Warum das Gehirn Geschichten liebt - Werner T. Fuchs - E-Book

Warum das Gehirn Geschichten liebt E-Book

Werner T. Fuchs

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Beschreibung

Marketing ist keine Wissenschaft, sondern die Kunst, für jede Zielgruppe eine passende Geschichte zu finden, um das gewünschte Verhalten auszulösen. Der Experte Werner T. Fuchs zeigt aus neurowissenschaftlicher Sicht, was eine gute Geschichte ausmacht. Sie erfahren, wofür sich Storytelling eignet und wie Sie zielgruppenadäquate Geschichten entwickeln können. Denn: Nur eine richtig gute Story wird gemeinsam mit der Werbebotschaft im Gehirn der Zielgruppe gespeichert, erinnert und weitererzählt.   Inhalte: - Der Wegweiser zur wirkungsvollen Geschichte für jede Zielgruppe - Wie man mit Storytelling die Emotionen der Kund:innen anspricht - Sieben Kontrollfragen für gute Geschichten - Fünf Schritte zum guten Geschichtenerzähler bzw. zur guten GeschichtenerzählerinNeu in der 5. Auflage: - Storytelling und KI - Das Phänomen der psychologischen DistanzDie digitale und kostenfreie Ergänzung zu Ihrem Buch auf myBook+: - Zugriff auf ergänzende Materialien und Inhalte - E-Book direkt online lesen im Browser - Persönliche Fachbibliothek mit Ihren BüchernJetzt nutzen auf mybookplus.de.  

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Inhaltsverzeichnis

InhaltsverzeichnisHinweis zum UrheberrechtmyBook+ImpressumVorwortTeil I: Warum erfolgreiches Marketing eine gute Geschichte braucht1 Der Vorspann – Warum Geschichtenaus neurowissenschaftlicher Sichtso wichtig sind1.1 Ein Neapolitaner in London – Warum Sie Storytelling bereits kennen1.2 Ein Planer im Wirrwarr – Warum es oft anders kommt, als man denkt1.3 Ein Film beim Psychiater – Warum das Gehirn Informationen als Geschichten speichert1.4 Sabine und Hänsel – Warum jeder eine andere Geschichte braucht2 Das Abenteuer beginnt – Was Sie bei einer guten Geschichte beachten sollten2.1 Ein Fisch namens Nemo – Warum einfache Geschichten besser ankommen2.2 Ein Held und seine Helfer – Warum wir bei Geschichten einem festen Schema folgen2.3 Mit dem Käfer über die Alpen – Wie Sie für jede Zielgruppe den passenden Hintergrund der Geschichte finden2.4 Ein Auftakt nach Maß – Wie Sie Storytelling mit traditionellen Methoden verknüpfen könnenund wo die Grenzen liegen3 Das Set zusammenstellen –Was Sie für eine gute Geschichte brauchen3.1 Ein Österreicher in China – Warum es einen guten Übersetzer für die Kommunikation braucht3.2 Ein Prinz im Weltraum – Warum Kenntnisse großer Erzählsammlungen wichtig sind3.3 Ein Pilot im Dschungel – Warum Checklisten nur bedingt nützen4 Die Feinde und Freunde –Wo Sie Storytelling einsetzen können4.1 Ein Hans im Glück – Warum wir auf Zufall bauen sollten4.2 Ein Mann für alle Fälle – Warum Storytellingso anwenderfreundlich ist4.3 Ein Regisseur in Aktion – Warum Gemeinschaftswerke langweilig sind5 Der Abspann – Was beim Storytelling wichtig ist und was Sie vermeiden sollten5.1 Orte für Aufführungen – Wo Geschichten ihren Ursprung haben5.2 Ein Beispiel für viele – Warum eine Mustervorlage genügt5.3 Das Phänomen der psychologischen DistanzTeil II: Welche Navigationsinstrumente zu Ihrer Zielgruppe und zu passenden Geschichten führen6 Das Urthema für Ihre Geschichte finden7 Was prägte die Zielgruppe am meisten?8 Einsatzorte für das Storytelling8.1 Social Media – Bühne für den Austausch von Geschichten8.2 Verkauf – Beziehungsarbeit mit Geschichten8.3 Lehren und Lernen – Fakten durch Atmosphäre ersetzen8.4 Wissenschaft – ein neuer Tummelplatz für Storytelling8.5 Visual Storytelling – Drehbücher für Bilder8.6 Nachrichten – Kulissen und Titel8.7 Leitbilder – Geschichten für Verhaltensmuster9 Digitales Erzählen9.1 Neuer Begriff, alte Weisheit9.2 Interaktiv jetzt und früher9.3 Videospiele als Lehrmeister9.4 Nichtlineare Geschichten9.5 Neue Medien und Helfer9.6 Storytelling und KIAnhang: Gesunder Menschenverstand,Checklisten und Grafiken Der Story-Check – ein Instrument zur Analyse und Kontrolle des StorytellingCheckliste für Geschichtenerzähler, Drehbuchschreiber und RegisseureVier bildhafte ErinnerungshilfenFünf Schritte zum guten GeschichtenerzählerSitzen bleiben!LiteraturverzeichnisÜber den AutorIhre Online-Inhalte zum Buch: Exklusiv für Buchkäuferinnen und Buchkäufer!Stichwortverzeichnis

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Werner T. Fuchs

Warum das Gehirn Geschichten liebt

5. aktualisierte und erweiterte Auflage, Dezember 2023

© 2023 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg

www.haufe.de

[email protected]

Bildnachweis (Cover): © iStock, MixMedia

Produktmanagement: Kerstin Erlich

Lektorat: Peter Böke

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.

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Für Vittorio, Olivia, Isabel und Désirée

Vorwort

Mitten im beschaulichen Seebach, einem Vorort der Schweizer Wirtschaftsmetropole Zürich, ging plötzlich ein Riss durch die Erde. Der asphaltierte Bürgersteig öffnete sich und das Dunkel verschluckte den Mann, der noch vor Kurzem auf einem Baugerüst stand und bereits das Wochenende plante. Hätte er nicht nach der Maurerkelle gegriffen und beim Verlieren des Gleichgewichts »Gopferdammi!« gerufen, wäre alles anders gewesen. Aber den Wunsch »Gott verdamm mich!« äußert niemand ungestraft.

Zugegeben, was uns der Religionslehrer vor einigen Jahrzehnten erzählte, beeindruckt kleine Kinder heute nicht mehr. Sogar im tiefsten Sizilien muss man sich heute eine neue Geschichte einfallen lassen, um die Information zu vermitteln, Gotteslästerung werde bestraft. Doch Faktum war, dass wir Knirpse damals mehrere Tage auf das Fluchen verzichteten. Erst als uns die Reformierten und wenigen Ungetauften als Mädchen bezeichneten und selbst nach den deftigsten Schimpfwörtern nicht im Boden versanken, ließ die Wirkung nach.

VerhaltensmusterFalls Ihnen nun ebenfalls Geschichten in den Sinn kommen, die Ihr Verhalten in die eine oder andere Richtung beeinflussen sollten, sind wir schon mitten im Thema. Denn Marketing wird in diesem Buch als die Kunst, menschliche Verhaltensmuster zu beeinflussen, definiert. Wenn Ihnen nun der Duft der Manipulation in die Nase steigt, ist das durchaus normal. Sollte dies jedoch zu Magenschmerzen führen, denken Sie am besten an den Unterschied zwischen Hammer und Nagel. Denn Marketing ist nämlich der Hammer. Und was Sie damit einschlagen, überlässt er Ihnen.

ElternGlaubten Ihre Eltern nur bedingt an die Wirksamkeit der Schwarzen Pädagogik, erzählten Sie Ihnen vielleicht die Geschichte vom »Schäfchen zählen«, wenn Sie als Kind nicht einschlafen konnten. Offensichtlich muss der Hammer nicht aus Metall sein, sondern kann auch als rosarotes, quietschendes Plastikspielzeug seinen Zweck erfüllen. Wichtig ist nur, dass er zur Beschaffenheit und Länge des Nagels ebenso gut passt wie zum Untergrund.

Wenn Sie dann endlich die Grenze zum Land der Träume überschreiten durften, ist das allerdings kaum den Schäfchen zuzuschreiben, denn monotones Zählen hält eher wach, wie ein britisches Forschungsteam der Universität Oxford in einschläfernden Versuchen feststellte. Solange unser Gehirn dauernd an Verpflichtungen denken muss, lässt es uns keine Ruhe. Vor allem erwachsene Menschen sollten sich bei Einschlafschwierigkeiten lieber auf etwas Kompliziertes konzentrieren statt Schäfchen zu zählen. Müssen Sie zum Beispiel überlegen, was der genaue Unterschied zwischen Dolly und nicht geklonten Schafen ist, bleibt für lästige Gedanken an den vergangenen Tag kein Platz. Von Schafen wird im Folgenden nicht mehr die Rede sein, aber vom Gehirn umso mehr.

HirnforschungNachdem der amerikanische Kongress 1989 die Neunzigerjahre als Jahrzehnt des Gehirns ausgerufen hatte, erhielt die Hirnforschung allein in den USA zusätzliche Zuwendungen von sechs Milliarden Dollar. Länder, in denen man den Anschluss nicht verlieren wollte, zogen nach. Außer den großen Investitionen sorgten aber vor allem neue Hightechgeräte dafür, dass unser Wissen über das Gehirn in den letzten Jahren in einem unerwarteten Ausmaß zunahm. Die breite Bevölkerung blieb von dieser Aufbruchsstimmung allerdings lange Zeit unberührt. Doch seit die Massenmedien das Thema aufgenommen haben und populärwissenschaftliche Zeitschriften wie »Gehirn&Geist« komplizierte Zusammenhänge veranschaulichen, sind wir im Jahrhundert des Gehirns angelangt. Und die Nachricht, dass das Human Brain Project der Eidgenössischen Technische Hochschule von Lausanne von der EU mit einer Milliarde Euro unterstützt wird, wurde von den Schweizer Medien frenetisch gefeiert. Eine gigantische Computerplattform soll das menschliche Gehirn nun entschlüsseln.

