Wang Ho - Arno Alexander - E-Book

Wang Ho E-Book

Arno Alexander

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  • Herausgeber: DigiCat
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Arno Alexander's Buch 'Wang Ho' ist ein faszinierendes Werk, das die Leser in die Welt der chinesischen Mythologie und Geschichte entführt. Der Autor verwebt geschickt Elemente der Fantasie mit historischem Hintergrund, um eine epische Erzählung zu erschaffen. Dieser Roman zeichnet sich durch eine poetische Sprache und eine detaillierte Beschreibung der Landschaft aus, die dem Leser ein lebendiges Bild von Wang Hos Abenteuern vermittelt. Alexander nutzt sein profundes Wissen über die chinesische Kultur, um eine authentische und fesselnde Geschichte zu schaffen.

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Arno Alexander

Wang Ho

Kriminalroman
 
EAN 8596547732594
DigiCat, 2023 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

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1

Inhaltsverzeichnis

Der Fernsprecher klingelte. Einmal, und noch einmal. Und dann immer wieder – lange und unaufhörlich.

Mit einem Satz sprang Inspektor Muratow aus dem Bett. Was mochte das bedeuten? Dieser Anruf mitten in der Nacht? Das konnte doch nur die Polizei sein! Nur dort war seine zweite Rufnummer bekannt. Den anderen Apparat hatte Muratow, wie er sich genau entsinnen konnte, wie immer am Abend vor dem Schlafengehen, abgestellt.

Suchend tastete er nach dem Lichtschalter.

»Was ist?« riß er den Hörer vom Apparat. »Hier Kriminalinspektor Muratow!«

»Kommen Sie sofort nach Pankow, Borkumstraße 3! Mord!« Es war eine tiefe, Muratow unbekannte Stimme, die diese Worte hastig und erregt hervorstieß.

»Wer ist dort?« rief er rasch.

Keine Antwort.

»Wer da?« brüllte er noch einmal.

Wieder keine Antwort. Der Sprecher mußte bereits eingehängt haben.

»Verdammt!« murmelte Muratow wütend. Dann setzte er sich mit dem Amt in Verbindung und bat, die Nummer festzustellen, mit der er soeben gesprochen hatte. Es dauerte lange, bis das Fräulein vom Amt ihm die gewünschte Auskunft geben konnte. Nachdem er sie vernommen, stand er eine Weile unschlüssig da und starrte grübelnd vor sich hin.

»Borkumstraße 3, II. Stock«, murmelte er halblaut und kritzelte die Adresse auf einen Streifen Papier. »Sollte das eine Falle sein?«

Er blätterte im Adreßbuch nach und hatte bald das Gesuchte gefunden. Als er gleich darauf den Kopf hob, waren seine Mienen ernst und sorgenvoll. Er glaubte, nun die Bedeutung des Anrufs erraten zu haben, denn in der Borkumstraße 3, II. Stock, wohnte sein Kollege – Inspektor Olbrig.

»Da stimmt etwas nicht!« Voller Hast fuhr er in seine Kleider, steckte den geladenen Revolver ein und trat auf die Straße. Vor dem Hause hielt ein leerer Wagen. Muratow schwang sich hinein.

»Borkumstraße 3! Fahren Sie, so schnell Sie können!«

Der Fahrer nickte. »Ich weiß!« Dann versuchte er seinem klapperigen Wagen etliche 70 Stundenkilometer zu entlocken.

»Woher wollen Sie das wissen?« schrie Muratow, bemüht, das Rattern des Wagens zu übertönen.

»Sie haben es mir doch selbst am Fernsprecher gesagt, als Sie mich herbestellten.«

Muratow faßte sich an den Kopf.

»Ich hätte Sie ...« er brach ab, zog sein Notizbuch und schrieb sich die Nummer des Wagens auf.

Der Wagen hielt vor einem großen Hause. Die Zahl 3 leuchtete matt über dem Eingangstor. Muratow riß an der Klingel. Als sich nichts rührte, läutete er Sturm.

Endlich bewegte sich das Tor kreischend in seinen Angeln. Ein verstörtes, schlaftrunkenes Männerantlitz wurde sichtbar.

»Sie sind wohl verrückt geworden ...«

»Kriminalpolizei!« schnitt Muratow ab. »öffnen Sie! Sind Sie der Portier?«

Der andere nickte erschrocken. Dann öffnete er das Tor vollends.

»Folgen Sie mir!« befahl Muratow kurz und stürmte die Treppen empor. Atemlos keuchte der Portier hinterher.

Die Tür mit der Aufschrift »O. Olbrig« stand weit offen, aber die Zimmer lagen im Dunkel. Muratow trat ein und knipste das Licht an.

Er erblickte das, was er seit einer halben Stunde ahnte und fürchtete. Am Boden lag in einer großen Blutlache mit verzerrtem Mund und verkrampften Gliedern sein Kollege Olbrig. Muratow preßte die Lippen fest aufeinander. Der Portier stöhnte vor Angst und Grauen.

»Seien Sie doch still!« herrschte ihn der Inspektor an. Ein langanhaltendes Klingeln ließ ihn aufhorchen.

