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Die letzten drei Jahre (2020-2022) empfand ich als eine Lebensreise im Zeitraffer. Das Buch war in meiner ursprünglichen Absicht nur als Ratgeber gedacht. Das änderte sich jedoch, als sich eine Eigendynamik entwickelte die nicht nur die Pandemie in den Fokus nahm, sondern von faszinierenden Er-ebnissen begleitet wurden, die nach und nach in den Vordergrund rückten. Hochsensibel als Therapeutin und Privatmensch, beschreibe ich die Pandemie, wie ich sie in meiner Praxis, mit meiner Familie und mit Freund*innen erlebt habe. Die sich daraus entwickelten Unsicherheiten und Bedrohungen verlangen im Nachhinein einen menschlichen Wiederaufbau. Krisen fordern nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Sie bieten die Chance, mit Hilfe von einfachen, nützlichen und funktionalen Übungen und vor allem in Verbindung mit der Natur wieder aufzublicken und letztendlich zu erkennen, fähig zu sein, zu sich selbst zu stehen. Wir können um die alten Zeiten trauern oder nach vorne schauen. Den Wandel, den wir durchlaufen, bringt uns weiter, wenn wir uns wieder vertrauen und uns trauen, neue Weg zu gehen. Die Pandemiezeit hat mich regelrecht dazu gedrängt, mit neuen Ideen, ungewöhnliche Behandlungsmethoden zu entwickeln und alte, bewährte, wieder zu entdecken. Ich habe dieses Buch zwar für mich geschrieben, lade jedoch alle Leser und Leserinnen ein, diesen besonderen Zeitabschnitt, die Erlebnisse und Erkenntnisse mit mir zu teilen.
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Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für Ulrike Johanna
Sandkorn I
Einleitung
Hochsensibilität
Sensibelchen
Romane
Vorbote
Pandemie
März 2020
Herzenergie
Praxisalltag
Begrüßung
Science-Fiction
Handy-Tagebuch
Kommunikation
Schutzlos
Angst
Knochenangst
Angstmacht
Angstmaske
Panik
Massensuggestion
Kinderseelen
Wasserkristalle
Placebo
Nocebo
Voodoo
Masken
Gewichtszunahme
Einsamalleine
Seifenblase
Erstpatientin
Erkältung
Hineinfühlen
Selbstgemacht
Körpervirus
Impfstoff
Nervensystem
Aufgewühlt
Gesichtsfarbe
Therapieohnmacht
Impfenergie
Damals Drüben
Teilnahmslos
Mitteilungen
Ohrakupunktur
Kreisaufstellung
Alpträume
Menschenretten
Statistiken
Impfgegner
Immunsystem
Vorbeiimpfen
Reinschreiben
Löwenzahn-Wandel
Bluthochdruck
Blutdruckspielerei
Übungserschwernis
Lächeln
Übungsresultat
Krisenatmung
Ohnmacht
Amtlich
Impfpflicht
Lösungsfindung
Verdrängung
Coronaomi
Omikron
Longcovid
Hinterbliebene
Wut
Zorn
Ablehnung
Wandel
Sommersonntag
Lebenswandel
Mutmachbild
Weisheit
Eintracht
Leichtigkeit
Präsent
Stille
Freiheit
Ankommen
Frieden
Differenz
Spaltung
September
Oktober
Gendern
Organgendern
Treue
Wiederaufbau
Somaintelligenz
Kinesiologie
Ernährung
Haltung
Schutz
Blockierungen
Reiki
Gedanken
Imagination
Familiensystem
Traumastress
Herzintelligenz
Gefühlssucht
Gefühlskinder
Gefühlsmanipulation
Wandeltreue
Pseudo-Ordnung
Dualitätsveränderung
Das Sandkorn II
Danksagung
Über die Autorin
Bücher
Ein hoher Berg steht majestätisch in der Landschaft. Er wird von der Sonne bestrahlt, vom Wind umschmeichelt und manchmal angegriffen. Regentropfen und Hagel reiben sich an ihm, höhlen so manche Stelle mit stetem Tropfen aus. Gämsen balancieren an seinen Steilhängen, unten wachsen einige Bäume, oben wirkt er kahl, da die Vegetation immer niedriger und dürftiger wird. Die Verwitterung bewirkt, dass das Gestein in ständig kleinere Bestandteile zerfällt. Feine Sand- und Staubkörner rollen in Nischen, bleiben an Rauigkeiten hängen oder kullern zu Boden.
Wie geht es dem Sandkorn? Es weiß nicht, dass es Sandkorn genannt wird. Es weiß nicht, was oder wer es ist. Wenn es sich bei all den anderen umschaut, kann es erkennen, dass keines gleich ist. Die Formen und Farbnuancen machen aus jedem Sandkrümel ein Unikat, obwohl sie scheinbar gleichen Ursprungs sind.
Weiß das Sandkorn, wenn es bei all den anderen am Boden liegt, dass es einmal Bestandteil eines Berges war? Weiß es, dass es allein durch eine Verwitterung in der jetzigen Form existiert? Dieses kleine Etwas trägt alle Informationen in sich. Wir könnten mit dem Urknall beginnen, mit dem Universum fortfahren, bis hin zur Erdkugel. Das Sandkorn enthält die Ahnung vom Zusammenschieben der Kontinente, dem daraus entstandenen Gebirge, das Wissen um Wind und Wetter, welche Pflanzen darauf gewachsen sind und nicht mehr existieren, welche Vögel dort gebrütet haben, welche jetzt ausgestorben sind. Das und sicherlich noch viel mehr macht das kleine Sandkorn aus. In seinem Bewusstsein kann es jedoch den Berg nicht erkennen, von dem es gerade heruntergerollt ist. Sein Verstehen stellt sich vor die Wirklichkeit und täuscht ihm vor, getrennt und ausgeschlossen zu sein. Es fühlt sich allein und hilflos zwischen all den anderen Sandkörnern.
Die Zeit der Pandemie hat mein Leben nachdrücklich ins Wanken und in Wandel gebracht. In meiner kleinen Welt, die mir im Lockdown blieb, fühlte ich mich als Beobachterin und Wahrnehmende zugleich. Ich hatte in der Vergangenheit den Lehrern geglaubt, die der Meinung waren, dass man sich die Probleme selbst machen würde. Über die vielen Jahre hinweg, die ich als Physiotherapeutin und Heilpraktikerin arbeitete, stellte ich fest, dass manche Erschwernisse auch aus unserem Familiensystem resultieren, oder sich viele Missverständnisse zwischen unserem Körper und unserem Kopf abspielen.
In den Pandemiejahren konnte ich vollkommen neue Komponenten kennenlernen, die von außen hereindrückten und ganz und gar mürbe machten. Ich durfte miterleben, was Lug, Betrug und Manipulationen im Menschen verursachen können.
In meiner Kindheit wurde mein Unterbewusstes von meinen Eltern, Nachbarn und Lehrern geprägt. An diese Prägungen habe ich keine bewussten Erinnerungen. Meine Behandlungsmethoden brachten sie zum Vorschein. Diese bestätigten sich beim Beobachten meiner Eltern und beim Nachfragen, wie sie in meiner Kindheit getickt hatten. In der Pandemiezeit konnte ich als Erwachsene die Taktiken, die nicht mehr die Eltern, sondern Politiker, Virologen und Journalisten auf dem Medienmarkt einsetzten, bewusst studieren.
Wie oft hatte ich meinen Kopf geschüttelt, wenn meine Mutter von den mitreißerischen Parolen im zweiten Weltkrieg berichtete, wie die Menschenmassen diesen Doktrinen geglaubt hatten und denen blind gefolgt waren. Ich musste leider wahrnehmen, dass Manipulationen immer noch greifen und lernte am eigenen Körper den Schmerz kennen, der entsteht, wenn man sich treu bleibt.
Meine Erlebnisse während der Pandemie habe ich zeitnah aufgeschrieben, da ich weiß, was unser Gehirn daraus machen kann, wenn das Geschehene in der Vergangenheit liegt. Das Archiv des Gehirns ist ziemlich unzuverlässig. Unsere Neigung, die Realität zu verdrängen oder regelrecht zu verdrehen, steht uns im Weg, wenn wir ernsthaft an der Wahrheit festhalten wollen. Oft können wir uns selbst nicht ,vertrauen‘, wenn wir uns nur auf unser Kopfgedächtnis verlassen.
