Wächter des Dungeons (Einzelgänger Buch 4): LitRPG-Serie - Alex Kosh - E-Book

Wächter des Dungeons (Einzelgänger Buch 4): LitRPG-Serie E-Book

Alex Kosh

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Beschreibung

Andrew hat mit seinem Charakter Falk endlich das erste der fünf Schwerter errungen, die er für die Schicksalsgöttin beschaffen muss. Das nächste Schwert befindet sich in Arkem, der unterirdischen Stadt der Gremlins. Dieses Volk ist für seine unangenehme und rüpelige Art ebenso wie für eine bizarre Logik und den Hang zum Chaos berüchtigt. Ob die Gremlins überhaupt bereit sein werden, mit ihm zu verhandeln, weiß Falk nicht. Doch es besteht eine Chance, denn die Gremlins verehren die Mechanismen der Uralten. Er muss nur herausfinden, welche geheimnisvolle Verbindung zwischen diesen Mechanismen und seiner Slider-Klasse besteht. Doch dann bricht in Arkem ein Tor zur Hölle auf. Die infernalische Invasion wird von Lamia angeführt, dem Sukkubus, der mit Falk noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Als wären das noch nicht genug Probleme, gibt es in der Realität einen Entführungsversuch, sodass Andrew seine neuen Fähigkeiten einsetzen muss. Schließlich beginnt er, an seinem Verstand zu zweifeln, als auch außerhalb Arktaniens das Spielmenü aufploppt. Bei all dem sucht er weiter nach anderen Menschen, die wie er besondere Kräfte aus dem Spiel in der Wirklichkeit nutzen können. Wohin wird ihn diese Quest am Ende führen?

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Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Das Steinschwert der Drachenberge

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Teil 2

Liebesgrüße aus dem Inferno

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Über den Autor

Wächter des Dungeons

Roman

von Alex Kosh

Einzelgänger Buch 4

LitRPG-Serie

Magic Dome Books

Wächter des Dungeons

Einzelgänger Buch 4

Originaltitel: Guardian of the Dungeon (Loner Book 4)

Copyright © Alex Kosh, 2023

Covergestaltung © Vladimir Manyukhin 2023

Deutsche Übersetzung © Guido Lenz, 2023

Erschienen 2023 bei Magic Dome Books

Anschrift: Podkovářská 933/3, Vysočany, 190 00

Praha 9 Czech Republic IC: 28203127

Alle Rechte vorbehalten

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Die Personen und Handlung dieses Buches sind frei erfunden. Jede Übereinstimmung mit realen Personen oder Vorkommnissen wäre zufällig.

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Teil 1

Das Steinschwert der Drachenberge

Das ist doch Irrsinn! Jedes zweite Mal, wenn unsere Gruppe eine Instanz startet, gibt es einen Durchbruch zur Hölle. Wie soll man da vernünftig aufleveln? Nach dem letzten Kampf gegen die Mächte des Infernos hat unser Clan seine beste Heilerin verloren. Sie arbeitet jetzt in der Stadt. Wegen der Albträume muss sie Beruhigungsmittel nehmen. Sie sagt, sie will nie wieder auf einen Raid gehen!

Offizielles Forum zu Arktanien

Juri: Ich habe jetzt schon mehrfach mit Blut gemalte Inschriften an Stellen gefunden, an denen es einen Durchbruch zur Hölle gab. Hat jemand eine Ahnung, was das soll? Ist das irgendeine Quest?

Maxim: Es wäre hilfreich, wenn du uns verrätst, was da stand.

Juri: Es ging immer um irgendwelche Höllenqualen, garniert mit kleinen Zeichnungen. Steckt ein anderer Spieler dahinter?

Maxim: Ach, die meinst du. Die kenne ich. Das stammt von einem NPC, einer Dämonin.

Nika: So etwas habe ich auch gesehen. Erst habe ich ja gedacht, jemand aus unserer Gruppe erlaubt sich einen schlechten Scherz. Aber die Figur in den Zeichnungen sieht immer gleich aus. Manchmal steht ein Name dabei, Focke, Locke oder so.

Agnessa: Ich habe es als Falk entziffert. Das ist garantiert eine Quest. Wahrscheinlich taucht der Kerl irgendwann in der Nähe eines Durchbruchs auf. Haltet euch bereit, diesen NPC, diesen Falk zu erledigen, wenn ihr ihn seht!

Chat des Clans Sommer-Schwertkämpfer

Heute kam es in der luxuriösen Wohngegend von Aprelewka zu einer Störung der Stromversorgung. Dadurch brach in der Residenz des bekannten Geschäftsmannes Wladimir Naumow, dem Inhaber von NeoLabs, ein Brand aus. Wie die Feuerwehr berichtet, lag der Brandherd im Zimmer von Naumows Sohn. Naumows Sohn liegt seit einem schweren Verkehrsunfall in einem VR-Pod. Als Brandursache wurde ein Kurzschluss in der Elektronik des Pods ermittelt. Glücklicherweise erlitt Naumows Sohn bei dem Unglück keine weiteren Verletzungen. Ein Reservepod stand für ihn bereit. Unter dem Sicherheitspersonal, das auf eigene Faust mit der Brandbekämpfung begann, gab es jedoch Verletzte.

Fernsehnachrichten

Kapitel 1

ARTJOM UND ICH saßen in seiner Küche, tranken Tee und genossen die Stille. Eigentlich bin ich kein Teetrinker, aber dieser hier schmeckte erstaunlich gut — und half mir, mich zu beruhigen. Meine Hände zitterten ein wenig. Immerhin waren wir gerade nur knapp einer unangenehmen Begegnung mit Daddy Rothschilds Leuten entgangen.

„Vielleicht sollte ich doch für eine Weile die Stadt verlassen“, beendete Artjom schließlich das Schweigen.

„Das sehe ich genauso“, stimmte ich zu. „Ich würde ja mitkommen, aber ich muss noch meine Quest abschließen. Meine göttlichen Beschützer sind da recht streng. Wenigstens haben sie ein veritables Interesse daran, mein Überleben sicherzustellen — denn ansonsten kann ich nicht weitermachen.“

Ein unheimliches Bild schoss mir durch den Kopf: Ich, starr in einem Pod liegend, der an Lebenserhaltungssysteme angeschlossen war. Nein, ich wollte nicht so enden, wie Daddy Rothschilds Sohn.

„Ach ja, ich habe Geld für Portalschriftrollen für dich. Das werden mir die virtuellen Götter hoffentlich nicht als Einmischung auslegen“, sagte Artjom.

Im selben Moment war ein Signal von der Mikrowelle zu hören, obwohl er sie nicht eingeschaltet hatte.

„War das ein Zeichen?“, fragte Artjom mit großen Augen.

„Wer weiß das schon! Wir nehmen es einfach mal als göttliches Okay an“, antwortete ich zögerlich. „Sieh uns an: Wir sind verrückt! Maschinen, die göttliche Botschaften übermitteln, pah!“

Artjom sah mich nachdenklich an.

„Du hast mir noch gar nicht von deinem Kampf gegen den Inferno-Boss erzählt.“

„Nicht? Nun ja, ich habe ihn getötet.“ Ich lachte. „Ganz allein.“

„Machst du Witze? Das Inferno ist doch kein Kinderspiel! Ich war mit einem Raid dort. Meine Güte! Wer als Entwickler daran arbeitet, muss wahrscheinlich vorher seine Einweisung in die Irrenanstalt belegen. Das Schlimmste war der See der Gebrochenen Herzen.“

„Was ist so schlimm daran? Leiden wir nicht alle manchmal an einem gebrochenen Herz?“

„Du verstehst nicht.“ Artjom wurde blass um die Nase. „Es war... ein echter See. Aus Herzen. Die durch den Fleischwolf gejagt worden waren.“

„Du meinst... menschliche Herzen?“

„Genau.“

Mein Magen rebellierte.

„Igitt!“

Wie gut, dass ich nach den Erlebnissen im Dungeon ein Schlafmittel besorgt hatte. Ich wollte unbedingt traumlos schlafen.

Wobei ich Artjoms Abscheu nicht teilte. Ja, das Inferno war, wie der Name schon sagte, höllisch. Abgetrennte Arme, hautlose Menschen und all die anderen Dinge waren kein schöner Anblick. Ich konnte gut verstehen, dass manche Menschen danach eine Weile Abstand vom Spiel nahmen. Doch bei mir überwog die Neugier. Natürlich war auch ich anfangs entsetzt gewesen. Doch meine Sorge hatte sich viel mehr auf meinen langzähnigen Begleiter als die Bewohner des Infernos konzentriert.

Ich erstattete meinem Freund detailliert Bericht über die Vorkommnisse. Auch das Treffen mit meinem Onkel ließ ich nicht aus. Als Artjom hörte, dass ich jetzt ein Graf war, reagierte er so ähnlich wie Onkel Boris.

„Mann, wir können zu dritt Geschäfte machen. Bitte, ich will mit von der Partie sein.“ Er wippte aufgeregt auf seinem Stuhl. „Ich weiß, ich bin eher ein Kämpfer. Aber ich habe auch schon Köpfchen bewiesen. Und ich kann Onkelchen im Auge behalten. So lange kennt ihr euch ja auch nicht, dass du ihm blind vertrauen solltest.“

„Meinst du das ernst?“, fragte ich erstaunt. „Dir wird doch bestimmt langweilig ohne Action.“

„Quatsch! Weißt du, wieso ich mich für einen Gnom entschieden habe? Weil er mir einen Bonus beim Handel verleiht. Sonst hätte ich unter den anderen Völkern einen besseren Kämpfer finden können. Du solltest mich nicht unterschätzen. Ich bin Spitze beim Handeln!“

„Das wusste ich ja gar nicht. Aber ich weiß ja auch erst seit gerade eben, dass du eine Freundin hast.“ Ich war deswegen noch immer ein wenig eingeschnappt.