»Öffnen Sie!« ordnete er an. »Wer es auch sei – führen Sie ihn unter irgendeinem Vorwand hierher!«

Der Portier hastete davon. Muratow hatte sich in einen Stuhl sinken lassen, und seine Augen wanderten langsam im Zimmer umher. Auf den ersten Blick hatte er erkannt, daß hier jede Hilfe zu spät kam, und versuchte jetzt, sich beim Betrachten der einzelnen Gegenstände die Vorgänge der letzten Stunden zu vergegenwärtigen. Ein Tisch, für zwei Personen gedeckt, mit den Überresten einer bescheidenen Mahlzeit, rief seine besondere Aufmerksamkeit hervor. Anscheinend hatte der Mörder hier mit seinem Opfer gespeist. Demnach mußte es ein Bekannter oder eine Olbrig sonstwie nahestehende Person sein.

Lautes Stimmengewirr riß ihn aus seinen Sinnen.

»Einen Arzt hat er auch bestellt! Nein, so was ist mir doch noch nicht vorgekommen! ...«

Muratow hob betroffen den Kopf. Die Stimme kannte er doch ... Teufel noch mal! Das war doch ...

Die Tür wurde stürmisch aufgerissen, und der Detektiv sah mehrere Herren eintreten. Allen voran, mit hochrotem Kopf, sein behäbiger Vorgesetzter, Oberinspektor Halle.

»Wie finden Sie das?« rief der Eintretende mit gedämpfter Stimme. »Wenn der Anlaß unseres Erscheinens nicht so ernst wäre, möchte man lachen ... Morgen, Muratow!«

Der junge Inspektor blickte verwirrt um sich. Hinter Halle sah er Inspektor Nuber, neben der Leiche kniete bereits ein älterer Herr, allem Anschein nach ein Arzt. Außerdem waren noch einige Männer eingetreten, die jetzt schweigend mit düsteren Mienen im Raum Umschau hielten.

»Was ist denn los?« erkundigte sich Muratow ratlos.

»Wir sind alle herbestellt worden!« erklärte Halle. »Durchs Telephon! Auto vor dem Haus! Ein Oberinspektor, ein Arzt, zwei Inspektoren und die Mordkommission!«

Muratow kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. Halle deutete auf den leblosen Körper Olbrigs: »Tot?«

Der Inspektor nickte stumm.

»Entschuldigen Sie, bitte, Herr Halle«, drängte sich jetzt Nuber vor. »Wir sind hier entschieden zu viel Leute! Einer stört den anderen. Wer soll den Fall übernehmen?«

Inspektor Nuber war mittelgroß, fast klein von Wuchs, hatte ein feines, beinahe frauenhaftes Gesicht und war der einzige unter den Anwesenden, dessen Toilette makellos war. Bei seinem Anblick hätte man eher vermuten können, daß er sich mit Bedacht und Sorgfalt zu einem wichtigen Besuch zurechtgemacht, als daß er gleich allen plötzlich aus dem nächtlichen Schlaf gerissen worden war.

Halle bejahte knurrend.

»Sie haben recht, Nuber. In der Tat ...«

»Ich würde gern dabei bleiben«, unterbrach ihn Muratow. »Da ich als erster hier war ...«

»Nein, nein!« fiel ihm Halle ins Wort. »Sie nicht! Sie haben mit der Diebesbande ohnehin genug zu tun. Inspektor Nuber wird diesen Fall übernehmen.«

»Dann bitte ich die Herren Halle und Muratow, sich gefälligst ins Nebenzimmer zu begeben!« erklärte Nuber mit bedauerndem Achselzucken. »Sie trampeln hier auf meinen Spuren herum ... wie der Elefant im Porzellanladen!« Er machte vor den beiden eine steife Verbeugung und drehte sich kurz auf dem Absatz um.

»Kommen Sie! Mit Nuber ist nicht zu spaßen! Wenn der seinen Berufskoller hat ...« Halle nahm Muratow lächelnd unter den Arm und schleppte den Widerstrebenden ins Nebenzimmer.

»Olbrig war ein Freund von mir«, sagte Muratow. »Ich hätte wirklich gern den Fall übernommen.«

»Ein Freund ...« widersprach Halle lebhaft. »Dann gerade nicht! Dies könnte Sie doch nur ungünstig beeinflussen. Lassen Sie den kleinen Nuber nur machen. Der hat's in sich! Wenn der Mörder überhaupt zu erwischen ist, erwischt er ihn. Ich bin ja mit seinen Methoden nicht einverstanden. Durch ein logische Gedankenkette zum Beispiel läßt sich mehr machen ...«

»Warum ist Olbrig ermordet worden?« unterbrach ihn der junge Detektiv. Er kannte das Lieblingsthema seines Vorgesetzten zur Genüge und war nicht in der Stimmung, sich eine Abhandlung über logische Gedankenketten anzuhören. »Warum, was meinen Sie wohl?«

»Da muß man natürlich die näheren Umstände kennen.«

Muratow schüttelte den Kopf.

»Nein, das ist gar nicht nötig«, meinte er düster. »Inspektor Olbrig wurde aus Rache von den ›Unbarmherzigen Brüdern‹ getötet. Er ist der dritte, innerhalb eines einzigen Jahres ermordete Inspektor!«

»Vielleicht haben Sie recht«, versetzte Halle stirnrunzelnd. »Wir wollen aber lieber mit unseren Vermutungen warten, bis wir von Nuber Näheres erfahren.« Er griff nach einer Zeitschrift und begann zu lesen. Muratow rauchte schweigend.