An erster Stelle meiner Darstellungen stehen die physischen und psychischen Belange der Patient*innen und Klient*innen. Ich vermeide weitestgehend Namensnennungen und verändere die Ereignisse nur insoweit, dass die Handlungen noch der Wahrheit entsprechen, aber die Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben.
Ebenfalls stehen die Vorgaben der Behörden im Zusammenhang mit dem Impfzwang im Fokus. Diese Anordnungen brachten und bringen große Veränderungen in unser und in mein Leben, was auch meine Praxistätigkeit betrifft, der ich mich seit etwa zweiundvierzig Jahren als Selbständige mit Freude, Begeisterung und Interesse an Menschen gewidmet habe.
Während der Pandemiezeit betreute ich in meiner Praxis viele Menschen und erfuhr zunächst von ihren Ängsten, ihrer Panik, ihren Depressionen und ihrer Verzweiflung. Später bekam ich Kenntnis von den Reaktionen auf die Corona-Impfung, die Familien und Freundschaften zerrütteten.
Ich beabsichtige zu Gendern, was den Schreib- und Lesefluss eventuell beeinträchtigt. Gendern wird berücksichtigt, da mich die Präsenz zu neuem Denken und neuen Erkenntnissen anregen.
Mitunter schweife ich in meine Vergangenheit ab, in der mich etwas besonders bewegt hatte und für die Jetztzeit ein Trigger darstellt. Da und dort erfinde ich neue Wortkompositionen. Man möge es mir nachsehen.
Dieses Buch befasst sich zunächst mit der ‚Hochsensibilität‘, die eine Minderheit der Menschen ausmacht und die oft belächelt oder gemobbt werden. Hochsensible Menschen nehmen das, was sie sehen, hören, riechen, schmecken und begreifen in blumigen, manchmal bunten Gefühlen war. Mittel- und Niedrigsensible verstehen eher im Kopf, was sie erleben und können diese Szenen mit exakten Worten beschreiben. Ich bin jedes Mal begeistert, wenn ich ihre Texte lese, habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass ich sie auswendig lernen oder ablesen müsste, wenn ich sie wiedergeben wollte. Ich bewundere die auf den Punkt gebrachten, präzisen Beschreibungen und die Menschen, die sie verfassen, weiß jedoch, dass ich sie unmöglich nachahmen kann. Manchmal schmerzen mich bestimmte Wörter in einem Satz, wenn sie zu abstrakt gewählt sind. Wir haben verschiedene Wellenlängen, denn Gefühle lassen sich nur schwer in Worte fassen, eher umschreiben.
Eine Übersetzung der Emotionen in das Verständnis des Neokortex kann nur umrissen werden. Unsere Gefühle müssen einer Anpassung unterzogen werden, die manchmal nur im Entferntesten ausdrückt, was gemeint ist.
Für eine bestmögliche Darstellung der Zusammenhänge springe ich immer wieder von einem Jahr zum anderen. Meine Texte habe ich zu unterschiedlichen Zeiten in den letzten drei Jahren geschrieben. Manche Begebenheiten könnten die Gefühle, die damals aufkamen, nicht präzise vermitteln, wenn ich sie in die Vergangenheitsform setzen würde. Deshalb sind sie im Präsens verfasst.
Verhalten wir uns nicht alle zwiespältig? Die Widersprüchlichkeit und Komplexität meiner Gefühle hindern mich oft daran, stilistisch angemessene Sätze zu bilden. Kurze Werbetexte oder prägnante Buchtitel zu formulieren, überfordert mich völlig. Eine Stegreifrede zu halten ist überhaupt kein Problem, sofern sie kein knappes Zeitfenster besitzt. Wie oft hatte ich am Schreibtisch gesessen und gedacht: ‚Soll ich es nicht lassen? Ideen habe ich ja, aber stilistisch schreiben?‘
Meine korrigierende Freundin meint, das sei Chaos, die Leser würden dadurch irritiert. „Chaos“, antworte ich ihr, „was waren denn die letzten drei Jahre?“ Sie muss zugeben, dass sie tatsächlich chaotisch waren und (fast) kein Mensch wusste, was zu tun oder zu lassen war. Wann hat man sich falsch, wann richtig verhalten?
Das Buch war vor drei Jahren ganz anders konzipiert. Ich habe es nicht geschrieben, da das Buch mich dazu gebracht hat, es zu schreiben. Es hat sich mir erschlossen. Eines Abends, als ich müde vor meinem Computer saß, war plötzlich die Idee des Sandkorns da und mit ihr die Struktur und die neuen Entwürfe. Ich schreibe es also nur für mich und widme es mir. Jeder, Jede der, die es mit mir teilen möchte, kann das gerne tun.
Lassen Sie sich einfach auf Berichte, Erzählungen und Darstellungen ein, wie sie sich in drei Jahren meines Lebens zugetragen haben. Wichtig zu wissen: Meine Darstellungen sind aus der Perspektive heraus wiedergegeben, wie ich diese Jahre mit all ihren Sorgen und Freuden wahrgenommen und daraus gelernt habe. Sie könnten bestimmt ein ganz anderes Buch über Ihre Erfahrungen schreiben. Sie haben andere Erlebnisse gehabt oder Ihre Sichtweise wurde durch andersartige Konstellationen geprägt.
Gefühle verdrängen,
sich in die Normalität fügen.
Schmerz,
Rückzug,
intensive Gefühle zulassen.
Fühlen, was nicht sichtbar ist.
Verwurzeln mit der Erde,
hochschwingen.
Sich zurückziehen
Wie oft dachte ich: „An mir ist etwas falsch. Ich ecke an, mit dem, was ich sage. Ich überhöre, was vielleicht wichtig wäre, weil ich mit meinen Gefühlen beschäftigt bin.“ Manchmal fällt dann das logische Denken schwer, weil zu viele Emotionen vorherrschen, um die Situation zu verstehen. Ich erkannte recht spät, zu den etwa 15– 20% der Menschen zu gehören, die hochsensibel sind. Wenn der Begriff Hochsensibilität fällt, sollte der Name Elaine Aron nicht fehlen. Die amerikanische Psychologin war meine Rettung, als ich mich selbst besser verstehen wollte und erforschte, warum ich so viel fühlte und warum mir Bilder erschienen, ohne dass ich sie bewusst hervorgerufen hatte. Frau Aron konnte sich auf Forschungen stützen, die die Phänomene der unterschiedlichen Reizwahrnehmungen und deren Verarbeitung untersuchten.
Infotext: In Verbindung mit der biologischen Erklärung stieß man auf den Thalamus im Zwischenhirn, der als eine Sammelstelle von fast allen Sinneseindrücken fungiert. Er erhält sensible und sensorische Stimuli aus der Atmosphäre, beinhaltet Schaltstellen für motorische und sensible Signale, auch aus dem Bereich der Sinnesorgane wie Sehen, Hören, Tasten, ebenso für die kognitiven Fähigkeiten und die Sprache und leitet dieses an die Großhirnrinde weiter.
Der Thalamus ist wichtig für unsere Wahrnehmungen wie Gedächtnis und Erkennung, für die Steuerung unseres Bewusstseins und er hat bedeutsame Verbindungen zum limbischen System (Verarbeitung von Emotionen). Bei niedriger Reizschwelle ist er nach Meinung von Gehirnforschern durchlässiger für eingehende Signale, die ungefiltert an die Hirnrinde weitergeleitet werden. Selbst bestimmte Hormone im Körper der Hochsensiblen seien gegenüber den mittel- und niedrigsensiblen Menschen erhöht.
Es erhebt sich die Frage: Stellen hochsensible Menschen eine zweitrangige Klasse der Menschheit dar? Die Welt der ‚Normalen‘ lässt es uns mitunter spüren, dass wir einer Minderheit angehören, dass wir empfindsamer sind. Dadurch werden wir oft verunsichert, sind verlegen und kritisieren uns vermehrt. Hochsensible kann man nicht über einen Kamm scheren, denn auch hier gibt es Unterschiede.
