Waldwege - Wolf E. Matzker - E-Book

Waldwege E-Book

Wolf E. Matzker

0,0

Beschreibung

Ein Ich-Erzähler wandert auf Wegen durch verschiedene Waldgebiete und macht sich Gedanken über den Zustand und die Zukunft des Waldes. Dabei sucht er nach Möglichkeiten einer Natur-Spiritualität in Zeiten extremer Naturzerstörung. Der Mensch ist leider oft ein Zerstörer, aber geschaffen wurde er von der Natur. Wie kann man die Natur verehren, wenn sie sogar selbst destruktiv ist? Der Erzähler hinterfragt auf seinen Wanderungen immer den Zustand der Zivilisation, der Menschheit, der ganzen Kultur. Ist der Mensch am Ende seiner Welteroberung angekommen? Hat er so viel zerstört, dass er jetzt, wie der Wald, untergehen muss, weil er alles zu weit getrieben hat in seiner Gier und Sucht nach Geld und Macht? Das Buch ist nicht nur Beschreibung eines desolaten Zustandes, sondern bietet eine Reihe von Perspektiven für eine naturverbundene Weltanschauung. Für den Autor gilt es, das Symbolische, das Schöne und das Magische der Natur ganz neu zu entdecken und zu würdigen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 299

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt:

2020

1.

Waldwege 1 – 48

2.

Mutwillige Zerstörung

3.

Die Gedenkstätte Bergen-Belsen – das Lager im Heidewald

4.

Waldwege 49 - 50

5.

Waldbrände in Sibirien

6.

Waldwege 51 – 67

7.

Waldbrände in Californien

8.

Waldwege 68 – 73

2021

9.

Waldwege 74 – 100

10.

Anhang

11.

Ragnarök

12.

Eine Spiritualität des Waldes

Vorwort

Wir leben in einer Zeit der extremen und globalen Naturzerstörung. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Viele Wälder sterben, werden abgeholzt, abgebrannt. Es ist schmerzlich, fürchterlich und schockierend, das mit ansehen zu müssen.

Von einer verharmlosenden Spiritualität, die die Welt durch eine rosarote Brille betrachtet, habe ich noch nie etwas gehalten. Man muss realistisch sein. Man muss sich die Tatsachen anschauen. Vage Hoffnungen und imaginäre Spekulationen helfen nicht weiter.

Welche Rolle kann eine Spiritualität der Natur spielen? Welchen Kräften und Energien können und sollten wir uns widmen? Was kann Heilung bewirken, für uns selbst und vor allem für die Natur?

Die Zerstörung, die Vernichtung, die Teil der Natur ist, muss in einem neuen System einen Platz haben. Man ist nur ganzheitlich, wenn man die Zerstörung akzeptieren kann. Das fällt dem Menschen nicht leicht, keine Frage. Aber ein ganzheitliches System ist es nur dann, wenn alle Aspekte des Ganzen ihren Stellenwert haben. Weder aus ideologischen noch aus moralischen Gründen darf man Aspekte der Natur ausgrenzen. Tabus helfen nicht. Die Weltbevölkerung ist eindeutig zu hoch, die Zivilisation ist zu weit gegangen, die Städte sind zu groß, die Nutzung und Ausnutzung der Natur ist zu extrem, der Konsumismus ist es ebenfalls, um konkrete Beispiele zu nennen. All das muss in den kommenden Jahrzehnten überwunden werden.

Das Extreme ist zwar in der Natur angelegt, führt aber letztendlich zum Untergang. Viele Zivilisationen und Kulturen vor uns sind untergegangen. Wer die Geschichte kennt, der weiß das. Also könnte diese Welt, wie wir sie kennen, ebenfalls untergehen.

Das natur-spirituelle Weltbild, das ich vertrete, ist an den Tatsachen der Natur orientiert, es ist nicht anthropozentrisch, sondern sieht und achtet das ganze Leben, alle Lebewesen, Formen und Gestaltungen der Natur.

„Ganzheitlichkeit“ ist ein beliebter Begriff (gewesen). Jeder weiß von den Polaritäten des Lebens, von Himmel und Erde, von Sonne und Mond, von yin und yang, von Mann und Frau und so weiter (in den Büchern von Hermann Hesse klingt das immer so wunderbar), aber die Polaritäten, die unser Leben und Dasein definitiv bestimmen, nämlich die von Kreation und Destruktion, von Entstehen und Auslöschen, wer will diese Polarität in der ganzen Tragweite akzeptieren?

Alles das, was ist, hat letztendlich die Natur geschaffen. Alles, was sie geschaffen hat, kann sie wieder zerstören. Wir mögen das fürchterlich finden, aber so ist es nun einmal. Als Individuum werden wir wieder ausgelöscht (= Tod).

Unsere Ewigkeitsansprüche sind überzogen. Teile von uns mögen weiterleben, wie auch immer, ob als genetischer Code, als Idee, als Inspiration, als Impuls, als Schwingung im großen Netz, aber am Ende kann uns das egal sein, weil wir als Individuum nur in einem bestimmten Zeitfenster so und nicht anders existieren. Wir haben nur eine bestimmte Zeitepoche zur Verfügung. Am Ende steht die Auslöschung.

Wie kann man Natur-Spiritualität leben, wenn so viel Natur zerstört wird, wenn ganze Wälder sterben, abbrennen oder abgeholzt werden? Wie passt das zusammen, einerseits die vielen Zerstörungen, andererseits die Schönheit, die Magie und das Zauberhafte der Natur und des Waldes?

Die psychische, spirituelle Entwicklung im „Roman“ (der Ich-Erzähler steht für den Naturmenschen schlechthin) geht von der Fassungslosigkeit, dem Schock und der tiefen Betroffenheit wegen der immensen Waldschäden hin zu einer Gelassenheit, dem einfachen Aushalten der Katastrophe und der Suche nach neuen Perspektiven und Sichtweisen.

