinsel zu tun? Und wo ist Mr Simon, mit dem ich am Telefon gesprochen habe? Der meinen Flug hierher arrangiert hat und alles? Er hat gesagt, er würde mich hier in Empfang nehmen.»

«Offen gestanden, Dr. Crane, es gibt keinen Mr Simon. Dafür haben Sie mich. Ich werde Ihnen so weit wie möglich Rede und Antwort stehen.»

Crane runzelte die Stirn. «Man hat mir gesagt, es gäbe medizinische Probleme mit den Tauchern, die für die Unterwasser-Versorgung der Insel verantwortlich sind. War das ebenfalls ein Vorwand?»

«Nur zum Teil, Doktor. Selbstverständlich gab es Vorwände, eine ganze Menge sogar, und das tut mir aufrichtig leid. Doch sie waren notwendig. Wir mussten ganz sicher sein. Verstehen Sie, Geheimhaltung ist bei diesem Projekt von allergrößter Bedeutung. Denn, Peter – darf ich Sie Peter nennen –, wir haben es hier mit der wissenschaftlichen und historischen Entdeckung des Jahrhunderts zu tun.»

«Des Jahrhunderts?», wiederholte Crane, außerstande, seinen Unglauben zu verbergen.

«Ihre Skepsis ist angebracht. Doch das ist diesmal keine Täuschung, Peter. Im Gegenteil. ‹Entdeckung des Jahrhunderts› ist vermutlich nicht ganz zutreffend.»

«Dachte ich mir», murmelte Crane.

«Ich hätte besser ‹größte Entdeckung aller Zeiten› sagen sollen.»

2

Crane starrte das Gesicht auf dem Bildschirm an.Dr. Asher lächelte auf eine freundliche, beinahe väterliche Weise – doch in diesem Lächeln deutete nichts auf einen Witz hin.

«Ich durfte Ihnen die Wahrheit vorher nicht sagen. Nicht, bevor wir Sie nicht vollständig durchleuchtet hatten. Dies ist geschehen, während Sie hierher unterwegs waren. Und trotzdem kann ich Ihnen immer noch nicht viel mehr erzählen als das, was Sie bereits wissen.»

Crane blickte über die Schulter. Die Bibliothek war leer. «Warum nicht? Ist die Verbindung etwa nicht abhörsicher?»

«Oh, keine Sorge, das ist sie. Trotzdem. Wir müssen zuerst sichergehen, dass Sie voll und ganz hinter dem Projekt stehen.»

Crane wartete schweigend ab.

«Auch das Wenige, was ich Ihnen sagen kann, ist selbstverständlich streng geheim. Auch wenn Sie unser Angebot ablehnen, sind Sie nach wie vor durch die Vertraulichkeitserklärungen gebunden, die Sie unterzeichnet haben.»

«Ich verstehe», sagte Crane.

«Sehr gut.» Asher zögerte. «Peter, unter der Plattform, auf der Sie sich gegenwärtig befinden, liegt etwas, das größer ist als ein Ölfeld. Sehr viel größer.»

«Und das wäre?», fragte Crane automatisch.

Asher lächelte geheimnisvoll. «Die Bohrleute haben vor beinahe zwei Jahren etwas entdeckt. Etwas so Phantastisches, dass die Ölförderung über Nacht eingestellt wurde, um von der Plattform aus einer neuen und hochgeheimen Mission nachzugehen.»

«Lassen Sie mich raten. Sie dürfen mir nicht sagen, um was es sich dabei handelt.»

Asher lachte. «Noch nicht. Doch es ist ein so bedeutender Fund, dass die Regierung buchstäblich keine Kosten und Mühen scheut, ihn zurückzugewinnen.»

«Zurückzugewinnen?»

«Er liegt auf dem Meeresgrund begraben, direkt unter dieser Plattform. Ich habe es die größte Entdeckung aller Zeiten genannt: Was wir hier im Prinzip vorliegen haben, ist eine Grabungsstätte. Eine archäologische Grabungsstätte von nie da gewesenem Ausmaß. Und wir stehen, im wahrsten Sinne des Wortes, im Begriff, Geschichte zu machen.»

«Warum dann all die Heimlichtuerei?»

«Weil es augenblicklich eine Top-Schlagzeile auf jedem Titelblatt der Welt werden würde, wenn irgendjemand Wind von unserem Fund bekäme. Innerhalb von Stunden würde hier der Ausnahmezustand herrschen. Ein halbes Dutzend Regierungen würde die Souveränität über die Stelle für sich beanspruchen, und wir müssten uns mit den Politikern, den Medien und den Neugierigen auseinandersetzen. Die Entdeckung ist einfach zu wichtig, um auf diese Weise in Gefahr gebracht zu werden.»

Crane lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und dachte nach. Diese ganze Reise wurde von Minute zu Minute surrealer. Die überstürzte Abreise, die stillgelegte Ölplattform, die Heimlichtuerei … und nun dieser Mann vor ihm auf dem Bildschirm, der von einer unvorstellbar wichtigen Entdeckung redete.

«Ich bin vielleicht altmodisch», sagte Crane, «aber ich würde mich ein ganzes Stück besser fühlen, wenn Sie sich die Zeit nähmen, persönlich mit mir zu reden. Von Angesicht zu Angesicht.»

«Unglücklicherweise ist das nicht so einfach, Peter», sagte Asher. «Entschließen Sie sich, dieses Projekt zu unterstützen, und Sie werden mich schon sehr bald persönlich kennenlernen.»

«Ich verstehe nicht. Warum genau ist ein Treffen denn so schwierig?»

Asher kicherte einmal mehr. «Weil ich im Augenblick mehrere tausend Meter unter Ihnen bin, Peter.»

Crane starrte auf den Bildschirm. «Sie meinen …?»

«Genau. Storm King dient uns lediglich als Versorgungsbasis, mehr nicht. Die eigentliche Arbeit findet viel tiefer unten statt. Deswegen unterhalte ich mich über dieses Bildtelefon mit Ihnen.»

Crane brauchte ein paar Sekunden, um die Antwort zu verdauen. «Was gibt es denn dort unten?», fragte er leise.

«Stellen Sie sich eine große Forschungsstation vor, zwölf Stockwerke hoch, voll mit ultramoderner Technik und Ausrüstung, besser als alles, was Sie kaufen können – und all das am Meeresboden. Das ist die ERF – das Herz und die Seele der außergewöhnlichsten archäologischen Unternehmung aller Zeiten.»

«ERF?»

«Exploratory and Recovery Facility, Einrichtung zur Erforschung und Bergung. Das Militär – Sie wissen ja, wie gerne die mit Schlagwörtern um sich werfen – hat die Anlage auf den klingenden Namen ‹Deep Storm› getauft.»

«Die Anwesenheit des Militärs ist mir nicht entgangen. Wozu sind die Soldaten notwendig?»

«Ich könnte antworten: weil die ERF Eigentum der Regierung ist und weil die NOA eine Regierungsbehörde ist, und es wäre nicht gelogen. Doch der wahre Grund ist ein anderer. Viel von der Technologie, die wir für die Bergung einsetzen, ist als streng geheim eingestuft.»