Mein Deutschlehrer war nicht mein Seelenverwandter, aber mein ‚Hochsensibelverwandter‘. Vor dem Tun steht bekanntlich die Idee. Ich hatte den Plan, in einer Klassenarbeit bei meiner Nebensitzerin‚ ‚abzuspickeln‘. So etwas Verbotenes zu tun, erforderte von mir viel Mut. Als ich mich fast überwunden hatte, hörte ich, wie mein Lehrer meinte: „Ulrike, das was Du gerade vorhast, würde ich nicht tun.“ Mein Lehrer war ein feiner Mensch, streng, aber gerecht und einfühlsam. Deshalb schätzte ich ihn sehr, obwohl ich nicht die beste Schülerin war. Was ich damals schon am meisten verabscheute und heute noch verabscheuenswert finde, war und ist: Lügen, betrügen und manipulieren. Bei ihm konnte ich sicher sein, dass er das nicht tut, obwohl er mich gerade bei einer Mutprobe unterbrochen hatte.
Hochsensible haben oft ein schwaches Selbstbild. Sie werden von den Mitmenschen als wenig zurechnungsfähig wahrgenommen, weil sie scheinbar nur aus dem Bauch heraus handeln. Die Gefühle werden von der Umwelt als Widersprüchlichkeit gewertet, weil die Emotionen stilistisch einfache Sätze verhindern. Die schwachen Grenzen zwischen den Gefühlen, dem eigenen Körper und dem Sein vermischen sich mit der Umwelt, so dass das Selbstwertgefühl schwammig wird. Ohne Rückzug ist dieser Druck schwer auszuhalten. Es braucht sehr viel Mut, aus dem schützenden Panzer herauszukommen. Oft wird der Begriff Schüchternheit verwendet.
Nochmals zur Definition der ‚Hochsensibilität‘: Sie bezeichnet Merkmale von Menschen und Tieren, die eine höhere sensorische Verarbeitungssensitivität besitzen. Es sind feinfühlige, sensible und hellsichtige Menschen. Oft schreibt man ihnen besondere Fähigkeiten zu oder man lächelt auf sie herab, weil sie diese Gaben besitzen. Diese ‚Zartbesaiteten‘ müssen keine kleinen, zarten hautdurchsichtigen Wesen sein. Sie gibt sie in allen Größen und in jedem Alter. Die Sensibelchen, wie sie gerne genannt werden, reagieren intensiver auf äußere Reize, verbinden zum Beispiel die Objektivität der Mittel- und Niedrigsensiblen mit Gefühlen, weil sie gleichzeitig auch die Stimmungen wahrnehmen. Nicht jeder, jede Hochsensible(r) nimmt gleichsam wahr. Die einen sind geräuschempfindlich oder haben das absolute Gehör, manche spüren ‚zwischen den Zeilen‘, andere sind hellsichtig, im Sinne von Wahrnehmen was kommt. Die Sinnesreize werden intensiver verarbeitet, Gefühle, ob traurig oder freudig sind stärker ausgeprägt. Bis heute gibt es jedoch keine klare und anerkannte neurowissenschaftliche Definition des Begriffes.
„Wissen Sie“, sagte mir vor vielen Jahren die Mutter einer Freundin,„wir leiden mehr als andere, weil wir das Leid intensiver spüren, aber auch unsere Freude ist viel größer und inniger, sie strahlt in uns weiter.“ Sie war sonst eine bescheidene Frau, die in ihrer Familie immer im Hintergrund agierte. Sie sagte damals ‚wir‘, weil wir das Gefühl hatten, dass wir in unseren Gesprächen auf der gleichen Wellenlänge schwangen. Das Wort ‚Hochsensibilität‘ war für uns damals noch nicht existent.
Ein anderes Beispiel: Eine Einladung in einem großen, festlich geschmückten Raum unzählige Gäste unterhalten sich, ein Pianist spielt leise Klavier, Gelächter, Streitgespräche, Diskussionen, Geschirrgeklapper, anstoßende Gläser. Das kann für einen hochsensiblen Menschen ein Martyrium sein. Er nimmt all die verschiedenen Geräusche und Stimmungen auf, während er versucht, sich mit einer einzelnen Person zu unterhalten. Danach ist ein Rückzug in sich selbst und in die eigenen vier Wände unumgänglich, um all die Eindrücke verarbeiten zu können. In kreativen und sozialen Berufen ist ein hochsensibler Mensch gut aufgehoben. Natürlich findet man sie in allen anderen Berufen ebenso. Dort tun sie sich oft schwer.
Wenn zum Beispiel ein hochsensibler Architekt ein Gebäude betritt, spürt er seine Energie, seine Ausstrahlung und fühlt es möglicherweise wie ein Wesen. Wenn der Bauherr einen Anbau plant, kann es sein, dass der hochsensible Architekt den Auftrag ablehnt, weil er sich nicht dazu durchringen kann, die Würde des bestehenden Gebäudes durch einen nicht harmonisierenden Anbau zu zerstören. Wie kann man diese Gefühle einem mittelsensiblen oder niedrigsensiblen Menschen erklären?
Ich habe viele Jahre mit einem Architekten und Städteplaner zusammengearbeitet. Er schilderte mir Straßenzüge, Marktplätze, Gebäude in Industriegebieten, die ich nie gesehen hatte. Wenn ich den Ort, die Straße und die Hausnummer wusste, dann konnte ich mich in das Gebäude hineinfühlen und sagen, was mit diesem eventuell nicht stimmte. Der hochsensible Architekt und ich fanden, nur durch unser Spüren heraus, dass ein Haus nicht verkauft werden konnte, weil es beispielsweise einen bisher unbekannten Miteigentümer gab. Manchmal tastete ich mich mental in ein Gebäude hinein und beschrieb es folgendermaßen: „Wenn ich das Gebäude betrete, kann ich links die Treppe hinunter ins Erdgeschoss gehen oder rechts in den Keller.“ „Ja, das ist richtig“, bestätigte mir mein Gegenüber. „Im Keller gibt es links einen kurzen und rechts einen langen Gang.“ Er stimmte zu. „Ich gehe den rechten Gang entlang und spüre ab der zweiten Tür eine unangenehme Energie. Es gibt dort Verunreinigungen im Boden.“ Diese hatten sich nach einer Probebohrung bestätigt, wurden entfernt und wenige Wochen später konnte das Gebäude problemlos verkauft werden.
In meinen jüngeren Jahren war ich selbst Mieterin in verschiedenen Wohnungen an unterschiedlichen Orten und durfte erleben, dass Mietshäuser ganz bestimmte Mieter anziehen, zu denen ich emotional nicht immer passte und mich sehr unwohl fühlte. Es gab Gebäude, die mein Herz zum Glühen brachten, wenn ich sie nur betrat, weil meine Vermieter, die Mitbewohner und ich die gleiche Wellenlänge hatten. Oder umgekehrt, mein Körper litt, wenn ich bestimmte Mietwohnungen betrat.
In der Tierwelt ist es wichtig, dass es in einer Herde hochempfindliche, mittel empfindliche und weniger empfindliche Tiere gibt. Die hochsensiblen Tiere bemerken bereits, wenn der Feind noch weit weg ist, während die beiden anderen Arten friedlich grasen. Sie werden von den hochsensiblen Tieren frühzeitig gewarnt und können sich in eine geschützte Position begeben. Wenn der Angreifer näherkommt, sind die mittel- und niedrigempfindlichen Tiere gefragt, da sie oft die stärkeren Kämpfer sind.
Meine tiefen Empfindungen werden mir oft zum Verhängnis wenn ich schreibe, denn ich würde gerne alle meine Gefühle in die Sätze packen. Sie wären dann voll mit Adjektiven und viel zu lang. Ich würde auch gerne neue Wörter erfinden, weil die bisherigen Worte oft nicht treffend genug meine Gefühle beschreiben. Wenn ich zum Beispiel sage: „Das war schrecklich“, passiert es mir oft, dass ich merke, dass meine Gesprächspartner*innen etwas ganz anderes meinen, als ich es empfinde. Das kann zu Missverständnissen führen. Ich würde lieber sagen: „Nimm ein Drittel von Deinem Schrecklichen weg, dann meinen wir dasselbe“. Aber ich tue es nicht, weil das zu Verwirrung führen würde. Vielleicht ist es die Angst, nicht für völlig verrückt erklärt zu werden. Manchmal frage ich mich, ob ich mir dadurch selbst untreu bin und nicht zu mir stehe.