Wäre am frühen Morgen des 18. Januar 1988 meine Tochter nicht mit einer schweren Hirnschädigung zur Welt gekommen, hätten mich die Erkenntnisse der Neurologen ebenso wenig interessiert wie das muntere Treiben der Schönen, Reichen und Adligen. Wozu wäre das nützlich gewesen? Ich war weder Mediziner noch Pharmakologe oder Psychiater, und die Neurowissenschaftler überlegen sich auf ihrem Arbeitsweg nicht, wie sie Marketingexperten den Job erleichtern können.

Das ist heute nicht anders, selbst wenn einige Institute ihre teuren Geräte besser amortisieren, indem sie manchmal eine Studie für externe Interessenten durchführen. Als ich mich vor über dreißig Jahren in neurowissenschaftliche Studien stürzte, mein Englisch auffrischte und Experten aus aller Welt per E-Mail, Brief oder Telefon kontaktierte, geschah das aus akademischer Verzweiflung und in der Hoffnung, Lösungen für das geschädigte Gehirn meiner Tochter zu finden.

Aber wenn eine Laune des Schicksals es will, dass sich ein Großhirn während der Schwangerschaft kaum ausbildet, nützt neurologisches Wissen wenig bis nichts. Trotzdem gehörten die fünfzehn Jahre, in denen Olivia mein Leben bestimmte, zu den wertvollsten, intensivsten und lehrreichsten. Sie veränderten sowohl mein Menschenbild als auch meine Auffassung, was die wesentlichen Aufgaben in meinem Beruf als Werber und Marketer sind.

Zu den Überlegungen, die mich beim Schreiben dieses Buches begleiteten, gehört die Frage, in welcher Dosierung mein neurowissenschaftliches Fachwissen einfließen soll. Erwartet der Leser, dass ich ihm einen detaillierten Einblick ins menschliche Gehirn biete? Möchte er, dass Hirnforscher jede meiner Thesen wissenschaftlich bestätigen? Oder genügen ihm gelegentliche Hinweise auf die wissenschaftliche Einbettung des Gesagten? Der Leser wird schließlich darüber befinden, ob ich mit der gewählten Dosierung richtigliege. Und wer ein Buch über Storytelling verfasst, muss letztlich ohnehin davon überzeugt sein, dass er den Nagel nur einschlagen kann, wenn er mehr auf Geschichten als auf Begriffe, Fakten und Zahlen setzt.

Vieles, was auf den ersten Blick neu und ungewohnt erscheinen mag, erweist sich bei genauerer Betrachtung als uralt. Diese Merkwürdigkeit ist zwingend, hat doch die Evolution nicht auf die erste Marketingpublikation gewartet, um Methoden zu entwickeln, die menschliche Verhaltensweisen beeinflussen. Wirklich neu ist nur, dass wir viele dieser Methoden mit naturwissenschaftlichen Experimenten und Begriffen beschreiben können und dass damit die Zusammensetzung der Jury verändert wird, die unsere Entscheidungen bestimmt. Denn nicht das Bewusste bildet die Mehrheit, sondern das Unbewusste.

ErfolgObwohl dieser Machtwechsel kaum mehr bestritten wird, können wir uns mit den Folgen nur schwer abfinden. Noch wiegt der Verlust alter Gewohnheiten schwerer als der Gewinn neuer Verhaltensmuster. Aber da uns die Hirnforscher auch mitteilen, dass unser Belohnungszentrum auf Leidensdruck reagiert, werden sich Unternehmen spätestens dann intensiv mit Storytelling befassen, wenn ihre Konkurrenten damit mehr Erfolg haben und ihnen den Rang ablaufen.

ErfolgWanken die Pfeiler, ist das eine Erfahrung, die mehr wiegt als der Glaube, es gehe alles weiter wie bisher. Wohin der Erfolg versprechende Weg führt, sollen Ihnen die Geschichten, Ausführungen und Praxisbeispiele in diesem Buch zeigen. Und selbstverständlich auch, welche Alternativen sich Ihnen bieten.

Im ersten Teil »Warum erfolgreiches Marketing eine gute Geschichte braucht« lernen Sie neben den erwarteten Begründungen auch die ersten Werkzeuge kennen, die Sie für Storytelling benötigen. In jedem Unterkapitel stoßen Sie auf die Rubrik »Ausflug«. Falls Sie sich überwinden können, an diesen Stellen kurz innezuhalten und in Ihrem eigenen Geschichten- oder Erfahrungsschatz zu kramen, kann dies die bereits gewonnenen Erkenntnisse vertiefen.

Bei vielen Ausflügen winken als Belohnung für Ihre Teilnahme unerwartete Begegnungen mit Ihrer Kindheit. Damit soll der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass unser Gehirn besser auf schnelle Gewinne als auf Appelle reagiert. Dennoch ist das Konzept des Buches so angelegt, dass auch diejenigen alles mitbekommen, die nichts von verordneten Ausflügen halten. Was in den Kästchen steht, ist der heute übliche Service für Querleser. Und unter »Exkursion« wird das Vorangegangene nochmals aus neurologischem Blickwinkel betrachtet.

Der zweite Teil, überschrieben mit »Welche Navigationsinstrumente zu Ihrer Zielgruppe und zu passenden Geschichten führen«, stellt Instrumente aus der konkreten Arbeit mit Storytelling ins Zentrum. Daher sind es keine Prototypen, die auf die ersten Tests warten, sondern erprobte Werkzeuge. Ob Sie ihnen bei Gebrauch andere Namen geben, ein bestimmtes Set erweitern oder Ihrem eigenen Werkzeugkasten mehr Gewicht geben, liegt ganz in Ihrem Ermessen. Was für Storytelling unverzichtbar ist, wird dementsprechend deklariert.

Was ist neu in der fünften Auflage?

Ob ein Sachbuch mehrere Auflagen erleben darf, entscheiden die Leserinnen und Leser. Und sie sind es auch, die an jeder Aktualisierung wesentlich beteiligt waren. Wünschten sie sich für die zweite Auflage ein Analyse- und Kontrollinstrument für gute Geschichten, wollten sie in der darauf folgenden weitere Einsatzorte für Storytelling kennenlernen. Das in der letzten Auflage neu aufgenommene Kapitel 9 »Digitales Erzählen« gibt Antworten auf ihre Frage, ob die bewährten Navigationsinstrumente auch im digitalen Raum zum Ziel führen. In diesen Zukunftsraum einzubrechen und ihn zu erkunden, steht eher im Pflichtenheft einer jüngeren Generation. Diese wird die Instrumente weiterentwickeln und in ihre eigenen Geschichten einbinden. Wenn dieses Buch den Weg zur Kür etwas leichter macht, hat sich die Lektüre gelohnt. Die Frage, wie Chatbots, die Künstliche Intelligenz einsetzen, Storytelling beeinflussen und verändern können, wird beinahe täglich verschieden beantwortet. Das neue Kapitel 9.6 »Storytelling und KI« hat daher Work in Progress-Charakter. Ein neues und bereits erprobtes Navigationsinstrument wird unter dem Begriff »Psychologische Distanz« in Kapitel 5.3 eingeführt.

ZielgruppeDas Buch beginnt mit einer Geschichte meines Freundes Vittorio, der mich immer wieder erfahren ließ, dass Marketing keine Wissenschaft, sondern Lebenseinstellung und Kunsthandwerk ist. Mit seiner Gabe, für jede Zielgruppe die passende Geschichte zu finden, um das gewünschte Verhalten auszulösen, schaffte er es vom Jungen aus den Vororten Neapels zum geachteten Unternehmer in Bratislava. Ihm und allen begeisterten Geschichtenerzählern widme ich dieses Buch. Und Ihnen wünsche ich nun viel Spaß beim Finden und Erfinden passender Geschichten.

Dr. Werner T. Fuchs im August 2023

Teil I: Warum erfolgreiches Marketing eine gute Geschichte braucht

1 Der Vorspann – Warum Geschichtenaus neurowissenschaftlicher Sichtso wichtig sind

1.1 Ein Neapolitaner in London – Warum Sie Storytelling bereits kennen

Kein Zweifel, diese leicht erotisch anmutende Aufwärtsbewegung einer nach außen gerichteten Handfläche hieß Stopp! Oder, da die Geschichte in Italien spielt, »Interruzione del viaggio«. Das Zeichen des weiß behandschuhten Uniformierten war jedenfalls eindeutig. Um weiteres Ungemach zu vermeiden, blieb Vittorio nichts anderes übrig, als sich dem Verdikt der irdischen Ordnungsmacht zu fügen und seinen eierschalenbraunen Fiat Cinquecento zum Stillstand zu bringen. Dafür bewegte sich nun der neapolitanische Beamte sehr stolz und daher entsprechend langsam. Dadurch blieb meinem Freund genügend Zeit, sich eine passende Geschichte auszudenken. Besser gesagt, ein kleines Theater.

NebenrollenBühneDenn Südländer setzen, wenn immer möglich, auf mehrere Sinneskanäle. Und weil klar war, wer im Publikum sitzt und wer auf der Bühne steht, musste ich plötzlich und ungewollt eine Nebenrolle einnehmen. Wohl wissend, dass ich keinen blassen Schimmer von meiner Rolle hatte, sagte mir Vittorio nur: »Du bist der Cousin des schweizerischen Polizeipräsidenten, falls du auf die Bühne musst!« Dann drückte er mit seinem Ellbogen scheinbar mühelos das Seitenfenster in den Türkasten, zeigte verschmitzt auf die abgebrochene Kurbel und setzte eine Unschuldsmiene auf. »Maresciallo, was verschafft uns die Ehre?«, begrüßte er den blutjungen Carabiniere ohne Gradabzeichen an der wunderschönen Uniform, um dann gleich noch zu erwähnen, dass er in Eile sei und seinen Gesprächspartner ungern warten lasse. Aber Gesetz sei schließlich Gesetz.

Auch wenn dessen groß gewachsener Vertreter seine Botschaft bequemer durch das offene Dach hätte überbringen können, zog er das übliche Ritual vor, verzichtete auf gesunde Körperhaltung und schnaubte Vittorio durchs Fenster an, Verkehrsschilder würden für alle gelten. »Das ist richtig, Maresciallo«, entgegnete mein Freund, »selbstverständlich muss auch ich die Regeln befolgen, obwohl …« Und ohne dass ihn der Mann aus dem Publikum unterbrochen hätte, überließ ihm Vittorio die Fortsetzung des Dialogs.

