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Es sind mehr als sechs Jahre vergangen, seit Jeanne wieder ins Berufsleben zurückgekehrt ist und als Assistentin ihres Mannes bei der Mordkommission arbeitet. Inspektor Valentin Sacchi und seine Frau sind seit langem ein gut eingespieltes Team, wobei sich ihre recht unterschiedlichen Persönlichkeiten bestens ergänzen. Jeanne liebt diese Arbeit an der Seite ihres Mannes, aber sie liebt auch ihr Leben als Mutter, den Wald und das Leben nahe der Natur, weshalb die Nachmittage für ihr Privatleben reserviert sind. Eigentlich war Jeanne nur zu dem Gartenfest mitgegangen, weil Hermines Mann Zafar partout keine Lust hatte und Hermine nicht alleine hingehen wollte. Es war ein zwangloses Miteinander der Einwohner der Birkenstraße angekündigt, bei dem die Unstimmigkeiten der letzten Monate beiseite gelegt werden sollten. Immerhin ist Versöhnungsbereitschaft eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt des Friedens unter Nachbarn. Indessen halten einige der Eingeladenen an ihren aufgestauten Emotionen fest, was einer Aussöhnung natürlich im Wege steht. Doch obwohl die Spannungen sich im Laufe des Nachmittags aufzulösen scheinen, endet das Fest mit dem Fund der Leiche eines jungen Mädchens.
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Seitenzahl: 241
Veröffentlichungsjahr: 2023
© 2023 Dagmar Stimpfig
ISBN Softcover: 78-3-347-92319-5
ISBN E-Book: 978-3-347-92320-1
ISBN Großschrift: 978-3-347-92321-8
Druck und Distribution im Auftrag :
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
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Wahrheit im Schatten 4 Die
Tote im Pool
Kriminalroman
Cover
Urheberrechte
Titelblatt
Einleitung
Das Versöhnungsfest
Eine Leiche im Pool
Die erste Runde
Die Verdächtigen
Wahrheit im Schatten
Alles kommt ans Licht
Stilles Leid
Cover
Urheberrechte
Titelblatt
Einleitung
Stilles Leid
Cover
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Einleitung
Es sind mehr als sechs Jahre vergangen, seit Jeanne wieder ins Berufsleben zurückgekehrt ist und als Assistentin ihres Mannes bei der Mordkommission arbeitet.
Inspektor Valentin Sacchi und seine Frau sind seit langem ein gut eingespieltes Team, wobei sich ihre recht unterschiedlichen Persönlichkeiten bestens ergänzen. Jeanne liebt diese Arbeit an der Seite ihres Mannes, aber sie liebt auch ihr Leben als Mutter, den Wald und das Leben nahe der Natur, weshalb die Nachmittage für ihr Privatleben reserviert sind.
Eigentlich war Jeanne nur zu dem Gartenfest mitgegangen, weil Hermines Mann Zafar partout keine Lust hatte und Hermine nicht alleine hingehen wollte.
Es war ein zwangloses Miteinander der Einwohner der Birkenstraße angekündigt, bei dem die Unstimmigkeiten der letzten Monate beiseite gelegt werden sollten. Immerhin ist Versöhnungsbereitschaft eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt des Friedens unter Nachbarn.
Indessen halten einige der Eingeladenen an ihren aufgestauten Emotionen fest, was einer Aussöhnung natürlich im Wege steht. Doch obwohl die Spannungen sich im Laufe des Nachmittags aufzulösen scheinen, endet das Fest mit dem Fund der Leiche eines jungen Mädchens.
Das Versöhnungsfest
Hermine öffnete die Türe. Sie hatte ein Handtuch um den Kopf gewickelt und hielt allerlei Haarschmuck in der linken Hand.
„Du bist ja noch gar nicht fertig?”, fragte Jeanne erstaunt. „Ja… nein - Kamila macht mich gerade wahnsinnig! Kommst Du noch kurz rein?”, bat Hermine ihre Freundin. Jeanne betrat den Hausflur.
„Hattest Du nicht gesagt, Du willst um drei dort sein?”, fragte Jeanne amüsiert.