Natürlich ist es mir möglich, einen Menschen herkömmlich wahrzunehmen, der zum Beispiel schwarze Kleidung trägt, mit einem Spazierstock in seiner linken Hand schwingend um die Ecke biegt, aber mir fällt seine Stimmung auf, sein schlurfender Gang, der eine Trauer in sich birgt oder weil er sich selbst aufgegeben hat. Sein Stock soll ihm eine Stütze sein, die er von seiner Umgebung verlangt oder der seine gestorbene Frau ersetzen soll.
Wie oft musste ich die Sätze hören: „Ulli, du spinnst.“ „Die Heißin saugt sich wieder einmal was aus den Fingern.“ „Du immer mit Deinem Fühlen, das geht einem auf die Nerven!“ „Man muss sie halt nehmen wie sie ist.“
Ich leitete vor vielen Jahren einen Arbeitskreis für Psycho-Kinesiologie und habe ihn schließlich aus diesen Gründen aufgegeben. Ich war der Meinung, wenn man das Unterbewusste befragt und den Körper austestet, die beide wie ein kleines Kind fühlen, kann man nicht in einer Erwachsenensprache mit ihnen umgehen. Die rational gestellten Fragen ergaben oft irreführende Ergebnisse. Das Unterbewusstsein und die Ratio befinden sich sozusagen auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen werden Gefühle verarbeitet und auf der anderen Ebene denkt der interpretierende Verstand.
Auf jeden Fall ist Hochsensibilität keine Diagnose, denn ich habe in der ICD-10-Kodierung in der nationalen Klassifikation psychischer Krankheiten keinen Schlüssel gefunden, der besagt, dass es sich um eine Krankheit handelt. Somit gibt es auch keine medizinischen Therapien oder Behandlungen für die hochsensiblen Menschen.
Inzwischen weiß ich, dass ich gar nicht so anders bin. Ich fühle nur mehr. Wichtig ist es, zu mir selbst zu stehen, mich zu fühlen und den Gefühlen die angemessene Aufmerksamkeit zu geben. Ich brauche keinen Schild mehr, um mich zu schützen und gleichzeitig mich einzuengen, denn ich bin stärker geworden. Eine wichtige Zutat für mein Selbstwertgefühl ist das Selbstvertrauen.
Meine Hochsensibilität hat schon sehr früh erkannt, dass die Corona-Impfung vielen Menschen schadet. Aber sie hat mich nicht genau aufgeklärt, wem und wie sehr sie schadet. Es ist eine innere Vibration, nicht sichtbar, nur spürbar, die ich inzwischen als Warnung erkannt habe. Ich versuchte, sie für einige Freundinnen und Klient*innen in Worte zu fassen. Inzwischen kenne ich deren ungläubige Reaktionen: „Du spinnst schon wieder!“ „Warum sagst du so was?“ „Das glaube ich dir nicht“. Gleichzeitig verstummen die Gesichtsausdrücke, ziehen sich die Personen weit vor mir zurück, ohne sich sichtbar zu bewegen, als lägen Kontinente zwischen uns. Das ist mir inzwischen egal. Denn ich muss nicht mehr um Anerkennung und Liebe betteln. Älter werden, Erfahrungen sammeln, weiser werden, haben in solchen Momenten große Vorteile. Vor allem bewahren sie mich vor emotionalem Schmerz.
Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich manche Menschen hinter einer eingebildeten Hochsensibilität verstecken. Sie täuschen sie vor, um ihre Probleme zu verbergen, die sie nicht sehen wollen. Sie tun so, als wären sie hilflos und unreif, um Mitleid zu erregen, um Aufmerksamkeit und Hilfe von ihren Mitmenschen zu bekommen, um keine eigenen Entscheidungen treffen zu müssen. Hochsensible Menschen dagegen, können sehr wohl ihre eigenen Entscheidungen treffen und sind auf ihre Weise sehr stark.
Hochsensible Menschen brauchen ihre Zurückgezogenheit nicht, um Emotionen wie Traurigkeit oder Wut zu verbergen oder sie zu verarbeiten, sondern um neue Kraft zu schöpfen. Mitunter kann das eigene Lächeln im Spiegel die Sonne aufgehen und einen Tag mit Freude beginnen lassen.
„Sind mittel- oder normal- und niedrigsensible Menschen un-sensibel?“, wollte eine Patientin wissen. „Nein, natürlich nicht“, gebe ich ihr zur Antwort. „Sie haben ebenfalls viele Gefühle, sie sind nicht psychisch krank, genauso wenig wie hochsensible Menschen. Die chemischen Prozesse im Körper sind für sie ein besserer Filter, der die zu viel eintreffenden Reize auffängt, zurückhält und aussiebt. Manchmal denke ich, dass diese Menschen mehr Raum für logisches Denken haben.“
Alleine unter vielen
In der Zeit der Pandemie, der Schreckensmeldungen, Mahnungen, Ängste der Menschen, wollte ich mich ablenken, mich wegbeamen. Das habe ich in der Vergangenheit immer getan, wenn neue Entscheidungen anstanden. Im Jahr 1984 stand ein Wechsel der Praxis an. Ort, Zeit und Räumlichkeiten warteten auf Inspiration. Ich verbrachte einen Tag und fast die ganze Nacht mit der Lektüre eines Romans über einen geheimnisvollen Schlossherrn im neun zehnten Jahrhundert, einen Mordfall und eine junge Frau, im alten England, die, naiv und voller Vertrauen in sich und ihre große Liebe, alles zum Guten wendete. Am Morgen stand ich müde und doch gestärkt auf, denn ich hatte mein Heim und meine Gegenwart für ein paar Stunden verlassen. Als ich zurückkam, konnte ich mein Hier und Jetzt klar sehen. Die neue Perspektive bescherte mir noch am selben Tag die Räume für die neue Praxis.
Dieses Mal kaufte ich mir gleich drei Romane, von drei verschiedenen Schriftstellerinnen, die mit unterschiedlichen Verlagen arbeiteten. Die Autorinnen wurden hoch gelobt und hätten bisher einige Bestseller geschrieben, lese ich in der Autorenbeschreibung. Die Orte waren Irland, Südengland und Südfrankreich und spielten am Meer. In fließender Schreibweise waren die Charaktere der Personen gut herausgearbeitet, die Klippen, das Meer, die verschlungenen Wege, Buchten, die verträumten Häuser mit ihren malerischen Gärten anschaulich geschildert.
Da ich noch nie nacheinander ähnliche Bücher gelesen hatte, fiel mir bisher der Unterschied nicht so deutlich auf. Erst im Vergleich bemerkte ich, dass ich das erste Buch schleppend gelesen und oft beiseitegelegt habe. Ich entschuldigte es damit, dass ich in der Regel meine Fachliteratur, meine Aufzeichnungen von Fortbildungen studiere und nicht gewohnt bin, leichte Romane zu lesen. Erst beim Lesen des zweiten Buches, bemerkte ich dass mich die ersten Zeilen in das Buch hineingezogen und ich in den Roman eingetaucht bin. Ich lebte förmlich mit den Familien mit. Ich habe bis spät in die Nacht gelesen und fand es schade, wenn mir vor Müdigkeit die Augen zufielen und ich das Buch weglegen musste. Beim dritten Buch saß ich als interessierter Zuschauer da, wie in einem Theater. Dieses Buch hatte mich nicht in seinen Bann gezogen.
Wieso schmeckt ein Kuchen mit denselben Zutaten, gebacken von drei verschiedenen Bäcker*innen unterschiedlich? Wieso fühlen sich Behandlungen von drei verschiedenen Therapeut*innen so andersartig an?