Bestimmt, aber keineswegs unanständig fiel er ihm jedoch ins Wort, als sich der gradmäßig aufgewertete Carabiniere zunehmend in die Rolle eines Experten hineinsteigerte, der eine Theorieprüfung abnehmen muss. »Entschuldigen Sie, Maresciallo, aber ich werde dringend erwartet. Und Sie wissen ja, je mächtiger der Gastgeber, desto ungeduldiger. Falls Sie also der berechtigten Meinung sind, in Neapel seien vor dem Gesetz alle gleich, schreiben Sie jetzt den Strafzettel und lassen Sie uns fahren.« Und mit einem kurzen Blick auf mich fuhr er fort: »Mein Kollege wird das zwar ebenso wenig verstehen wie mein Onkel, aber Gesetz ist Gesetz.«

DialogZum ersten Mal leicht verunsichert sagte der noch immer gebückte Beamte: »Was haben Einbahnstraßen mit Ihrem Onkel und Ihrem Mitfahrer zu tun?« »Nichts, ich meinte ja nur …«, antwortete Vittorio kurz. »Was meinen Sie?«, fragte es von draußen nach. »Nichts, hier sind meine Ausweise, wie Sie sehen, heiße ich Grimaldi, machen Sie, was Sie glauben, tun zu müssen, und ersparen Sie uns allen zusätzliches Unheil!« In diesem Sinne ging der Dialog noch einige Minuten weiter, bis der Carabiniere im Befehlston wissen wollte, wer Vittorios Onkel sei.

Und nachdem sich mein Freund noch ein bisschen zierte, sagte er endlich im Ton eines Schülers, der sich für wiederholtes Zuspätkommen entschuldigt: »Eigentlich ist der Polizeipräsident von Neapel ja nicht mein richtiger Onkel, aber durch familiäre Umstände mit mir verwandt. Umstände, die er nicht unbedingt öffentlich machen will.« Danach ging alles sehr schnell. Der junge Beamte entschuldigte sich, stellte sich breitbeinig in die Straßenmitte, wies die entgegenkommenden Fahrzeuge trillernd an, sich links zu halten, und wünschte uns mit militärischem Gruß noch eine gute Fahrt.

WerbungVerkaufOrdnungshüterZugegeben, mit einer solchen Geschichte verkaufen Sie keine Tube Zahnpasta, kein Haus und kein Auto. Aber sie trug damals ganz ohne Zweifel dazu bei, dass sich der neapolitanische Ordnungshüter dazu entschied, uns ohne Strafzettel weiterfahren zu lassen. Wenn Sie sich dem Glauben anschließen können, bei Marketing, Verkauf und Werbung gehe es letztlich um nichts anderes als um die Beeinflussung von menschlichem Wahlverhalten, werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem leidenschaftlichen Botschafter für Storytelling.

Dieser Entschluss wird Ihnen umso leichter fallen, wenn Sie feststellen, dass es zum erfolgreichen Geschichtenerzähler nicht zwingend einer universitären Zusatzausbildung bedarf. Da unser Gehirn die eintreffenden Informationspakete ganz automatisch in Geschichten verpackt, erhielten wir das Grundwissen über Storytelling als Geburtsgeschenk mit auf den Weg. Möglich, dass Sie es verlegt haben, verloren ging es jedenfalls nicht. Ihr Unbewusstes könnte ohne dieses Wissen gar nicht so effizient arbeiten, wie es für die Verarbeitung der unzähligen Informationspakete notwendig ist. Nur der Vernunft passt das nicht in den Kram. Denn es würde deren Selbsteinschätzung gefährden, sie sei der Herr im Haus, fälle die Entscheidungen und habe das Recht auf das letzte Wort. Aber wie Ihnen eigene Beobachtungen, Erinnerungen an Ihre Kindheit und die Geschichten in diesem Buch zeigen, stehen die Begründungen der Vernunft auf wackligen Füßen.

Ausflug

Erinnern Sie sich an drei Geschichten, die Ihnen eine Strafe oder Schimpftirade ersparten, als Sie zu spät kamen.

Wichtig

Der Werkzeugkasten zur Herstellung einer Geschichte gehört zur Grundausstattung des menschlichen Gehirns, steht daher allen zur Verfügung und kann sofort genutzt werden. Nur die Gebrauchsanweisung müssen wir neu studieren!

KindheitDa ein Werkzeugkasten in der Geschichte dieses Buches die Heldenrolle spielt, ist das Interesse für seine Herkunft und seine Aufenthaltsorte mehr als legitim – zumal es dazu Aussagen gibt, die mit großer Wahrscheinlichkeit falsch sind. Für die Nachforschungen von Vorteil, aber nicht zwingend ist es, wenn Sie in Ihrer Kindheit mit einer Modelleisenbahn, einer Kinderpost, einem Kaufladen, mit Legosteinen, Barbiepuppen oder Playmobil gespielt haben. All diese Beschäftigungen werden in einer staatlich anerkannten Schule kaum in den Lehrplan aufgenommen, und selbst wenn Sie Ihre Kindheit ausschließlich mit Fußball oder Doktorspielen verbracht haben, können Sie heute trotzdem mit der Bahn fahren, Kinder aufziehen und den Müll vor die Tür stellen. Die Starterkits für das Überleben im Alltag erhalten wir zum Glück noch immer vom Leben selbst. Daran vermag auch der Glaube nichts zu ändern, es brauche für alles und jedes ein Diplom.

Ein Diplom für Storytelling erhielt auch Vittorio nicht. Aber der italienische Staatspräsident überreichte meinem Freund immerhin die Auszeichnung »Cavaliere«, womit aus dem kleinen Jungen mit dem schütteren Haarwuchs ein Ritter mit Glatze wurde. Und in der Laudatio steht, mein Vittorio Grimaldi habe sich diese Ehrung verdient, weil er mit seiner Person und seinen Tätigkeiten das gute Verhältnis zwischen Italien und England gestärkt habe. Doch bis es so weit war, musste er sein Talent zum Geschichtenerzähler in langen Jahren üben, perfektionieren und in unzähligen Situationen unter Beweis stellen.

Sein Starterkit, den Grundbaukasten, erhielt er von seinem Umfeld. Wer in San Giorgio a Cremano aufwächst, einem Außenquartier von Neapel, der besucht ganz bestimmt keine Schule, die Creative Writing als Wahlfach anbietet. In solchen Gegenden wird die staatliche Schulpflicht selbst im 21. Jahrhundert nur auf dem Papier eingehalten – von wegen Pflicht zur Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr! Nach fünf Jahren Grund- und drei Jahren Mittelschule ist für die Meisten Schluss. Aber nicht mit Geschichtenerzählen.

Wer seine Mitmenschen nicht mit Diplomen zu beeindrucken vermag, der muss eben zu Inszenierungen greifen. Wer die Gunst des Publikums nicht mit Körpergröße, Muskeln, monetäre Belohnungen oder prominenten Namen ergattern kann, muss ihm eine Geschichte erzählen, die es immer wieder hören will. Weil sie glücklich macht, Sehnsüchte weckt, Träume erfüllt oder von Schuldgefühlen befreit.

Verfechter staatlicher Bildungsinstitute könnten an dieser Stelle einwenden, das Erzählen guter Geschichten lerne man doch im Deutschunterricht. Das wäre laut Lehrplan durchaus möglich und vorgesehen. Ein Blick in die Klassenzimmer zeigt aber, dass die Realität eine andere ist. Im Literaturunterricht werden Texte mittels ausgefeilten Analyseinstrumenten so atomisiert, dass solche Lektionen mehr mit Chemie als mit Deutsch zu tun haben. Mit einer genügenden Aufsatznote darf man nur rechnen, wenn alle Pros und Contras berücksichtigt sind, das Verhältnis von Einleitung, Hauptteil und Schluss den strengen Vorgaben entspricht, keine unvollständigen Sätze vorkommen, eigene Ansichten als solche gekennzeichnet sind und der Text möglichst viele Lieblingswörter des Bewerters enthält. Die Lernfortschritte sind entsprechend gering. Nein, Storytelling lernen wir in der Regel nicht während des Unterrichts, sondern vorher, dazwischen und danach. Aber das genügt, um davon auszugehen, dass jeder Leser dieses Buches glücklicher Besitzer des Grundbaukastens ist.

Ausflug

Erinnern Sie sich an drei Trainingsplätze Ihrer Jugend, auf denen Sie die Grundregeln guter Geschichten gelernt haben.

Wichtig

KindheitDas Starterkit für Storyteller erhalten wir in Situationen unserer Kindheit und Jugend, in denen wir um unseren Platz im engsten sozialen Umfeld kämpfen müssen.

SchauspielGeldVittorio verließ also wie die meisten seiner Mitschüler die Werkstätten der staatlichen Bildungsinstitute nach acht Jahren. Weniger, weil er damals deren beschränkten Nutzen für seine berufliche Laufbahn durchschaute, sondern um Geld zu verdienen. Dieses war in seinen Kreisen ebenso verlockend wie knapp. So unterschiedlich seine Tätigkeiten auch waren, irgendwie hingen sie immer mit Verkauf zusammen. Daher drängen sich an dieser Stelle erste Gedanken über das Schauspiel des Verkaufens geradezu auf. Wahrscheinlich kauften und lesen auch Sie dieses Buch, um Ihr Produkt, Ihre Dienstleistung oder Ihre Idee besser verkaufen zu können.

Was also ist Verkauf? Weil die Suche nach einer Definition aufwendig ist, habe ich diese Aufgabe für Sie übernommen. Nicht ganz überraschend kam ich nach der Konsultation gängiger Lehrbücher der Betriebswirtschaft und verwandter Gebiete zu keinem Ergebnis, das sich auf wenigen Seiten zusammenfassen ließe. Ergiebiger ist es, bei denen nachzufragen, deren berufliche Existenz direkt davon abhängt, ob sie das Stück und die Rolle des Verkäufers auch wirklich begriffen haben. Ihre Antworten lauten dann etwa so:

VerkaufJeder Verkauf ist ein Tauschhandel.