Am Ende steht die Erkenntnis, dass die Natur den längeren Atem hat und den Menschen nicht braucht. Die Magie der Natur, ihre Kreativität und ihr Erneuerungs- und Entwicklungsstreben werden die Oberhand behalten. Der Mensch sollte seine Allmachtsansprüche aufgeben und sich endlich in den Kreislauf der Natur integrieren, was bedeutet, die Zivilisation in allen Bereichen zurückzufahren und der Natur mehr Raum zu geben, also auch und gerade dem natürlichen Wald.

2020

Waldweg 1 (Elm)

Schon immer bin ich gerne in den Wald gegangen. Mir erschien das immer als die richtige Welt, oder die richtigere Welt, gegenüber der normalen, alltäglichen Welt im Dorf oder in der Stadt.

Im Wald findet man die Wahrheit.

Im Wald zeigt sich einem das wahre Gesicht der Welt.

Das muss nicht immer schön sein, denn auch die Natur hat ein böses, ein dunkles Gesicht.

Man geht solange in den Wald, bis man nicht mehr gehen kann, also bis zum Ende aller eigenen Wege. Wenn man nicht mehr in den Wald gehen kann, dann ist es vorbei. Danach kommt nichts mehr, denn das Individuelle wird von der Natur wieder ausgelöscht. Neben dem ewigen Wandel, den schon der griechische Philosoph Heraklit feststellte, panta rhei, alles fließt, alles fließt dahin, alles ist endlose Bewegung, daneben gibt es die Auslöschung.

In einem buddhistischen Spruch ist von „höherer Wiedergeburt“ die Rede. Ich glaube das nicht. Von Sprüchen halte ich nicht mehr viel. Sie täuschen Weisheit vor, wo eigentlich keine ist. Im Wald helfen dir keine Sprüche.

Du musst den Weg selbst finden, du musst wissen, wo du bist, auch ohne Karte oder Smartphone mit google-maps. Du musst den Wald kennen, so wie der Hirsch, der Luchs und der Wolf. Alle Tiere haben ihr natürliches Orientierungssystem.

Warum können manche nicht mit einem Leben zufrieden sein? Warum wollen sie auferstehen oder noch einmal existieren, als König oder Kaiser? Das Leben ist nur ein Weg durch einen Wald und am Ende steht der Tod. So war es schon immer. Alle Generationen der Menschen sind ihre Wege durch die Natur gegangen, bis heute. Jetzt, wo sie so ziemlich alles vermasselt haben mit ihrer Überbevölkerung und Übertechnisierung und dem Überkonsum, wird die Natur sie auslöschen.

Ich gehe weiter meinen Waldweg.

Freue mich, wenn meine Freunde, die Bäume, also bestimmte Bäume, die ich seit Jahren kenne, noch da sind, noch leben, noch nicht abgestorben oder abgehauen worden sind – und ich bin traurig, wenn sie fort sind, wenn das fehlende Wasser oder das Feuer sie vernichtet hat.

Vor Jahren schrieb ich ein Buch über den „Heiligen Wald“. Für das Cover verwendete ich ein Foto von Buchen, die an einem Waldrand stehen. Es stehen dort weitere alte Buchen. Sie stehen noch dort. Man lässt den Waldrand wohl in Ruhe. Ansonsten leben die Förster und die Jäger im Wald ihre Gier, ihre Süchte, ihren Todestrieb aus. Ich hasse diese Typen. Es sind die Zerstörer! Sicher, es gibt auch gute unter ihnen, aber die meisten scheinen mir doch nur Zerstörer zu sein, wenn ich ihr Treiben betrachte.

Während der Waldrand gut aussieht, sehe ich auf dem Höhenweg viel Holz neben dem Forstfahrweg. Altes Buchenholz. Man hatte es wohl nicht verkaufen können. Nun verrottet es einfach so. Es sollten Bäume nur auf Bestellung geschlagen werden, denke ich. Und für die nächsten 30 Jahre sollte man eine Pause machen. Einfach mal aufhören!

Am höchsten Punkt kann ich endlich rechts abbiegen, und den Pfad durch den Wald gehen. Dieser Weg gefällt mir, weil er schmal ist, weil er sich hin und her windet. Dieses Waldstück kam mir schon vor Jahren wie die Taiga vor. Die Begegnung mit einem Wolf würde mich nicht überraschen. Aber, soweit ich weiß, gibt es hier keine. Sie sind weiter nördlich, in den Heidegebieten.

Ich gehe einen großen Kreis, gelange wieder zurück zu den magischen Buchen, die ich für mein Buch fotografiert hatte. Man kann einen Weg zu einem besonderen Punkt gehen, und wieder zurück – oder man geht einen Kreis, wie ich es heute mache. Es gibt nicht so viele Möglichkeiten. Manche reden von „unendlichen“, aber das stimmt nicht. Wir können immer nur ein paar Wege gehen, nicht mehr. Das ist nicht schlimm. Das ist einfach eine Tatsache. Und wenn man jeden Tag denselben Weg durch den Wald geht, dann ist das auch in Ordnung.

Waldweg 2 (Bad Harzburg)

Ich laufe den Kammweg in östliche Richtung. Ich habe ihn vor Jahren „Elfenkammweg“ getauft, weil in diesem schmalen Waldstück, durch das nur ein langer Weg führt, aus meiner Sicht viele Elfen wohnen.