Ich bekam vor Jahren mehrere Wochen Krankengymnastik für meine rechte Schulter. In der Praxis wechselten die Therapeutinnen. Manchmal hatte ich Angst vor der Behandlung. Die erste Krankengymnastin verrichtete ihre Arbeit gut, aber mechanisch. Nach einer bestimmten Anzahl von Tagen mussten definierte Grade der Bewegung erreicht sein, wenn nicht, wurde etwas mehr in den Schmerz hineingearbeitet. Mein ganzer Körper verspannte bei dieser Prozedur.
Eine weitere Behandlerin lenkte mich mit Gesprächen von meinem Schmerz ab, beherrschte die Handhabung und die Techniken genauso gut wie ihre Kollegin zuvor. Die dritte Therapeutin kam lächelnd in die Kabine, wünschte mir einen guten Morgen, fragte mich, wie es mir von der letzten Behandlung bis jetzt ergangen war, holte tief Luft und fühlte sich in mein Schultergelenk hinein. Ihre Bewegungen waren sanft, manchmal fühlte ich wie, sich nur durch ihre Hand ohne äußere Positionsänderung innen im Gelenk etwas bewegte. Mein ganzer Körper entspannte und die Bewegung des Schultergelenks hatte sich danach um einige Grade gebessert.
Jede der drei Therapeutinnen hat bestimmt genügend Patient*innen, denn so unterschiedlich wie ihre Behandlungsformen sind, so verschieden sind die Bedürfnisse der Patient*innen. Nicht jeder will einen hochsensiblen oder einen niedrigsensiblen Therapeuten. Nicht jeder bevorzugt den luftigen Kuchen und nicht alle Menschen möchten in eine ‚Romangeschichte‘ hineingezogen werden, es reicht ihnen, sie gelesen oder eine Information erhalten zu haben.
Zwischen Weihnachten und Neujahr verspüre ich in der Regel den Drang, aufzuräumen, das Jahresende in der Praxis vorzubereiten, Hygieneartikel, Reinigungsmittel, Medikamente, Salben, Akupunkturnadeln und Ampullen zu bestellen. Das Ausmisten, Ausräumen, Putzen macht mir an meinen freien Tagen besonders viel Spaß, weil es mir ein Gefühl der Erleichterung und Freiheit vermitteln kann.
In solchen Zeiten schreibe ich meist an einem Buch oder einer neuen Idee, auch wenn es nicht für die Allgemeinheit bestimmt ist. Dadurch recherchiere ich, schaue näher hin und bin deshalb aufmerksamer für meine Arbeit in der Praxis.
Im Dezember 2018 war ich sehr müde, abgeschlagen und verspürte keine Lust, etwas zu tun. Ich hangelte mich vom Bett auf das Sofa und wieder zurück. Ich war müde und konnte trotzdem nicht schlafen. Mein Verstand drängte nach Aktivität, doch meine Muskeln waren angespannt und ließen sich mit Magnesium und Entspannungsübungen nicht lösen. Mein Kopf fühlte sich schwer an und mein Körper wollte ganz sicher nicht, dass ich mich bewege.
Im Januar 2019 begann ich wieder zu arbeiten. Ich war unzufrieden mit mir und über das, was ich in der langen Freizeit nicht geschafft hatte. Damit meine ich nicht nur Arbeit, sondern auch ausspannen und genießen. Letzteres war gar nicht möglich gewesen. Mir wurde das dadurch bewusst, dass meine Patient*innen mich nicht nur mit guten Wünschen zum neuen Jahr begrüßten, sondern mich auch fragten: „Haben Sie sich gut erholt?“ Immerhin hatte ich ja Urlaub gehabt.
Ich fühlte mich weiterhin nicht wohl. Konnte meinen körperlichen Zustand nicht begreifen, weil es keinen Grund zu derlei physischen und psychischen Gesundheitszuständen gab. Ich buchte, ganz gegen meine Natur, einen Urlaub auf einer Insel, die im März Wärme verspricht.
Dann kam Anfang Februar der Durchbruch mit Fieber, Schüttelfrost und unendlicher Müdigkeit. Eine ganze Woche lang lag ich im Bett und konnte mich kaum bewegen. Ich ergab mich dem scheinbar grippalen Infekt und konnte mich endlich ein wenig gehen lassen, denn ich hatte keinen quälenden Husten und nur ein wenig Schnupfen. Ich erinnere mich nicht, dass ich seit meiner Kindheit so lustlos und schlapp war.
Wie sehr ich damals eine solche Grippe genossen habe. Heiße Milch mit Honig, Bettruhe und Wärme, Schokoladenpudding, wenn es mir besser ging. Mit diesem Gedanken kuschelte ich mich schließlich in mein Bett, nachdem ich meinen Patient*innen für die Dauer einer Woche abgesagt hatte. Das dauerte Stunden und ich erreichte nicht alle Patient*innen an einem Tag. So viele Genesungswünsche, die ich erhalten hatte, sollten mich bald wieder gesund machen. Nach einer weiteren Woche fühlte ich mich im Stande stundenweise zu arbeiten. Doch diese Müdigkeit und Kraftlosigkeit wollte nicht weichen. Ich keuchte, wenn ich die Stufen zum Keller oder zur Garage ging, musste mich jeden Morgen durch meine Müdigkeit kämpfen.
Endlich nahten der März und der Urlaub. Ich war schon Jahre nicht mehr in meiner Freizeit gereist und hoffte abschalten zu können. Am Urlaubsort angekommen, wehte eine steife Brise um meinen Kopf. ‚Hoffentlich erkälte ich mich hier nicht noch mehr‘, dachte ich und zog den Schal, den ich extra für die Flugzeit mitgenommen hatte, um gegen die Kälte und die Zugluft des Airconditions im Flugzeug gewappnet zu sein, noch fester um meinen Hals. Gleichzeitig verwöhnte mich die Sonne, die in Deutschland beim Abflug hinter dicken Wolken versteckt war. Wenn ich mich in eine windstille Ecke meines Balkons setzte, musste ich aufpassen, keinen Sonnenbrand zu bekommen. Natürlich genoss ich die mediterrane Umgebung, die Sonne und das Meer, aber ich kam nicht zur Ruhe. Die Angespanntheit blieb, trotz verschiedener Übungen. Beim Fotografieren konnte ich mich etwas ablenken und meinen Stresspegel senken. Die Kunst der Fotografie bedeutet die Achtsamkeit des Fotografen und die Achtung vor dem Objekt.
Ich nahm die Gerüche der Insel war, ihre Farben und Formen, ich spürte den Wind, die Sonne und hörte den Wellen zu, wie sie an die Felsen klatschten oder seicht im Sand versickerten. All meine Wahrnehmungen halfen mir, die späteren Betrachter, wie zum Beispiel meine Freund*innen und Familie, ins Bild hineinzuziehen. Ich saß oft am Meer, hörte den Wellen zu und glich meinen Atemrhythmus dem Rhythmus der Wellen an. Meine Atemzüge waren den Wellen gleich. Sie bewegten meinen Körper der dankbar annahm, was ich ihm mit diesen Gesten schenkte.
Als ich wieder zu Hause war, ging es mir bedeutend besser. Das Treppensteigen brachte mich immer noch außer Atem. In der Praxis wurden mir ebenfalls schwere Fälle von Grippe geschildert und die Rekonvaleszenz verlief auch bei meinen Patient*innen wie bei mir sehr zäh. Einige meiner Patient*innen sagten ihre Termine kurzfristig ab, weil sie mit Lungenentzündungen in die Kliniken eingewiesen wurden. Später erzählen sie von überfüllten Intensivstationen und dass sie sogar auf den zugigen Krankenhausfluren geparkt wurden.
Ich muss wohl öfter erwähnt haben, dass ich mich wundere, dass die Medien gar keine Nachrichten über die schweren Grippefälle berichteten. Die letzten Jahre wurde aus jeder Grippe- oder Erkältungswelle ein Drama gemacht. Wieso nicht 2019? Es rutschte mir heraus: „Das ist die Ruhe vor dem Sturm. Hörst Du die Stille? Irgendetwas ist im Gange.“ Die 2019-Infektionen ebbten, wie gewöhnlich, im Sommer ab und wie immer fingen sie ab Oktober wieder an. Auch ich habe mich in der Wärme des Sommers erholt und bin gesund geblieben.