Du verkaufst nie eine Ware, sondern nur die Idee einer Problemlösung.

Beim Verkaufen wird ein totes Objekt durch eine Geschichte lebendig.

Die Wahrheit ist ein schlechter Verkäufer.

VerkaufVerkauf ist keine Bedürfnisbefriedigung, sondern Inszenierung von Belohnung.

Das Gefühl kauft, die Vernunft segnet den Kauf ab.

Was nach Erziehung und Schule duftet, schadet dem Verkauf.

Der Zweck heiligt den Kauf, aber nicht die Mittel.

Nur der gefühlte Preis zählt.

Das Anstreben einer Win-win-Situation ist eine Ideologie, keine Idee.

Zuoberst auf dem Gewinnerpodest darf nur einer stehen: der Käufer.

Ein Verkäufer soll verführen, nicht belehren.

BühneWer auf der Bühne steht, muss sein Publikum mögen.

SpielVittorio hätte wohl jeder dieser Antworten zugestimmt. Er selbst meinte: »Wenn die Geschichte zu Ende ist, muss sie dem Publikum so gefallen haben, dass es beim Verlassen des Theaters nach dem Programm für die nächsten Aufführungen verlangt und den Eintrittspreis längst vergessen hat.« Dann fügte er hinzu: »Ich hatte einen Lehrer, der mich nie sehen ließ, ob ich beim Hölzchen ziehen tatsächlich das längere Stück erwischte. Ich glaubte ihm einfach, weil ich meinen Gewinn nicht durch Ungläubigkeit aufs Spiel setzen wollte.«

Ausflug

Erklären Sie sich oder Ihrem Sparringspartner für Storytelling, warum Vittorio mit seiner Geschichte im Carabiniere den Glauben weckte, der Verzicht auf einen Strafzettel sei ein guter Handel.

Wichtig

Wenn ich etwas verkaufen möchte, muss ich dem Käufer eine Geschichte erzählen, die sein Verhalten so beeinflusst, dass er dazu bereit ist, den von mir festgelegten Tauschwert für ein bestimmtes Gut zu bezahlen.

OrdnungshüterGeldUm uns beim Tauschwert nicht unnötig zu verheddern, erinnern wir uns am besten daran, dass Geld nur eine von vielen Währungen ist und während des längsten Abschnitts der Menschheitsgeschichte nicht sonderlich vermisst wurde. Vittorio hat dem Ordnungshüter ja keinen Schein in die Hand gedrückt, sondern ihm im Gegenzug für den Verzicht auf die Strafe die Gewissheit gegeben, keine Rüge seines Vorgesetzten zu bekommen.

Auf der Ebene des gesunden Menschenverstands teilen Sie wohl meine Meinung, dass Sie mit Storytelling kein Neuland betreten. Wer im Auftragsverhältnis Geschichten erfindet, macht jedoch immer wieder die Erfahrung, dass sich wissenschaftlich belegbare Argumente besser verkaufen lassen. Daher gibt es in diesem Buch neben den Ausflügen für Sie auch solche von mir, die ich Exkursion nenne. Das dient der besseren Unterscheidung. Es soll den Betrachtungen aber auch akademisches Gewicht geben. Warum ist also jeder Mensch auch aus neurologischer Sicht glücklicher Besitzer eines Grundbaukastens für Storytelling?

Exkursion 1

Grob gesagt und in dieser Vereinfachung nicht für die Ohren von Neurologen gedacht gibt es zwei Arten, wie unser Gehirn ein Regelinventar erwirbt. Es nimmt Regeln zur Kenntnis und lernt sie auswendig – oder es leitet sie ab. Die erste Methode funktioniert nur, wenn die Regeln einfach sind und kaum Ausnahmen zulassen. Doch sobald ein System komplex wird, also zu viele Informationslücken enthält, reicht die Verarbeitungskapazität des Bewusstseins nicht mehr aus. Das Paradebeispiel ist die menschliche Sprache. Nur weil Billionen synaptischer Verbindungen aus unzähligen Beispielen wiederkehrende Muster extrahieren, sind wir überhaupt in der Lage, ein so komplexes System wie Sprache zu erlernen. Und möglich ist dies nur, wenn die Vernunft nicht immer dazwischenfunkt, also hauptsächlich während unserer Kindheitsjahre. Haben wir den Grundbaukasten Muttersprache nicht erworben, bevor die Ratio ihre vermeintliche Herrschaft antritt, bleiben wir sprachlich behindert. Und selbstverständlich sind wir beim Erwerb einer Fremdsprache ebenfalls auf dieses Starterkit angewiesen.

Da unser Datenverarbeitungssystem Gehirn Informationspakete in Geschichten verpackt, speichert und wieder abruft, gehört das Regelinventar für Geschichten ebenfalls zu den Mustervorlagen, die für die weitere Entwicklung absolut notwendig sind. Also werden diese Regeln und deren Anwendung ebenfalls dann aus den eintreffenden komplexen Datenmengen extrahiert, wenn wir noch sehr jung und ungebildet sind. Die Regeln, nach denen Geschichten konstruiert sind, brauchen Sie im Normalfall ebenso wenig zu kennen wie die Regeln für die Muttersprache.

myBook+

Die Regeln einer guten Geschichte lernen wir so, wie wir unsere Muttersprache lernen, mehrheitlich implizit nämlich. Um sich bereits an dieser Stelle ein Bild von der Funktionsweise des menschlichen Gehirns zu machen, finden Sie auf mybookplus.de einige Vorschläge zu Videos. Registrieren Sie sich dort und geben Sie Ihren Buchcode ein, um zu Ihrem Buch zu gelangen. Ihren individuellen Buchcode finden Sie am Buchende

1.2 Ein Planer im Wirrwarr – Warum es oft anders kommt, als man denkt

Spiel»Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt.« Der Satz stammt, wie unschwer zu erkennen ist, nicht aus einer Doktorarbeit zur Entwicklungspsychologie, sondern von einem Geschichtenerzähler. Und vielleicht geht es Ihnen wie Forrest Gump, dem Titelhelden der Story, der sagt: »Meine Mutter konnte Sachen immer so erklären, dass wir sie verstehen konnten.« Verstanden hätte Forrest Gump trotz seines IQs von 75 auch den amerikanischen Mathematiker Professor John Allen Paulos. Denn auch er veranschaulicht komplizierte Zusammenhänge mit Anekdoten, Witzen und Abstechern in die Literatur. Er gehört sogar zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich bereits vor dem Boom der Neurowissenschaften damit beschäftigten, warum Menschen Geschichten brauchen, um sich in der Welt zurechtzufinden. In der kürzest möglichen Form lautet die Antwort: Wir sind zu dumm, um das Spiel des Lebens zu begreifen. Genauer gesagt, unsere Vernunft reicht nicht aus, um Prognosen zu stellen, wenn zu viele Variablen im Spiel sind, die sich dauernd ändern.

So bitter dieser Befund für eine Spezies ist, die sich für die Krone der Schöpfung hält, so tröstlich ist er für jene 98 Prozent der Bevölkerung, deren IQ zwar ausreicht, um in einer Mensa zu speisen, aber nicht, um Mitglied beim Mensa-Klub der Hochbegabten zu werden. Wer stolzer Besitzer eines Intelligenzquotienten von über 130 ist, wird sich zwar in der Schule eher langweilen und weniger mit seinen Altersgenossen spielen, aber beim Planen seines Lebens trotzdem die gleiche Fehlerquote aufweisen wie Sie und ich, und zwar unabhängig davon, wer diesen Plan schreibt. Falls Ihnen noch immer Zweifel kommen, ob dem tatsächlich so sei, hat dies wahrscheinlich damit zu tun, dass Sie den Vorwärts- mit dem Rückwärtsgang verwechseln. Oder mit Sören Kierkegaard etwas poetischer ausgedrückt: »Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts.«

SicherheitIm Nachhinein sind wir also alle klüger. Aber unser Wunsch nach Sicherheit ist so groß, dass wir Wahrsagern aller Art immer wieder auf den Leim gehen, sei es beim Anlegen von Erspartem, beim Buchen unseres Urlaubs oder beim Erstellen von Fünfjahresplänen für Unternehmen. Die beliebten Best-Practice-Bücher sagen viel über die Vergangenheit und wenig über die Zukunft aus. Denn mit der Leistungsfähigkeit unseres Bewusstseins lassen sich lediglich vorgegebene Datenmengen analysieren, die sich nicht mehr verändern.

Wenn wir unsere Leistungsfähigkeit mit der Rechenkapazität von Computern erweitern, wenn wir lange und genau genug arbeiten, überraschen auch wir die Welt mit blitzgescheiten Schlüssen und Ratschlägen. Sobald es aber in Richtung Zukunft geht, ändern sich so viele kleine Dinge, dass deren Summe meist zu Wegabweichungen führt, die sich mit einem rational zustande gekommenen Konzept nicht erfassen lassen. Die Rubrik »Zur richtigen Zeit am richtigen Ort« ist exklusiv für Geschichtenerzähler reserviert, weil nur ihre Berichte so viele Andockstellen haben, dass sie sich wechselnden Situationen und Umständen dauernd anpassen können.

Ausflug

Wühlen Sie in Ihrer Erinnerungskiste und suchen Sie nach einem Plan, der am Schluss genau so aussah, wie Sie ihn vor der Ausführung gezeichnet haben.

Wichtig

Ein Konzept, das in eine Geschichte eingepackt ist, wird eher gelingen, als wenn es nur aus einzelnen Begriffen, Diagrammen und Zahlen besteht.