Es ist sehr windig und ich gehe achtsam. Viele der Buchen sind geschädigt. Überall können Äste herausbrechen. Viele der Bäume sind bereits umgeweht worden. Die kommenden Sturmböen werden ihren Tribut fordern. Am Ende des Weges liegt ein vor kurzem abgebrochener langer Ast neben dem Weg. Das hell-gelbe Holz wirkt wie ein abgebrochener Riesenknochen. Aber die Buche war schon tot. Jetzt ist nur noch ein Stammrest vorhanden. 2 bis 3 Meter in der Höhe.

Diese Stämme der ehemaligen Bäume sind schon seltsame Gestalten. Mahner der großen Zerstörung, die noch kommen wird.

Nachdem ich an ein paar Häusern vorbeigelaufen bin, kann ich wieder durch den Wald gehen. Ich steige weiter hoch, zu einem höheren Weg und gehe ihn in südwestliche Richtung bis zum Stübchental. Der Bach fließt, wenn auch nicht sehr intensiv. Es regnet einfach zu wenig.

Weiter geht mein Weg um den Eichenberg herum. Richtung Krodotal, das ich noch genauer erkunden will. Krodo, dieser merkwürdige Gott aus uralten Zeiten der Sachsen, von dem man nichts Genaues weiß. Warum auch? Man sollte ja dem neuen Gott aus dem Morgenland huldigen, einzig und allein ihm, nur ihm und sonst niemandem, so wollte es der Kaiser und seine Soldaten, Kaiser Karl, den sie den Großen nennen, haha, den großen Schlächter, den großen Mörder, den großen Zerstörer. Die Geschichte, die man uns in der Schule erzählt hat, ist die Geschichte der Sieger, nicht die Geschichte der Ermordeten und Unterdrückten. Aus Widukinds Perspektive würde sich das alles anders darstellen.

Heute, in der Gegenwart, ist das Krodotal ein merkwürdig abseitiges Tal. Ich muss es noch erkunden, wie gesagt. Es wirkt von oben so, als hätten sich hier Leute versteckt. Welche, und warum?

Ich komme an einem Schild vorbei. Darauf steht dick und fett: Diakonissen Mutterhaus. Kinderheil. Kein öffentlicher Durchgang.

Kinderheil. Spontan denke ich, dass sie hier Kinder gequält haben. Diese Frauen, die kein richtiges FrauSein, kein natürliches MutterSein gelebt haben, sie haben die armen Kinder von anderen gequält.

Man hat so viel von Missbrauch gehört in den letzten Jahren, dass man sich nur das vorstellt. Vielleicht stimmt es, vielleicht auch nicht. Ich habe keine Information. Es ist nur meine spontane Reaktion auf das große Abwehrschild.

Ich wende meinen Blick zu den Schwarzkiefern. Ein paar sind markiert, sollen wohl entfernt werden. Aber viele scheinen noch lebendig. Ich sehe grüne Nadeln.

Heute freut man sich, wenn man grüne Nadeln sieht, weil in der gegenwärtigen Zeit so viele Bäume sterben.

Ich studiere die Rinde.

Auf einem der Stämme kann ich eine archaische Mutterfigur erkennen. Die wahre Mutter ist die erd- und baumverbundene, denke ich.

Heute kommt mir die Mutter des Herrn, wie sie genannt wird, falsch vor. Aber es liegt nicht so sehr an ihr, sondern an den Pharisäern, Priestern und all den Vermarktern der Spiritualität, die die Menschen belogen und betrogen haben, und es oft immer noch tun.

Die Rinde ist schön, denke ich. Je länger man sie betrachtet, desto mehr Gesichter zeigen sich einem.

Waldweg 3 (Grenzwald)

Vor drei Jahren war der Wald noch in Ordnung. Der Parkplatz lag unter großen, dunklen Fichten.

Heute ist es hier kahl. Man hat alle toten Fichten abgesägt. Jetzt muss man zwischen den noch frischen Baumstümpfen parken. Die Zweige der Fichten hat man zusammen geschoben, damit man parken an. Neue Bäume sind bisher keine gepflanzt worden.

Das erste Stück des Weges führt durch tote Fichten. Weiter oben wechseln sich dann noch lebende mit gestorbenen Fichten ab. Ich versuche meinen Blick auf junge Fichten zu fokussieren, denn ihnen gehört die Zukunft, sofern es eine gibt. Könnte ja sein, dass im kommenden Dürresommer alles in Flammen aufgeht, denn da es viel zu wenig Regen gibt, erwarte ich einen weiteren Dürresommer. Das Wort Sommer habe ich durch Dürresommer ersetzt. Mein Gefühl, das mich hoffentlich trügen möge, sagt mir, dass es viele Dürresommer geben wird.

Hinter der ersten Wegkreuzung fallen mir die ganz kleinen Fichten neben dem Weg auf. 10 bis 20 cm sind sie groß. Nicht alle werden zu großen Bäumen heranwachsen, aber hoffentlich möglichst viele von ihnen. Könnte man einigen von ihnen nicht einen besseren Standort geben? Wie viele es von ihnen gibt! Alle wollen ein großer Baum werden, aber die Schicksals-Nornen wählen aus, unerbittlich.

Teile des Waldweges sehen aus wie vor Jahren, dann wieder nur tote Stämme.

Auf dem ehemaligen Todesstreifen sieht es gut aus. Auf beiden Seiten das GRÜN der Fichten. Wenn es mir nicht schon immer bewusst gewesen wäre, dann würde es mir jetzt bewusst werden, wie wichtig das GRÜN ist. Vor vierzig Jahren war ich ein GRÜNER, aber da sie heute die BUNTEN sind, bin ich keiner mehr. Ist ja auch immer die Frage, welches GRÜN man meint: Moosgrün, Flechtengrün, Fichtengrün, Eibengrün, um ein paar zu nennen. Ähnlich ist es mit BRAUN. Ich meine nicht die politische Einstellung hier, sondern das BRAUN der alten Fichtennadeln oder das BRAUN der Stämme, wenn sie noch vital sind, oder das BRAUN des modernden Holzes. Wenn man darauf achtet, sieht man viele Variationen.