«Was ist mit den Männern, die ich oben gesehen habe? Die an den Bohranlagen arbeiten?»

«Bloßer Schein, jedenfalls größtenteils. Wir müssen nach außen hin schließlich den Eindruck einer funktionierenden Bohrinsel erwecken.»

«Und AmShale?»

«AmShale wurde außerordentlich gut dafür bezahlt, dass sie uns die Bohrinsel überlassen. Sie spielen für uns die Tarnfirma und stellen keine Fragen.»

Crane rutschte auf seinem Stuhl hin und her. «Diese Einrichtung, die Sie erwähnt haben, diese ERF – dort werde ich untergebracht?»

«Genau. Sämtliche Wissenschaftler und Ingenieure wohnen und arbeiten dort. Ich weiß, dass Sie viel Zeit in unterseeischen Anlagen verbracht haben, Peter, und ich denke, Sie werden angenehm überrascht sein. Erstaunt trifft es wahrscheinlich noch eher. Sie müssen diese Anlage sehen, um es zu glauben … die ERF ist ein Wunder der Unterseetechnologie.»

«Aber warum muss am Meeresgrund gearbeitet werden? Warum kann die Operation nicht von der Oberfläche aus durchgeführt werden?»

«Die, äh, Überreste liegen für die meisten Unterseeroboter zu tief. Abgesehen davon ist die Ausbeute pro Tauchgang ganz erbärmlich. Glauben Sie mir, sobald Sie erst voll und ganz informiert sind, ergibt alles einen Sinn.»

Crane nickte langsam. «Ich schätze, damit bleibt nur noch eine Frage. Warum ausgerechnet ich?»

«Bitte, Dr. Crane. Sie sind zu bescheiden. Sie sind Militärarzt gewesen, Sie haben an Bord von Atom-U-Booten und Flugzeugträgern gedient. Sie wissen, wie es ist, in beengten Räumen zu leben, unter Druck. Und ich meine das sowohl bildlich als auch wörtlich.»

Er hat seine Hausaufgaben gemacht, dachte Crane.

«Sie haben die Mayo Medical School als Zweitbester Ihres Jahrgangs abgeschlossen. Und dank Ihrer Zeit bei der Navy gehören Sie zu den Ärzten, die sich – unter anderem – mit den Krankheiten auskennen, die Taucher befallen – und andere Personen, die auf oder unter dem Wasser arbeiten.»

«Also gibt es ein medizinisches Problem?»

«Selbstverständlich. Die Einrichtung wurde vor zwei Monaten fertiggestellt, und das Bergungsprojekt ist in vollem Gange. Allerdings weisen einige der Bewohner von Deep Storm seit zwei Wochen merkwürdige Symptome auf.»

«Caisson-Krankheit? Stickstoffnarkose?»

«Eher Ersteres als Zweites. Lassen Sie mich nur sagen, Sie sind hervorragend qualifiziert – sowohl als Mediziner wie auch als Offizier –, sich der Schwierigkeiten anzunehmen.»

«Und wie lange dauert meine Dienstzeit?»

«Ihre Dienstzeit wird so lange dauern, wie Sie brauchen, um das Problem zu diagnostizieren und zu behandeln. Ich kann nur schätzen, dass Sie zwei bis drei Wochen bei uns sein werden, doch selbst wenn Sie eine Wunderheilung zustande brächten, müssten Sie immer noch mindestens sechs Tage in der Einrichtung bleiben. Ich möchte jetzt nicht in Einzelheiten gehen, doch wir haben einen einzigartigen Akklimatisierungsprozess entwickelt, der den Aufenthalt in dieser Tiefe und unter diesem gewaltigen atmosphärischen Druck gestattet. Der Vorteil ist, dass es den Leuten ermöglicht, sich sehr viel einfacher als früher in großen Tiefen aufzuhalten und dort zu arbeiten. Der Nachteil ist, dass der Prozess zum Betreten oder Verlassen der Forschungsstation recht langwierig ist. Wie Sie sich wahrscheinlich denken können, kann er nicht beschleunigt werden.»

«Kann ich mir vorstellen, stimmt.» Crane hatte in seiner Zeit bei der Navy mehr als einen Todesfall wegen übereilter Dekompression erlebt.

«Das ist alles, was ich Ihnen im Augenblick sagen kann. Außer, dass ich Sie noch einmal erinnern muss: Selbst wenn Sie sich gegen die Annahme dieses Vertrages entscheiden, stehen Sie unter strikter Schweigepflicht. Sie dürfen mit niemandem über Ihren Besuch auf dieser Plattform oder über das, was zwischen uns besprochen wurde, reden.»

Crane nickte. Er wusste, dass Asher keine andere Wahl hatte, als in Andeutungen zu sprechen. Trotzdem. Der Mangel an Informationen war einfach ärgerlich. Hier stand er nun, und sie verlangten allen Ernstes von ihm, mehrere Wochen seiner Zeit für einen Auftrag zu opfern, von dem er so gut wie nichts wusste.

Auf der anderen Seite gab es nichts, was ihn daran hinderte, ein paar Wochen an Bord von Deep Storm zu verbringen. Er war frisch geschieden, kinderlos und hatte sich noch nicht für ein neues Forschungsprojekt entschieden. Zweifellos hatte Asher auch das bei seinen Nachforschungen herausgefunden.

Eine unvorstellbar bedeutsame Entdeckung. Trotz der Geheimnistuerei – oder gerade deswegen – spürte Crane, wie sich sein Herzschlag bei dem Gedanken beschleunigte, Teil eines solchen Abenteuers zu sein. Und ihm wurde klar, dass er unbewusst längst zu einer Entscheidung gekommen war.

Asher lächelte erneut. «Nun dann», sagte er. «Falls Sie keine weiteren Fragen haben, beende ich jetzt die Videokonferenz und lasse Ihnen ein wenig Zeit, damit Sie in Ruhe nachdenken können.»

«Das wird nicht nötig sein», antwortete Crane. «Ich muss nicht erst nachdenken, wenn woanders Geschichte geschrieben wird. Sagen Sie mir nur, in welche Richtung ich muss.»

Bei diesen Worten wurde Ashers Grinsen breiter. «Die Richtung? Abwärts, Peter. Senkrecht nach unten.»

3

Peter Crane hatte fast vier Jahre seines Lebens in U-Booten verbracht, doch jetzt hatte er zum allerersten Mal einen Fensterplatz.

Er hatte ein paar Stunden auf Storm King totgeschlagen. Zuerst hatte er sich langwierigen körperlichen und psychologischen Untersuchungen unterziehen müssen, dann hatte er sich bis zum Einbruch der Dunkelheit in der Bibliothek herumgetrieben. Endlich wurde er zu einer speziellen Plattform unterhalb der Bohrinsel gebracht, wo an einem Landesteg aus Beton ein Bathyskaph der Navy festgemacht war. Das Meer wogte gefährlich und brandete gegen den Steg, und die Laufplanke, die zur Schleusenluke des Bathyskaphs führte, war mit doppelten Halteleinen gesichert.