Um das logische Denken wurde außerhalb philosophischer Denkschulen nicht immer so viel Tamtam gemacht wie in den letzten Jahrzehnten, ohne dass die Welt deshalb auseinanderbrach. Eine der vielen Ursachen dieser Show verantwortet die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Nur wenn der gesunde Menschenverstand in ein Begriffsinventar und in offizielle Kategorien gefasst wird, lässt er sich von Fachleuten zuordnen, bewerten und auf Ausbildungslehrgänge verteilen. Sollten Sie im Laufe Ihrer Lehr- und Wanderjahre wenig oder nichts von wissenschaftlich gesicherten Programmen zur Beeinflussung menschlichen Wahlverhaltens vernommen haben, gehören Sie zur Mehrheit. Das muss kein Nachteil sein, im Gegenteil. Denn obwohl es zurzeit schick ist, anders als alle anderen zu sein, ist der Herdentrieb ein evolutionäres Erfolgsprogramm, sofern man akzeptiert, dass Niederlagen in Einzelfällen dazugehören. Im Großen und Ganzen genügt es für den Erfolg, eine Idee zu haben, an diese zu glauben und sie in eine Geschichte zu verpacken, die andere Menschen hören wollen.

AbenteuerJohn Allen Paulos, der humorige Mathematiker mit dem Hang zum Geschichtenerzähler, nimmt die Anhänger des logischen Denkens gerne auf die Schippe. Was er ihnen ins Handbuch für erotische Abenteuer schreiben würde, entlehnt er allerdings beim Rätselguru Raymond Smullyan. In der freien Nacherzählung lautet seine Geschichte so:

AbenteuerEin Mann fragte die junge Frau an der Bar, nachdem er ihr einen Drink offerierte: »Darf ich Ihnen das Versprechen abnehmen, dass Sie mir eine Fotografie von sich geben, wenn ich eine wahre Aussage mache, mir aber kein Bild zu geben, wenn ich eine falsche Aussage mache?« Die Frau fühlt sich geschmeichelt und antwortet nichts Böses ahnend mit Ja. Darauf stellt der eroberungslustige Mann fest: »Sie werden mir weder eine Fotografie geben, noch werden Sie mit mir schlafen.« Bingo! Denn die Frau kann ihm keine Fotografie von sich geben, da sich sonst die Behauptung des Mannes als falsch erweisen würde und sie ihr Versprechen damit gebrochen hätte, ihm nur im Falle einer wahren Aussage ein Bild zu überlassen. Weigert sie sich aber, mit ihm zu schlafen, wird seine Behauptung wahr, womit sie ihm die Fotografie aushändigen müsste. Will sie also ihr Versprechen halten, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich auf das erotische Abenteuer einzulassen, womit seine Behauptung falsch wird.

Soll noch jemand sagen, logische Spiele würden unser Leben bestimmen. Nein, logisch verhalten sich Menschen, wenn überhaupt, in Hörsälen und Lehrbüchern. Solchen Behauptungen wird gerne mit der Gegenbehauptung entgegnet, wenn die Logik einen so geringen Stellenwert hätte, würde das nackte Chaos ausbrechen. Aber diese Angst basiert auf dem grundlegenden Irrtum, es gäbe nur eine Logik der Vernunft. Doch da sich die unbewusst arbeitenden Hirnareale sehr wohl an einem Regelinventar ausrichten, das zu Mustervorlagen führt, hält sich die Unordnung in überschaubaren Grenzen.

Die Vertreter des Storytelling sind keine konzeptlosen Gesellen, die sich gegen das schriftliche Festhalten von Strategien und Plänen stemmen. Sie sind nur der festen Überzeugung, dass unvorhersehbare Rückkoppelungen in komplexen Systemen alle Konzepte, denen keine unbewusst steuernde Geschichte zugrunde liegt, zur Makulatur machen. Und komplex heißt eben auch, dass an allen Enden und Ecken gezogen wird. Denn Marketing in einem Unternehmen ist etwas anderes als Planspiele am Computer, die ich nur deshalb in den Griff kriege, weil ich der alleinige Herrscher über das Programm bin.

Da Gastvorlesungen meist vor einem größeren Publikum stattfinden, missbrauche ich solche Veranstaltungen manchmal dazu, Studenten erleben zu lassen, wie schnell ein schöner Plan eine hässliche Gestalt annehmen kann. Man nehme ein Marketingkonzeptionslehrbuch, suche einen möglichst detaillierten Plan, ordne den Kästchen einzelne Studenten oder Gruppen zu, greife irgendwo entschieden ein und beobachte dann, was aus diesem Konzept wird. Die gleiche Übung wiederholen wir dann mit einem ähnlichen Plan, dem jedoch eine verbindliche Geschichte übergeordnet ist. Und siehe da, wo zuerst über Zahlen und Begriffe gestritten wurde, diskutierte man nun, ob eine getroffene Maßnahme den Kern der Geschichte noch immer trifft.

Exkursion 2

Es ist Samstagmorgen. Sie fahren ins Einkaufszentrum, um alles Notwendige für die Einladung am Abend zu besorgen. Sie sind noch guten Mutes, früh dran, nicht gestresst und mit einer Einkaufsliste bestens vorbereitet. Ihr Autopilot führt Sie wie immer auf Parkebene B. Dummerweise und aus unerklärlichen Gründen gibt es aber heute auf Ihrer Lieblingsparkebene keinen freien Platz.

Um gleich mit offenen Karten zu spielen und die volle Wahrheit zu sagen: Dass alles voll ist, sehen Sie natürlich nicht. Ihre Augen registrieren lediglich 10 Millionen Bits pro Sekunde, die dann an die visuellen Zentren in Ihrem Gehirn weitergeleitet werden und dort zum Bild »Volle Parkebene« zusammengesetzt werden.

BewusstseinWer dann, um das Wochenende zu retten, beruhigend auf Sie einspricht, muss sich mit einem Input von 100.000 Bits pro Sekunde begnügen. Ebenso viel hat der Benzingestank zur Verfügung. Über Ihre Haut gehen doch immerhin eine Million Ja-Nein-Entscheidungen in einer Sekunde ein, während auf Ihrer Zunge läppische 1.000 Bits landen können. Ihr Arbeitsgedächtnis, das Sie für das Planen und Entscheiden zwingend brauchen, hat eine Kapazität von 50 Wahlmöglichkeiten pro Sekunde. Man muss in der Mathematik keine Leuchte gewesen sein, um zu begreifen, dass Ihre Vernunft zur Situation im Parkhaus wenig zu sagen hat. Nachvollziehen können wir es trotzdem kaum, dass von über 11 Millionen Informationseinheiten weniger als 0,1 Prozent beim Bewusstsein ankommen. Und so glauben wir eben weiterhin, dass wir unseren letzten Urlaub logisch geplant haben und so etwas Schwammiges und Altbackenes wie Geschichten dabei kaum eine Rolle gespielt hat.

1.3 Ein Film beim Psychiater – Warum das Gehirn Informationen als Geschichten speichert

SicherheitFilmAngenommen Ihr Gehirn hat nicht die blasseste Ahnung, was »Psychologie« bedeutet, und jemand müsste Ihnen das erklären, ohne auch nur eine einzige Geschichte zu erzählen. Wie soll das gehen? Natürlich dürfen Sie diese Frage gleich weitergeben. Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit finden Sie niemanden, der Ihnen keine befriedigende Antwort gibt.

Hesley & Hesley ist keine der amerikanischen Anwaltspraxen, die mit Sammelklagen gegen Unternehmen vorgehen, die einen Aufkleber oder einen Satz in der Gebrauchsanweisung vergessen haben. Nein, wer zu Hesley & Hesley geht, fiel nicht von der Leiter, weil auf der letzten Sprosse der Hinweis »Letzte Sprosse!« vergessen wurde. Er hat andere Probleme: psychische. Und dafür ist das Ehepaar Hesley zuständig. Das wäre in Dallas, wo der eigene Seelendoktor fast so wichtig ist wie der Friseur, nichts Außergewöhnliches. Aber die Methode ist überraschend. Denn die beiden Therapeuten zeigen ihren Klienten Filme. Nicht um bezahlte Zeit zu vertrödeln oder mangelnde Vorbereitung zu kaschieren, wie das manchmal in Schulzimmern geschieht, sondern um an die inneren Filme ihrer Patienten anzudocken, Verbindendes und Trennendes zu entdecken und schließlich mit Neufassungen etwas zu bewegen.

KulisseFilmEheAuf ihre erfolgreiche, aber noch immer ungewohnte Methode kamen die beiden, wie könnte es anders sein, durch Zufall. Wir schreiben das Jahr 1989. Vor dem 46-jährigen John W. Hesley sitzt ein begabter Mathematiker, der seit Wochen über nichts sprechen will. Schon gar nicht über seine Depression, die seine Ehe so belastet, dass ihn die Frau vor die Wahl stellte, entweder Therapie oder Scheidung. Wenn der Mathematiker etwas von sich gibt, sind es Zahlen aus Baseballstatistiken seit 1903. Die Situation ändert sich schlagartig, kurz nachdem die Hesleys an einem Wochenende den Film »Feld der Träume« sahen, in dem Baseball ein wesentlicher Teil der Kulisse ist. Denn in der nächsten Sitzung macht Hesley seinen Patienten auf den Film aufmerksam und empfiehlt ihm einen Kinobesuch. Die Geschichte fesselt und verwirrt diesen so sehr, dass er sich ihre Verfilmung dreimal ansieht, freiwillig. Dann beginnt er zu sprechen …

HirnforschungOrdnungSeit dieser Patient seine Lebensgeschichte wieder in eine überschaubare Ordnung gebracht hat, sind zwei Jahrzehnte vergangen, in denen sich auch die Hirnforschung intensiv mit der Verarbeitung von Informationen beschäftigte. Obwohl sich die Neurologen in einer anderen Sprache ausdrücken, kommen sie zum gleichen Ergebnis wie die Hesleys und viele andere. Unser Gehirn speichert Datenpakete als Geschichten ab. Genauer gesagt, unser autobiografisches Gedächtnis tut das. Diese Erkenntnis ist deshalb von so immenser Bedeutung, weil von diesem Hirnareal auch Muster geknüpft werden, die unser Verhalten bestimmen.

Ausflug

Erzählen Sie jemandem die Weihnachtsgeschichte in drei Sätzen. Und lassen Sie sich die Geschichte von der Geburt Jesus von drei Personen Ihrer Wahl erzählen.

Oder erläutern Sie jemandem in drei Sätzen, weshalb Sie den Beruf gewählt haben, den Sie heute ausüben.