Schon eigenartig, dass es jetzt am Todesstreifen am besten aussieht, was die Fichten betrifft.

Am HIRSCHKOPFBLICK mache ich heute Kehrt. Ich nenne den Punkt so, weil man von ihm die Hirschköpfe, eine Felsformation, sehen kann.

Auf dem Rückweg achte ich wieder vor allem auf die jungen Fichten, die mir Hoffnung geben, dass es alles mal wieder so wird, wie es war. Aber der Wendepunkt der Zerstörung ist noch lange nicht erreicht, denke ich, weil sie ja überall auf der Erde noch von ihrer Gier besessen sind und gar nicht ans Aufhören denken.

Wunderbar erscheinen mir die Zwergfichten, die nur ein paar Zentimeter groß sind. Leben beginnt immer ganz klein. Jeder Baum beginnt ganz klein. Mit einem kleinen Samen oder einem Zwergbäumchen.

Wie immer besuche ich den Ehrenfriedhof. Die zwei Fichten auf dem Gelände leben noch. Außerhalb des Hags sieht es schlimm aus. Hier und da sehe ich kleine Fichten. Ich nenne den Friedhof mal einfach HAG. Ein anderes, altes Wort aus vergangenen Zeiten. Ob die beiden großen Fichtenhüter überleben werden?, frage ich mich. Ich wünsche es ihnen.

Vor einem der Grabsteine, auf denen unbekannter Russe steht, liegt ein Gesteck.

Bei der Infotafel sehe ich herausgebrochene Granitsteine. Spuren von Vandalismus. Die Infotafel steht schief. Das dient keinem, denke ich, einfach nur primitive Wut, die hier ausgelebt wurde.

Zurück beim Parkplatz denke ich, wie es hier war, noch vor einem Jahr, von zwei Jahren. Wie schnell immer alles zerstört wird. Meister des Osten haben oft erwähnt, dass man jahrelang seinen Geist schulen kann, aber ein Moment der feurigen Wut und des maßlosen Zorns alles zerstört. Auch bei der gegenwärtigen Umweltzerstörung muss man gelassen bleiben, so schwer es fallen mag.

Waldweg 4 (Elm)

Ich war noch keine hundert Meter gelaufen, da kam mir schon wieder ein SUV entgegen. Förster.

Heute wollte ich, nach langer Zeit, mal wieder zum Eilumer Horn. Kein hoher Berg, eigentlich nichts Besonderes im Elm. Nur ein hoher Punkt. Nichts weiter.

Neben dem langen Forstfahrweg lag viel Holz. Viel altes Buchenholz, das noch aus dem letzten Jahr stammte. Es hatte wohl keiner Interesse. Aber sie sägen munter weiter, egal, ob sich das Holz verkauft oder nicht.

In der Ferne höre ich die Geräusche einer Motorsäge. Kann man noch in den Wald gehen, ohne dass man dieses Geräusch hören muss? Schüsse höre ich weniger oft, aber ich höre sie auch.

Oben auf dem Kamm hatten sie ein paar Buchen gefällt. Darunter eine, die an der Wegkreuzung stand. Sie haben keinen Sinn für einen besonderen Baum. Der ist krank und muss weg, sonst fällt er auf den Weg. Die da müssen auch alle weg. Sind tot. Borkenkäferschäden. Müssen alle weg.

In der Nähe des Eilumer Horns sah es aus wie immer. Ein kleiner Steinhaufen, ein kleines silberfarbenes Kreuz aus runden Stangen, dessen Bedeutung sich mir nicht erschließt. Es hat sicher auch keine. Es fällt ihnen nichts Besseres ein, weil sie eigentlich nichts im Kopf haben. In Bayern haben die Kreuze eine gewisse Bedeutung, hier jedoch nicht, denn der Wald des Elms hat keine Bedeutung. Ein Höhenzug mit Bäumen, die man fällen kann. Ein Höhenzug mit Rehen drin, die man schießen kann.

Zurück gehe ich einen Buchenpfad. Ein paar der Buchen hatte ein Sturm umgeweht, aber alles in allem war der Pfad in Ordnung.

Man freut sich immer, wenn im Wald nichts geschehen ist. Das ist am besten. Keine Spuren von Menschen, das ist am besten. Die Waldstücke, in denen ich keine Spuren vom Menschen finde, sind mir die liebsten.

Eigentlich sollte man nicht mehr in den Wald gehen. Man wird zu oft enttäuscht. Nur, wohin soll ich gehen. In die Stadt, die mich anödet, gehe ich schon lange nicht mehr. Ins Kino, ins Theater, ins Restaurant gehe ich ebenfalls nicht. In die Oper schon gar nicht. Ins Museum nicht. Also bleibt mir nur der Wald, wo ich allerdings immer die Werke der Zerstörung sehe, immer mehr, sei es von Leuten wie den Förstern und Waldarbeitern, oder das Werk der stürmischen Böen oder der bösen Borkenkäfer. Man sieht einfach zu viel Zerstörung. Zeiten der Zerstörung sind es, in denen man lebt, leben muss, die man aushalten muss, obgleich es gar nicht zum Aushalten ist.

Ich könnte mich darüber stundenlang echauffieren, wie Thomas Bernhard, der österreichische Schriftsteller, und dabei immer übertreiben und mich immer weiter hineinsteigern und kein Ende finden.

Ich betrachte eine schöne Birke am Feldrand. Ich sollte sie zeichnen. Das beruhigt. Zeichnen ist eine meditative Kunst.