Es mochte etwa eine Stunde vergangen sein, als Nuber hastig den Raum betrat. Er ging auf den Waschtisch zu und säuberte seine Hände. Dann erst kam er, mit dem Handtuch fuchtelnd, auf die Herren zu.

»Ohne Zweifel Mord!« meldete er gelassen. »Tatbefund folgender: Große offene Wunde am Hinterkopf, von einem Schlag mit einem stumpfen Gegenstand herrührend. Ofenhaken weist Blutspuren auf. Augenscheinlich wurde Olbrig mit diesem Haken von hinten erschlagen. Ein Kampf hat jedenfalls nicht stattgefunden. Laut ärztlichem Befund war er sofort tot. Olbrig hatte vordem mit seinem Mörder gespeist. Nach den vorgefundenen Zigarrenstummeln zu urteilen, müssen die beiden, wie ich vermute, nach dem Mahl noch zwei bis drei Stunden in gemütlicher Unterhaltung beieinander gesessen haben. Der Mord wurde um etwa zwei Uhr nachts verübt. Das ist die Meinung des Arztes. Demnach hat der Mörder eine halbe Stunde dazu gebraucht, seine Spuren zu verwischen. Dann tat er das, was ich nicht verstehen kann. Er suchte in Olbrigs Notizbuch die Rufnummern verschiedener Kriminalbeamter heraus und berief diese hierher. Ebenso sorgte er dafür, daß ein Arzt zur Stelle war, sowie daß jeder der Gerufenen ein Auto vor seiner Tür fand. Jedenfalls eine seltene Kühnheit! Spuren, die auf den Täter hinweisen, waren nicht zu entdecken. Keiner von den Hausbewohnern hat Lärm oder sonst ein verdächtiges Geräusch gehört. Niemand kann mit einem Fingerzeig dienen.«

»Haben Sie den Portier vernommen?« erkundigte sich Muratow mutlos.

»Nein. In diesem Hause gibt es keinen Portier.«

»Sie irren sich, Kollege! Der Portier hat mir ja das Tor geöffnet.«

»Ich irre mich nicht, Kollege!« sagte Nuber mit einem feinen Lächeln. »Es war nicht der Portier, der Ihnen öffnete. Es war der Mörder!«

2

Inhaltsverzeichnis

Betretenes Schweigen folgte dieser Mitteilung.

»Es war der Mörder!« sagte Muratow nach einer Weile beherrscht. »Ich nehme an, daß Sie dies ganz genau wissen?«

»Ganz genau!« nickte Nuber. »Vielleicht sind Sie so gut und schreiben mir gleich ein bißchen auf, wie der Verbrecher aussah. Ich verspreche mir allerdings nicht viel von einem Steckbrief, aber es ist vorläufig die einzige Spur, die wir verfolgen können. Alles andere sind Mutmaßungen.«

Muratow zog sein Notizbuch hervor und begann zu schreiben. Ohne den Kopf zu heben, fragte er beiläufig: »Ist es eine Tat der ›Unbarmherzigen‹?«

»Vermutlich«, entgegnete Nuber gleichmütig. Dann wandte er sich an seinen Vorgesetzten: »Herr Halle, ich habe vorläufig die Untersuchung abgebrochen. Die Tür ist bereits versiegelt. Wir können heim und noch ein paar Stunden schlafen.«

»Sehr richtig!« meinte Halle und erhob sich erleichtert aufatmend. Muratow reichte seinem Kollegen den engbeschriebenen Zettel und machte sich ebenfalls auf den Heimweg. Vor dem Tore trennten sich die Herren, aber während Halle und Muratow auf kürzestem Wege nach Hause eilten, schien Nuber im Gegensatz zu seinen eigenen Worten durchaus nicht an Schlaf zu denken. Er suchte verschiedene verrufene Nachtlokale und berüchtigte Kaschemmen auf, stellte hier und dort merkwürdige Fragen, die nur ungern und widerwillig beantwortet wurden, verbrachte mehrere Stunden auf den Bahnhöfen und inspizierte einige Hotels.

Es war bereits vier Uhr nachmittags, als er sich, frisch gewaschen und gekämmt, in rosigster Stimmung auf dem Kriminalamt einfand.

»Wo stecken Sie denn so lange?« empfing ihn Halle grollend. »Ich dachte erst, Sie hätten es einfach verschlafen, aber auf meinen Anruf teilte mir Ihr Diener mit, Sie wären seit zwei Uhr nachts nicht mehr zu Hause gewesen.«

»Ich habe mir einige Nachtlokale angesehen«, antwortete Nuber sachlich.

»Nachtlokale angesehen?! Sie glauben wohl, daß ein Mörder nichts Eiligeres zu tun hat, als in ein Nachtlokal zu gehen?« stichelte Halle.

»Das nicht«, widersprach Nuber und lächelte still vor sich hin. »Aber der Ermordete – Inspektor Olbrig verkehrte häufig in derartigen Kaschemmen.«

Halle zwinkerte ungläubig mit den kurzsichtigen Augen.