Wichtig

Je stärker der unverrückbare Kern einer Geschichte ist, desto mehr Varianten und Ausschmückungen kann sie zulassen.

Hesley & Hesley ist keine DVD-Ausleihe, sondern noch immer ein Ort, an dem Menschen ihren momentanen Alltagsgeschichten eine andere Richtung geben wollen. Aber die Sammlung digitalisierter Filme kann sich sehen lassen. Über 300 in Szene gesetzte Drehbücher sind nach Kategorien geordnet, die an eine Bibliothek für Unternehmungsführung mit Schwergewicht Marketing und Kommunikation erinnern. Das ist kein Zufall, dienen doch die meisten Geschichten dazu, sich in der sozialen Welt zu behaupten und seinen eigenen Platz zu finden.

FilmSelbst wenn böse Zungen gerne behaupten, ein ökonomisch denkender Therapeut strebe möglichst hohe Kundentreue an und verfehle daher sein Ziel, wenn er das Verhalten seiner Patienten verändere, gehören Hesley & Hesley nicht dazu. Daher geben sie ihren Patienten Filme mit Geschichten mit nach Hause, deren Kernaussagen etwas mit den biografischen Erlebnissen zu tun haben, die sie als Auslöser des störenden Verhaltens betrachten. Selbstverständlich ist es damit noch nicht getan. Und um keine Sammelklage der vereinigten Therapeuten zu riskieren, halte ich daher in aller Deutlichkeit fest: Eine große DVD-Sammlung zu haben und Rat suchenden Menschen einen Film auszuleihen, berechtigt noch nicht dazu, sich Therapeut zu nennen. Ebenso wenig dürfen sich Liebhaber guter Geschichten bereits als Meister im Storytelling betrachten. Was große Regisseure uns geben, ist lediglich eines der Werkzeuge, die wir bei unserer Arbeit mit uns führen sollten.

Bleibt zum Schluss dieses Kapitels noch die Frage, warum die Neurowissenschaften die Methode von Hesley & Hesley absegnen. Die Kurzantwort lautet: Weil es keine effizientere Methode der Datenverarbeitung gibt, als Informationseinheiten in Geschichten zu verpacken.

Haben wir uns erst einmal damit abgefunden, dass unser Gehirn nichts anderes ist als ein lebendiges Datenverarbeitungssystem, dann müssen wir annehmen, dass seine Leistungsfähigkeit eng mit der verwendeten »Software« zusammenhängt. Werfen wir einen Blick auf die Anforderungen an ein gutes Programm, so wird uns eher klar, warum die Evolution auf den Geniestreich kam, unser Gehirn mit der Software »Geschichten finden und erfinden« auszustatten.

Ein Softwareentwickler wird gelobt, wenn sein Programm:

große Datenmengen schnell verarbeitet

Informationen verdichtet

möglichst wenig Energie verbraucht

leicht erlernbar ist und wenig Erklärungen braucht

sichere Orientierung ermöglicht

einheitliche Grundbefehle hat

einfache Wechsel zu anderen Programmen erlaubt

sich den individuellen Arbeitsstilen seiner Benutzer anpasst

Fehler zulässt und trotzdem stabil ist

mit wenig Aufwand weiterentwickelt werden kann

an verschiedenen Orten einsetzbar ist

bei Teilausfällen trotzdem funktionstüchtig bleibt

wenig Speicherkapazität beansprucht und

Mehrdeutigkeiten zulässt

Nun müssen Sie lediglich »Programm« durch »Geschichte« ersetzen und schon verstehen Sie, warum sich im Laufe von Millionen Jahren ein dynamisches System durchgesetzt hat, das Informationen weitergeben und empfangen kann, ohne bei ungewohnten Varianten gleich auszufallen. Wenn Sie die Gelegenheit haben, einen Softwareentwickler zu fragen, wie er die Weihnachtsgeschichte so in Ja- und Nein-Befehle umwandeln kann, dass sie überall verstanden wird, sollten Sie das tun.

FilmScience-Fiction-Filme und neckische Roboter haben uns bereits auf die Ankunft der Künstlichen Intelligenz vorbereitet. Seit das amerikanische Unternehmen OpenAI im November 2022 ChatGPT veröffentlichte, ist ein wahrer Hype ausgebrochen. Welche Erwartungen solche Chatbots erfüllen können und wo der Wunsch Vater des Gedankens ist, wird in dem neuen Kapitel 9.6 »Storytelling und KI« beantwortet. Vorläufige Antwort zur Beruhigung professioneller Geschichtenerzähler: Selbst die besten Chatbots können keine Geschichten in unserem Sinne erzählen. Oder wie wollen Sie ein Informationspaket wie das folgende programmieren?

»Als seine Mutter ins Zimmer trat, hörte Peter sofort mit dem Schluchzen auf, schaute gelangweilt auf das Poster über seinem Schreibtisch und summte seinen momentanen Lieblingssong. Doch sie kannte ihren Sohn zu lange, um seine wirkliche Stimmung nicht mitzubekommen. Und als sie ihn fragte, was der Vater zum abgebrochenen Schlüssel meinte, erwiderte Peter: »Nichts! Er sagte nur: Das hast du gut gemacht.«

Wie eifrige Benutzer von Navigationssystemen erstaunt feststellen, lässt sich Sprache inzwischen so digitalisieren, dass wir an der nächsten Kreuzung rechts abbiegen, auf Fehler aufmerksam gemacht werden oder sogar im dichtesten Nebel wissen, wann wir am Ziel sein werden. Aber eine in Ja-Nein-Befehlen geschriebene Software kann uns nicht mitteilen, dass der Satz »Das hast du gut gemacht.« ironisch gemeint war und wir deshalb genau das Gegenteil verstehen sollen. Um das leisten zu können, müsste ein Computerprogramm ähnlich funktionieren wie unser Gehirn.

Denn kaum sind die 344 Buchstaben der »Peter-Geschichte« in unser Gehirn eingedrungen, beginnt dort die Suche nach Mustervorlagen, die dem Zeichenwirrwarr einen Sinn geben. In Sekundenschnelle wird in den verschiedensten Hirnarealen nach Kurzgeschichten geforscht, in denen die vernommenen Zeichen von Bedeutung waren. Und finden sich zum Beispiel keine Geschichten, in denen der Vater nicht das meinte, was er sagte, wird Peter die Ironie kaum erfassen können. Nur das, was häufig vorkam oder tiefe emotionale Spuren hinterließ, wurde in Peters Gehirn abgespeichert.

Exkursion 3

Der moralische Appell, wir sollten weniger an uns und mehr an die anderen denken, ist zwar löblich, bewirkt aber wenig. Unser Gehirn beschäftigt sich vorwiegend mit sich selbst. Und zwar nicht nur, um die Systeme zu kontrollieren und zu regulieren, die uns am Leben erhalten. Viel Arbeit macht sich das Hirn auch mit unserem Bewusstsein, das sich immer wieder neu finden und bestätigen muss. Nicht ob es alle Sternbilder kennt oder die Hauptstädte aller Länder auswendig weiß, galt als Qualitätskriterium. Nein, die Hauptaufgabe, die ihm von der Evolution aufgegeben wurde, ist eine andere, für das Überleben viel Wichtigere: Es muss die Balance halten zwischen dem eigenen Ich und dem anderer Menschen auf dieser Welt.

Unsere Spezies war bisher vor allem deshalb so erfolgreich, weil wir soziale Wesen sind, die voneinander lernen und sich schnell an veränderte Bedingungen anpassen können. Was uns alle vereint, ist die Grundausstattung, mit der wir auf Welt kommen. Sie reicht, um zu lernen, aber nicht, um schon ohne fremde Hilfe zu überleben. Dieses Starterkit muss nun Stück für Stück ergänzt werden. Mit Informationspaketen, die es uns schrittweise erlauben, als Individuen in dieser Welt so zu agieren, dass wir uns reproduzieren, an unsere Umgebung anpassen und dadurch überleben können. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum sich Kinder fragen:

Wie funktioniert die Welt?

Wie ist sie entstanden?

Wer bin ich?

Wie muss ich mit anderen Menschen umgehen?

Wer beschützt mich jetzt und wenn ich gestorben bin?

PubertätOb eine heiße Herdplatte Schmerz verursacht, wenn wir sie berühren, lernen wir durch selbst erlebte Geschichten ebenso wie tausend andere Dinge. Nach der Pubertät glauben wir einigermaßen zu wissen, wer wir sind. Doch solange viele Fragen nur ungenau, unglaubwürdig oder gar nicht beantwortet sind, fragt unser Gehirn unablässig weiter. Vielleicht nicht bei allen Menschen mit der gleichen Hartnäckigkeit, aber selbst die Neunmalklugen kriegen den im Unbewussten arbeitenden Störenfried nicht in den Griff.

EvolutionUnd gerade weil es auf diese Fragen keine verbindlichen, abschließenden Antworten gibt, sind wir so anpassungsfähig und so erfolgreich. Nur Antworten in Form von Geschichten sind klar und unklar zugleich. Klar genug, um daraus Handlungsanweisungen abzuleiten, unklar genug, um Varianten zuzulassen, wenn sie notwendig sein sollten. Was uns so selbstverständlich erscheint, ist vielleicht die genialste Erfindung der Evolution.

1.4 Sabine und Hänsel – Warum jeder eine andere Geschichte braucht

Es war einmal eine gut aussehende Mutter von drei Kindern, die mit einem Abschluss der Harvard Business School als Marketingleiterin ausgestattet mehr Mineralwasser, mehr Musterkollektionen, mehr Modeschmuck verkaufen musste. Sie war beliebt in der Nachbarschaft und unsagbar glücklich, den Mann ihres Lebens gefunden zu haben. Das unterschied sie zwar von vielen ihrer Artgenossinnen, hätte aber kaum ausgereicht, um von allen bedeutenden amerikanischen Fernseh- und Radiosendern eingeladen zu werden und mit ihren Büchern die Bestsellerlisten zu erobern. Aber Rachel Greenwald hatte ein Hobby, das sich in weiblichen Kreisen schnell herumsprach: für andere Frauen den Mann fürs Leben zu suchen. Vorzugsweise für Freundinnen und Kolleginnen ab 35 aufwärts.