Waldweg 5 (Asse)

Ich hatte zwar davon gehört, dass sie in der Asse viele Bohrlöcher gebohrt hatten, für kleine Sprengungen, mit denen sie ein genaues Bodenprofil erstellen wollen, aber ich war doch überrascht, wie viele es waren. Überall orangefarbene Rohre im Boden, daneben weiße Säcke.

Ich wollte eigentlich die Schwarzkiefern auf dem Kamm der Asse besuchen. Der Kontrast konnte nicht größer sein: ich interessiere mich für die Schwarzkiefern – und die Betreiber des maroden Bergwerks wollen wissen, wie es im Untergrund aussieht. Hätten sie nicht einfach den Atommüll ins Bergwerk geworfen, dann müssten sie jetzt nicht diese aufwendige Aktion machen.

Mühsam suche ich meinen Weg auf der Kammhöhe. Überall Spuren von Fahrzeugen. Ab und zu laufe ich auf dem alten Weg.

Plötzlich ein Schild. ACHTUNG TOTHOLZ LEBENSGEFAHR. Keine Haftung, auf eigene Gefahr. Angeblich sägen sie nichts aus ökologischen Gründen ab. Klar doch, aus ökologischen Gründen!

Ich gehe den Weg weiter, auf eigene Gefahr.

Bei einer Wegkreuzung biege ich links ab, um dann am Waldrand zurückzugehen. Der Weg ist, wie so oft, durch Fahrzeuge matschig gefahren. Ich muss vorsichtig gehen. Bleibe vor einer Kiefer stehen, schaue in den Himmel, der zwischen den grünen Nadeln intensiv blau leuchtet.

Ein einzelner Samstag-Läufer kommt mir entgegen. Ich frage ihn nach den weißen Säcken. Er meinte, damit sollen die Bohrlöcher aufgefüllt werden. Dann sprach er weiter von den enormen Kosten, den Milliarden, dass sich die Verantwortlichen aus dem Staube gemacht hätten, dass der Steuerzahler das mal wieder bezahlen müsse. Ich konnte ihm nur zustimmen.

Nachdem er weitergelaufen war, widmete ich mich wieder den Schwarzkiefern. Ich studierte die Stämme, die Rinde, schaute immer wieder nach oben.

Man muss nach oben schauen.

Ich weiß natürlich, dass unter der Asse ein unglaublicher Atommülldreck liegt, dass alles unglaublich unverantwortlich gewesen war, dass es ein unglaubliches Umweltverbrechen ist, für das, wieder einmal, niemand zur Rechenschaft gezogen und dann auch gehörig bestraft würde.

Trotzdem, ich schaue nach oben in den Himmel. Betrachte die Schwarzkiefern, die schönen, stolzen Bäume, ihre Äste und das starke BLAU zwischen den oberen Ästen.

Waldweg 6 (Birkenstein)

Ich war über den hinteren Waldweg zum Gipfel gestiegen. Heute war der Wald sehr neblig und feucht. Sehr weit konnte ich nicht sehen. Aber mir gefiel das, denn so wurde der Wald noch mehr zur Gegenwelt.

Weiter oben, wo der Weg nicht mehr viel anstieg, dachte ich an den chinesischen Dichter Han Shan. Für die Beat-Poeten wie Jack Kerouac war er einst eine wichtige Orientierung gewesen. Ein wilder Dichter, der im Wald lebte, für sich und nur für sich, abseits der normalen Gesellschaft mit ihren Anpassungszwängen. Heute scheint er vergessen. Er war ein ZEN-Dichter. Unter ZEN muss man sich in seinem Fall eine unabhängige und sehr individuelle spirituelle Haltung vorstellen. Also das krasse Gegenteil von dem, was mancher vielleicht mit ZEN verbinden mag. Ansonsten wäre er für Jack Kerouac, dem Autor von „On the Road“ und „Dharma Bums“ niemals interessant gewesen.

(Als ich später im Internet nachschaute, stieß ich auf einen modernen Business-Typen, der sich doch glatt Han Shan nennt. Ich finde das eine Frechheit!)

Der Wald, durch den ich lief, war ein richtiger AbseitsWald, abseits von allem. Aber die Spuren des Dürresommers konnte ich sehen. Eine große Fichte, die ich als Weltenbaum, als Achsenbaum angesehen hatte, war gestorben. Mein spirituelles Bemühen war erfolglos gewesen. Gegen das Schicksal kann man nichts machen. Es ist aussichtlos. Viele andere Fichten waren ebenfalls gestorben. Im kommenden Sommer würde es hier sehr licht werden, dachte ich.

Ich lief quer durch den Wald zum Gipfel, ich kannte den Weg, vorbei an einem alten Jägerhochstand, entlang eines aufgegebenen Weges, vorbei an „meinem“ Steinriesen stieg ich von der nördlichen Rückseite auf den Gipfel. Keiner da. Das ist mir immer am liebsten. Hätte ich Stimmen gehört, hätte ich im Dunkeln, auf der Ostseite ist es sehr dunkel, gewartet, bis die Leute wieder fort sind. Ich möchte keinen sehen.

Oben überlegte ich, wie ich den Gipfel nennen könnte. Ich dachte an germanische Götter, aber es gefiel mir keiner. Da hier oben seltsamerweise recht viele Birken stehen, kam ich auf den Namen „Birkenstein“. Offiziell hat der Gipfel einen anderen Namen, aber das ist nicht meiner. Ich wehre mich immer mehr gegen die aufgezwungenen Namen, so wie ich mich auch gegen aufgezwungene Deutungen wehre.

Jeder muss seinen Weg gehen, dachte ich, seine Namen und Deutungen selbst finden.

Für vieles gibt es keine Namen. So für die magische Birke auf der Südseite des Gipfels. Sie hat einen besonderen Charakter. Ich habe auch keinen Namen für sie, aber wir kennen uns schon sehr gut. Das genügt!