»Inspektor Olbrig? Undenkbar!«

»Es ist so!« sagte Nuber mit einem gleichmütigen Kopfnicken und beugte sich über die eingelaufenen Briefe.

Nach einer Weile erhob sich Halle schwerfällig von seinem Sitz.

»Passen Sie mal auf, Nuber, ich möchte Sie heute gleich mit Herrn von Gorny bekannt machen. Sie erinnern sich doch ...«

»Ach, Sie meinen den Agenten der englischen Regierung?«

»Ja. Er kommt heute um fünf Uhr hier an, und ich habe ihn in meine Wohnung bestellt. Am besten, Sie kommen gleich mit. Sind Sie fertig?«

Nuber nickte zustimmend.

»Gut, ich gehe gleich mit.« Er sperrte einige Briefe in seinen Schreibtisch, steckte den Schlüssel in die Tasche und trat gemeinsam mit Halle auf die Straße. –

»Ein Herr ist vor einigen Minuten hier gewesen«, meldete die Haushälterin Halles, als die beiden in dessen Wohnung anlangten. »Er kommt in einer halben Stunde wieder.«

»Schon recht, danke«, sagte der Oberinspektor und warf einen prüfenden Blick auf die Karte des Besuchers. »Er ist es!« wandte er sich sogleich lebhaft an seinen Begleiter. »Bitte, treten Sie näher!«

Die Herren machten es sich im eleganten Arbeitszimmer des Oberinspektors bequem.

»Nun werden wir diesen Herrn von Gorny gleich kennenlernen«, sagte Halle bedächtig. »Ich bin wirklich gespannt. In England soll er ganz Hervorragendes geleistet haben. Seine Arbeitsmethoden sind allerdings sehr gefährlicher Art ...«

»Nicht nur gefährlich«, unterbrach ihn Nuber mit leiser Stimme. »Sie sind auch sehr unschön.«

»Unschön?« Halle zuckte die Achseln. »Was heißt ›unschön‹? Es hat zu jeder Zeit und vor allem in jedem Kriege Spione gegeben. Warum wollen wir Verbrechern gegenüber rücksichtsvoller sein, als wir es im Kriege ehrlichen Menschen gegenüber zu sein pflegen? Nein, ich schätze diesen von Gorny! Das muß ich schon sagen! Wissen Sie ... Halt! Was sehe ich da?!«

Halle stand schnell auf und trat an die Tür.

»Ein Schirm? Aha! Von Gorny hat hier seinen Schirm stehen gelassen!« Er hob den Schirm auf und hielt ihn nahe an seine Augen. »Dieser zurückgelassene Schirm kann uns allerhand Aufschlüsse über Charakter und Äußeres von Gornys geben ...«

»Streng nach Conan Doyle«, meinte Nuber mit leisem Spott.

»Jawohl, streng nach Conan Doyle!« rief Halle hitzig. »Jeder hat eben seine besonderen Arbeitsmethoden. Und die meine ist sicherlich nicht der schlechtesten eine. Nur der Erfolg entscheidet! Finden Sie nicht auch?«

Nuber schwieg hartnäckig.

»Stellen Sie sich doch mal vor«, ereiferte sich Halle, »von Gorny hätte hier ein Verbrechen begangen und dabei seinen Schirm liegen gelassen. Das wäre ...«

»Ein Verbrecher, der Ohrfeigen verdient!« warf Nuber gelassen ein.

»Ach«, rief Halle ärgerlich, »ich führe dies doch nur als Beispiel an. Was würden Sie in einem solchen Falle tun? Selbstverständlich zunächst die Marke des Schirmes feststellen und dann bei dem betreffenden Schirmgeschäft vergeblich eine Beschreibung des längst vergessenen Käufers zu erlangen suchen. Ich aber würde, ohne mich viel um die Schirmmarke zu kümmern, auf Grund kleiner, winziger Anzeichen sofort einen Steckbrief hinter dem Täter loslassen. Passen Sie auf! Ich habe von Gorny nie gesehen, aber ich weiß schon jetzt genau, wie er aussieht!«

»Haben Sie ein Lichtbild von ihm?« erkundigte sich Nuber, ohne eine Miene zu verziehen.

Halle strafte ihn mit einem verächtlichen Lächeln.

»Der Schirm hier ist sein Lichtbild!« erklärte er nachdrücklich. »Der Mann hat langes, wallendes, blondes Haar, ist klein von Wuchs ... Das ist klar! Sein Körper ist klotzig, unförmig, man möchte fast meinen, daß unser Mann leidend ist. Sein Charakter ist nicht gerade angenehm. Er ist nachlässig, geradezu schlampig. Außerdem ein ganz sparsamer, wir können ruhig behaupten – knickeriger Mensch. Seine Kleidung entspricht gerade noch den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft. So, genügt Ihnen das zunächst? Bei näherer Untersuchung könnte man natürlich ...«

»Danke, danke! Es genügt vollkommen! Ich möchte nur wissen, woher Sie diese Kenntnisse haben?«

»Sehen Sie!« meinte Halle erfreut. »Das sind eben die logischen Schlüsse! Ich finde zum Beispiel ein langes blondes Haar am Schirm. Das ist einfach. Der Schluß ist zwingend! Ich finde ein Zigarrendeckblatt. Was sagt mir dies? Daß unser Mann raucht? Gewiß. Es sagt aber noch viel mehr! Ich selbst bin Zigarrenraucher. Erkenne an dem Deckblatt die billige Qualität der Zigarre. Ein weiterer Schluß – der Mann ist knickerig!«

»Oder arm!« meinte Nuber.