Als Kind hatte ich immer das Gefühl, nach einer überstandenen Grippe oder einer Kinderkrankheit gewachsen zu sein.‚Wie Phönix aus der Asche‘, nannten wir es. So fühlte ich mich nun und machte kleine Ausflüge. Ein Gefühl von Freisein, Dankbarkeit wieder gesund zu sein, zeigte mir, wie belastend und einengend die Grippe für mich war.
Seit die Kinder aus dem Haus sind, habe ich mich noch mehr mit meinem Beruf befasst, habe es zugelassen mehr zu fühlen, mehr Zusammenhänge zu finden und es meinen Patient*innen zu offenbaren. Meine äußere und innere Freiheit, die ich mir zuvor nicht gegönnt hatte, war von kurzer Dauer.
Die 10.Tarotkarte, die ich für das Jahr 2019 lege, war der Eremit. Das Ergebnis, der Schlüssel für dieses Jahr ist: sein eigenes Licht finden, in die eigene Mitte kommen, das Alleinsein akzeptieren. Das habe ich gemacht und mich mit mir sehr gut verstanden. Das war wohl schon die Vorübung für die Pandemiezeit.
Gesundwerden
Die Pandemiezeit auf dem Prüfstand,
kämpfen, aufgeben, zu sich selbst
stehen?!
Trauma,
festgefahren,
verstrickt, verwoben, verknotet.
Entwirren, sich entfalten,
sich lösen,
geistiges Wachstum.
Die Welt steht Kopf
Mein Mantra, das ganz bewusst mit meinem Namen versehen ist hat einen tieferen Sinn Das Geheimnis wird im nächsten Buch gelüftet:
Ulrike ist gesund, vollkommen, jugendlich, frisch, voller Kraft und Energie, freudig, klar und dankbar. Lächelnd, mit Schwung steht Ulrike morgens auf und fühlt sich Ulrike körperlich und geistig frisch.
Dieses Mantra brauchte ich in den folgenden Jahren äußerst dringend. Das weiß ich zu der Zeit noch nicht.
Im Januar 2020 beschließe ich, maßvoller zu arbeiten. Es handelt sich um eine Reduktion einer Sechzigstundenwoche. Eine neue Ära soll für mich anfangen. Ich freue mich auf das neue Jahr, wohlwissend, dass mir die Tarotkarten, die ich mir am 31.12.2019 gelegt hatte, viel von Veränderung und Transformation deuteten. Sie wiesen mich auf hohe kreative Energie und Intuition hin, die ich in Zukunft brauchen werde.
Privat sind meine Familie und ich damit beschäftigt, das elterliche Haus nach dem Tod meiner Eltern auszuräumen, was mit enormen, hochkommenden Gefühlen aus der Kindheit einhergeht. Ich soll verkaufen, was schon mehr als fünfhundert Jahre im Familienbesitz ist. Diese Gedanken quälen mich. Was würden meine Ahnen dazu sagen? Meinen Eltern war es klar gewesen, dass weder meine Schwester noch ich den Hof halten und renovieren konnten. Ich quälte mich lange mit dem Gedanken, eine Verräterin zu sein.
Wie oft hatte ich meinen Patient*innen erzählt, dass in jeder Familie die Zeit kommt, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, um ein neues Kapitel anfangen zu können. Ich erklärte es so: Eine Generation formuliert einen Satz, die nächste Generation setzt ein Komma, um ihn zu gliedern. Die Weiteren vervollständigten ihn mit Doppelpunkt, Semikolon, Anführungs-, Frage- oder Ausrufezeichen. Keiner hat den Mut, ihn zu beenden, um einen neuen Abschnitt zu beginnen, obwohl keiner mehr weiß, wie der ursprüngliche Satz begonnen hat. Es benötigt unwahrscheinlich viel Mut, weil die Loyalität der Familie gegenüber an einem haftet. Gehorsam, Schuld, Scham und schlechtes Gewissen sind Bindeglieder zu unseren Vorfahren, weil wir sie für die höchste Instanz halten, nach der wir unser (Über-) Leben richten müssen.
Neuerdings liegen den Praxisorganisationen und Verbänden neue Gesetze vor, deren Änderungen auch mich betreffen. Anordnungen möchte ich, so gut es geht Folge leisten, so wie ich es gewissermaßen von meinem Elternhaus her kenne. Das antrainierte Gewissen braucht oft mehr Arbeit und Zeit, um dem Verantwortungsbewusstsein Genüge zu tun. Ich spüre Schwere.
Ich schaue nur selten die Nachrichten, so bekomme ich gar nicht mit, was sich um mich herum abspielt. Es ist Mitte März 2020: Ein Coronavirus hat sich in Windeseile verbreitet und bedroht die Menschheit auf der ganzen Welt. Viele Patient*innen sagen ihre Behandlungstermine kurzfristig ab.
Ulrike ist gesund, vollkommen, jugendlich, frisch, voller Kraft und Energie, freudig, klar und dankbar, geistig frisch, lächeln, aufrechte Haltung, Daumen hoch. Krone richten und aufrecht den Tag beginnen.
Tagebuch: Mit mehr Herzenergie durch die Corona-Zeit. Es ist der 17. März 2020. Ich befinde mich wie immer morgens in meiner Praxis und treffe Vorbereitungen für die alltäglichen Behandlungen. Bei den nun ankommenden Telefonanrufen handelt es sich oft um Absagen. Ich höre nur noch CORONA. Die Menschen haben Angst, sind panisch und irritiert, fühlen keinen Halt mehr unter den Füßen, weil die Medien unterschiedliche Meldungen und Berichte veröffentlichen und die Schlagzeilen verstörend wirken. Ich beruhige und tröste den ganzen Tag über, denn ich habe Zeit. Meine Praxis ist geringer ausgelastet, obwohl ich gut vorbereitet bin. Mund-Nasen-Schutz, Handschuhe, Hände- und Flächendesinfektion sind ausreichend vorhanden, denn das gehört auch zum Standard einer Heilpraktikerpraxis.
Mein zweiter Behandlungsraum fungiert als Schleuse, dort können sich die ankommenden Patient*innen ihre Hände waschen und desinfizieren und warten, bis die schon Behandelten gegangen sind. Keine Patientin, kein Patient trifft mehr den anderen. Das kleine Schwätzchen, das freudige: „Ah, schon lange nicht mehr gesehen“, fällt zum großen Bedauern aus.
Mir fehlt der erste Händedruck zur Begrüßung an der Türe. Ich habe nun die Gewissheit, dass er für die Anamnese sehr wichtig ist. Die Informationen über die Befindlichkeit wie z. B. körperliche Spannung und Emotionen sind nun nicht mehr verfügbar.
Eine neue Patientin mit Mund-Nasen-Maske sitzt mir gegenüber. Sie berichtet, welche körperlichen Probleme sie im Moment plagen. Ich muss einige Male nachfragen, da ich sie, bedingt durch die Maske, akustisch schlecht verstehe. Eine Mimik ist kaum zu erkennen und die Augen wirken ausdruckslos. Ich habe das Gefühl, mit einer Wand zu sprechen, da ich die Patientin kaum wahrnehmen kann. Nachdem die Sessel, gemäß dem Mindestabstand, auseinandergerückt und die Masken abgenommen sind, scheint es, als ob ein „Eiserner Vorhang“ fallen würde. Wir lachen uns erst einmal an. Jetzt sitzt eine ganz andere Frau vor mir. Ich weiß nun, wie ich sie behandeln kann (mit Maske), denn ich vermag sie mit all meinen Sinnen wahrzunehmen. Ihr geht es mit mir ebenso, durch meine Maske fühlt sie sich gehemmt, kann wesentlich schlechter ein Vertrauen zu mir aufbauen.
Mit meiner besonderen Behandlungsmethode mittels der BIO-Antenne lösen sich die Verspannungen wie ein grauer Schleier auf und die Gesichtsmimik bekommt wieder liebevolle Züge. Hochgezogene Schultern senken sich erleichtert nach unten, eingeschränkte Knie oder Schultergelenke lassen sich wieder bewegen. Mittlerweile werde ich sogar um die Entladung der Corona-Energie gebeten, wenn ich sie einmal vergessen habe. Schlüssige kinesiologische Behandlungen oder Familienaufstellungen sind erst nach dem Eliminationsprozess möglich.