Auf dem Rückweg, schon außerhalb des AbseitsWaldes und deutlich weiter unten, musste ich wieder Schüsse hören. Sie schießen wieder Flüchtlinge im Grenzwald, dachte ich. Sie scheuchen sie auf, treiben sie ins Offene und knallen sie erbarmungslos ab. Was für widerliche Schweine, schimpfte ich. Widerliche Killer! Am frühen Morgen hatte ich schon diese rot-orangen Figuren im Okertal gesehen, ihre dicken Fahrzeuge. Dies musste eine andere Gruppe im Grenzwald beim Eckertal sein.

Je mehr ich mich der Stadt näherte, desto mehr kamen mir Leute entgegen, ihren Sonntagsspaziergang machen. Da ich im AbseitsWald nicht einfach wie ein Han Shan verschwinden konnte, musste ich in die Stadt zurück.

Ich wohne auch nicht im Wald.

Waldweg 7 (Treppenstein, Okertal)

Unten im Okertal sah ich die Felsen, zu denen ich hinaufsteigen wollte. Laut Karte hießen sie „Ziegenrückenklippe“. Der erste Teil meines Weges ging gleich sehr steil hinauf bis zu einem Weg, den sie „Alte Harzstraße“ nennen. War hier mal eine Straße? Das muss sehr lange her sein. Ich lief in nördliche Richtung, auf der Suche nach einem Weg, der rechts weiter hinaufführte.

Bei einer markanten Klippenformation sah ich einen steilen Weg, ging aber zunächst weiter, auf der Suche nach einem besseren Weg. Bei einer weiteren markanten Klippenformation machte ich Kehrt, ging zurück und nahm doch den steilen Weg. Er schien mir selten oder gar nicht begangen. Allmählich sah ich die Felswände, denen ich mich näherte. Ein wildes Felsgebiet erwartete mich. Einmal ging ich links, musste jedoch wieder umkehren, denn es ging nicht weiter. Dann einmal rechts, aber auch dort gab es kein Weiterkommen. Ich befürchtete schon, den ganzen steilen Weg zurückgehen zu müssen.

Weiter oben verlor sich der Weg gänzlich. Ich sah allerdings eine Kante, die ich quer durch den Wald erreichen konnte. Ich vermutete einen Weg. Oben angekommen erkannte ich, dass es ein aufgegebener Forstweg war. Was nun? Doch wieder zurück?

Da ich wusste, dass weiter östlich ein Weg verlief, entschied ich mich, dem alten Forstweg zu folgen. Teilweise war er arg mit Brombeeren überwuchert, teilweise mit jungen Fichten. Mühsames Vorankommen.

Schließlich gelangte ich in ein offeneres Gebiet mit einzelnen, herausragenden Felstürmen. Ein paar hohe Fichten standen hier und da noch. Der ehemalige Weg war jetzt wieder besser zu erkennen und ich gelangte zu dem angezielten Forstfahrweg. Dort befand sich sogar ein Schild. In die Richtung, aus der ich gekommen war, zeigte kein Pfeil.

Ich schaute auf meiner Karte nach, wo ich war. Meine Karte war nicht gut, 1:25000, und vieles stimmte leider immer nicht. Ich nahm den Weg in südliche Richtung zum Treppenstein.

Diese Felsformation war bestens ausgeschildert und nicht zu verfehlen. Über in den Fels gehauenen Stufen konnte man bis zu einer Anhöhe klettern. Man hatte eine gute Aussicht ins und über das Okertal, besser über die Schlucht, oder Canyon, falls einem das amerikanische Wort besser gefallen sollte. Mein steiler Aufstieg hat mir gut vermittelt, dass es wirklich ein Canyon ist.

Nachdem ich den Kraftplatz des Treppensteins studiert hatte, lief ich den Weg zurück in nördliche Richtung. Auf meiner Karte fand ich keinen Weg direkt ins Tal hinunter. Neben dem Weg befand sich ein Schild: Studentenklippe. Wieso heißen die Felsen, über die ich hinaufgestiegen war, Studentenklippe? Felslabyrinth würde besser passen, dachte ich. Ich musste weiter zu der Ziegenrückenklippe, die weiter nördlich war, anders als ich ursprünglich dachte.

An einer Stelle lag wieder unglaublich viel Fichtenholz herum. Man hatte viel abgesägt. Ein großes kahles Stück. Ich musste der Spur eines Harvesters folgen, kam aber nach einer weiten Kurve zum Glück in ein intaktes Waldstück, das wie in alten Zeiten aussah. Man ist ja immer froh, wenn man durch so ein Waldstück laufen kann. Wer weiß, wie lange das noch der Fall ist, denn die Zerstörungen schreiten schnell voran.

An einer Kurve, wo eine Bank stand und ich den rauschenden Bach hörte, musste ich an den Bayrischen Wald denken. 1966, Jugendherberge Waldhäuser, Wanderung zum Rachel. Lange ist das her! Eine ganz andere Zeit!

Hundert Meter weiter unten stand rechts ein Schild: Ziegenrückenklippe. Man konnte nur sehr hoch hinaufschauen. Ob es einen Zugang gab, wollte ich nicht mehr erkunden, denn das Wegsuchen im Felslabyrinth reichte mir für heute. Da ich verschwitzt war, lief ich bis zur Alten Harzstraße und dann zurück zu meinem Ausgangspunkt.

Waldweg 8 (Elm)

Ich wollte mal wieder die Douglasien im Elm besuchen, die ich vor Jahren entdeckt hatte, große, stattliche Welten-Bäume. Kaum war ich gelaufen, kam hinter mir ein Fahrzeug her, was mich erzürnte, so dass ich nur langsam und schimpfend zur Seite trat.