„Wenn Du wüsstest!”, sagte Hermine. „Kamila will nur mitkommen, wenn sie mit ihren Haaren zufrieden ist - und das ist sie eigentlich sowieso nicht, weil die Friseurin ihr gestern angeblich die Seiten zu kurz geschnitten hat. Sag mal, warst Du auch so starrköpfig mit fünfzehn?” Sie stöhnte. „Ich kann mich gar nicht erinnern…”
„Ich glaube, wir haben es alle nicht ganz leicht in der Pubertät”, erwiderte Jeanne schmunzelnd und setzte sich auf das kleine Sofa, das in der Küche stand. „Was meinst Du, wie lange Ihr noch braucht, soll ich mir derweil einen Tee kochen?”
„Wir beeilen uns, okay?”, sagte Hermine. „Ich sage ihr, dass Du schon da bist und dass wir gleich gehen wollen.” „Zafar ist schon weg?” fragte Jeanne.
„Der holt gerade Tarek ab, danach geht´s schon zum Männernachmittag mit Valentin und Fußballschauen bei einem Bier - oder bei zwei”, erwiderte Hermine augenzwinkernd.
“Und geht Tarek mit Zafar oder kommt er dann nach?” “Ich glaube er kommt nach. Er ist ja ein bisschen mit einem von den Jungen aus der Birkenstraße befreundet”, antwortete Hermine. “Gib uns drei Minuten, ja?”
“Ja, ja, wegen mir braucht Ihr Euch nicht zu überschlagen”, erwiderte Jeanne.
Sie schnappte sich die Illustrierte, die auf dem kleinen Tischchen neben dem Sofa lag, und blätterte ein bisschen darin. Obwohl ihr eigentlich gar nicht nach einer Illustrierten war. Sie legte die Illustrierte wieder weg. Jeanne hatte Hermine nur zugesagt, sie zu dem Gartenfest zu begleiten, da Zafar partout keine Lust hatte und Hermine nicht alleine hingehen wollte. Zwar würde Kamila mitkommen, aber jemand in Hermines Alter war schon eher das, was Hermine mit `Verstärkung´ gemeint hatte. Jeanne konnte natürlich verstehen, dass Hermine nicht allein hingehen wollte, denn die Nachbarschaft aus der Birkenstraße war ein Fall für sich.
Laut Hermine hatten die ehemals eigentlich befreundeten Anwohner dieser Straße sich in den letzten Jahren immer stärker voneinander abgegrenzt. Es wimmelte vor Problemen, aber es wurde nicht offen oder gar lösungsorientiert darüber gesprochen, dafür gab es umso mehr Gerede. In letzter Zeit hatten die Spannungen dann zugenommen und es war zu einer Anzeige bei der Polizei gekommen.
“Schon seltsam, jede Straße ist wie eine ganz eigene kleine Welt…”, sinnierte Jeanne.
Im Sandweg zum Beispiel, der Straße in der Hermine und ihre Familie wohnten, herrschte gleich ein völlig anderes Klima. Die Nachbarn waren im Allgemeinen entspannt miteinander und im Fall eines Konfliktes wurde kommuniziert, es wurden Lösungen gesucht und auch gefunden. Hermine sagte, dass die Anwohner ihrer Straße generell sehr unkompliziert waren.
Der Sandweg war eine kleine Seitenstraße von der Birkenstraße und Hermines Haus das erste, sodass ihr Garten ein wenig an die Birkenstraße grenzte - vielleicht der Grund, warum auch Zafar und Hermine zum Gartenfest eingeladen waren, vielleicht aber auch deshalb, weil ”neutrale Elemente” in einem Konflikt immer von Vorteil sind.
Heute also war bei den Dietzens in der Birkenstraße ein zwangloses Miteinander der Anwohner angekündigt, bei dem die Unstimmigkeiten der letzten Monate beiseite gelegt werden sollten. Immerhin war diese Einladung schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, dachte Jeanne. Versöhnungsbereitschaft ist bekanntlich eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt beziehungsweise das Wiedererlangen des Friedens unter Nachbarn.
Mutter und Tochter kamen kichernd die Treppe herunter. Beide trugen hübsche Sommerkleider und Sandalen. Hermines Haar war offen und Kamila hatte ihre Haare an den Seiten mit Haarklammern befestigt und geschmückt, sodass die Länge der Haare nicht sichtbar war.
“Sind wir jetzt schick?”, fragte Hermine und zeigte erst auf ihre Tochter und dann auf sich. Hermine bezog sich natürlich in erster Linie auf Kamilas Haare.
“Toll seht Ihr aus - wie immer!
Du Kamila, weißt Du übrigens, dass ich zu gerne Deine Haare hätte?” sagte Jeanne. Sie meinte es sogar ernst, denn tatsächlich hatte Kamila wunderschöne, lockige, dicke schwarze Haare.