»Habe ich auch erwogen. Aber der Schirm selbst ist teuer gewesen ... Den Wuchs unseres Mannes festzustellen, ist sehr einfach. Ich stemme mich auf den Schirm. Er paßt ausgezeichnet zu meinem Wuchs. Ich bin klein, folglich ist von Gorny auch klein. Der Schirm weist eine Krümmung auf. Folglich ist sein Besitzer schwer oder leidend, denn er hat die Gepflogenheit, sich auf den Schirm zu stützen. Zwei Fettflecken endlich beweisen, daß von Gorny nachlässig und schlampig ist.«

»Gestatten, von Gorny!« sagte plötzlich eine angenehm klingende Stimme hinter ihnen. »Die Herren scheinen mein Klopfen überhört zu haben.«

Halle wandte sich rasch um. Sprachlos starrte er die Erscheinung des Ankömmlings an.

Vor ihm stand im elegant sitzenden Sakkoanzug ein etwa dreißigjähriger junger Mann. Sein Äußeres entsprach nicht im entferntesten den Vermutungen Halles. Sein kurzes, schwarzes, glattgescheiteltes Haar, seine energischen Gesichtszüge, sein schlanker, sehniger Körperbau und nicht zuletzt die geschmackvolle moderne Kleidung standen in krassem Widerspruch zu Halles Prophezeiungen.

Nuber schien dieser Umstand viel Vergnügen zu bereiten. Angelegentlich besah er seine Fingerspitzen, und um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig.

Halle schluckte seinen Ärger mühsam hinunter.

»Ah, da sind Sie ja schon, Herr von Gorny!« rief er lärmend, bemüht, seine Enttäuschung zu verbergen. Er machte die Herren miteinander bekannt und forderte den Besucher mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Die Unterhaltung drehte sich anfangs um die Reise des Engländers und andere belanglose Fragen. Von Gorny plauderte harmlos und unbefangen, immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen, und hatte sich schon nach einer knappen Viertelstunde das Wohlwollen Halles gesichert.

»Wir werden uns schon verstehen«, meinte der Oberinspektor heiter. »Hoffentlich können wir gut zusammenarbeiten.«

»Das ist mein innigster Wunsch«, äußerte von Gorny höflich.

»Hier, unser Herr Nuber«, fuhr Halle lebhaft fort, »ist auserkoren, mit Ihnen gemeinsam zu wirken. Es würde mich freuen, wenn Sie hier dieselben Ergebnisse wie in London erzielen, Herr von Gorny!«

»Warum nicht? Ich hoffe es zuversichtlich. In London haben wir unter den ›Unbarmherzigen‹ ziemlich aufgeräumt. Nur die aus Berlin ständig nachrückenden Verstärkungen hinderten uns, ein Ende mit dem Gesindel zu machen. Nun wollen wir gemeinsam den Herd dieser Bande, der sich zweifellos in Berlin befindet, ausfindig machen.«

»Entschuldigen Sie, bitte«, mischte sich jetzt Nuber in das Gespräch. »Ich sehe da nicht ganz klar. Meines Erachtens werden die Unbarmherzigen Sie jetzt für einen Verräter halten und Sie bei der ersten Gelegenheit kaltmachen.«

Von Gorny lachte unbekümmert.

»Nein, Herr Kollege! Die Unbarmherzigen wissen es und sind mit meinem Erscheinen in Berlin sehr einverstanden. Sie glauben nämlich, daß ich beim Londoner Kriminalamt kompromittiert bin und dort kaum noch etwas nützen kann. Ich soll meine angeblich fingierte Tätigkeit als Agent des Kriminalamtes nun hier ausüben, wo man mir, wie die Brüder hoffen, mehr Vertrauen entgegenbringen wird als in London.«

»Ich verstehe«, sagte Nuber langsam. »Ja, jetzt verstehe ich ...« Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, was seinem Gesicht einen strengen, finsteren Ausdruck verlieh.

»Was ist mit Ihnen heute nur los!« brauste Halle auf, dem das Benehmen seines Untergebenen taktlos erschien.

»Ich habe eben eine logische Gedankenkette, streng nach Conan Doyle, geschmiedet«, meinte Nuber kühl. »Ich glaube, sie hat keinen Fehler.«

Halle lachte gezwungen.

»Na, ja ...« sagte er verlegen, ohne auf Nubers Worte einzugehen und erhob sich schwerfällig. »Bitte, Herr von Gorny, seien Sie morgen um acht Uhr im Amt. Sie können dann gleich mit Ihrer gefährlichen Arbeit beginnen. Heute werden Sie gewiß noch Privates zu erledigen haben. Ich will Sie jedenfalls nicht länger aufhalten.«

»Sehr liebenswürdig, danke! Aber in der Tat – ich habe heute noch zu tun.« Von Gorny verabschiedete sich durch zwei gemessene Verbeugungen und schritt zur Tür.