Das grüne Fahrzeug, Landesforsten Niedersachsen, hielt, und ein grüner Mann stieg aus und fragte mich, was ich denn zu „meckern“ hätte, woraufhin ich ihm sagte, dass mir jedes Mal, wenn ich in den Elm ginge, ein Fahrzeug entgegen käme. Er meinte daraufhin, dass sie den Weg gebaut hätten, um in den Wald fahren zu können, um dort zu „wirtschaften“. Dass ich hier lang gehe, das sei nur ein „Nebeneffekt“. In meiner Wut sagte ich ihm, dass sie doch den ganzen Elm absperren sollten. Dann könnten sie in Ruhe und ungestört wirtschaften, wie ich dachte, ihm aber nicht sagte. Er meinte, ich könne hier ja gerne spazieren gehen, aber doch mal zur Seite treten, wenn ich ein Fahrzeug hören würde. Damit war das Gespräch beendet.

(Später schrieb mir Manfred, dass er gute Erfahrungen mit den Förstern gemacht habe. Sie hätten ihm beim Fledermaus- und Vogelschutz geholfen. Das ist sicher gut. Mein negatives Erlebnis ist nur ein Erlebnis, es müssen mit Sicherheit nicht alle Förster ausschließlich an die Holzwirtschaft denken. Allerdings erschlägt es mich geradezu immer, wenn ich die Unmengen von Holzstämmen und die jetzt großen, leeren Waldflächen sehen muss.)

Erst wollte ich zurückgehen, weil meine Stimmung dahin war, kehrte dann jedoch wieder um, weil ich nachschauen wollte, ob die großen Douglasien noch stünden. Sie standen auch alle an ihrem Ort. In dem Waldstück waren keine Bäume gefällt worden.

Ich nahm einen alten Forstweg in südliche Richtung, um zu der Straße zu gelangen, neben der, wie ich wusste, ein Pfad verlief, der mich zu meinem Ausgangspunkt führen würde.

Nach der Begegnung mit dem Forstmenschen lief ich sehr vorsichtig, immer darauf achtend, ob von irgendeiner Seite Gefahr drohte. Heute war ich zu verträumt in den Wald gelaufen, nur an mein Ziel denkend, und nicht daran, dass der Elm ja den Forstmenschen gehört, und nicht etwa mir, dem Waldträumer.

Irgendjemand schlug auf Holz. Ich dachte erst, es wäre auf der anderen Seite der Straße, die zum Reitlingstal führte, aber es war auf meiner Seite und dann sah ich jemanden, der an diesen oder jenen Baum schlug. Ich wollte von meinem Weg nicht abweichen und mich auch nicht verdrücken, also ging ich weiter. Er sah mich und rief mir zu, ich solle aufpassen, dass mir keine Äste auf den Kopf fallen, denn die Bäume seien hier alle vertrocknet. Ich bedankte mich anständig und rief, dass mir das bereits aufgefallen sei. Es war mir in der Tat aufgefallen. Da ich vorsichtig lief, schaute ich schon die ganze Zeit auch nach oben.

Schließlich erreichte ich die Autostraße. Ein Pfad verlief parallel zur Straße, ich ging in östliche Richtung, nachdem ich meine Schuhsohlen ein wenig gereinigt hatte, denn der alte Forstweg war recht weich und matschig gewesen.

Der Weg führte an einer Stelle durch einen kleinen Douglasien-Hain. Sie standen noch alle. Keine war abgehauen worden. Erst wollte ich sie zählen, ließ es dann aber. Zehn bis zwanzig hatten einen größeren Stammdurchmesser, ca. einen Meter. Weitere einen kleineren Durchmesser. Insgesamt mochten es vielleicht 35 bis 40 Douglasien sein.

Wichtig war jedoch, dass sie hier eine kleine Gruppe für sich bildeten, also einen Hain. Ich kann nur hoffen, dass man sie stehen lässt, genau wie die Douglasien auf dem Kamm.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie jetzt, aufgrund der Waldschäden durch die Dürresommer, noch hemmungsloser abholzen. Ob sie viel aufforsten werden, möchte ich eher bezweifeln. Man wird sehen, also ich werde es sehen, wenn es so sein sollte.

Waldweg 9 (Uhlenkopf, Bad Harzburg)

Es ist sehr interessant, alte Waldwege zu verfolgen. Manchmal sind sie noch gut zu erkennen, dann wieder nicht. Dann muss man Bäumen ausweichen, die zehn Jahre alt sind oder älter.

Auf dem Uhlenkopf gibt es zwei alte Wege. Wann wurden sie aufgegeben? Wann sollte hier keiner mehr langlaufen? Wann wollten die Jäger das Gebiet für sich haben? Ich kann die Fragen nicht beantworten, und ich kenne den Uhlenkopf noch nicht so lange. Offiziell gilt er nicht als Wanderziel. Es gibt keine Schilder. Es gibt keine Hinweise. Dabei sind die alten vulkanischen Felsen sehr magisch und immer einen Besuch Wert.

Heute dachte ich über das Thema „Heilung und Wald“ nach. Ein Freund hatte mir einen Link geschickt. In einem Video ging es um die Heilkraft des Waldes. Wenn man wissenschaftliche Erklärungen hat, dann findet man das oft großartig. Das bloße Gefühl oder die eigene Erfahrung zählen nicht so sehr.

Ich schaute mir die Bäume auf dem Uhlenkopf an. Viele sind geschädigt. Viele Fichten, aber auch Birken, sind abgestorben. Der Wald ist nicht gesund, nicht in seiner wirklichen Kraft. Wie soll er da heilen? Er muss sehen, dass er die Klimakatastrophe übersteht.

Der große Fichtenhüter, ca. 25 Meter hoch, die letzte große Fichte auf dem Berg, ist im letzten Dürresommer gestorben. Eine kleine Jungfichte in der Nähe ist auch tot. Eine gestorbene Fichte ist kürzlich vom Wind abgebrochen worden, nun liegt sie quer vor dem markanten Uhlenkopffelsen. Die Zeit schöner Fotos ist vorbei.