“Ich hätte lieber Deine”, entgegnete Kamila ungetröstet. “Genug mit dem Haare-Thema für heute”, unterbrach Hermine. “Ich finde, wir sollten jetzt an die Party in der Birkenstraße denken. Dieser Einsatz erfordert Souveränität, meine verehrten Damen!”
Die drei machten sich auf den Weg. Da sie zu Fuß gingen, blieb noch ein wenig Zeit sich darauf einzustimmen, was nun also vor ihnen lag.
“Du musst mich jetzt mal kurz briefen”, sagte Jeanne zu Hermine. “Was genau ist der Anlass, warum will Zafar keinesfalls hin und warum Du doch und wie lange geht das und gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?” “Na ja, der Anlass ist das Bemühen, diese ganzen Streitereien beizulegen. So weit ich weiß, haben einige der Nachbarn mit den Dietzens vor allem wegen ihrer jüngeren Tochter ein Problem, bei ihnen findet auch das Fest statt.
Zafar sagt, er kennt die ganzen Leute kaum und hat auch kein Interesse an ihnen und will auch mit ihren Streitereien nichts zu tun haben.
Und ich will hin, weil sie uns eingeladen haben - eine Mischung aus Höflichkeit und weil ich denke, dass sie es vielleicht brauchen können, wenn ein Unbeteiligter dabei ist. Aber alleine, das möchte ich halt auch nicht. Ich befürchte, sonst meint der eine oder andere von denen, er müsste mich voll quatschen.
Wie lange es gehen soll, kann ich Dir allerdings nicht sagen - lass uns einfach gehen, wenn wir genug haben, ja?” „Einverstanden”, sagte Jeanne. “Und wie ist es bei Dir, Kamila, hast Du dort Freunde?”
“Eigentlich weniger”, erwiderte Kamila. “Ich kenne mehr aus dem Sandweg.”
Vor dem Grundstück der Dietzens war nur ein Auto geparkt, vielleicht hatte derjenige später noch etwas vor und wollte gleich weiterfahren können. Die anderen Gäste waren anscheinend auch zu Fuß gekommen. Allmählich konnte man Stimmen hören, die aus dem Garten drangen. Kurz danach waren auch die Lampions zu erkennen, mit denen das Spalier entlang des Wegs zum Haus geschmückt war.
Eine Frau in einem schicken, langen Sommerkleid und mit Kurzhaarfrisur kam ihnen entgegen und begrüßte sie. “Hallo, schön dass Sie kommen konnten, Frau Zamani - spreche ich Ihren Namen hoffentlich richtig aus?”, sagte sie. Es klang etwas gestelzt. “Hallo Kamila, grüße Dich! Schau doch mal, was die anderen Kinder machen!” Dann wand sie sich zu Jeanne hin und sagte mit Blick zu Hermine: ”…und Sie haben eine Freundin mitgebracht?” Hermine stellte Frau Dietz und Jeanne einander vor, dann gingen sie zusammen zur großen Terrasse, die sich auf der Rückseite des Hauses befand. Dort saßen und standen allerlei Gäste, vermutlich waren so ziemlich alle Nachbarn der Birkenstraße versammelt. Das kleine Fest hatte den Charakter eines vornehmen, etwas größeren Kaffeekränzchens.
Jeanne fragte sich, woher Frau Dietz wohl so viel Geschirr hatte, immerhin waren um die vierzig Kuchenteller, Kaffeetassen, Kaffeelöffel und Kuchengabeln aufgedeckt. Auf jedem der Tische standen Platten mit Kuchen, Schüsseln mit Sahne und gefüllte Kannen mit Tee und Kaffee.
Hermine, Jeanne und Kamila stellten sich erst mal an den Rand der Terrasse, um einen Überblick zu gewinnen.
Frau Dietz war bereits weitergezogen.
“Ganz schön anstrengend, die Frau”, stöhnte Kamila.
„Und ich bin kein Kind mehr!“
“Das kann man wohl sagen”, stimmte Hermine ihrer Tochter zu. Jeanne grinste.
Als Nächstes schlug Hermine vor: “Vielleicht sollten wir uns an den Tisch dort setzen, die kenne ich ein bisschen. Die wohnen auch im Sandweg, gegenüber von uns.”