»Ihr Schirm, Herr von Gorny! Vergessen Sie Ihren Schirm nicht!« rief ihm Halle nach.

Der andere wandte sich an der Tür um.

»Meinen Schirm?« meinte er verwundert. »Aber ich habe doch noch nie einen Schirm besessen!«

»So, so ...« war alles, was Halle zunächst antworten konnte. Von Gorny schloß kopfschüttelnd die Tür.

Nuber räusperte sich vernehmlich.

»Pech, nicht wahr?« meinte er.

»Wie kommt der Schirm hierher? Wem gehört er?« fuhr Halle die inzwischen herbeigeklingelte Haushälterin heftig an.

Die Haushälterin griff nach dem Streitobjekt, schob es mit einem energischen Ruck unter den Arm und wandte sich zum Gehen.

»Was weiß ich, wie der hierherkommt?« rief sie ärgerlich. »Und wem er gehört? Wem wird er schon gehören! Ihnen, natürlich!«

Die Tür fiel krachend ins Schloß. Halle stand da, wie zur Bildsäule erstarrt. Nuber aber lächelte boshaft.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich Halle wieder gefaßt hatte.

»Ein Denkfehler«, brummte er, »sonst nichts! Natürlich – ein Glied der Kette war falsch ...«

»Das erste – glaube ich!«

»Nun ja – das erste«, gab Halle widerwillig zu. »Wenn jemand gerade einen Raum verlassen hat, und man findet dort gleich darauf einen Schirm, so muß er nicht unbedingt diesem ›Jemand‹ gehören. Das stimmt. Aber, Herr Nuber, Sie werden selbst zugeben müssen, daß ich im allgemeinen recht habe. Meine logischen Gedankenketten werden noch so manchem Verbrecher zum Verhängnis werden. Verlassen Sie sich darauf!«

Nuber schien nicht ganz überzeugt zu sein.

3

Inhaltsverzeichnis

Mit einem jähen Ruck warf sich Luise herum. Sie hörte deutlich die Umdrehung des Schlüssels, dann das Zurückschnappen des Sicherheitsschlosses.

»Allmächtiger! Mein Mann!« stammelte sie mit bleichen Lippen.

Ihr Gegenüber, ein schmächtiger, engbrüstiger Mann, der in seinem Äußeren nicht im entferntesten zu der eleganten Fabrikantengattin zu passen schien, sprang erschrocken auf.

»Wohin?« rief er ängstlich, und seine Blicke irrten hilflos umher. Schon hörte man im Vorzimmer dröhnende Schritte.

Luise Isheim stieß ihren Gast hastig durch eine Seitentür und flüsterte heiser vor Erregung:

»Durchs Fenster! Es ist nicht hoch!« Sie schloß die Tür und wandte sich tief aufatmend dem bereits eintretenden Gatten zu. »Schon zurück?« rief sie ihm heiter entgegen, bemüht, ihrer Verwirrung Herr zu werden.

Isheim, ein starker, breitschulteriger, blonder Hüne, lachte über das ganze Gesicht.

»Lu!« rief er mit strahlenden Augen und trat rasch auf sie zu. Wie einen Federball hob er sie mit seinen kräftigen Armen empor und küßte sie auf Stirn und Mund.

»Was ist dir?« fragte er plötzlich besorgt. »Du zitterst ja! Lu! Du wirst mir doch nicht krank werden?«

Lu hatte sich aus seiner Umarmung befreit und stand ratlos, mühsam nach Worten suchend, neben ihm.

»Nein ... Ich ... Ach, du kommst so unerwartet ... die Freude ...«

»Na, wenn's weiter nichts ist!« unterbrach sie der Gatte belustigt. »Aber ... Ich hab' auch was Schönes für mein Frauchen mitgebracht. Wollen mal gleich auspacken!«

Er holte aus dem Vorzimmer einen mächtigen Reisekoffer und schritt auf die kleine Tür zu, hinter der kurz zuvor ein anderer Mann verschwunden war.

Mit einem halberstickten Schrei warf sich ihm Lu um den Hals.

»Nicht jetzt!« bettelte sie. »Ach, bitte, nicht jetzt!«

»Aber warum denn nicht?« Aus seiner Stimme klang Befremden.

»Bitte, bitte nicht jetzt! Ich will mir die Freude für später aufheben!«

»Na denn nicht«, meinte er enttäuscht und stellte den Koffer an die Wand.

»Nicht bös sein«, schmeichelte sie und zog ihn zum Sofa. »Siehst du, jetzt habe ich doch Freude genug, weil du so unerwartet schnell zurückgekommen bist! Und später – da will ich mich noch einmal freuen, wenn ich sehe, daß mein Waldemar auch in Paris an mich gedacht hat.«

Isheim war schon wieder besänftigt.

»Natürlich habe ich an dich gedacht, kleine Maus! Ich war ja so froh, daß die Verhandlungen um volle zwei Tage früher zum Abschluß führten ... Aber sag' mal, Lu, wo ist denn eigentlich die ganze Dienerschaft?«

Lu überlief es heiß.

»Ich habe ihnen allen Urlaub gegeben«, sagte sie stockend und lächelte ihn schüchtern an.