Für diese anspruchsvolle Aufgabe benutzte sie die Grundlagen ihrer Marketingausbildung und ihres Psychologiestudiums, ihre gute Beobachtungsgabe und den gesunden Menschenverstand. Aus all dem mixte sie ein 15-Schritte-Programm, das so gut funktionierte, dass die erfolgreichen Absolventinnen den Tag ihrer Vermählung nach dem Terminkalender ihrer Kupplerin ausrichten mussten, falls die Anwesenheit der Glücksfee dem schönsten Tag des Lebens die Krone aufsetzen sollte.

Es ist hier nicht der Ort, im Detail auf die fünfzehn Schritte einzugehen. Zumal Amerika nicht Europa und Storytelling nicht primär auf Partnerschaftssuche ausgerichtet ist. Aber Rachel Greenwald verdient sich in diesem Buch einen Auftritt, weil sie zu denen gehört, die Lehrmeinungen fallen lassen, wenn sie mit den Geschichten des wirklichen Lebens wenig zu tun haben. Würde Rachel Greenwald ihren Kundinnen raten, die Männer nach den gleichen Zielgruppen zu segmentieren, wie sie an Ausbildungsstätten für Marketing gelehrt werden, wäre sie weniger häufig zu Hochzeiten eingeladen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Sabine ihren Hänsel gefunden hätte, wäre beträchtlich kleiner, wenn sie nach dem klassischen Marketingschema vorgegangen wäre, das in ihrem Falle so lauten könnte:

Demografische Segmentierung: Mein Traummann sollte männlichen Geschlechts und unverheiratet oder rechtsgültig geschieden sein, zwischen 35 und 45 Lenze zählen und keine oder Kinder ab 14 Jahren haben.

Geografische Segmentierung: Mein Suchobjekt sollte in den gemäßigten Klimazonen Westeuropas und in städtischen Gegenden wohnen, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb von drei Stunden erreichbar sind.

Sozioökonomische Segmentierung: Mein Zukünftiger sollte einen akademischen Abschluss haben, zur Einkommensgruppe ab 70.000 Euro gehören, in einem kreativen Beruf tätig sein und zumindest in loser Form der christlichen Glaubensgemeinschaft angehören.

Verhaltensorientierte Segmentierung: Mein Wunschpartner sollte entscheidungsfreudig, treu, wählerisch, berechenbar, nicht besitzergreifend, sportlich und großzügig sein.

Psychografische Segmentierung: Mein Mann fürs Leben sollte selbstbewusst, ausgeglichen, einfühlsam, kontaktfreudig, humorvoll, herzlich, erlebnishungrig, ehrlich, intelligent, bescheiden, entgegenkommend, ordnungsliebend, pflichtbewusst und offen für neue Ideen, Ästhetik und Gefühle sein.

Angenommen wir belassen es bei diesen zahlreichen Ja-Nein-Kriterien, gewichten jedes gleich stark und berechnen, wie viele verschiedene Beschreibungen von Männern sich daraus ableiten lassen, kommen wir auf 8,5 Milliarden. Das heißt, Sabine müsste eventuell Konzessionen beim Geschlecht machen und/oder ihre Suche auf extraterrestrische Kandidaten ausdehnen. Hinzu kommt, dass ihre bescheidene Wunschliste keine Vorstellungen enthält, wie Sabines Traummann aussehen darf. Fazit: Es gibt nicht einmal den Einen.

Wenn Sie das Gefühl haben, Sabines Beispiel sei konstruiert, dann irren Sie sich nicht. Aber schon ein flüchtiger Blick auf Kontaktanzeigen wird Sie daran erinnern, dass die Wirklichkeit unsere Fantasie an Überraschungen übertrifft. Und so erstaunt es wenig, wenn Frauen mit solchen Segmentierungen keinen Mann und Marketingleute keine Kunden finden. Die Ahnung, dass solche Methoden nichts bringen, kann zur Verzweiflungstat führen, sich auf ein einziges Kriterium zu beschränken. Aber was ist schon ein gut aussehender Mann? Und wer sind die »DINKS«, alias »Double Income No Kids«?

Ausflug

Suchen Sie nach einer Geschichte, einem Film, einem Theaterstück, in dem Ihre Partnerin oder Ihr Partner die Hauptrolle oder eine bedeutende Nebenrolle übernehmen könnte. Unabhängig davon, ob die schauspielerischen Voraussetzungen gegeben sind.

Wichtig

ZielgruppeDie klassischen Methoden, eine Zielgruppe zu segmentieren und einzukreisen, haben zu viele Ja-Nein-Kriterien, um sich ein vorstellbares Bild zu machen. Oder zu wenige.

Nehmen wir an, Sabine sei dem Rat von Rachel Greenwald gefolgt, den Kreis möglicher Partner nicht allzu sehr einzuengen. Zumal es in ihrem Alter leichter ist, nach einem »realeren« Mann Ausschau zu halten als mit zwanzig, wählt man doch zu Beginn der aktiven Werbeperiode eher Potenziale als reale Möglichkeiten. Sabine wird beim ersten Date also vorwiegend Geschichten erzählen, die bei ihrer potenziellen Beute möglichst viele Andockstellen haben. Zum Glück gibt es das Wetter, Horoskope und allgemein anerkannte Bösewichte. Signalisieren die ersten sinnlichen Eindrücke, dass es sich lohnen könnte, Hänsel weitere Geschichten zu erzählen, muss Sabine andere Kapitel aufschlagen. Denn vergessen wir nicht, will Sabine eine Partnerschaft mit Hänsel, muss sie ihn dazu bringen, an eine Geschichte zu glauben, in der er und sie die Hauptrollen spielen.

RequisitenBühneUnd soll dieses Stück länger als nur eine Nacht dauern, müssen unzählige kleine Informationspakete zusammenpassen. Um die Sache voranzutreiben und nicht gleich als dumme Gans dazustehen, muss Sabine also irgendwann von atmosphärischen Berichterstattungen abrücken, um den Geschichtenschatz von Hänsel zu erkunden. Macht sie es geschickt, wählt sie eines der Urthemen. Denn damit bereitet sie eine gemeinsame Bühne vor, auf der Hänsel ebenfalls agieren kann. Mit wem sie es dann in Zukunft eventuell zu tun haben wird, kann Sabine umso besser ableiten, je mehr Hänsel die Bühne mit seinen Kulissen, Requisiten und Darstellern füllt.

Hören wir einem solchen Gespräch zu, könnte eine Sequenz etwa folgendermaßen lauten:

TraumSabine: »Irgendwie ist es schon merkwürdig. Wäre mir die Straßenbahn gestern nicht vor der Nase abgefahren, säßen wir uns heute wohl nicht gegenüber. Schon als kleines Kind glaubte ich nicht an Zufälle. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater. Für den war nichts vorherbestimmt. Hätte mein lieber Papi die Nachrufe nach seinem frühen Tod lesen können, wäre er wohl in lautes Gelächter ausgebrochen. Von wegen geplanter Karriere! Sein Traum war es, Linienpilot, nicht Bildhauer zu werden. Und von der Malerei ließ er später nur, weil seine damalige Geliebte sich in seinen Porträts nicht fand. Behauptet zumindest meine Mutter.«

Hänsel: »Dein Vater ist gestorben?«

Sabine: »Ja, das war ganz schrecklich – und hat vielleicht meinem Leben vor fünf Jahren eine neue Richtung gegeben.«

AndockstellenLiebeBühneWie das Gespräch weiterging und welche Geschichten Hänsel zum Besten gab, braucht uns hier nicht weiter zu interessieren. Wichtig ist, dass Sabine mit wenigen Sätzen eine Bühne baut, auf der Hänsel seine Stücke ebenfalls aufführen kann. Und indem sie vom Schicksal, von ihrer Kindheit, von Liebe und Tod, von unerfüllten Träumen spricht, gibt sie einige Urthemen vor, an die Hänsel seine eigenen Geschichten anknüpfen kann. Gelingt es Sabine, eine Andockstelle für eine sehr persönliche, eigene, oft dem kulturellen Geschichtenschatz widersprechende Geschichte von Hänsel zu schaffen, sammelt sie zusätzliche Sympathiepunkte. Denn falls Hänsel dadurch ermuntert wird, seine Liebe für Waldschnecken preiszugeben, fühlt er sich angenommen, akzeptiert und verstanden.

ElternSolche individuellen Mikrogeschichten zu entdecken, zu archivieren und zu nutzen, ist im Empfehlungs- und Dienstleistungsmarketing von elementarer Bedeutung. War ich als Kind gezwungen, mit meinen Eltern stundenlang durch blühende Lavendelfelder zu streifen und wurde dabei noch von südfranzösischen Bienen gestochen, bleibe ich dem Hotel vielleicht ewig treu, das mir als Erwachsenem Lavendelduftkissen im Badezimmer erspart. Wer von einem Stiefvater, dessen Passion Rosen waren, ständig drangsaliert wurde, möchte zum Valentinstag wahrscheinlich andere Blumen erhalten. Je individueller geworben wird, desto wichtiger werden die ureigenen Geschichten.

Selbstverständlich macht es Sinn, bei der Auswahl von Adressen für ein Porsche-Mailing auf das Alter und die Vermögensverhältnisse der Angeschriebenen zu achten. Aber da die Marketingverantwortlichen bei Porsche richtigerweise davon ausgingen, dass sie lieber nicht an die Vernunft appellieren, erzählen sie Geschichten oder stellen Fragen, die sich nur mit Geschichten aus dem eigenen Leben beantworten lassen:

Was, wenn Sie nicht wiedergeboren werden?

Wir Deutschen sind pedantisch, penibel und pingelig. Wenn’s funktioniert.

Hätten Sie immer getan, was alle tun, wären Sie heute nicht, was Sie sind.

Mathematisch gesehen erstrecken sich offene Kurven bis ins Unendliche. Schöne Vorstellung.

Mit Ihrer Konsequenz haben Sie eine Menge bewegt. Nun sollten Sie sich mal mit etwas Konsequentem bewegen.