Sie deutete auf einen der vier Tische, an dem ein Paar und ihre beiden Kinder saßen. Jeanne war gerne einverstanden und sie nahmen bei Hermines Nachbarn Platz. Es dauerte auch nicht lange, bis sie sich mit den Eltern ein bisschen über dieses und jenes unterhielten. Kamila sah sich indes nach Gleichaltrigen um.
Jeanne fragte sich, wie sich Frau Dietz eine Aussöhnung mit den Nachbarn vorstellte. Ob sie nach dem Kaffeetrinken zu einem offenen Gespräch in einer Runde anregen würde? Oder hoffte sie, dass sich durch die Einladung und das Zusammensein der Anwohner der Birkenstraße einfach von selbst eine Art Versöhnung einstellen würde?
Der Kuchen jedenfalls war schmackhaft und auch der Kaffee konnte sich sehen lassen.
“Hallo Frau Zamani”, sagte die Stimme einer Frau von hinter Jeanne zu Hermine.
“Ah, hallo Frau Brandt!”, grüßte Hermine zurück.
Herr und Frau Brandt wohnten nur zwei Häuser entfernt von den Dietzens. Maria und Heinz Brandt waren die Inhaber der nächstgelegenen Apotheke, weshalb Hermine die Brandts auch kannte.
“Ist noch Platz?” fragte Frau Brandt und setzte sich bereits, ohne tatsächlich eine Antwort abzuwarten, dabei zog sie ihren Mann hinter sich her an den Tisch.
“Eine selbstbewusste Frau”, dachte Jeanne ironisch. Wer das wohl war? Ob sie eine der Konfliktparteien darstellte? Ihre kampflustige Ausstrahlung war jedenfalls nicht zu übersehen.
Zu schade, dass sie jetzt nicht vertraut mit Hermine reden konnte, andererseits war es auch interessant, unwissend und außenstehend inmitten eines Geschehens zu sein, in dem sie sich fremd und eigentlich völlig fehl am Platz fühlte. So konnte sie den Schauplatz unbeteiligt wie ein Zuschauer erleben und „Sozialstudien“ betreiben..
“Wo haben Sie denn Ihren Mann und ihre Kinder gelassen?”, fragte Frau Brandt spitz. “Hatten die denn keine Lust zu kommen?”
“Ich bin mit meiner Freundin da, mein Mann hatte heute schon andere Pläne”, erwiderte Hermine diplomatisch, doch fügte dann hinzu: „Aber meine Tochter ist dabei und mein Sohn“, sie blickte auf ihre Armbanduhr,
“…sollte auch bald eintreffen.”
Jeanne schmunzelte innerlich. Was waren das aber auch nur für seltsame Leute!
Zwei Sätze später war Frau Brandt bereits dabei, Politik zu machen und Hermine in ihre Probleme mit den Dietzens einzuweihen. Besser gesagt versuchte sie, Hermine davon zu überzeugen, dass die Lösung jener Probleme nur zu erreichen wäre, wenn die Gastgeberfamilie fortzöge.
“Oh Du schöne Aussöhnung!”, dachte Jeanne.
Sie sah zu Hermine, die sich sichtlich unwohl in dem Gespräch mit Frau Brandt fühlte. Was war inzwischen mit den Grubers geschehen?
Jeanne sah in die andere Richtung. Während Frau Gruber Frau Brandt anscheinend aufmerksam zuhörte, war Herr Gruber mit einem anderen Nachbarn im Gespräch, der sich neben ihn an den Tisch gesellt hatte. Ihre Kinder waren im Garten unterwegs.
Jeanne und Hermine saßen mit Blick auf den Garten und dem Rücken zum Haus. Neben ihnen führte eine Tür ins Wohnzimmer, daneben stand ein weiterer langer Tisch. An jedem der Tische waren mindestens zehn Sitzplätze. Vor beiden Tischen gab es jeweils noch einen Tisch und etwa nach einem weiteren Meter endete die Terrasse, der Rasen übernahm und erstreckte sich wohl fünfzehn oder zwanzig Meter bis zum Zaun. Es war ein wirklich großer Garten. Darin befanden sich ein paar Stehlaternen, ein Springbrunnen und zwei Hollywood-Schaukeln, und mehr oder weniger im Hintergrund hatten sich ein paar Jugendliche eingefunden. Kamila war auch dabei. Jeanne zählte, es waren fünf Mädchen und vier Jungs. Die jüngeren Kinder waren entweder bei ihren Eltern am Tisch oder liefen einfach spielend im Garten umher.