„Oh, so lange geht das mit ihr auch nicht“, sagte Artjom. „Sie wusste wohl eher als ich, dass wir ein Paar sind. Wir waren auf ein paar Dates und... zack!... sind wir zusammengezogen. Das kam echt überraschend.“

Die Tassen waren leer. Artjom wärmte ein usbekisches Pilaw für uns auf. Seine Freundin hatte es am Vortag gekocht — und es war einfach köstlich. Ich mochte sie, ohne sie überhaupt kennengelernt zu haben.

Widerwillig legte ich den Löffel beiseite. „Es gibt da noch eine Sache. Als ich die Haustür unten geöffnet habe, ist eine Systemmeldung erschienen. Das war kein Glitch. Sie hat angezeigt, dass ich die Fähigkeit Maschinenkontrolle aus dem Spiel verwende. Es hat funktioniert wie in Arktanien.“

Artjom war nicht überrascht.

„Klingt logisch“, gab er zurück. „Ich habe mir ein paar Gedanken darüber gemacht. Vielleicht bedeutet die angezeigte Schmerzeinstellung etwas ganz anderes, als wir dachten. Gut möglich, dass es darum geht, wie weit fortgeschritten die Verbindung zwischen dem Spielsystem und deinem Gehirn ist. Es würde mich nicht wundern, wenn du irgendwann deine eigenen Attribute und Fähigkeiten sehen würdest, eventuell sogar die Namen von anderen Menschen und so weiter.“

„Wa…?“

Zugegeben, irgendwo in meinem Unterbewusstsein hatte ein ähnlicher Gedanke geschlummert. Aber ich hatte nie gewagt, ihn ans Tageslicht zu zerren oder auszusprechen. Es ging hier um mein kostbares Gehirn! Niemand ließ sich gern in seinem Kopf herumpfuschen. Was, wenn die Veränderungen zu einem Tumor führten?

„Du könntest doch noch einmal versuchen, deine Maschinenkontrolle einzusetzen. Mal sehen, ob die Meldung wieder erscheint.“

Ich nickte, zeigte mit dem Finger auf den Wasserkocher und stellte mir vor, wie ich ihn per Gedankenkraft einschaltete.

Einsatz der Fähigkeit Maschinenkontrolle mit Bosch Wasserkocher Modell E200 fehlgeschlagen

Heiliger Bimbam!

„Du hattest recht! Die Meldung war da!“

„Gilt das nur für Maschinenkontrolle oder auch für deine anderen Fähigkeiten?“, fragte Artjom wissbegierig.

Ich experimentierte ein wenig. Bei Blitzschlag und anderen Angriffen wurden keine Meldungen angezeigt. Ich konnte auch kein Status-Interface, keine Karten und ähnliche Overlays aufrufen. Doch für Maschinenkontrolle wurde stets eine Meldung zu Erfolg oder Misserfolg samt dem Namen des Ziels angezeigt. Woher mein Gehirn diese Modellbezeichnungen kannte, war unerklärlich. Und wir machten noch eine Entdeckung: Beim Versuch, die Kontrolle zu übernehmen, bestand durchaus die Gefahr, den Mechanismus zu beschädigen. Es geschah beim dritten Versuch, den Wasserkocher einzuschalten. Die Meldung informierte mich, dass das Gerät beschädigt worden war. Ich schuldete Artjom einen neuen Wasserkocher. Wie gut, dass wir nicht sein Smartphone verwendet hatten — das wäre deutlich teurer gewesen.

„Trotzdem seltsam, dass du nur für die eine Fähigkeit Systemmeldungen siehst“, stellte Artjom fest.

„Wahrscheinlich hast du recht, und das Status-Interface steht noch nicht komplett zur Verfügung“, schlug ich vor. Ich fragte mich, was in Zukunft noch alles passieren würde. „Vermutlich werden nach und nach auch die anderen Fähigkeiten angezeigt.“

„Ja. Aber wieso ist ausgerechnet Maschinenkontrolle die erste davon?“

„Es könnte daran liegen, dass es meine Klassenfähigkeit ist“, warf ich in den Raum. „Außerdem habe ich den Auftrag, meine Klasse in genau diesem Bereich zu verbessern.“

Apropos Auftrag: Würde das System mir in der echten Welt Quests geben, wenn ich ein Schmerzempfinden von 100 % erreichte? Fragen über Fragen. Wenn ich doch bloß jemanden finden würde, der mehr darüber wusste. Gut möglich, dass andere dieselbe Erfahrung schon Monate vor mir gemacht hatten.

„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ich der einzige Mensch bin, dem das passiert“, fasste ich meine Gedanken schließlich zusammen. „Ich würde gern mit dem Kerl sprechen, der Gegenstände schweben lässt. Kannst du mir die Kontaktinfos deines Freundes schicken? Vielleicht hat er demnächst Zeit für mich. Dann kann ich mit eigenen Augen sehen, ob er wie ich ist — oder alles nur Show.“

„Ich will mitkommen“, insistierte Artjom. „Es wird sowieso noch ein paar Tage dauern, bis ich aus der Stadt verschwinden kann. Was soll ich Lena erzählen? Ich kann ja kaum sagen, dass die Verkettung von Spiel und Wirklichkeit der Grund für unser Untertauchen ist. Dann würde ich sie verlieren.“

„Keine Ahnung“, sagte ich.

Es wäre schön, ihn als Begleitung zu haben. Wie gut, dass Hotei mich (oder uns?) beschützte! Letztendlich blieb mir sowieso keine Wahl.

Wir schmiedeten noch ein paar Pläne, dann machte ich mich auf den Heimweg. Anfangs blickte ich mich misstrauisch um, doch niemand folgte mir. Besser für Naumows Schlägertrupp! Ich war mir ziemlich sicher, dass ich kurzen Prozess mit ihnen gemacht hätte. Meine Fähigkeiten verschafften mir gegen so ziemlich jeden Angreifer einen unfairen Vorteil im Nahkampf. Ich musste natürlich noch lernen, mich mit Magnetismus zu verteidigen, damit ich Projektile ablenken konnte.

Ich stieg in ein Taxi. Vor meinem Wohnblock angekommen, beobachtete ich eine Weile den Bereich vor der Tür.

„Ach, leck mich doch.“ Ich hielt es nicht mehr aus. Heute war ich in der virtuellen Hölle gewesen. Was sollte mir schon passieren?

Ich bemühte mich, zuversichtlich auszuschreiten.

Ohne Zwischenfall erreichte ich meine Wohnung. Auch dort war alles in Ordnung. Kurz darauf lag ich schon im Pod und reiste nach Arktanien. Im Posteingang fand ich zwei Portal-Schriftrollen von Boris und 30.000 Gold von Artjom. Damit sollte ich alle Hürden meistern können. Ein Blick in das Quest-Log zeigte, dass mir nach wie vor sieben Tage blieben, um die Quest abzuschließen. Genug Zeit, um mich eine Runde aufs Ohr zu hauen. Ich bat Thram, mich am nächsten Morgen beim Heilig’s Fässle zu treffen und verließ das Spiel.

Anders als Artjom befürchtet hatte, schlief ich — Inferno hin, Inferno her — ein, bevor mein Kopf das Kissen berührte. Seelig und traumlos schlummerte ich entspannt dem Morgen entgegen. Fünf Minuten vor dem Weckerklingeln wachte ich auf. Ich fühlte mich stark. Energisch und voller Optimismus stand ich auf. Für einen guten Start in den Tag fehlte nur noch eine Tasse Kaffee. Die genoss ich beim Stöbern in den Arktanien-News.

„Das Inferno lässt sich nicht aufhalten. In jeder zweiten Instanz tut sich ein Durchbruch auf. Die Dämonen sind so stark, dass Spieler selbst bei einer niedrigen Schmerzeinstellung von 10 % reihenweise Nervenzusammenbrüche erleiden.

Die Machthabenden in Arktanien arbeiten an Schutzzaubern, die weitere Durchbrüche verhindern sollen.

Clans haben bereits Pläne für Mechanismen erhalten, mit denen sie Portalsprünge in ihre Liegenschaften verhindern können.

RussVirtTech hat erklärt, kein Update gegen das Inferno ausspielen zu können, weil Arktanien diese Möglichkeit gar nicht vorsieht. Bei einer bis ins kleinste Detail dynamischen Welt würden Updates das Gleichgewicht schnell zerstören. Eine KI entscheidet über Art und Zeitpunkt von Anpassungen. Dabei fließen vor allem die Entscheidungen und Aktionen der Spieler während ihrer Quests ein. Tatsächlich ist das Inferno auf genau diese Weise entstanden: Ein Spieler hat es im Rahmen einer legendären Quest erschaffen.“

Manche Dinge bemerkte man erst, wenn man mit der Nase darauf gestoßen wurde. Erst beim Lesen dieser Zeilen fiel mir auf, dass es bisher keine Updates gegeben hatte. Es gab in Arktanien keine Wartungsfenster oder Übergangsperioden. Das musste auch der Grund dafür sein, dass das Unternehmen keine Change-Logs veröffentlichte.