»Allen, Lu?« fragte er verwundert und blickte sie prüfend von der Seite an. »Wie unvernünftig!«

Sie senkte schuldbewußt den Kopf.

»Das ist wirklich ärgerlich«, fuhr er stirnrunzelnd fort. »Ich habe noch Hunger, und nun müssen wir auswärts essen. Du weißt, wie ungern ich das tue.«

Lu war plötzlich aufgesprungen.

»Das ist fein!« rief sie stürmisch und klatschte begeistert in die Hände. »Komm, komm schnell! Schade um jede Minute! Oh, wie ich mich freue!« Übermütig lachend schleppte sie Hut und Pelz herbei und half dem widerstrebenden Gatten beim Anziehen.

»Aus dir soll jemand klug werden«, sagte er kopfschüttelnd, aber seine Augen zwinkerten vergnügt. Arm in Arm schritten sie die Treppenstufen hinab. Plötzlich schien Lu etwas einzufallen.

»Wart' hier einen Augenblick«, bat sie hastig, »ich habe etwas vergessen.«

Eilig lief sie durch das Zimmer und riß behend die kleine Seitentür auf. Entsetzt prallte sie zurück. Vor ihr stand bleich und verstört ihr Besucher.

»Sie ... noch hier ...?« stammelte sie, nach Fassung ringend.

»Natürlich bin ich noch hier«, erwiderte der andere bissig. »Es ist eine unerhörte Zumutung von Ihnen, wenn Sie verlangen, daß ich aus einem Fenster des ersten Stockes türme ...«

Lu nestelte an ihrer Handtasche.

»Hier«, sagte sie fiebernd, »nehmen Sie den Schlüssel! Aber warten Sie einige Minuten, bis mein Mann und ich weg sind. Leben Sie wohl!«

»Halt! Nicht so eilig!«

»Mein Mann wartet ...«

»Der kann ruhig warten. Ich muß Ihnen etwas sagen.«

»Lu, wo bleibst du denn so lange?« erscholl die ungeduldige Stimme Isheims vom Treppengang.

Der Fremde raunte ihr zu: »Gefahr! Sehen Sie zu, daß Sie rechtzeitig über die Grenze kommen!«

»Unsinn!« entgegnete Lu kühl. »Mir droht keine Gefahr.«

»Es droht Gefahr!« wiederholte der andere bestimmt. »Handeln Sie unverzüglich!«

»Ich denke nicht daran! Mein Mann wird nie einwilligen ...«

»Zum Donnerwetter!« zischte der Fremde wütend. »Verstehen Sie doch endlich! Wir – Sie und eine Menge anderer Leute sind verraten worden. Ihr Name ist der Polizei bekannt. Das ist es!«

Lu erwiderte kein Wort. Schweigend drehte sie dem Besucher den Rücken und lief mit Windeseile die Treppenstufen hinab. Aber als sie neben ihrem Mann, bequem in den Polstern des Wagens ruhend, durch die belebten Straßen des nächtlichen Berlin fuhr, zuckte es verräterisch um ihre Mundwinkel, und ihr Gesicht war leichenblaß.

4

Inhaltsverzeichnis

Es war um die Mittagszeit des nächsten Tages, als von Gorny langsam aus dem vornehmen Hotel »Reichsadler« auf die Straße trat und seine Blicke spähend über die Reihen der haltenden Wagen gleiten ließ. Auf einen von diesen, einen eleganten Chrysler, ging er zu, öffnete den Schlag und begrüßte leutselig den in beschaulicher Ruhe, eine Havanna zwischen den Zähnen, in der Ecke lehnenden Besitzer des Wagens.

»Bitte entschuldigen Sie, Herr Isheim«, fügte er hinzu, »wenn ich Sie einen Augenblick habe warten lassen. Aber ...«

Isheim, in Berlin als einer der wohlhabendsten und einflußreichsten Papierfabrikanten bekannt, schüttelte den Kopf und winkte begütigend ab.

»Lassen Sie doch ... Es war wirklich nur ein Augenblick. Bitte, steigen Sie ein!«

Von Gorny machte es sich in den Polstern bequem, und der Wagen setzte sich in Bewegung.

»Haben Sie über meinen Vorschlag nachgedacht, Herr Isheim?« meinte von Gorny nach kurzem Schweigen.

»Es handelte sich dabei nicht ums Nachdenken«, sagte der Fabrikant sinnend und zog an seiner Zigarre. »Das Geschäft, das Sie mir antragen, ist nicht derart, daß man es mit einem vollkommen Fremden abschließen kann. Ich mußte Erkundigungen, sogar sehr genaue und eingehende Erkundigungen einziehen – über Sie, Herr von Gorny!«

Die letzten Worte hatte Isheim eigenartig betont und sah dabei unverwandt, mit einem seltsamen Leuchten in den grauen Augen, von Gorny ins Gesicht.

Dieser schien unangenehm berührt.

»Erkundigungen über mich?« fragte er langsam, und seine Stimme klang etwas hochmütig. »Nun, Sie dürften kaum etwas Ungünstiges erfahren haben.«

Isheim wurde der Notwendigkeit einer Antwort enthoben, denn in der nächsten Sekunde geschah etwas Unerwartetes. Die rechte Türscheibe des Wagens sprang klirrend entzwei. Der Fahrer bremste scharf. Der Wagen hielt. Von der Straße waren laute Rufe hörbar. Man sah aufgeregte, erschrockene Gesichter. Ein Polizist öffnete den Wagenschlag.