”…und wenn man bedenkt, dass das jetzt schon seit mindestens zwei Jahren so extrem zugeht, dann kann ja wohl keiner glauben, dass sich demnächst etwas ändert”, hörte Jeanne Frau Brandt gerade sagen.
“Hermine braucht eine Pause!”, fand sie und entschied sich spontan, Hermine mal soeben aus den Klauen dieser Apothekerin zu befreien.
“Du, Hermine”, sagte sie, “ich bräuchte Dich mal kurz, könntest Du bitte mal mitkommen?”
Hermine wäre nicht Hermine gewesen, wenn sie nicht sofort verstanden hätte.
“Klar, kein Problem”, sagte sie scheinbar unbedarft und nickte, sich ein wenig entschuldigend, zu Frau Brandt. “Danke!”, flüsterte sie Jeanne ins Ohr, als sie sich ein paar Meter entfernt hatten. “Jetzt weißt Du endgültig, warum ich nicht alleine herkommen wollte!”
“Oh ja!”, bestätigte Jeanne. “So in etwa konnte ich es mir ja schon denken, aber so hautnah…”
Hermines Handy klingelte. Es war Tarek, der Bescheid gab, dass es bei ihm noch eine halbe Stunde dauern würde, da er erst noch duschen wollte.
“Ich bin mir eh nicht so sicher, ob er sich hier wohlfühlen wird”, sagte Hermine. „Kamila hat schon recht, die meisten Kinder hier sind einigermaßen arrogant. Dieser Michael ist zwar mit Tarek im Handball und ganz nett, aber wer weiß wie er sich ihm gegenüber verhält, wenn er mit den anderen von hier zusammen ist.”
Jeanne und Hermine setzten sich auf eine der HollywoodSchaukeln.
“Lass uns hier eine kleine Pause machen, bevor wir uns wieder unter die Meute mischen”, sagte Jeanne.
“Ganz schön geladen, diese Frau Brandt!”, sagte Hermine und stöhnte.
“Ich habe auch nicht schlecht gestaunt!”, erwiderte Jeanne. “Man sollte doch meinen, bei einem Versöhnungsfest versuchen die Leute, ein bisschen aufeinander zuzugehen!”
“Zuerst habe ich noch gedacht, es ist ein gutes Zeichen, dass so viele gekommen sind”, sagte Hermine. “Aber wenn man denen dann zusieht, hat man fast den Eindruck, als ob sie sich gegenseitig in ihrer Feindseligkeit bestärken!” Von ihrer Schaukel aus hatten sie den ultimativen Blick auf das Geschehen des Festes, sie konnten den gesamten Garten sowie die Terrasse sehen, ohne dass irgendjemand aus der Distanz ausmachen könnte, wen genau sie gerade beobachteten.
“Sieh nur den Tisch, an dem Herr Dietz sitzt!”, sagte Hermine. “Die zwei anderen Männer an diesem Tisch haben eine Körperhaltung, als würden sie ihn am liebsten gleich angreifen!”
“Und das Ganze geht nur um die eine Tochter der Dietzens?”, fragte Jeanne ungläubig.
“Ich weiß auch nichts Genaueres”, erwiderte Hermine. “Ein Punkt ist auf jeden Fall, dass die jüngere Tochter, die mit dem Down-Syndrom, oft sehr laut macht.”
“Inwiefern macht sie laut?”, wollte Jeanne wissen.
“Die Brandts sagten, sie stellt die Musik fast immer extrem laut, ihr ist anscheinend dabei egal, wie spät es ist. Und angeblich schreit sie ständig laut und ordinär herum - einfach so”, antwortete Hermine. „Also, nicht nur wenn sie bei sich daheim ist, sondern sie plärrt die Leute angeblich generell oft respektlos an - allerdings habe ich selbst das bisher noch nicht mitbekommen.“
“Aber es muss doch noch andere Probleme geben - so viele, wie da aufgebracht mitdiskutieren!”, sagte Jeanne. “Ja, eigentlich ist es kaum zu glauben, dass es die starke Spannung nur deswegen geben soll”, erwiderte Hermine. „Aber ich weiß nicht mal, ob die Leute nur mit Familie Dietz Probleme haben oder ob es auch Konflikte unter den übrigen Nachbarn gibt.”
“Schau nur hin!”, sagte Jeanne. “Auch an dem anderen Tisch wird hitzig diskutiert!”
“Krass!”, erwiderte Hermine. “Das ist Frau Neumann, die ist Studienrätin auf dem Gymnasium. Ganz schön unbeherrscht für eine Studienrätin.”