Ich leerte meine Tasse und stieg in den Pod.

In meinem Zimmer in Katar überprüfte ich mein Inventar. Noch immer wusste ich nicht, wozu das epische alchemistische Reagens gut war. Ich sollte Boris fragen. Nicht, dass ich hier einen Schatz mit mir herumtrug und es nicht wusste! Auf jeden Fall war es viel Geld wert. Doch bevor ich es verkaufte, wollte ich wissen, was ich damit anfangen konnte. Ich hatte es bestimmt nicht ohne Grund an meinem Startschauplatz gefunden.

Ich beschloss, es Boris per Eilpost zu schicken, damit er es identifizierte und mehr darüber in Erfahrung brachte. Ohne ihn wäre ich wirklich aufgeschmissen gewesen. Hoffentlich war mein Adelstitel wirklich von so großem Nutzen für ihn, wie er behauptet hatte, damit er eine Gegenleistung für seine Unterstützung bekam.

Thram hatte geantwortet — er wartete neben der Gnomentaverne auf mich. Vorher musste ich noch ein paar Elixiere besorgen. Es wäre wohl besser gewesen, die Abreise ins Land der Gremlins nicht zu verzögern, aber der Teufel ist ein Eichhörnchen.

Das erste Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte, war der Schmerz in meinen Zähnen. Ich konnte nichts entdecken, was ihn verursacht hätte. War bösartige Magie im Spiel? War ich verflucht worden? Ging das überhaupt innerhalb der Stadtmauern? Dann drang ein hohes Kreischen an meine Ohren. Die Spieler in der Nähe pressten die Hände auf die Ohren.

„Was ist da los?“, rief ein Elf mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Hoffentlich ist das gleich vorbei“, rief ein anderer Spieler.

Ein elegant gekleideter Herr mit einer gewaltigen Axt auf dem Rücken klopfte mit der flachen Hand gegen die eigene Schläfe.

„Ist mein Pod kaputt?“

Ein Gnom blickte von seinem Tablet hoch. „Es passiert in der ganzen Stadt. Alle schreiben davon!“

„Ist es ein Wetterphänomen?“, fragte eine Frau im Kleid. „Bitte, lass es keinen Angriff der Käfer oder Dämonen sein!“

Eine heftige Diskussion über die mögliche Quelle des Geräuschs entbrannte. Ich ließ die Menge hinter mir und lief rasch weiter zum Heilig’s Fässle. Ein ungutes Gefühl breitete sich in meiner Magengrube aus. Ich lief schneller und schneller.

Vor der Taverne stand Thram und blickte mich durch seine markante Brille erwartungsvoll an.

„Guten Morgen.“ Ich reichte ihm die Hand. „Bist du bereit?“

Der bärtige Gnom drückte mir mit einem Schnaufen die Hand.

„Natürlich. Hm! Was ist mit dir? Hast du mit deinem Onkel gesprochen?“

„Sowieso. Ich weiß jetzt, wie man den Fluch bricht. Lass uns das in Arkem besprechen“, flehte ich nervös.

Ich reichte ihm eine der beiden Schriftrollen.

„Auf eins! Drei, zwei...“

Er hatte das Pergament ausgerollt. Bei eins brach er das Siegel. „Das Ding funktioniert nicht.“

„Verdammt!“

Eine Systemmeldung wurde angezeigt:

Die Macht der Unsterblichen Toten unterbindet jegliche Magie des Raums. Portal-Schriftrollen können nicht aktiviert werden.

Verdammt! Ich hatte gewusst, dass so etwas passieren würde. Ich hatte es gewusst!

Das Kreischen in meinen Ohren wurde immer lauter. Es kam von irgendwo über uns.

„Vielleicht sollten wir lieber in die Taverne gehen?“, schlug Thram vor. „Hier draußen könnte es gefährlich werden.“

Was du nicht sagst! Etwas erschien über uns am Himmel.

Überall kreischten die Leute auf.

„Da!“

„Sie kommen aus den Wolken!“

Jetzt konnte ich auch etwas sehen.

Aber es waren keine Käfer oder ähnliche Mobs. Es waren Särge, die langsam Richtung Boden schwebten. Hunderte von Särgen in allen erdenklichen Formen und Größen! Einfache Holzkisten, die auseinanderzufallen drohten, Stahlsärge, die an Torpedos erinnerten, robuste Eichensärge und sogar ein gewaltiger Sarkophag aus Stein.

Soviel zu den Toten. Fasziniert blicke ich nach oben. Was es wohl mit dem „unsterblich“ auf sich hatte?

Nahezu majestätisch schwebten die Särge über der Stadt. Das Kreischen nahm an Intensität noch zu.

„Vielleicht fliegen sie ja nach Süden in ihr Winterquartier?“, witzelte jemand.

„Hauptsache, sie kacken uns nicht auf den Kopf!“, gab ein anderer Scherzbold zurück.

„Hast du eine Ahnung, was das sein könnte?“, fragte ich Thram. Immerhin war er ein Einheimischer in dieser Welt. „Gibt es vielleicht Geschichten oder Sagen darüber?“

„Ich habe keine Ahnung.“ Der Gnom schüttelte den Kopf. „Ich würde wirklich vorschlagen, dass wir in ein Gebäude gehen. Ich habe eine ganz böse Vorahnung.“

„Wer hätte auch je gehört, dass fliegende Särge ein gutes Omen sind“, stimmte ich zu.

Bevor wir die Tür zum Heilig’s Fässle erreicht hatten, schoss irgendwer einen Pfeil auf die Särge ab. Wie auf ein stummes Zeichen endete jede Bewegung über uns. Das Kreischen verstummte; die plötzliche Stille war extrem bedrohlich.

Langsam öffnete sich der Sarg, in dem der Pfeil steckte. Wie in Zeitlupe erhob sich eine ausgemergelte Gestalt. Trotz der zerlumpten Kleiderreste stand sie erhobenen Hauptes da. Ich warf sofort einen Blick auf die Namensmarkierung:

Gortan,Todesmagier, Level 199

Das Blut sackte mir in die Füße. Welches Level?

Eine kalte, knochentrockene Stimme dröhnte:

„Wer hat meine Ruhe gestört?“

Ein junger Mann in grüner Elfenrüstung rannte an mir und Thram vorbei und verschwand in der Taverne. Vermutlich hatte er den Pfeil abgefeuert.

Der stehende Leichnam hatte ihn ebenfalls bemerkt und drehte sich in unsere Richtung.

„Runter mit dir!“, rief Thram und trat mir in die Kniekehle, bevor er sich auf den Boden warf.

Die anderen Spieler auf dem Platz starrten mit offenen Mündern in die Luft. Zwei pechschwarze Bündel drangen aus den Augen des Magiers und trafen die Taverne. Nur ein schwarzer Rußfleck zeugte davon, dass hier einmal ein Gebäude gestanden hatte. Alle Personen darin hatten das Schicksal des Hauses geteilt.

„Heilige Scheiße!“, schnaufe ich und wagte kaum, den Kopf zu drehen. „Gut, dass wir es nicht hinein geschafft haben.“

Falls jemand gehofft hatte, dass der Magier nach dieser Machtdemonstration den Sargdeckel wieder zuklappen würde, wurde er enttäuscht. Stattdessen ließ der Zauberkundige den Blick über den Platz schweifen und machte das nächste Gebäude dem Erdboden gleich. Eine Systemmeldung flackerte auf:

Neue Gruppenquest erhalten: „Verteidige die Stadt gegen die Unsterblichen Toten.“

Aufgabe: Töte die wandelnden Toten.

Belohnung: Erfahrung, höhere Ansehen in Katar, möglicher Erhalt eines Adelstitels, finanzielle Vergütung, die deinem Anteil an der Verteidigung entspricht

Das war ein tolles Angebot, aber mein Level reichte für diese Quest bei Weitem nicht aus. Ich hätte dem Magier nicht den kleinsten Kratzer zufügen können. Es musste viele Spieler ab Level 100 in der Stadt geben, die diese Quest mit Kusshand annehmen würden. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, als auch schon Hunderte von Zaubern gewirkt wurden und mindestens so viele Pfeile und Bolzen auf den Magier zuschossen. Doch leider ließ die Zielgenauigkeit zu wünschen übrig. Zauber und Geschosse trafen weitere Särge, deren Deckel sich langsam öffneten.

Es war höchste Zeit, hier zu verschwinden!

„Hauen wir lieber ab!“ Thram hatte meine Gedanken gelesen. „Für diese Gegner sind wir noch nicht einmal Ungeziefer.“

Wir sprangen auf und versuchten, uns gegen den Strom zu kämpfen. Erstaunlich viele Spieler rannten auf den Platz, um die Stadt zu verteidigen. Wäre Arktanien für mich bloß ein Spiel gewesen, hätte ich vielleicht auch dazu gehört. Doch im Moment benötigte ich jeden meiner Erfahrungspunkte und jede Minute, die ich hatte.

Aus den Särgen erhoben sich Männer, Frauen und sogar Kinder. Niemand von ihnen war unter Level 150. Ein paar waren sogar im Bereich von 200. Sie alle hätten einen respektablen Raid-Boss abgegeben.

Wir ließen das Kampfgeschehen hinter uns. Doch in einer Gasse blockierten zehn hochlevelige Spieler unsere Flucht.