Crane überquerte die Planke zu dem winzigen Turm des Tiefsee-U-Boots. Von dort aus kletterte er eine von Kondenswasser tropfnasse Leiter nach unten, passierte die Druckschleuse, den Tragkörper und erreichte schließlich den beengten kugelförmigen Druckkörper. Dort saß ein junger Offizier an den Kontrollen.

«Nehmen Sie Platz, wo Sie wollen, Dr. Crane», sagte der Mann.

Hoch über Cranes Kopf fiel laut krachend eine Schleusenluke zu, dann eine weitere, und der Lärm hallte vibrierend durch das ganze Boot.

Crane blickte sich in der Kabine um. Abgesehen von den leeren Sitzen – drei Zweierreihen – war jeder Quadratzentimeter mit Instrumenten, Leitungen, Anzeigen, Rohren und Schläuchen bedeckt. Die einzige Ausnahme bildete eine kleine, extrem massiv wirkende Luke auf der anderen Seite der Kabine. In dem beengten Raum hing ein Geruch – eine Mischung aus Schmieröl, Feuchtigkeit und Schweiß –, der in Crane augenblicklich Erinnerungen an die eigenen Jahre bei der U-Boot-Flotte wachrief.

Er setzte sich, stellte seine Taschen auf den Platz neben sich und wandte sich zum Fenster: einem kleinen Bullauge, gehalten von einem Metallring, der mit Stahlbolzen gesichert war. Crane runzelte die Stirn. Das Bullauge beunruhigte ihn gegen seinen Willen; es war ein erschreckender, überflüssiger Luxus, auf den U-Boot-Fahrer in ihrem Vertrauen auf einen soliden, dicken Stahlrumpf gerne verzichteten.

Der Offizier an den Kontrollen schien sein Unbehagen bemerkt zu haben, denn er kicherte leise. «Keine Angst. Es ist ein Spezialkunststoff, direkt in die Hülle eingelassen. Die Technik hat eine mächtige Entwicklung durchlaufen, seit die gute alte Trieste mit ihren Quarzfenstern durch die Meere fuhr.»

Crane erwiderte das Lachen. «Ich wusste nicht, dass ich so leicht zu durchschauen bin.»

«Daran kann ich die Militärs von den Zivilisten unterscheiden», antwortete der junge Offizier. «Sie sind ein ehemaliger U-Boot-Fahrer, habe ich recht? Ich bin übrigens Richardson.»

Crane nickte. Richardson trug die Abzeichen eines Obermaats erster Klasse, und die Insignien über den Rangabzeichen wiesen ihn darüber hinaus als technischen Spezialisten aus.

«Ich war zwei Jahre auf strategischen Atom-U-Booten unterwegs», antwortete Crane. «Anschließend zwei weitere Jahre auf Angriffs-U-Booten.»

«Dachte ich’s mir!»

Von oben kam ein leises metallisches Geräusch, ein Kratzen und Scharren; wahrscheinlich wurde die Laufplanke eingezogen, vermutete Crane. Dann ertönte irgendwo mitten aus dem Gewirr von Instrumenten eine blecherne Stimme aus einem kleinen Lautsprecher. «Echo Tango Foxtrot, klar zum Abstieg, over.»

Richardson griff nach einem Mikro. «Constant One, hier ist Echo Tango Foxtrot. Verstanden, over.»

Ein leises Zischen ertönte, dann das dumpfe Flüstergeräusch von Propellern. Für ein paar Sekunden tanzte das Tauchboot sanft auf den Wellen. Das Zischen wurde lauter, dann wich es dem Geräusch von Wasser, das in die Ballasttanks strömte. Sofort beruhigten sich die Bewegungen des U-Boots. Richardson beugte sich über die Anzeigen und schaltete eine Reihe von Außenscheinwerfern ein. Abrupt wich die Schwärze vor dem Fenster einem Sturm aus weißen Luftblasen.

«Constant One, Echo Tango Foxtrot sinkt tiefer, over», sagte Richardson in das Mikro.

«Wie tief liegt die Forschungsstation?», wollte Crane wissen.

«Knapp über dreitausendzweihundert Meter.»

Crane überschlug in Gedanken die Entfernung. Mehr als zehntausend Fuß. Oder zwei Meilen, je nachdem.

Draußen vor dem Bullauge wich der Strom von Blasen allmählich dem grünlich schimmernden Ozean. Crane spähte nach draußen, suchte nach Fischen, doch er konnte nichts erkennen außer einigen undeutlichen silbrigen Umrissen jenseits des von den Scheinwerfern erhellten Bereichs.

Nun, da er sich entschlossen hatte, spürte er, wie seine Neugier wuchs. Um sich abzulenken, verwickelte er Richardson in eine Unterhaltung. «Wie oft haben Sie diesen Trip bereits gemacht?», fragte er.

«Zu Anfang, als die Anlage in Betrieb genommen wurde, haben wir fünf, manchmal sechs Fahrten am Tag unternommen. Jedes Mal Full House. Jetzt, nachdem die Operation angelaufen ist, vergehen manchmal Wochen ohne eine einzige Fahrt.»

«Aber Sie bringen doch immer wieder Leute nach oben, richtig?»

«Bis jetzt nicht. Die sind alle noch unten.»

Crane war überrascht. «Alle?»

«Ausnahmslos.»

Crane starrte wieder durch das Bullauge nach draußen. Das Tauchboot sank rasch in die Tiefe, und der grünliche Schimmer des Wassers wurde schnell dunkler.

«Wie ist es innen?», fragte Crane.

«Innen?», wiederholte Richardson.

«Im Innern der Anlage.»

«Ich war noch nie drinnen.»

Crane starrte den Piloten des Bathyskaphs wieder überrascht an.

«Ich bin nur eine Art Taxifahrer», erklärte Richardson. « Der Akklimatisierungsprozess dauert viel zu lange, als dass ich mich unten umsehen könnte. Einen Tag rein und drei Tage raus, heißt es.»

Crane nickte. Draußen vor dem Fenster war das Wasser immer dunkler geworden, doch der umgebende Ozean war von einer Art Partikelstreifen durchzogen. Sie sanken mit hoher Geschwindigkeit, und Crane gähnte, um den Druck in den Ohren auszugleichen. Er hatte bei der Marine mehr Sturztauchmanöver hinter sich gebracht, als ihm lieb war, und es war jedes Mal eine ziemlich angespannte Situation gewesen: Offiziere und Besatzung hatten mit grimmigen Gesichtern herumgestanden und unter dem zunehmenden Druck auf das Knirschen und Kreischen des Rumpfs gelauscht. Das Bathyskaph gab keine derartigen Geräusche von sich – nichts außer einem leisen Zischen und dem Surren von Ventilatoren.

Inzwischen war die Schwärze draußen vollkommen. Crane spähte nach unten in die Tiefe. Irgendwo dort befand sich eine ultramoderne Forschungsanlage – und außerdem noch etwas Unbekanntes, das unter dem Schlamm und Schlick des Meeresbodens auf ihn wartete.