“Ist das ansteckend oder ist heute Vollmond?”
Hermine lachte. Auf einmal stand Kamila vor ihnen.
“Du, Mama, ich gehe mal kurz heim und hole Badesachen, die gehen jetzt in den Pool”, sagte sie.
“Soll ich Tarek anrufen? Er ist bestimmt noch zu Hause, er kann Dir was mitbringen”, schlug Hermine vor.
“Lass lieber mich anrufen, dann sag ich ihm gleich, welchen Badeanzug und alles”, erwiderte Kamila.
Hermine gab Kamila das Handy und Kamila rief gleich an.
“Wir können ja mal wieder an den Tisch zurück, ich habe erst einen kleinen Muffin gegessen”, schlug Jeanne vor. Hermine war einverstanden, immerhin waren sie ja hier, um das Versöhnliche an dem Fest positiv zu unterstützen.
Nachdem Kamila ihr das Handy zurückgegeben hatte, gingen sie wieder zur Terrasse und nahmen an ihrem alten Tisch Platz.
Inzwischen war Frau Brandt mit einer anderen Frau im Gespräch, während Frau und Herr Gruber irgendetwas mit ihren Kindern verhandelten.
Frau Brandt stellte Hermine und Jeanne die Schneiders vor.
Nach ein bisschen freundlichem Hin und Her fragte Hermine in die Runde: “Ist eigentlich noch etwas geplant außer dem Kaffeetrinken - eine Art Gesprächsrunde oder etwas in der Richtung?”
“Es hat nicht den Anschein”, erwiderte Frau Brandt kühl. „Ob ihr Ton grundsätzlich so etwas Abwertendes hat?“, fragte sich Jeanne. “Jedenfalls ist das schon wieder so eine Situation, die sich einfach nur unangenehm anfühlt.”
Zum Glück kam gerade Tarek, er hatte auch die Badesachen für Kamila dabei. Kamila hatte ihn schon erspäht und kam auf den Tisch zu. Die anderen Jugendlichen waren bereits umgezogen. Manche von ihnen waren anscheinend schon zum Schwimmbad gegangen, ein paar waren noch im Garten und standen zusammen herum und alberten. Jeanne staunte, wie selbstbewusst die jüngere Tochter des Hauses gegenüber den jungen Männern war. Tatsächlich war sie mehr als selbstbewusst, sie spielte ganz gezielt mit ihren Reizen. Einerseits fand Jeanne ihre Selbstsicherheit so bemerkenswert, weil sie sehr jung war - vielleicht fünfzehn oder sechzehn - andererseits wäre Jeanne nicht im Traum eingefallen, dass sich das Mädchen mit dem Down Syndrom nicht mit einem Gefühl der Zugehörigkeit begnügen würde, sondern anscheinend überzeugt war, verdientermaßen der Mittelpunkt der kleinen Gruppe zu sein.
Frau Dietz kam kurz an den Tisch.
“Da ist er ja, der Tarek!”, sagte sie demonstrativ fröhlich. “Wissen Du und Kamila, wo es zu unserem Swimmingpool geht?”
Tarek verneinte.
“Komm, dann zeige ich es Euch gleich, die anderen sind schon unten”, sagte sie und nahm Kamila und Tarek mit ins Haus.
Jeanne wusste nicht genau warum, aber irgendwie war sie froh, dass ihre zwei Kinder Laura und Moritz heute ganz andere Pläne hatten. Was war das nur für eine eigenartige Kulisse, dieses zwanghafte Bemühen der Gastgeberin, eine heile Welt zu demonstrieren, und parallel laufend eine spannungsgeladene Ungemütlichkeit, die sich eher zu steigern schien. Wie wohl die Kinder das empfanden? Ob sie sich auch so unwohl fühlten oder ob sie solche Dinge zugunsten ihres eigenen Vergnügens ignorieren konnten? Die jungen Leute im Garten schienen jedenfalls ihren Spaß zu haben. Unbeeindruckt von den diskutierenden Nachbarn auf der Terrasse machten sie sich gerade auf und liefen lachend Richtung Haus, wahrscheinlich gingen auch sie jetzt zum Pool.
Wie viel Uhr war es inzwischen? Jeanne nahm ihr Handy aus der Tasche und sah nach. Uff! Es war erst viertel nach vier.