„Seht nur, was die Katze gebracht hat! Die Stadtwache ist mit den Untoten beschäftigt und kann diesem kleinen Jammerlappen nicht helfen. Du hättest dich nicht mit unserem Clan anlegen sollen!“ Ihre gehässigen Blicke waren auf mich gerichtet. „Schöne Grüße von Narwal.“

Zwei der Spieler, beide kurz vor Level 100, kamen bedrohlich auf mich zu.

„Wenn du still hältst, tut es weniger weh. Obwohl... Wenn du nicht still hältst, macht es mehr Spaß.“

Wieder überraschte mich der Gnom mit seinem raschen Handeln. Drohend hielt er den Spielern seinen Lieblingssprengstoff entgegen.

„Schön langsam!“

„Glaubst du, das Zeug kann uns etwas anhaben?“, kicherte ein Krieger in voller Rüstung.

„Vermutlich nicht.“ Thram zuckte die Achseln. „Aber zum Anklopfen an den Sarg über uns reicht es allemal.“

„Weißt du was?“, fragte einer der Spieler nervös. „Wir kennen dich gar nicht. Wir haben auch nichts gegen Gnome. Du kannst einfach gehen. Dir ist doch klar, dass der Einlieger aus dem Sarg sich zuerst an dir rächen wird?“

Ich seufzte.

„Thram, geh ruhig. Das ist meine Sache.“

„Aber...“

„Kein aber. Ich schaffe das schon“, versicherte ich ihm. „Auf die ein oder andere Art“, flüsterte ich unhörbar für ihn.

Die Truppe musste nur einen oder zwei Treffer landen, um mich zu töten. Es brachte nichts, zu warten, also schleuderte ich einen Blitz auf den Sarg.

„Heute ist ein schöner Tag, um gemeinsam zu sterben“, lachte ich höhnisch und zeigte den Spielern den Finger.

Knarzend öffnete sich der Deckel.

Kapitel 2

DER SARG ÜBER UNS war weder aus Stein noch aus Holz, sondern aus Glas. Es könnte auch Kristall gewesen sein. Auf jeden Fall sah er überaus elegant aus und irgendwie feminin. Darin stand eine Frau, die in feines, blaues Tuch gewandet war. Ihre vornehm blasse Haut wirkte wie Reispapier. Das Haar hing lang und weiß von ihrem Kopf hinab. Sie machte einen majestätischen und zugleich überirdisch schönen Eindruck auf mich.

„Mist!“, stieß ich hervor, als ich ihre Markierung sah: Aishorth, Herrin der Kälte, Level 205. „Ich bin tot.“

„Wer hat meine Ruhe gestört?“, fragte die Schneekönigin eisig.

„Der da“, rief einer der Spieler vom Clan Geist der Jagd und deutete mit dem Finger auf mich.

Obwohl der Sarg etwa sieben Meter über mir schwebte, konnte ich genau sehen, wie die eisblauen Augen sich zu Schlitzen verengten, als sie mich fixierte. Mir wurde kalt, und ich hielt den Atem an. Als ich langsam ausatmete, stand eine dicke Wolke vor meinem Gesicht. Wie im tiefsten Winter!

„Ich flehe Euch an, Mylady, vergebt mir“, sagte ich untertänig.

Was hätte ich anderes tun sollen? Mit 165 Leveln über mir hätte wahrscheinlich eine Berührung ihrer langen Wimpern ausgereicht, um mir den Garaus zu machen. Ein weiterer Wimpernschlag, und das Gebäude hinter mir wäre nur noch Schutt und Asche.

„Die Strafe ist der Tod“, sagte sie nüchtern.

Sie hob auf elegante Weise die Hand, streckte einen Finger in meine Richtung und... hielt inne. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich.

„Bist du verflucht?“

Verwirrt sah ich sie an.

„Bitte was?“

„Ob du von einer Göttin des Lichts verflucht wurdest?“

Sie musste Elenia und den Fluch des Einzelgängers meinen. Allerdings dachte ich mittlerweile kaum mehr daran. Entsprechend verwirrt war ich.

„Ja, ich bin verflucht“, gab ich vorsichtig zu.

Die dünnen, blauen Lippen der Herrin der Kälte verzogen sich zu einem raubtierhaften Grinsen, das scharfe weiße Zähne offenbarte.

„Ich brauche dein Blut.“

„Nur mein Blut?“, fragte ich erleichtert. „Das dürfte kein Problem sein.“

„Halt!“, rief Thram und griff nach meinem Arm. „Weißt du überhaupt, was du ihr da anbietest? Hast du eine Ahnung, was geschieht, wenn du ihr freiwillig die Essenz deines Lebenssaftes überlässt?“

Das wusste ich natürlich nicht. Woher auch.

„Wir kommen mit dem Leben davon, oder?“, fragte ich.

Zwischen 20 und 30 Spieler hatten sich der Eislady von hinten genähert und griffen koordiniert mit Feuerbällen, Chaossphären und diversen weiteren Zaubern an. Ein großer Fehler, wie sich herausstellte, denn eine Magierin auf ihrem Level verfügte über ganz hervorragende Verteidigungsmagie. Rund um Aishorth flackerte ein Schleier auf, der alle Angriffe mühelos abwehrte.

„Gewürm!“, murmelte sie ohne jede Regung.

Dann schnippte sie kurz mit den Fingern. Ein gewaltiger Schneesturm erfasste die Spieler und riss sie in die Luft. Lediglich ein paar Kopfbedeckungen und andere Gegenstände blieben von den Unglücksraben zurück.

Für die Mitglieder des Clans Geist der Jagd war das ein Zeichen, sich langsam möglichst weit von der Herrin zu entfernen. Mir war das nicht möglich, denn Aishorth widmete mir ihre volle Aufmerksamkeit.

„Wenn du ihr deine Blutessenz einfach gibst, verlierst du einen Teil deiner Stärke“, flüsterte Thram mir zu. Die Eiskönigin warf ihm einen warnenden Blick zu. Sofort hielt er den Mund.

„Stärke?“, flüsterte ich verwirrt zurück.

Eines der Clanmitglieder konnte sich nicht zurückhalten: „Du verlierst Level, Blödmann. Komm schon, mach der Farce ein Ende und stirb endlich!“

Indigniert wedelte die Herrin der Kälte mit der Hand. Schneeflocken umtosten die Gruppe und verwandelte sie in Eisskulpturen. Keiner von ihnen konnte reagieren. Sie waren in dem Moment erstarrt, als sie wegrennen, ihren Kameraden verfluchen oder sonst etwas tun wollten.

„Vergebt, aber ich benötige meine Stärke noch“, brachte ich mit zittriger Stimme hervor. „Ich habe zu viele Feinde und so viel zu tun.“

Thram wagte nicht, wegzulaufen, aber ich bemerkte, wie er den Mittelfinger in meine Richtung hob. Ob er mich für meinen Mut belobigen wollte?

Aishorth bohrte ihre Augen in meine. Trotz der Kälte erschauerte ich. Ein gewaltiges Gewicht drückte auf meine Seele.

„Also gut“, sagte sie schließlich. „Dann schlage ich ein Tauschgeschäft vor.“

„Ein Tauschgeschäft?“

Ich musste damit aufhören, wie ein Echo zu klingen. Es wirkte nicht gerade intelligent. Die vielen Attributpunkte, die ich in meine Intelligenz investiert hatte, hatten mich kein Stück klüger gemacht. Das ESGUMI war eben doch ein Prototyp. Ansonsten wäre mein IQ doch sicher gestiegen, oder? Oder?

„Ich bewahre dich vor jeder beliebigen Gefahr. Sagen wir... drei Mal. Danach gibst du mir deine Blutessenz.“

Das sah nach einem guten Deal aus. Eine persönliche Beschützerin auf Level 200! Mit ihr könnte eine halbe Stadt hinter mir her sein, ohne mir Schaden zuzufügen. Ich würde einfach nur zwei Mal um ihren Schutz bitten, damit ich keine Level verlor.

„Abgemacht!“

Du hast einen Pakt mit Aishorth Blutstein geschlossen.

Bedingungen: Du kannst Aishorth Blutstein im Laufe des nächsten Monats drei Mal um Hilfe bitten.

Nach dem dritten Hilferuf oder nach Ablauf des Monats musst du Aishorth Blutstein die große Essenz deines Blutes geben.

Verdammt! Von diesen Bedingungen war nie die Rede gewesen! Ein wenig missmutig stimmte ich zu. Es würde nichts bringen, wie auf dem Basar zu feilschen.

Aishorth bemerkte meinen Verdruss und lachte laut. Vermutlich hatte sie die Bedingungen im Vorfeld festgelegt. Wie funktionierte das überhaupt? Die Einheimischen wussten ja nichts von unserem Status-Interface. Schickten sie einfach einen Wunsch an das Universum?

Die Eiskönigin beschwor einen Mantel aus Schnee, der sich immer weiter verdichtete, bis eine durchscheinende, hellblaue Kugel entstand.

„Bitte sehr“, sagte Aishorth und ließ die Kugel zu mir schweben. „Damit kannst du mich jederzeit und überall beschwören.“

Artefakt erhalten: Herz des Schneesturms

Beschwöre Aishorth Blutstein (3/3)

Erhöht, wenn ausgerüstet, deine Resistenz gegenüber Kälte um 20 % und kühlt deine Emotionen.

Kühlt die Emotionen?Was sollte das bedeuten?

„Verzeiht, Lady Aishorth, aber was bed…“

Doch sie beachtete mich nicht länger, sondern hatte den Sargdeckel bereits von innen verschlossen.