Wie auf ein Stichwort hin griff Richardson neben seinen Sitz und reichte Crane einen Umschlag. «Dr. Asher hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben. Er meinte, es würde Ihnen vielleicht die Fahrt nach unten verkürzen.»

Der Umschlag war groß und blau, an zwei Stellen versiegelt und mit zahlreichen Warnungen bestempelt: VER-TRAULICH, REGIERUNGSEIGENTUM, STRENG GEHEIM, PERSÖNLICH. An einer Ecke befand sich ein Regierungssiegel und daneben eine Menge Kleingedrucktes mit den üblichen Drohungen für den Fall, dass jemand wagen sollte, die Vertraulichkeitsbestimmungen zu brechen.

Crane drehte den Umschlag in den Händen. Nun, da der Augenblick endlich gekommen war, zögerte er merkwürdigerweise. Er wartete noch einen Moment, dann brach er vorsichtig die Siegel und leerte den Umschlag aus.

Ein festes Stück Karton fiel ihm in den Schoß, zusammen mit einer kleinen Broschüre. Er nahm den Pappbogen in die Hand und betrachtete ihn neugierig. Darauf war ein schematisiertes Diagramm einer, wie es aussah, großen militärischen Anlage abgebildet, oder vielleicht eines Schiffs mit der Legende DECK 10 – PERSONALQUARTIERE (UNTERE). Er betrachtete die Zeichnung ein paar Sekunden lang, dann legte er sie beiseite und griff nach der Broschüre.

Der Titel lautete: NAVY – BESTIMMUNGEN UND REGELN FÜR DEN UMGANG MIT VERTRAULI-CHEN INFORMATIONEN. Crane blätterte durch die Seiten, überflog die zahlreichen Paragraphen und Aufzählungen, dann klappte er sie laut wieder zu. Was sollte das sein? Ashers Art, einen Witz zu machen? Er nahm den Umschlag zur Hand und spähte hinein und wollte ihn schon beiseitelegen. Da entdeckte er ein einzelnes gefaltetes Blatt, das nicht herausgefallen war. Er zog es hervor, entfaltete es und begann zu lesen. Er spürte ein eigenartiges Kitzeln, das an seinen Fingerspitzen einsetzte und sich rasch in seinem gesamten Körper ausbreitete.

AUSZUG FOLGT

 

Ref.-Nr. ERF – 10230a

 

Abstract: Atlantis

i

erste schriftliche Erwähnung

ii

Ereignisse, die zum Untergang geführt haben (Mutmaßungen)

iii

Datum des Untergangs: 9500 v. Chr.

Quelle: Platon, Timaeus-Dialog

«Unsere Bücher erzählen nämlich, eine wie gewaltige Kriegsmacht einst euer Staat gebrochen hat, als sie übermütig gegen ganz Europa und Asien zugleich vom atlantischen Meer heranzog. Damals nämlich war das Meer dort fahrbar, denn vor der Mündung, welche ihr in eurer Sprache die Säulen des Herakles heißt, hatte es eine Insel, welche größer war als Asien und Libyen zusammen, und von ihr konnte man damals nach den übrigen Inseln hinübersetzen und von den Inseln auf das ganze gegenüberliegende Festland, welches jenes recht eigentlich so zu nennende Meer umschließt. [ …] Auf dieser Insel Atlantis nun bestand eine große bewundernswürdige Königsherrschaft, welche nicht bloß die ganze Insel, sondern auch viele andere Inseln und Teile des Festlandes unter ihrer Gewalt hatte. [ …] Späterhin aber entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und da versank während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht das ganze streitbare Geschlecht bei euch scharenweise unter die Erde, und ebenso verschwand die Insel Atlantis, indem sie im Meer unterging.»

ENDE DES AUSZUGS

Der kurze Auszug von Platon war alles, was das Blatt enthielt. Crane ließ das Dokument in seinen Schoß sinken und starrte leer durch das Bullauge nach draußen. Das war Ashers bescheidenes «Willkommen an Bord» – seine Art, ganz präzise zu vermitteln, was zwei Meilen unter der Wasseroberfläche ausgegraben wurde.

Atlantis.

Es schien ihm unglaublich. Und doch passten sämtliche Puzzlestückchen zusammen. Die Geheimhaltung, die Technologie, die Ausgaben. Es war das größte Geheimnis der Welt: die blühende Zivilisation von Atlantis, auf dem Höhepunkt vernichtet von einem kataklysmischen Ausbruch. Eine Stadt unter dem Meer. Wo waren ihre Einwohner?Welche Geheimnisse hatten sie gehabt?

Er saß reglos auf seinem Sitz und wartete darauf, dass das nervöse Kitzeln abklang. Doch das geschah nicht. Vielleicht, dachte er, ist das alles nur ein Traum. Vielleicht schrillt der Wecker in ein paar Minuten, reißt mich aus dem Schlaf, und ich finde mich in einem weiteren ganz normalen schwülheißen Tag in Miami wieder. Die ganze Sache löst sich in nichts auf, und ich bin zurück in der alten Tretmühle. So musste es sein. Es war völlig unmöglich, dass er in einem Bathyskaph in die Tiefsee abstieg, zu einer antiken, untergegangenen Stadt, undenkbar, dass er im Begriff stand, zu einem Teilnehmer an der kompliziertesten, bedeutsamsten Ausgrabung aller Zeiten zu werden.

«Dr. Crane?»

Der Klang von Richardsons Stimme schreckte Peter abrupt aus seinen Gedanken.

«Wir nähern uns der Anlage», sagte Richardson.

«Schon?»

«Ja, Sir.»

Peter warf einen schnellen Blick durch das Bullauge nach draußen. In drei Kilometern Tiefe war der Ozean so tiefschwarz, dass die Außenscheinwerfer nicht weit reichten. Und doch entdeckte Crane ein eigenartiges ätherisches Leuchten, das entgegen aller Logik von unten zu kommen schien anstatt von oben. Er beugte sich vor, starrte hinunter – und hielt den Atem an.

Dort, kaum dreißig Meter unter ihnen, lag eine gigantische Kuppel aus Metall. Sie schien aus dem Meeresboden zu wachsen. Auf halber Höhe führte an der Seite ein offener, runder Tunnel von vielleicht zwei Metern Durchmesser ins Innere wie ein Trichtermund. Ansonsten war die Oberfläche vollkommen glatt und makellos. Es gab keine Markierungen oder Hinweise, nichts. Die Kuppel sah aus wie eine riesige silberne Murmel, die halb im Sand vergraben lag. Ein Tauchboot, das genauso aussah wie das, in dem Crane saß, hatte vor einer Schleuse angedockt. Ganz oben auf der Kuppel wuchs ein kleiner Wald von Sensoren und Kommunikationsequipment um eine große Vorrichtung herum, die geformt war wie eine umgedrehte Teetasse. Von überall auf der Oberseite der Kuppel blitzten wie winzige Juwelen Tausende kleiner Lichter, die immer wieder für kurze Augenblicke von tiefen Strömungen verdeckt wurden, sodass es den Anschein hatte, als würden sie blinken.