Sie schrieb Hermine eine kleine Textnachricht: „Wie schaut´s bei Dir aus? Wie lange werden wir aushalten?” Dann beschloss sie, sich nicht mehr weiter über die Situation hier zu wundern, sondern sich mit profanen Dingen wie Kaffee, Muffins und Erdbeerkuchen zu befassen. Irgendwann würde dieser seltsame Nachmittag schon vorüber sein.
”Das ist doch das reinste Kaspertheater!”, rief eine Männerstimme und riss Jeanne aus ihren Bemühungen, sich selbst von mehr Geduld und Gleichmut zu überzeugen. Sie blickte auf. Die aufgebrachte Stimmung kam vom Tisch schräg vor ihr, wo Herr Dietz offensichtlich gerade die Hutschnur riss. Was sollten auch diese andauernden Angriffe, hatten seine Bereitschaft und seine Bemühungen denn keinerlei Gültigkeit? Die Gäste am Tisch wirkten erschrocken über seinen unerwarteten Gefühlsausbruch, jedoch schien sich die Frau, die Herr Dietz anscheinend gemeint hatte, nun ein wenig zurückzunehmen.
„Das ist Frau Zimmermann“, flüsterte Hermine Jeanne ins Ohr. „Ich glaube, es fallen allmählich die Masken!“
„Schon, aber auf die Art wird es zu keiner Einigung kommen“, sagte Jeanne. „Die müssten versuchen, wirklich miteinander zu reden.“
„Freilich - aber die Stimmung hier scheinst sich in eine andere Richtung zu entwickeln“, meinte Hermine skeptisch. „Ich befürchte fast, dass sie irgendwann aufeinander losgehen!“
„Da müsste mal einer… vielleicht sollte ich… hast Du Frau Dietz gesehen?“, erwiderte Jeanne.
Hermine schüttelte den Kopf.
Im nächsten Moment kam Frau Dietz zufällig mit einem Tablett aus der Wohnzimmer-Terrassentür, um Nachschub für die Kuchenplatten zu bringen. Jeanne wartete solange, bis Frau Dietz fertig damit war die Platten aufzufüllen, dann stand sie auf und hob ihre Kaffeetasse, hämmerte mit ihrer Kuchengabel gegen die Tasse und sah in die Gruppe der Nachbarn. Sie hämmerte beharrlich, bis nicht allzu lange Zeit später tatsächlich Ruhe einkehrte.
Jeanne begann zu sprechen: „Ich bin hier nur ein zufälliger Gast, aber ich möchte gerne unseren Gastgebern danken. Auch wenn ich die Situation in Ihrer Straße nicht genauer kenne… ich finde es ist eine wunderbare Idee, zu einem Versöhnungsfest einzuladen, um die Unstimmigkeiten in Ihrem Viertel aufzulösen. Einen Toast auf Frau Dietz und Herrn Dietz! Sie haben unser aller Respekt und unsere Bereitschaft zu einem versöhnlichen Gespräch verdient!“
Niemand hatte mit der kleinen Rede eines Gastes gerechnet und schon gar nicht mit Worten, die die Gastgeber unterstützten. Aber die Worte erzielten durchaus eine gewisse Wirkung. Natürlich wendete sich das Blatt nicht gänzlich, aber doch löste sich die immense Spannung durch diese bewusste Aktion ein Stück weit, es wurde unaufgeregter, die Stimmung entkrampfte.
Es ebbten das blindlingse Gekeife und das unmäßige Stänkern ab und es entstanden allmählich nüchternere Gespräche in mehr Ruhe.
„Wow! Ich glaube, das war für alle mehr als unerwartet - eine tolle Idee von Dir, super Einsatz!“, sagte Hermine anerkennend zu Jeanne.
„Ich finde diese Dietzens zwar nicht unbedingt sympathisch, aber immerhin haben sie ein Friedens-Signal an ihre Nachbarn gesendet. Ziemlich respektlos, das einfach niederzutrampeln, während sie sich auch noch nebenbei Kaffee und Kuchen schmecken lassen!“, erwiderte Jeanne.
Die Brandts hatten sich vor einer Weile woandershin gesetzt, was die Stimmung an ihrem Tisch weitaus erträglicher machte. Jeanne schaute meist ins Leere Richtung Garten und blendete das Fest aus und wenn es sich ergab, wechselte sie ein paar Worte mit jemandem.
So verging langsam aber sicher die Zeit.
Dann kam Herr Dietz kurz an ihren Tisch und bedankte sich ausdrücklich bei Jeanne.