„Bist du verrückt? Du kannst doch nicht auf diese Weise Verträge abschließen! Ehrenwort schön und gut“, schimpfte Thram, „aber so etwas macht man schriftlich. Man nimmt sich Zeit und geht sorgfältig vor.“

Das stimmte ja alles. Mir wäre das auch lieber gewesen, aber es gab zu viele Abers in der Geschichte.

„Hast du schon einmal mit jemandem verhandelt, der so hoch über dir steht?“

„Das stimmt auch wieder“, gab der Gnom zu. „Komm, lass uns jetzt endlich abhauen. Es sind deutlich zu viele Särge im Anflug.“

Das Chaos um uns herum hatte ich im Angesicht der Herrin der Kälte fast vergessen. Jede Minute starben Hunderte von Spielern. Die Unsterblichen Toten brachten Verheerung über die Stadt. Das einzig Gute war, dass sie ihre Särge nicht verlassen konnten.

„Dann nichts wie weg“, bestätigte ich. Mein Blick viel auf den Trupp vom Clan Geist der Jagd. „Was ist mit denen?“

Die Spieler waren noch immer erstarrt. Einerseits hätte ich sie gern getötet, aber andererseits wollte ich nicht riskieren, dass sie auftauten und sich wehrten. Thram nahm mir die Entscheidung ab, indem er ein ganzes Bündel Dynamit anzündete und mitten in die Gruppe schleuderte.

„Hoppla.“ Er zuckte die Achseln. „Wie konnte mir das nur wegfallen.“ Dann schob er mich in die andere Richtung.

Wir hatten knapp 20 Meter hinter uns gebracht, als eine heftige Explosion den Boden unter unseren Füßen erschütterte. Kleine, glitzernde Spielerfragmente flogen uns um die Ohren. Hätte Aishorth sie nicht zu Eis gefroren, hätte das Dynamit nicht eine derart zerstörerische Wirkung entfaltet. Ein Gefühl der Genugtuung breitete sich in mir aus.

Doch dann blickte ich Thram ernüchtert an. Verdammt! Ich hätte eine Gruppe mit ihm bilden sollen. So war mir die Erfahrung für die Ausschaltung dieser hochleveligen Spieler durch die Lappen gegangen. Vielleicht hätte ich sogar nützliche Gegenstände erhalten. Zu spät!

Trotzdem suchte ich den Krater nach Loot ab, bevor ich Thram nacheilte. Er war erstaunlich schnell unterwegs. Wir mussten ein paar Mal dem Schlachtgetümmel zwischen hochleveligen Spielern und schwächeren der Unsterblichen Toten ausweichen. Der Gnom führte mich zielstrebig durch die verwinkelten Straßen und Gassen, als hätte er eine Karte der Stadt.

„Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte ich ihn.

„Raus aus der Stadt. Irgendwo muss die Portal-Sperrzone ja enden.“

„Guter Plan.“

Die Spuren der Kämpfe waren noch immer unübersehbar. Bestimmt jedes dritte Gebäude war völlig zerstört. Dabei versammelten sich in der Hauptstadt des Kaiserreichs die stärksten der Starken. Selbst die Stadtwachen waren auf hohem Level, einige sogar auf 200. Ein nicht abreißender Strom von Spielern und Wachen wälzte sich dem zentralen Platz entgegen, um die Unsterblichen Toten zurückzuschlagen. Spieler auf niedrigem Level wie ich stahlen sich dagegen in die andere Richtung davon — oder wurden von einem Querschläger an ihren Respawn-Punkt geschickt. Thram und ich wichen den Verteidigern so gut wie möglich aus.

Irgendwann konnte ich keine Särge mehr über uns entdecken. Dann hatten wir auch das Kampfgeschehen hinter uns gelassen. Ich schnaufte durch. Zeit, mir einmal anzusehen, worauf ich mich eingelassen hatte. Die Informationen auf meinem Tablet verrieten mir, dass Spieler und Einheimische Blut- und andere Essenzen für alchemistische Zwecke herstellen konnten. Eine mindere Essenz kostete 5 Level, eine mittlere Essenz 10 Level und die große Essenz, die ich der Herrin der Kälte schuldete, ganze 20 Level. Ich war so was von am Ende! Das war die Hälfte der Erfahrung, die ich bisher in harter Arbeit erlangt hatte. Natürlich blieben mir noch 30 Tage, um weiter aufzuleveln, aber der Verlust wäre in jedem Fall schmerzlich. Mal sehen. Für die Beschaffung der restlichen vier Schwerter hatte ich noch 37 Tage Zeit. Ich würde versuchen, die Quest abzuschließen, bevor ich die Essenz hergeben musste. Dann würde mich niemand mehr verfolgen, um mir die Schwerter vor der Nase wegzuschnappen, und ich könnte die Sache gelassener angehen.

Das war doch positiv! Eine andere schöne Überraschung war die Beute, die ich den Spielern vom Clan Geister der Jagd abgenommen hatte. Boris könnte den Kram bestimmt für ein paar Tausend Goldmünzen verkaufen. Meine Laune besserte sich zusehends. Doch dann liefen wir ausgerechnet diesem Clan wieder über den Weg. Es waren sogar dieselben Spieler, die Aishorth zu Eis hatte erstarren lassen. Sie waren wieder auf dem Weg ins Stadtzentrum, hatten allerdings Verstärkung auf noch höherem Level mitgebracht. Darunter waren Narwal und Allariel. Wegen ihnen und meiner Weigerung, das Ei herauszurücken, war ich überhaupt erst auf der Feindesliste des Clans gelandet.

„Na, sieh mal einer an“, grinste Narwal. „Gerade haben diese Jungs hier mir erzählt, wie du dank des Eingreifens einer hochleveligen NPC entkommen bist. Wie schade für dich, dass ich so jemanden nirgendwo hier sehe.“

Thram und ich tauschten einen kurzen Blick aus und wollten Fersengeld geben, aber einer der Spieler belegte uns mit einem Lähmungszauber und anderen Debuffs. Ich war ungefähr so beweglich wie eine schwangere Landschildkröte.

„Es muss auch niemand hier sein. Ich kann jederzeit einen Charakter auf Level 200 beschwören“, sagte ich und versuchte, gelassen zu wirken.

Ich hatte zwar nicht vor, Aishorth herbeizurufen, denn das wäre reine Verschwendung gewesen. Lieber würde ich sterben. Andererseits wollte ich keine Erfahrungspunkte oder Gegenstände einbüßen. Am Ende würde ich vielleicht meine Portal-Schriftrolle verlieren!

„Dann lass mal sehen“, ermunterte Narwal mich hämisch. „Allie und ich haben eine Wette am Laufen. Er ist überzeugt, dass er dir einen Pfeil ins Auge schießen kann, bevor du das Artefakt aktivieren kannst. Was denkst du?“

„Du sollst mich nicht so nennen“, beschwerte der Elf in der grünen Schuppenrüstung sich. „Der Name ist Allariel.“

„Ist doch egal“, sagte Narwal beiläufig. „Also, du zählst jetzt bis zehn, und dann sterbt ihr beide.“

„Wenn ich sterbe, nehme ich euch mit!“, rief Thram theatralisch und öffnete seine Jacke.

Darunter trug er eine Art Sprengstoffweste. Bei der Menge würde niemand hier überleben.

„Wer warst du noch einmal?“, fragte Narwal böse lächelnd. „Ach ja, irgendein Hinterwäldler. Hau lieber ab, bevor du dir noch wehtust.“

Einer seiner Begleiter beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Ehrlich? Ich höre gerade, du hast unsere Freunde hier getötet. Dann musst du natürlich auch sterben. Nur zu, zünde das Dynamit. Meine Magier können uns vor dem kleinen Wumms sicher schützen.“

Wenn wir hier raus waren, würde ich mit Thram über diesen Trend zum Sich-selber-in-die-Luft-sprengen reden müssen. Das hier war doch keine Kamikazemission!

Ein paar Wachen rannten die Straße entlang.

„He, Wache!“, rief ich. „Die Kerle hier wollen uns töten.“

„Netter Versuch“, höhnte einer der Spieler. „Die Wachen greifen erst ein, wenn jemand den ersten Schlag getan hat. Und da die Stadt sich im Kriegszustand befindet, werden sie keinen Finger für dich rühren.“

Richtig! Das hier war praktisch ein Krieg. In genau solchen Fällen sollte ich die Wachen befehligen können, oder?

„Wache!“, rief ich einigen Soldaten zu. „Zu mir!“

Die Spieler lachten laut.

„Ernsthaft? Glaubst du wirklich, die Wachen hören auf deine Befehle? Für wen hältst du dich?“

Sie staunten nicht schlecht, als die fünf Soldaten sich vor mich stellten. Es waren fünf Elitekämpfer auf Level 120, darunter ein Zauberer. Die konnten den Clanspielern durchaus Paroli bieten. Doch niemand, der bei Verstand war, würde in der Stadt gegen Wachen kämpfen. Damit handelte man sich ratzfatz eine Vorstrafe ein, verlor all sein Ansehen und wahrscheinlich sogar den Zugang zu allen Städten des Kaiserreichs.

„Jawohl, Leutnant!“, salutierte der Anführer des Soldatentrupps.

Die Spieler vom Clan Geist der Jagd senkten verwirrt die Waffen. Ich war selber ein wenig überrascht, dass es so gut geklappt hatte.