Verborgen unter dieser gigantischen Kuppel lag Deep Storm: eine ultramoderne Stadt voller technologischer Wunder. Und irgendwo unter Deep Storm – uralt und voller Versprechungen – lag das unbekannte Mysterium von Atlantis.

Crane starrte verzaubert auf die Szenerie unter sich, als ihm bewusst wurde, dass er debil grinste. Er warf einen raschen Seitenblick zu Richardson. Der Pilot beobachtete ihn und grinste ebenfalls.

«Willkommen auf Deep Storm, Sir», sagte er.

4

Kevin Lindengood hatte alles mit an Besessenheit grenzender Genauigkeit geplant. Er wusste, dass dieses Spiel potenziell gefährlich war – möglicherweise lebensgefährlich. Doch es war ein Spiel, bei dem es um gute Vorbereitung und Kontrolle ging. Er war bestens vorbereitet und besaß die absolute Kontrolle. Und deshalb gab es nichts, weswegen er sich hätte sorgen müssen.

Er beugte sich über die Motorhaube seines heruntergekommenen Taurus und hielt den Verkehr auf dem Biscayne Boulevard im Auge. Diese Tankstelle lag an einer von Miamis lebhaftesten Durchgangsstraßen. Einen öffentlicheren Ort gab es nicht. Und ein öffentlicher Ort bedeutete Sicherheit.

Er trödelte beim Auto-Check herum, das Luftprüfgerät in der Hand, und tat, als würde er seine Reifen überprüfen. Es war ein heißer Tag, weit über dreißig Grad im Schatten, doch Lindengood mochte die Hitze. Auf Storm King hatte er genug Schnee und Eis für den Rest seines Lebens gesehen. Mehrere Leben, genau genommen. Hicks mit seinem verdammten iPod. Wherry mit seinem großspurigen Gehabe … um nichts auf der Welt wollte er dorthin zurück. Und wenn er jetzt seine Karten richtig ausspielte, würde er es auch nicht müssen.

Er war mit dem letzten Reifen fertig, vorn rechts auf der Beifahrerseite, und richtete sich auf. In diesem Moment bog eine schwarze Limousine auf die Tankstelle ein und hielt im Service-Bereich, fünf Meter von ihm entfernt. Mit einer Erregung, die halb Nervenkitzel und halb Angst war, beobachtete Lindengood, wie sein Kontaktmann aus der Fahrertür stieg. Der Mann trug, was Lindengood für das Treffen zur Bedingung gemacht hatte: ein Shirt und eine Badehose. Keine Chance, irgendeine Waffe zu verbergen.

Lindengood blickte auf die Uhr: Punkt sieben. Der Mann war pünktlich zur vereinbarten Zeit erschienen.

Vorbereitung und Kontrolle.

Er kam auf ihn zu. Bei ihren Gesprächen hatte er sich Wallace genannt, ohne Nachname. Lindengood war ziemlich sicher, dass auch Wallace nicht sein richtiger Name war. Der Mann war dünn und wie ein Schwimmer gebaut. Er trug eine dicke Hornbrille und humpelte leicht beim Gehen, als wäre ein Bein kürzer als das andere. Lindengood hatte den Mann noch nie zuvor in einem Muskel-Shirt gesehen und konnte nicht anders, als amüsiert festzustellen, wie blass seine Haut war. Wallace war eindeutig ein Bursche, der den größten Teil seiner Zeit vor dem Computerbildschirm verbrachte.

«Sie haben meine Nachricht also erhalten», sagte Lindengood, als sich der Mann näherte.

«Was hat das zu bedeuten?»

«Ich denke, wir können uns bequemer in meinem Wagen unterhalten», erwiderte Lindengood.

Der Mann blieb für einen Moment reglos stehen, dann zuckte er die Schultern und rutschte auf den Beifahrersitz des alten Taurus.

Lindengood ging um die Motorhaube herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Er ließ die Tür weit offen stehen und spielte mit dem Luftschlauch, den er in der Hand behielt. Wallace sah nicht aus, als würde er tätlich werden, nicht hier – abgesehen davon, sah er auch nicht aus wie ein Schläger –, doch auf die entfernte Chance hin, dass er etwas versuchen würde, konnte Lindengood den Schlauch als Waffe benutzen. Einmal mehr beruhigte er sich. Es würde nicht nötig sein: Er würde seinen Teil des Geschäfts erfüllen und verschwinden. Wallace wusste nicht, wo Lindengood wohnte, und Lindengood würde es ihm um nichts in der Welt erzählen.

«Man hat Sie bezahlt», sagte Wallace mit leiser Stimme. «Gut bezahlt. Ihr Teil der Arbeit ist erledigt.»

«Das weiß ich», erwiderte Lindengood und achtete sorgfältig darauf, seiner Stimme Zuversicht und Entschlossenheit zu verleihen. «Es ist nur so, dass ich nun, nachdem ich ein wenig mehr über Ihre, äh, Operation weiß, finde, dass ich unterbezahlt wurde.»

«Sie wissen überhaupt nichts über irgendeine Operation.»

«Ich weiß, dass sie alles andere als koscher ist. Hören Sie, ich bin derjenige, der Sie informiert hat, schon vergessen?»

Wallace antwortete nicht. Er starrte Lindengood nur schweigend an, mit neutralem, beinahe leerem Gesichtsausdruck. Draußen lief der Kompressor schnaufend an und summte, als er den Nenndruck des Behälters wiederherstellte.

«Sehen Sie, ich war einer der Letzten von der regulären Besatzung auf Storm King», fuhr Lindengood fort. «Eine Woche nachdem wir unser kleines Geschäft abgeschlossen und Sie die letzten Daten bekommen hatten, wimmelte es auf der Plattform plötzlich von Regierungstypen und Wissenschaftlern. Da habe ich mir so meine Gedanken gemacht. Irgendetwas Großes, irgendetwas wirklich Großes war da im Gange. Deutlich größer jedenfalls, als ich je gedacht hätte. Allein die Tatsache, dass Sie sich für das interessierten, was ich zu verkaufen hatte, bedeutet, dass Ihre Leute über Mittel verfügen müssen – und über tiefe Taschen.»

«Worauf wollen Sie hinaus?», fragte Wallace.

Lindengood befeuchtete sich die Lippen. «Worauf ich hinaus will, ist, dass gewisse offizielle Stellen sehr, sehr begierig darauf wären, von Ihrem Interesse an der Storm King zu erfahren.»

«Wollen Sie uns drohen?», fragte Wallace. Seine Stimme war plötzlich seidenweich.

«Ich möchte dieses Wort nicht benutzen, nein. Sagen wir, ich versuche ein Ungleichgewicht auszugleichen. Mein ursprüngliches Honorar war nicht annähernd angemessen. Hey, ich bin derjenige, der die Signale entdeckt und die Anomalie gemeldet hat, schon vergessen? Zählt das nichts? Und ich habe die Informationen an Sie weitergegeben. Sämtliche Daten, die Triangulation, die Telemetrie der Tiefseesonde, alles. Ich bin der Einzige, der dazu imstande war – ich war derjenige, der die richtigen Schlussfolgerungen gezogen hat. Niemand sonst weiß etwas davon.»