„Das ist sehr anständig von Ihnen“, sagte er. „Ich habe schon befürchtet, dass mir bald jemand an die Gurgel geht! Dank Ihnen erreichen wir mit diesem Fest vielleicht doch noch etwas. Danke vielmals, Frau…“
“…Dahr“, ergänzte Jeanne. „Das habe ich gerne gemacht. Ich denke, es ist für einen Außenstehenden viel leichter, die Dinge unbefangen und offen zu sehen. Und es wäre schade, wenn ein Versöhnungsfest keine Chance bekommt.“
Nachdem er sich ein weiteres Mal bedankt hatte, wand sich Herr Dietz an das Ehepaar Brandt. Jeanne hatte gar nicht bemerkt, dass sie wieder an ihren Tisch zurückgekommen waren. Sie hörte, wie Herr Dietz sich bei ihnen für seine Tochter Martina entschuldigte. Er beschrieb die Schwierigkeiten, die seine Frau und er damit hatten, einerseits einer Tochter mit Behinderung ein Gefühl der Gleichwertigkeit zu vermitteln und sie andererseits damit zu konfrontieren, dass es Grenzen gibt.
Herr Brandt hatte wenig Verständnis.
„Wie alt ist Ihre Tochter inzwischen - sechzehn?!“, fragte er in provozierend ironischem Ton. „Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie jetzt noch nachholen können, was Sie an der versäumt haben!“
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“, hackte seine Frau hinterher.
Herr Dietz bemühte sich nach Kräften, seine Nachbarn von seiner Bereitschaft, Veränderungen zu erstreiten, zu überzeugen. Nicht gerade förderlich schienen Jeanne die Kommentare von Herrn Schneider, der es nötig hatte von Zeit zu Zeit von der Seite abfällige, fast hasserfüllte Bemerkungen über Behinderte zu machen. Bemerkungen, die seine Überzeugung verdeutlichten, dass Behinderte - seiner Ansicht nach Tieren gleich - eine strenge Hand bräuchten, da sie unfähig seien, sich wie soziale Wesen zu verhalten oder auch überhaupt sich selbst zu reflektieren. Was für eine anstrengende Nachbarschaft das doch war, dachte Jeanne. Sie sah sich um. Am Nachbartisch saß Frau Dietz mit einem älteren Ehepaar und zwei jüngeren Frauen. Jeanne bemerkte, dass die Belegung der Tische immer wieder wechselte, was gewiss ein gutes Zeichen war, es war Bewegung im Spiel.
Die Tische waren nicht voll besetzt, da die jungen Leute nach dem Schwimmen der Terrasse weiterhin fern geblieben waren. Wahrscheinlich hatten sie einfach keine Lust auf die Schwierigkeiten, die die Erwachsenen miteinander hatten. Jeanne fragte sich ob es möglich war, dass die Eltern sich mit Problemen konfrontiert sahen, die in den Augen ihrer Kinder nicht einmal existierten? Die jedenfalls hatten anscheinend weder große Dinge zu diskutieren, noch schienen sie sich an dieser Martina besonders zu stören.
Aber wo waren die ganzen jungen Leute abgeblieben? Es war nach sechs Uhr und das Licht schien nicht mehr ganz so hell durch die Bäume am Gartenrand, sodass Jeanne ziemlich konzentriert hinschauen musste, um vereinzelt ein paar von ihnen im Garten auszumachen. Ein junger Mann plauderte vertraut mit einem Mädchen auf einer der beiden Hollywood-Schaukeln. Zwei weitere Jugendliche lümmelten unter einem Baum hinten auf den Rasen herum. Und Kamila und Tarek? Es war sicher bald zwei Stunden her, seit sie zum Swimmingpool gegangen waren. Nun ja, es fehlten noch mehr junge Leute, vielleicht waren sogar noch ein paar von ihnen am Pool. „Wollen wir dann mal gehen?“, fragte Hermine unvermittelt.
„Von mir aus jederzeit“, erwiderte Jeanne. „Hast Du Kamila und Tarek gesehen?“
„Ach, das habe ich noch gar nicht gesagt?“, sagte Hermine verwundert. „Tarek hat vorhin eine SMS geschrieben, dass sie schon zu Hause sind.“ Sie sah auf die Uhr. „Oh, das war ja schon fast vor einer Stunde! Ich glaube, sie haben sich beide nicht so wohl gefühlt mit den anderen.“
„Umso besser, dann brauchen wir auf die zwei ja nicht zu warten“, meinte Jeanne. „Wollen wir?“