„Diese Opportunisten nutzen den Angriff, um unschuldigen Bürgern aufzulauern“, sagte ich grimmig und nickte in Richtung von Narwal und seinen Freunden. „Ich benötige euren Schutz.“

„Jawohl, Leutnant“, rief der Zauberer zackig und entfernte sämtliche Debuffs, die auf Thram und mich wirkten. „Wir bringen euch in Sicherheit.“ Dann wandte er sich an die Clan-Mitglieder. „Ich erteile eurem Clan einen Verweis. Eure Ansehen wird herabgestuft. In Zeiten der Not solltet ihr der Stadt beistehen und keine zusätzliche Unruhe stiften.“

Narwal öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu und blickte uns verständnislos hinterher. Im Weggehen zeigte ich ihm den Finger, der für den Clan Geist der Jagd reserviert war. Als Reaktion zog er die Handkante vor der Kehle lang — dieser Streit war noch nicht beendet. Darum würde ich mich später kümmern. Improvisation war mein zweiter Vorname.

„Dein Glück wird nicht ewig halten!“, brüllte er uns nach.

Mein was? Glück? Das ich nicht lache! Mit meinen Fertigkeiten und Fähigkeiten hatte ich gegen einen guten Spieler auf meinem Level keine Chance. Bisher hatten mich nur tiefe Griffe in die Trickkiste vor Schlimmerem bewahrt. Zwar konnte ich mittlerweile ganz gut mit dem Shanbiao umgehen, aber mir fehlte es einfach an Erfahrung und Geschick im Kampf gegen andere Spieler. An Scharmützel mit Leuten, die mir mehrere Level über waren, brauchte ich gar nicht zu denken. Sie würden mich im Nu zu Schaschlik verarbeiten. Ganz unrecht hatte Narwal nicht: Es war reines Glück gewesen, dass die Spieler mir erst mitteilen wollten, was für ein Wurm ich war, statt mich einfach direkt zu töten.

„Die Bande hat gerade noch mal Glück gehabt“, murmelte Thram. „Keiner von denen weiß, wozu meine Selbstzerstörungsfähigkeit in der Lage ist. Ich hätte das komplette Viertel dem Boden gleich gemacht. Da hätten sie noch so viele magische Schilde errichten können. Zwar wäre ich ziemlich schwach wieder respawnt, aber das hätte ich in Kauf genommen.“

„Ich wusste gar nicht, dass du so blutdürstig bist“, stellte ich fest.

„Na ja, ich habe mir hier ein paar Dinge besorgt, die es in Kelevre nicht gibt. Es wäre schön gewesen, mal wieder für einen ordentlichen Knall zu sorgen“, sagte Thram mit verträumtem Blick. „Mit dem Zeug hätte ich die Orks in ihre Schranken weisen können! Kein Fitzelchen wäre von ihrer Armee übrig geblieben.“

Die Wachen hatten uns mittlerweile zu einem Militärlager gebracht. Hier waren wir von vielen hochleveligen Spielern umgeben. Niemand würde es wagen, uns ein Haar zu krümmen. Außerdem hatten wir die Sperrzone verlassen. Unserem Aufbruch nach Arkem stand nichts mehr im Wege — hoffte ich zumindest. Vielleicht würde uns der Himmel auf den Kopf fallen oder die Erde aus der Bahn geworfen werden. Manchmal hatte ich das Gefühl, die ganze Welt hatte sich gegen mich und die Göttin verschworen.

„Sollen wir los?“, fragte Thram ungeduldig.

„Ja!“

Dieses Mal funktionierten die Schriftrollen. Eine durchscheinende Weltkarte mit vielen grünen Punkten an den möglichen Teleportzielen wurde angezeigt. Leider gab es keinen einzigen Punkt in Arkem.

Verdammt.

Zitternd holte ich mein Tablet heraus, um den Grund dafür zu erfahren. Ausnahmezustand in Arkem! Gremlin-Prinzessin verschwunden!Das Land hat die Grenzen geschlossen, damit die Entführer nicht entkommen können.

Was? Das durfte nicht wahr sein!

Kapitel 3

ICH WUNDERTE MICH mittlerweile über gar nichts mehr. Logisch, dass die Prinzessin genau jetzt verschwand. Was ich nicht verstand, war, dass so eine große Sache daraus gemacht wurde. Wer brauchte schon Gremlins? Gut, bis auf andere Gremlins vielleicht.

„Keine Sorge“, munterte der Gnom mich auf. „Wir können immer noch den altmodischen Weg ins Gremlin-Land nehmen — durch die unterirdischen Tunnel.“

„Ehrlich? Wo müssen wir hin?“

„Keine Ahnung. Ich kann dir aber versichern, dass du problemlos einen Gremlin finden wirst, der dich über die Grenze schmuggelt. Die Grünlinge würden ihre eigene Großmutter verkaufen, sofern der Preis stimmt. Gut möglich, dass die Prinzessin von Gremlins entführt wurde, die ein bisschen Geld brauchen. So etwas passiert immer wieder.“

„Wohin sollen wir dann teleportieren? Groddar vielleicht, oder Darnhall?“, schlug ich vor.

„Nein, auf keinen Fall. Im Gnomenreich wirst du keine Gremlins finden. Die haben bei uns Haus-, Stadt- und Landverbot.“ Thram schüttelte den Kopf. „Der Ort, von dem die Berge am besten erreichbar sind, ist Pyrenth. Das gehört zum Kaiserreich. Dort suchen wir uns einen Führer, der uns nach Arkem bringt.“

Ich beschloss, dem Plan zuzustimmen. Einen anderen hatten wir ja auch nicht.

„Brechen wir gleich auf.“

Ich wählte Pyrenth aus und aktivierte die Schriftrolle. Eine Bestätigung wurde angezeigt, dann tat sich ein hellblaues Portal vor mir auf. Bevor ein weiteres unvorhergesehenes Ereignis uns aufhalten konnte, stiefelte ich hindurch. Hoffentlich erwartete mich am anderen Ende keine böse Überraschung. Bei meinem Pech würde ich mitten im Nirgendwo am falschen Ende des Kontinents landen.

Doch alles verlief problemlos. Ich konnte die Tore von Pyrenth bereits sehen. Das Portal musste mit Bedacht hier platziert worden sein. Jeder Neuankömmling konnte gar nicht anders, als die Pracht der Stadt im Tal unter sich zu bestaunen. Pyrenth war die dritte kaiserliche Stadt, die ich betrat. Wo Katar an eine mittelalterliche Stadt erinnerte und Verithé an einen italienischen Küstenort, entpuppte Pyrenth sich als gewaltige Festungsanlage. Das lag gewiss daran, dass es nahe der Grenze zum Gnomenland lag. Gordica hieß die Region auf der anderen Seite der Grenze. Einzig und allein Pyrenth stand zwischen dem Kaiserreich und dem von Gnomen bewohnten Drachenbergen. Obwohl Frieden zwischen den beiden Ländern herrschte, setzte das Kaiserreich mit dieser Festung in Grenznähe ein deutliches Zeichen. Ein Zeichen, über dem eine gewaltige Burg thronte, komplett mit einem tiefen Dungeon darunter. Die Burgmauern waren so dick, dass zwei Ochsenkarren hintereinander im Tordurchgang Platz hatten. Die Außenstadt war von einer weiteren Mauer umgeben, die sogar noch dicker war. Die Stadt lag an einem Ufer. Ein Hafen erstreckte sich fast bis an den Horizont. Unzählige Schiffe jeder Form und Größe ankerten dort, vom Segelboot bis zum stählernen Dampfboot.

Hinter mir schluckte Thram ehrfürchtig, bevor er mir auf die Schulter tippte: „Sieh nur, die Drachenberge!“

So viel Emotionen hätte ich ihm gar nicht zugetraut.

„Hast du deine Heimat vermisst?“, fragte ich.

„Bitterlich“, gab er zu. „Ich war seit über 20 Jahren nicht mehr in Gordica. Damals...“ Ihm blieb die Stimme weg. „Egal.“

Stumm blickte er voller Sehnsucht auf das Gebirgsmassiv. Ich wagte nicht, den andächtigen Moment zu stören. Mir persönlich war die Landschaft egal. Ich hatte genug Probleme. Ich beschloss, bei Boris Erkundigungen über das Gremlinreich einzuholen. Vielleicht kannte er sogar einen geeigneten Wildnisführer?

Seine Antwort kam zögerlich: „Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber die Sache ist nicht einfach. Du musst ja auch darauf achten, dass niemand bemerkt, wenn du das Kaiserreich verlässt. Zu doof, dass das mit dem Portal nach Arkem nicht geklappt hat.“

Das war offensichtlich. Wenn Thram es nicht für aussichtslos gehalten hätte, im Gnomenland einen Führer nach Arkem zu finden, wäre ich auch lieber direkt aus dem Kaiserreich teleportiert.

„Vermutlich hast du vor Ort bessere Chancen“, schlug Boris vor. „Lauf ein wenig durch die Stadt, frage Einheimische und Spieler, halte die Ohren offen. Bestimmt findest du so jemanden.“

„Okay“, antwortete ich ein wenig enttäuscht.

Man konnte nicht jede Lösung auf dem Silbertablett serviert bekommen.

„Wo, denkst du, sollten wir nach einem Führer suchen?“, fragte ich Thram und unterbrach die Stille.