»Ist den Herren etwas geschehen?«

»Ja was denn nur? Was ist denn eigentlich los?« erkundigte sich der Fabrikant.

»Ein zerlumpter Kerl hat nach Ihnen geschossen. Zwei Schutzleute sind ihm auf den Fersen. Hoffentlich erwischen sie ihn. Ist von den Herren keiner verwundet?«

»Nein. Hm ...« von Gorny nahm vorsichtig den Hut von Isheims Kopf herunter. Der Hut wies zwei kleine Löcher auf.

»Hierher ging die Kugel, Herr Isheim«, meinte er ernst. »Haben Sie Feinde?«

»Nicht, daß ich wüßte. Ich verstehe gar nicht ...«

»Der Wagen kann jetzt weiterfahren!« erklärte der Polizist und steckte sein Notizbuch ein.

»Wirklich, ich verstehe nicht ...« murmelte Isheim verstört. »Was mag das nur bedeuten?«

Von Gorny zuckte die Achseln.

»Wenn Sie keine Feinde haben ...« begann er. »Nun, der Anschlag galt dann jedenfalls mir.«

»Haben denn Sie Feinde?« fragte jetzt Isheim besorgt.

»Ich? Feinde?« Von Gorny lachte laut auf. »Mehr als genug! Das bringt eben mein Beruf so mit sich! Voraussichtlich war dies ein Willkommensgruß der Unbarmherzigen Brüder.«

»Mein Gott!« stammelte der Fabrikant entsetzt. »Die Unbarmherzigen sind Ihre Feinde ...«

»Eigentlich nicht«, widersprach der andere heiter. »Es sind eher Freunde von mir. Gott schütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich selber fertig! Kennen Sie dies schöne Wort? Aber halt! Was rede ich da! Sie müssen sich gleich eine neue Kopfbedeckung besorgen. Was würde wohl die Frau Gemahlin beim Anblick der reizenden Löcherchen sagen? Ohnmacht, Weinkrampf ...«

»Sie haben recht«, gab Isheim kleinlaut zu. »Lu würde sehr erschrocken sein. Das muß verhindert werden.« Er rief dem Fahrer zu, beim nächsten Hutgeschäft zu halten, und wenige Minuten darauf fuhr der Wagen bei einem Laden vor. Schweigend stiegen die Herren aus.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte von Gorny unvermittelt. »Ich werde lieber hier auf Sie warten.«

»Bitte sehr!« Der Fabrikant schien befremdet. Ohne ein weiteres Wort trat er in das Hutgeschäft.

Von Gorny folgte ihm mit seinen Blicken. Kaum hatte sich die Tür hinter Isheim geschlossen, gab er einem Zeitungsverkäufer einen Wink und nahm ihm das Berliner Tageblatt ab. Scheinbar ins Lesen vertieft, warf er harmlos hin:

»Wieder nichts Neues am Kongo?«

Der Zeitungsverkäufer machte eine heftige Bewegung. In seinen Augen blitzte es auf, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann sahen sie wieder leer und stumpf ins Weite. Er öffnete seine Tasche und begann umständlich das Geld zu zählen. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er leise erwiderte:

»Doch! Unbarmherziges Ausrotten der Aufständischen!« Von Gorny nickte.

»Was bedeutete die Schießerei auf der Oranienburger Straße?« erkundigte er sich laut.

»Keine Ahnung!« sagte jener ebenso und fügte kaum hörbar hinzu: »Beseitigung eines gefährlichen Horchers von der Londoner Greiferei!«

Nur das Heben der Augenbrauen war ein Zeichen, daß von Gorny die im leisen Flüsterton gesprochenen Worte verstanden hatte.

»Auf Befehl von ...?«

»Gabriel!« raunte der Verkäufer.

Gleich darauf war er im Menschengewühl verschwunden, und aus den erst lauten, dann immer leiser werdenden Anpreisungen seiner Zeitungen merkte von Gorny, daß jener sich in höchster Eile entfernte.

»Gabriel«, murmelte der Zurückgebliebene nachdenklich. »Gabriel ...«

»Bitte, steigen Sie ein!« sagte im selben Augenblick der aus dem Laden tretende Fabrikant.

Von Gorny fuhr aus seinem Sinnen auf.

»Ah! Schon fertig? Wunderbarer Kopfputz! Sie haben ...« Sekundenlang stockte er. Dann ergänzte er hastig: »Sie haben Geschmack! Das muß ich schon sagen.«

Isheim lächelte.

»Ich achte wenig auf mein Äußeres. Habe keine Zeit dazu. Aber bitte, steigen Sie doch ein!«

Von Gorny, einen Fuß bereits auf dem Trittbrett, schien seinen Entschluß plötzlich zu ändern.

»Auf die Gefahr hin, unhöflich zu erscheinen«, sagte er liebenswürdig, mit einem schuldbewußten Lächeln auf den Lippen, »bitte ich Sie, mich vorläufig zu entschuldigen. Eine Börsennotiz im Tageblatt erfordert mein sofortiges Eingreifen.«