Die Ängste, die überall auf der Welt geschürt werden, können sich auf uns legen und wir tragen so unbewusst die Probleme anderer Menschen körperlich und seelisch mit, ohne Rücksicht auf unsere eigene Haltung. Diese können zu Fehlbehandlungen führen. Für mich als Therapeutin sind die Begegnungen mit meinen Patient*innen belastender als vor Corona, weil ich die übertragenen Energien spüre. Seit April habe ich in meiner Praxis mit Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Schleuse, viel frischer Luft, freiem Blick gearbeitet. Ohne Händeschütteln, aber mit einem Lächeln, einer aufrechten Haltung und einem Verneigen habe ich meine Patienten begrüßt.
Viel Herzenergie und liebevolle Emotionen waren zur Stärkung des Immunsystems nötig. Eine Patientin mit Mund-Nasen-Schutz kommt zu einer Reflexzonenbehandlung am Fuß zu mir. Sie hat ihr drei Monate altes Kind bei sich. Als wir uns unterhalten, schaut es von mir zur Mutter und wieder zurück. Da wird mir klar, dass Säuglinge, die aus den Gesichtern lesen und Mimik nachahmen, diese Möglichkeit nur noch eingeschränkt haben. Was das wohl mit den kleinen Wesen macht? Ich stelle mich mit meiner Maske vor das Kind, bündle gedanklich meine Herzenergie, Wärme, Geborgenheit, Zärtlichkeit und schicke sie durch meine Augen in die Augen des kleinen Kindes, das sofort anfängt zu strahlen. Aus dem lachenden Mund kommt ein Gebrabbel und ein Gegluckse. Die Augen funkeln förmlich vor Glück und ‚Gemögtwerden‘. Das kleine Geschöpf fuchtelt mit den Armen und strampelt mit den Beinen vor Freude. Es bewahrheitet sich, dass der Geist des Herzens (chinesisch – Shen) sich in den Augen offenbart. Kinder schauen in die Augen ihrer Mitmenschen. Sind sie ausdruckslos, fühlen sie sich verlassen, sind sie voller Freude, fühlen sie sich angenommen. Geht es uns Erwachsenen nicht ebenso? Gerade jetzt brauchen wir die Energie des Herzens mehr denn je. Das kann man lernen. Daran sollte ich mich in den nächsten Jahren immer wieder erinnern.
Um die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 einzudämmen greift im Mai 2020 das Infektionsschutzgesetz mit vielen Paragraphen. Eine nicht-medizinische Alltagsmaske muss getragen werden. Kleine Ausnahmen bestätigen die Regel. Demonstrant*innen und Querdenker*innen sind unterwegs. Wir Heilpraktiker*innen sollten uns heraushalten, denn wir sind die Ersten, die an den Pranger gestellt werden, da wir mit unserem Beruf, politisch gesehen, eher geduldet als willkommen sind.
In den letzten Monaten habe ich in viele besorgte Augen geschaut. Kein Patient, keine Patientin, kein Körper hat auf meine Behandlungen so reagiert wie vor Corona. Die Verspannungen sind schlimmer geworden, die Beweglichkeit der Gelenke starrer, die Gespräche entweder deprimierter oder aggressiver.
Die umstrittenen Corona-Nachrichten haben sich tief eingegraben und verursachen weltweit Angst, Panik, Isolation und Erschöpfung. Jetzt heißt es Abstand halten, keine Umarmungen mehr, die vertrauten Gespräche beim Einkaufen dürfen nicht mehr stattfinden. Dieser Zustand kann zu Spannungen im ganzen Körper führen, die sich in Form von Schmerzen, Steifheit und geistiger Lähmung äußern. Schmerzen sind nicht immer ein Zeichen von Krankheit, sondern sie können ein Ausdruck einer divergenten Kommunikation zwischen Körpergefühl und Kopfdenken sein.
Die Nieren sind häufig die Ursache für Schmerzen im Lendenbereich. Sie machen sich in der unteren Wirbelsäule als ‚Abbrechschmerz‘ bemerkbar. Punktuell und unerwartet fährt er, bei selbst kleinen Bewegungen, in den Rücken. Der Körper fühlt sich an, als ob das Kreuzbein und die unteren Lendenwirbel an einem seidenen Faden hängen würden. Patient*innen kamen zunehmend mit diesem Beschwerdebild zu mir. Auch die Nierenzonen meldeten sich besonders bei der Reflexzonentherapie. Permanente Ängste schädigen die Nieren ebenso wie die (emotionale) Kälte.
Ulrike ist gesund, vollkommen, jugendlich, frisch, voller Kraft und Energie, freudig, klar und dankbar. Lächelnd, mit Schwung steht Ulrike morgens auf und fühlt sich körperlich und geistig frisch.
In einigen Ländern der Welt geben sich Menschen die Hand, wenn sie sich begrüßen. Wir schütteln uns die Hände, manchmal mit einem eher laschen oder kräftigen Händedruck. Wir erfassen unbewusst Emotionen und Befindlichkeiten unseres Gegenübers, die unsere weitere Reaktion beeinflussen. Wir spüren feuchte, trockene, große und kleine Hände, unsichere und selbstbewusste Hände. Mit dem Händeschütteln wollte man früher seine friedlichen Absichten veranschaulichen: Ich komme in guter Absicht, ich bin nicht bewaffnet.
In der Pandemie sollen wir auf das Händegeben verzichten, da wir oft mit einer Hand, einem Finger ins Gesicht, an die Nase oder den Mund fassen. Das Covid-19 – Virus wird hauptsächlich über Aerosole in der Luft, über Tröpfchen oder über Schmierinfektionen, die sich auf Oberflächen finden, übertragen. Wie seltsam kommt es mir mit diesem Wissen vor, wenn ich sehe, wie sich Menschen zur Begrüßung mit den Fäusten berühren. Das Lachen und die Fäuste stehen so sehr im Widerspruch, dass es mich im Innern unangenehm berührt, selbst wenn ich es im Fernsehen sehe. Ich lehne diese Art von Begrüßung ab. Ein achtsames Verneigen darf für mich reichen. Die Faust bedeutet Kampf, Angriff oder Widerstand, sie bedeutet, dass man unter Spannung steht, dass man etwas Bedrohendes erwartet.
Hygienisch gesehen, frage ich mich, wieso das Fäustebegrüßungsritual in der Öffentlichkeit erlaubt ist. Wie viele Menschen fahren sich mit dem Handrücken ins Gesicht oder benutzen den Rücken ihre Zeigefinger unbewusst, um unter der Nase entlangzustreichen oder die Mundwinkel abzuwischen. Die Übertragung soll mit Faust weniger gefährlich sein als mit der offenen Hand? Vielleicht mache ich mir über solche Ungereimtheiten zu viele Gedanken. So vieles, was gerade passiert, steht im Widerspruch. Ist es denn freundlich, beim ‚Hallo‘ sagen, sich mit dem Ellenbogen anzustoßen, mit dem wir uns im täglichen Leben buchstäblich den Weg frei boxen? In den wir hineinhusten und niesen? Manchen Leuten scheint gerade das Spaß zu machen und dabei verlegen zu lächeln. Interessant ist, dass das Lächeln in diesem Fall nie echt ist, sondern eher peinlich, entschuldigend oder beschämend. Im Endeffekt sehnen wir uns inzwischen alle nach einer Berührung, auch wenn es nur mit Fäusten, Ellbogen und Fußtritten ist.
Die Fernsehbilder, welche die Verhaltensweisen bezüglich der Pandemie in China zeigten, lösten in mir ein Deja Vue aus. So erklärte ich meinen Patient*innen: „Die Fernsehbilder aus China sind die Gleichen, die ich in einem Science-Fiction-Film in den Neunzehnhundertachtzigern gesehen habe. Dort wurden die, mit einem bestimmten gezüchteten Virus versehenen Röhrchen, dem Labor entwendet und unter die Leute gebracht. Den infizierten Menschen ging es schlecht, Massen von Infizierten wurden in die Krankenhäuser transportiert und die meisten verstarben dort.“ Ich wollte mir damals den Film nicht weiter ansehen, weil ich es nicht für möglich hielt, dass Menschen dazu im Stande wären so etwas zu tun.