„Ich würde in den Kneipen anfangen“, antwortete der Gnom, bevor er den Blick widerwillig von den Bergen abwandte. „Gremlins gibt es überall. Schwieriger ist es, jemanden zu finden, der uns nicht über den Tisch zieht und wirklich an unser Ziel bringt. Nachdem du es ja nicht so mit Verhandlungen hast, würde ich das gern übernehmen. Misch dich einfach nicht ein, ja?“

„Kein Problem. Mal sehen, ob du es besser kannst.“

An mir waren einfach zu viele Götter und Göttinnen interessiert, als das ich auf einen grünen Zweig käme. Das würde ich natürlich niemals laut aussprechen. Ein Fluch reichte mir.

Wir stiegen hinab und traten durch das Tor. Zwar war die Bauweise in Pyrenth eine andere, aber ansonsten waren die Unterschiede auf den ersten Blick nicht groß. Derselbe Mix aus Spielern und Einheimischen lief geschäftig durch die Straßen. Allerdings gab es hier sehr viel mehr Gnome als in Katar, was bestimmt an der Nähe zu Gordica lag. Ich berichtete Thram, was mein Onkel über den Fluch erzählt hatte.

„Das Blut eines Gottes? Dazu müsste man erst einmal einen Gott verwunden oder ihn überreden, sich freiwillig davon zu trennen. Beides ist so gut wie unmöglich. Mal sehen, wie ich das Fa-Rukat beibringe.“

Er wirkte betrübt. Dabei hatte ich wirklich mein Bestes gegeben.

Gemeinsam suchten wir nach einem Führer. Tatsächlich gab es ziemlich viele Gremlins in der Stadt. Doch die wenigsten waren an einer Zusammenarbeit mit uns interessiert. Dass Thram ein Gnom war, half auch nicht, denn zwischen den beiden Völkern herrschte tiefes Misstrauen. Auch ich war nicht beliebt bei den Grünhäuten. Tatsächlich hatte meine kurze Stippvisite in Arkem mein Ansehen bei den Gremlins ruiniert. Unbändige Wut trat in ihre Augen, sobald sie mich sahen. Wüste Beschimpfungen und Flüche wurden mir hinterhergeschleudert.

„So klappt das nicht“, seufzte ich schließlich.

„Keine Sorge. Es gibt durchaus Gremlins, die kein Problem mit uns Gnomen haben“, beschwichtigte mein Begleiter mich. „Irgendwann finden wir einen.“

Cool! Er hatte nur eine Sache übersehen: Es schien keinen einzigen Gremlin zu geben, der kein Problem mit mir hatte. Mein schlechter Ruf eilte mir bei allen Angehörigen ihres Volkes voraus. Oder gab es unabhängige Volksstämme bei den Gremlins? Eine andere Faktion vielleicht?

Nach weiteren erfolglosen Versuchen warf Thram mir einen seltsamen Blick zu. „So einen Hass habe ich noch nie erlebt. Was hast du verbrochen, Junge?“

Ich nickte. „Vor einer Weile bin ich mit ein paar Gremlins aneinandergeraten. Das scheint meinem Ansehen nicht zuträglich gewesen zu sein.“

„Das muss schon ein ganz besonderer Gremlin gewesen sein, wenn dich deswegen das ganze Volk so hasst. Hast du dich mit einem Stammesanführer, einem König oder einer Prinzessin angelegt?“

Woher sollte ich das wissen? Ich konnte ja noch nicht einmal Männlein und Weiblein unterscheiden! Auf jeden Fall wusste ich jetzt, dass die Dame ziemlichen Einfluss hatte.

„Wir sollten uns aufteilen“, schlug der Gnom vor. „Ohne dich stehen meine Chancen vermutlich besser. Wenn ich erst einmal eine Vereinbarung geschlossen habe, werden sie dich akzeptieren müssen.“

Das war mir recht, denn so konnte ich mich unter den Spielern in der Stadt umhören.

„Eine hervorragende Idee“, stimmte ich zu. „Schick mir einfach eine Nachricht. Dann treffen wir uns hier.“

Während der Gnom zielsicher die nächste Taverne ansteuerte, überlegte ich fieberhaft, ob es auch hier einen Quell der Weisheit wie Onkel Boris gab. Ohne Plan wanderte ich die Straßen entlang und sprach aufs Geratewohl Spieler an.

„Verschwinde!“

„Steh mir nicht im Weg, Noob.“

„Ich habe keine Zeit.“

Keiner der anderen Spieler schien ein Interesse daran zu haben, seinesgleichen zu helfen. Wenigstens kam es nicht zu Handgreiflichkeiten. Eine halbe Stunde später waren die einzigen Informationen, die ich erhalten hatte, unschöne Vorschläge dazu, wohin ich gehen und was ich mit mir tun sollte.

„Was zum Teufel tust du eigentlich da?“, fragte ein Spieler, als ich das dritte Mal an ihm vorbeilief. „Wieso gehst du nicht zum Orakel, wenn du eine Frage hast?“

„Wohin?“

„Zum Müffelnden Orakel. So heißt der Kerl, bei dem hier alle Informationsfäden zusammenlaufen. Du findest ihn auf dem Forum. Ein Tipp: Behandle ihn höflich, ansonsten hast du keine Chance.“

Endlich eine Spur! Sofort lief ich zum Forum. Das Müffelnde Orakel war nicht schwierig zu finden. Es war ein Spieler auf Level 50, der in seinen Lumpen nicht gerade vertrauenerweckend aussah.

„Hallo“, grüßte ich vorsichtig, als ich ihn sah. „Ich habe gehört, du verkaufst Informationen?“

„Schon möglich“, antwortete er lässig und tippte mit dem Finger gegen seine Nase. „Was möchtest du wissen?“

Ich trat näher. Der Kerl trug nicht nur abgerissene Klamotten, er wirkte auch körperlich wie ein Wrack. In der echten Welt sahen Säufer und Penner so aus. Und er roch, als hätte er mehrere Monate unter diversen Brücken im Dreck geschlafen, ohne sich ein einziges Mal zu waschen. Das erklärte auch den Spitznamen.

„Ich muss nach Arkem, ohne dass ein kaiserlicher Grenzposten davon erfährt.“

„Mehr nicht?“ Das Orakel klang überrascht. „Such dir einen Führer bei den Gremlins. Für diesen Ratschlag berechne ich fünf Goldmünzen.“

Ich konnte mir den Sarkasmus nicht verkneifen: „Das nenne ich mal einen Rat, der eines Orakels würdig ist. Mein Ansehen bei den Gremlins ist mehr als nur schlecht. Keiner von ihrem Volk spricht mit mir.“

„Dann musst du einen Gremlin finden, der derart verzweifelt ist, dass er trotzdem mit dir spricht. Das macht dann 100 Goldmünzen.“

Oha, das war nicht billig!

„Du solltest dir einen neuen Namen zulegen. Wie wäre es mit Das Orakel der überteuerten Binsenweisheiten?“, schlug ich genervt vor.

„Für 100 Goldmünzen verrate ich dir, wo du einen solchen Gremlin findest.“

„Wie bitte?“

„Ich sagte, für 200 Goldmünzen verrate ich dir, was du wissen willst.“

„Gerade waren es noch 100!“

„Verzeih, du hast recht. Die 200 und die 100, macht insgesamt 300 Gold. Plus 100 Goldmünzen Schmerzzuschlag für deinen dämlichen Humor.“

Ich hätte besser auf den Spieler gehört, der mir von dem Orakel erzählt hatte. Ein falsches Wort riss ein gewaltiges Loch in die Geldbörse.

„Schon gut, schon gut“, sagte ich beschwichtigend und gab ihm das Geld. „Oh, großes Orakel, weise mir den Weg.“

Das Müffelnde Orakel flößte nicht gerade Vertrauen ein. Kundenbindung schien auch nicht sein Ding zu sein. Ich konnte nur hoffen, dass er für diesen Preis nützliche Informationen lieferte.

„Das klingt schon besser“, grinste der Kerl, dass die gelben Zahnstümpfe aus seinem unrasierten Gesicht blitzten. „Oh, Sterblicher, dein Weg führt dich zu einem mystischen Ort, der auch als Prinzessinnen-Eck bekannt ist.“

Ich suchte sofort auf meinem Tablet danach, fand aber keinen solchen Ort.

„Du hast nicht zufällig die Koordinaten parat?“

„Für nur 1.000 Goldmünzen gern.“

„Mannomann. Ich finde selbst dorthin“, sagte ich ernüchtert.

Ich würde mich einfach durchfragen und hoffen, dass jemand davon gehört hatte.

„Entschuldigung, ich suche einen Ort namens Prinzessinnen-Eck“, fragte ich schüchtern.

Der Angesprochene, ein stämmiger Gnom in Mithril-Rüstung mit zwei Krummschwertern auf dem Rücken, wirkte wie ein Einheimischer auf mich. Er sah mich an und grinste verschwörerisch.

„Da möchte wohl jemand ein bisschen Spaß haben, eh?“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, gab ich zu. „Ich bin auf einer Quest und...“

„Ha!“, unterbrach der Gnom mich mit vor Verachtung triefender Stimme. Dann fuhr er sehr viel lauter fort: „Seht nur, wir haben hier eine Jungfrau in Nöten. Er ist auf einer Quest und sucht das Prinzessinnen-Eck!“

Aus mir unerfindlichen Gründen lachten die Passanten. Einige blieben stehen und stimmten in den Spott mit ein.

„Kein Wunder, bei der Auszeichnung“, kicherte einer von ihnen. „Von Dämonen geküsst, meine Güte.“

„Das Gesicht kam mir gleich bekannt vor. He, Leute, hier ist der Kerl, der mit dem Dämon geknutscht hat!“

„Es war eine Dämonin. Eine Frau!“, herrschte ich ihn an.