«Niemand sonst», wiederholte Wallace.

«Ohne mich hätten Ihre Leute niemals etwas davon erfahren. Ich nehme nicht an, dass Sie Ihre eigenen Agenten vor Ort hatten.»

Wallace nahm seine Brille ab und polierte die Gläser mit seinem Shirt. «An wie viel hatten Sie denn gedacht?»

«Ich dachte an fünfzigtausend.»

«Und dann verschwinden Sie ein für alle Mal?»

Lindengood nickte. «Dann verschwinde ich, und Sie sehen mich nie mehr wieder.»

Wallace dachte für einen Moment darüber nach, während er weiter seine Brille polierte. «Ich brauche einen Tag oder zwei, um das Geld zu beschaffen. Wir müssen uns noch einmal treffen.»

«Zwei Tage sind okay», antwortete Lindengood. «Wir können uns hier treffen, am gleichen …»

Schnell wie eine Schlange schoss Wallaces rechte Faust nach vorn. Die Knöchel von Zeige- und Mittelfinger hämmerten Lindengood in den Solarplexus. Ein Schmerz, der ihm die Luft raubte, brannte in Lindengoods Brust. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch es kam kein Laut hervor. Unwillkürlich beugte er sich vor, rang nach Luft und griff sich verzweifelt an die Brust. Wallace packte Lindengood an den Haaren, zerrte seinen Kopf nach unten und verdrehte ihn zugleich brutal. Mit vor Schmerz weit aufgerissenen Augen sah Lindengood, wie Wallace zuerst nach links, dann nach rechts sah – die Brille war plötzlich vergessen –, um sich zu überzeugen, dass ihn niemand beobachtete. Er hielt Lindengood unerbittlich an den Haaren fest, beugte sich über ihn und zog die Fahrertür ins Schloss. Als Wallace sich wieder zurücklehnte, entdeckte Lindengood den Luftschlauch in seiner anderen Hand.

«Sie, mein Freund, haben sich soeben als ein Risikofaktor erwiesen», sagte Wallace.

Endlich hatte Lindengood seine Sprache wiedergefunden. Doch als er Atem holte, um zu schreien, rammte Wallace ihm den Schlauch in den Hals.

Lindengood würgte und bäumte sich auf. Er riss sich aus Wallaces Griff los – ungeachtet der Tatsache, dass er dabei büschelweise Haare verlor –, mit dem einzigen Erfolg, dass Wallace ein zweites Mal zupackte, noch mehr Haare zu fassen bekam, ihn mit einer brutalen Bewegung zurückstieß und ihm den Luftschlauch noch tiefer in die Luftröhre rammte.

Blut füllte Lindengoods Mund und Rachen, und er stieß einen gurgelnden Schrei aus. Doch in diesem Moment drückte Wallace auf die Pistole des Kompressors, und mit furchtbarer, überwältigender Wucht strömte Luft aus dem Schlauch. In Lindengoods Brust explodierte ein Schmerz, den er sich niemals auszumalen gewagt hätte.

5

Die Stimme, die über den Lautsprecher hallte, klang ein wenig hoch, als atmete die Person am anderen Ende Helium. «Noch fünf Minuten, Dr. Crane, und Sie können Luftschleuse C passieren.»

«Gott sei Dank.» Peter Crane schwang die Beine von der Pritsche, auf der er sich ausgestreckt und gedöst hatte, und warf einen prüfenden Blick auf die Uhr. Es war vier Uhr nachmittags – doch falls die Anlage auch nur die geringste Ähnlichkeit mit einem U-Boot hatte, würden Tag und Nacht vermutlich kaum von Bedeutung sein.

Sechs Stunden waren vergangen, seit er aus dem Bathyskaph ausgestiegen war und das Labyrinth aus Luftschleusen betreten hatte, das als Kompressionskomplex bezeichnet wurde. Seither hatte er hauptsächlich gewartet, gewartet und gewartet, während die Anlage ihre ungewöhnlichen Akklimatisierungsprozeduren ausführte. Als Mediziner war er neugierig; er hatte überhaupt keine Vorstellung, wie die Prozesse abliefen oder welche Technologie dahintersteckte. Asher hatte ihm lediglich erzählt, dass durch sie das Arbeiten in großen Tiefen erleichtert würde.

Vielleicht hatten sie die atmosphärische Zusammensetzung verändert, die Menge an Stickstoff reduziert und irgendein anderes exotisches Gas hinzugefügt. Was auch immer, es war eindeutig ein wichtiger Durchbruch der Forschung und ohne Zweifel einer der Gründe, welcher diese Mission so geheim machte.

Alle zwei Stunden war er von der gleichen körperlosen Eichhörnchenstimme angewiesen worden, die gegenwärtige Schleuse zu verlassen und sich in die nächste zu begeben. Sämtliche Kammern waren identisch; große saunaartige Würfel mit Reihen von Metallpritschen. Der einzige Unterschied waren die jeweiligen Farben. Die erste Kammer war militärisch grau gewesen, die zweite hellblau, die dritte – ziemlich überraschend – rot.

Nach dem Durchlesen eines kurzen Dossiers über Atlantis, das er in der ersten Kammer vorgefunden hatte, verbrachte Crane die meiste Zeit mit Dösen oder dem Blättern in einer dicken Anthologie, die er mitgebracht hatte. Oder mit Nachdenken. Lange starrte er die Decke aus Metall an und stellte sich die kilometerdicke Wasserschicht vor, die über ihm lag.

Er überlegte, welcher Kataklysmus dazu geführt haben konnte, dass Atlantis in solche Tiefen versunken war, und er dachte über die verlorene Zivilisation nach, die einst so geblüht hatte. Es konnten nicht die Griechen gewesen sein, nicht die Phönizier, nicht die Minoer oder irgendeine der anderen üblichen verdächtigen Kulturen, die von den Historikern favorisiert wurden. Aus dem Dossier ging eindrücklich hervor, dass niemand etwas Genaues über die atlantische Zivilisation wusste, nichts wirklich Genaues jedenfalls. Crane war zwar überrascht, dass die Stadt so weit im Norden gelegen hatte, doch im Text wurde erklärt, dass die Lage der Insel selbst in den Originalquellen unsicher gewesen war. Platon hatte nahezu nichts über die Bewohner oder die Zivilisation gewusst. Vielleicht, sinnierte Crane, vielleicht war Atlantis auch deshalb so lange verborgen geblieben.

Langsam vergingen die Stunden, und noch immer konnte er es nicht glauben. Es erschien alles viel zu wunderbar. Nicht nur, weil alles so schnell gegangen war, nicht nur, weil das Projekt so ungeheuer wichtig sein sollte, sondern weil sie ihn dabeihaben wollten. Er hatte diesen Punkt Asher gegenüber nicht betont, doch er war noch immer nicht sicher, warum sie ausgerechnet seine Dienste so sehr benötigten. Schließlich waren weder Hämatologie noch Toxikologie sein Spezialgebiet. Sie sind hervorragend qualifiziert – sowohl als Mediziner wie auch als Offizier –, sich der Schwierigkeiten anzunehmen, hatte Asher gesagt. Zugegeben, er kannte sich recht gut aus mit den Erkrankungen von Menschen, die in einer Unterwasserumgebung lebten, doch es gab genug andere Ärzte, die das Gleiche von sich behaupten konnten.