In meinem Briefkasten fand ich danach einige anonyme Briefe, dass ich solche ketzerischen Aussagen sein lassen solle. Das Virus sei eindeutig von den Fledermäusen auf den Menschen übertragen worden. Das stehe so in den Zeitungen und die würden nicht lügen. Teilweise waren Zeitungsausschnitte mit beigefügt.
Beruhigt hat mich der Bericht einer Patientin. Bei der Herfahrt habe sie im Radio gehört, wie einige Passanten auf der Straße gefragt wurden, was sie über die Reaktionen und das Ausmaß in China denken würden. Es sei mehrfach an Science-Fiction-Filme in den Achtzigern erinnert worden. Dasselbe Szenario spiele sich zurzeit in China ab. Alles werde abgeschaltet, heruntergefahren, Konsum radikal reduziert, in Windeseile Krankenhäuser gebaut und Zwangsurlaub verhängt. Leere Straßen seien zu sehen, die vorher von Menschen überquollen. Das Covidvirus befalle die Lungen auf üble Weise. Gefäßbefall und Vernarbungen können zum Lungenversagen führen.
Zwei Jahre später gibt es Berichte, dass Covid 19 schon längst ausgebrochen war, lange bevor wir von der Existenz des Virus erfahren hatten. Wer damals die strenge Geheimhaltung verriet, wurde bestraft. Selbst zuständige Amtsstellen hielten ihre Füße still.
Ende April schreibe ich meiner Freundin, dass ich sehr müde bin und am Wochenende wenig zu Wege bringe. Ich habe Herpes, der sich nach ewigen Zeiten wieder meldet. Jetzt nicht in Form von Bläschen an der Lippe, sondern mit einer einseitigen Trigeminusneuralgie und Augenentzündung. Also die fiese Art, die ich nur zwei Mal in meinem Leben in Verbindung mit starkem Stress erlitten hatte. Die Maske zu tragen fordert Überwindung. Die losen Partikel darin und die Ausdünstungen einzuatmen, die ich zuerst als schlechten Mundgeruch bezeichnete, scheinen meinem Körper erhebliche Mühe zu verursachen. Ich ringe ständig nach Luft und unterbreche meine Behandlungen. Ich frage meine Freundin, ob auch ihre Physiotherapeutin schon Maske trägt.
„Ja die FF...wie auch immer die Dinger heißen. Meine Physio hat die gleichen Beschwerden, sie muss alle halbe Stunde an die frische Luft.“, kommt zurück. Ich jammere ihr vor, dass ich zu viel verbrauchte Luft aus der FFP2-Maske einatmen würde. „Man bekommt doch noch genügend Luft“, meint die Freundin, die selbstgenähte Masken trägt.„Hast Du mit vielen Luftmaschen gehäkelte Masken?“, frage ich zynisch. „Nein aus zwei Bettlaken.“ Wie sie so ist, natürlich total korrekt geschneiderte Masken, innen weiß und außen hellblau. Sie schickt mir Fotos.
Schön, dass es Handys gibt, mit denen man schnell ein Foto machen und verschicken kann. Der Kontakt ist da, eben anders als vor der Pandemie. Unsere Energie ist gesunken, deshalb fotografieren wir unsere Vögel im Garten, an denen wir uns erfreuen und wir unsere innere Kraft auftanken.
Zu meiner Freundin kommen regelmäßig zwei Enten, erfrischen sich am Wasserbecken, das sie aufgestellt hat, denn 2020 ist es heiß und trocken. Ich berichte unter anderem vom Buntspecht, der bisher selten da war. Verschiedene Meisen, Kleiber, Kernbeißer, Amseln und Tauben zähle ich alle auf, weil ich an ihnen Freude habe. Seit vielen Jahren ersetzen meine Vogelfutterstellen meinen Fernseher. Außerdem schaue ich immer wieder aus dem Fenster, wenn ich an meinen Büchern schreibe. Gerne lasse ich mich von den Piepmätzen oder krächzenden Elstern ablenken, wenn mir die Formulierungen der Sätze schwerfallen.
Im Fernsehen scheinen wir einen Bericht gesehen zu haben, in dem in Frage gestellt wurde, wie es passieren könne, dass sich ein Virus auf der ganzen Welt gleichzeitig ausbreite? Sind alle Viren so resistent, dass sie in jedem Organismus auf unterschiedlichen Kontinenten, zur gleichen Zeit in kalten wie in heißen Ländern leben können? In den Medien wird verbreitet, im Sommer würden wir in Deutschland weniger Probleme mit ihm haben als im Winter. Wenn das Virus uns im Sommer weniger anhaben kann, wieso befällt es in den heißen Ländern die Menschen ebenso häufig wie uns im Winter? Wir zweifeln, wenn wir unser bisheriges Wissen zu Rate ziehen. ‚Wahrscheinlich schon‘, lassen wir uns diese suspekte Frage beantworten. Wir sind zu ungebildet und nennen uns ‚Dilettantinnen-mit-Fragezeichen‘.
Viele Berichte werden auch per App weitergeleitet. Ich ertappe mich, dass ich denen glauben will, die meiner Meinung am zuträglichsten sind und die sich vertrauensselig anhören. „Ich will meine heile Welt wieder! Punkt aus fertig“, verkündige ich.
Um mich herum wirbeln so viele verschiedene Auffassungen, dass es mir ganz schwindelig wird. „Ich wünsche mir Halt. Die Wahrheit würde mir Sicherheit geben. Lügen machen mir Angst“, wir bestärken uns gegenseitig. „Angst macht auch das Unbekannte, das Neue, allerdings nur so lange wie wir uns dagegen sträuben“, klugscheißere ich. Wir beschließen, innerlich nachzugeben, ohne uns aufzugeben.„Ja, es ist entscheidend, uns nicht aufzugeben“, versichert meine Freundin mit Nachdruck.
„Es ist wichtig, dass wir uns in dieser Zeit, jeder für sich selbst, treu bleiben,“ mit diesem Satz hatte ich eine ganz wertvolle Aussage gemacht. Sie begleitet mich in der Zukunft in meiner Arbeit und privat. In größeren Abständen schreiben wir uns weiterhin, um uns nicht alleine zu fühlen, wenn wir an den Nachrichten (ver-) zweifeln.
Es ist wichtig, sich den Tatsachen zu stellen, auch wenn sie nicht unseren Vorstellungen entsprechen oder nicht im Einklang mit uns sind. Sie anzuerkennen bedeutet Zustimmung, die dem Gewaltigen das Schreckliche nimmt und uns in unserer eigenen Kraft bleiben lässt. Daraus kann ein Wandel entstehen. Diejenigen, die sich widersetzen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, geben ihre Kraft an die Mächtigen ab und sind selbst somit Verlierer. Dies ist eine brennende Erkenntnis, die ich aus der Pandemiezeit gewonnen habe und die ich zuvor eher theoretisch verstanden hatte.
Vogelparadies: Elster, Kohlmeise, Blaumeise, Sperber
Ich habe mich für mein erstes Online-Seminar angemeldet. Ich kenne die Dozentin nicht und auch nicht die zugeschalteten Teilnehmer*innen. Das war eine neue Erfahrung für mich. Aber es kann niemals die Energie einer Gruppe hervorrufen wie im persönlichen Kontakt. Die Gespräche in den Pausen, die so wichtig sind und die in einer Online-Vorlesung nie entstehen können, fallen weg. Wir sitzen steif vor unseren Bildschirmen, die Kopfhörer auf den Ohren. Das Bild, das die Kamera von mir macht, ist grauenhaft. Ich versuche, meinen Bildschirm in verschiedenen Richtungen zu bewegen. Es wird nicht besser.
Fazit: Nichts ist höher zu bewerten als ein persönlicher Austausch. Die Onlinegeschichte ist gut, um Fakten zu übermitteln. Der persönliche Kontakt wird vorgetäuscht, bleibt steril, unnahbar und unzugänglich.