Ich hab’ wirklich alles versucht: Wegsehen, Ohren zustopfen …

2000 n. Chr. Weite Teile der Gesellschaft haben Abschied vom Leistungsgedanken genommen. Eine kleine radikale Minderheit arbeitet jedoch weiterhin mit Nachdruck daran.

Sie sind nicht das Zentrum des Universums. Aber es ist doch ganz schön, sich manchmal so zu fühlen.

Aber was bei einem Fahrzeug für über 100.000 Euro mit der doppelten Spitzengeschwindigkeit eines Durchschnittsautos und einem Kofferraum in Bierkastengröße den meisten Menschen einleuchtet, gilt immer. Entscheidungen werden von all den kleinen und großen Geschichten getroffen, die in unserem autobiografischen Gedächtnis gespeichert sind. Egal, ob es um einen Porsche, einen Ausbildungslehrgang oder den Traummann geht.

Exkursion 4

Das menschliche Gedächtnis ist keine riesige Bibliothek, in der all unsere erlebten, gehörten, gesehenen oder erfundenen Geschichten wie Bücher aufgereiht sind. Das würde viel zu viel Platz und damit Speicherkapazität einnehmen. Auch die Logistik beim Einlagern und Abrufen wäre mit einem solchen System zu aufwendig. Viel effizienter ist es, von den wichtigsten und immer wiederkehrenden Ereignissen Mustervorlagen herzustellen. Diese Prototypen lassen sich dann beliebig variieren, je nach Verwendungszweck. Dieses Set an gemeinsamen Geschichten erlaubt es, dass wir uns an die soziale und kulturelle Umgebung anpassen können.

Solche Informationspakete zur weiteren Verarbeitung sind zudem hierarchisch geordnet. Am wichtigsten sind Geschichten, die uns Antworten auf die drei Fragen: »Wer bin ich?«, »Wer ist der andere?«, »Wo ist mein Platz in dieser Welt?« geben. Weil diese Urfragen für alle Menschen existenziell sind, werden sie auf allen Bühnen der Welt immer wieder gestellt. Denn nur so kann das evolutionäre Programm nach Informationspaketen suchen, die dem Individuum die Fortpflanzung, das Anpassen und das Überleben erleichtern.

Auf der nächsten Stufe folgen dann Geschichten, die das kulturelle und soziale Umfeld geschrieben hat. Das sind Erzählungen von verändertem Geschlechterverhalten, von der permanenten Erreichbarkeit, vom langsamen Aussterben der Arbeiter und Bauern oder vom Verlust der Deutungsmacht traditioneller Sinnstifter wie Kirche, Staat und Familie. Und die letzte große Kategorie umfasst schließlich das individuell Erlebte. Mit diesem hierarchischen System ist es möglich, dass wir uns der Geschichte annähern können, die der Einzelne braucht und hören will.

2 Das Abenteuer beginnt – Was Sie bei einer guten Geschichte beachten sollten

2.1 Ein Fisch namens Nemo – Warum einfache Geschichten besser ankommen

ElternAbenteuerDa jede Funktion gewisse Pflichten mit sich bringt, sitzen bei Schüleraufführungen nicht nur Eltern im Publikum. Außer nahen Verwandten verbringen auch Erwachsene, die Patenschaften übernommen haben, einen Teil ihrer raren Freizeit in Aulen, Kirchengemeindehäusern und Schulzimmern, um sich zum wiederholten Mal Geschichten anzusehen, die sich die Großen für die Kleinen ausgedacht haben. Freude haben sie natürlich trotzdem. Aber vor allem deshalb, weil sie einen der Schauspieler lieben. Steckt im Froschkostüm der kleine Daniel, wird die ganze Aufführung zum Ereignis.

KinoNoch ist es aber nicht so weit, näher auf die Rolle des Erzählers einzugehen. Unser Thema ist im Moment die Einfachheit. Und die können wir auch erleben, wenn wir mit Kindern statt in die Schule ins Kino gehen und dort den neusten Hit der Animationsfilme anschauen. Dass diese Geschichten ohne Altersbeschränkung freigegeben werden, was ich bei der Aufnahmefähigkeit eines Neugeborenen doch erstaunlich finde, stört Erwachsene nicht. Also können sie ganz ohne schlechtes Gewissen die Lektion des Simplen lernen und gleichzeitig das Stundenkonto gemeinsam verbrachter Zeit mit Schützlingen erhöhen.

myBook+

FilmDie Gründe, warum einfache Geschichten besser ankommen, lassen sich zum Beispiel mit dem Film »Findet Nemo« veranschaulichen. Wer mit einer Wasser- oder Fischphobie belastet ist, findet im Filmverzeichnis (siehe mybookplus.de) weitere sehenswerte Titel überzeitlicher Animationsfilme.

FluchtDie Geschichte: Nach einem Unglück, das dem kleinen Clownfisch seine Mutter und alle Geschwister raubt, wird Nemo an seinem ersten Schultag von einem Taucher gefangen, obwohl oder gerade weil ihn sein verängstigter Vater Marlin vor allen Gefahren beschützen will. Darauf macht sich Marlin auf die Suche nach seinem verlorenen Sohn und beweist in vielen Abenteuern, dass er über sich hinauswachsen kann. Unterstützt wird er auf seiner Irrfahrt von der Zufallsbekanntschaft Dorie. Nachdem Nemo nach mehreren Anläufen die Flucht aus einem Aquarium gelingt, schwimmen die Drei nach Hause.

BewusstseinSpielErfolgAbenteuerAuch wenn sich in »Findet Nemo« viele spannende Abenteuer ereignen und oscarwürdige Nebenrollen vergeben werden, hätte die Geschichte ohne das Grundelement Einfachheit nicht den riesigen Erfolg gehabt. Dass sich Dorie mit ihrem lädierten Kurzzeitgedächtnis so schusselig benimmt, bringt ihr zwar viele Sympathiepunkte ein, ist jedoch für das Verständnis der Botschaft in keiner Weise notwendig. Um den Zuschauern die jeweiligen Gefühlszustände der Darsteller zu vermitteln, genügt das Spiel mit den Augenbrauen. Die vielen Details dienen lediglich dazu, das Prototypische der Figuren, der Handlung und der Kulissen in den Hintergrund zu rücken und dem Bewusstsein zu entziehen.

AnziehungskraftWoher kommt die magische Anziehungskraft der Einfachheit? Warum reagieren wir spontan auf simple Muster und meiden das Komplizierte? Schließlich lesen wir auch dicke Romane, schauen uns die ganze Welt in zehn Tagen an, lösen Sudokus, bauen unüberschaubare Freundesnetzwerke auf, kaufen Handys vom Typ »Eier legende Wollmilchsau« und zählen Kamasutra-Kurse zur freiwilligen Weiterbildung. Auch Entwickler komplizierter Softwareprogramme für Customer-Relationship-Management (CRM) gaben sich die Aufträge nicht selbst, sondern erhielten sie von Anhängern des zielgruppenorientierten Marketings, die so viel Differenzierung für wesentlich halten. Vielfalt fasziniert – Einfachheit entscheidet.

Dazu ein klassisches Experiment: Auf einem Tisch in einem amerikanischen Supermarkt werden 6 Gläser mit verschiedenen exotischen Marmeladen präsentiert, auf dem anderen Tisch 24 Varianten. 60 Prozent der Kunden bleiben vor dem Tisch mit der größeren Auswahl stehen, 22 Prozent vor dem mit weniger Alternativen. Und wo werden Kaufentscheide gefällt? Tatsächlich gekauft haben am Tisch mit 24 Wahlmöglichkeiten nur 3 Prozent der Kunden, beim Tisch mit 6 Gläsern jedoch 30 Prozent.

VerhaltensmusterWie Sie bereits wissen, ist unser Gehirn hierarchisch aufgebaut und muss in erster Linie möglichst schnell Wahrscheinlichkeiten berechnen, welches Verhaltensmuster der Fortpflanzung, der Anpassung und dem Überleben dient. In einer Wohlstandsgesellschaft vergessen wir dabei allzu leicht, dass diese uralten Programme auch dann eingesetzt werden, wenn wir lediglich eine Frühstücksmarmelade kaufen. Zudem schafft Einfachheit Vertrauen, was wiederum wertvolle Denkarbeit erspart.

Karl MayAls ich während meiner Studienjahre durch Afrika trampte, genügten mir meine erbärmlichen Französischkenntnisse, ein paar Brocken Suaheli und die Körpersprache, um selbst in abgelegenen Buschdörfern zu überleben und Beziehungen zu knüpfen. Ebenso versteht ein Schwarzafrikaner die wichtigsten Geschichten in Deutschland, wenn er ein paar Hundert Wörter der Sprache Goethes kennt. Und der Wortschatz des Weimarers soll immerhin gegen 100.000 Begriffe umfasst haben. Die Helden von Karl May trafen ihre Entscheidungen offenbar auf der Basis von 3.000 Wörtern, was von unzähligen Lesern noch immer geschätzt wird.

Die ersten Entscheidungen werden von den unbewusst arbeitenden Hirnarealen getroffen. Und diese suchen in einer Geschichte zuerst nach den Mustervorlagen bereits bekannter Prototypen, nach Scripts, die auf Erfahrungen der frühen Lebensjahre beruhen. Zielgruppenorientiertes Marketing geht also mit Vorteil erst dann in die Tiefe, wenn es eine einfache Geschichte gefunden hat.

Ausflug

ElternAbenteuerMachen Sie mit Ihrer Botschaft die »Küchenzurufprobe«. Ist sie einfach genug, wird sie auch verstanden, wenn Sie in heimatlichen Gefilden gleich in die Küche rufen, worum es in Ihrer Geschichte geht. Also: He, Sabine, dieser Nemo und sein Vater mussten ja ganz schön viele Abenteuer bestehen, bis sie merkten, dass Überbeschützen eher schadet als nützt. Oder: Du, Sabine, wir melden deine Eltern doch im Altersheim »Sonnenschein« an, die machen nicht so gezwungen auf modern.

Wichtig

ZielgruppeEgal, wie Sie Ihre Zielgruppe definieren, zur Erfahrungswelt aller Menschen gehört die automatische Bevorzugung der einfacheren Geschichte, falls deren Inhalte vergleichbar sind.