Er streckte sich erneut, dann zuckte er die Schultern. Er würde den Grund noch früh genug erfahren. Abgesehen davon spielte es eigentlich keine große Rolle – er hatte einfach das Glück gehabt, hier sein zu dürfen. Er fragte sich, welche eigenartigen, wunderbaren Artefakte bereits ausgegraben und welche uralten Geheimnisse bereits wiederentdeckt worden waren.

Ein lautes metallisches Klang ertönte, und die Schleusenluke in der gegenüberliegenden Wand öffnete sich. «Bitte treten Sie durch die Luke», sagte die körperlose Stimme.

Crane tat wie geheißen und fand sich in einem schwacherleuchteten Korridor von vielleicht sechs Metern Länge wieder, an dessen Ende ihn eine weitere geschlossene Luke erwartete. Er blieb stehen. Die Luke hinter ihm schloss sich mit einem weiteren lauten Klang. Dann das Geräusch von entweichender Luft – so heftig, dass Cranes Ohren schmerzhaft knackten. Schließlich – endlich – öffnete sich der andere Durchgang weiter vorn, und gelbes Licht schlug ihm entgegen. Eine Gestalt erwartete ihn, umgeben von einem Kranz aus Licht, die Rechte freundlich ausgestreckt. Als Crane die Kammer erreichte, erkannte er das lächelnde Gesicht von Dr. Howard Asher.

«Dr. Crane!», sagte Asher, ergriff Cranes Hand und schüttelte sie herzlich. «Willkommen an Bord der ERF!»

«Danke sehr», antwortete Crane. «Obwohl ich das Gefühl habe, schon eine ganze Weile hier zu sein.»

Asher kicherte. «Wir wollten in den Kompressionskammern noch DVD-Spieler anbringen, um den Neuankömmlingen die Akklimatisierungszeit angenehmer zu gestalten, doch jetzt, nachdem die Station vollbesetzt ist, macht das fast keinen Sinn mehr. Wir haben nicht mit Besuchern gerechnet. Wie fanden Sie die Lektüre?»

«Unglaublich. Haben Sie wirklich …?»

Doch Asher unterbrach ihn, indem er den Finger vor die Lippen legte, zwinkerte und Crane ein verschwörerisches Lächeln schenkte. «Die Wirklichkeit ist noch unglaublicher, als Sie sich vorstellen können. Doch eins nach dem anderen – lassen Sie mich Ihnen zuerst Ihr Quartier zeigen. Es war eine lange Reise, und ich bin sicher, Sie möchten sich ein wenig frisch machen.»

Crane ließ Asher eine seiner Taschen nehmen. «Ich würde gerne mehr über diesen Akklimatisierungsprozess erfahren», sagte er.

«Selbstverständlich, selbstverständlich. Hier entlang, Peter.» Mit einem weiteren Lächeln wandte er sich um und wies den Weg.

Crane sah sich neugierig um. Sie befanden sich in einem großen Vestibül mit niedriger Decke und getönten Fenstern an den gegenüberliegenden Wänden. Hinter einem der Fenster saßen zwei Techniker an einem Kontrollbord und starrten zu ihm herüber. Einer der beiden salutierte.

Am Ende des Vestibüls führte ein heller Korridor in die oberste Ebene der Anlage. Asher hatte Cranes Tasche auf die Schulter genommen, und Crane hastete hinter ihm her. Der Gang war schmal – logisch –, doch nicht annähernd so beengt, wie Crane es erwartet hätte. Die Beleuchtung war ebenfalls unerwartet: warmer Lampenschein, nicht annähernd das harte Licht, das Crane von U-Booten her kannte. Auch das Klima war eine Überraschung. Es war warm, und die Luftfeuchtigkeit war angenehm. Im Raum hing ein schwacher, kaum wahrnehmbarer Geruch, der Crane unbekannt war. Kupferartig, metallisch. Er fragte sich, ob es mit der Drucktechnologie zusammenhing, die hier unten eingesetzt wurde.

Unterwegs passierten sie mehrere geschlossene Türen, alle im gleichen Weiß wie der Gang. An manchen hingen Namensschilder, andere waren mit kryptischen Abkürzungen wie ELEC PROC oder SUBSTRAT II versehen. Ein Arbeiter – ein junger Mann mit einem Overall – öffnete eine der Türen, als sie gerade vorbeikamen. Er nickte Asher zu, bedachte Crane mit einem neugierigen Blick und ging in Richtung Eingangshalle davon. Crane hatte an ihm vorbei in den Raum gespäht und einen Blick auf Bladeserver in Regalen und einen kleinen Dschungel von Netzwerk-Hardware erhascht.

Crane sah jetzt, dass die Türen und Wände nicht weiß gestrichen waren. Sie bestanden vielmehr aus irgendeinem ungewöhnlichen Material, das sich der Farbe der Umgebung anzupassen schien – in diesem Fall der Farbe der Beleuchtung im Gang. Crane sah seine eigene geisterhafte Spiegelung in der Tür, unterlegt von einem eigenartigen, platinfarbenen Ton.

«Was ist das für ein Material?», fragte er Asher.

«Eine neuentwickelte Legierung. Leicht, reaktionsträge und außergewöhnlich stabil.»

Sie erreichten eine Kreuzung, und Asher wandte sich nach links. Dem ersten Eindruck nach hatte Crane den wissenschaftlichen Leiter der National Oceanic Agency auf Ende sechzig geschätzt, doch er war offensichtlich gute zehn Jahre jünger. Was Crane als Altersfalten gedeutet hatte, waren die üblichen Spuren eines Lebens auf See. Asher bewegte sich schnell und hantierte mit Cranes schwerer Tasche, als wöge sie nichts. Doch trotz seiner unübersehbaren Fitness und Gesundheit hielt er den linken Arm unbeweglich an die Seite gedrückt. «Diese oberen Ebenen der Anlage sind ein Labyrinth von Büros und Quartieren. Zu Beginn können sie einen ganz schön verwirren», sagte Asher. «Sollten Sie sich verlaufen, orientieren Sie sich einfach an den Lageplänen, die Sie an jeder größeren Kreuzung finden.»

Crane brannte ungeduldig darauf, mehr über die medizinischen Probleme auf der Station zu erfahren und über die eigentliche Ausgrabung, doch er hielt es für klüger, Asher das Tempo bestimmen zu lassen. «Erzählen Sie mir mehr über die Anlage», bat er deshalb.

«Sie ist zwölf Stockwerke hoch, hat eine Seitenlänge von einhundertachtzig Metern. Das Fundament ist in den Meeresgrund eingelassen, und alles liegt unter einer schützender Kuppel aus Titan.»