Wieso musste ausgerechnet ich unter diesen seltsamen, unnützen Auszeichnungen leiden? Bis auf Einzelkämpfer waren die doch alle Mist! Springmaus-Hammer, Stinktier-Jäger, Von Dämonen geküsst, und Was für ein Halunke! waren doch bloß peinlich!

„Was er wohl im Prinzessinnen-Eck will?“, schmunzelte der Gnom. „Vielleicht weitere Eroberungen für Was für ein Halunke! machen? Er scheint ja nicht besonders wählerisch bei seinen Bettgefährtinnen zu sein.“

„Meine lieben Leute. Wir wollen doch niemanden wegen seiner Neigungen verurteilen!“, rief ein vielleicht 18 Jahre alter Elf fröhlich und zwinkerte mir zu. „Nur zu, absolviere die Quest. Gern auch drei oder vier Mal!“

Mittlerweile hatte ich eine gute Vorstellung dafür, um welche Art Etablissement es sich beim Prinzessinnen-Eck handelte. Nachdem alle ihren Spaß mit mir gehabt hatten, verriet der Gnom mir, wohin ich gehen musste.

Es war nicht etwa so, dass Bordelle in Arktanien im Untergrund agierten. Allein in der Nähe des Luftschiffhafens hatte ich zwei davon gesehen. Niemand wurde schief angesehen, wenn er die Dienste dort nutzte. Ich fragte mich, was an meinem Ziel so besonders sein mochte. Hoffentlich hatte das verdammte Orakel sich keinen schlechten Scherz mit mir erlaubt.

Zwei Querstraßen weiter fand ich den Eingang. Von außen wirkte es wie eine Kneipe. Ein einfaches Holzschild hing über der Tür. Die Menschen auf der Straße beachteten die Lokalität nicht weiter. Meine Neugier war geweckt.

Ich näherte mich und stand einem Türsteher gegenüber. Es war ein älterer Mann im Anzug, der auf den ersten Blick wie ein Passant gewirkt hatte. Höflich nickte er mir zu und öffnete die Tür. Glocken bimmelten, als ich den schummrig beleuchteten Raum betrat. Robuste Tische, adrett gekleidetes Personal und ein Tresen, hinter dem ein großer Kerl — vermutlich der Besitzer — stand, erinnerten an eine ganz normale Eckkneipe. Der Inhaber war wohl ein Halb-Oger, wenn man nach den scharfen Hauern urteilte. Alles war sauber und aufgeräumt. Ein frischer Duft lag in der Luft. Die Kundschaft wirkte anständig. An den meisten Tischen saßen schick angezogene Damen in Begleitung von Leibwächtern und Verwandten. Das besagten zumindest die Markierungen.

Das müssen die Prinzessinnen sein, dachte ich. Aber wieso waren sie hier? Königliche Damen hätten doch gewiss mehr Luxus vorgezogen, oder? Waren das wirklich alles Prinzessinnen? Ich erinnerte mich daran, dass mein Problem, nach Arkem zu gelangen, entstanden war, weil jemand eine Gremlin-Prinzessin entführt hatte.

„Willkommen im Prinzessinnen-Eck“, begrüßte der Inhaber mich ohne Emotion in der Stimme, als ich an die Bar trat. „Du kannst dich an einen der freien Tische setzen. Die Bedienung kommt gleich. Ach ja: Keine Mätzchen. Wir sind ein ordentliches Haus.“

Was dachte der von mir? Selbst wenn ich auf Streit aus gewesen wäre, hätte der Anblick des Halb-Ogers auf Level 120 und seine fast völlige Resistenz gegen körperlichen Schaden jeden Versuch im Keim erstickt. Mit so einem Gegner wollte ich mich nicht anlegen. Dabei erinnerte er mit seinem freundlichen Gesichtsausdruck an eine Version von Shrek mit gesunden, rosa Wangen. Sein Name stand im starken Kontrast zum Aussehen: Granit.

Ich nahm an einem Ecktisch Platz. Von hier hatte ich den gesamten Raum im Blick. Mal sehen, was für Prinzessinnen sich hier versammelten. Da war eine Dunkelelfin mit rot glühenden Augen. Das sah unheimlich aus, aber auch irgendwie... ach, ich wusste nicht. Ich blieb bei unheimlich. Ein paar Gnomenfrauen, die insgesamt weniger Reize zu bieten hatten. Dafür bekam ich es nicht mit der Angst zu tun, wenn ich sie ansah. Eine... Orkin. Hieß das so? Wie auch immer der politisch korrekte Begriff lautete, sie hatte breite Schultern, gewaltige Hauer und breite Wangenknochen. Damit entsprach sie meinem Bild der Weiblichkeit absolut nicht. Einige der Frauen verbargen ihre Gesichter unter Kapuzen. Keine Ahnung, ob sie einfach nur scheu waren, oder ob es einen anderen Grund dafür gab.

Das Müffelnde Orakel hatte behauptet, ich würde hier einen Gremlin finden, mit dessen Hilfe ich ungesehen über die Grenze nach Arkem kam — vermutlich im Rahmen einer Quest. Gremlins waren klein, grün und abstoßend. Fand ich. Aber ich konnte keine Gremlin-Frau entdecken. Möglicherweise unter einer der Kapuzen? Wie sollte ich vorgehen?

„Hallo.“

Eine große Frau in einem bescheidenen Kleid und mit Kellnerschürze stand neben mir.

„Die Karte“, sagte sie in sattem Alt.

Gut möglich, dass sie mit dem Besitzer verwandt war.

„Vielen Dank.“

Mir wurde ein wenig übel, als ich durch die Seiten blätterte: Augen, Hirne, Zungen und alle möglichen anderen Körperteile der unterschiedlichsten Tiere wurden angeboten. Das aßen Prinzessinnen? Angehörige der Königshäuser mussten ein wirklich eigenes Völkchen sein. Letztendlich bestellte ich ein harmloses Gericht namens Royaler Hirsch und widmete mich wieder dem Studium der Gäste.

Klein und grün, klein und grün. Nein, keine Chance. Ob ich einfach von Tisch zu Tisch gehen und einen Blick unter die Kapuzen werfen konnte? Angesichts der Leibwächter war das bestimmt keine gute Idee. Der Besitzer hatte bereits klar gemacht, dass man sich hier zu benehmen hatte.

Mein Essen wurde vom Chef persönlich gebracht. Sein Körper tauchte mich und meinen Tisch in den Schatten. Seine Stimme erinnerte an einen Felssturz — rumpelnd, donnernd und schwergewichtig:

„Deine Bestellung“, sagte er und stellte ein gewaltiges Tablett vor mir ab.

Der Hirsch war so königlich, dass er den ganzen Tisch einnahm. Leider war das komplette Fell noch dran. Das Tier war waidmännisch aufgebrochen worden. Saftiges Fleisch und Muskelfasern waren deutlich zu sehen.

Zimperlich stocherte ich mit Messer und Gabel darin herum. Ich wusste zwar, dass das hier kein echtes Fleisch war, sondern letztendlich nur Bits und Bytes, aber mein Geist widersetzte sich.

„Es schmeckt ganz erstaunlich nach Dreck“, warnte ein anderer Gast mich, während ich an dem Fleisch herumsäbelte. „Ich würde dir empfehlen, nicht davon zu kosten. Bestell dir lieber eine Tasse Kaffee. Die Gerichte auf der Karte sind durchaus zum Verzehr gedacht, aber wohl nicht für Normalos wie dich und mich.“

Die Stimme gehörte zu einem Spieler, der ungefähr 10 Level über mir war. Laut seiner Namensmarkierung handelte es sich um Garret, den Klugen, einen Zauberer vom mir unbekannten Schlachthaus-Clan.

„Vielen Dank“, sagte ich aufrichtig. „Auf solche Experimente kann ich gern verzichten.“

„Du bist ganz gewiss nicht zum Essen hergekommen“, zwinkerte er mir zu.

„Stimmt. Ich bin auf der Suche nach jemandem“, gab ich zu und legte Gabel und Messer beiseite. „Ich soll diese Person nach Arkem begleiten. Du hast nicht zufällig etwas mitbekommen?“

„Arkem? Es geht also um eine Gremlin-Dame?“, fragte Garret überrascht. „Was für ein Perversling!“

„Was soll das heißen?“ Ich war verwirrt.

„Du hast echt keine Ahnung?“ Der Spieler war noch überraschter. „Bist du eine Art Jungfrau?“

Ich zuckte mit den Achseln.

„Scheint ganz so. Ich habe nur gehört, dass Prinzessinnen diesen Ort aufsuchen, wenn sie Hilfe benötigen“, antwortete ich zögerlich. „Das stimmt doch, oder?“

„Ja, das stimmt“, sagte Garret. „Allerdings gibt es hier keine menschlichen Prinzessinnen. Entsprechend sind die Belohnungen nicht immer im Sinne des Helfenden. Es ist wie in einem Märchen: Der Held begleitet die Prinzessin von A nach B. Anfangs hasst sie ihn. Die beiden streiten ständig. Irgendwann stellt die Prinzessin fest, wie stark, bescheiden und freundlich der Held ist. Sie mag seine Art, doch dann verliebt sie sich in ihn. Es folgt eine wilde Liebesnacht am Strand. Der Held bringt die Prinzessin zu ihren Eltern oder ihrem zukünftigen Gemahl und reitet in den Sonnenuntergang. So oder ähnlich läuft es ab.“

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen.

---ENDE DER LESEPROBE---