Man könnte das Sterben dokumentieren, aber das wären keine schönen Fotos.

Unter der Fichte liegen größere Stücke der ehemaligen Rinde. Nun zerfallen sie.

(Die Fichte auf der Zeichnung ist ca. 25 Meter hoch. Von weitem noch zu sehen. Die dunklen Flecken sind die großen Rindenstücke.)

Für morgen ist Orkan angekündigt. Er wird viele Bäume umwerfen. Vielleicht wird er den toten Fichtenhüter fällen. Er ist ohnehin nur noch ein Mahnmal eines sterbenden Waldes.

Wie stark mag er gewesen sein, vor fünf oder zehn Jahren? Mir bleiben nur die Erinnerung oder eine vage Hoffnung auf eine Zukunft in hundert Jahren, die ich nicht erleben werde.

Ich werde nichts mehr erleben, das ist mir klar.

Waldweg 10 (Kleiner Burgberg, Bad Harzburg)

Jetzt haben sie die toten Bäume umgesägt, nicht alle, aber vor allem diejenigen, die auf den Weg fallen könnten, außerdem Buchen, die sie für tot oder bald sterbend eingeschätzt haben. Neben dem Weg liegen nun die Reste, achtlos aus dem Weg geräumt. Ein chaotisches Bild.

Eine der großen Buchen haben sie auf dem Gipfel umgesägt. Viele der Buchen, die dort stehen, haben bereits eine kahle Krone. Kaum ein Baum sieht wirklich gesund aus.

Wahrscheinlich ist kein einziger Baum mehr gesund. Vielleicht werden alle sterben. Wenn es wieder einen Dürresommer geben gibt, dann wird das sicher so kommen. Viele der kleineren Bergeichen, die am steilen Westhang stehen, sind bereits tot. Soweit ich sehen kann, hat man dort nichts abgesägt. Die fallen eh um, talwärts, wird man gedacht haben.

Wie anders sah es noch vor drei Jahren hier aus! Wie völlig anders! So schnell kann sich alles wandeln.

Von Natur aus. Aber am Ende ist der ganze Klimawandel auch nur eine Episode einer sterbenden Natur. Schlimm ist, dass ich hilflos und ohnmächtig zusehen muss. Die kleinen Fichten oder die kleinen Buchen schenken mir heute keinen Zukunfts-Trost. Man weiß außerdem nicht, ob sie nicht alle verdursten werden, wenn es im Sommer wieder wochenlang keinen Regen geben wird.

kleiner Burgberg 2020 – es sterben mehr und mehr Buchen

Ich weiß, dass ich keine schöne Geschichte anzubieten habe. Es gibt keinen Trost, keine wirkliche Hoffnung, jedenfalls heute nicht. Vielleicht im Frühling wieder, nicht jetzt, im Sturm- und Regenwinter mit den viel zu hohen Temperaturen.

Als es hier mal eine Burg gegeben hatte, da hatte man sicher viele Bäume umgehauen. Man wollte freie Sicht haben! Hier und da sieht man Mauerreste. Den Abgrenzungsgraben auf der Südseite. Das ist alles sehr lange her. Gefühlt schon prähistorisch, obgleich es nur um die 1000 Jahre sein dürfte. Für uns verschwindet alles im Nebel der Geschichte, was älter als 250 Jahre ist.

Wenn die Zeit der Waldzerstörungen vorbei sein wird, wird sich alles erneuern. Fragt sich nur, wann das sein wird?

Als ich in das chaotische Gewirr der Äste der abgesägten Buche schaute, muss ich an gestern denken. Dresden vor 75 Jahren. Die Worte „Kriegsverbrechen“ oder „Kriegsverbrecher“ hatte ich nicht gehört oder gelesen. Stattdessen war wieder von Rassismus, Antisemitismus und der ewigen Schuld die Rede. Waren die einfachen Leute in Dresden schuldig? Die Flüchtlinge aus Schlesien, die einfachen Soldaten der Wehrmacht? Die Frauen, die Kinder?

Damals wurden die deutschen Städte von den Bomben systematisch und rücksichtslos zerstört. Heute sind es die Wälder, egal durch welche Ursache. Das Ergebnis sind zerstörte, verbrannte, vertrocknete, abgeholzte Wälder. Die Bäume sind unschuldig. Sie sind große Pflanzen, die leiden und sterben müssen, weil ein gieriges Wesen sich die ganze Erde untertan gemacht hat und rücksichtslos ausbeutet. Das bisschen Einsicht und Erkenntnis hat am Verhalten bisher nicht viel geändert.

Ob in den kommenden Jahren alle großen Buchen auf dem kleinen Burgberg sterben werden?

Mutwillige Zerstörung

Neben der Zerstörung der Wälder durch Dürre und Stürme gibt es noch die mutwillige Zerstörung. Immer wieder brauchen sie neues Land für irgendwelche Baumaßnahmen. Immer müssen sie dafür Wälder roden.

Ein Beispiel von vielen ist der Kiefernwald bei Grünheide, den man für eine gigantische Autofabrik abholzt, um mit Elektroautos das Klima zu retten.

Gibt es nicht eigentlich schon mehr als genug Autofabriken in Deutschland? Steht nicht überall eine Autofabrik im ganzen Land? Ich weiß es nicht, ich habe sie nicht gezählt, und es ist mir auch egal, denn gefühlt, und ich verlasse mich da auf mein Gefühl, gibt es von Fabriken und Gewerbeanlagen viel zu viel, überall. Da braucht man keine Statistik, da muss man nur mal aufmerksam ein wenig durchs Land fahren.