«Ich habe die Kuppel auf dem Weg nach unten gesehen. Sehr beeindruckend, muss ich sagen.»

«Das ist sie wirklich. Die Anlage ruht unter der Kuppel wie eine Perle in einer Muschel. Der freie Raum dazwischen steht unter Druck. Mit der Kuppel und unserer eigenen Schale befinden sich zwei Schichten Metall zwischen uns und dem Ozean. Und was für Metall: Die Hülle der Anlage besteht aus HY250, einer neuen Sorte von Luftfahrtstahl mit einer Bruchfestigkeit von mehr als zehn Bar pro Quadratzentimeter und einer Biegefestigkeit im Bereich von dreihundert KSI.»

«Mir ist aufgefallen, dass die Oberfläche der Kuppel von einem horizontalen Rohr durchbrochen ist, das nach innen führt. Wozu dient dieses Rohr?», erkundigte sich Crane.

«Sie meinen wahrscheinlich die Druckspeiche. Genau genommen gibt es zwei davon, eine auf jeder Seite der Anlage. Angesichts des Wasserdrucks in dieser Tiefe wäre die ideale Form eine perfekte Kugel. Die Kuppel ist allerdings nur eine halbe Kugel. Diese beiden Röhren – die offen zum Ozean sind – helfen, den Druck auszugleichen. Sie verankern außerdem die Anlage innerhalb der Kuppel. Ich denke, unsere Genies von Deck sieben könnten Sie mit einer Menge mehr Details versorgen.»

Der zweite Korridor, den sie durchquerten, ähnelte dem ersten: Unter der Decke verliefen zahlreiche Kabel und Rohre, und links und rechts befanden sich jede Menge geschlossene Türen mit kryptischen Schildern. «Mir ist da außerdem ein merkwürdiges Objekt ganz oben auf der Kuppel aufgefallen, das Ding hatte vielleicht einen Durchmesser von etwa zehn Metern», sagte Crane.

«Das ist die Notrettungskapsel», sagte Asher. «Für den Fall, dass jemand versehentlich den Stecker zieht.» Asher lachte bei diesen Worten – ein erfrischendes, ansteckendes Lachen.

«Tut mir leid, aber ich muss einfach fragen. Diese Kuppel ist nicht gerade klein. Bestimmt haben andere Länder und Regierungen ihr Interesse bekundet?»

«Selbstverständlich. Wir haben eine gezielte Desinformationskampagne gestartet und verbreiten, dass an dieser Stelle ein geheimes Forschungs-U-Boot gesunken sei. Alle denken, dass wir Bergungsoperationen durchführen. Das hindert die Russen und Chinesen selbstverständlich nicht daran, das eine oder andere U-Boot vorbeizuschicken, was bei unserem militärischen Kontingent alle möglichen Befürchtungen hervorruft.»

Sie passierten eine Tür mit einem Netzhaut-Scanner, bewacht von zwei Marines, die mit dem Gewehr bei Fuß Wache standen. Asher lieferte von sich aus keine Erklärung ab, und Crane verzichtete darauf zu fragen.

«Wir sind gegenwärtig auf Deck zwölf», fuhr Asher fort. «Hier befinden sich hauptsächlich Supporteinrichtungen für den Rest der Anlage. Auf den Decks zehn und elf befinden sich die Mannschaftsquartiere sowie ein Sportkomplex. Ihr Quartier ist übrigens auf Deck zehn. Sie müssen sich ein Bad mit Roger Corbett teilen, unserem Mannschaftspsychologen. Die meisten Quartiere teilen sich Bäder – wie Sie sich sicher vorstellen können, ist Platz ein Luxus, den wir hier nicht haben. Wir sind bereits vollbelegt. Sie sind ein weiterer Mitarbeiter, der nicht eingeplant war.»

Er blieb vor einem Lift stehen und drückte auf den Rufknopf. «Auf Deck neun befindet sich der Crew-Support. Die medizinische Abteilung – wo Sie arbeiten werden – liegt ebenfalls dort. Auf Deck acht befinden sich die Verwaltungsbüros und die Forschungslabors.»

Ein leiser Gong ertönte, und die Aufzugstüren glitten lautlos auf. Asher winkte Crane in die Kabine und folgte ihm.

Der Aufzug war aus dem gleichen eigenartigen Material gebaut wie der Korridor. Es gab sechs Knöpfe, jedoch ohne Beschriftung. Asher drückte den dritten von oben, und der Aufzug sank nach unten.

«Wo war ich noch gleich? Ah, ja. Die Decks. Deck sieben ist das Wissenschaftsdeck. Computerzentrum und wissenschaftliche Labors jeder vorstellbaren Richtung.»

Crane schüttelte den Kopf. «Das ist unglaublich. Einfach unglaublich.»

Asher strahlte ihn so stolz an, als wäre die Anlage sein persönliches Eigentum und nicht das der Regierung. «Sie werden eine Menge Dinge selbst entdecken. Es gibt mehrere Messen, und wir haben eine phantastische Küche, ein halbes Dutzend Lounges und komfortable Unterkünfte für mehr als vierhundert Personen. Im Grunde genommen sind wir wie eine kleine Stadt, drei Kilometer unter der Meeresoberfläche, weit weg von allen neugierigen Augen.»

« ‹In Busen unespied des Ozeans …›», zitierte Crane.

Asher sah ihn eigenartig an, ein halbes Lächeln im Gesicht. «Das war Andrew Marvell, richtig?»

Crane nickte. «Aus ‹Bermudas›.»

«Erzählen Sie mir nicht, dass Sie Gedichte lesen.»

«Hin und wieder. Eine alte Gewohnheit aus den Tagen, als ich auf strategischen U-Booten unterwegs war. Ein heimliches Laster, sozusagen.»

Das Grinsen auf Ashers gebräuntem Gesicht wurde breiter. «Peter, ich mag Sie schon jetzt.»

Wieder ertönte ein Gong, und die Türen des Lifts glitten zur Seite. Sie gaben den Blick frei auf einen weiteren Korridor, der viel größer und geschäftiger war als die vorherigen. Crane war fassungslos, als er sah, wie luxuriös die Quartiere eingerichtet waren. Elegante Teppichböden und – unglaublich! – gerahmte Ölgemälde an tapezierten Wänden. Es erinnerte an die Lobby eines Luxushotels. Menschen in Uniformen und in Laborkitteln gingen vorüber und unterhielten sich miteinander. Jeder trug einen Ausweis am Kragen oder einer Hemdentasche.

«Diese Anlage ist ein Wunder der Technik», fuhr Asher fort. «Es ist extremes Glück, dass man sie uns zur Verfügung gestellt hat. Wie dem auch sei, das hier ist Deck zehn. Noch irgendwelche Fragen, bevor ich Sie zu Ihrem Quartier bringe?»

«Nur eine. Vorhin sagten Sie, dass es zwölf Decks gibt, aber Sie haben nur sechs beschrieben. Und dieser Lift hat nur sechs Knöpfe.» Crane deutete auf das Kontrollpaneel. «Was ist mit dem Rest der Station?»